The text was transcribed from the transcription from UB Basel, which is based on the 1904 edition. The page breaks, chapter divisions and chapters were taken from scan from UB Basel, which is based on the 1904 edition.
Gedruckt bei August Pries in Leipzig.
Rein und kühl wehte der Dahinschreitenden die Frühluft durch die Gasse entgegen. In kristallener Bläue wölbte sich der Himmel über den hohen Häusern, und ein frohgeschäftiges Eilen zum Tagewerk in jeglicher Richtung, und ein munteres Grüßen unter den Vorübergehenden
Siegfried, Gritli-Wohlthäter.
Das Gritli schien ebenso neu belebt wie seine Mitbürger, als es in all' seiner
Schüchternheit jetzt so hurtig und leichtfüßig zur Stadt hinaus glitt und dann längs den
Gartenmauern und grünen Hecken die Landstraße dahin eilte, wo sich zu beiden Seiten alte
und neuere Landsitze, unterbrochen von schattigen Obstgärten, ins Thal hinaus
„Haben Sie guten Sonntag gehalten, Marei?“
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„Der Plagegeist ist wenigstens über Land gewesen!“ erwiderte die Magd. Aber Gritli wehrte ihr alsbald mit einem ängstlichen „bschtl“ und eilte, nichts weiteres dieser Art zu hören, durch den Garten voraus.
An den beiden Seiten des saubern Kiesweges,auf dem sie dem niedern, weißen Landhause mit
den hellgrünen Läden zuschritten, blühten in leuchtenden Büscheln herrliche Aurikeln und
Narzissen, und aus den jung-grünen Gebüschen und Baumkronen erschallte schmetternd der
Gesang der Vögel. Bewundernd blieb Gritli einen Augenblick oben auf der Vortreppe stehen,
sich noch einmal umzusehn in dem thauigen Silberglanz dieser Frühe und noch einen tiefen
Zug zu nehmen von der würzigen Luft des weiten, wohlgepflegten Gartens, ehe es sich hinein
begab, einen ganzen Tag an der Näharbeit zu sitzen.Aber ein barscher Laut der Ungeduld
hinter seinem Rücken riß es aus seiner seligen Betrachtung, und als es zur Seite wich,
schritt der Herr des Hauses, dem es im Wege gestanden hatte, unwirsch an ihm vorüber, die
Treppe hinab. Fast war Gritli nicht im Stande, hörbar guten Morgen
Hatte die Magd ihren Gebieter den Plagegeist genannt, so war er für Gritli geradezu der schwarze Mann, und in den nahezu zwanzig Jahren, in denen es in dies Haus kam, hatte es noch nie die Schwelle ohne ein leises Grauen überschritten. Umso herzlicher tönte jetzt der Gruß der Haushälterin, der Jungfer Magdalene Biberach. Denn diese vielgeplagte gute Haut freute sich jeweilen die ganze Woche auf den einen,regelmäßigen Nähtag Gritli's, als auf die einzige Gelegenheit, sich einer theilnehmenden Seele auszuschütten und ein treu gemeintes Wort dagegen zu hören. Ja, Gritli's friedvolles, in sich stilles Wesen schien in die unbehaglichen Mauern dieses verödeten Wittwerhauses allwöchentlich herein,wie ein verirrter, freundlicher Sonnenstrahl.
„Daß ich es Ihnen nur gleich sage,“ begann Jungfer Magdalene, während sie den Kaffee
„Nun, ich werde auch dort Licht genug haben,“begütigte Gritli, ein paar Mal die Lider über seinen ruhigen, hellen Augen hebend und senkend,wie es seine Gewohnheit war, wenn es sich etwas zurechtlegte. Die Alte zuckte die Achseln. „Werden wohl hell genug haben müssen, mit dem vergitterten Fensterloch hoch oben, dazu noch nach hinten hinaus!“
Aber Gritli beruhigte sie. „Es geht doch auf den Garten, und wenn es jetzt auch vielleicht noch etwas kühl ist, später, bei der Sommerhitze,wird es da drunten nur um so köstlicher sein.“
„Ei ja freilich! Den Tod kann sich Einer holen!“ wehrte Jungfer Biberach ab. „Ich hab'es ihm vorgestellt, aber was ficht das den an!Was er im Kopf hat, bleibt stehn wie eine Mauer.“
Gritli wußte die Eifernde mit seinem Herausfinden der guten Seite an allen Dingen
schließlich doch zu trösten und stieg dann in ungetrüb
Still und flink glitt seine Nadel durch die Leinwand, und das leise Ziehen des Fadens und das zeitweilige Klingen der Scheere war lange das einzige Geräusch in dem einsamen, kühlen Gelaß.
Hm, nun war es doch von Herrn Rych nächstens durch sämmtliche Räume des Hauses gestoßen
worden! Ehedem hatte ein sonniges Parterrezimmer als ständige Nähstube gedient. Das war,
als noch die Schwester des Hausherrn lebte,das unvergessene Fräulein Charlotte, das mit
seiner warmherzigen Fürsorglichkeit des Bruders gehässiges Wesen so viel wie möglich
ausglich.Doch schon seit sechs Jahren war sie todt. Eines Tages im ersten Frühling starb
diese gütige Seele nach kurzem Kränkeln plötzlich weg, und es be
Eine ruhelose, mißtrauische Geschäftigkeit trieb den Herrn von früh bis spät in allen Winkeln umher und hielt seine Umgebung auf die ungemüthlichste Weise in Athem. Seit seinem fünfzigsten Jahre, da Herr Cornelius Rych seine städtischen Ehrenämter abgegeben, befaßte er sich nur noch mit der Verwaltung seines, durch vielfache Erbschaften zu einem großen Vermögen aufgelaufenen Geldes und mit der Regierung von
Haus und Garten. Aber er betrieb das ohne den mindesten Frohgenuß seiner begünstigten Lebensumstände. Seine peinliche, bis ins Geringfügigste nachrechnende Genauigkeit verhinderte ihn daran,und ließ ihn in keiner seiner Beschäftigungen den Reiz finden, der darin hätte liegen können.Seine Baumkultur, seine Blumenzucht mit ihren stillen Freuden und Ueberraschungen im Wechsel der Jahreszeiten, seine Liebhaberei, an dem alten Hause herumzubauen, indem er dabei die billigsten Caleulationen herausklügelte und zu verwirklichen wußte alles für Andere Gelegenheit zu Unterhaltung und angeregter Laune bot ihm, eines wie das andere, nur Anlaß sich zu ärgern.
Eben ging er murrend um jene Beete seltener Aurikeln und Narzissen herum, die vorhin
Gritli's Auge und Herz so innig erfreut hatten, und deutete geringschätzig mit dem Finger
darauf hin,als machte er der prangenden Pflanzung Vorwürfe. Ihm blühten diese zarten
Gebilde keineswegs nach Wunsch. Vielmehr war seine Liebhabereitelkeit durch sie dies Jahr
empfindlich verletzt. Standen sie doch volle anderthalb Wochen zu spät im Flor. Es waren
neue Frei
„Seht!“ rief er dem Gärtnerburschen zornig zu,„da sind sie nun endlich alle offen, die Sakermenter!Und in vier andern Gärten blühen sie seit sechs,in einem gar schon seit zehn Tagen! Nur wir bringen es nie zu den ersten! Ich bleibe dabei,daran ist der alte Nußbaum dort an der Ostseite schuld; der läßt Morgens die Sonne nicht früh genug herzu. Aber er trägt zu gut; ich mag ihn nicht umhauen. Das soll der Henker holen.daß immer eins dem andern im Wege stehen muß!“ Und mit dem Bastbündel fuchtelnd, drehte er den unschuldigen Blumen stracks den Rücken,um sich allsogleich an etwas Neuem zu erbosen.„Gschlugsch!“ hörte ihn Gritli zischen und heftig in die Hände klatschen, worauf endlich der Angstruf einer Amsel, den es schon längst mit Kummer angehört, verstummte, während sich gleich nachher der große, rothe Kater am Fenster vorüber ins Haus schlich.
Herrn Cornelius sangen auch die Vögel nicht zu Dank. Hätten sie lieber den guten Instinkt
gehabt,in entfernteren Gärten zu nisten, statt vorzugsweise
Noch mehrere Male, während der Gestrenge draußen an seinen Rosenstöcken Bänder erneuerte und dürre Zweiglein ausschnitt, ertönte sein „Gsch“und sein Klatschen.
Derweil zog Gritli in seinem Verließchen friedlich seine Nädlinge durch das Leinen. Mit vollendeter Flickkunst wußte es den Webmustern der alten, damascirten Tischtücher fast unbemerkbar seine Stiche anzupassen. Zeitweise mußte es seine ganze Aufmerksamkeit dem schwierigen Erwägen der zweckdienstlichsten Stichart widmen,dann wieder flocht sich unvermerkt in die Ziergewinde des Leinwebers ein kleines Rankenwerk von Gritli's eigenen, lebendigen, guten Gedanken.
Ihm war nie einsam zu Muth, wenn es auch
Denn der stiefmütterlichen Fee, die einst an seiner Wiege gar zu emsig bemüht gewesen war,jene Falten ihres Gewandes zuzuhalten, in denen sie die Gaben irdischer Glücksgüter beisammen hielt, war ein anderes Geschenk entrollt und dem schlichten Menschenkinde in den Schoß gefallen:Phantasie. So verstand es hinfort, die armen,nackten Meilensteine seiner Erdenpilgerschaft mit freundlichen Flittern und Ranken zu umkränzen,solche von einem zum andern fortzuspinnen und dazwischen hinzuwallen als ein gottgesegnetes Genie der Liebe im Kleinen, das sich an hundert kostenlosen Genüssen erbaute, welche Andern ewig verschlossen blieben.
Mit achtzehn Jahren hatte Gritli als Waise begonnen, seinen Unterhalt durch Nähen zu
verdienen, und bei seinen sanften Sitten und der strengen Verlässigkeit in Arbeit wie
Charakter schnell einen sichern Kundenkreis erlangt, der dann in regelmäßigem Umgang seine
Wochen füllte. Doch war es ihm in den zwei Jahrzehnten DDD wesen, das beiseite zu legen,
was es erübrigte,sondern es hatte lange Zeit hindurch seinen ganzen Verdienst freudig dazu
hergegeben, seine einzige Schwester bei sich zu erhalten, die, an schweren Zufällen
leidend, erwerbsunfähig war. Erst nach ihrem Tode, durch den es freilich auch des letzten
Angehörigen beraubt worden, sah es langsam den Vohn seines Fleißes zu einem Häufchen
anwachsen, und das bescheidene Sicherheitsgefühl darüber ward ein neuer, schöner Grundton
in der friedvollen Harmonie seines Wesens. Wohl keiner seiner reichen Kunden konnte durch
den größten eisernen Geldschrank voller Staatspapiere und Gültbriefe so beglückt sein, wie
Gritli durch diesen kleinen Besitz, und wenn es alle paar Monate wieder ein Beutelein
Erspartes zum Aufheben beisammen sah, abermals gnädig verschont
„So schauen Sie doch nur einmal auf, Gritli,und nehmen einen Bissen!“ rief Jungfer Magdalene, als sie gegen zehn Uhr mit einem kleinen Imbiß wieder in dem Kerkerchen erschien und Gritli ganz versunken über seinem Damasttuche fand. „Da! ich habe gestern dem Herrn diese Pastetchen gebacken und Ihnen eins aufgehoben.“
Gritli erhob den Kopf und dehnte ein wenig seine gedrückte Brust.
„Und nun lassen Sie auch hören, wo Sie gestern waren?“
„Ausgesonnt hab' ich mich, wie alle Leutel“lachte Gritli und nahm einen Schluck Wein.„Durch die Rebberge sind wir hinauf gestiegen und den ganzen Stadtwald entlang gegangen,bis zum Sennhof. Dort kehrten wir ein. Nachrücken geschleppt, um droben von der Lichtung aus den Sonnenuntergang zu betrachten. Ach,Jungfer Magdalene, wie Sie nur immer daheim bleiben mögen! So schön haben die Schneeberge lange nicht verglüht!“
Die Haushälterin nickte. „S'ist wahr! Aber sehn Sie, wenn ich mich einmal allein daheim weiß, wie gestern, dann wünsch' ich mir nichts Besseres, als in einem sonnigen Winkel still,sitzen und ungescholten über einem Buch ein wenig einzunicken. Wen haben Sie denn bei sich gehabt?“
„Meine Zimmernachbarinnen Tulliker.“
„O jehl“ spöttelte Magdalene, „daß Sie mit diesen beiden dürren Sektirerinnen spazieren gehn mögen!“
„Es hat sie halt gefreut, sich jemand anzu
And die haben Sie in ein Wirthshaus hinein gebracht?“ zweifelte Jungfer Biberach. „Haben sie denn auch was getrunken? O, in diese zwei Gerippe hinein schütten mögen, bis sie zu hopsen angefangen. Aber Jesses! ich muß hinauf, mein Gemüse brennt an!“
Gritli lächelte vor sich hin. Es mußte schon ein braver Waadtländer gewesen sein, im Sennhof. Denn er hatte etwas Unerhörtes gezeitigt,und Gritli's Gedanken waren seitdem unablässig davon gefangen genommen.
Als die drei ältlichen Mädchen so miteinander die Herrlichkeit des Schneegebirges im Abendroth betrachtet und die Augen über das Vorland hinweg allerlei Reisen hatten thun lassen, zu fernen Seen und duftigen Höhenzügen, da äußerte die ältere der Jungfrauen Tulliker plötzlich den an ihr fast unfaßlichen Gedanken: sie drei Nachbarinnen könnten sich doch eigentlich am nächstkommenden Sonntag auch der ausgeschriebenen Vergnügungsfahrt an den Vierwaldstättersee und auf
Siegfried. GritliWohlthäter. 2
Zu anderer Zeit hätte Gritli sich ob solch einem Vorschlage baß entsetzt. Aber sei es,
daß hier ein völlig unverhoffter, kühner Wurf seine mitreißende Wirkung that, sei es, daß
auch Gritli's Blut von Wein und Wonne des Maientages lebendiger strömte, es hatte die Idee
nicht nur ohne Schrecken angehört, sondern sie sogar nach einigem Staunen und Erwägen
aufgegriffen und sich das Unerhörte einer solchen Betheiligung wahrhaftig gleichfalls
zugetraut. Ja, noch mehr:selbst heute, da es in aller Nüchternheit des Werktages an seiner
Arbeit saß, ließ es die Vorstellung nicht wieder fahren, daß es dieses unbeschreiblichen
Glückes theilhaftig werden könnte. Denn aller Träume Erfüllung, alles jahrelangen Sehnens
Gewährung schien ihm urplötzlich nahegerückt durch den kühnen Anstoß der weinseligen
Nachbarin. Warum auch wagte Gritli bereits zu denken sollte es denn gar so eine
Ueberhebung sein, wenn auch Seinesgleichen nach vielen Jahren bescheidenen Sparens einmal
das Glück einer kleinen Reise genösse? Wenn das die ernsten Plätterinnen nebenan
verantworteten,
Ach, sein Herz faßte es ja kaum, und die Phantasie, seine sonst immer flügge Phantasie ließ es plötzlich im Stiche. Es vermochte sich auf einmal gar keine Bilder mehr von dem zu machen,was seiner Göttliches harren würde. So lange Alles ein unerfüllbarer Traum geblieben war, hatte es sich deutlich die geheiligten Stätten des Vaterlandes vorstellen können: die Landschaft von Uri in ruhevoller Weihe, himmelhohe Berge, und in ihrem Schutze das Rütli, „das stille Gelände am See“. Jetzt, wo es Wahrheit werden sollte, daß es diese Orte beträte, jetzt vershwammen ihm die so oft im Geist erschauten Bilder zu einem unbestimmten und unfaßbaren Nebelglanz, vor dem es zum voraus überwältigt die Augen schloß.
Das gute Wesen hatte zu nähen aufgehört und stichelte einen Augenblick zerstreut mit der Nadel in das abgeblichene, gestickte Nähkissen. Es schwebte nur noch ein großes, bedenkliches Fragezeichen über dem leuchtenden Plan. Gritli mochte aber niemand davon reden; es hatte auch den Schwestern Tulliker gestern nur geantwortet, es sei ihm vor dem Samstag Abend un
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Es handelte sich um die leidige Geldfrage.Denn ungeschickter als justeben hätte es sich
in Jahr und Tag nie treffen können. Gerade vor wenigen Tagen hatte es wieder ein
ordentliches zusammengespartes Sümmchen in seinen Schatz eingeliefert und nur einen ganz
unbedeutenden Baarbetrag daheim behalten, eben recht bemessen für die laufenden Ausgaben
der nächsten Zeit.Wenn es also die Reise mitmachen wollte, konnte es nur geschehen, falls
es den rückständigen Lohn von fünf Tagen der letzten Woche und denjenigen von fünfen der
eben angetretenen am nächsten Samstag hinzu bekam. Darüber hätte zu keiner andern Zeit ein
Zweifel bestanden. Aber wie fatal es der Zufall nur fügen kann! Es hatte eine einzige
Kundschaft, die ihm den Lohn unregelmäßig auszahlte und dies manchmal über Wochen hinweg
vergaß. Das war die junge Frau Stadtschreiber Gebnauer im Hause zum Steinbock. Und während
Gritli sonst fast jeden Tag anderswo nähte, gehörten in dieser und der vergangenen Woche
zehn volle Tage gerade diesem
Noch viel weniger war daran zu denken, das,was es zur Reise benöthigte, von dem bereits
an den Gestrengen ausgelieferten Gelde etwa wieder zurück zu fordern. Potz tausend jawohl!
Der würde das arme Gritli mit seinen Rollaugen nicht übel durchbohrt haben! Wozu? Zu
Gritli schauderte die Haut beim bloßen Drandenken.Aber ebenso unmöglich wäre es dem verschämten Jüngferchen gewesen, irgend jemand seine Verlegenheit anzuvertrauen. Gritli hatte zeitlebens Geldangelegenheiten mit äußerster Genauigkeit und Zartheit erledigt, jedesmal wie eine unerfreuliche, sein Gefühl ein wenig demüthigende Nothwendigkeit, von der man am besten möglichst wenig spricht. Auszuleihen und wieder zurück zu empfangen, oder gar je selber Geld zu entlehnen, das waren Dinge, die es floh und fürchtete, im richtigen Instinkt, daß sie, ob noch so viele Andere umher Derartiges ohne Anstoß trieben, seiner besondern Natur viel mehr Verletzendes bringen müßten, als sie ihm in irgend einer Lage zu nützen vermöchten.
Nein, nein! Gritli machte sich, wie um sich vom bloßen Aufzucken solcher Hülfsgedanken zu reinigen, jetzt mit verdoppelter Emsigkeit wieder ans Nähen.“
Uebrigens wäre jetzt gar niemand mehr da gewesen von Jenen, die vordem liebevoll an seinem Wohl und Weh Antheil genommen hatten und denen es, wo es allein nicht fertig wurde, im Vertrauen ein Wort sagen, eine Bitte um Rath vortragen durfte. Einst hatte eine ganze Generation Frauen in seinem Arbeitskreise gelebt, die sämmtlich die Liebe besaßen, sich in die Verhältnisse und Lebensbedingungen der kleinen Leute um sie her hineinzudenken. Fräulein Charlotte Rych voran, dann die alte Frau Gebnauer, des Stadtschreibers Mutter,nicht zuletzt auch die liebliche Frau Oberrichter Degerfeld, die so früh hatte sterben müssen, aber Gritli in ihrem Knaben Paul auf Jahre noch ein inniges Bindeglied zum Hause zurückgelassen hatte.
War das nun bloß ungünstiger Zufall. oder war es ein Merkmal des neuen Geschlechtes
überhaupt, daß sich für alle jene verschwundenen Sorglichen kein Ersatz mehr einstellte?
Seltsam genug nahm sich der Widerspruch schon aus zwischen den Schlagwörtern, die aus den
vielen Vereinen zur Besserung socialer Zustände durch die Luft schwirrten, und dem
gleichzeitig doch unleugbaren Niedergang jener frühern gütigen Fürsorge von Person zu
Person.
Diesem mutterlosen Knaben hatte es in den
Jahren, als er noch so unendlich viel fragte, mit geringem Wissen, aber viel richtigem
Gefühl über hundert Dinge die ersten Aufschlüsse gegeben.Dann hatte es ihm seine Märchen
und alle wahren Geschichten, die es wußte, so lange erzählt, bis Paul ihm über den Kopf
wuchs und die Zeit begann, wo es mit seinen kleinen Eigenthümlichkeiten den Jungen zu
allerlei Späßen und Nachahmungskünsten anzureizen begann und diese dann voll unendlicher
Langmuth ertrug. Ja,es hatte sich Paul schließlich rückhaltlos zum Studienobjekt ergeben.
Mein Gott! was hätte der Junge an dem simpeln, zaghaften, früh ältlichen Jungfernwesen
Verfängliches zu entdecken gefunden! Er kannte bald alles, alles aus Gritli's
uninteressantem Leben. Aber dem warmherzigen Burschen war das ein ganzes Reich, und die
Bethätigung all' seiner Phantasterei und Zärtlichkeit ging auf sein Verhältniß zu Gritli
über, das er „Sonnenschein“ taufte und in zahllosen Gedichten verherrlichte. Dieser
Ehrenname aus dem Degerfeld'schen Hause war dem guten Wesen seitdem verblieben, und es
wurde bis heute da und dort scherzhaft so genannt. Briefe waren jetzt die einzigen
Lichtstrahlen, die aus jener Freundschaft
Gritli fühlte sich auch in diesem Augenblick wieder ganz aufgeheitert durch die Gedanken
an ihn. Wenngleich solche beglückende Umstände nie wiederkehren konnten, so hatte es doch
Schönes genug erleben dürfen, das gestand es sich oft, und noch ging es ihm ja auch in dem
weniger freundlich gewordenen Lebenskreise ganz gut. Es hatte seinem Gotte nur zu danken.
Man konnte Schlimmeres sehen allenthalben in der Welt umher, als solche Vereinsamung.Ein
leises Knistern, Rascheln und Schwirren weckte es aus seinem Sinnen auf.Oben, dem Sockel
des Hauses entlang, wuchs
„Mich dünkt,“ sprach er boshaft, „Ihr werdet zu dem, was Ihr da thut, wohl noch Licht genug behalten!“ und ließ mit barschem Wink einen Pflanzenkübel, den der Gärtnerbursche hinter ihm daherschleppte, just mitten vor Gritli's Fenster hinsetzen. Der blattarme Oleanderbusch schien hier einen geschützten Standort bekommen zu sollen.
Dunkelroth übergossen war Gritli vom Stuhl herabgestiegen und nahm in unbeschreiblicher Aufregung seine unterbrochene Arbeit wieder auf.
„Es war doch ein böser, böser Mann, der Herr Rych!“ es vermochte kaum die Nadel
einzufädeln, so war es verstört. Alle schlimmen Dinge, die es in diesem Hause schon erlebt
hatte,tauchten vor seiner Seele auf, und es empfand trotz all' seiner Sanftmuth jetzt
einen heiligen Zorn darüber, daß diesem Alten nie jemand ins Gesicht sagte, was für ein
abscheulicher Cujon er sei! Solch' ungerechten Spott und solch' einen
Mit zornigem Ruck zog es den endlich erwischten Faden durchs Nadelöhr, doch zum Nähen kam es nicht. Es stichelte mit unsichern Fingern nur an seiner Leinwand herum und traf kaum die Stelle, wo es hineinstechen wollte.Schließlich rollte ihm eine Thräne der Hülflosigkeit auf die Hand.
Was hatte Herr Rych sich vor Gritli's Augen nicht schon Alles erlaubt! Wenn es allein an den empörenden Streich dachte, den es am letzten Neujahrsmorgen machtlos hatte mitansehen müssen, einen Streich, so recht von Geiz und Bosheit ersonnen!
In Altachen bestand noch die Sitte, daß die Kinder, auch die aus bessern Bürgershäusern,am Vormittage des ersten Jahrestages in kleinen Schaaren in die Häuser gingen und einen uralten,mehrstimmigen Neujahrsspruch sangen, worauf sie mit Backwerk beschenkt und mit den Glückwünschen an ihre Eltern beauftragt wurden.
Das war für die Kleinen ein Fest und spielte sich immer in der besten Manierlichkeit ab. Was that aber Herr Cornelius Rych, der sich an nichts Harmlosem freuen konnte und überdies in seiner Knickerigkeit seit Jahren ärgerte, daß Magdalene jedesmal für dieses Kinderpack einen besondern Vorrath Gebäck anfertigte, was that er dies Jahr,um die Kleinen ein für alle Mal los zu werden?
Er veranlaßte jedes dieser Trüppchen Kinder,ins Vorzimmer einzutreten, hieß sie warten
und fuhr damit fort, bis eine ansehnliche Zahl beisammen war, die ihm die Altachener
Jugend genügend zu vertreten schien. Und wie sie nun Alle gespannt und beklommen mit
großen, erwartungsvollen Augen der Gabe harrten, die da kommen mochte, schloß er laut und
beängstigend die Thüre mit Schlüssel und Riegel hinter ihnen ab. Dann holte er aus dem
Ofen einen ungeheuern Hafen mit Kamillenthee und zwang jedes einzelne Kind, eine mächtig
große Tasse voll von der lauwarmen Brühe ohne Zucker hinunterzutrinken, ehe es aus der
verschlossenen Stube wieder entkam. Was hatten Gritli und Magdalene in ihrer machtlosen
Empörung ausgestanden, nebenan in der Küche das Geheul und
Wenn Gritli jetzt daran zurückdachte und an manche andere Ränke, so hätte es fast das
Herz gefaßt, dem reichen Bösewicht auf Grund der heutigen Beleidigung endlich seine
Dienste zu kündigen.Allein der Gedanke an Magdalene, die dann vollends niemand mehr hatte,
ließ es wieder davon abstehen. Denn die o, die fand nimmermehr den Muth, ein Gleiches zu
thun. Dazu war sie schon zu mürbe und hatte längst die gebotenen Stunden versäumt, wo sie
den Herrn zur Strafe für seine Bosheit kurzweg hätte stehen lassen sollen, ohne Bedienung,
allein wie er war,im leeren Hause. Jetzt befürchtete Herr Rych nichts dergleichen mehr und
ließ drum seine Lust am Kränken nach Belieben an ihnen allen aus.„Natürlich!“ sagte sich
Gritli, „wie sollte er nicht?“Und eine Ahnung ging ihm auf, daß die Mißhandelten und
Uebervortheilten sich selber mitschuldig machen an der großen Ungerechtigkeit der Welt,
wenn sie durch Unterlassung oder
Gedrückt und zerquält, beinah in seine Arbeit sich verkriechend, sehnte Gritli das Ende dieses Tages herbei und hob erst wieder ein wenig den Kopf, als endlich die Sonne von Westen über die Baumkronen zu ihm herabdrang und die nahe Feierabendstunde ankündigte.
Es schüttelte sich förmlich, als es diesmal das Gitterthor des Rych'schen Gartens wieder für eine Woche hinter sich hatte und schritt, noch wie von einer Last beschwert, von dannen.
Auf Weg und Stegen traf es Menschen, die sich nach des Tages Mühe in dem schönen Abend ergingen. Aus nahen Gärten tönte Musik, noch sangen die Amseln, man hörte kräftiges Kegelschieben und allerlei lustige Rufe. Da athmete Gritli mit einem Male tief auf. Warum ging es denn eigentlich so bedrückt einher? Was war geschehen? Einmal ein schlimmerer Tag zwischen manchen guten, ohne seine Schuld, war das nicht alles?
Wo es vorüberkam, ward ihm von Frauen und Herren ein freundlicher Gruß. Das that ihm wieder wohl in seinem bescheidenen Herzen, fast wie eine sichtbare Herstellung seiner verletzten Ehre.Wenn es auch nur das Nähgritli war, so durfte es sich doch in der Oeffentlichkeit geachtet sehen.Da raffte es sich denn auf und suchte den heutigen schlimmen Werktagsstaub von seiner Seele zu schütteln. Es drehte das Näschen nach dem Winde,der ihm so wonnigen Fliederduft entgegenbrachte,und schlug einen frischeren Schritt an. Das kleine Päckchen, das ihm Magdalene mitgegeben hatte,mit umzutauschenden Leinenbändern und Knöpfen,ließ es plötzlich unter seine schwarze Schürze gleiten, fast verschämt, als wollte es, da über sein eigenes Gemüth endlich die Feierabendstimmung kam, nun auch diejenige der Andern selbst nicht mit dem Anblick eines Arbeitsbündels mehr stören.
Im kühlen Baumschatten der Stadtpromenade nahm es noch ein Weilchen auf einer Ruhebank Platz und schaute stillathmend übers Land hinaus.Fern in einem schleierhaften Dunste zeichneten sich die Alpen, gerade wie man es in dieser Jahreszeit als Zeichen für lang andauerndes schönes Wetter gern sah. Da kamen Gritli's
Siegfried, GritliWohlthäter. 3
„Weiß Trost! schon wieder gelbe Rüben und Hammelfleisch!“ dachte Gritli, als im Laufe des nächsten Vormittages der kräftige Geruch dieser zwei Gerichte aus der Gebnauer'schen Küche in alle Räume des Hauses drang.
Den Menschenkindern, die ihren Verdienst während der sechs Wochentage in verschiedenen
Häusern suchen und jeden Mittag ihre Füße unter einen andern Tisch strecken müssen, spielt
der Zufall manchmal mit der Kost wunderliche Streiche. Ein alter Schneider in Altachen der
zu seiner Zeit, wie es damals noch ortsüblich war,zum Anfertigen von Knabenkleidern von
Haus zu Haus auf Arbeit ging, erzählte oft genug von den schönen gelben Nebelbohnen,
welche die Altachener Köchinnen besonders meisterlich in ihren Gemüsegärten zu ziehen, und
auf dem richtigen Punkte, nach den ersten Nebelnächten abgenommen,zu kochen verstanden.
Durchschnittlich jeden zweiten
Aehnliches hätte auch Gritli Brunnenmeister in all' seiner lauteren Wahrhaftigkeit von Rüben und Hammelfleisch betheuern können; doch blieb ihm heute wenig Muße, den vertrauten Duft zu beachten. Denn auf seinem Zuschneidetische hatte es Arbeit in einem Maße für die übrigen fünf Wochentage zugetheilt gefunden, daß der ganze Unverstand der jungen Frau Stadtschreiberin sich in diesem Leinwandberg ein Monument gesetzt zu haben schien, und das gute Wesen, das sich keine Einsprache zu erheben getraute, nicht wußte, wie es das alles auf den Samstag bewältigen sollte. Es lag dieser Zumuthung keineswegs Härte zu Grunde, oder die Absicht, unverhältnißmäßige Leistungen um den geringen Taglohn herauszupressen, sondern lediglich die grasgrüne, lieblose Gedanken- und Herzensträg-heit einer leichtfertigen Frau Parvenue.
Auf einer Schlittenpartie hatte sich der junge
Aber nichts von alledem hatte der Sohn in den braunen Augen gelesen. Nun war der erste Rausch verflogen, und schon wechselten in der jungen Ehe Zeiten launenhafter Liebesbezeugungen mit solchen spöttischer Kälte und aufgeregter Unbefriedigtheit, wie die Wolken am Aprilhimmel. Ein Glück, daß die ehrenfeste Matrone hatte sterben können, ehe die neue Zeit in ihrem Hause Einzug gehalten. Als eine ihrer letzten freundlichen Thaten ließ sie noch die getäfelte Nähstube in lichter Farbe neu streichen, weil Gritli's Augen, wie sie sagte, allmälig die jahrelange feine Arbeit spüren müßten und daäher mit einer helleren Stube eine Nachhülfe brauchten. Darin war freilich ein anderes Wohnen als im Kellerloch bei Herrn Rych. Licht und Luft kamen durch stattliche Fenster herein, wenn sie gleich nur auf eine Hintergasse gingen. Aber auf was für eine trauliche! Es war die letzte am obern Ende der Stadt, und über die Nachbargiebel grüßten schon die grünen Wipfel der Stadtpromenade herein.
Alles aber, was da vom Nähplatz aus zu
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Jetzt aber schnitt Gritli emsig seine Kissenbezüge zurecht, einen um den andern, damit sie am Nachmittage von den Mägden genäht werden könnten. Die Uhr im Gange draußen schlug eben halb Zehn. Da kam endlich auch die Frau Stadtschreiberin zum Vorschein. Ihr dunkelblondes Haar war zwar noch nicht ordentlich aufgesteckt, als sie in die Nähstube trat, guten Morgen zu wünschen, aber in der reichbebänderten Morgenjacke stellte sie mit ihrer hohen Figur auf den ersten Anblick doch unleugbar etwas vor.
„Diese Woche, Gritli, muß also sämmtliches neue Bettzeug für das Rebhäuschen fertig werden!“schnäbelte sie. „Nicht wahr, Sie lassen mich nicht im Stiche?“ Dabei streichelte sie flüchtig mit der Hand über das glatte Leinwandbällchen, das so appetitlich aus seinen gelösten blauen Umschlagbändern quoll.
„Es wird wohl gehen,“ lispelte Gritli gehorsam, dachte aber dabei, wie so gar keinen
Begriff diese junge Frau doch haben müsse von den einzelnen Arbeiten, die sie zutheile.
Für leichte Dinge, die bloß recht groß aussahen, wie meterlange Nähte und Säume an
Leintüchern, setzte sie manchmal einen ganzen Tag an; derweil be
„Was aber das Tischzeug anbelangt,“ verfügte die junge Herrin weiter, „so kann das aus dem Vorrath meiner Schwiegermutter im großen Schrank auf der Laube genommen werden. Für den Gebrauch draußen im Rebberg ist das alte Zeug ja eben recht!“
Durch Gritliss schmale Figur lief bei diesen Worten ein Beben, als hätte sein frommes Gemüth eine Blasphemie angehört.
„Suchen Sie mir gleich bis Mittag achtzehn Servietten von den besten heraus! So viel werden wir schon noch zusammenbringen!“ meinte die Frau Stadtschreiberin. „Dann will ich sehen,was für Tischtücher ich dazu finde. Es sind so vielerlei verschieden gemusterte unter dem altmodischen Haufen!“
Sie war, indem sie so redete, ans offene Fenster getreten, von der wehenden Kühle
gelockt,die aus der schattigen Gasse hereinströmte, und während sie ihr rosig
verschlafenes Gesicht in dem frischen Luftzug vollends wach badete, reckte
„Seh' ich recht?“ rief sie plötzlich, „dort drüben geht ja schon Ida? Ida! Ida! guten Morgen!Komm' doch schnell herauf!“ Gleich darauf schallte an der Treppe eine laute Begrüßung und Frau Gebnauer's Entschuldigung, daß sie noch im Negligé stecke. Dann verklang das geräuschvolle Gespräch der beiden Damen hinter der zufallenden Thüre des Salons überm Gang.
Noch etliche Stück Bezüge schnitt Gritli zurecht, dann knabberte es, obwohl
mutterseelenallein,mit der ganzen verschämten Andacht, mit der alle Hausnähterinnen essen,
an dem bereitstehenden Frühstückchen. „Achtzehn gleiche Servietten von den besten?“
seufzte es dabei. Wo sollten die noch herkommen, nachdem seit zwei Jahren in den kostbaren
Vorräthen so gottlos gehaust wurdel Hatte Gritli doch bald nach der alten Frau Gebnauer
Tod, als die Gipser und Maler im Hause wirthschafteten, ganz tadellose Tischtüscher zum
Zudecken von Schränken und Treppengeländern verwendet gefunden, und das feinste Weißzeug
der Verstorbenen wurde jetzt, nachdem
Freundin Ida für Donnerstag Nachmittag wurde mit entzücktem Wortschwall angenommen. Heute um drei Uhr traf man sich ohnehin bei Agnes Wirth. „Also auf Wiedersehen denn! Adieu!Adieul!“
Eine flüchtige Minute erschien Frau Hedwig,nun ganz belebt, bei Gritli wieder. Die Serviettenfrage wurde mit einem Achselzucken erledigt. Die gelben Rüben und das Schaffleisch begannen zudringlicher über den langen Gang zu duften und mahnten die Hausfrau, daß auch noch in der Küche Nachschau zu halten sei. Trällernd war sie im nächsten Augenblicke der Nähstube für den heutigen Tag entschwunden.
So ein Dutzend junger Frauen, wie sie zur Zeit das Städtchen aufwies, alle wo nicht
verwandt, so doch Schulgenossinnen oder Institutsfreundinnen, wußten sich in diesen ersten
Ehejahren, besonders so lange einzelne noch keine Kinder zu hüten hatten, gar tapfer über
die langen Nachmittage wegzuhelfen, in denen ihre lieben Männer im Geschäft oder Amte
steckten. Heute war es ein Lesekränzchen, das sie zusammenführte,morgen nahmen sie an
einem Verein Theil, in dem für Arme, übermorgen an einem, wo für
So wurde es Donnerstag, ehe man sich's versah, und über dem verdoppelten eigenen Fleiß
fand Gritli kaum je einen Augenblick Zeit, seinem großen Reiseplan ein wenig nachzuhängen.
Heute hatte die Einladung der Freundin Ida die Hausfrau wieder entführt, der Berg von
Arbeit, der aus dem kleinen Leinwandböllchen erstanden war,lag noch immer gleich
hochgeschichtet da, und wieder überließen sich die Mägde, ihr Weißzeug im
Muthlos ließ es einen Augenblick seine fleißigen Hände sinken. Hatte sich denn Alles wider sein Glück verschworen? So fahrig und gedankenlos wie in diesen Tagen, schien ihm, sei Frau Hedwig sonst doch nicht gewesen; solche Zumuthungen hatte sie noch nie gestellt. Und nun diese schlechte Hülfe!
Allein Gritli selber wollte zu dieser Stunde ein müdes Gefühl über die Augen schleichen Draußen lag die erste große Wärme über den Gassen und webte still und träumerisch herein.Die Fliegen summten schlaftrunken umher, setzten sich einem so schwer auf die Hände, aufs Gesicht.Dazu sang und schnurrte eintönig eine Kreissäge aus der Ferne, ab und zu holperte irgendwo schwerfällig ein Lastwagen vorüber, während drunten kaum ein Mensch ging und am Häuschen der Appenzellerin alle Läden zugestellt waren, sodaß selbst das vertraute Gegenüber mit geschlossenen Augen zu ruhen schien. Eine verherte Schläfrigkeit um und um.
Es brauchte Gritli's ganze Gewissenhaftigkeit,um nicht nachzugeben. „Wie,“ sagte es plötzlich,„du siehest den Splitter in deines Bruders Auge und gewahrst nicht den Balken in deinem eigenen?“ Gewaltsam rüttelte es sich empor, daß ihm die Scheere vom Schooß herabglitt und mit ihrem Rasseln die Schlafenden einen Augenblick aufschreckte. Aber erst der Duft des Vieruhrkaffees aus der Nachbarschaft vermochte die Faulenzerinnen munter zu machen. Und jetzt wußte Gritli mit Güte und bittendem Zuspruch von den Beiden für den Rest des Tages endlich ergiebigen Beistand zu erlangen und sie durch eine in der Verzweiflung ausgeheckte Wette auch zur Erledigung des Quantums zu verpflichten, das ihnen für die folgenden Tage noch zufiel.
Derweil im Steinbock so über Hals und Kopf gearbeitet wurde, saß Frau Gebnauer bei der
Freundin Ida vor einer wunderschönen, dreistöckigen Mandeltorte, sprach fleißig den in
Kirschwasser eingemachten Pfirsichen zu, und spann zwischen dem Löffeln und Beloben der
Bewirthung D für Gritli verhieß. Dem munter schmausenden Frauenwolke war die Idee
gekommen, zur Ein
Großer Jubel herrschte über diese herrliche Eingebung, und weil keine Zeit zu verlieren war,wenn das Einstudiren in der knappen Frist noch möglich werden sollte, so versprach die Dichterin,heute Nacht gleich die Sache zu Papier zu bringen und morgen auszuarbeiten, damit bis übermorgen Nachmittag die erste Leseprobe gehalten werden könne.
Frau Hedwig, entzückt, mit so viel Glanz ihr Häuschen zu beziehen, bot, damit nichts vorher unter die Leute komme, das Landgut ihrer Eltern zur Probe an, und es wurde festgesetzt, den Samstag Abend hindurch eifrig an der Sache zu bleiben. Dem Stadtschreiber jedoch, der sich von jeher nur mit Widerstreben zum Mitspielen in Hauskomödien herbeigelassen hatte, gedachte seine Frau
Siegfried, Gritli-Wohlthäter.
Lange nach der gewöhnlichen Feierabendstunde erst legte Gritli heute die Arbeit aus der Hand,und auf dem Heimwege zählte es aus dem Gedächtniß immerzu das beiseite Gebrachte wieder her und überschlug den Rest. Ein bischen mehr Zuversicht keimte nun doch wieder, daß die Aufgabe bis zum Wochenende zu bewältigen sei.Eine Hauptarbeit fiel noch auf morgen, aber immerhin!
Befriedigter als die vorigen Abende erstieg es seinen dritten Stock, wo am Ende eines langen,steinernen Ganges die drei letzten Thüren zu seinen Räumen führten.
„Guten Abend, Jungfer Gritli!“ wurde es angerufen, als es an der offenen Thüre der Plätterinnen vorüberhuschte. „Wie steht es denn bei Ihnen mit dem Sonntag? Noch immer nichts Gewisses?“
„Leider nicht!“ erwiderte es, „doch hoffe ich schon, es werde sich machen lassen.“
„Könnten wir nicht ein wenig den Tagesplan berathen, wenn Sie es nicht eilig haben?“ schlug die ältere Schwester Tulliker vor.
„Gleich lege ich ab!“ stimmte Gritli bei, „und komme dann mit Verlaub ein Augenblickchen herüber!“
Die Thüre zur Linken führte in seine geräumige Stube nach dem Hofe, gegenüber lag die winzige Küche und das Vorrathskämmerchen,beide mit dem Blick auf dunkle Nachbarsmauern.Hurtig sperrte es überall die Fenster auf, die Abendluft hereinzulassen, goß, solange die Dämmerhelle noch vorhielt, seine Blumen, und stellte sich dann bei den Schwestern ein.
Diese waren Gritli's einzige Wohnungsgenossinnen auf dem Gange, und da im ganzen Stockwerke keine Kinder wohnten, so viele deren sonst im Hause lebten, so herrschte in diesem Winkel des alten Baues eine fast klösterliche Stille, und die drei ledigen Nachbarinnen hausten da so ungestört wie in einem abgeschlossenen R grundverschiedenen Welten Wand an Wand! Bei Gritli warme Frömmigkeit und kindlicher Frohsinn innen und außen. Hier drüben harte, trockene Sektirerei, die
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Auch die schüchterne Nachbarin hatten sie in den ersten Jahren nach ihrer Erweckung zu
gewinnen versucht. Doch an Gritli's warm und friedlich in sich beruhender Religiosität war
nichts zu erschüttern, noch zu steigern gewesen. In seinem innig frommen und fröhlichen
Gemüth hatte es sich reich genug gefühlt, um ohne Anschluß an eine besonders strenge und
anspruchsvolle Genossenschaft jene Erhebung über den Staub
„Nun“? fraqgte Lydia, als sie alle drei mit Förmlichkeit um den Tisch herum saßen, „ich
denke also, wir machen heute den Plan zu unsrer Fahrt genau zurecht. Ich war am Morgen am
Bahnhofe und habe mir mit Hülfe des Stationsdieners aus den aufgeklebten, gelben
Allerwelts
Gritli erklärte sich mit allem einverstanden,was die Nachbarinnen anordneten, doch des
gemalten Rigi und Pilatus wegen begehre es nicht extra in Luzern zu bleiben. und das
Löwen
„Auch müssen wir sehr zeitig aufstehen!“ fuhr Jungfer Lydia, allmählich in Vergnügungseifer gerathend, fort. „Ich will bei den Allerersten vor dem Zuge bereitstehen; denn ich will an einen Fensterplatz und Hanna mir gegenüber haben.Anders thue ich es nicht. Mag dann geschehen,was Gott gefällt. Man liest genug davon, was mit dem Reisen für unverhoffte Unfälle und Verbrechen vorkommen. Sie aber, Jungfer Gritli,springen schnell an ein nächstes Fenster und setzen sich da auch gleich fest, ohne Komplimente! Auf der Eisenbahn muß Jeder nur für sich selber sorgen!“
„He,“ meinte Gritli, dem solch ein Rennen ums beste Theil ein ungewohnter Gedanke war,„sollte ich dann nicht auch noch gerade zu einem Fenster gelangen, so würden mich die andern Leute gewiß schon hie und da einmal hinausschauen lassen, wenn etwas besonders Schönes zu sehen wäre.“
„Das glaub' ich nicht,“ entgegnete Lydia hastig,als ob sie ihrerseits derartige Ansinnen
von vornherein ablehnen wollte. „Wie man es trifft, so
„Wird das recht kostspielig sein?“ fragte Gritli ängstlich. Doch als der dürre Reisemarschall, der sich danach schon erkundigt hatte, beruhigenden Aufschluß gab, gönnte es unverweilt seinen seligsten Vorstellungen freien Lauf, und seine Phantasie kam plötzlich wieder zu Kräften.
In einem Kahne sollte es fahren? In einem Kahn, wie die Urväter dort gethan, auf dem Urnersee! Wenn es nur diesen Namen nannte,durchzog ein Schauer des Geheiligten, Erhabenen sein Herz. Und dem Rütli zusteuern im Morgenwind, in der großen feierlichen Stille. durch eine hehre Welt voll Sonntagmorgenglanz, und an geweihter Stätte landen! Ein Bild ums andere breitete sich vor Gritli aus in unerhörter Herrlichkeit, bis es ganz verträumt dasaß, während die Tullikerinnen ganz nüchtern fortfuhren, an den materiellen Punkten ihres Vorhabens zu kleben.
Ihr ungeduldiges Fragen erst riß Gritli wieder
Gritli hätte gewünscht, daß dieses von ihm bisher noch nicht einmal bedachte leibliche Bedürfniß möglichst wenig Geld verschlänge. Für das Unentbehrliche mußte ja gesorgt werden, und an solch' einem Ausnahmstage war es auch, bei seiner gesunden Freude an allen guten Dingen dieser Welt, einverstanden, sich fröhlich etwas Besonderes zu qönnen. Aber das hätte es für seinen eigenen Bedarf am liebsten selber beschafft, mit aller Vorfreude daheim hergerichtet und dann in seinem Deckelkörbchen mitgeführt,in welchem es so oft in alter Zeit die Tageszehrung für Paul Degerfeld und sich auf ihre glücklichen Ausflüge mitgetragen hatte.
Es konnte sich nicht genug wundern, daß die
Schließlich machte es der Sache dadurch ein Ende, daß es mit feinem Errathen den wahren Wünschen der zwei Selbstsüchtlerinnen entgegenkam und sich erbot, denjenigen Proviant in seinem eigenen Körbchen mit unterzubringen, den die Tullikerinnen für ihren ersten Imbiß im Zuge für nöthig hielten, das Weitere aber unterwegs nach Belieben zu halten bat.
„Fast könnte man die reichen Leute beneiden,“fügte es hinzu, „die an alle solchen Sorgen gar nicht zu denken brauchen, wenn sie reisen wollen.Da heißt es einfach fortgefahren, dahin, dorthin,und ein Hotel ist dann überall vorhanden, wenn der Hunger kommt. Ach! und vielleicht gar jedes Jahr solch' eine Reise zu erleben!“
Doch Jungfer Hanna schüttelte mißbilligend den Kopf. „Dafür ist es den Reichen auch nur eitle Lust,“ bemerkte sie spitzig, „und so aufgefaßt,verfehlt die schönste Reise ihren Zweck.“
„Du nimmst es mir von den Lippen,“ unter
„Das schon, ich meine es gewiß auch nicht anders,“ beruhigte sie Gritli, von dem frommen Ueberfalle sich erholend.
Doch Jungfer Lydia war jetzt in ihr Element gerathen, und indem sie endlich aufhörte, mit ihren unbeschäftigten Fingern die gesteiften Fransen der Tischdecke zurecht zu strählen, hub sie im höheren Tone derer an, die gewohnt sind, zu Versammlungen zu reden. „Wenn schon im täglichen Leben und sichern, gewohnten Geleise von uns Menschen an den Tod und das Gericht gedacht werden soll, wie viel weniger möchte ich das einen Augenblick vergessen, wenn ich mich in Ungewohntes und Gefahr begebe! Der Eisenbahnzug kann verunglücken, noch ehe wir nur
Luzern erreichen. So ein Dampfschiff ist schon untergegangen oder in die Luft geflogen am helllichten Tage. Wie! wenn ich dabei nun mitten aus eitlem Sinnen an irdische Lustbarkeit weggerissen würde? Nein, nein, das sei ferne, Jungfer Gritli! Da gestalte ich in meinen Gedanken unsere Reise so, daß, sollte uns etwas zustoßen,ich nur abberufen werden kann aus einer Veranstaltung, die ich zu meines inneren Menschen Förderung unternommen habe.“
Gritli verschluckte, was es dachte. Allerdings,das war nicht zu leugnen, spürte es in
seinem Innern auch ein Theilchen rein weltlicher Vorfreude; doch die hielt es frohgemuth
für berechtigt:so ein klein bischen Neugier auf allerlei unbestimmte Ueberraschungen,
lustige Zufälle, freundliche Menschen, und was alles es sich nun einmal als erlaubte
Bestandtheile des Reiseglückes vorstellte.Im Ganzen aber mußte seine Auffassung gewiß
ziemlich nach Gottes Absichten sein, und was die Erbauung der Seele durch die Herrlichkeit
der Schöpfung betraf, so war es sicher, neben den Nachbarinnen kecklich zu bestehen. Es
hatte am letzten Sonntag genug staunen müssen, ja, sich zuletzt ganz erkältet gefühlt
durch die Wahrnehmung,
Wie trocken und vorschriftsmäßig hatten sie einen Augenblick des Allmächtigen Werk gelobt,dann alsbald die Farben zu zählen begonnen, die sie zu unterscheiden vermochten, und sich schließlich rechthaberisch über die Ähnlichkeit einzelner Wolken mit bekannten Menschengesichtern gestritten. Und was für Antworten gaben sie, als Gritli am Nachmittag ein paar Mal seltene Kräuter und Moose gepflückt und ihnen vorgewiesen hatte! Nein, nein!Die besaßen gar kein Herz für die Natur! Gritli mochte lieber nicht länger Vorschriften über Dinge anhören, die doch des Einzelnen Herzenssache blieben. Drum suchte es jetzt mit Anstand die Berathung zu schließen, versprach, wenn Alles sich bei ihm ordne, wie es hoffe. am Sonntag so früh gerüstet dazustehen, als die Nachbarinnen nur irgend verlangten, und wünschte gute Nacht.
Aber seine Gedanken waren viel zu angeregt,als daß es sich gleich zur Ruhe begeben
konnte.Auch tönte, als es in sein Zimmer trat, noch so viel munteres Geräusch herauf aus
den vielen
Sinnend schritt es durch die Stube, schaute eine Weile nach dem Stückchen Nachthimmel,
das sternfunkelnd über den Dächern und Schloten sichtbar war, und dann eine Weile hinab in
die verschiedenen erleuchteten Stuben der tieferen Stockwerke, wo Mütter am Flickzeug
saßen, Männer ein Zeitungsblättchen lasen, und beim Buchbinder zu ebener Erde noch eifrig
gearbeitet wurde. Der war immer im ganzen Hofe der Letzte, weil er so viel eilige
Bestellungen bekam. Dazu sangen die Gesellen oft bis in die tiefe Nacht, und auch jetzt
ertönten ihre Lieder.Da ließ Gritli das Fenster offen stehen, ging an sein Bücherbrett und
holte die Schweizergeschichte herunter, seine liebe Schweizergeschichte, die ihm Paul
Degerfeld mitsammt seinem zerlesenen alten Wilhelm Tell zum Andenken vermacht hatte, als
er von Altachen abzog. Aus beiden Büchern
Es suchte herum in den mürben Blättern mit dem großen Drucke, der ihm so erwünscht war,und begann dort zu lesen, wo die Erzählung der Zustände anhob, die das Zusammentreten der ersten Eidgenossen herbeigeführt haben: die fürstlichen Frevel an der uralten Freiheit des Landes,die Gewaltthaten der Vögte, das verhöhnte Manneswort der Vorväter. Es las, wie der Landvogt über Unterwalden, Beringer von Landenberg, dem greisen Landmann Heinrich an der Halden, weil er dessen Sohn nicht zu fassen bekam, die Augen ausstechen ließ; wie dem edeln Werner Stauffacher, als er vor seinem schönen Hause nahe bei Schwyz stand, der tyrannische Geßler frech zu sagen wagte: er wolle als Landvogt nicht, daß die Bauern ferner Häuser bauten ohne seinen Willen, und lebten, als wären sie noch die Herren im Lande.
Schmerzlicher, je weiter es kam, emvörte sich Gritliss rechtliches Herz, und kaum mochte es erwarten, bis, Seite um Seite, diese schändlichen Gewaltthaten endlich zum Rütlibunde führten.Als es so weit gekommen war und auch dies beschrieben gefunden hatte, stand es auf und holte sich vom Bücherbrette noch den Tell. Daraus wollte es vollends vernehmen, wie Alles geschah.Es hörte jetzt nichts, sah nichts mehr von allem Wirklichen umher, wurde nicht gewahr, daß die Gesellen längst zu singen aufgehört hatten, daß sich zuweilen draußen ein Fenster schloß, ein Laden knarrte, es beachtete nicht, wie der späte Mond hereinzuleuchten begann. Es hatte sein heiliges Büchlein aufgeschlagen und schauerte, Alles miterlebend, und Thränen wollten ihm kommen, als Walther Fürst aus Uri klagt, wie man im eigenen Lande nur noch in verstohlener Nacht zusammenschleichen könne, Rath zu pflegen. Dann sprach es laut vor sich hinaus, damit es ihm recht eindrücklich werde, was Stauffacher redet, und legte voll inbrünstigen Eifers Nachdruck auf beinahe jedes Wort:
Unser ist durch tausendjährigen Besitz Der Boden und der fremde Herrenknecht Siegfried, Gritli-Wohlthäter.
Soll kommen dürfen und uns Ketten schmieden;Uns Schmach anthun auf unsrer eignen Erde?Ist keine Hülfe gegen solchen Drang?
Nein! eine Grenze hat Tyrannenmacht.
Wenn der Gedrückte nirgends Recht kann finden,Wenn unerträglich wird die Last greift er Hinauf getrosten Muthes in den Himmel
Und holt herunter seine ew'gen Rechte,
Die droben hangen umveräußerlich
Und unzerbrechlich wie die Sterne selbst.„Jal ja!“ schrie es in Gritli's Herzen. Und erhoben, feierlich, als schwöre es mit, sprach es zuletzt die Worte beim Sonnenaufgang:Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern,
In keiner Noth uns trennen und Gesahr.
Wir wollen frei sein, wie die Väter waren,
Eher den Tod, als in der Knechtschaft leben.
Wir wollen trauen auf den höchsten Gott
Und uns nicht fürchten vor der Macht der Menschen!Gritli war so heilig ernst zu Muth, wie
in einer Kirche, und als es nach langem, stummem Verweilen in dieser Sammlung die
stützende Hand von der Stirne nahm, konnte es sich zuerst kaum erinnern, wo es war. Uhren
schlugen irgend
Im Steinbock war am andern Tage gewitterhafte Stimmung. Als der Herr früh aus dem Hause ging, bekundete das Zuschlagen der Hausthüre, daß er im Zorne schied. Die verweinten Augen der jungen Frau aber und ihr gekränkter,eigensinniger Ausdruck verriethen auch ohne das Getuschel der Mägde, daß sie wieder die Ursache gewesen war. Besuch von auswärts, den es mit besonderem Aufwande zu bewirthen galt, wurde zu Mittag erwartet, und über der Vergeßlichkeit der Frau, die ihres Mannes Aufträge oft genug auszuführen versäumte, war wieder Aerger und Zank entstanden.
Wenn Gritli sich auch kein Urtheil über die Verhältnisse der Nebenmenschen erlaubte, so sah es doch in diesem Hauswesen deutlich: wie materieller Wohlstand allein nicht vermag, Behagen zu schaffen. Hier war nun alles vorhanden, was
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Heute konnte das Treiben der Andern seinem Herzen vollends nichts anhaben. In ihm lebte
seit dem gestrigen Abend ein neuer, froher Geist, und selbst der natürliche Rückschlag,
den der nüchterne Tag auf nächtliche hohe Spannung bringt, vermochte nicht, seine Seele
mit der dunkeln, entscheidenden Frage des Lohnempfanges aufs Neue zu martern. Es war ein
Schwung in seine Stimmung gekommen, seine Phantasie war entzündet und hatte an diesem
Morgen einen wahren Thatendrang in ihm entfacht. Verwunderlich! Gritli traute sich heute
dreist etwas zu, es hatte Lust und spürte Kräfte, sich zu rühren. Und in seiner sinnenden
Seele formte sich, während es sein Tagewerk bereitlegte, plötzzlich ein Gedanke: halb
mystisch abergläubisch, halb schon des Erfolges gewiß. Wiel wenn es versuchte, den
unbekannten Lenker der kleinen Glückszufälle und Mißgeschicke den sein frommes Gemüth sich
scheute, für diesen Fall als Gott selber anzunehmen ein wenig zu beeinflussen?Wenn es sich
heute heimlich eine unerhörte
Vor ihm lagen die sämmtlichen fertig genähten Bett- und Kissenbezüge, je zum Dutzend zusammengelegt, und harrten noch, mit Knöpfen besetzt zu werden. An manche gehörten deren nur vier Stück, an viele sechs und acht. Da regte sich in Gritli der gottversucherische Vorsatz: diese bis zum Schlage der Feierabendstunde sammt und sonders angenäht zu haben. Es war zwar eine Tollheit! In jedem andern Falle würde es, und würde die fleißigste Rivalin zwei Tage daran gesessen haben.
Gritli schielte nach dem Tisch hinüber, wo die schönen Perlmutterknöpfe, auf großen Bogen funkelnden Silberkartons festgeheftet, bereit lagen und in der freundlichen Morgenhelle ihre zarten Regenbogenfarben ausspielten. Es schaute sie an wie ein Feldherr am Morgen vor der Schlacht seine Soldaten, und sein Blick schien zu fragen: wagen wir's miteinander? Eine fast frevelhafte Kühnheit zuckte durch sein Herz. Die That war beschlossen.
Rasch rückte Gritli die sämmtlichen Bogen nahe zur Hand, dann deckte es einen Leinwandabschnitt darüber. Es wollte, ohne je über Tag zu zählen, wie weit es vorrücke, nur immer Bezug um Bezug besetzen, die einzelnen Knöpfe blindlings unter der Hülle herausgreifend. So würde es jedes Schwankens zwischen Furcht und Hoffen enthoben, unbeirrt seine ganze Aufmerksamkeit nur dem höchsten Fleiße zuwenden. Wurde so das Unglaubliche wirklich vollbracht, dann war seine Sache gewonnen und der Lohn morgen Abend in seiner Hand. Es war dessen jetzt ganz gewiß.
All' die süßen Düfte von dem, was den langen Morgen hindurch in der Küche des Steinbocks
gebraten und gebacken wurde, zogen unbeachtet an Gritli vorüber; den Trubel des Besuches
über die Mittagszeit bemerkte es kaum, es nähte.Das zusammengescharrte, halbkalte Essen,
das ihm heute verspätet ins Nähzimmer gestellt worden war,hatte es hastig verzehrt, und
als ihm am späteren Nachmittage, nachdem es im Hause wieder ruhig geworden, die Köchin ein
Stück herrlicher Torte herübertrug und ein Glas Wein, hatte Gritli selbst diese guten
Dinge nur wie im Halbtraume
Es war fünf Uhr geworden. Noch lag da ein Dutzend Bezüge, und dort eines.
Es ging auf sechs Uhr; noch immer blieb viel übrig. Halb sieben! es fehlte noch erklecklich.Wie Gritli's Nadel flog, war hexenhaft. Seine Finger hatten eine Sicherheit erlangt, mit jedem Stich ins Loch des Knopfes zu treffen, ohne langes Suchen, eine Geschicklichkeit, die Fäden unten sausend umzuwickeln, die Enden zu vernähen, seine Scheere flog in die Hand, flog wieder weg, so drauf und drauf, daß es manchmal selber lächeln mußte. „Der Mensch kann doch viel, wenn es gilt!“
Jetzt konnten nicht mehr viele Knöpfe da sein; Gritli war es schon vorhin gewesen, als rühre es an den letzten schweren Kartonbogen, und als seien die andern alle schon leer. Mit den Augen getraute es sich längst nicht mehr hinüberzuschweifen, es griff nur immer Stück um Stück heraus. Ganz dem Schicksal hingegeben. wollte es harren, wie es beim Schlage Sieben bestünde.
Nun rann die letzte Stunde dahin. Schon kam der Schatten des hohen Schlotes von drüben
Da wagt es die Leinwand zu lüften und hinzublicken. In der That, es ist fertig! Mit aufgeregten Händen zählt es seine Kissenbezüge,Deckbetthüllen, betastet abermals sämmtliche Bogen, ob sie auch wirklich geleert sind? Alles stimmt. Es hatte das Unglaubliche vollbracht.
Was für morgen an Arbeit übrig blieb, war nicht der Rede werth.
Mit einem tiefen Athemzuge lehnte es sich in den Stuhl zurück; die Hände glitten in seinen Schoß, lind strich die Abendluft herein und kühlte ihm die Stirne. Da schloß es die Augen. So unbeschreiblich wohl ward ihm zu Muth, nur fühlte es sich ein wenig wirbelig im Kopfe. Es mochte gar nichts denken, gar nichts sehen, nur so dasitzen, seinen himmlischen Jubel im Herzen,und wiederum überwallende Dankgefühle. Ja,hätte dieses gelungene Tagewerk nicht insgeheim einen schlauen Druck auf die Entscheidungen des Himmels dargestellt, so hätte Gritli am liebsten ein Dankgebetlein von den Lippen fließen lassen.
Wie leichten Schrittes es heute um die Stadt nach Hause ging! Wie frei und muthig es sich in dem prangenden Abend fühlte! Alle Müdigkeit verflog. Ueber ihm breitete sich der reinste Himmel, nur am fernen Horizonte schwebten ein paar Schönwetterwölklein. Die Schwalben, nach denen Gritli spähte, flogen unermeßlich hoch, und die Berge erschienen dem Auge fern; so stimmten zu seiner Wonne die Witterungszeichen aller
Enden gleich verheißungsvoll überein. Schon schienen auch die andern Menschen sich am Vorgefühle des nahenden Sonntags zu erfreuen;denn im Vorübergehen hörte es da und dort auf den dichtbesetzten Bänken der Promenade Pläne machen und vom sicheren Wetter reden.
„Ach wäre es morgen um diese Zeit und Alles gewiß!“ wünschte Gritli im Stillen. Was konnte es nur thun, den Abend zu verkürzen? Gab es nichts, die guten Geister noch stärker zu beschwören?Es hätte Kraft in sich gespürt, sogleich ein Weiteres zu unternehmen, wenn ihm nur etwas ordentlich Kühnes eingefallen wäre.
Grübelnd schritt es heimwärts.
Da, als es die hallende Steintreppe des Junkernstiftes hinanstieg, stand die Gelegenheit
zu einer neuen That plötzlich vor seinen Augen. Überm Gang da vorn, jener kleine Raum,
sein Kämmerchen oder Kellerchen! Das war bis unter die Decke angefüllt mit so viel
fabulösen Dingen, daß Gritli sich seit langer Zeit kaum mehr darin zu helfen wußte. Denn
mit den Jahren hatte sich ein wahres Lager angesammelt von all' jenem hundertfältigen
Krimskrams, von dem sich alte Mädchen niemals trennen
Und diesen unübersehbaren Wust hatte es geduldig jedes Jahr zweimal hervorgezogen, aus
Wie! wenn es dies nie übers Herz Gebrachte heute unternähme? Solch eine blanke Säuberung mußte gleichsam die letzte staubige Werktäglichkeit aus seiner Existenz schaffen, und auf morgen einen solchen Inbegriff samstäglicher Ordnung ergeben,daß Gritli in seinen irdischen Räumen wie in seinem Herzen gleich würdig vorbereitet wäre, das Glück zu empfangen.
Also hub auf dem stillen Gange zu der ungewohnten Stunde ein geheimnißvolles Rumoren an. Körbe voll unbeschreiblichen Durcheinanders wurden lautlos die Treppen hinabgetragen und auf dem großen Abfallhaufen im Hofwinkel geopfert.
Darauf begann ein Fegen und Waschen bis in alle Nacht hinein, daß trotz der rücksichtsvollen
Geräuschlosigkeit, deren das gute Wesen sich befleißigte, wenigstens der feuchte Geruch zum Verräther ward, und die Jungfrauen Tulliker von der nächtlichen Anwandlung ihrer Nachbarin in Kenntniß setzte.
Um Mitternacht schaute Gritli nach vollbrachter That noch einmal nach dem Wetter, überzeugt,daß:Was der Sonntag gern will han,Zeigt der Freitag Abend an.
Wieder fand es Alles aufs Beste stehend und die Sterne treulich funkelnd im klarsten Nachthimmel. Nun konnte Alles gelingen! Die Reihe war jetzt am Schicksal! Denn das Seinige fühlte Gritli gethan.
Der letzte Tag brach an, und auch der neigte sich zum Abend, weil alle irdische Zeit ihr Ende erreicht. Frau Gebnauer war bald nach Tisch ausgegangen, ohne etwas für Gritli zu hinterlassen. Darum war es getrost; sie mußte demnach zeitig heimkehren.
Vor vier Uhr that es seinen letzten Stich.Dann begann es auf dem großen Zuschneidetische
„Ein Dutzend große, ein Dutzend mittlere,zweimal sechs von den kleinen, alle mit rothen
Bändchen!“ zählte Gritli, und legte Bündel neben Bündel. Die Deckbettbezüge bekamen
blaue.„Zwei, vier, sechs gröbere; zwei, vier, sechs feinere Unterleintücher!“ es suchte
wieder entsprechenden Bänderschmuck. Das schimmerte und prangte auf dem Tische, als würde
eine Braut im Hause ausstaffirt. Gritli war so frohbewegt, so siegesgewiß. Was brauchte es
noch zu zweifeln, bei dieser Samstäglichkeit ringsum, in der jeder Mensch,wohin es sah und
hörte, mit der alten Woche Abrechnung hielt, um für den Sonntag und eine neue freie Bahn
zu machen? Und wenn auch an jedem andern Samstage die Frau Stadtschreiberin hätte
vergessen können, ein Gleiches zu thun, so
Munter wickelte Gritli jetzt Bänderreste, Litzen und Faden auf, steckte die Leinwandschnitzel zu Bündelchen zusammen und schaute dazwischen wieder ein wenig hinaus.
Vor dem Hause der Appenzellerin lag die Gasse bereits so rein gekehrt wie ein Stubenboden, und an den Pfosten der Hausthüre gelehnt, stand nach der uralten Appenzeller Sitte, welche die Nachbarin auch in Altachen beibehalten hatte, der schöne Staatsbesen. Der mußte nach beendeter Samstagsreinigung bis zum Sonntag Abend da stehen als ein Symbol, daß zu dieser Stunde der Staub des Werktags ausgekehrt sei, und der Wanderer, ehe er über die Schwelle trete, ihn gleichfalls abstreifen möge, um würdig an den festtäglichen Herd zu treten.
Als Alles fertig lag, ergötzte sich Gritli von seinem Fensterplatz aus, dem bläulichen
Rauch zuzusehen, der, von keinem Windhauche bewegt,still dem Kamin drüben entstieg und im
abendlichen Sonnenglanz der Höhe zerging, dann den Schwalbenschaaren, wie sie mit ihrem
muntern
Ein heftiger Ruck an der Hausglocke schreckte es auf, und eine Stimme war zu hören, die von Frau Gebnauer einen Auftrag bestellte. Sie lasse wissen, daß sie bei dem schönen Wetter gleich draußen bei ihren Eltern bleibe, dem Herrn Stadtschreiber aber, wenn er heimkomme, sei zu sagen,daß man ihn ebenfalls dort zum Nachtessen erwarte.
„Werd's bestellen!“ antwortete die Magd und wünschte gute Nacht. Die Hausthüre fiel ins Schloß. Am Nähtisch droben aber sank ein Kopf tief auf die Brust, und bittere Thränen rannen unaufhaltsam nieder.
Siegfried, Gritli-Wohlthäter.
Als die Sonntagsglocken Gritli weckten, waren die Nachbarinnen längst in aller Stille davongegangen. Es hatte sich vorgenommen, aufzustehen und ihnen bei der Abreise behülflich zu sein, aber der Schlaf war barmherziger mit ihm gewesen als die Menschen, in deren Hand die Macht über sein Geschick gelegen, und hatte es die schmerzliche frühe Stunde verschlafen lassen.
Der gestern gemeldete Verzicht, dem Gritli nicht viel Erklärendes beigefügt, war von den
Tullikerinnen mit merkwürdiger Gelassenheit aufgenommen worden, sodaß es sich theils
wundern mußte,theils froh darüber war, und mit absichtlicher Eile nur gleich wieder das
Haus verlassen hatte.Den Gang nach dem Grobe seiner Schwester,wohin es in der guten
Jahreszeit jeden Samstag Abend frische Blumen trug, benützte es dazu,sich mit dem
gefallenen Loose nach Kräften abzufinden, und soweit wenigstens war das gelungen, daß es
heute beim Erwachen einen leidlichen Frieden in seiner Seele fand. Es drehte sich noch ein
paarmal in den Kissen um, die Wohlthat auszukosten, daß heute doch keine Stunde drängte,
und als es bald darauf in seiner winzigen Küche das Frühstück verzehrte, hell an
War denn an ihm auch gar nichts gelegen?Durfte jeder, dem es das Seine redlich leistete,ihm gegenüber die Gegenleistung nach Belieben vergessen? Der Bissen blieb ihm im Munde stecken, und durch zwei dicke Thränen starrte es hinaus in das strahlende Blau.
Warum fuhr es jetzt nicht auch gleich den Anderen ins weite, prangende Land? War es vergessen von Gottes Liebe, es allein, hier in seinem alten Gemäuer, weil es allzulange schon sich demüthig in alles schickte, was durch kalte Herzen an ihm gesündigt wurde, weil es still blieb, wo Andere murrten?
Leise zitternd zeichnete es mit dem nassen Löffel eine Linie vor sich hin auf die Tischplatte,und immer wieder die gleiche. Es empfand eine große Herzensnoth. Ein Rechnen und Rechten,das ihm sonst fremd gewesen, hatte angehoben in dem traurig gewordenen Gemüthe und versuchte die alte, heitere Ergebung zu tödten. Draußen girrten die Tauben, kreisten trillernd die
Vögel, und schwärmte und summte es von Bienen um das Blumenbrett.
Da erhob sich Gritli plötzlich und schob mit entschlossenem Ruck seinen Stuhl hinter sich.Fernher war das Glockengeläute des Frühgottesdienstes an sein Ohr gedrungen, wie Mahnung und Verheißung. Und ein Gefühl, als sei es auf einem großen Unrecht betreten worden, hatte Gritli's Herz erfaßt. Verwirrt und beschämt räumte es das Geschirr beiseite und machte sich daran, vor der eigenen Kirchgangszeit Küche und Stube in Ordnung zu bringen. Nach einer Weile tönte durch die stille Wohnung ein andächtiges Singen, merkwürdig fest und hell von Gritli's sonst so dünner Stimme. Es waren Verse aus dem Lied: „Befiehl Du Deine Wege,“durch das seine Seele schon aus mancher Betrübniß gehoben worden war. Dazu gingen Gritliss sanfte Schritte hin und her, Staubsäulchen quirlten am sonnigen Fenster, bald breitete sich eine frisch gewaschene Decke über das wohl geschüttelte Bett, und jedes Ding lag an seinem Platze. Vor neun Uhr, als das zweite Glockenzeichen herüberklang, verließ Gritli, mit seinem Besten angethan, das Junkernstift.
Es wurde ein heißer Tag, und bis es gegen Mittag nach Hause zurückkehrte, lag so drückende Schwüle über den Gassen, daß es sich entschloß,den Nachmittag im kühlen Hause zu verbringen und die große Stille auf seinem Stockwerke beschaulich zu genießen. Gritli war jetzt guter Dinge. Zu Tisch legte es sich sogar auf sein Gemüse die besten Bratwürstchen, die in Altachen gemacht wurden, und deren es auf dem Heimwege vier Stück bei dem berühmten alten Metzger in der Rathhausgasse geholt hatte, zwei für Mittag und zwei zum Abend.
Zwar hätte es sich eigentlich heute nicht selber zu verköstigen gehabt. Denn es bestand
in Altachen ein Brauch, wonach die Hausnähterinnen, wenn sie in einer Woche mehr als die
Hälfte der Arbeitstage im gleichen Hause beschäftigt gewesen waren, am darauffolgenden
Sonntag auch da zum Mittagstische geladen wurden, und Gritli genoß diese Freundlichkeit,
wenn die Bedingungen je zutrafen, überall mit dankbarer Vergnüglichkeit.Aber von solchen
altväterischen Verwöhnungen wußte die junge Frau Gebnauer natürlich nichts,und ihre Mägde,
die darüber froh waren, hüteten sich wohl, durch Mahnen ihre Sonntagsarbeit
Früh am Nachmittage zog es sich, einen rosigen Schimmer der Sättigung auf den schmalen Wangen und aufgelegt zu allem Guten, in seine trauliche Stube zurück.
Als seine Schwester ehemals in diesem Raume krank lag, beschloß Gritli, ihn auf eigene
Kosten tapezieren zu lassen, mit einem hellen,blumigen Papier. Nun herrschte warmes
Behagen darin, und wie bei den Nachbarinnen Alles unpersönlich war, freudlos, und ohne
Anklang ans warme Leben, so verkündete hier jede Wand den anmuthigen Sinn eines guten
Menschenkindes. Ueberall Beziehungen zu geliebten und verehrten Menschen, sorglich
bewahrte Geschenke aller Art, jedes ein Dokument der Schätzung und Zuneigung, die Gritli
schon genossen. Von den Bildnissen seiner paar theuren Verstorbenen auf der Kommode,
einigen ererbten alten Schweizerlandschaften in farbigem Druck an den Wänden,und den
getrockneten Sträußchen in den kleinen Vasen, welche von glücklichen Tagen draußen in Feld
und Wald erzählten, war alles gleich liebe
Mit den glänzend gebohnten Möbeln und der Reihe gut gepflegter Blumenstöcke war diese
Hofstube in ihrer reinlichen Helle und bescheidenen Fülle für Gritli der Inbegriff des
Besten, was es sich als irdische Wohnstätte für seine Person zu wünschen traute. Hier
baute es sich in Stunden sonntäglicher Sammlung singend, betend, oder vor sich
hinträumend, ein Reich auf, das nicht von dieser Welt war. In dieser trauten Enge genoß es
eine beschauliche Poesie, um die es die Anspruchsvollsten hätten beneiden können. Denn da
hatte es seine Bücher und unterhielt, seitdem es
3 ihren Inhalt genügend kannte, mit denen, die sie geschrieben, wie mit lebendigen
Vertrauten,stillbeglückt eine intime Bekanntschaft und Freundschaft, mochten sie in
Wirklichkeit vielleicht längst gestorben sein. Es glaubte jedes Einzelnen Herz,sein Denken
und Fühlen ganz und gar zu kennen.Was mußte der geschaut, jener erlebt und gedacht, mit
der Menschheit in Freud' und Leid empfunden haben, daß er das schreiben konnte,was Gritli
da so wohl that, innig an sein Herz rührte, oder ihm wenigstens anmuthig die Zeit
vertrieb!Hier auch ergötzte es sich an dem bescheidenen illustrirten Wochenblättchen, das
es sich hielt, und brachte es mit seiner gläubigen Ehrerbietung fertig,sich selbst aus der
unglaublichen Oede und seichten Nichtsnutzigkeit der gebotenen illustratorischen
Bettelkost fürs Volk etwas zu holen, ja, in den dummen Bildern, die so verheißende Titel
trugen,wie: „Ueberwunden“, „Geheimniß“, „Bettlerstolz“,„Glück und Glas, wie bald bricht
das“, „Des Künstlers Traum“, „Der Mutter Lied“, „Heute roth, morgen todt“ und dergleichen
mehr, wirklich ungefähr zu sehen, was sie darzustellen beanspruchten. Aus den
Künstlernamen aber, die
So hatte Gritli auch heute zuerst ein Weilchen in seinem „Hausfreund für die Feierstunden“gelesen, und nun eine alte Holzkassette herabgeholt, deren Inhalt wieder einmal auszuräumen.Das kunstreich eingelegte Köfferchen war Gritli als Erbstück von Fräulein Charlotte Rych zugefallen, und auf dem Grunde lag noch wohl verwahrt der Zettel, auf dem von ihrer Hand verzeichnet stand, was nach ihrem Tode der treuen Nähterin zu gehören habe. Das Papier mit den lieben Schriftzügen vor Augen, saß Gritli in Gedanken versunken.
Wie anspruchslos hatte Fräulein Charlotte gelebt, nur still und unermüdlich für Andere
„Doch!“ stieg ihm plötzlich auf, „war das nicht auch dem Aermeren möglich, wenn er sich ein bischen was erübrigt und keine Angehörigen zu versorgen hatte? Stand es ihm dann nicht offen, im Kleinen ähnlich Gutes zu stiften?“ Ein warmer Strahl durchzuckte Gritli's Herz. Sein
Geldchen bei Herrn Rych wie lag das plötzlich in einem neuen, wundersamen Lichte da! Wenn Gritli nicht krank, unfähig zum Verdienen, in seinen alten Tagen dies Ersparte selbst aufzehren mußte, dann konnte es ja ein Gleiches thun! Es mußte es thun, so sagte es sich, da Gott ihm diese unverhoffte Einsicht sandte. Es wurde ihm ganz sonderbar zu Muthe, demüthig vor dem jäh entdeckten Reichthum.
Wie es ihn wohl vertheilen würde? Dem da dieses. Jenem jenes. Es griff nach einem Stift und zog ein Endchen Papier hervor. Erst phantasirend, dann mit ernstlich erwogenen Zahlen begann es zu kritzeln, seine Habseligkeiten im Zimmer zu zählen, zu notiren, und schließlich entwarf es mit Feder und Tinte wirklich eine Art von Testament.Es überlas mit einer Empfindung, als thäte es Alles im Traume, das was es geschrieben, begann von Neuem zu rechnen, änderte, stellte nochmals um, und fuhr so fort, immer ernstlicher, bis ihm nach wohl zwei Stunden schien, so wäre es gut.Und nun war Gritli auch fest entschlossen, das Entworfene gültig zu machen.
Tief athmete es auf und faltete nachdenklich den Bogen zusammen. Die Augen thaäten ihm
Es faltete die Hände im Schooß und schloß die Augen. Draußen schlug es fünf Uhr.
Da nickte es ein.
Und ihm war im leise anhebenden Traum,als sähe es von ferne Fräulein Charlotte Rych,die
ihm winkte. Ueberrascht und zaghaft versuchte es sich ihr zu nähern. Aber sie war erhöht,
wie dem ebenen Boden entrückt, und harrte mild lächelnd seiner. Sie sprach keine Worte.
Dennoch vernahm Gritli jetzt ein beglückendes Zustimmen zu seiner eben entworfenen That,
und als sei auch es nun gestorben, ihren Willkommgruß an seligem Ort. Andächtig wagte es
ihr näher zu treten auf der ansteigenden Bahn. und bald wurde ihm erkennbar, daß es zum
Rand einer Wiese gelangte.Die war übersät mit tausend Blumen. Berge voll ewigen Schnees
ragten auf hinter dem pran
Da wollte Gritli den Athem anhalten, dem Heiligen zu lauschen.
Aber ein Schreck durchschütterte seinen Leib.Es war aufgefahren in seinem Stuhle und hatte die Augen geöffnet. Schmerzhaft mußte es sie erst wieder einen Augenblick schließen; denn die rothe Abendsonne schien ihm gerade ins Gesicht.
Was aber war der furchtbare Schlag gewesen oder der Sturz, der es geweckt? Und dann der
Mit bebenden Händen stieß es die Thüre auf:
Gott sei's gedankt! noch krampften sich dort die Arme ums Holz. „Halte fest!“ schrie
Gritli wieder, „ich bin da!“ Jetzt stand es beim Fenster und bog sich hinaus. Hoffnung,
Angst, Hülfeflehen zu Gott jagten durch seine Seele. Besaß es die Kräfte, diesen schon
schweren, jungen Körper
Wie das Schreckliche hatte geschehen können,war von Gusti bald gestanden. Vom gemeinsamen
Spaziergange heimkehrend, grade vorhin erst, war die Mutter nochmals aus dem Hause
gegangen, über der Gasse etwas zu holen. Inzwischen hatte der Knabe sich ans Fenster
gesetzt.Da war ein prächtiger Trauermantel herangeflattert und ließ sich auf einem der
Geraniumstöcke draußen nieder. Gusti hatte sein Gärnchen herbei geholt, das er kaum eben
in die Ecke gestellt,und war auf den Stuhl gestiegen. Doch der Trauermantel flog auf. Er
gaukelte wieder ein Weilchen um die Blumen und schwebte dann
Gritli rüttelte ihn auf: „Gusti!“ stieß es hervor, „das müssen wir deiner Mutter ersparen!“Der Knabe schaute erwartungsvoll auf. „Du sagst ihr, daß du wegen des Schmetterlings auf das Brett kamst, und daß es deshalb hinab fiel, aber das Andere nicht, hörst du? Danke Gott, daß er dich gerettet hat und bewahre es als Geheimniß, als unser Geheimniß! Versprich!“Der Junge nickte, und alsbald eilte Gritli von dannen, aus dem Bereiche zu kommen, ehe die Nachbarin erschien.
Hochaufathmend lief es die öden Gänge zurück,durch die es vor wenigen Minuten hergerannt war,des Entsetzlichsten gewärtig; mit zitternden Füßen glitt es treppab, ungesehen, und stieg wieder trepp
Siegfried, GritliWohlthäter.
Welch eine Gnade hatte ihm sein Gott beschieden! Ein Leben zu retten war ihm bestimmt gewesen! Als welche beabsichtigte Fügung offenbarte sich da plötzlich Gritli's frommem Sinne die Verhinderung, seinem Vergnügen nachzureisen,die es in seiner menschlichen Kurzsichtigkeit vorschnell mit eiteln Thränen beweint hatte. Das Gesicht in die Hände vergraben, blieb es lange so zusammengesunken. Und langsam fühlte es Seele und Körper in dieser inbrünstigen Sammlung sich erholen.
Fröhliches Schwatzen und Lachen heimkehrender Nachbarn aus den offenen Fenstern drüben machte der Stille ein Ende. Da erhob sich die Knieende, erquickt und verklärt.
Auf dem Tische lagen noch die Papiere herum und stand die offene Kassette. Mit freudigem
Blicke griff Gritli nach dem aufgesetzten Testament und barg es in die Tasche seines
Werktagkleides.Der Notar mußte es morgen gültig machen. Das eben Erlebte bedeutete Gritli
auch hiefür einen Fingerzeig von oben. Dann räumte es die übrigen Sachen zusammen, während
das letzte Zwielicht
Ohne hinab zu sehen, holte Gritli sein Lämpchen herbei, heiter entschlossen, nach dem
Abendbrot noch wach zu bleiben, bis die Tullikerinnen heimkehrten. Es fürchtete jetzt ihre
glücklichen Erzählungen nicht mehr. Was Trägheit des Herzens ihm zugefügt hatte, war in
dieser Abendstunde in lauter Gutthat verwandelt, und die lieblose Kälte der Welt
entkräftet an dem Alles überwindenden Sonnenstrahl eines warmen Gemüths.
Sobald jedoch die Finkengrundbauern eine Viertelstunde bergan steigen, erschauen sie weithin Seen mit fruchtbaren Ufern und schöne Flußläufe mit ihrem bewegten Leben: hier eine rauchende Stadt, dort ins Grün gestreute Dörfer ohne Zahl,überall Zusammenhang und Wechselwirkung.Und dieser Mannigfaltigkeit so nahe, stecken sie selber lebenslang dadrunten in der Abgeschiedenheit ihrer grünen Mulde, darauf beschränkt, Tag für Tag an die paar immergleichen, schnell überzählbaren, längst in- und auswendig bekannten Dinge hinzustarren.
Auf diesen engumschlossenen Charakter ihrer Heimath mag es wohl zurückzuführen sein, daß
an den Menschen dieses Thales ein Trieb auffällt,zu erweitern, zu bereichern, zu ergänzen,
ja, daß von Alters her unter ihnen ein Zug verbreitet ist, der sie von dem urnüchternen
Volke des übrigen Kantons unterscheidet, sozusagen ein Sonntagszug. Es wandelt nämlich
zuweilen plötzlich einen von ihnen das phantastische Bedürfniß an, irgend etwas gänzlich
Außerordentliches zu ersinnen und
Schon vor genau hundert Jahren hatte ein Rudolf Eschberger eine Flugmaschine mit ledernen
Segeln, und außerdem, lange vor dem Mannheimer Förster Drais, eine Vorfahrin der späteren
Draisine erfunden, vom Bedürfnisse gedrängt, das Fortbewegungsvermögen der Menschheit zu
erweitern. Noch standen die Modelle davon im Schulmuseum der nahen Stadt Berneck
aufbewahrt.Samuel Spechti sodann, der Großonkel des jetzigen Sägemüllers, erdachte eine
drehbare Brücke und ging, obwohl bereits ein Dreißiger, mit diesem und ein paar andern
Einfällen muthig in die Welt hinaus, sie zu verwirklichen. In der That stand seine Brücke
fern im Ungarlande ausgeführt,lange angestaunt als die einzige ihrer Art. und Spechti war,
nachdem er noch eine ganze Reihe anderer merkwürdiger Neuerungen auf verschiedenen
Gebieten gefunden hatte, als reicher Greis unlängst
Neben diesen großen waren zu jeder Zeit etliche kleinere Phantasiemänner einhergegangen, deren einer etwa eine sinnreiche Spieluhr, ein anderer eine schnelle Hinrichtungsart für Südamerika, oder ein nagelneues System zur Vermehrung der heimischen Gemeindefinanzen ersonnen hatte. In der Gegenwart aber galt als meistbewunderter Thalgenosse der Gottlieb Steiner, der Ende der sechziger Jahre nach Schweden ausgewandert war,um in den dortigen günstigen Waldverhältnissen eine eigenartige Holzindustrie zu unternehmen,und es richtig damit zu einem großen Vermögen gebracht hatte. In seiner Jugend hatte er als armes Waisenbüblein in Berneck Besen verkauft,war dort von einigen Familien als begabtes Kind erkannt und auf die Bezirksschule gebracht worden,worauf er später so glänzend seinen Weg machte.
Aus den gleichen landschaftlichen Bedingungen aber, die bei einzelnen Finkengrundleuten
diesen schöpferischen Unternehmungstrieb herausbilden,läßt sich wohl auch eine andere
Seite ihres Wesens,eine Werktagsseite, erklären: die resignirte Ver
An der Sonnenhalde, von halber Höhe des Berghanges, sah sein Besitzthum behäbig hingelagert aus tiefem Baumschatten hernieder. Ein stattliches Wohnhaus mit weißem Gemäuer,grünen Läden und einem französischen Doppeldache, das weit vorspringend, an der Frontseite einen schützenden Rundbogen wölbte. Dahinter ein Nebenhaus, weite Scheunen, Speicher und wetterbraune Schuppen, zwischen dunkeln Nuß-baumkronen aufragend; zuoberst am Hang, wie eine Schutzmauer, die Wand der alten Tannen,die dem Grundstück wohl ursprünglich den Namen gegeben. Es war so recht das Bild eines Hofes,auf dem jedes Schweizerbauern Auge mit Wohlgefallen ruhen mußte.
Doch zu der Unbeliebtheit, die dem Besitzer sein Geldschmutz zugezogen hatte, kam auch
noch die Abneigung der Bauern gegen seine Eigenschaft als „Mehrbesserer“. So nennen sie,
halb spöttisch,halb respektvoll, dortzulande Einen, der nach dem Absitzen der ländlichen
Schule noch höhere Lehranstalten besucht hat und nun für das Empfinden
Deshalb erscheint ihm verdächtig, wer in seinem Stande diese Meinung nicht theilt. Und nun sahen die Dorfgenossen Jakob Haberist bei allen Versammlungen und Festen, zu denen er als Gemeinderath vom Finkengrund eingeladen wurde,fast demüthig nach der Ehre geizen, von den Bernecker Herren angeredet und ein wenig wie Ihresgleichen behandelt zu werden. Drum hängten sie ihm eins an, wo sie konnten, und an Anlaß ließ er es nicht fehlen.
Ledig geblieben aus lauter Kniffligkeit, jetzt nahe an Sechzig, hauste er auf dem stattlichen väterlichen Besitzthum mit zwei andern unverheiratheten Geschwistern und einer allgemein gefürchteten alten Magd, Namens Käther, und je nach den letzten Erzählungen der schlecht gehaltenen Unterdienstboten schwankte das öffentliche Urtheil immer wieder darüber, wer von diesen Vieren droben an der Berghalde sich am verbissensten abschinde und welcher im Grunde der Geizigste sei.
Es war an einem grauen Oktoberabend, als am Brunnen vor des Gemeindeammanns Haus im Dorfe
drunten das neueste Müsterlein von Jakob Haberist's Stärke im Sparen ruchbar
„Wem fehlt's im Dorfe, daß der Doktor da war?“ fragte ihn der Ammann, der sich auf der andern Seite des Troges die Hände wusch.
„Des Haberist's Schwester, die Vrene, hat sich heut' Nachmittag die Hüfte ausgefallen.“
Der Ammann zog die Hände aus dem Wasser und schlenkerte sie ab. „Was Du nicht sagst? ich habe sie doch noch gesehen, wie sie Zwiebelkränze unterm Dache des Speichers aufhängte, kurz nach dem Dreiuhrläuten. Ich kam mit einem Fuder Rüben dort vorüber.“
„Ich auch! Wir fuhren ein Stück weit hinter Euerm Wagen her,“ bestätigte eine Nachbarin.Und eine weitere und noch drei, vier, die vor den Häusern gestanden hatten, traten herzu, die Neuigkeit zu hören.
„Grade nachher muß es auch geschehen sein,“erzählte Fritz. „Sie fiel von der Leiter und
blieb so elend liegen, daß der Jakob herunter berichtete,ich müsse nach Berneck fahren,
den Doktor zu holen.“
Der Wirthssohn lachte. „Das scheint Euch kaum zu glauben von Haberist, nicht wahr? Doch grade heute hatte er kein Pferd daheim. Der Bruder David war sammt den Knechten ins Holz gefahren.“
„So recht! Gut getroffen! Das gönn' ich ihm!“rief es durcheinander.
„Nun, immerhin Respekt!“ wandte der Ammann ein. „Ich hätt' ihm so viel Fürsorge gar nicht zugetraut.“
Aber der junge Mensch winkte ab. „Nur Geduld, es kommt schon anders! Als wir auf den Tanner kamen, fing der Jakob den Doktor vor der Hausthüre ab und erzählte ihm des Langen und Breiten, wie die Sache sich zugetragen habe.Er jedenfalls sei nicht schuld, daß die Vrene selber noch auf alle Leitern hinaufsteige. Indessen traue sie nun einmal keinem Menschen, und wahr sei es ja, Jeder wisse es, wie schlecht die Dienstleute einem heutzutage zur Sache sähen.Jetzt möge aber der Herr Doktor nur so gut sein und der Schwester das Bein, oder wo es fehle, geschwind wieder einrichten. Mit dem Donners
er habe sagen wollen mit dem Bettliegen hinterher werde es noch Arbeitsversäumniß und Schaden genug geben.
„Der Doktor warf so den Kopf herum Ihr kennt ihn ja, wie er thut, wenn ihm der Zorn aufsteigt, und ging hinein. Kannst mitkommen, sagte er zu mir, hist ja ein geschulter Samariter; vielleicht brauch' ich dich. Bei dieser Aufforderung warf Haberist einen Blick auf mich,als wäre wunder was von mir zu befürchten,und prüfte mein Habit, vom Kittel die Hosen abwärts bis zu den Schuhen, als wollte er fragen, ob man am Ende einem wie dem Fritz die unerwünschte Hülfeleistung gar bezahlen müsse?“„Den hast du gut errathen!“ warf der Amtmann ein; „aber weiter!“
„Der Doktor fand die Sache schlimm, nachdem er sich eine Weile an der Vrene zu schaffen gemacht hatte. Mit dem bloßen Einrichten, sagte er alsbald, sei es auf keinen Fall gethan, wie der Jakob glaube. Doch fuhr er noch fort, zu untersuchen. Allein schon dieser Bescheid brachte den Alten ganz aus dem Häuschen. Er begann hinter des Doktors Rücken wie besessen in der Stube auf
Siegfried, Gritli-Wohlthäter. 2
Um den Brunnen, wo die Zubhörerschaft sich stattlich gemehrt hatte, tönte nur mäßiges
Mitleid aus den Reden, desto mangelhafter verhüllt die Schadenfreude über Jakobs Pech. Und
Fritz,durch das neugierige Publikum angestachelt, ließ sein Pferd, das sich satt
getrunken, durch einen Knaben in den Stall zurückbringen, um weiter zu erzählen.„Des
Jakobs Nase hättet Ihr da sehen müssen!“ fuhr er fort. „Wie einen Spieß richtete er sie zu
Boden und kratzte sich hinter den Ohren. Was konnte er thun? Er verschwand vor
Ein wahrer Jubel erschallte um den Brunnen.Nur einige Weiber zeigten Mitgefühl für die Schädigung des Leinenschrankes. Der Amtmann verlangte zu Ende zu hören.
„In der Nebenstube schrieb dann der Doktor noch eine Menge Dinge auf, die in der Apotheke in Berneck zu holen waren und trichterte der Käther ein, wie sie bis morgen die Verbundene zu besorgen habe. Jakob hatte sich derweil gedrückt. Auch ich ging nun hinaus, allgemach einzuspannen, da traf ich den Alten bei unserem Fuhrwerk und gewahrte, daß er sich an des Doktors Decke, die auf dem Sitze lag, etwas zu schaffen machte.
Drinnen waren sie auch fertig geworden, wir wollten abfahren, da ruft der Doktor, wie er
die Decke über die Kniee breiten will: ‚was Teufels liegt denn da?‘ und zieht einen
mächtigen
Beim trüben Kerzenschein war Jakob übrigens in seinem Element. Da konnte er die Augen
ruhen lassen. Am Tageslicht hingegen erinnerte er immer an einen lichtscheuen Nachtvogel,
weil er unter seinen röthlich-blonden Wimpern hervor nur zwinkernd und blinzelnd einem
Menschen ins Gesicht zu schauen vermochte. Dabei ließ er bloß ein geiziges Streifchen von
etwas unbestimmt Hellem sehen, von dem man nicht Zeit hatte, zu unterscheiden, ob es das
Weiße war oder der
Der Bruder mochte die Einfahrt für seinen Rest im Dunkeln finden.
Durch den dünnen Nebel, der draußen lag,warf der Mond ein schwaches Dämmerlicht in die Stube. Aus der Küche nebenan, wo heute an Vrene's Statt die böse Käther den Vorsitz führte, vernahm man gedämpft das Löffeln und Räuspern der essenden Dienstleute.
„Ach ja“ seufzte Jakob und lehnte sich gegen den Ofen zurück.
„Ja, eben,“ unterstützte David dienstfertig den Bruder.Dann wurde es still. Nur auf der
Ofenbank war während einiger Augenblicke noch ein schleichendes Geräusch zu hören, von
unregelmäßigen,angestrengten Athemstößen begleitet, das dem David einen wohlbekannten
heimlichen Vorgang verrieth.Da die beiden Brüder immer gesondert von den übrigen
Hausgenossen in der Stube speisten,wußte Jakob, wie aus Allem, so auch daraus seine
Vortheilchen zu ziehen. Vorab konnte man hier barfuß bei Tische sitzen, ohne daß es jemand
sah, und sobald gegessen war, wieder dunkel machen,wie eben jetzt, wobei nicht nur Licht
gespart wurde,
Draußen standen sie jetzt vom Tische auf.Doch zugleich erhob sich ein sonderbares Murren,das Geschirr wurde mit absichtlichem, zornigem Lärm beiseite geschoben, und unter lautem Geschelte, bei dem sogar deutlich die Stimme des sonst allezeit gelassenen Oberknechtes Hans betheiligt war, gingen die Dienstboten an ihre letzten Verrichtungen auseinander.
„Was ist denn los?“ fragte Jakob und DDDD
Allein kaum hatte dieser die Thüre ein Spältchen weit geöffnet, als Käther schon wie eine Furie, schwarz umrissen auf dem leuchtenden Grund, die Schwelle besetzte und ihn wieder in die finstere Stube zurückdrängte.
„Was soll los sein, Ihr Donners Topfgucker?Das Essen war ihnen nicht recht! Mag der
Henker für das Gesinde von heutzutag kochen!Hinten und vorne nichts nutz sein und nichts
haben,
Die Männer im dunkeln Ofenwinkel verhielten sich mäuschenstill.„Habt Ihr etwa einen Einwand, he?“ schrie sie. „Nur heraus damit! Ich kann ja gehen.Meinetwegen morgen schon! Seht dann zu, wie Ihr selber kocht, Ihr Göhle, ohne Unsereinen, der sich schindet und verviertheilt, Eure Sache beisammenzuhalten.“
Als sich auch jetzt noch Keiner muckste, schlug sie die Thüre wieder zu. Die drinnen
hielten kluge Stille, bis die Erboste nach einer Viertelstunde endlich die Treppe hinauf
in ihre Kammer polterte. Dann rührte sich David vorsichtig. „Ich mein' schon, Bruder, es
könnte bald an der Zeit sein, daß du die spüren ließest, wer hier doch noch Meister seil
Es heißt wohl, je älter die Geiß, desto härter das Horn. aber die stößt jetzt zu grob! Und
wenn die Vrene nun nicht mehr draußen ist, ihr ein wenig draufzuklopfen, so laufen uns die
Dienstboten am Ende
Da blähte sich Jakob auf: „Wann Zeit zum Schweigen ist und wann zum Reden, das hab'ich noch nicht im Sinne, mir weisen zu lassen!“Aber er war so überzeugt wie David, daß es endlich genug sei. Denn ihnen selber gab es Käther längst womöglich noch schlechter als den Dienstboten. Auf diese mußte sie immerhin noch einige Rücksicht nehmen, wenn sie brauchbar waren; beim Meister und seinen Geschwistern war das nicht nöthig; die blieben. Drum bekamen sie thatsächlich kaum noch satt zu essen, von der Zubereitung gar nicht zu reden.
Seit ihrem fünfzehnten Jahre im Hause bedienstet, hatte Käther in dieser Schule des
Geizes mehr gelernt, als der Herrschaft lieb war. Denn mit einer congenialen Begabung
durchschaute sie rasch jeden Kniff der Dreie und überbot sie längst. Sie wußte alles und
jedes von jedem unter ihnen seit vierzig Jahren, jede Falschheit.jede unsaubere
Machenschaft, mochte sie von den Geschwistern gemeinsam gegen die Welt, oder von einem
gegen das andere gerichtet gewesen sein.Dadurch hielt sie sie ganz in der Hand. In den
Zweimal schon hatte Jakob den allmächtigen Hausteufel abzuschütteln versucht. Die ewigen Drohungen Käther's, sie laufe davon, kannte er doch als leere Worte. Nie hatte sie jemand daraufhin bleiben heißen; trotzdem war sie noch da. Warum, das konnte man sich denken.Denn daß so Eine sich nicht für das Interesse ihrer Herrschaft dermaßen abrackerte, sondern im Geheimen auf die dereinst, so oder so, zu ergatternde Erbschaft spekulirte, das durchschauten die Geschwister mit verwandtem Instinkt. An Lebenszähigkeit aber fühlte sich Käther ihnen weit überlegen, da alle drei seit dem Fünfzigsten schon kränkelten.Daher war Jakob mit seinen beiden Kündigungsversuchen übel genug angekommen. Das erste Mal lautete die Antwort kurz und frech, sie gehe nicht. Das zweite Mal schaffte Käther zum
Schein ihre Habseligkeiten am Abend wirklich fort.Aber als nichts erfolgte, dies
aufzuhalten, stand sie am andern Morgen wieder in der Stube und erklärte Jakob höhnisch,
er solle nur nicht glauben,sie lasse sich verjagen. Und mit vielsagenden Blicken und
Gebärden gab sie ihm zu bedenken.ob es nicht rathsamer wäre, sie dazubehalten?Seitdem
waren wieder ein paar Jahre verflossen. Immer grausamer lastete die knöcherne Faust dieser
Person auf dem Hause. Immer elender mußten die alternden drei Geschwister leben, immer
teufelhafter zwang sie sie zu knausern.Sie sott jetzt jeden Montag den Bedarf an
Kartoffeln für die ganze Woche in Vorrath und warf dann die kalten Knollen bloß vor jeder
Mahlzeit wieder einen Augenblick in heißes Wasser.Der Schmutz im Hause nahm so überhand,
daß es selbst den Männern darob grauste. Denn nicht nur war ihr jeder Putzlumpen zu schade
zum brauchen, sondern was etwa die Geschwister, wenn es nicht mehr anders ging, an neuen
Besen und Bürsten vom Bernecker Markte heimbrachten oder von Hausirern kauften, das
beseitigte und verschloß sie sofort, wie ein boshafter Affe, der seinem Herrn die
Siebensachen versteckt. Dann scheuerte sie mit
„Was meinst'?“ fragte er David leise, „des Strohflechters Meili thäte uns die nicht die
Arheit von Zweien?“Der Angeredete, der sich wegen des Bruders zurückweisender Antwort von
vorhin die ganze Zeit über regungslos verhalten hatte, rührte sich ein
„Eben das, eben das!“ sagte Jakob schmunzelnd.„Man erlebt es beim Hans, wie gut man mit solchen fährt, die sich von jung auf den Hafer an den Krippenwänden haben zusammenschlecken müssen. Wenn man die Meili auf Wiediker's Feld draußen arbeiten sieht oder ums Haus herum hantiren, so möchte man sagen, eine werkhaftere gäbe es nicht. Wegen der fetten Kost aber wird sie sich wohl nicht besinnen, dort wegzugehen,und mit dem Lohn könnte man ein Uebriges thun, sobald wir die Käther dagegen los sind.“
Nach einigen weiteren, immer nur murmelnd geführten Verhandlungen, wurden die Brüder
einig, daß Meili alsobald vorsichtig auf Umwegen angefragt werden solle, dann ungesäumt
die Alte, so oder so, ihren Abschied erhalte, und daß,selbst wenn die Vrene es längere
Zeit treiben sollte mit Doktern und Bettliegen, das Haus
Die Uhr an der Wand schlug Zehn. So spät legte man sich im Tanner selten schlafen. David suchte nach Streichhölzern und zündete das Lichtstümpfchen wieder an, um zu Bett zu gehen. Aber Jakob erinnerte ihn, daß sie an Vrene's Stelle noch die Runde ums Haus zu machen hätten,die sonst von der Schwester streng und mißtrauisch besorgt wurde. Statt also, wie gewohnt, noch sitzen zu bleiben, bis der Voranleuchtende ihm in genügendem Abstande erschien, um dann im schützenden Halbdunkel nachzufolgen, schlüpfte Jakob heute brummend nochmals in die Hosen,steckte das Licht in eine Laterne und verließ mit David die Stube.
Der Spätherbst bescheerte diesmal frühen Schnee,die bäuerliche Arbeit draußen nahm ein schnelles Ende, und so, vorzeitig in den engen Bereich des Gehöftes verwiesen, empfand man im Tanner die Prüfungen der nächsten Zeit doppelt schwer.Jeder Tag, den der Oktober und November grauen ließen, brachte einen neuen Doktorbesuch auf die Rechnung und der Vrene doch keine Besserung.
Sie lag immer gleich hülflos da. Aber ungeduldig und gehässig durch diesen gehemmten
Zustand,hetzte sie um so ruheloser die Brüder umher,stellte jeden, der ihr zu Gesicht kam,
über alle Vorgänge im Hause zur Rede, und focht vom Bett aus, so gut sie es leisten
konnte, den heißen Vertreibungskampf gegen die alte Peinigerin mit,die gegen die
Gültigkeit der erfolgten dritten Kündigung noch einmal Alles anstrengte. Diesmal umsonst.
Denn am fünfzehnten November sah man die Käther in der That von dannen ziehen. Aber wie
anders zuletzt, als man sich das vorgestellt! Wenn ein reicher Bauer dem Sohne den Hof
übergeben habe und mit seiner persönlichen Habe in den Nebenbau ziehe, so könne der Auszug
auch nicht anders aussehen,meinte Jakob ingrimmig, kniff aber wohlweislich die Lippen
zusammen, bis das Raubfuder unterm Abhang in das Sträßchen bog und die Todfeindin außer
Hörweite kam. Dann aber zischte und stampfte er, ganz entgegen seiner sonstigen sanften
und glatten Art, so lange im Hause herum, als müsse er sich für jedes Möbelstück, jede
Elle Leinwand, jeden Fünfliberthaler einzeln quitt wüthen, auf welche die Alte ein
Siegfried, Gritli-Wohlthäter. 9
Nun erfuhr man häusliche Intimitäten die Menge. So: daß der Meister sowohl wie seine
Schwester nur auf erbärmlichen Strohsäcken schliefen, mit groben Leintüchern drüber und
ungenügender Zudecke, und daß sie sich, ob Stein und Bein gefroren war, lieber mit den
Kleidern niederlegten, als je in einer Schlafkammer Feuer gönnten;daß aber im Tanner eine
Oberstube vorhanden DDDstünden und prächtige Möbel, Hartholz und polirt,das Gediegenste
und Kostbarste, was in ganz Berneck zu kaufen gewesen sei. Das habe der Jakob trotz aller
Gesichter der Andern angeschafft und die Stube dazu streichen lassen, hellgrau und
glänzend übers ganze Holzgetäfel, damit man denn doch sehe, wo man sich befinde, wenn etwa
Einer käme, an dem ihm besonders gelegen wäre. Auch verrieth die Käther, trotzdem sie so
lange als Vierte dabei betheiligt gewesen war, allerlei von den geheimen Künsten, mit
denen es die Haberist's zu Stande brachten, sich nach außen verhältnißmäßig so selten auf
der ganzen Gemeinheit ihres Geizes ertappen zu lassen. Denn keines von q*
Auch von ihrem Ruhesitz aus ließ Käther nicht ab, weiter zu schnüffeln, was im Tanner
geschehe.An jeden Knecht von dort und an jede Hausirerin,
Der Vrene ging es von Tag zu Tag schlechter.Ihr abgearbeiteter Körper hielt das wochenlange,regungslose Bettliegen nicht aus. Hatte sie schon bei gesunden Tagen ein Gesicht gehabt, daß die Leute spotteten, sie könne eine Geiß zwischen die Hörner küssen, so lag sie jetzt vollends so dürr wie eine Hexe auf ihrem Lager, hörte aber trotzdem nicht auf, mit den Brüdern zu zanken bis zum letzten Augenblick. Am Barbaratage, bei einem grausigen Hudelwetter, wurde sie begraben.
Ueber den Tanner kam nun eine große Stille;denn es waren auf einmal ihrer nur noch wenige
und lauter ruhige Menschen auf dem verschneiten Hofe. Im Winter behielt man gewöhnlich nur
einen Knecht und nahm erst im Frühjahr wieder mehr Leute. Diesmal hatte man dem Hans eine
Hülfe dabehalten, weil David an einem bösen Husten laborirte, und Jakob, sobald die Kälte
kam, sich ängstlich im Hause hielt, seit ihn vor
Dem Hans getraute er sich ja auch bereits manches zu überlassen. Ein braver, armer Teufel,der vom Wechseln wahrscheinlich nie viel Gutes verspürt hatte, hielt dieser Knecht nun schon acht Jahre bei ihm aus und ertrug als eine Philosophennatur mit Gelassenheit alles, was die verschiedenen sonderbaren Köpfe dieses Hauses ersinnen mochten. Sogar mit der Käther war er leidlich ausgekommen. Er behauptete, die Arbeit als einzige Quelle wahrer Befriedigung für den Menschen erkannt zu haben, und stellte darum mit seinen Leistungen sogar die Brüder Haberist zufrieden, wenn sie ihn das auch vorsichtigerweise nicht merken ließen.
In Küche und Haus aber waltete nun das Strohflechtermeili, das in Bezug auf das Wechseln just entgegengesetzt zu denken schien. Denn das Mädchen war schnell bereit gewesen, auf Jakob's Zureden hin seinen vorigen, harten Dienst und die schlechte Versorgung aufzugeben und auf dem Tanner sein Glück zu versuchen.
Das sei freilich ein Wechsel vom Regen in die Traufe, prophezeihten ihr die Leute, aber Meili
E war jung und glaubte nun einmal noch zuversichtlich, daß jede Veränderung eines
Lebenszustandes mindestens die Möglichkeit zu besseren Zeiten in sich trage. Und wirklich!
es gewann je länger je mehr den Anschein, als ob sie diesmal Recht behalten sollte. Denn
jetzt trafen,was so selten geschieht, die richtige Person und die richtigen Umstände
zusammen, ein Wunder zu bewirken.Tüchtig in Haus und Stall, mit Allem zufrieden und darin
ein zweiter Hans, überdies gewohnt, mit dem knappsten Verbrauch ausreichend zu kochen,
that diese Magd zu Jakob's Erstaunen,kaum war sie ein paar Tage eingewöhnt, all'das als
selbstverständlich, was er ihr mit Ach und Krach mühselig erst beizubringen gedacht
hatte.Eine kurze Zeit hindurch hielt er es trotzdem für angebracht, sich ihr als Meister
eindrücklich zu machen, und riß zu diesem Behuf irgend einen Vorwand vom Zaune, sie zu
schelten und zu kuranzen. Aber damit hörte er bald auf. Denn Meili erzitterte vor keinem
Meister. Die schaute Jakob bloß lachend oder erstaunt ins Gesicht,mit ihren hellen Augen,
die Jeden durch und durch wärmten, und gab ihm, den sie ohnehin
Versorgung ab und zu noch eine seiner knauserigen,mißtrauischen Zänkereien zu versuchen, so setzte es statt des erwarteten Thränenregens bei Meili, jetzt das prachtvollste Donnerwetter für ihn ab, halb in ermahnender Güte, halb in gerechtem Zorn, daß den alten Krauter Scham und Entzücken peinigten.
Nach solchen Erlebnissen setzte er sich dann nachdenklich in eine Ecke oder stand, als hätte ihn ein Brett an den Kopf getroffen, eine ganze Weile auf demselben Fleck und murmelte: „Jaja,hehe, die hat mich wieder schön abgekanzelt.“Aber er zürnte ihr nicht, das war das Verhexte,gar nicht! beinah das Gegentheil! Und so verging wieder eine Woche, und wieder eine. Der tiefe Winter war gekommen, mit den kürzesten Tagen und den längsten Abenden, wo der Mensch häuslicher ist und wärmebedürftiger als sonst.Und Jakob Haberist war auch ein Mensch. Wenn er jetzt Meili ansah, ward ihm ganz kurios zu Muthe; er zählte sich bereits ihre Tugenden her.Sparsam war sie, unermüdlich fleißig war sie, an alles dachte sie, alles konnte sie, immer lustig war sie, so zutraulich war sie, alles war sie,das Tausendsgeschöpf! Und er kratzte sich nach einer alten Gewohnheit am Kopfe.
„Hm, heirathen? Jetzt noch?“ Eine unbedingt vertrauenswürdige Person mußte er ja haben für sein Haus, da die Schwester todt war und David anhaltend und so sonderbar kränkelte. Eine abschlägige Antwort aber war von Meili nicht zu befürchten, wenn nur er Willens wäre, meinte Jakob. Wer es zeitlebens so schlecht gehabt hatte,wie die, konnte sich gar nicht erst besinnen, ob sie auf dem Tanner Frau werden wolle.
Des Abends pflegte Meili meist die Strümpfe der beiden Haberiste zu stopfen oder das Weißzeug zu flicken, und verlangte eines Tages dazu eine bessere Lampe, als die in der Küche war.Das bot Jakob einen erwünschten Vorwand, das Mädchen in der Stube am Tische arbeiten zu heißen. So profitirte er selber vom Lichte mit und war der aufkeimenden Eifersucht enthoben,von seiner finstern Ofenecke aus einsam zuhören zu müssen, wie die Knechte draußen mit der muntern Genossin ihre Späße trieben.
Aber die Qual war nicht geringer. die nun in der Stube drin für ihn anhob. Denn in seinem
Innern kam Jakob um keinen Schritt weiter, je länger er auch über den großen Handel
nachdachte.Eben weil es für ihn ein Handel blieb. Sein
Allein im traulichen Lampenschein ihm gegenüber saß das frische Geschöpf, statt des mürrischen Schweigens, das er sonst mit Dapid erlebte, tönte von ihrem heitern Munde allerlei Geplauder,und wenn er ein Stündchen las, so gab ihm schon die bloße Gegenwart Meili's, ihr stilles Athmen und Hantiren, eine vordem nie gekannte Ahnung, wie behaglich der Menschen Häuslichkeit sein könne.
So flog das Zünglein seiner schnöden Vortheilswage jeden Tag und jeden Abend hinüber
David sah ihn von seiner Stube aus in der nächsten Zeit manchmal bei milden Mittagen lange draußen unter dem Dache an der Hauswand stehen, die Hände in den Hosentaschen, und mit offenem Munde in die Höhe starren, als wollte er Eiszapfen zählen, die an der Dachrinne hingen. Dann schritt er tiefsinnig gegen die Hausthüre, kehrte aber wieder um und blinzelte abermals lange in den Wintertag hinaus.
Dem alten Menschen schlichen jetzt andere Gedanken im Kopfe herum, da der Geiz ihm nicht
zulassen wollte, seinem Leben die lockende Wendung zum Guten zu gönnen. Er mißtraute
plötzlich grimmig den beiden Knechten, besonders aber dem Hans. Denn er sah, daß dieser
dem Mädchen in einer Weise freiwillig in die Hand arbeitete, wie er es weder der Käther
noch der Vrene je gethan; in der Küche aber war statt des bisherigen lauten, unbefangenen
Draufloslachens jetzt meist nur so ein verdächtiges Gelispel zu hören. Jakob mißtraute
sogar dem David, so
Aber auch die stärkste Regung unterlag bei Jakob zuletzt der empordrängenden Berechnung.Und so beschäftigte selbst hier, wo ein Anderer der blinden Leidenschaft verfallen wäre, seinen Geist bald heftiger als alles Uebrige nur noch der Schaden, der ihm aus seinen Gelüsten erwachsen konnte, und er fing an, mit sich selber eindringliche Warngespräche zu halten.
Kamen solche unsaubere Geschichten von Höfen,wo keine Frau war, nicht regelmäßig ans
Licht?Er erinnerte sich an die und jene. Da wollte dann so eine Person den Schuldigen
tüchtig
So mußte schließlich ein Anstoß von außen zur Nachhilfe ersonnen werden, um den
sündlichen Zustand zu überwinden, und am wirksamsten dachte sich Jakob eine täglich neue,
mit den leiblichen Augen zu sehende Vergegenwärtigung
Was er nur Geheimnißvolles treiben mochte,daß er sich jetzt stundenlang in die leere Stube neben derjenigen David's einschloß? Höchstens ein leises Rumoren vernahm Meili in der Küche,oder ein Geräusch, als rutschte der Meister auf dem Boden herum, und ganze Tage hinterher blieb die Stube dann abgeschlossen und trug Jakob den Schlüssel bei sich in der Tasche.
Eines Abends im Februar, als der Doktor im Schlitten angefahren kam, den David zu besuchen, war der Fahrweg zum Hofe herauf so mangelhaft beschneit, daß er schon unten auf der Straße aussteigen mußte. Ungehört näherte er sich dem Hause, und da ungewohnter Weise in der bewußten Stube Licht brannte, that er einen Blick durch den undicht verschlossenen Laden. Da entdeckte er den Meister am Boden sitzend, ganz versunken in den Anblick eines kleinen Parkes, den er aus Kinderspielfiguren, Bäumchen und Thieren vor sich aufgestellt hatte.
Das sei der Paradiesgarten, erfuhr er von David, der seinerseits das geheime Treiben längst durch das Schlüsselloch beobachtet hatte, und sei einer
Weihnachtskrippe entnommen, die Jakob als Schulpfleger dies Jahr in Verwahrung bekommen habe.Den stelle er in der letzten Zeit häufig dadrüben auf, mit Adam und Eva unter einem Baume,was den Sündenfall vorstelle. Dann setze er sich davor hin und verharre lange in dem Anblicke.Und zwar thue er dies, wie David wisse, um sich sündhafte Gedanken aus dem Kopfe zu schlagen.„Denn“ fügte der Kranke hinzu, „unsere Meili wär' ihm die Ebenrechte. Allein, sich herbeizulassen ist sie zu brav, und zum Heirathen bringt es der Jakob nicht, weil ihn das Theilen reut.“
Die unbeständigen letzten Wintermonate brachte Meister Haberist vollständig im Hause
zu,mied aber jetzt den Ofensitz, so oft des Abends Meili in der Stube nähte. Er opferte an
solchen Tagen lieber ein zweites Licht und machte sich bis zum Schlafengehen mit
irgendwelcher Verrichtung zu schaffen. In einer andern leerstehenden Stube zu ebener Erde
hatte er sich eine Art Werkstätte eingerichtet, in der er durch eigenhändiges Ausbessern
der landwirthschaftlichen Geräthe den Schmied und den Wagner zu sparen, und so
einigermaßen wett zu machen suchte, was er aus Sorge um sein Befinden an der übrigen
Winterarbeit ver
Siegfried, Gritli-Wohlthäter. 109
In der That galt er bei den Bauern, so schlecht sie im Uebrigen von ihm denken und reden mochten, doch allgemein für einen, der es wenigstens hinter den Ohren hatte. Einem solchen aber durfte man ruhig so viel als möglich von den gemeindlichen Verwaltungsgeschäften anvertrauen;und mit dem perfiden Komplimente seiner besonderen Befähigung wurde ihm denn auch alljährlich die Last wieder aufgehalst.
Eines Abends im Anfange des Märzmonats,als draußen Thal und Halden vom Nachwinter noch
einmal dicht verschneit und die Nußbäume silbern bereift waren, raspelte Haberist bei
hereinbrechender Dämmerung noch emsig ein Wagenscheit mit einer Glasscherbe glatt, da
bellte draußen der Hund und zog rasselnd die Kette unter dem Dache hin, nach der Richtung
des Fahrweges zu.Jakob schob die Augengläser, die er zu seinem Verdruß jetzt schon bei
jeder genaueren Arbeit nöthig hatte, die Nase abwärts und spähte darüber hinaus. Ein Herr
in einem Pelzmantel stieg
„Donnerli, Donnerli, was mag der wollen?“murmelte Haberist und ließ sich von der Neugier treiben, selber zu öffnen.
„Ei schau, der Meister in Person!“ rief ihm der Ankömmling munter entgegen, „grüß dich Gott, Jakob, alter Kamerad! Ich glaube gar,du mußt erst näher zusehen, wer das sein möchte.“
„Der Gottlieb Steiner! jetzt mein' ich doch,ich sehe recht,“ antwortete Haberist, fast ehrerbietig,und wies dem so nobel Gekleideten den Weg.„Wie kommst du nur daher im tiefen Winter,aus deinem fernen Schweden?“
Der Andere legte ihm freundschaftlich die Hand auf die Schulter. „Das erzähl' ich dir, wenn wir auf deiner Ofenbank sitzen. Und etwa einen Tropfen heimathlichen Apfelmostes wirst du mir dabei auch vorzusetzen haben?“
„Auf die Ofenbank willst du? da hinein?Ist mir aber doch gar nicht recht,“ wehrte Haberist ab. „Einen Augenblick meinetwegen, Gottlieb,
10*
Bald roch es denn auch, des mangelhaft getränkten Dochtes wegen, so festlich nach Petroleum,daß Jakob gewiß war, der reiche Aufwand könne dem Gaste nicht entgehen. David aber mußte darob so heftig husten, daß er sich wieder in seine Stube zurückzog, die ehemalige Stube Vrene's nebenan, in der er jetzt seine Tage verbrachte.Es ging zusehends bergab mit ihm, und der Doktor machte vor Jakob kein Hehl daraus,daß der Bruder den Sommer kaum erleben werde.Nachdem Haberist diese Neuigkeit und der Schwester Tod dem Heimgekehrten schnell als Erstes erzählt, kam er auf seine Frage zurück,was denn den Schweden so unverhofft in die Gegend bringe?
„Dableiben thu' ich, Freundchen“, erwiderte
„Wo fehlt es deiner Frau?“
„Nun, schlimm ist es gottlob noch nicht. Nur mußte etwas geschehen; denn es sitzt auf der Lunge. Ein Sommer, an einem unserer Höhenkurorte zugebracht, kann nach dem Ausspruche des Arztes das Uebel heben.“
„Hm, hm! so so und Alles ist verkauft!“nickte Jakob vor sich hin. „Da wirst du schwer genug heimzubringen gehabt haben?“
„Ich bin zufrieden,“ sagte Steiner. „Ich suche mir jetzt mit Muße in Berneck ein Haus; denn ganz da draußen bei Euch, weißt du, hielte ich es doch nicht mehr aus. Auch leben noch so viele gute Kameraden aus unserer Bezirksschulzeit in der Stadt, sind da in Amt und Geschäften zu alten Tagen gekommen und haben mich herzlich willkommen geheißen, daß es mir zu Muth ist,als käme ich ganz in die alte Zeit zurück. Ich mache mir denn auch gleich die Freude und übergebe ihnen von meinem Erworbenen einen Theil für ihre gemeinnützigen Zwecke.“
UÜbergeben? Für ihre gemeinnützigen Zwecke?“rief Haberist. „Was du sagst! Das mag mir ein Brocken sein?“„Eine halbe Million,“ vertraute ihm Steiner an.
Jakob fiel beinah' vom Stuhl. „Eine halbe Million?“ schrie er. „Und das bei
Lebzeiten?Bist du nicht bei Trost oder bist du ein zehnfacher Millionär?“.„Gradaus ein
einfacher,“ antwortete Steiner schlicht. „Aber mir geht damit ein Traum in
Haberist saß mit offenem Munde da. „Ja aber warum willst du denn das Geld schon jetzt hergeben?“
„Aha, du meinst, ich könnte es ebensogut erst durch ein Testament vermachen? Gewiß! Aber
ich möchte mich lieber noch selber mitfreuen an dem, was die Bernecker damit im Bezirke
wieder Gutes wirken. Ich sehe ja jene wohlwollende Fürsorge, die ich ehedem selbst
genossen habe, im heutigen Berneck aufs Schönste weitergepflegt und ausgebildet. Die
mannigfachen Wohlfahrtseinrichtungen scheinen mir musterhaft; Herz und Kopf spricht
daraus, wohin ich schaue. Da freut es mich doppelt, das Meinige beitragen zu können.
„Und nach Euerm Tode?“ wollte Haberist auch noch wissen.
„Nach unserem Tode? Dann bekommt der Finkengrund das Seine! Am zehnten dieses Monats aber, auf den Tag, da ich vor fünfzig Jahren in Berneck zur Schule kam, laß' ich die Uebergabe der ersten Hälfte erfolgen. Wir selber sind bis dahin schon im Süden und bleiben dort bis zur wärmeren Jahreszeit. So entrinnen wir auch dem ersten Aufsehen und Dank“
Haberist war hin und her gerutscht und stand jetzt auf. Ihm fuhren Gedanken im Kopfe
herum wie aufgescheuchte Wespen. „Eine Million bloß,und davon eine solche Schenkung?
Wetter! Wetter!wie sollte man so was begreifen?“ Doch bald blinzelte er schlau vor sich
hin. Der geheime Faden schien ihm gefunden. „Klug! ganz klug,Steiner's Rechnung! Dem war
es darum zu thun, sich das Nest hübsch warm zu machen, in das er sich zu setzen vorhatte,
und da lag der sichere Profit an persönlichem Wohlbehagen und
„Recht so, recht so, nun gehen wir hinauf!“sagte Jakob und lud seinen Gast ein, ihm zu folgen. Dieser, in der Hoffnung, dadurch dem Petroleumdunst zu entgehen, willigte ein, seinen guten Ofensitz zu verlassen. Aber er fand sich schlimm enttäuscht, als er sich in ein kaltes Möbelmagazin auf ein unbequemes, nagelneues Polstersopha versetzt sah, und die gleiche schöne Qualmspenderin wieder vor die Nase gesetzt bekam.Jakob ließ es sich auf diese unerhörten Enthüllungen hin nun durchaus nicht nehmen, doch eine Flasche von dem alten Yvorne heraufzuholen, und wenn Steiner auch noch jetzt dem Freunde nicht erlaubte, sie zu entkorken, so war der Sieg der Bewunderung über den Geiz in Jakob's Seele doch glänzend dargethan.
„Ja, ja, Gottlieb, du verstehst es, dich wohl
Aber Steiner zeigte sich nicht angenehm berührt von dieser Auffassung. „Ei,“ gab er zurück, „wenn du diese Seite der Sache so hoch anschlägst, warum verschaffst du dir denn nicht die Gunst der Welt?Schenke du auch! Du mußt das doch so gut wie ich oder noch besser vermögen!“
„Ja ja jetzt wollen wir aber lieber aufhören!“ wehrte Haberist erschrocken ab. Er griff ganz ängstlich an seinem polirten Stuhle herum,schenkte schnell Most ein, trotzdem beide Gläser noch fast voll standen, und versuchte auf alle Weise abzuschweifen.
Doch Steiner ließ nicht mehr los. Er schob das Getränke beiseite und schlug mit der Hand auf den Tisch. „Potz Himmel! man sollte doch meinen, ich schöͤsse wunder wie daneben. Die Schwester hast du schon beerbt, den Dapid, sagst du ja selber, werdest du bald genug ebenfalls
überleben, und was im Tanner etwa beisammenliegt, das weiß man doch! Also?“
Jakob ward lederfahl. „Ja ernstlich, Steiner,ernstlich, laß mich zufrieden! Ich weiß gar nicht,was antworten, wenn du solch' ein Aufhebens machst. Du hast doch, so lange du uns kennst,gesehen, wie wir mit unsrer Arbeit zusammenhalten mußten, was wir von Vaterszeit her übernommen haben, und wenn man dabei auch in guten Jahren ein Weniges beiseite bringen konnte,ja mein Gott! so muß man das für die alten Tage rechnen. Die Krankheitszeiten stellen sich früh genug bei uns ein!“
Steiner lachte ihn aus und klopfte sich vielsagend auf die Hosentasche. „O Schläuling!
wenn du nur einsehen wolltest, wie du mit deinem Heimlichthun und Verleugnen dir den
unrechten Finger verbindest! Was hat man denn davon,seine Geldhaufen gut verwaäahrt zu
wissen? Ich habe die Welt gesehen und das Leben ein paar Jahrzehnte lang aufmerksam
betrachtet und weiß jetzt, so gewiß als du und ich Zwei sind, daß zu viel Geld das
gottverfluchteste Hinderniß ist, glücklich zu sein.“ Jakob räusperte sich; allein Steiner
ließ sich nicht unterbrechen. „Es ist so!“ sagte er.
Haberist verhielt sich regungslos; er starrte nur mit dummem Blinzeln sein Mostglas an,was Steiner verrieth, wie unbequem er dem Heimlichfetten redete. Das reizte ihn vollends,Jakob's hartes Fell weiter zu gerben.
„Es ist ja auch Keinem ganz wohl,“ behauptete er, „der spürt, daß er zuviel Geld
besitzt.Zwar sucht Jeder dies Unbehagen zu verbergen
Haberist blickte auf.
„Hier!“ bedeutete ihm Steiner, „die Handbewegung heißt: geben! Geben, so viel als man überhaupt entbehren kann.“
„Ja, hehe, du sprichst eben von deinem besonderen Fall!“ versuchte nun Jakob doch einzuwenden, dem es immer weniger geheuer wurde,je überzeugender auf seine eigenen Verhältnisse paßte, was der Freund redete.
Aber Steiner winkte ab. „Was ich sage, gilt für alle Reichen. Ob mit einer Million oder mit fünfzigen, ob ledig oder verheirathet. Wer vom Gelde nicht lassen kann, der hält dem Glück die
Thüre verriegelt. Hat Einer Kinder, so ist es das Natürliche, daß er seinen Ueberfluß denen gibt.Da mir keine bescheert sind, ist mir die alte Heimath das Nächste.“„Den Kindern geben, sagst du den Kindern?“rief Haberist und schüttelte den Kopf. „Hab' immer von meinem Vater sagen hören, das thue gar nie gut, wenn man ihnen zu früh hinauszahle. Selber wehren und strecken sollten sie sich, wie die Alten es auch gemußt!“
„So? hat er gesagt? Und das schwätzest du nach? Schau, das sind auch noch solche veraltete Härten hierzulande! Mag seine Richtigkeit haben,wenn die Jungen Leichtsinn zeigen oder Arbeitsscheu. Sind sie aber wohlgerathen und haben aus ihrem Leben etwas Rechtes gemacht, so sollte der Alte sich weiß Gott freuen, wenn sein Erworbenes ihn in den Stand setzt, den Kindern noch bei ihren guten Jahren die gemeinen Sorgen des Lebens aus dem Wege zu räumen. Ist das nicht das einzig Natürliche gegenüber seinem eigenen Fleisch und Blut?“
Haberist zog die Achseln in die Höhe. Was für Ansichten! Welche Hiebe auf alles, was er
zeitlebens in solchen Fragen gedacht und gethan hatte!
„Nein! hehe, gehen thut die heute nicht,“ gab Haberist zu, „ich benütze eben im Winter
dieses Zimmer nicht jeden Tag.“ Er nöthigte Steiner jetzt auch nicht mehr allzu dringlich
zum Bleiben,als dieser hinzufügte, er dürfe sein Gefährt nicht
Ein Stachel saß in Jakob Haberist's Fleisch seit diesem Abend.
„Was mit dem Meister nur los ist?“ fragten die Knechte in den folgenden Tagen. Man hätte glauben können, die weiße Märzensonne treibe ihn plötzlich heraus, die den kalten Dunstkreis endlich durchbrochen hatte, daß er jetzt überall stand oder um die Ecke kam, wo man ihn nicht vermuthete, und aller Enden etwas zu kommandiren fand. Er wies ihnen Arbeiten an, die bereits gethan waren, fragte nach Sachen, die ihm vor der Nase lagen und von selbst Antwort gaben;es war, als redete er, so oft er auf jemand
Siegfried, Gritli-Wohlthäter. 11
Am nächsten Sonntag war eine gemeindliche Angelegenheit zu ordnen, und Haberist mußte ins Dorf hinab. Trotz der eingetretenen Wärme zog er zu diesem Gange noch ängstlich zwei Röcke übereinander an; denn im Schulhause, wo die Sitzungen stattfanden, war es ihm nie warm genug. Nach Erledigung der Amtsgeschäfte aber fürchtete er heute von den andern Gemeinderäthen zu einem Glase Wein in den Bären mitgeführt zu werden, und dort traf man meist eine überheizte Stube. Seit dem Herbst war Jakob um die unnöthige Ausgabe dieses Morgentrunkes immer glücklich herumgekommen, zuerst durch Vrene's Tod, dann durch die Rücksicht auf seine Gesundheit entschuldigt; jetzt aber mußte er sich seinen Kollegen wieder einmal anschließen, so große Ueberwindung ihn das kostete.
Im Wirthshause ärgerte er sich ja immer,auch wenn es ihm gelang, die längste Sitzung
Die Nöthigung zum Mitgehen blieb denn heute auch nicht aus, und Jakob betrat an der Seite des Gemeindeammannes die Wirthsstube, als eben der alte Briefträger vom Finkengrund den Gästen mit aufgeregter Wichtigkeit die Sonntagsnummer des Bernecker Tageblattes vorwies. Die enthielt die öffentliche Bekanntmachung der Schenkung Gottlieb Steiner's.
„Was? Was ist los?“ tönte es von allen Tischen. „Eine halbe Million gestiftet?“
„Ihr hört es ja!“ rief der Briefträger.
„Eine halbe Million? den Berneckern? Und uns?“ forschte der Ammann.
„Dem Finkengrund später!“ „Ruhe! Still!Hört doch zu!“*1
Die Gemeinderäthe, die Wirthsleute, die Gäste,alles drängte sich heran, und Meister Haberist sah sich, er wußte nicht wie, auf einmal hinter einem Tisch auf der Wandbank zwischen den aufgeregten Menschen eingekeilt. Einer wurde geheißen, laut vorzulesen, was in der Zeitung stand,und gespannt lauschte Alles der erstaunlichen Mittheilung. Eine Weile hatte die Vorlesung schon gedauert, als ein Anderer, der den Jakob in seiner Ecke beobachtet hatte, dem Lesenden etwas ins Ohr raunte, worauf dieser mit arglistigem Lächeln begann, das Weitere nach der Richtung hin vorzutragen, wo Haberist saß. Doch war der Zuhörerkreis viel zu sehr von dem, was er erfuhr,im Banne gehalten, als daß die immer deutlichere Betonung nach jener Seite hin vorerst mehr Wirkung hervorrief, als ein vereinzeltes Lachen oder ein aufreizendes Hüsteln. Nach und nach jedoch begriffen immer mehrere, wo der Spaß hinaus wollte, und eine muthwillige Laune steckte die ganze Gesellschaft an.
Das großartige Kapital so schloß die Schenkungsanzeige sei der Gesellschaft für
gemeinnützige Unternehmungen im Bezirk Berneck zu völlig freier Verfügung überlassen
worden. Den
„Hoch! Hoch! Steiner hoch!“ riefen Alle, als der Vorleser geendet hatte, und jubelnd wurde auf das Wohl des großmüthigen Heimgekehrten getrunken.„Ja, Leute,“ sprach der Ammann mit erhobenem Glase, „daran erkennen wir, daß unser trefflicher Gemeindegenosse ein echter Schweizer geblieben ist, daß er den Einzelnen nur schätzt nach dem,was er für die Gesammtheit thut.“
„Ganz richtig!“ stimmte der Gemeindeschreiber ein und winkte der Wirthin, daß sie ihm den
zu Hause acht Kinder zur Suppe herbeisehnten, den Schoppen zum dritten Male fülle. „Ganz
richtig! und sehet, ihr Mannen, wenn es jeder,der es vermöchte, so machen wollte wie unser
Steiner, in jeder Gemeinde, durchs ganze Land,dann wäre die soziale Frage mit einem
Schlage gelöst, und die ganze Welt könnte bei uns in die Lehre gehen!“
Bis hieher hatte auch Jakob mitgethan, das heißt, er hatte so viel als möglich den holzfarbenen Schmetterling gespielt, aber so oft es wieder unumgänglich geboten schien, mit angestoßen, genickt und gezwinkert, als freute auch er sich mächtig über die Generosität seines lieben Jugendfreundes.
Allein nun begannen die Reden auf einmal anzüglich zu werden.„Es sei ja nicht so weit bis zum Nächsten, der es auch könnte, wenn er nur wollte.“ spöttelte als erster der Schmied-Uli, der alte Neidhammel,der Schulter an Schulter neben Jakob saß dabei aber unverfänglich nach der entgegengesetzten Seite schaute und dorthinaus redete. Einige fingen sogleich verständnißinnig an zu lachen.Jakob machte sich noch holzfarbiger und stellte sich übelhörig; doch bald flogen Redensarten ohne Ende über den Tisch.
„Da müßte man freilich mit den Fingern auch
„Es sei eben nicht Jeder von Giebenach!“
„Oder von Gebikon!“
„Lieber von Rapsigen!“
„Oder von Jemehrjelieberigen!“
Und auf jeden dieser abgebrauchten Witze wurde das Gelächter allgemeiner. Trotzdem gelang es Jakob immer noch, sich durch angestrengtes Gespräch mit seinem anderen Nebenmanne unbetheiligt zu erhalten. Aber aus der Bank zu entkommen vermochte er nicht; absichtlich hatte man ihn noch solider eingeklemmt.
Da rief ihn irgend jemand aus dem Hintergrunde direkt an: „Was meint denn Ihr dazu,Herr Haberist?“
„Ja der!“ warf alsbald höhnisch ein Anderer ein, ein etwas verkommener Finkengründler, der seit langem in der Stadt als Schneidergeselle arbeitete und in dieser Vormittagsstunde schon merklich zu viel getrunken hatte.
„Bscht! halt du dein Maul, Schneider!“ fielen dem nun doch etliche Bauern ins Wort.
„Ich bin ein freier Schweizer und rede wie ich will!“ schrie der ruppige Kumpan
zurück.
„Was?“ wandte sich der Schneider gegen diese,„lacht Ihr Euch nicht selber den Buckel voll über die Geschichtlein, die Euch sein altes Liebchen, die Käther, erzählt? Und jetzt thut Ihr so?O Jakobli!“ lallte er, „wenn du wissen willst,wie sie von dir reden, wenn du nicht da sitzest,so laß nur einmal von Thür zu Thür fragen,was es von dir heißt! Vom ersten Hause bis nach Berneck hinein wirst du von jedem Kinde den Bescheid hören: daß den reichen Geizhals auf dem Tanner noch der Teufel hole!“
Jetzt wurde der freche Geselle unter wirrem Lärm an die Luft gesetzt. Aber geschehen
blieb geschehen. Alle hatten es gehört, und Jeder freute sich unbändig, wenn auch die
Besseren nicht unterließen, über den unverschämten Lumpen zu schimpfen. Jakob's feiner
Spürnase entging die wahre
Im nächsten Augenblick sah man ihn draußen auf der Straße gehen.
Zu Hause angelangt, warf er, der sonst so ängstlich seine Kleider schonte, die beiden Röcke auf die Fensterbank, als wollte er mit diesen Hüllen auch alles in den Winkel schmeißen, was er darin erlebt hatte, und zog sich sofort in die Schlafstube zurück. Ihm war vollständig übel vor Zorn.So also stand er angeschrieben? Derart hatte die Satanskäther ihn aufgemalt, daß in der Stunde,da das ganze Thal von Stolz und Lob über den einen Reichen aus dem Finkengrunde hallte, eine ganze Wirthsstube voll Gäste mit ihm, dem andern Reichsten, wie mit einem fratzenhaften Gegenbilde den boshaftesten Jux zu treiben sich herausnahmen! Hatte nicht der Bärenwirth selbst und der Ammann, die beide sonst den schuldigen Respekt vor ihm noch nie vergessen, in der Schänke drauhen mit einander über das Vorgefallene gelacht,daß sie sich die Seiten halten mußten? Jakob hatte das beim Verlassen des Hauses just entdeckt,als Fritz Gyger unverhofft jene Thür aufgestoßen.
Meili rief den heimgekehrten Meister zum Mittagessen. Aber er vermochte kaum einen Bissen hinunter zu bringen. Eine unbeschreibliche Verwirrung marterte ihn. Zu den Gedanken, die ihn seit Steiner's Besuch ohnehin umtrieben, wie eine Henne, die nicht weiß, wohin ein Ei legen, nun auch noch dieser Fauststoß von außen! Er mußte ungestört die schreckliche Lage überdenken können;am Besten eingeschlossen, in der oberen Stube.Darum schickte er gleich nach Tische Meili fort,ihre Eltern zu besuchen, und gab den Knechten freien Sonntag; der Bruder David lag zu Bette.
Tiefe Stille herrschte nun im Hause. Droben aber ging Jakob mit erregten Schritten auf und ab, so gut es die vielen Ecken der Möbel zuließen,und starrte auf den Boden. Einmal ums andere strich er sich über den Kopf, wie einer, dem über Nacht Haus und Hof im Blitzstrahl abbrannte.„Jakob Haberist im Tanner das allgemeine Gespött? Sein Traum, sein Ehrgeiz, seine Schwäche waren von je gewesen: um seines Geldes willen sich weit und breit bewundert zu sehen, und nun diese Entdeckung des schmachvollsten Gegentheils! Dieser Ruf im Lande, daß ihn seines Geizes wegen noch der Teufel holen werde!“
Keine lebenswerthe Stunde mehr sah er vor sich, bevor er nicht einen Gegenstreich geführt hätte,der die neidische Welt zwang, beschämt zu erklären,wie schwer sie sich geirrt. Hatte die Küther ihn zum höllenwürdigen Geizhalse gestempelt, so mußte eine unerhörte Widerlegung ihm den Triumph verschaffen, öffentlich im ganzen Kantone das Gegentheil verkündet zu hören. Koste es jetzt, was es wolle.
Er nahm schonend auf dem Sopha Platz, auf dem am vorigen Montag Gottlieb Steiner gesessen hatte. Des Freundes Ideen, die ihm schon die ganze Woche seine Ruhe raubten, begannen für ihn die Bedeutung von Offenbarungen anzunehmen.Den Eindruck jenes Besuches war er keine Stunde mehr losgeworden, er hatte Tag um Tag dem Gehörten nachsinnen müssen; allein ohne Ergebniß. Denn seine Natur wehrte sich mit unerschöpflichen Spitzfindigkeiten gegen die Befolgung solcher freigebiger Theorien. Einmal fühlte er Verpflichtungen gegen die Mitmenschen, wie Steiner sie dozirte, durchaus nicht, und dann blieb ihm, all' der angehörten Weisheit zum Trotz, das Geld im Kasten nach wie vor tausendmal lieber,als der Anblick der segensreichsten Wirkungen, wenn es verschenkt war.
Zu dieser Stunde lag die Sache plötzlich anders.Auf das schreckliche Erlebniß vom Morgen hin war er zu jedem Opfer entschlossen, um seinen heißbegehrten Ruhm zu erzwingen, und so vermochte er seine starren Geldideen endlich doch in die neuen Weiten hinausspazieren zu lassen, von denen des Freundes Hand ihm die Schranken weggezogen hatte.
Eine Stunde später war Jakob nach schwerem Gedankenkampfe überzeugt, daß zur Erreichung seines Zieles nichts anderes übrig bleibe, als das Steiner'sche Rezept einer Schenkung bei Lebzeiten nachzuahmen und zu überbieten. Eine noch erstaunlichere Bombe mußte in die Welt geschleudert werden! eine noch viel erstaunlichere! Das war es! Die stampfte dann mit einem Schlage das schändliche Gerede in Grund und Boden hinein.
Er erhob sich vom Sopha, blieb aber wieder stehen. Der Aerger, die Kränkung zerfraßen
seine Seele noch immer derart, daß er sich die Rache,den vernichtenden Schlag ins Gesicht
der frechen Lacher gar nicht grell genug vorstellen konnte, der Lacher, und der Erfinder
jener abscheulichen Redensart, an die er gar nicht mehr denken durfte,wenn er nicht wieder
um alle ruhige Überlegung
Geld, Hypotheken-Guthaben, zinstragende Liegenschaften und den Hof zusammengerechnet, stand er noch um eine Kleinigkeit reicher da als Steiner.David, der einzige, auf den er Bedacht zu nehmen hatte, war am Auslöschen, und für sich allein brauchte er wenig. Des Könnens wegen, hehe,vermochte er also, wenn es ihm nur beliebte, den Steiner noch gut zu übertrumpfen!
Und da er einmal den ungeheuern Gedanken zu fassen vermochte, Geld auszugeben, so erwachte,so spät es war, auch in ihm noch der phantastische Geist der Finkengründler.
Er stellte eine bestimmte Summe auf und begann mit dieser seine Luftschlösser zu bauen.Steiner hatte eine halbe Million gegeben, der
Mehrbetrag seiner eigenen Schenkung mußte also mindestens weitere Fünfzigtausend aufweisen. Doch nach einigem Besinnen kam es ihm vor, das sei als Zahl nicht rund, nicht überwältigend genug.Er blieb einige Zeit vor der Wanduhr stehen, die noch immer halb zwei Uhr zeigte, und rechnete.Dann sagte er: sechsmalhunderttausend.
Damit war ein unabsehbarer Spielraum zum Ausgestalten seines Triumphes geschaffen. Er verließ die Oberstube erst, als er die heimkehrenden Dienstboten nach dem Meister fragen hörte, und seine Stimmung war jetzt so verwandelt,daß, wenn ihm einer der Hallunken von heute Morgen begegnet wäre, er ihn mit überlegener Verachtung betrachtet haben würde.
Von da ab gewannen die Phantasieen von Tag zu Tag bestimmtere Umrisse. Als Art der
Stiftung konnte für Haberist von vornherein nur eine solche in Frage kommen, die eine
laute und andauernde Lobpreisung seiner Munificenz darstellte. Bis zum April war er soweit
im Klaren, daß es ein Bau werden mußte. Der konnte glücklicher Einfall! auf den Finkenbühl
gestellt werden, gerade dort unten hin, wo er ihn, so lange er lebte, jede Stunde vor
Augen behielt. Irgend ein Anstalts
Eines Tages fiel Jakob ein Ausspruch des Gemeindeammannes wieder ein, den dieser vor mehreren Jahren einmal in einer Schulsitzung gethan hatte, und damit war die Ungewißheit über die
Bestimmung des Gebäudes zu Ende. „Derjenige könnte Herrgott im Bezirke heißen,“ hatte der Ammann gesagt, „der es bei der Regierung zu Stande brächte, daß einmal eine Erziehungsanstalt für die vielen begabten Kinder der armen Landbevölkerung im Umkreise gegründet würde.“
Also damit konnte Jakob mitten ins Ziel treffen! Und „Herrgott im Bezirk!“ Wie ihm das nur nicht gleich eingefallen war!
Inzwischen brachte die Zeitung unaufhörlich Notizen über die Art und Weise, wie die
Berneck er das Steiner'sche Kapital verwendeten, und Jakob fraß diese Nachrichten förmlich
in sich hinein. Er erfuhr, daß die längst nöthig gewesene Vergrößerung des städtischen
Krankenhauses jetzt vorgenommen werden könne; dann, daß eine herrliche Hochalp in
Unterwalden auf vorläufig fünfzehn Jahre gepachtet worden sei und dort eine Sommerstation
für erholungsbedürftige Kinder erstehe.Die Schulbibliothek durfte auf die doppelte, die
Volksbibliothek auf die vierfache Bändezahl bereichert werden. Und nie fehlte am Schluß
dieser Berichte ein neues Wort des Dankes und der allgemeinen Verehrung für den Geber, was
Haberist am meisten dran aufregte und zur möglichst
Mitten im emsigen Ausgestalten der einzelnen Bestimmungen wurde Jakob durch David's Tod überrascht. Der arme Bruder, der vom Leben so lange nur die Mühen gekannt, nur schinden
Siegfried, Gritli-Wohlthäter. 12
Käther benützte das Begräbniß, um ungefährdet wieder einmal auf dem Tanner herumzuschnuppern und hinterher ein paar neue Bosheiten auszustreuen, Meili aber, die sich vom Mitleid mit dem pflegebedürftigen Meistersbruder hatte bewegen lassen, solange zu schweigen, eröffnete Jakob jetzt: daß sie und der Hans seit Lichtmeß einig seien, und daß ein alter, gebrechlich gewordener Vetter ihnen inzwischen angetragen habe, sein Anwesen zu führen. Meister Haberist möge sie also beide auf Jakobi in Frieden ziehen lassen.„Ein schöner Dreck mitten in der Milchl“ dachte Haberist. So waren die Zweie also miteinander bereits im Reinen gewesen, als er selber noch an Meili gedacht, und alle seine peinlichen Ueberwindungsnöthe hatte er ganz umsonst durchgefochten!
Indessen ließ er mit keinem Blick seinen Aerger sehen, noch sagte er dem Mädchen ein
gereiztes Wort. Seine Gewohnheit war, vorn sachte zu
Aber je länger er die bevorstehende Veränderung überdachte, desto verwünschter sah er sich in der Tinte, und wie viele „Himmel! Himmell“ ihm hinter der geschlossenen Thüre entfuhren, wußten nur die Wände.
Den Hof allein zu führen, wenn Hans und Meili gingen, ganz einsam im Hause sitzen zu bleiben und mit so und so vielen neuen Gesichtern, die ihm in alle Winkel schielten, von vorn anzufangen, das nein das lud er sich nicht mehr aufl Nach einigen gestörten Nächten wußte er andern Rath. Er wollte lieber den Hof verpachten, eine Weile zusehen, wie es ging, und wenn es sich nach Wunsch machte, ihn verkaufen. Dann würde er in die Anstalt hinunterziehen und dort inmitten der Bewohlthateten ein hochgeehrtes Dasein führen, als Stifter, Erbauer, Geldzahler,Ehrengast, Respektsperson, ja als oberster Wille und sozusagen Regent.
Unter diesem neuen Gesichtspunkte zog er alle ausgeheckten Paragraphen in bbermoalige
Eine wahre Wonne bereitete Jakob das Ersinnen besonderer Strafen für die verschiedenen
denkbaren Vergehen der Zöglinge. Vom bloßen Verweis, Nasenstüber, einfachen Klaps, oder
Streich mit dem Lineal auf die Finger, bis zu den verschärftesten Züchtigungen,
Peinigungen, combinirten
Je mehr sich sodann Jakob beim Lesen der immer noch fortdauernden Zeitungsmeldungen aus Berneck über das freie Schalten und Walten der dortigen Herren mit der halben Million aufregte, desto ängstlicher wurde er darauf bedacht,in seinem Falle die Verwendung des Geldes bis ins Kleinste peinlich genau vorherzubestimmen.Er machte deshalb zu den ohnehin schon endlos ausgeklügelten Finanzvorschriften immer noch neue Zusätze, bis schließlich auf vielen Kanzleibogen, wie er sie sonst für seine gemeindlichen Schriftstücke benützte, eine umfangreiche Stiftungsurkunde zusammengeschrieben lag. Da hetzte ihn ein letzter Zeitungsartikel, seine Bombe zu werfen.
In diesem Aufsatze erschien übersichtlich zusammengestellt, was nunmehr Alles durch die
Hochherzigkeit Gottlieb Steiner's hatte geschaffen werden können, und das Gesammte wurde
ein unvergängliches Denkmal edeln Bürgersinnes ge
Das ließ Jakob nicht mehr ruhen.
Zwei Tage danach, am Freitag, lief beim Vorstand der Gesellschaft für gemeinnützige Zwecke ein vielfach versiegeltes Schreiben ein, in welchem
Herr Jakob Haberist auf dem „Tanner“ im Finkengrunde die Schenkung des so und so großen Grundstückes Finkenbühl anzeigte, Erbauung und Betrieb einer in den wesentlichsten Zügen beschriebenen Erziehungsanstalt auf ebendiesem Grundstücke wünschte, und zu diesem Zweck ein Kapital von rund sechsmalhunderttausend Franken zur Verfügung stellte.
Wer sich beglückter die Hände rieb, ob der Stadtpräsident von Berneck, der jene schönen Schlußworte über die Steiner'sche Stiftung in die Zeitung geschrieben hatte und nun seine Hoffnung so uüberraschend schnell und großartig erfüllt sah, oder Jakob, als er am Samstag Morgen urbi et orbi die ungeheure Neuigkeit verkündigt erblickte, war schwer zu sagen. Endlich, endlich schwarz auf weiß jene erträumten Worte seinem Namen zuerkannt: hochsinnig! menschenfreundlich! ja,nun stand sogar da: „splendid!“
Den ganzen Samstag ging er herum, als wäre Feiertag, und ließ das Tagblatt auf allen
Tischen liegen, in der Hoffnung, Hans oder Meili würden hineinsehen. Aber die hatten, da
Haberist nirgends mit angriff, heute keine Zeit dazu, und ins Dorf hinab kam zufällig auch
Keines, die Kunde
Mit warmer Maienpracht ging der Sonntagmorgen über dem Thälchen auf. Von den waldigen
Bergrücken im Osten fielen tiefe, köstliche Schatten in die thauigen Halden herab und auf
die friedlichen Höfe, von denen silberner Herdrauch still in die klare Luft emporstieg,
die weite, feiertägliche Geruhsamkeit anmuthig belebend. Jakob saß auf der Bank vor dem
Hause unter den aufgrünenden Nußbäumen, als die Kirchenglocken fernherüber zu klingen
begannen, und etwas wie Beschaulichkeit, wenigstens auf seine Weise, wollte bei ihm
einkehren, während er seine Augen so um
Der Hund unterbrach mit Knurren und Bellen die Visionen seines Herrn. Von unten tönten Schritte. Jakob reckte sich und spähte aus seinem Baumschatten auf die sonnige Straße hinab.Herren, zwei, drei, fünf, sechs, bogen eben in seinen Fahrweg ein und stiegen gegen das Haus heran.Jakob fuhr ein freudiger Schreck durch den Leib.Den Hintersten hatte er erkannt: es war der Stadtpräsident von Berneck, der auch den ersten Posten bei der beschenkten Gesellschaft bekleidete. Also wohl eine Danksagungs-Deputation?
„Still, Barryl Kusch! Hans, sperr' mir den Hund in die Scheune!“
Eine Viertelstunde später tagte im Tanner eine Sitzung, wie der Hof etwas so Ehrenvolles noch nicht gesehen. In den gleichen alten Wänden,die jahrzehntelang nur die schmutzigen Würgereien und Ränke ausgepichter Geizhälse mitangehört hatten, eine feierliche Dankerstattung, dargebracht von einer ansehnlichen Gruppe ernsthafter und festtäglich gekleideter Männer, das war ein Vorgang,von dem Jakob mit gierigen Augen und Ohren jede Minute, jede Sekunde berauscht genoß, den aber die horchenden Dienstboten vor den offenen Fenstern draußen noch kaum dem Sinne nach zu fassen vermochten. Hörten sie mit gesundem Verstande? War ihr Meister ein Narr geworden, oder wurden diese sechs Herren zum Narren gehalten? Viele Hunderttausende hatten also die Geschwister Haberist besessen und sich dabei zu Gerippen geschunden? Und diese Reichthümer verschenkte der Jakob jetzt?“
Nachdem verschiedene Reden gehalten worden
Bei Jakob aber trat plötzlich ein seltsamer Rückschlag ein. Mitten in der höchsten
Genugthuung packte ihn eine Angst, als habe er in schlafwandelndem Zustand etwas
verheißen,wofür ihn diese schwarzen Männer da zu dieser Stunde und an diesem Tische nun
beim Worte nähmen, das aber von so ungeheuern Folgen sei,daß er sie gar nicht zu tragen
vermöge. Der Anstaltspalast, den er noch eben vorhin in der
Aber das diskrete Abbrechen der Kommissionsherren und ihre respektvoll abwartende
Haltung,als sie ihn mit der näheren Auskunft so zurückhalten sahen, gaben ihm nach und
nach seine Sicherheit wieder zurück. Er ging neuerdings um den Tisch, die Gläser voll zu
schenken, und über dem vielen Bescheidtrinken machte sich sachte die Wirkung des
ungewohnten vormittäglichen Weingenusses bei ihm bemerkbar. Seine Stimmung schlug wieder
zum Guten um, und er begehrte die Wonnen der denkwürdigen Gelegenheit nunmehr bis zum
Grunde auszukosten. Also begann er auf einmal
„Hehe, eigentlich wäre hier schon für meinen Mittagstisch gesorgt,“ versuchte der Ueberraschte entgegenzuhalten und kratzte sich verdutzt hinterm Ohr. Aber der Präsident ließ dies nicht als Grund zu einer Absage gelten, sondern bat, von den übrigen Herren verbindlich unterstützt, entschieden um die Ehre, und so schritt Meister Haberist,nachdem er seinen besten Rock hervorgesucht und über den Arm gelegt hatte, halb beglückt, halb widerwillig, bald in der stattlichen Eskorte der Stadtherren von seinem Hofe nieder.
Wenn er nur gewußt hätte, wie das mit diesem Mittagessen im Bären zu verstehen sei?Aber
die Herren ließen ihm keine Zeit zum Grübeln.Der Finkenbühl, den man betrat, erweckte als
Bauplatz Bewunderung, und Jakob's Idee einer erweiterten Hufeisenform für das Gebäude
wurde vortrefflich befunden. Das that ihm so wohl, und nicht weniger das respektvolle
Fragen nach den übrigen Grundstücken und Lehengütchen, die zum Tanner gehörten, daß er
trotz aller vorsichtigen Hintergedanken den Bitten nicht widerstand, die
Je mehr man sich indessen der Thalmitte und der Essenszeit näherte, desto stärker kam in dem güterreichen Herrn Ehrengast das Mißbehagen über die unklare Situation wieder obenauf. Und als man aus dem letzten Feldwege auf die Landstraße hinaustrat, von wo es direkt dem Wirthshause zuging, da hielt es ihn nicht länger. Er blieb mit demjenigen der Herren, der ihm am längsten bekannt und am wenigsten einschüchternd war, etwas zurück, nahm ihn am Aermel und fragte lispelnd: „Nicht wahr, Herr Vorstand, hehe, was jetzt kommt, geht aber nicht aus dem geschenkten Geld?“ Der Gefragte sah ihn groß an,dann gab er ihm lachend die heilige Versicherung,daß davon gar nie die Frage gewesen sei, worauf Jakob, wie verwandelt, an der Spitze des hungrigen Trüppleins tapfer dem Gastmahle zusteuerte.
„Saure Wochen, frohe Feste“ diesmal ging es umgekehrt. Denn die Sitzungen, die auf diesen
Sonntag hin fast Tag um Tag in Berneck sich folgten, brachten dem phantasievollen
Paragraphenmanne ebensoviele kalte Güsse, als sie für die Kommissionsherren zu harten
Geduldsproben wurden. Der glorreiche Stifter, im Wahne, nun ebenso glorreich befehlen zu
können,und von kindischer Ungeduld verzehrt, seinen Ruhm in Stein erstehen zu sehen,
stellte unsinnige Forderungen. Ohne Säumen wollte er auf dem Finkenbühl die Erdarbeiten
beginnen lassen,wenngleich zu den Fundamenten noch kein Strich gezeichnet war. Weil er
selber seinen Palast fertig im Kopfe trug, glaubte er, könnten die Herren auch die Pläne
dazu über Nacht beschaffen. Unter allen Umständen aber beharrte er auf der Bedingung, daß
der Rohbau in diesem Sommer noch erstehen und im Herbste der Tannenbaum auf dem Dachstuhl
prangen müsse. Die Herren beriethen sich mit dem Stadtarchitekten, ob das denkbar sei.
Wenn man sich schnell auf einen der Entwürfe einige, zu denen innerhalb einer
Sache eingefädelt. Denn über die Bedingungen,unter denen die ganze Stiftung von den Bernecker Herren überhaupt erst angetreten und der Betrieb der Anstalt übernommen werden konnte,gelang es in dieser Zeit um keinen Schritt weiter zu kommen. Mit der größten Zuvorkommenheit hatten die Herren alles geprüft, was an Wünschen und Weisungen in Haberist's Urkunde stand, jedoch alsbald gesehen, daß das lauter unbrauchbares Tüpfelwerk sei. Noch ließen sie sich indessen selbst von mancherlei offenkundigen Schäbigkeiten und Bosheiten darin nicht verstimmen; die Schenkung als Ganzes schien ihnen gleichwohl hohen Respekt zu verdienen, und ein bischen Narrheit war man ja in allem gewohnt, was dieser Finkengründler Herrenbauer that.
Der Präsident eröffnete also in höflicher Form dem verehrten Herrn Stifter, daß seine
Aufzeichnungen leider zur Grundlage der künftigen Hausgesetze nicht dienen könnten, und
daß eine persönliche Mitdirektion, wie sie in den vorliegenden Akten gewünscht werde,
schon grundsätzlich unzulässig sei. Vielmehr müsse, bevor die Gesellschaft sich zur
Uebernahme eines Institutes dieser Art bereit erklären könne, Alles klar, und zwar aus
Aber damit kam man bei Jakob schön an.„So? Er gründete die Anstalt, er bezahlte sie aus seinem Gelde, er sicherte den Betrieb, dann dachte man ihm das Weitere hübsch aus den Händen zu winden, und er durfte zuschauen, wie es Andern in seiner Schöpfung zu schalten beliebte? Er sollte wohl gar noch mitgehorchen,wenn er hinein zöge? Jawohll hehe!“
Also unternahm er mit seiner ganzen Schlauheit, und vorerst auch noch mit seiner
bescheidenen Glätte, die Vertheidigung seiner Forderungen.Hartnäckig wich er um keines
Haares Breite von den wesentlichsten Paragraphen zurück, versuchte bloß durch andere
Fassung von Nebensachen den Schein der Nachgiebigkeit zu erwecken und ließ die Herren
stundenlang Zeit verlieren. Vergeblich suchten sie ihm klar zu machen, wie sehr er
Doch der Stadtpräsident flickte die Sache wieder.Ein lebenskluger, überschauender Kopf,
voll echten Wohlwollens, das ihn jedes Ding erst von allen Seiten betrachten ließ, ehe er
es verwarf, überdies durch seine mannigfachen öffentlichen Geschäfte gewohnt, mit allerlei
seltsamen Käuzen fertig zu werden, mahnte er seine erbosten Kollegen an das schöne Wort
Gottfried Keller's: daß doch jedes Unwesen noch mit einem goldenen Bändchen an die
Menschlichkeit gebunden sei. So auch hier. Und wenn sie diesem Haberist selber nichts
Besseres mehr
Aber nun kam auch Meister Jakob vollständig verwandelt zurück. Die Angst vor der
entsetzlichen Schmach, mit seiner Anstalt heimgeschickt zu werden, hatte ihn in diesen
Tagen der Ungewißheit bis zur Unterwürfigkeit mürbe gemacht. Noch ehe der Präsident ihm
die beschlossene Bedingung mittheilte: daß die Kommission nunmehr volle Freiheit verlange,
die Statuten nach ihrer eigenen Erfahrung aufzustellen, bat er selber darum. Das
Gewünschte geschah, und Jakob erwies sich in der Genehmigung des Ganzen jetzt ebenso
gefügig,wie er zuvor in jedem einzelnen Punkte halsstarrig geblieben war. Heilfroh, daß
die Sache
Namhaftes zu verdienen war, und da der Bauführer überdies noch eine Baracke aufschlagen
ließ,so fiel bei einer großen Zahl selbst die Miethe für Schlafstellen weg, auf die zum
mindesten die Leute im Dorfe gerechnet hatten.Angesichts dieser Umstände beschlossen jene
Gemeindegenossen, die im Falle waren, Fuhrdienste zu übernehmen, dem Haberist den Tribut
auf eine andere Art abzuknöpfen, und schlugen in mannhafter Einigkeit das, was ihnen
anderswo entging, bei ihren Fuhrlöhnen drauf. Denn diese Arbeit wußten sie sich gesichert.
Haberist durfte nicht wagen, auch hiezu Hülfe von auswärts zu holen. Darum so und so viel
für den Tag, und so und so manches Mal fuhren sie! Davon ließ Keiner einen Batzen ab.
Jakob versuchte in eigener Person, jedem Einzelnen vorzustellen, daß diese Ansätze nicht
annehmbar seien. Aber er sprach zu unerbittlichen Verschworenen. „Das füngt gut anl!“
rechnete er sich aus. „Fuhren braucht man vom ersten bis zum letzten Tage, und jede Fuhre
so und so viel zu theuer!“ Er bestürmte den Bauführer, daß dieser mit seiner
fachmännischen Autorität die Uebervortheilung unterdrücke.„Erlauben Sie, daß ich die Kerle
sammt und
So fing es an, so ging es weiter. Wie mit den Fuhrlöhnen, so mit dem Sand, mit dem Kalk.Die Gemeinde besaß die Gruben und wollte von dem Bau auch das Ihrige profitiren. „Gottlob,“seufzte Jakob, „daß wenigstens nur die Bernecker Ziegel brennen!“ Denn diese berücksichtigten in nobler Weise das gute Werk, während die Finkengründler bei Allem nur den reichen Haberist im Auge behielten.
Von dem Zeitpunkt an, da sich die Fundamentmauern über den Erdboden erhoben, begannen an
jedem Sonntage Landleute und Spaziergänger aus der Stadt in Menge sich auf dem Finkenbühl
einzufinden und das Entstehen des merkwürdigen Gebäudes zu verfolgen. Von den Plänen
erzählte man sich unglaubliche Dinge. Kam der Stifter selber an solch einem Sonntag gegen
Abend ins Wirthshaus, wo jetzt stets Stuben und Laube,
Allein ganz so verhielt es sich doch nicht. Vielmehr wartete Jeder am Orte mißtrauisch
das Ende des unerhörten Abenteuers ab. Jahrzehnte lang hatte man sozusagen den Geizteufel
in Person auf dem Giebel des Tanners thronen und seinen Schwanz über das Dach herabhängen
sehen,und nun sollte man an eine plötzliche Sinneswandlung Jakob's glauben? Der Kuckuck
mochte wissen, was dahinter steckte, und ob nicht zum Schluß irgend ein schlauer Haken
hervorschauen würde. Vorschnell ist ohnehin nicht Bauernart;die Finkengründler vollends
hielten aufs Schweigen, bis jegliche Sache ihre Zeit erlebte. Daß dessenungeachtet der
Eine und Andere sich bereits heimlich beeilt hatte, eines oder gar zwei seiner Kinder bei
den Herren in Berneck zur Aufnahme in die zukünftige Erziehungsanstalt vormerken zu
lassen, davon sagten sie freilich auch nichts.
Auf diese Weise stand dem Bauherrn fortan sein ganzer Tag zur Verfügung. Denn auch seine Aemtchen hatte Jakob, sobald er die Bewilligung der Gemeinde zum Bauen in den Händen gehalten, unter dem Vorwande niedergelegt, für die nächste Zeit allzusehr in Anspruch genommen zu sein.
Von früh bis spät stöberte er jetzt zwischen den wachsenden Mauern herum, guckte jedem
Mörtelbuben in seinen Rückenkübel, ob er auch genug aufgeladen habe, steckte die Nase
überall hinzu,wo abgeladene Ziegel gezählt wurden, und kam kaum zu Athem, wenn mehrere
Fuhren gleichzeitig anlangten. Er gerieth außer sich, wenn trotz aller
Man berieth hin und her. Ließ man Haberist so draufloswirthschaften, so gab das zuletzt
eine Abrechnung, welche die vereinbarte Bausumme weit überstieg und zu bedenklichen neuen
Streitigkeiten führen konnte. Andererseits sah man ein,wie tief das Dreinreden diesem
seltsamen Bauherrn nun einmal Bedürfniß sei, und wie das Gewährenlassen das einzige Mittel
bilde, ihn dauernd gutgestimmt und opferwillig zu erhalten. Das aber schien für alle Fälle
rathsam. Denn Angesichts der Größe, die die Anstalt bekam, erschien die Schenkung nur
gerade eben ausreichend. Viermalhunderttausend blieben als Betriebskapital am Zins stehen,
mit dem Rest mußten Gebäude und Einrichtung bestritten werden. Außerdem gab der Architekt
zu, daß Haberist's Anordnungen nie etwas Wesentliches am Bauplane veränderten, sondern
lediglich Nebensachen, vermeintliche Verschönerungen und dergleichen, beträfen. Und so
beschloß man, den Stifter ausdrücklich auf die Tragweite seines vielen Eingreifens
aufmerksam zu machen,
200 dann aber, wenn er trotzdem fortfahre, ihn seine Schrullen eben bezahlen zu lassen.
Man bat ihn zu einer besondern Zusammenkunft, damit diese Warnung seinem Gedächtnisse
möglichst eindrücklich bleibe, und setzte ihm in freundlicher Weise auseinander, wie alle
Abänderungen, so glücklich sie auch sein mögen, einen Bau immer um wesentliche Posten
vertheuern. Er müsse sich daher, wenn er auf seinen nachträglichen Wünschen bestehe, auf
nachzuleistende Beträge gefaßt machen, deren Höhe die Kommission im Voraus gar nicht
angeben könne, für die sie sich aber hiemit rechtzeitig jeder Verantwortung entschlage.
Allein Jakob hielt seine Einfälle für so bedeutende Verbesserungen, und im Kostenpunkt im
Gegentheil für viel günstiger als die ersten Entwürfe, bestand so fest darauf,daß man ihm
doch wenigstens im äußeren Ausgestalten einigermaßen seinen eigenen Geschmack zu haben
erlaube, nachdem er das Innere der Anstalt gänzlich den Ansprüchen der Herren gemäß machen
lasse, daß diese fühlten, ohne ernste Unannehmlichkeiten sei ihm nicht beizukommen.Sie
ertheilten also dem Architekten, und dieser dem Bauführer die Weisung, Herrn Haberist's
Wünsche in Gottes Namen auszuführen, soweit
Mit hoher Befriedigung fühlte Jakob das viel bereitwilligere Entgegenkommen des Personals bald heraus und führte es auf einen gebührenden Rüffel zurück, den die dünkelhaften Techniker ohne Zweifel nach jener Sitzung von oben erhalten hätten.Er machte deßhalb mit diesen Leuten hinfür wenig Umstände, verfügte heute dies, morgen das und lernte dabei ordentlich die Befehlsmanier des Architekten selber. Die Chicanirten gönnten sich die allervortrefflichste Rache. Sie führten ohne Einwand aus, was immer Haberist anordnen mochte, und freuten sich diebisch auf sein Gesicht,wenn es einst ans Bezahlen aller dieser kostspieligen Tändeleien gehen würde. Er ruhte natürlich nicht, bis er den drei auf dem Plane stehenden Thürmchen seine übrigen vier glücklich wieder beigesellt hatte, und meinte diese Bereicherung leicht dadurch auszugleichen, daß er die Kamine und Abzugrohre im ganzen Bau für viel zu großartig erklärte und enger und billiger zu halten vorschlug. Die Gewissenhaftigkeit der Bauleute verbot glücklicherweise die Befolgung dieses Ansinnens, aber die Thürmchen wurden angeflickt.
Viere prangten nun an den Ecken des Gebäudes,eines in der Mitte, und zwei an den äußeren
Winkeln, hinten nach dem Tanner zu. In dieser Willfährigkeit hielt das Personal aus bis
zum Tage des Aufrichtfestes, das in der That noch im Oktober stattfinden konnte. Denn
sobald die Anlage so weit gediehen gewesen war, daß auf vielen Punkten gleichzeitig
gemauert werden konnte, hatte der Architekt ganze Schaaren Italiener nachrücken lassen. Es
hatte gewimmelt wie in einem Ameisenhaufen, ein außerordentlich günstiger Sommer war zu
Hülfe gekommen, und die Besucher konnten nicht genug staunen, mit welchen Riesenschritten
es vorwärts ging. Zuletzt war das gewaltige Balkengewirr des Dachstuhles in fünf Tagen
über das ganze Gebäude aufgestellt worden, und an einem Samstag, wie üblich, setzte man
den buntbebänderten Tannenbaum auf den Firstbalken.Von dem Haufen bunter Taschentücher,
die das Bureau des Bauführers in der Baracke am Morgen einem Schnittwaarenmagazin ähnlich
gemacht hatten, flatterten so viele an den Aesten droben,als irgend anzubringen gewesen
waren, ganz zuoberst die seidenen Staatstücher, die die Paliere beanspruchen durften,
weißgründig, mit den
Gegen Abend fand die Feier statt, bei schönster Herbstsonne, die schräg hereinstrahlend, den mächtigen rothen Ziegelpalast wie Feuer erglühen und das neue Gebälk in Gold- und Silberschein flimmern ließ. Eine beträchtliche Menschenmenge umstand den Platz. Der Zimmermeister sprach den hergebrachten Spruch, ließ wie üblich den Bauherrn leben und nannte ihn mit weithinschallender Stimme zu wiederholten Malen einen edeln Mann.Leider hatte Haberist seine Augen gesenkt, um diese himmlische Seligkeit über sich ergehen zu lassen,und dabei versäumt, sich zu überzeugen, ob in das nachfolgende Hochgeschrei nun endlich auch seine Finkengründler mit eingestimmt hätten. Aber
Siegfried, Gritli-Wohlthäter. 14
Die eingelaufenen Abrechnungen für den Rohbau enthielten nämlich solche erschreckende
Mehrbeträge, daß die Kommission diese saure Angelegenheit dem Stifter nur tröpfchenweise,
mit aller Vorsicht und Geschicklichkeit, in den nächsten Wochen hatte beibringen wollen.
Jeßtzt ertrotzte er die Eröffnung auf einen Schlag. Ja noch mehr: es mußte ihm zugleich
gesagt werden, daß nach der unheimlichen Logik der Bauwissenschaft, von der er keine
Ahnung gehabt, eben dieser, durch sein
„Was?“ fuhr da Haberist auf, „ein siebentes Hunderttausend?“ Er verlangte die einzelnen Kosten zu wissen, an denen seine simpeln Wünsche schuld sein sollten. Man bewies ihm, daß der einzige Meter, um den er den Hauptthurm weiter hatte heraustreten lassen, als auf dem Plane stand,auf die große Höhe allein so und so viele tausend Franken mehr ausmache, bewies ihm hier, bewies ihm dort ein paar Tausend mehr und zeigte, wie solches scheinbar Vereinzelte, von allen Ecken und Enden zusammenlaufend, am Ende ungeheure Summen ausmache.
Käsebleich hatte Jakob die Zahlen verfolgt und ihre Unanfechtbarkeit begriffen. Ihn
rührte beinahe der Schlag.Und derlei Bauerei ins Blaue trieb man, ohne ihn nur zu fragen,
ob er es bezahle? Das Personal mußte in das obere Festzimmer zusammenberufen werden. Den
ersten Bauführer
Der Architekt machte sich zum Vertreter seiner Leute und zwang Haberist, endlich zu glauben,daß ein Bau keine Gelegenheit zum Bethätigen von allerlei Liebhabereien darbiete, sondern, einmal in Ausführung begriffen, einem bergab gelassenen Wagen gleiche, den keine Hand mehr aufhalten könne, bis er zum Ziele sei. Die Angeschuldigten ihrerseits brachten ihre Klagen nun vor den versammelten Kommissionsherren auch in ungescheuter Deutlichkeit vor und vertheidigten sich mit allem Vorsprung der Fachleute, deren Argumenten der Laie nicht beikommt. Haberist saß schließlich da wie versteinert und wußte kein Wort mehr zu erwidern.
Und nun nahmen die Herren die Gelegenheit klüglich wahr, aus dieser verwirrten und für
ihn
Jakob hielt die Herren, als sie ihm auch noch damit kamen, kurzerhand für Narren. Und da er sie fest bleiben sah, fing er an, in Ausdrücken zu ihnen zu reden, daß endlich auch sie in Harnisch geriethen, die Dinge sich bösartig zuspitzten und ein ungeheurer Skandal den Abend zubeschließen drohte.
Eine wirre, wüste Stunde folgte, in der man nur mit Mühe, was vorging, den unberufenen Ohren draußen noch weiter entzog. Dann aber stellte das Ergebniß einen vollkommenen Sieg des hellen und im richtigen Augenblicke zupackenden Bürgerverstandes über die enge Bauernschlauheit dar.
Meister Haberist bewilligte insgesammt und endgültig achtmalhunderttausend Franken. Des Schweigens der beleidigten Angestellten versicherte er sich durch reiche Zulagen zum Geschenke des Richtfestes und ließ sie erst nach förmlichem Gelöbniß wieder zu den Andern hinaus. Auf die persönliche Ueberwachung des Baues leistete er auf Verlangen des Architekten von Stund' ab Verzicht; denn einzig so, erklärte dieser, könne er volle Verantwortlichkeit für seine Leute übernehmen. Dagegen werde er in Zukunft an jedem Samstag selber Herrn Haberist zu einer Inspektion begleiten.
Spät in der Nacht, als der Held des Festes längst den Heimweg genommen hatte, saßen die
Herren noch immer im Bären beisammen und besprachen den glücklichen Ausgang des
überstandenen Straußes. Wegen etwelcher Schalkheit, die mit
Nicht ebenso schnell dagegen fand Meister Haberist seine Ruhe.
Wie ein Zerprügelter war er um zehn Uhr die Halde hinauf nach seinem Tanner gewankt; als
es zwei Uhr früh schlug, saß er noch immer im Bette wach. Der Herbstwind brauste um die
Fenster, in Jakob's Kopfe brummten durcheinander Schmerzen vom Weingenuß, Wuth und
Entsetzen. Während er die Stirn in beiden Händen hielt, kam es ihm auf Augenblicke vor,er
müsse geschlafen haben, erwache soeben und habe das Schreckliche nur geträumt. Aber dann
Er legte sich ein neues Mal hin. Aber dann war es viel schlimmer. Achtmalhunderttausend,achtmalhunderttausend, die Zahlen wurden im Liegen viel zu rund. Bunte Bänder und die seidenen Tücher mit den zweiundzwanzig Wäppchen flirrten heftig vor seinen geschlossenen Augen,Hochrufe schienen ihm von überall aus der Stube entgegenzugellen, wo Kopf an Kopf die Menge der Neugierigen sich bis an sein Bett drängte und Alle mit hochgereckten Köpfen und offenen Mäulern einer Rede zuhorchten, die er doch nicht verstand.Dann schob sich plötzlich durch das nebelhafte,festliche Gequirl und Getön das bitterernste Gesicht des Bernecker Stadtpräsidenten, hinter ihm die schrecklichen, rothen Köpfe der Bauführer und Paliere, und alle schrieen auf ihn ein, und gesprochen und geschrieben war überall die Zahl:achtmalhunderttausend, achtmalhunderttausend.
Stöhnend machte sich Jakob klar, daß diese Riesensumme kein Traumgebilde sei, sondern
unwiderruflich für seine Finkenbühlstiftung gelte.Gott mochte wissen, wie er in dem
heillosen
Andern Morgens saß er wohl eine Stunde vor seinem Frühstück und berührte es kaum.Nebenan in der Schlafstube stöckelte die Haushälterin mit ihrem Holzbein umher, schüttelte das Bett. verwundert, daß der Meister heute so spät aufgestanden, und schwatzte aus dem Fenster mit den Pächtersleuten, wie groß doch gestern die Menge der Menschen, und wie schön des Zimmermanns Spruch gewesen sei. Jakob sah und hörte von Allem nichts. Auf seiner langen Nase und seinen übernächtigen Augen lag echter Weltschmerz.
Wohin war er nun gekommen? Er fuhr sich über die grauen Haare hin und her und starrte
So war es, wenn Jakob sich Alles zurückrief,mit Enttäuschungen weitergegangen bis zu dem
schrecklichen gestrigen Abend. Nicht einmal an der Verwunderung Steiner's hatte er sich
weiden können,wie er sicher gerechnet; denn der Freund und überbotene Rivale war nach der
Frühlingskur seiner Frau gar nicht nach Berneck zurückgekehrt, sondern gleich zum
Sommeraufenthalte fortgeblieben. Er hatte Jakob nur vorläufig schriftlich seine hohe
Freude über die prachtvolle Ueberraschung aus
Ganz elend wurde es Jakob über dieser Rückschau. Er ließ die halbausgetrunkene Tasse stehen und ging ins Freie, jedoch hinten hinaus, wo ihn niemand sah. So schlecht hatte ihm das Frühstück in seinem Leben nicht geschmeckt.
Und es schmeckte ihm auch am folgenden Morgen nicht viel besser. Denn was sollte er mit seinem Montag anfangen, da er plötzlich nicht mehr auf den Bau hinuntergehen durfte? Bei der Haushälterin war schlau vorgebaut worden, indem er ihr gleich gestern seinen Entschluß eröffnet hatte, sich von morgen ab den Aerger nicht mehr anzuthun, den ein umsichtiger Mann bei den Arbeitsleuten von heutzutage auf einem Bauplatze erlebe. Diejenigen sollten ihm jetzt verantwortlich sein, die er dafür bezahle. Ihm sei seine Ruhe zu lieb.
Aber konnte er seine Gedanken verhindern,gleichwohl auf dem Bühl drunten umherzuirren?Bald stand er hinter einem Dahlienbusch, die Uhr in der Hand und kontrollirte, ob die Frühstückspause nicht zu lange daure, bald suchte er von verschiedenen Punkten aus zu zählen, wie viele Fuhren Dachziegel und Schindeln dort standen.
Denn heute wurden die Latten auf den Dachstuhl genagelt und morgen fing man an zu decken.Aber es war nicht möglich, irgend etwas Genaues festzustellen, und als Jakob dies ohnmächtige Späheramt eine Stunde lang betrieben hatte, setzte er sich auf die Hausbank und ließ die zur Unthätigkeit verurtheilten Hände traurig herabhängen.
„Meinetwegen!“ murmelte er schließlich resignirt. „Das da drunten habt Ihr mir verbieten können, ja, und auch Jenes, und das Dritte, ich will nicht mehr daran denken. Aber den Hauptzweck habe ich doch erreicht. Der ist heute gesicherter als jel Noch ein paar Tage Geduld bis wir neuerdings beim Notar gewesen sind, dann steht es mit Keulenschlägen in Eure Schädel geschrieben,wer Jakob Haberist im Tanner seil“
Er stand auf. Diese eine unantastbare Gewißheit entschädigte ihn für Alles.
Und am Samstag kam sie wirklich, die neue,große Kunde, im Tagblatt. Mit glänzenden Worten
war ausgeführt, wie man bei dieser Nachricht landauf, landab mit Verehrung auf den
schlichten Bauersmann blicken werde, der abermals Hunderttausende seinen Landsleuten
hochherzig hingebe,um ein segensreiches Werk vollends fest zu be
Das Ruhmesblatt in der Hand, lief der Heros des Thales von einer Stube in die andere, hüstelnd,blinzelnd, alle möglichen Töne von sich gebend,legte die Zeitung zusammen, schob sie in die Tasche,holte sie alsbald wieder hervor und las gewisse Stellen von Neuem. Dann steckte er das Papier sorgsam gefaltet wiederum ein, und durchlebte so den ganzen Samstag in einem ununterbrochenen Siegesrausch. Seine arme Einbeinige ließ er die stolze Apotheose lesen und war entzückt, daß sie vor lauter Ueberwältigung kein einziges deutliches Wort über die Lippen brachte. Dem Pächter schickte er die Zeitung nach Feierabend hinüber,im Dorfe mußte die Neuigkeit ohnehin schon von Mund zu Munde gehen und die Zähesten überwältigen. „Nicht wahr, hehe“ grinste Jakob beim Zubettegehen, „Ihr Spötter und Verleumder,Ihr Aufpässeler und Krittler, jetzt endlich bekennt Ihr Euch doch wohl geschlagen?“
Eine feine graue Nebeldecke verhüllte in der Sonntagsfrühe den Himmel und webte still über die herbstlichen Halden. Der Meister war schon früh im Freien und schritt in glücklicher Aufregung unter dem weit vorspringenden Dache des Hauses auf und ab. Hemdärmelig, ihm war heute so warm von innen heraus, und nichts konnte ihn mehr reuen, als ein frisches, wohlgestärktes Hemd am Sonntagmorgen gleich mit einem Rocke zu zerknittern. Rings um ihn herrschte tiefe Feiertagsruhe. Die Pächtersleute waren zur Kirche gegangen; nur ihre Hühner ließen hinter der Scheune hervor ein verlorenes Gackern hören, und von den leicht verfärbten Blättern der alten Nußbäume tropfte langsam der schmelzende Reif hernieder. Schlau-behaglich rieb sich Jakob die Hände.Heute! Heute holte er sich seinen Triumph, so oder so; denn wenn je die Gemeindegenossen ihm auch noch jetzt das Wort nicht gönnten, aus lauter Beschämung darüber, daß sie ihn so schmählich verkannt hatten, so wollte er selber den Bann lösen und sie sprechen machen.
Er war zum Rande des Abhanges gelangt und schaute vergnüglich hinab. Das Eindecken des Daches mit den rothen Ziegeln war in dieser
Woche fertig geworden, auf den Thürmchen saßen die lustigen Blechhüte, Knöpfe und Windfahnen und machten den erhofften Spektakel. Durch diese Bedachung hatte das Ganze erst sein Ansehen bekommen, und der Anstaltspalast stand ungefähr da, wie er in alle Zukunft von dem grünen Bühl in den Finkengrund hinausschauen würde.Wenn nur das Wetter sich aufhelltel Dann mußte das eine Wallfahrt geben heut Nachmittag,wie noch keine gewesen war.
Und die Sonne wurde zusehends des Nebels Herr. Die feuchten Gräser und die zarten Astern im Tannergarten fingen an, in jenem verschleierten Silberglanze zu leuchten, den die ersten durchbrechenden Strahlen spenden. Ueber dem Waldrücken jenseits zeigten sich zögernd Flecken blauen Himmels, und bis nach Tisch die Klänge der Glocken, die zur Kinderlehre riefen, mit einem kräftigen Gutwetterwindchen herüberdrangen, hatte sich aus dem grauen Flor ein leuchtender Herbsttag enthüllt.Jakob saß auf der Bank am Abhange, von der aus man den Finkenbühl und einen großen Theil des Thales vor Augen hatte, auch alles übersah, was auf dem unterhalb vorbeiführenden
Sträßchen vor sich ging, und unbemerkt erlauschen konnte, was gesprochen wurde. Denn von unten ward, wer auf dieser Bank saß, nicht beachtet,weil der Wanderer hier bei der Wegbiegung plötzlich aus der vollen Sonne in den tiefen Baumschatten gerieth und in dem jähen Wechsel den dunklen Abhang nicht bespähte. Aus diesem Grunde war das schon der auserwählte Platz der seligen Vrene gewesen, die sich die Sonntagnachmittage gern damit vertrieb, hier oben aufzufangen, was sich die ahnungslosen Spaziergänger drunten erzählten.
Es fing für Jakob denn auch gleich verheißend an, indem schon die ersten Vorüberschreitenden erwähnten, daß der nächste Fahrweg dort vorn zum Hofe des reichen Haberist führe. „Des reichen Haberist! hm! hm!“ Doch ging ihm, da sie rüstig weiterschritten, leider verloren, was sie Schönes an die Nennung seines Namens knüpften.Bald folgten ihrer mehr und mehr. Es wurde lebendig drunten am Bühl. Bis gegen drei Uhr strömte es schon trüppchenweise von der Dorffseite her, und auf dem Sträßchen auch nahm es immer zu mit Neugierigen aus der Stadt, mit Landleuten aus den Nachbardörfern und Bauernfami
Siegfried, GritliWohlthäter. 15
„Potz Blitz, seht die Thürme an!“ „Schau nur das lange Dach!“ „Hoh! was ist das für ein Mordsgebäude,“ rief es durcheinander, so oft eine neue Gesellschaft des mächtigen Baues ansichtig wurde.
„Das stünde jetzt recht gut auf seinem Hügel,“meinte ein dicker Bernecker und hielt seine Schritte an, „wenn nur die verrückten Kröpfe nicht wären! Was thun denn die Wärzchen an allen Ecken?“ „Ei freilich,“ stimmte ihm ein Anderer bei, der sich die Stirne trocknete, „aber der alte Narr soll jeden Tag etwas Neues ausgetüpfelt haben. Sie seien am Bau ja fast des Teufels geworden ob seinen Mucken. Mir hat's ein Zimmermann erzählt.“
„So so, ein Zimmermann? Hehe, welcher kann das sein?“ fragte sich Jakob ingrimmig. Doch
schon unterhielt sich ein neuer Trupp, einen Augenblick im Schatten rastend, über seine
Person. „Millionär?“ „Natürlich!“ tönte es herauf. „Doch darum ist es nicht weniger
räthselhaft, was diesen schäbigen Krauter hat bewegen können, so riesenmäßig
herzuschenken. Man müßte doch nachher
Jakob bog sich ganz zurück, damit ihn keiner von diesen dummen Schwätzern erblicken könne.Die waren doch nur neidisch! Aber es blieben nicht die Letzten, die sich ähnlich äußerten, und allmälig berührte den Horchenden das Anhören derartiger Reden so peinlich, daß er beschloß, sich angenehmere Eindrücke zu erzwingen, indem er die Vorübergehenden begrüßte.
„Ein wenig über Land?“ rief er daher hinab,sobald wieder ein Schäärlein um die Ecke bog,ältere Bauersmänner mit stattlichen Weibern, und junges Volk, gefolgt von sonntäglich starr gestriegelten Kindern. Die Angerufenen, wie Alle noch ein wenig sonnenblind, hielten die Hände über die Augen und schauten in die grüngelbe Dämmerung hinauf, von wo der Ruf gekommen war.„Freilich, freilich! dem Dorf zul“ lautete ihre Antwort, „und Ihr rastet da oben im Schatten? Habt leicht das Bessere gewählt!“ Damit
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„Wünsche gute Unterhaltung!“ fügten die Nächsten, die er ebenso beehrte, den gleichen, leeren Redensarten hinzu, höchstens daß Einer, der von ihm irgendwie abhängig war, ein Wort über die hexenhafte Schnelligkeit des Bauens dadrunten und über das günstige Wetter sagte, oder daß ein paar Weiber und Kinder im Weiterschreiten noch einmal den Kopf drehten, ihn recht anzuglotzen. Aber stehen blieb Keiner, ihm ein richtiges Wort der Anerkennung zu gönnen. Es war, als könnte das Völklein jeweilen nicht schnell genug zwischen den überhängenden Schlehdornbüschen des Erdeinschnittes verschwinden, in den das Sträßchen sich verlor.
„Dem Dorfe zu?“ jawohl! Alle kamen sie ja dort drunten wieder zum Vorschein, stracks über die grüne Erdwelle auf die Anstalt losmarschirend.
So ging es fort, bis Jakob auf seiner Bank schwer enttäuscht und verstimmt zu werden begann. Ganz schwarz krabbelte es bereits um den rothen Koloß. Die Einen gemächlich umherschreitend zwischen Gemäuer und Bretterstößen,
Andere lebhaft mit Händen und Stöcken zeigend,die Dritten im Gras oder auf Balken lagernd und das Ganze bestaunend.
Aber er konnte sich doch nicht selber mitten unter diese Menge hinabbegeben, um zu hören,was sie sagten!
Also berief er frischweg den nächsten Bekannten,der des Weges kam, zu sich herauf. Es war der Sagerbalz, Bauer auf einem der benachbarten Anwesen, ein rechter Finkengründler, der sich Alles besah, ohne viel zu reden, Alles wußte, ohne etwas davon merken zu lassen, und mit Haberist seit Jahren im Gemeinderath saß. Die Hände auf dem Rücken, über dem grobleinenen Hemd eine piolett geblümte Sonntagsweste, kam der geruhsam den Wegrand entlang geschritten, seine Pfeife rauchend, und es sah mehr aus, als wolle er nur ein wenig von weitem dem Geläufe der vielen Menschen zusehen, als daß ihn genügendes Interesse selber dort hinab triebe.
„Magst dich nicht ein bischen zu mir herauf setzen?“ fragte Haberist hinunter.
„Hätte just nichts zu versäumen,“ gab der Angerufene zurück und leistete Folge, ohne
Eile,auf dem kurzen Wege zum Hause und von da
„Gut, gelt, so im Schatten?“ hob Jakob an,als sein Gast kein Bedürfniß zeigte, ein Gespräch zu beginnen.
„Ja, heuer behalten die Nußbäume das Laub wieder lange, wie jedesmal, wenn sie schlecht getragen haben. Wird bei dir auch nicht wichtig gewesen sein mit der Nusserei?“
„Zum Oel, das ich brauche, hat's gereicht,“ sagte Jakob und schaute den Sagerbalz schiefüber an.
Doch der schwieg aufs Neue.
„Manchen Salat brauch' ich ja nimmer anzumachen. Den nächstjährigen kann ich, wenn ich will, da drunten essen.“
Balz zog mit heftiger Anstrengung an der wieder angezündeten Pfeife und nickte.
„Bis zum Ersten des Heumonats muß meine Anstalt bezogen werden, das hab' ich den Herren zur Bedingung gemacht.“
„Hab's gehört, hab's gehört,“ versetzte Balz,„wie bist du denn inzwischen mit deinem
Pächter zufrieden?“
Aber nichts verfing bei dem hartnäckigen Nachbar. Er ließ die geschicktesten Anbohrungen immer wieder nebenaus gleiten. Schließlich saßen beide abermals stumm da, und jeder schaute auf seine Seite in die Landschaft hinaus. Da wurde Jakob ungehalten. Dieser Mann mußte und mußte ihm Rede stehen! Den ließ er nicht los! Denn der wußte Bescheid, und wenn er vom Sagerbalz das Geständniß hatte, wie die Welt sich bekehrt, dann besaß er seinen Triumph so gut als im Namen des ganzen Thales.
Also jetzt mußte es sein! Jakob warf lauernd einen seiner weißen Blinzelblicke nach dem
verstockten Schweiger, und da er entdeckte, daß dessen X immer nach dem Finkenbühl
glitten, fuhr er gerade drauflos. „Du schaust dorthinunter, nicht wahr? So rück' jetzt
einmal heraus, Nachbar,was sagen denn die Leute eigentlich zu dem, was ich mache?“
„Nun ja,“ rief Jakob ungeduldig, „ich meine halt so! Ich komme doch. schon lang nimmer unter die Leute, du hingegen lebst mit ihnen und weißt, was sie reden!“ Sein Herz begann zu klopfen, und an seiner hageren Gestalt war Alles gespannte Erwartung.
„Willst es wirklich wissen?“ fragte Balz und ließ einen spöttischen Blick über den Harrenden gleiten.
„Jal sag es!“ ...
„Dann aber nichts für ungut! Sie sagen,deswegen hole dich der Teufel doch!“