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Im Bernbiet liegt mancher schöne Hof, mancher reiche Bauernort, und auf den Höfen wohnt
manch würdiges Ehepaar, in ächter Gottesfurcht und tüchtiger Kinderzucht weithin berühmt,
und ein Reichthum liegt da aufgespeichert in Spycher und Kammer, in Kasten und in Kisten,
von welchem die luftige neumodische Welt,welche Alles zu Geld macht, weil sie viel Geld
braucht,keinen Begriff hat. Bei allem diesem Vorrath liegt eine Summe Geld im Hause für
eigene und fremde Nothfälle, die in manchem Herrenhause Jahr aus, Jahr ein nicht zu finden
wäre. Diese Summe hat sehr oft keine bleibende Stätte. Wie eine Art von Hausgeist,aber
keine boöse, wandert es im Hause herum, ist bald
In die Kirche und auf den Markt geht in ehrbarem Halblein der Mann, und die erste des Morgens und die letzte des Abends schaltet die Frau im Hause und keine Speise kömmt auf den Tisch, welche sie nicht selbst gekocht, und keine Melchter in den Schweinstrog, in die sie nicht mit blankem Arme gefahren wäre bis auf den Grund.
Wer solche adeliche Ehrbarkeit sehen möchte, der gehe nach Liebiwyl (wir meinen nicht das
in der Gemeinde Könitz, wissen auch nicht, ob sie dort gefunden würde). Dort steht ein
schöner Bauernhof, hell an der Sonne, weithin glitzern die Fenster, und alle Jahre wird
mit der Feuerspritze das Haus gewaschen. Wie neu sieht es daher aus, und ist doch schon
vierzig Jahre alt, und wie gut das Waschen selbst den Häusern thut, davon ist es ein
täglich Exempel.
Wenns Abend ist, so sieht er neben der Thüre auf einer Bank einen Mann sitzen, der ein Pfeifchen raucht und dem man es nicht ansieht, daß er tief in den sechsziger Jahren steht. Unter der Thüre sieht er zuweilen eine lange Gestalt mit freundlichem Gesichte und reinlichem Wesen, welche dem Mann etwas zu sagen oder etwas zu fragen hat, das ist des Mannes Frau. Hinten im Schopf tränkt ein hübscher Junge, schlank und keck, die schönen Braunen, während sein älterer Bruder Stroh in den Stall trägt, und aus dem Garten hebt sich aus Kraut und Blumen herauf zuweilen ein lustiges Meitschig'sicht und frägt die Mutter: ob es etwa kommen solle und helfen, oder schimpft über Währen im Kabis, über Katzen im Salat, über Mehlthau an den Rosen, und frägt den Vater, was gut sei dagegen?Diensten und Tauner kommen allgemach vom Felde heim; ein Huhn nach dem andern geht z'Sädel, während der Tauber seinem Täubchen noch gar emsig den Hof macht.
Ein solches Bild hätte man fast alle Abende vor Augen gehabt, wenn Einer vor fünf oder
sechs Jahren vor jenem Hause zu Liebiwyl stille gestanden wäre und wenn er dann die
Nachbaren oder eine alte Frau, welche etwas unterm Fürtuch gehabt, gefragt hätte, was das
Das seien b'sunderbar gute und grausam reiche Leute.
Als sie vor ungefähr dreißig Jahren Hochzeit gehabt hätten, da seien sie das schönste Paar gewesen,welches seit Langem in einer Kirche gestanden. Mehr als hundert Wägelein hätten sie zum Hochzeit begleitet,und noch Viele feien auf den Rossen gekommen, was dazumal vielmehr der Brauch gewesen als jetzt, ja sogar das Weibervolk hätte man zuweilen auf Rossen gesehen,und b'sonderbar an Hochzeiten. Das Hochzeit habe drei Tage gedauert und an Essen und Trinken sei nichts gespart worden, man hätte Land auf, Land ab davon geredet. Aber dann hätte es auch Hochzeitgeschenke gegeben, daß es ihnen selbst darob übel gegruset hätte.Zwei Tage lang hätten sie mit Abnehmen nicht fertig werden können, und noch Leute zur Hülfe anstellen müssen; aber ein berühmterer Bauernort sei auch noch nie gewesen das Land auf, das Land ab.
Einen solchen Hof, von den schönsten einen, und ganz bezahlt und manch tausend Pfund
Gülten dazu,das finde man nicht allenthalben. Sie hätten es aber nicht für sich alleine,
die wüßten noch, daß die Reichen Verwaiter Gottes seien und von dem erhaltenen Pfund
Rechnung stellen müßten. Wenn Jemand sie zu Gevatter bitte, so sei es nie Nein, und die
meinten nicht, keines mehr nöthig. Die Diensten hätten ihre Sache wie nicht bald an einem
andern Ort; da meinte man noch nicht,es müsse Alles an einem Tage gearbeitet sein, und
dazu sei es Schade um ein jegliches Tröpflein gute Milch, welches ihnen vor die Augen
komme.
Allerdings, so ist's. Aber es gibt nicht bloß Streit,sondern noch schlimmeres als Streit, andauernden Zwiespalt, und zwar nicht bloß wegen Lastern, sondern noch weit mehr wegen Eigenthümlichkeiten, und zwar auch da, wo man in der Haupjsache durchaus einig ist.
Unsere Eheleute waren beide von Haus aus reich,keines hatte dem andern etwas vorzuhalten.
Er hatte den Hof geerbt mit wenig Schulden, sie ungefähr 40000 oder 50000 Pfund
eingebracht. Beide waren haushälterisch, gaben wenig Geld für Unnützes qus,zogen Alles
bestmöglichst zu Ehren, gingen wenig von Haus, waren dabei guten Herzens, dienstbar,
hülfreich
Christen, der Mann, hatte eine behagliche Natur;wenn er an der Arbeit war, so that es ihm selten Einer zuvor an Fleiß und Geschick, aber Mühe kostete es ihn an die Arbeit zu gehen.
Er schob nicht ungern von einem Tag zum andern auf, und was sich ihm heute nicht schicken
wollte,schickte sich ihm selten schon Morgen. Es mochte Wetter sein, wie es wollte, so
fing er nie eine der großen Sommerarbeiten im Lauf einer Woche an. Wenn alles um ihn her
zappelte, so sagte er ganz kaltblütig,wenn das Wetter gut bleibe, so wolle er am nächsten
Montag auch anfangen, aber so in der Mitte der Woche möge er nicht; der Vater hätte es
auch nie gethan, und das sei ein Mann gewesen, es wäre gut,es würde noch viele solche
geben. Wenn es aber am nächsten Montag nicht schön Wetter war, so wartete er ruhig noch
eine Woche ab. Er hätte noch nie gesehen, daß man im schlechten Wetter gutes Heu mache,und
wenn es genug geregnet hätte, so werde es auch gut Wetter werden. So kam es dann
allerdings, daß er gewöhnlich zuletzt fertig ward mit einer Arbeit, und zu Vielem keine
Zeit fand. Er meinte aber, wenn man schon seine Leute nicht eis Tags tödte, so zürnten sie
einem deßwegen nicht, und wenn das Vieh auch nicht sei was Menschen, so solle man doch
auch Verstand
Daneben, wenn er Jemand etwas fahren, mit einem Pferd einen Dienst leisten sollte, so sagte er Niemand ab, war dienstfertig in alle Wege, nur Geld schenkte er nicht gerne. Es hielt ihm überhaupt hart,es auszugeben. Man wüßte nicht, wie hart es ginge,E mal fort hätte, so hätte es eine Nase, bis man wieder dazu käme.
Anders war darin Aenneli, seine Frau. Die war ein rasches Mädchen gewesen und hatte sich
dreimal umgedreht, während eine Andere einmal. Kuraschirt ging sie an Alles hin, und an
den Fingern blieb ihr nichts kleben. Sie war in ihrer Jugend viel gerühmt worden von wegen
ihrer Gleitigkeit; so ging es ihr bis ins Alter nach, daß sie gerne voran war in Allem. Es
gehe in einem zu, sagte sie, und wie viel Zeit man gewinne das Jahr hindurch, wenn man
Alles rasch angriffe, wüßte man nicht, man könnte es mit fast z'halb weniger Leuten
machen. Z'gytzen begehre sie nicht, Gott solle sie davor behüten; aber wenn man Kinder
hätte, so müsse man immer daran denken, daß sich einst das Gut vertheile, und wenn man es
mit dem ganzen Gut bösdings machen könnte, wie sollten es dann die Kinder
So waren also Christen und Aenneli in der Hauptsache einig und gleich gesinnt. Beide wollten ihr Gut verwalten, daß sie es einst vor Gott verantworten koönnten, wollten gut sein, und doch an die Kinder denken,aber jedes hatle dabei seine eigenthümliche Weise: Christen wollte zusammenhalten, was er einmal hatte, Aenneli wollte sich um so rascher rühren, und aus Allem den rechten Nutzen ziehen, damit sie dem Dürftigen um so treuer helfen könnte in seiner Noth.
So war die Art eines Jeden, aber das Eine störte das Andere in seiner Art viel weniger
als man hätte glauben sollen. Es schien allerdings manchmal dem Christen, als ob seine
Frau zu gut wäre, und jedem Klapperweib Glauben gebe, und als würde das, was sie auf diese
Weise unnütz ausgebe, ein artig Sümm
Aenneli kam es allerdings manchmal bis in die Fingerspitzen, wenn ein Metzger für eine Kuh bot, daß es ihr schien, ste dürfte das Geld kaum nehmen, und die Kuh gab wenig Milch, nicht einmal gute und nur kurze Zeit. Die Kuh war nichts als schön und Christen konnte doch nicht von ihr lassen, nahm das Geld nicht, behielt ste im Stalle, wo sie nichts nützte als einer bessern den Platz zu verschlagen und daß hie und da Jemand sagte: das sei die schonste Kuh in manchem Dorfe weit herum; man koönne weit laufen, ehe man eine solche antreffe. Und manchmal kam es ihr vor,als sollte sie aus der Haut fahren, wenn die Sonne so warm am Himmel stand, das Korn so reif auf dem Felde, der Montag war aber noch nicht da, und Christen saß behaglich ums Haus herum, oder ging erst ans Bändermachen, welche in andern Häusern längst fertig waren. Und wenn dann endlich der Montag kam, und mit ihm alle die vielen Leute, welche Christen nöthig glaubte, für welche alle Aenneli kochen mußte,und eine Wolke stand in einer Ecke am Himmel, und von wegen der Wolke stand Christen mit allen seinen
Leuten vom Morgenessen bis zum Mittagessen ums Haus herum, werweisend, ob sie einhauen wollten oder nicht; und sie kamen am Mittag alle wieder zum Essen und kein Halm war noch abgehauen; so wollte es Aenneli fast über den Magen kommen, und es legte sich wie ein Stein über ihr Herz. Und dann dachte sie, es müsse jeder Mensch seine Fehler haben und jeder seine Bürde, und wenn Christen nicht so wäre, so hätte sie auch gar nichts, und müßte fürchten, daß etwas viel ärgeres käme. Darum wollte sie sich auch nicht beklagen; andere Weiber hätten es ja viel schlimmer,und während der Mann Alles verthäte, sollten fie nichts brauchen. Und was hätte sie davon, wenn ihr Christen in alle Spitzen gestochen wäre und in Allem der Erste, und er wäre dann wüst gegen sie und gegen Andere, gönnte Niemand etwas und dächte nur ans Raxen, und hätte kein Herz als nur fürs Geld und das Fürschlagen? Sie wollte doch mit hundert andern nicht tauschen, und wenn Christen auch nicht der Erste hinterm Korn sei, so sei er auch nicht der Erste hinterm Wirthshaustische; und wenn er auch oft der Letzte im Heuet sei, so sei er doch nie der Letzte, der von einem Markt heim komme, oder sonst von einer Lustbarkeit,und wenn man so Eins ins Andere rechne, so wüßte sie nur zu rühmen, und Sünde wäre es, zu klagen,und Keinen wüßte sie, an welchen sie ihren Christen IXL
Wo das Gemüth der Menschen noch auf diese Weise rechnet, da weist es sich nicht nur
zurecht, sondern es ist auf dem Wege zur Zufriedenheit mit seinem Schicksale; ist rechter
Dankbarkeit gegen Gott fähig,nimmt dem Mißgeschick seinen Stachel, den Fehlern der
Mitmenschen ihre Säure. Nur da, wo der Ge
Christen und Aenneli waren also allerdings glücklich und auf dem Wege zu noch größerem Glück,weil sie sich und ihr Geschick wogen mit der Wage der Dankbarkeit, welche der Mensch Gott schuldig ist.
Nun geschah es freilich auch, daß dem Einen oder dem Andern ein empfindlich Wort entfuhr,
aber so verblümt, daß es unter vielredenden Stadtleuten nicht einmal beachtet worden wäre.
Daß Christen z. B.sagte, wenn Aenneli es anbot, ein Schnäfeli Fleisch DD wenn du noch
hast.“ Das fühlte Aenneli schon als Trumpf, weil sie das Bewußtsein hatte, daß sie
allerdings aus Erbarmen Manches weggegeben, was Christen auch genommen und vielleicht
vermißt hatte. Wenn aber Ehristen so drehte und an nichts hinwollte und seine vielen Leute
im Taglohn, aber nicht an der Arbeit hatte, so gramselte es Aenneli wohl in den Gliedern
und es entfuhr ihm die Frage; „Wenn sie nichts
Solche Worte kamen freilich selten, aber hier und da entrannen sie doch. Es wurde darüber nicht geeifert und gezankt, wie es zuweilen unter hochgebildeten Leuten der Fall ist, daß vor aller Welt um einen halben Birnenstiel Mann und Frau sich zanken, bis die Frau in Krämpfe fällt oder gar in Ohnmacht. Das,welches den Trumpf erhalten, schwieg, wenn es ihn schon tief fühlte und er ihm weh that. Doch wie tief er auch ging, lang haftete er nicht, er eiterte nicht.Hauptsächlich waren es zwei Gründe, welche es verhüteten, daß solche eingegangene Trümpfe nicht böses Blut machten.
Aennelis Mutter wohnte bei ihnen. Das war eine gar verständige Frau und hatte den
Tochtermann sehr lieb. Sie war früher bei einem andern Tochtermann gewesen, welcher sie
roh und wüst behandelt hatte.Sie hätte alles dargeben sollen und nichts brauchen,alles
annehmen und zu nichts was sagen. Hier hatte sie es, wie sie es wollte. Christen zog sie
zu Rath,als wenn sie seine eigene Mutter wäre, hielt sie um ein Geringes, und wenn im Haus
etwas Gukẽs zu essen oder zu trinken war, so ruhte er nicht, bis die Mutter auch davon
hatte, wenn sie es auch nicht begehrte. Und wenn es ihr irgendwo fehlte, so ging er ihr
selbst zum Dokter, und hielt diesem an, er solle rccht anwenden, es möge kosten was es
wolle,wenn ihm das Mutterli abgehen sollte, er wüßte nicht
Es war eine alte schöne Haussitte, welche durch Jahrhunderte eine unendliche Kraft übte
und alles was Streitbares in den Herzen sich ansetzt, alsobald an sich zerstörte und
tilgte, welche wie ein guter Geist den Frieden erhielt, bei welchem Gottes Segen ist und
welcher den Kindern Häuser baut. Wer zuletzt zu Bette kam, Mann oder Weib, betete den
Andern hörbar das Vaterunser, und schwer mußte der Schlaf sein,wenn das Erste nicht
erwachte und nachbetete mit Andacht und aus Herzens Grund. Wenn dann die Bitte kam:
„Vergib mir meine Schulden, wie ich vergebe meinen Schuldnern“, und es war Streit oder
vielmehr Spaltung zwischen Mann und Weib, so klang sie wie eine Stimme Gottes in den
Herzen und die Worte zitterten im Munde. Und wenn dann die andere noch kam: „Und führe
mich nicht in Versuchung, sondern erlöse mich von allem Bösen“, so versenkte und tilgte
schamroth vor Gott Jegliches, was es dem Andern nachgetragen, und es schlossen sich die
Herzen auf,und Jedes nahm seine Schuld auf sich, und Jedes bat dem Andern ab, und Jedes
bekannte sein Glück und feine Liebe, und wie nur im Frieden ihm wohl sei; aber wie der
böse Geist an ihns komme, es wisse nicht wie, ihm schwarz mache vor den Augen des Geistes,
und ihns treibe in die Trübniß des Zornes und der Unzufriedenheit. Wie dann, wenn das
Gebet komme,es ihm wäre, als komme eine höhere Macht hinter den bösen Geist im Herzen,
setzte mit scharfer Geisel ihm zu, daß er, wie er sich auch winde, dahin fahren
Der andere gute Hausgeist aber, der starb nicht,sondern blieb bei ihnen, und einigte ihre Herzen immerfort, und half ihnen auch tragen, was das Leben sonst noch Schweres ihnen brachte. Denn es gibt in jeglichem Leben harte Schläge, wie es in jeglichem Sommer Gewitter gibt, und je schöner der Sommer ist, um so mächtiger donnern die einzelnen Gewitter über die Erde.
Gott hatte sie mit Kindern gesegnet, ihre innigste Freude hatten sie an ihnen. Da kam die
Hand des Herrn über sie, und hinter einander nahm er ihnen die schönsten und liebsten, und
es war ihnen als sollte keines mehr übrig bleiben, als sollten sie alleine bleiben in der
Welt. Es kam ihnen schwer an, sich zu fassen, und lange, lange ging es bis sie recht
aufrichtig sagen konnten: „Der Herr hat es gegeben, der Herr hat es genommen, der Name des
Herrn sei gelobt.“ Sie versuchten es oft, aber sie schämten sich und schwiegen, denn sie
fühlten, daß das Herz ganz anders redete, und sie wußten wohl, was Gott von solcher
Zwietracht zwischen Mund und Herzen halte. Aber sie trugen mit einander und wenn sie des
Abends mit einander beteten und eins fing an: Unser Vater, so stockte wohl die Stimme, und
das Weinen kam, und das Andere weinte mit, und lange konnte keines wieder beten. Und doch
ließen sie nicht nach bis es eins vermochte, und wenn auch jede Bitte neues Weinen
brachte, und hinter jeglicher die verlornen Kinder standen, und das Reich und der Wille,
und das Brod,kurz alles, alles an sie mahnte, und bei den Schulden die Angst kam, ob sie
nicht etwas an ihnen recsäumt, an ihnen sich versündigt hätten? Konnten sie aber alles
begwältigen, konnten sie sich durchringen, wie Wanderer
Der Jüngste war der Mutter Liebling: das Mädchen des Vaters Herzkäfer, der Aelteste Allen lieb. Die Kinder hatten überhaupt der Eltern Art, und wuchsen in der Sitte des Hauses auf in adelicher Ehrbarkeit.Mit gar vielem Lernen brauchten sie den Kopf sich nicht zu zerbrechen, aber fest in der Bibel wurden sie,das sei die Hauptsache, meinten Vater und Mutter,die hätte sie ohne große Künste im Rechnen und Schreiben hieher gebracht.
Allerdings waren auch Beide in beiden Dingen keine Hexenmeister, und wenn Christen seinen
Namen
Enwas anders war es mit dem Arbeiten. Aenneli musterte sie dazu und meinte, sie lernten
es nie zu früh, und etwas Nützliches machen, sei befser als etwas Ungattliches, und etwas
müsse gehen bei Kindern.Christen aber meinte, so früh trage arbeiten nichts ab,es erleide
nur den Kindern, und wenn sie später sollten,so möchten sie nichtz wenn ihnen einmal der
Verstand komme, so griffen sie von selbst an. Einmal er habe es so gehabt, und es werde
Niemand sagen, daß er nicht arbeiten könne und möge. Diese Verschiedenheit gab auch hie
und da einen Anlaß, daß sie einander vergeben und vergessen konnten. Denn wenn Aenneli
musterte, so entrann Christen wohl zuweilen ein: „He,ich wollte sie nicht zwängen, wenn
sie möchten, sie thäten es schon.“ Und wenn Christen mit Wohlgefallen dem Nichtsthun der
Kinder zusah, so sagte wohl zunen oder dem andern in Sinn kommen etwas Wichtigeres zu
machen. Aber alles dieses tilgte der gute Hausgeist wieder aus, tilgte alle Abende die
Säure,die sich zuweilen in den alternden Herzen ansetzen mochte.Etwas ging auf die Kinder
über, denn Kinder sind eine weiße Wand; so weiß die Hände sind, welche über sie fahren,
zuletzt werden doch die Spuren derselben sichtbar. Christen, der Aelteste, der sich
Niemand besonders anschloß, war ein stilles Gemüth, ihn ließ man am meisten gewähren, er
sagte wenig aber em
Je mehr Eigenthümlichkeiten in einen Haushalt treten, desto bewegter wird das Leben, wenn
auch nicht von außen sichtbar, so doch im Innern fühlbar. Wie lieb man einander auch hat,
etwas stößt doch aus einander, etwas hat Jedes an sich, das am Andern mehr oder weniger
empfindlich sich reibt. Ein Jedes
So hatte jedes dieser Kinder wie sein eigenthümliches Wesen, so auch seine eigenen Ansprüche, sowohl an die Eltern, als an die Geschwister, und ihre Nichtbeachtung trieb einen Splitter in ihr Herz, und je schweigsamer man nach der Haussitte über solche Dinge war, um so leichter hatten solche Splitter geeitert.
So z. B. war Christen kränklicher Art, zu entzündlichen Krankheiten geneigt, die zuweilen Folgen hinterließen, welche einer Auszehrung glichen. Christen forderte nun Rücksichten für diese Schwäche, in der Arbeit, in der Speise, in der Pflege, in der Benutzung des Arztes u. s. w. Man that alles Mögliche, aber da sein Aussehen die Krankheiten nicht immer verrieth, da er meinte, was er innerlich empfand sollte man ihm auch äußerlich ansehen, so konnte es nicht fehlen, daß er sich zuweilen vernachläßigt glaubte,meinte, man achte sich seiner nicht, und wäre froh,wenn er weg wäre.
Annelisi machte Ansprüche an die Welt, war ein lustig Ding, und wer weiß ob nicht im
Hintergrund ihrer Seele der Wunsch schlummerte, nicht schön Annelise zu bleiben, sondern
auch eine Bäuerin wie die Mutter eine war, zu werden. Sie war daher gerne in aller
Ehrbarkeit bei dieser, bei jener Lustbarkeit, und natürlich nicht gerne wie ein
Aschenbrödel, sondern so
Resli, der natürlich wohl wußte, daß er einmal den Hof erben werde, der hätte gerne mehr getrieben mit der Arbeit, mehr gehandelt, mehr benutzt, und es schien ihm oft, als wenn Niemand an ihn dächte, ja,als ob Alle so viel brauchten und so wenig thäten als möglich, nur damit ihm nichts überbleibe. Er war gar nicht geizig, aber er war angstlich, und in dieser stillen Aengstlichkeit, welche er nicht einmal zeigen durfte, kam er Vielen hochmüthig vor, und Andere hielten ihn für geizig, weil er sehr oft zu Hause war, um zu der Sache zu sehen, während Andere herumhürscheten unnützerweise, und Geld brauchten.
Weder Vater noch Mutter kannten dieses innere Wesen; man lauscht es sich selten ab, darum
denkt man auch nicht daran, daß es in Andern sei; aber die Mutter hatte von früher Jugend
an die Kinder mit ihrem versoöhnenden Hausgeist bekannt gemacht, hatte sie das Unser Vater
so recht gelehrt, daß sie es nicht gedankenlos beteten; daß es ihnen auch war erst wie
So lebte die Familie berühmt und im Wohlsein,bis ein Schlag, äußerlich nicht von großer Bedeutung,ihr ganzes Glück zu zertrümmern drohte.
Christen mußte nicht nur sächlich die Gemeindelasten tragen helfen, sondern auch
persönlich, d. h. er mußte Vogt (Vormund) werden, öffentliche Verwaltungen übernehmen,
sich auch in Behörden wählen lassen. Dieses ist an sich selbst eine Last, es ist aber auch
bedeutende persönliche Verantwortlichkeit dabei, und seltsamer Weise ist an manchem Orte
diese persönliche Verantwortlichkeit unbezahlter Gemeindsbeamteten sehr groß, während den
wohl bezahlten Regierungsbeamteten gar keine auferlegt ist. Wo das System herrscht, jeder
Korpo
Christen war Vormund, hatte fremdes Vermögen hinter sich, ob Geld oder Schriften, weiß ich nicht;kann beides gewesen sein, denn daß die Titel immer da seien, wo sie dem Gesetz nach liegen sollten, ist nicht gesagtz wo ein Regierungsbeamteter und ein Gemeindsbeamteter, ein Gemeindschreiber z. B., unter einer Decke liegen und unter einem Hüütlein spielen, da können noch heut zu Tage ganze Vermögen verschwinden, und wo ist das Verantwortlichkeitsgesetz gegen den Regierungsbeamteten? Ueber die unschuldigen Gemeindräthe oder die noch unschuldigern Gemeinden geht es aus.
Später muß es die Gemeinde ersetzen; kleine Diebe hängt man vielleicht, große aber läßt man laufen.
Christen dachte nun von ferne nicht ans Betrügen,aber er sollte beschummelt werden.
Es waren Leute, welche Geld nöthig hatten. Christens Rathgeber wurde ins Interesse
gezogen, und dieser
Aber Christen redete ohnehin nicht mehr als er mußte, und von Geschäften so ungern als
möglich,weil er nicht gerne verrieth, daß er gar nichts kannte;denn er schämte sich seiner
Unwissenheit doch, wenn er schon seine Kinder nicht begehrte gefchickter zu machen.Zudem
wußte er nicht, wem er trauen sollte, wenn er sich auf seinem Rathgeber nicht verlassen
konnte. Wenn der ein Schelm an ihm sei, so glaube er denn gewiß,es sei kein braver Mensch
mehr in der Welt, und was es ihn dann nütze, Mühe zu haben und herumzulaufen, wo man
ohnehin alle Hände voll zu thun hätte; so redete er. Christen war allerdings auch
mißtrauisch, aber eben deßwegen suchte er nicht neue Vertraute, sondern hielt am Glauben
fest, wenn der alte Rathgeber treulos sei, so sei keine Treue mehr auf Erden; den habe er
doch probirt auf alle Wege, es dünke ihn, er sollte es mögen halten. Da Aenneli das
Nach mehreren Jahren erst fing die Sache an sich zu rühren; allerlei unter der Hand wurde
geredet und aus der Gemeindrathstube herausschlich, man wußte nicht wie, das Gerücht:
Christen hätte sich gröblich verfehlt mit Vogtsgeld, es werde ihm an die Beine gehen um
viel tausend Pfund. Aenneli, die zwar selten von Haus kam, aber doch alles vernahm, nicht
nur was ging, nicht nur was geredet wurde, sondern noch z'halbe mehr, vernahm also bald:
Es heiße,es ginge Christen grusam an die Beine und wenn er nicht so reich wäre, so möchte
es ihn lüpfen. Aenneli erschrack gewaltig, obgleich sie wußte, daß es so übel nicht gehen
konnte, und Christen mußte auf der Stelle zu seinem Faktotum und ernstlich fragen, was an
der Sache und ob da etwas zu fürchten sei, von wegen, er möchte lieber zu der Sache thun,
ehe es zu AV doch auf solches Weiberdamp hören möge, es wäre gut, wenn alles so sicher
wäre, wie das. Da sei er ihm gut dafür, daß es ihm keinen Liar kosten werde, und wenn noch
Jemand etwas sage, so solle er sie zu ihm schicken,er wolle sie dann brichten. Nein da
möchte er doch dann nicht so Jemand hineinsprengen, dafür sei er noch lange zu gut. Er
hätte schon manchmal können,wann er gewollt, aber o Jere, wenn er schon ein arm Mannli
sei, so hätte er doch noch ein Gewissen, und wohl noch ein besseres als mancher Reiche. Da
solle er nur nicht mehr Kummer haben, und ruhig schlafen,was er gemacht habe, sei gut
gemacht und wie gesagt,er wolle ihm gut sein für jeglichen Kreuzer, den er
Da schlich sich Einer, welcher gerne insgeheim den Leuten die Haare zusammen band, aber
dabei nie ge
So ging es auch, und nach vielen Umtrieben kam endlich Christen zu der Erklärung, daß vom ganzen Handel im Gemeindbuch kein einzig Wort stehe; von der Sache sei wohl geredet worden, aber Erkanntniß DDDDD am besten, wenn man das dem Vogt überlasse, was er mache, sei ihnen recht. Somit war es entschieden,daß Christen 5000 Pfund zahlen mußte; erholen konnte er sich nirgends, und der, welcher ihn hineingesprengt,hatte die schönsten Ausreden und schob die Schuld auf Andere.
Ich weiß nicht, soll ich sagen: Dieser Verlust traf
5000 Pfund (2500 fl.) sind nichts für einen Kaufmann, er sieht derhalben nicht nebe ume, wie der Bernerbauer sagt. 5000 Pfund ließen sich bei ihrem Vermögen leicht verschmerzen, setzten sie nicht einmal in augenblickliche Verlegenheit, wenn sie einige Zinsschriften wagten; ja wenn sie nur das vorräthige Geld zusammen machten, den Spycher zur Hälfte leerten, so war Alles abgemacht. Aber beim Landmann geht es nicht zu wie beim Kaufmann. Bei dem Letztern ist lauter Spiel, heute wird er getrümpft, morgen trümpft er wieder; eines Tages kann er 10000 verlieren, morgends 20000 gewinnen, und bei jedem Verlust ist eben dieser Wechsel der Trost. Ganz anders ist es bei dem Landmann; da geht die Sache langsam aber stetig,kleine Verluste gleichen sich durch kleine Gewinnste aus,Fehljahre durch gute Jahre, und bei Fleiß und Sorgsamkeit und ohne großes Unglück geht es langsam vorwärts. Und kommen große Unglücksfälle, geht ihm all sein Vieh'in Boden, brennt sein Haus ab mit all seinen Vorräthen, schlägt es ihn auf Jahre zurück; er schickt sich darein mit bewunderungswürdiger Ergebung;was sollte er dagegen machen, das kam aus des Herrn Hand, über diese Verluste spotten die Menschen nicht und Kinder und Kindeskinder tragen sie ihm nicht nach.
Verliert er aber Summen auf außerordentlichem Wege, durch Ungeschick oder der Menschen Bosheit,
II. 3
Christen und Aenneli hatten wohl etwas vorgespart,allein es ging genug zu, es harzete.
Er wußte seine Sachen nicht recht geltend zu machen, und brauchte zu Allem viel Zeit und viele Leute und Aenneli war eine gute Frau, und gar Vieles schwand ihm unter den Händen fort, sie wußte nicht wie. 5000 Pfund mußten ihnen, wenn es auf das Ersetzen ankam, eine unermesliche Summe scheinen,die Frucht ihrer ganzen Lebenszeit.
Zu diesem kam noch ein Anderes; die Kinder waren erwachsen, vor ihnen ließ der Verlust
sich nicht verheimlichen; was sagten die dazu, wie mußten die ihn aufnehmen? Kinder auf
dem Lande theilen die Arbeit der Eltern, sehen die Früchte davon, kennen die Schulden und
Gülten, sind weit enger ins Verständniß gezogen, geben daher um so eher ihre
Willensmeinung. Alle waren heirathsfähig. Schadete ihnen dieser Verlust nicht am
Heirathen, der Lärm davon noch mehr als die Sache selbst? Denn alles wird vergrößert, auch
entsteht gar gern der Glaube, wo solche Verluste hervorbrechen, da seien noch viele zu
gewärtigen; eine Sache, namentlich ein Unglück, kommt nie alleine. Und wenn sie wirklich
heirathen wollten,woher die Ehesteuer nehmen? Wenn man jetzt noch Ehesteuren geben sollte,
so mußte man sich ganz entblößen, mußte villeicht gar Geld leihen, weil man nicht alles
abkünden konnte, oder mußte alle Titel versilbern, mußte in seinen alten Tagen
schmalbarten,
Das mußte große Bitterkeit ansetzen in des Ehepaars Gemüthern, denn mit dem Gelde war
ihnen ja auch ein großer Theil ihres Lebens verloren. Wir fühlen alle, das Leben ist eine
große Gabe, und mit dieser Gabe sollen wir Vieles, Vieles gewinnen, mit dieser zeitlichen
Gabe sollen wir das ewige Leben erwerben.Aber nun meinen gar Viele, mit dieser zeitlichen
Gabe hätten sie nur zeitliches Geld zu gewinnen, ja gar Viele, die vom ewigen Leben als
dem hööchsten Ziele sprechen, scheinen darunter doch nur zeitliches Gut zu verstehen, oder
höchstens eine zeitliche Frau mit zeitlichem Gute. Und nach dem zusammengeraxeten Gute
schätzen sie ihres Lebens Werth, wie der Maulwurf nach der Höhe des aufgeworfenen Hügels
seine Kraft.Wenn aber aller Gewinn verloren geht, dann hintersinnet man sich, d. h. man
kaun nichts mehr anders denken, als wie es gegangen ist, und nicht hätte gehen sollen;
denn man hat ja eigentlich Alles verloren, nicht bloß das Geld, das verloren geht, sondern
das Leben,welches man an das Geld gesetzt. Christen und Aenneli waren kreuzbrave Leute,
von den brävsten, die man sehen will zu Stadt und Land; aber den Werth der Menschen
schätzten sie doch nach seinem Besitzthum und den Werth eines Lebens nach dem gemachten
Fürschlag;so und so viel hat er geerbt, dann und dann hat er zu husen angefangen, und
jetzt, denket doch, hinterläßt er Sie wußten es halt nichi besser, waren, wenn sie auch in
der Schule nicht viel rechnen gelernt, doch in dieser Rechnungsweise von Jugend auf geübt,
und wenn
Sie gingen herum manchen Tag, als ob sie vor den Kopf geschlagen wären, und konnten nichts anderes denken als 5000 Pfund, 5000 Pfund. Weniger als die Eltern waren die Kinder angegriffen; sie hatten ein langes Leben vor sich, welches ihnen reiche Hoffnung bot zum Ersatze des Verlustes. Am meisten schien es Annelist zu fühlen, als ob sie glaubte, zunächst müßte sie den Verlust entgelten an ihrer Aussteuer; oder derselbe möchte vielleicht diesen oder jenen, den sie im Auge hatte, abschrecken. Jedoch geschah nicht, was an so manchem Orte begegnet wäre; die Kinder machten den Eltern keine Vorwürfe, ja gebrauchten manches aufmunternde Wort. Aber wo die Eltern die Gemüther der Kinder ausschließlich aufs Geld richten, und alle andern Rücksichten den Augen der Kinder ferne halten,da müssen sie es erfahren, wie das Schwert sich gegen seinen eigenen Herrn kehrt z wenn sie etwas Ungeschicktes machen, haben sie zu tragen, den Zorn und die Vorwürfe der Kinder, und wenn sie alt werden,derselben Unverstand und Ungeduld, die alle Tage mit Gott hadert über der Eltern langes Leben.
Hier herrschte noch Liebe, und herrschte die alte Sitte, daß die Kinder die Eltern
ehrten, auf daß sie lange leben möchten in dem Lande, welches ihnen Gott gegeben.
Ehristen hatte kein Haus aufzubauen, aber er begann nachzudenken, wie die 5000 Pfund zu ersetzen wären? Und allemal, wenn eine Frau zum Hause schlich, loderte ihm der Gedanke auf: die trägt wieder etwas fort, welches Geld gelten würde, und was will ich hausen und sparen, während auf der andern Seite fortgegeben wird, alles was nicht angenagelt ist? Der gute Christen hatte es auch wie viele andere Leute,was er nöthig glaubte, das wollte er bei Andern anfangen, und hätte doch wissen sollen, daß wenn der Bauer mit seinen Leuten mähen will, er voraus mäht,und nicht hintendrein.
Aenneli kam es wieder in den Sinn, daß sie gewarnet habe, das Geld herauszugeben, daß sie Christen angerathen, noch Jemand anderes zu Rathe zu ziehen,daß sie den trügerischen Freund nie hätte leiden mögen,sondern vielfach ihren Verdacht geäußert.
Sie begann daran zu sinnen, ob wohl die Zeit gekommen wäre, daß mit wenigern Leuten mehr
gearbeitet würde. Und wenn sie durch den Stall ging und zwei oder drei Kühe sah, wie
Flühe, aber fast ohne Milch,so konnte sie sich nicht enthalten, zu rechnen, wie manche
Dublone da zu machen wäre, wenn man sich zu rangiren wüßte. Das Alles ging im Inwendigen
vor;faft wie des Blitzes Schein fuhr es vorüber; böse Worte
Aber ein alt Sprüchwort sagt: Der Teufel ist ein Schelm, und wenn er auch umher geht, wie ein brüllender Löwe, so schleicht er noch vielmehr herum in Gestalt von flüchtigen Gedanken, luftigen Nebeln gleich,und diese Gedanken streifen zuerst nur über eine Seele,dann schlagen sie sich allmählig nieder darin, haften,setzen sich fest. Dann steigen sie herauf in unsere Blicke,in unsere Geberden, brechen endlich als Worte zum Munde heraus, und während wir glauben, wir reden aus dem göttlichsten Recht, ist der Teufel, der grimmig und lustig uns zum Munde ausflattert und dem Nächsten mit Klauen und Hörnern zu Leibe geht, bis auch aus dessen Munde ein Teufel fährt und eine Schlacht zwischen beiden sich erhebt auf Kosten der Armen, in deren Seelen der Teufel sich hinabgelassen und aus deren Mund er wieder herausgefahren ist.
Eines Tages wars, als ob Einer wäre, der ersinnete, was sie böse machen könnte, und Alles dieses herbeiführte und ihnen anthäte. Es gibt solche Tage,wo Eins hinter dem Andern kömmt, wie eine Schneegans hinter der andern, wo das Aergerliche nicht aufhören kann, bis die Galle überläuft und es Wetter gibt zwischen den Menschen.
Als man in den Stall kam, hatte ein Pferd über,und sich übel verletzt, so daß man
dasselbe des Morgens nicht brauchen konnte; im Kuhstall fehlte auch etwas,und als man
Flachssamen brauchen wollte, hatte die Mutter den letzten einer armen Frau gegeben,
welcher Umschläge verordnet waren. In den Ställen vertrappeten die Leute ihre Zeit, so daß
auf dem Felde nichts
Aber Christen tubakete ganz gelassen an seiner Pfeife und sagte dem Metzger: „Du hasts schon manchmal gehört, ich gebe sie nicht. Um was so ein Bernermetzgerli sie vermag zu kaufen, um das vermag ich sie auch zu behalten.“ Alle Einreden des Metzgers, daß andere Kühe für ihn weit nützlicher wären, daß er an drei Kühen wenigstens 60 Kronen zwischenaus machen würde, gingen in den Wind. Aenneli hörte dem Märten mit ungedultigem Herzen zu, ging oft aus und ein und konnte sich nicht enthalten zu dem Metzger zu sagen: es dünke sie, er wäre nicht der Uwatligist,und wenn sie mit einem handeln wollte, so wäre er nicht der Letzte.
Das war ein Stich, der bei Christen Fleisch faßte,aber er sagte nichts darauf, sondern nur zum Metzger:„Du hast gehört, was ich will, und jetzt wollte ich mich nicht länger säumen, wenn ich dich wäre. Wenn du heute noch etwas anderes finden willst, so hast du deine Zeit zu brauchen.“
Bald darauf kam eine arme alte Frau, welche einen kranken Sohn hatte; derselbe erhielt
sie sonst; jetzt
Aenneli war in großer Verlegenheit. Wein hatten sie diesen Augenblick keinen Tropfen im
Hause, wie sonst manchmal der Fall war, und Geld hatte sie auch nicht mehr im Sack als 6
Kreuzer. Sie ließ sich fonst nie so auskommen, daß sie nicht einige Batzen oder Franken in
irgend einem Sacke hatte. Aber sie hatte letzthin zu Gevatter stehn müssen, hatte seit der
Sichelten, wo es den Ankenhäfen übel ergangen war,keinen Anken mehr verkauft, sparte
ebenfalls Augsteneier auf, hatte kein Geld gemacht, und das Schlüfseli hatte eben Christen
im Sack. So konnte sie die Frau doch nicht gehen lassen, wenn der Sohn sterben sollte,so
hätte sie ja keine ruhige Stunde mehr im Leben und das letzte Slündlein ware ihr auch
nicht ruhig,und doch war es ihr grausam zuwider, dem Christen
So etwas hatte Aenneli noch nicht gehört, es stellte ihm das Blut, einen Blick that sie
auf Christen, den der auch noch nie gesehen, aber sagen konnte sie kein Wort, sie ging mit
ihrem Schlüsseli wie stumm ins Haus und als sie der alten Frau die halbe Krone herzählte,
zitterten ihr die Hände so, daß die in den höchsten Ausdrücken dankende Frau plötzlich
fragte:Aber mein Gott was fehlt dir, wird es dir g'schmuecht (ohnmächtig)? O nein sagte
Aenneli, es ist nichts anders, das gibt es mir, wenn ich lange kein Blut ausgelassen. Es
ist albetz bald vorbei. Und Aenneli faßte sich zusammen, denn kein fremdes Ohr hatte je
eine Klage gehört und kein Auge Thränen gesehen in ihrem Auge, außer bei natürlichen
Anlässen; was unter ihnen vorging, sollte keine Posaune auf den Straßen verkünden. Aber es
kostete dieses Zusammenfassen schwere Mühe und kürzer als sonst fertigte sie die Frau abz
sie konnte es fast nicht aushalten, bis sie ihr den Rücken sah. Die gute Frau konnte fast
nicht aufhören
Wie die Frau zur vordern Thüre ausging, schoß Aenneli zur hintern hinaus, machte sich etwas bei den Schweinställen zu schaffen und da sie dort noch nicht ruhig war vor Knechten und Mägden, so schlich sie nach dem Bohnenplätz, der schon gar manchmal als schöner grüner Umhang gedient hat für Dinge, die nicht für Jedermanns Augen sind.
Dort ließ sie endlich ihren Thränen freien Lauf und es dünkte sie, wenn nur das Herz auch gleich käme den Thränen nach, so wäre doch dann ihr Leid zu End. Sie konnte nicht mehr stehen, fie mußte niedersitzen in den Bohnen, der Boden wankte unter ihr,schwarz ward es um Augen und Seele, als ob man ein großes Leichentuch um beide geschlagen hätte.
Also so ging es ihr jetzt, jetzt sollte sie das Unglück alleine entgelten, sollte den
armen Leuten abbrechen,sollte es sie entgelten lassen, wessen sie sich doch so gar nichts
vermochten. Das duünkte sie eine große Sünde,daß man ob der Armuth wieder ersparen wolle,
was menschliche Bosheit und eigene Schwachheit gefehltz hatten sie doch selbst oft darüber
sich aufgehalten, daß es zunächst immer die Armen entgelten müssen, wenn
Die Kinder fühlten wohl, daß etwas nicht gut sei,aber keines frug nach der Ursache und jedes ging so bald wie möglich der Ruhe zu.
Christen rauchte wie üblich seine Pfeife vor dem Hause, und wo er einmal saß, da stand er nicht gerne auf, und wie gerne er auch im Bette gewesen wäre,so war es ihm doch so zuwider daran hinzugehen, daß er bis nach Mitternacht sitzen konnte, ehe er zum Entschlusse kam. So saß er auch dießmal lange und alleine draußen,und vielleicht nicht bloß aus Gewohnheit, sondern wahrscheinlich war es ihm auch, wie es jedem Menschen ist, wenn er sich einem Menschen nähern soll,von dem er weiß, daß er beleidigt ist, aber nicht weiß,ist er streitbereit, oder friedfertig, während man selbst den Muth noch nicht gefaßt hat, offen und ehrlich den Frieden zu begehren.
Endlich suchte er doch das Bett. Er war der Letzte,er betete sein Unser Vater, aber
alleine, Aenneli betete
Aenneli hatte nicht geschlafen, aber auch sie wollte nicht zuerst reden. Christen wars, der gegen sie so gröblich gefehlt; an ihm war das erste Wort, und auf dieses erste Wort wartete sie; aber ob sie mit ihm Friede machen wollte oder nicht, das wußte sie nicht, aber sagen wollte sie ihm, was ihr fast das Herz zerreißen und was sie nicht ertragen konnte, wenn es so gehen sollte.
Als Chrisien betete: vergib mir meine Schulden,wie ich auch vergebe meinen Schuldnern, da
dachte sie:ob er wohl an die Schuld denke, welche er heute gegen sie gemacht. Als er
gebetet, erwartete sie seine Rede; als er aber schwieg, als er sich zum Schlafen
legte,ohne Wunsch, und ohne Segen, da sagte sie zu sich selbst: so, ist das so gemeint;
jetzt ists fertig! Kann der seine Sünden nicht mehr bekennen, so bin ich ein armer Tropf,
aber so ganz untern thun lasse ich mich nicht. Aenneli dachte wunderbarer Weise gar nicht
daran, daß es heiße von Sünden vergeben, sondern hatte nur bekennen im Kopf, und daß
dieses bekennen Christen zukäme; und weil er es nicht that, so sah sie darin eine neue
Schuld, eine Schuld, die sie gar nicht verzeihen konnte; und als Wunsch und Segen noch
ausblieben, da war es ihr, als sei zwischen ihr und Christen ein weiter und tiefer Graben,
über den keines Menschen Fuß kommen koönne, zu keinen Zeiten mehr.Manchmal war es ihr, als
müßte sie reden, als ei
Selbe Nacht kam kein Schlaf in ihre Augen aber auch keine Reue in ihr Herz. Als kaum der
Morgen graute, stund sie auf, nur um Christen nicht etwa:Guten „Tag gebe dir Gott“
wünschen, oder ihm auf seinen Wunsch danken zu müssen. Und das war wiederum der erste Tag,
den sie ohne Wunsch und Segen begannen. Trübselig und wortlos verstrich er, und als der
Abend kam, da legte zuerst Christen sich nieder.Ihn verlangte nach der Stimme seiner Frau,
die er den ganzen Tag über nicht gehört, und es war ihm unwohl dabei geworden, denn sie
war ihm lieb, und er hatte die Rechnung gemacht, daß wenn sie schon gegen die Armen viel
zu gut sei, und mit ihnen viel unnütz verbrauche, und das Lumpengesindel ziehe, wie Zucker
die Fliegen, so sei sie doch sonst sparsam und arbeitsam, und er könnte leicht eine haben,
mit welcher er viel böser z'weg wäre, und es hätte jeder Mensch etwas an sich, das zu
scheuen wäre, aber der eine minder, der andere mehr. Er wollte dießmal reden;z'tublen
(schmollen) trage nichts ab, und bald dreißig Jahre seien sie im Frieden bei einander
gewesen, für den Rest wollten sie keinen neuen Brauch anfangen.Aenneli kam, betete, aber
betete leise für sich alleine.Wann Christen ihr nicht gute Nacht wünschen möchte,so wüßte
sie nicht, warum sie für ihn beten solle; so
So stieg das Feuer auch in Christen auf, und wie es bei langsamen Naturen der Fall ist, um lange zu bleiben. Aenneli aber hatte erwartet, Christen werde fragen, warum sie nicht bete, dann wolle sie ihm so recht auspacken. Als nun Christen nicht fragte, nichts sagte, da dachte sie bei sich selbst: He, nun so dann,wenn du es so haben willst, so habe es; aber daß du so ein wüster wärest, und daß du mich so wenig lieb hättest, das hätte ich nicht geglaubt z und nicht viel fehlte, es wäre ein heftiges Weinen über sie gekommen,so voll ward ihr auf einmal das Herz. Aber der Zorn ward Meister, und trieb, was im Herzen war, als heiße Dämpfe in den Kopf hinauf.
So begannen beide erbittert die Nacht, standen am folgenden Morgen wortlos auf, und eine traurige Zeit begann für das Haus.
Sobald ein Groll im Herzen bleibt und sich setzet,wird dieses Herz selbstsüchtig. Sein
Gesichts oder olelmehr Gefühlskreis verengert sich. Wie die Spinne nur die Fliegen zu
erfassen vermag, welche in den Be
So ging es auch dem armen Ehepaar. Wohlverwahrt trugen sie ihren Groll in ihren Herzen, ließen ihn anfangs nicht unter die Leute, blieben bei ihren angeerbten Sitten, und anständig ging es zu, wie vorhin. Aber expreß verkaufte nun Christen seine Kühe nicht, expreß hielt er nicht weniger Leute, förderte die Arbeit nicht rascher, sondern alles eher das Gegentheil;und Aenneli, weil sie dieses sah, so ward sie nur um so freigebiger, und hieß manche Frau vor Christens Ohren bald wieder kommen. So trotzte eins dem andern, während keines die 5000 Pfund vergaß, und jedes meinte, sie sollten wieder erhuset werden; aber jedes meinte, auf anderem Wege, und je weniger das Husen vorwärts wollte auf diese Weise, um so mehr wuchs die innere Mißstimmung. Diese wurde zuerst fühlbar den Kindern. An allen ihren Angelegenheiten nahmen die Eltern immer weniger Theil, achteten sich derselben kaum, die Kinder konnten gehen und kommen,weder Vater noch Mutter fragten, woher, wohin?
I.
Wenn Annelisi sonst heim kam von irgend einer Lustbarkeit, so hörte die Mutter gerne erzählen, wie es zugegangen, wer zugegen gewesen, und lockte wohl durch Fragen hervor, was Annelisi gerne sagte. Dann ließ sie Worte fallen über diesen Burschen und jenen Burschen, daß die Tochter wohl merken konnte, wer als Schwiegersohn willkommen wäre, und wer nicht.Solche Gespräche waren auch die beste Gelegenheit,über Nebenbuhlerinnen sich zu beschweren und der Mutter zu sagen: „Nein aber Mutter, einen neuen Kittel muß ich nothwendig haben. Es sind Meitschi da gewesen, wo sie daheim mit den Zinsen noch genug zu thun haben, aber einen so schlechten Kittel, wie ich einen habe, hat keins angehabt. Und Göllerketteli habe ich nur die, welche ich erhalten, als mir der Herr erlaubt hat; und die sind so leicht und altmödisch, es trüge leicht eine hoffärtige Magd sie nicht.“ In solchem Zusammenhang hatte die Mutter wider neue Anschaffungen am wenigsten, und wenn die Mutter einmal ja gesagt hatte, so sagte der Vater seinem Annelisi nie nein. Das ward auf einmal anders.
Es gab allemal saure Augen, wenn es irgend wohin wollte. Kam es heim, und wollte mit
einem Bericht des Erlebten wieder gut Wetter machen, so schwieg die Mutter oder fagte, sie
möge des G'stürms nicht,und ehemals seien die Mädchen daheim geblieben,und hätten den
Eltern etwas abgenommen, statt in der Welt jeder Lustbarkeit nachzufahren, wie die Vögel
dem Hirs. Und wenn es etwas vom Anschaffen sagte,eine Kappe gerne gehabt hätte oder ein
Gloschli, so seufzte die Mutter, und schwieg, oder sagte: wenn es
Das that dann Annelist grusam weh. Es war ein gutes Kind und liebte seine Eltern; aber daß es das Unglück allein entgelten und nur für andere Menschen auf der Welt sein sollte, das meinte es doch auch nicht.Wie der Bauernsohn gerne ein Bauer wird, warum sollte die Bauerntochter nicht auch gerne eine Bäuerin werden? Es ist nicht nur wegen dem Manne selbst,der doch auch allerdings nicht zu verachten ist, sondern wegen dem unabhängigen Regiment, das eine rechte Bäuerin führt, und der Achtung, in der sie steht; denn eine rechte Bäuerin, deren es im Kanton Bern viele gibt, und welche die Sonnseite des Bauernlebens sind,ist die Mittlerin des Hauses zwischen Gott und Menschen, ist die sichtbare Vorsehung in allen leiblichen Dingen. Und jetzt sollte Annelisi keine werden, weil der Vater 5000 Pfund verloren und eine Ehesteuer ihm zu hart ankam! Das that ihr weh.
Der älteste Sohn war empfindlicher Natur, und hatte er schon vorhin hie und da geglaubt,
man hätte
Weitaus am meisten litt darunter der jüngste Sohn,Resli. Die Mutter hatte ihm früher oft gesagt: „Resli,je früher du mir ein Söhnisweib bringst, um so lieber ist es mir; aber drei Sachen achte dich wohl, nimm eins, das sich wäscht, aber nicht nur oberhalb des Göllers, sondern auch unterhalb; eins, das Alles anrühren darf und die Saumelchern nicht scheut; und eins, dem man nicht zweimal die Zeit wünschen muß,ehe es einmal danket. Ich bin froh an die Ruhe zu stellen, und wenn du mir so eine bringst, so soll sie nicht über mich zu klagen haben.“
„Freilich“ sagte Resli: „Mutter, es pressirt mir nicht.“ Aber er redete doch gerne mit
der Mutter über die Meitscheni, und hörte, was sie für einen Trumpf hatte für dieses oder
jenes, und was sie von dessen Familie wußte bis zur Großmutter hinauf. Denn Resli hielt
gar viel auf dem guten Namen, und wollte nur eine Frau „von braver Familie nache“. Er
wollte nicht,daß man den Kindern die Eltern vorhalten könne, und hielt eben so viel auf
ehrlichem Gut, und eine mit ungerechtem Gut hätte er nicht mögen, und wenn sie einen
ganzen Kässpycher voll Dublonen gehabt hätte, und
So ein junger Kerli weiß aber, wenn die Mutter es ihm nicht sagt, nicht, was in einer Familie vorgegangen und was ihr anhanget; er sieht bloß, wie das Meitschi thut, und sehr oft sieht er auch dieses Thun durch eine Brille. Und wenn er auch einsieht, wie dumm es thut, so meint er noch sehr oft, aus einem Meitschi, das dumm thut, gebe es eine Frau, die gescheidt thue aber ohä!
Es ist daher einer glücklich, wenn er eine Mutter hat, mit welcher er vernünftig über die Meitscheni reden kann, und die nicht meint, das Himmelreich bestehe in einem Geldsack, und wenn ihr Sohn schon eine dumme Frau kriege, so mache es nichts, weil er gescheidt für zwei sei.
Mehrere Jahre hatte Resli bereits in der Welt gelebt, und hatte schon an viele Mädchen gedacht, hatte schon manchmal g'werweiset: will ich dieß oder will ich jenes; das wäre reicher, das wäre schöner, das wäre lustiger, und jenes e Werchadere vom Tüfel; aber noch keines hatte er angetroffen, bei dem er in sich selber dachte: Das will ich und kein anderes, und wenn ich das nicht haben kann, so will ich gar keins, und wer weiß, vielleicht hänge ich mich noch.
Da war einmal ein schöner Sonntag, und es dünkte Resli, er möchte auch einmal baden. Er machte sich z'weg, steckte eine schöne Rose auf den Hut, legte das schönste Halstuch um und sagte, man solle Abends zum Essen und Füttern nicht auf ihn warten, man wisse nie, was es gebe und säume sich manchmal ung'sinnet.
Gleich nach dem Mittagessen ging er alleine; denn sein Bruder hatte gerade seine kranke Laune und einen
Knecht so gleichsam als Sicherheitswache mit sich nehmen, wie es oft geschieht, der dann mit des Meisters Sohn ißt und trinkt, sich aber auch für ihn schlägt und prügeln läßt, das mochte er nicht.
Es war ein heißer Tag, der Staub lag Hand hoch auf der Straße, und als Resli aus dem Bade kam,dünkte es ihn, er sei ein ganz neuer Mensch, er hätte Flügel und koönnte fliegen über Berg und Thal. Zwei lustige Geiger riefen zum Tanze, und rasch hörte er die genagelten Schuhe den gygampfenden (auf und niedergehenden) Boden stampfen. In langsamer Ruhe stieg er die Treppe auf, trat unter die Thüre, sah im öden Saal ein halbes Dutzend Paare dampfen und stampfen und ein Dutzend Mädchen an den Wänden stehen, welche auch gerne gezeigt hätten, wie sie ihre Kittel schwingen könnten, und wie sie das Stampfen erleiden möchten, auch wenn es auf ihren eigenen Füßen (Füßchen kann man nicht wohl sagen) stattfinden sollte.
Resli gehörte nicht zu den weichen Herzen, die sich aller verlassenen Mädchen erbarmen, die meinen, wenn ein Mädchen tanzen möchte oder sonst etwas, so hätte sie der Herrgott appart dazu geschaffen, des Mädchens Wunsch zu erfüllen. Zudem ist es bei uns zu Lande nicht so mit einem Tanze abgethan, so daß, wenn der Geiger den letzten Strich thut, man das Maädchen flädern (halb fliegen) lassen kann, unbekümmert, in welche Ecke oder an welche Wand es geräth, wie es unter den heutigen Zierbengeln Mode wird. Reicht ein Bursche einem Mädchen zum Tanz die Hand, so steigen in demselben gleich ein Fuder Hoffnungen auf. Zuvorderst steht eine Halbe Wein, welche der Tänzer kommen läßt,hintendrein kömmt Essen, ein schönes Schnäfeli Bratis,dann eine schöne Heimfahrt, und endlich ein lustiger
Hochzeittag. Das steigt Alles auf, sobald ein Mädchen eine Hand zum Tanzen kriegt, und so eine Hand ist gleichsam der Schlüssel zu einem Schranke, der voll Herrlichkeit ist, und der einem aufgeht, sobald man mit dem Schlüssel recht umgeht. Wenn aber nach ein oder zwei Tänzen sonder Komplimente ein Bursche seine Tänzerin fahren läßt, so versinken auf einmal alle diese Hoffnungen, und aschgrau wird es dem Mädchen im Herzen, wie es uns Allen würde, wenn wir das Morgenroth gesehen hätten, und nach dem Morgenroth käme keine Sonne, sondern wiederum die Nacht.
So täuschte nun Resli nicht gerne, und für etwas mehr als höchstens einen Tanz, war ihm keines der Mädchen anständig. Er forderte daher einen Schoppen für sich alleine, und setzte sich an den Schenktisch, unbekümmert um die ärgerlichen Augen, die wie Fliegen und Wespen seine Ruhe gern gestört hätten. Aber Resli trank kaltblütig seinen Schoppen, und dachte,wenn nichts besseres kömmt, so trink ich aus, und gehe.
Und wie der Böse kommen soll, wenn man an ihn denkt, so kömmt in guten Stunden uns auch der Engel vor die Augen, an den gerade unsere Seele dachte.
Wie Resli aufsah, sah er ein Mädchen am Eingange stehen, von ganz anderem Schlage als die
Mädchen drinnen an der Wand. Es war nicht reich gekleidet, nicht so handgreiflich schön,
wie man es auf dem Lande liebt, aber auf den ersten Blick sah man,daß da etwas Rechtes
sei, und aus einem berühmten Hause; der Glanz der Züüchtigkeit und Reinlichkeit, in
welchem das Mädchen so gleichsam gebadet war, gab ihm fast etwas stolzes, daß keiner der
Bursche, die da waren, sich an ihns wagten. Resli fühlte sich auch Etwas, und glaubte
nicht, daß für ihn leicht eine zu
Mehrere Tänze tanzten sie im weiten Saale, so gleichsam der König und die Königin unterm gemeinen Volk, und sie hatten je länger je größern Gefallen an einander; das ging zusammen, so rund und sittig, so rasch und richtig, daß es jedes von ihnen dünkte, so wohl hätte das Tanzen ihm noch nie gefallen, und noch mit Keinem hätte es so fortkommen können, wie pfiffen. Nach einigen Tänzen sagte er, er möchte eine Halbe zahlen,wenn es kommen wollte. Das Meitschi sagte zuerst,es sei nicht nöthig, es sei nicht durstig; indessen wehrte es sich doch nicht halb so, wie manches Stüdi, das wenn es von weitem Wein riecht, schon die Finger zu schlecken anfängt, bis an den Ellbogen, sich aber doch,wenn Jemand es zum Wein führen will, erst reißen läßt, bis ihm irgend ein Bein im Leibe kracht.
Man sah dem Mädchen an, daß Resli ihm wohl gefiel, und eben weil es hier fremd war, und es wohl sah, daß Resli es auch nicht kannte, so ließ es sich um so unbeachteter gehen, und verschanzte sich nicht hinter die übliche zähe, einsylbige Sprödigkeit. Als sie am Wein saßen, und die Stubenmagd fragte: Ob sie noch etwas zu essen bringen solle, da befahl Resli gleich vom Besten was sie hätten. Aber da redete das Mädchen auch, und sagte, ein Glas Wein zu trinken sei ihm recht gewesen, aber essen möge es nicht, sein Vater werde bald kommen, und es abholen, sie hätten weit heim.
Resli gebehrdete sich aber auch als einer, der wußte,
Noch zwei Tänze tanzten sie, nachdem das Stubenmeitli das Essen auf den Tisch gestellt,
und ihnen immer gewunken, von wegen weil es kalte. Aber es war Resli, als könne er das
Meitschi nicht aus dem Arm lassen, und wenn er es lasse, so entschwinde es ihm, und er
sehe es nie wieder. Endlich führte er es doch zum Tische, und das Meitschi ließ sich
führen;freilich sagte es, es sei unverschamt, und es wolle seinen Theil bezahlen, es thäte
es nicht anders. Es sei nicht da hinaufgekommen, um zu schmarotzen, aber der Vater hätte
eine Verrichtung gehabt, und es unten Langeweile, darum habe es dem Tanz zusehen
wollen,damit die Zeit fürgehe. Daß es selbst hätte tanzen können, sei ihm viel zu gut
gegangen, und darum wolle es ihn jetzt nicht noch in Kösten bringen. Vom Geiger wolle es
nichts sagen, aber an der Uerti zahle es seinen Theil; wenn er das Geld nicht zu scheuen
brauche,
Da kam das Stubenmeitli noch einmal und sagte:Der Vater lafse befehlen, daß seine Tochter auf der Stelle kommen solle, sonst fahre er alleine, man könne die Rosse nicht einen ganzen halben Tag an den Bäumen stehen lassen. „Laß du ihn fahren, sagte Resli, ich begleite dich dann heim, wenn du nichts darwider hast.“ Da ward das Mädchen roth und sagte: „Nein,das will ich jetzt nichtz aber dankeigist, und behüte dich Gott,“ und somit gab es Resli die Hand. Resli nahm sie, und wollte noch etwas sagen, und das Meitschi wartete darauf. Aber das rechte Wort kam Resli nicht.Da stürzte die Magd hinein und rief: „G'schwind,g'schwind, dr Alt ist scho ufg'hocket! „Adie wohl“, rief das Mädchen, und riß sich los. „Wart doch, los doch“,rief Resli, aber das Mädchen war schon auf der Treppe,und frug auf derselben im Fluge das Stubenmeitli:„Was ist das für e Bursch?“ „Ich weiß es nicht, sagte dasselbe, ich kenne ihn nicht, er ist noch nie da gewesen.“ Da ging stille das Mädchen aufs Wägeli, stille hörte es die Vorwürfe des Vaters, stille fuhr es mit ihm dahin; es war ihm, als fahre derselbe mit ihm ins weite öde Meer, wo keine Freude, keine Lust mehr sei, nichts als Herzeleid und lange lange Zeit, bis man sterben könne.
Resli war ganz verduzt gestanden, und als er zum Fenster trat, um nach Wägeli und Vater
zu sehen,ob er sie vielleicht kenne, sah er nur noch die hinter ihnen aufwirbelnde
Staubwolke. Da that es ihm im Herzen weh, und er konnte nicht aufhören in den Staub zu
sehen, hoffend, der Wind möchte kommen,und den Staub verjagen, noch einmal könne er das
Da dünkte es Resli erst: Wenn seine erste Tänzerin nicht wisse, woher er komme, so brauche es die gegenwärtige auch nicht zu wissen; aber bald besann er sich eines Bessern, und gab seinen Stammsitz an;denn wäre es nicht möglich, daß man hier ebenfalls nach ihm fragen würde?
„So bist du der, sagte das Stubenmeitli; ich habe viel von Liebiwyl gehört, bin aber noch nie dort gewesen. Des Dorngrüter Bauerntochter hat gefragt, woher du kämest, aber was man nicht so weiß, kann man nicht sagen. (Man frägt im Emmenthal meist: Woher bist, statt wer bist, da nach alt-adelicher Sitte die Menschen bekannter sind unter dem Namen ihrer Höfe, als denen ihres Geschlechts.) „Soll ich dir noch eine Halbe holen? Du wirst doch nicht schon fort wollen, du kämest ja Tags heim!“ „Nein, ich mag nicht mehr trinken“, sagte Resli. „So mußt du noch einen mit mir haben“, sagte das Stubenmeitschi, und nach dem einen wollte es noch einen und noch einen, gäb was Resli sagen mochte; und wer weiß, wie manchen Resli noch hätte haben müssen, wenn nicht die Wirthin unter der Thüre erschienen wäre, um das arme in seine Privatgeschäfte vertiefte Meitschi zu suchen. „So, bist du da,du donnstig Bubennarr, was du bist; wohl, dir will ich“! rief sie mit klebriger Stimme in den weiten Saal durch Geigen und Stampfen mitten hindurch, daß das arme Mädchen zusammen fuhr, wie von einem großen Dorn gestochen, sich umsah und mit einem Satz zur Stube ausfuhr, als wenn es schrittlings auf dem Bysluft führe.
„Bist du noch da, du donnstigs Tanzgöhl, fuhr
„Komm Buürschi, wir wollen noch einen haben“,und somit drehte sie sich, und wollte Resli wieder fassen, aber es war kein Resli mehr da; sie streckte die Arme in die Luft, und stand da, ungefähr wie Loths Weib gestanden sein mag. Es erscholl ein donnernd Gelächter; der Wirth sagte: „Gäll, der hat es dir gereiset!“ „Wo ist der junge Löhl“, fragte die Wirthin, sah rund in der Stube herum; aber Resli war nirgends zu sehen. Hat ihn der Schwarze genommen?Und abermal lachten Alle, und der Wirth sagte: „Such nur.“ Die Wirthin wurde endlich verblüft und sagte:„He nu so de. Wenn es hat sein müssen, so ist es mir allweg lieber, er habe ihn alleine genommen, als mich damit, Es nimmt mich nur Wunder, sagte sie zu ihrem Manne, warum er dich nicht mitgenommen hat, es wäre ihm in einem zugegangen, und er hat schon Manchen genommen, der am kleinen Finger besser gewesen ist,als du am ganzen Leib mit Haut und Haar.“
Während unter solchen zärtlichen Gesprächen das Ehepaar an seine Arbeit ging, hatte Resli, der zum offenen Fenster aus auf die Laube und von da ins Freie gekommen war, schon einen Plätz Weg gemacht.Bald fchien's ihm, er gehe auf Rädern, bald wieder kniestief in der Erde, bald tanzte er mit dem Mädchen,bald dachte er, er hätte es zum letzten Male gesehen.
Er machte Plan um Plan, wie er zu ihm gelangen wolle, bald Nachts als Kiltbub, bald unter
dem Vorwand, Kühe oder Rosse zu kaufen, oder Heu oder Stroh; so ein Baurensohn hat gar
manchen Schlüssel zu andern Baurenhäusern, wenn es ihm Ernst ist,
Die Andern hatten schon gegessen, aber die Mutter hatte ihm sein Essen an die Wärme gestellt. Sonst war sie neben ihn gesessen und hatte ihn gefragt, wo er ausgewesen, und dann hatte ein Wort das andere gegeben, bis beide wußten, was sie wollten. Jetzt äber stellte sie ihm sein Essen dar, fragte nicht: Ist es noch warm? Sagte nicht: Du bist früh heim;sagte ihm kein Wort, ging aus und ein, als wäre er nicht da. So konnte er keine Frage anbringen, und das that ihm weh. Manchen Tag strich er um die Mutter herum, aber wenn er etwas vom Sonntag anfangen wollte, so verschloß ein mürrisch- grollend Wort ihm den Mund. Endlich glaubte er einen günstigen Augenblick erhascht zu haben, er war mit der Mutler alleine im Spycher und faßte ihr Korn für die Schweine. „Mutter, kennst du den Dorngrüterbauer ?“„Warum fragst du nach dem?“ „He, ich habe ihn letzten Sonntag gesehen.“ „Wie hast du gewußt, daß es der Dorngrüterbauer war ?“ „O, ich habe. gefragt.“ „Was hat dich das Wunder genommen ?“ „Ho Nienerum. Aber ich habe mit der Tochter einen Tanz getanzt oder zwei.“„Jä so, sagte die Mutter. Während man daheim für euch sorget und huset und kummert, fahrt ihr herum und läuft jedem Schlaärpli nach.“ „Es dünkt mich doch Mutter, du solltest nicht über mich zu klagen haben,ich mache ja was ich kann.“ „Ja, sagte die Mutter,und läufst an den Orten herum, wo es lustig geht.Es dünkt mich, das sollte dir vergehen, wenn du sinnetest, wie wir dran sind, und der Muth zum Tanzen und Karisiren sollte dir vergehen. Aber so hat man es
II. 5
Solches dachte Resli, aber es erbitterte ihn nicht.Es war ihm immer als müßte er der Mutter und noch einer Andern zeigen, daß er besser sei, als man von ihm denke, als werde man hier oder dort nach ihm fragen, und dann solle jeder sagen müssen, einen brävern Burschen und einen, der alles besser angreife,gebe es nicht, so weit der Himmel blau sei. Und wenn ihm die Galle aufsteigen wollte, und ihn antreiben zum Wüstthun, so wars ihm, als hebe das Meitschi hinter einem Hag den Finger auf und sage: „B'hüt mi Gott vor einem Selligen.“ Dann nahm er sich zusammen und that wieder wie er dachte, daß ein Meitschi,welches gerne einen guten Mann hätte, es am liebsten sehen würde.
Aber wie viele Pläne er auch machte, auf den Dorngrüt zu gehen, er führte keinen aus. Es munterte ihn Niemand auf, und so wie es bei ihnen immer mehr ging, hatte er nicht das Herz, eine junge Frau in das Wesen hineinzuführen.
Als künftiger Besitzer des Hofes, um der Mutter zu
Hefti nicht, und man solle erfahren, wer Meister sei.Von dieser Zeit an ging es dem armen Resli bös,und er brauchte nur ein Wort zu einer Sache zu sagen,so ging es übel, und von Allem was er sagte, that der Vater gerade das Gegentheil, und wenn er ihm eine Unerfahrenheit oder Unbesonnenheit aufrupfen konnte,so sparte er es nicht, und nahm sich damit nicht einmal vor den Diensten in Acht. Wo er nur konnte,gab er ihm zu verstehen, daß er eigentlich nur noch ein Bub sei, und nichts verstünde, und noch manchen Bissen Brod essen müßte, bis er nur wüßte, was eigentlich ein Bauer sei.
Resli verlor allen Mith, als sein Eifer ihm so übel genommen ward. War er dann laß und muthlos,so hieß es, da sehe man was mit ihm sei, wenn er die Sache mit dem Maul machen könnte, so wäre es wohl gut, aber wo es müsse ausgehalten sein, da sei er nicht daheim.
Doch dieß hätte er auch noch ertragen, er wußte gar wohl, daß man mit der Eltern
Gebrechen Geduld haben solle, wenn nur diese Vorwürfe im Stillen unter vier Augen
geschehen wären. Aber die Art im Hause hatte sich ganz geändert, und das war es, was ihn
am übelsten plagte, und manchmal fast z'weinen that. Früher war man so besonnen mit der
Rede,hütete sich, daß kein böses Wort fiel, oder wenigstens nie vor fremden Ohren; denn
wenn Mann und Weib sich böse Worte geben, was sollen Kinder und Diensten daran für ein
Exempel nehmen? Und muß man sich darüber wundern, wenn sie ebenfalls böse Mäuler kriegen?
Darum auch war das Haus so berühmt weit und breit; denn wo Keiner dem Andern ein böses
Wort sagt, da geht es im Frieden, und wo es im
Nun war es anders geworden.
Christen und seine Frau gaben sich manches böse Wort, und hielten sich unverblümt ihre Fehler vor.Christen hielt seiner Frau ihre Wohlthätigkeit vor, und wie diese und jene Frau eine ganz andere sei, so und so viel Eier- und Milchgeld hätte sie in einem Jahr ihrem Mann gegeben. Aber da stünden nicht immer zwei vor der Thür und warteten bis drei andere, die drinnen wären, herauskämen, um dann auch hineinzugehen. Mit einer solchen Frau sei es auch eine Freude zu hausen; da hatte man ung'finnet immer mehr; er aber möge einnehmen so viel'er wolle, so sei in Gottes Namen immer kein Geld da, es sei wie wenn der Luft darhinter wäre. Die Frau blieb nichts schuldig, und sagte, 5000 Pfund hätte sie doch nicht verliederlichet,und sie könnte manchem armen Menschen wohl thun,ehe sie nur den Zins davon gebraucht hätte, und zwischen Spitzbuben und armen Leuten sei doch noch ein Unterschied, und es heiße in der heiligen Schrift nirgends, daß die einen Gottslohn davon hätten, welche Spitzbuben mästeten. Sie könne nichts dafür, daß es nicht mehr Milchgeld gebe; sie kaufe und verkaufe die Kühe nicht, und müsse die Milch nehmen, welche man ihr bringe. Und wenn man zu rechter Zeit jede Arbeit verrichten würde, man erhielte auch mehr und besseres Futter. Sie wüßte Männer, welche z'halb mehr auf dem Hofe machen würden.
Wenn sie dann auf ähnliche Weise mit einander gewortet hatten, so konnte sich vielleicht
Christen nicht enthalten, vor Knechten und Taunern zu sagen: Es erleide ihm, dabei zu
sein, und wenn seine Frau nicht
Die Worte, welche in die Ohren der Diensten fallen, die finden nicht unfruchtbares
Erdreich, die gehen auf, manchmal tausendfältig, und wenn sie aufgegangen sind, so stehen
sie nicht still wie Korn oder Weizen,fondern wandern von Haus zu Haus und samen sich
wiederum ab in die Ohren neugieriger Weiber, die,wie gegenwärtig die Stadtthore, Tag und
Nacht offen stehen. Es ist aber mit Dienstenohren noch eine wunderliche Sache. In gewisser
Beziehung würde man ihnen das größte Unrecht anthun, wenn man sagte, das wären auch Ohren,
die nicht hörten. Denn diese Ohren hören zuweilen auf hundert Schritte, sogar durch
verschlossene Thüren und solide Wände, und von dem, was sie so hören, vergessen sie
nichts; dann gibts wiederum andere Sachen, welche nicht zu diesen Ohren ein wollen. Es
gibt Dinge, man kann sie ihnen hundert Mal des Tages sagen, am folgenden Morgen wissen sie
nichts
Aber nicht nur Diensten redeten, auch Annelist klagte zuweilen einer Freundin ihr Leid, wie es nicht mehr auszuhalten seie daheim, und es wäre ihr zuletzt recht, den ersten besten zu heirathen, wenn es nur daheim wegkäme. Aber sie solle es bei Leib und Sterben Niemand sagen. Die Freundin sagte: „Was denkst du doch, und wenn man vier Rosse ansetzte, kein Sterbeswörtchen brächte man aus meinem Munde.“ Und kaum war sie heim, so sagte sie: „Mutter, dort drüben gehts strub zu; z'Annelisi hat es mir selbst geklagt; für viel Geld möchte ich nicht im Hause sein. Ja, auf my Armi! wenn mich jetzt einer von den Buben schon wollte, sie könnten mir küderlen.“ Der Versuch wäre jedoch nicht rathsam gewesen.
Christen konnte sich ebenfalls nicht enthalten, wenn er getrunken hatte, anzügliche Worte fallen zu lassen,und wenn er seine melancholische Laune hatte, und sich vernachlässigt glaubte, dann war sein Herz noch offener. Ja, auch die Bettler, welche Gutthaten empfingen aus Aennelis Händen, schnappten Worte auf und vergaßen fast zu danken für die erhaltene Gabe, aus Eifer und Hast, das aufgeschnappte Wort weiter zu tragen.Man findet oft auf wüsten Inseln Gewächse blühen aus fernen Zonen, und es können die Menschen es nicht fassen, wie die Gewächse auf die einsame Insel gekommen, bis irgend ein Gelehrter sich ihrer erbarmet und mit gelehrtem Gesichte ihnen erzählt, wie Blumenstaub fliege in der Luft herum, und dieser Blumenstaub sich hänge an eines Vogels Fliegen oder Beine. Nun geschah es oft, daß diese Vögel durch mächtige Winde verschlagen wurden, weithin über den unermeßlichen
Ocean. Dann wurden sie müde, und wo sie festen Boden erblickten, ruhten ste. Nun falle der Blumenstaub ihnen von den Füßen, keimte, sproßte und nach wenig Jahren sei auf der wüsten Insel ein blühend Leben. Dem fliegenden Blumenstaube gleichen alle Worie; sie sind Geister der Lüfte, fliegen im Winde,hängen in Menschen Ohren sich, lassen sich tragen,wohin ihre Füße gehen, lassen sich absetzen, wo sie stehen und sitzen, keimen und wuchern, und wer sie hergetragen, vergißt man. Wer später ihren Wuchs fieht, wundert sich, erräth das Geheimniß nicht, weiß nicht, wie lange solche Geschichten wachsen, und fort und fort wachsen weit, weit von dem Leben weg, in welchem sie sich zugetragen haben sollen; er weiß nicht,wie leicht lange Geschichten sprossen können aus einem geflügelien Wort, das in eines Bettlers Ohr sich hängt.
So wurde jetzt viel geredet allenthalben von der unglücklichen Familie; denn gar zu oft flogen solche bleiben,üms Haus herum. Und je weniger man vorher Ursache gehabt hatte, über sie zu reden, um so mehr redete man jetzt, und entschädigte sich gleichsam für das frühere Schweigen, so wie die, welche zu fasten belieben, sich auch durch desto mächtigeres Essen entschädigen, wenn die Fasten zu Ende gegangen.
Mehr oder weniger mochten es ihnen Alle gönnen.Da sehe man jetzt, sagten die Leute, die
hätten immer besser sein wollen als Andere, und wegen 5000 Pfund thäten sie so nöthlich.
Wenn sie ein solches Vermögen hätten wie jene, sie wollten nicht nebenume luegen; aber da
sehe man jetzt, daß sie das Geld noch lieber hätten als andere Leute, und daß sie nur die
guten Leute machten, wo sie es mit ein Paar Biren
Die Weiber absonderlich konnten ihre Freude nicht verbergen. Wegen Christen sei es ihnen
leid, sagten sie; mit dem könnte jede vernünftige Frau nachkommen,und manche wäre froh,
der ihrige wäre nur halb so gut wie Christen. Wenn man mit ihm zu reden komme, so sei es
nicht, daß er die Sache nicht verstehe, so ausbündisch könne nicht Mancher über Alles
Bescheid geben,wie er. Aber Aenni, der Gränne, möchten sie es goönnen;der geschehe es vom
Tüfel recht. Die habe gemeint,sie habe die Weisheit mit Kaffechachelene trunke, habe alle
Weiber verachtet, mit keinem Gemeinschaft haben,weit und breit die Beste sein wollen, habe
die armen Leute aufbegehrisch gemacht, daß man ihnen nicht genug habe geben können. Ja,
sie seien im Stande gewesen,ihnen das Brod wieder zu Füßen zu werfen und zu sagen: sie
sollen es dem Hund geben, wenn er es möge;sie wüßten einen Ort, wo man für arme Leute Brod
hätte, das sie essen könnten. Die hätte gemeint, sie hätte kein Fleckli nirgends, und es
solle kein Mensch etwas über sie sagen, und der liebe Gott könnte seine Beine nicht stille
halten im Himmel, vor Freude, daß einmal so eine in den Himmel käme, und jetzt koöͤnne man
sehen, wie die eigentlich seien, wo besser sein wollen, wie alle Andern. Sie hätten schon
lange gesagt,wenn der nicht etwas auf die Nase werde, so wüsse man nicht, ob man noch an
eine Gerechtigkeit glauben solle oder nicht. Aber wohl, jetzt sei es gekommen; an der
Hälfte hätten sie mehr als z'Halbe z'viel, und es
So räsonnirten die Weiber; die Männer machten es etwas kürzer, und Aenneli fand vor ihnen mehr Gnade als Christen.
Da müßte man doch blind sein, wenn man nicht wüßte, wer den Wagen in den Hag gefahren,
und jetzt nichts mit ihm anzufangen wüßte. Es sei bei einem so großen Hofe nichts
verderblicher, als wenn man immer um eine Arbeit hintendrein sei. Das sei gerade, wie wenn
man an einem Morgen nicht auf möge, und am Abend nie nieder könne. Drüben aber gehe es so,
und daran sei Christen Schuld. In der Haushaltung, welche Aenneli regiere, da habe Alles
feine Zeit, und man habe nie gehört, daß die Diensten nicht zu rechter Zeit essen könnten.
Und was Aenneli unter seinen Händen habe, das suche es zu guter Losung zu bringen, während
Christen nichts aus den Händen lassen könne, und im Handel ein rechter Fösel sei; jeder
Schulbub möge ihn. Sie wollten mit Aenneli wohl nachkommen, es sei eine manierliche
Frau,und wenn eine einen solchen Mann hätte, so nehme es sie nicht Wunder, wenn sie
zuweilen auch ein Wort dazu sagen wolle. Es wäre wohl gut, und käme Manchem wohl, es würde
keine schlimmeren Weiber geben, als Aenneli. Dann sagten wohl die Weiber:Es gebe keine
wüstern Hüng als das Mannenvolk; es brauche Eine nur wüst zu thun, so gefiele sie Allen
wohl. Es gelüstete sie, den Männern es zu zeigen,
Dieses Gerede that aber Niemand mehr weh als Resli. Alles Andere hätte er im Stillen
ertragen wollen, wenn nur das nicht gewesen wäre. Ihm war es immer im Gemüthe, als würde
des Dorngrüterbauern Tochter noch nach ihm fragen, als müßte sie vernehmen, wo er daheim
sei? Und wenn sie jetzt fragte,was vernahm sie? War nicht der alte berühmte Name dahin?
Mußte es nicht heißen: Da gehe es nicht mehr gut. Lauter Streit und Zank sei im Hause, und
wenn nicht Reichthum da gewesen wäre, so ginge es nicht mehr lange. Jetzt möchte es noch
ein Weilchen halten,aber immer konne das nicht so gehen. Es müßte Eine da zweimal luegen,
ehe sie hineintrappe, sonst nehme sie einen Schuh voll heraus. Aber öppe ein rechtes
Meitschi, das noch nicht zu äußerst am Hag sei, werde sich wohl hüten. Er wußte wohl, daß
ein Name,welcher durch mehrere Geschlechter während einem ganzen Jahrhundert erworben
worden war, in wenig Jahren ganz dahin gehe, und wer mußte es büßen als gerade er, der auf
dem Hofe blieb. Es kam ihm immer mehr vor, wenn schon 10,000, ja 20,000 Pfund verloren
gegangen und nur der Friede geblieben wäre, so wäre er glücklich und wollte kein Wörtlein
klagen. Es schien ihm, als würde ein Verlust alleine das Meitschi nicht abschrecken; in
ein Haus aber, wo nur Streit und Zank sei, da hinein würde es um Alles in der Welt nicht
gehen; das, meinte er, habe er ihm wohl ange
Endlich vermochte Resli sein ganzes Leid nicht mehr in sein Herz zu fassen, er klagte
dasselbe seinem Bruder. Dieser hatte ihn als einen Günstling betrachtet, und da er ihn im
gleichen Spital krank fand,wallte auch das gleiche Mitleid, welches er mit sich selbsten
hatte, für den Bruder in ihm auf, und beide wurden räthig, daß es je länger je schlimmer
gehe,und daß man da zu helfen suchen müsse, wie man könne und möge. Man müsse den Eltern,
wenn sie zu kifeln anfingen, abbrechen, meinten sie, und ihnen sagen,das trage nichts ab,
als daß sie verbrüllet würden.Wenn man es ihnen in der Manier sage, so würden sie es wohl
annehmen, und merken, daß sie Unrecht hätten, b'sunderbar wenn man dem, welches eigentlich
die Urhab sei, zeige, daß es Unrecht hätte, und sich doch um Gottes und der Kinder willen
besänftigen solle. Das fanden sie für das Beste, und als Christen noch an Reslis Liebe
Theil nahm, und sagte, es müsse nichts zu machen sein, oder Resli müsse des Dorngrütbauern
Tochter haben, er wolle in den nächsten Tagen um den Dorngrüt herumstreichen, und wenn er
das
Dem Aennelist sagten sie nichts davon. Sie betrachteten es halb wie ein Kind und halb wie einen Hintersäß, welcher vor Zeiten in Gemeindssachen auch nichts zu reden hatte. Bauernsöhne haben es fast wie die Katzen, welchen man es nachredet, daß sie sich mehr an die Häuser als an die Leute schlößen und hängen, während die Mädchen es haben wie die Täubchen, welche alle Tage ins Weite fliegen, und ob fremden Tauben ihr Häuschen vergessend, ihnen gerne folgen. Die Söohne sind die Aristokraten, die Mädchen die Radikalen; die Erstern meinen, es gehöre ihnen alles von Rechtswegen, die Letztern flüchten sich je eher je lieber in fremdes Land, um unter fremdem Schutz desto sicherer und mächtiger gegen die brüderlichen Aristokraten aufzubegehren, und aus ihren Klauen zu reißen, so viel wie möglich.
Sie hatten Annelisi recht lieb, aber weil es zuweilen etwas gaugelhaft that, so trieben
sie oft ihr Gespoött mit ihm, und sahen es so gleichsam über die Achseln an. Annelisi,
welches sich wohl bewußt war, daß es nicht auf den Kopf gefallen sei, und so gute Gedanken
hätte als irgend ein Meitschi, nahm das übel und vergalt den Brüdern ihr vornehm Wesen
durch manche Spottrede, manche Neckerei und verrätschte (verklagte)sie wohl zuweilen bei
Vater und Mutter; kurzweg gesprochen, es that recht radikal gegen sie, wessen sie
Wie gut Christen und Resli es auch meinten, gut kam es ihnen nicht. Die Eltern verstunden sie nicht;es ging ihnen, wie wenn Unkundige in einer Wunde herumfahren, oder in eine Beule stechen, welche noch nicht zeitig ist.
Sobald sie in das Gekiefel der Eltern reden wollten,so wurden sie an die alte Haussitte gemahnt, seit wann es der Brauch sei, daß Kinder hineinwelscheten, wenn Eltern mit einander redeten. Die guten Eltern dachten nicht daran, daß wenn man die Stützen wegnehme,das ganze Haus umfalle, und daß, wenn sie selbst das erste Bedingniß, vor den Kindern zu worten, verletzten, die Kinder auch um den alten Respekt kämen,und daß, wenn Eltern vor den Kindern sündigen, die Liebe die Kinder treibe, die Eltern zurückzuweisen, so gut als sie auch die Eltern treibt. Der Witzigere wehrt ab; wenn nun die Kinder die Witzigern werden, sollen sie nicht auch abwehren?
So verstunden es aber die Eltern nicht, sahen nicht,daß sie nicht mehr die Alten waren, sondern krank geworden, die Kinder aber die alte Lebenskraft seien,welche sie wieder zur alten Gesundheit bringen möchten.Wenn nun die Kinder zum Schweigen gewiesen wurden, so wollten sie sich entschuldigen und sagten: Aber Vater, es dünkt mich doch, es sei nicht der werth, so bös zu werden; oder: Die Mutter habe Recht; wenn man es so machen wüͤrde, wie die Mutter sagte, es käme besser; oder: Der Vater hat doch auch etwas Recht; man kann in Gottes Namen nicht immer machen was man will, man muß sich zuweilen auch nach den Umständen richten. Das ging dann noch liefer; was
Entschuldigung sein sollte, nahm das eine als Billigung, das andere als Mißbilligung. So
etwas während dem Streit ist Oel ins Feuer, und zugleich kam Dasjenige, welches mißbilligt
sich glaubte, in den Wahn,die Kinder hielten es mit dem Andern, glaubte sich unterdrückt,
wurde nur hässiger und böser, der Streit ward häufiger, giftiger, lauter. Resli in seinem
Thätigkeitstrieb vom Vater zurückgewiesen, der Mutter Wohlthätigkeitssinn, des Hauses
Ehre, nothwendig achtend,und auch innerlich ihn theilend, entschuldigte sich öfters damit:
Es dünke ihn doch, man solle zuweilen auch darauf achten, was die Mutter sagte. Das machte
den Vater immer böser über Resli, und laut klagte er über ihn, daß er nicht warten möge,
bis er den Löffel aus der Hand gegeben; er stecke hinter der Mutter, und weise sie auf,
und wenn er nicht wäre, es ginge alles besser. Er merke wohl, was abgekartet sei, und daß
er den Hof abtreten sollte; aber das thue er nicht,so lange er ein Glied rühren könne.
Annelist, Reslis natürlicher Gegenpart, und nicht in die Absicht der Brüder eingeweiht,
nahm des Vaters Partei, und sobald Resli den Mund aufthat, mischte sich auch Annelist ein,
oft noch ehe es wußte, wovon die Rede war. Wenn die Mutter es schweigen hieß, so begehrte
der Vater um so lauter mit Resli auf, und wenn fpäter Resli mit Annelisi alleine war, so
drohte er ihr, wenn es noch einmal den Mund aufthue, so nehme er es bei den Züpfen, und
führe es zur Stube aus. Er wolle ihr zeigen, was es sich in alles zu mischen hätte, und es
sollte sich schämen ins blutige Herz hinA nur, antwortete ihm dann Annelisi, wenn du
darfst,und du meinst, du hättest alleine das Recht zu reden.
So ward, was zum Frieden dienen sollte, ein neues Reizmittel zum Streit, wie es ja auch bei großen Branden geschieht, daß Feuerspritzen, welche man zur Rettung eines Hauses in eine Gasse gestellt,das Feuer leiten vom brennenden Hause ins Nachbarhaus, weil, durch die Hitze angesteckt, sie selbst in Brand gerathen. Statt daß der Eltern Streit aufgehört hätte, riß Streit unter den Geschwistern ein,und ein Streit nahm Nahrung aus dem andern Streit.So wärd das Leben immer trübseliger, und es erleidete Aenneli oft so dabei, daß es zu Gott betete, er möchte es doch sterben lassen, und Christen ging es nicht besser.
Einmal, es war am Sonntag vor Pfingsten, am ersten heiligen Sonntag, dünkte es Christen,
er möchte noch Kuchen zum z'Morgenessen. Sie hatten am Samstag gebacken, und nach üblicher
Sitte Kuchen gemacht, für das ganze Hausgesinde über den Tisch weg. Dieß geschah
gewöhnlich in so reichlichem Maße, daß immer übrig blieb, und manchmal ˖ später den Rest
Niemand essen mochte. Dießmal kam Christen die Lust an, es war als ob der Teufel ihn
stüpfe, wie man zu sagen
Es war eine gestörte Haushaltung an selbem Morgen. Sobald der Streit anging, hatten die Diensten sich fortgemacht, und als Resli hinausging, machten sich auch die andern fort, eines hier aus, das andere dort aus, fast wie eine Bande, die ob böser That gestört worden, und keines kehrte in die Stube zurück,das z'Morgen blieb auf dem Tische fast bis z'Mittag.Niemand ließ sich herbei, es wegzuräumen.
Aenneli wollten Reslis Worte, was die Leute sagen würden, nicht aus dem Kopf. Was werden
sie erst sagen, wenn heute an einem heiligen Sonntag Niemand
Aenneli pressirte nicht, es begehrte nicht der Menge sich anzuschließen, welcher oft das was vor und nach der Predigt auf dem Kilchweg geredet wird, wichtiger ist als die Predigt selbst; sein Gemüth drängte es nicht zur Mittheilung, und für Anderer Angelegenheiten hatte es keinen Platz, es war voll eigenen Leids.
Eine halbe Stunde weit hatte Aenneli zur Kirche und Niemand war auf ihrem Wege; denn
heute eilte Alles, um noch Platz zu finden. Gar seltsam war ihr zu Muthe, so einsam und
schauerlich, als ob sie pilgern sollte, weit, weit weg, und wußte kein Ziel,wußte keine
Heimath mehr, und alle seien vorausgezogen und Niemand wartete ihr, alleine mußte sie
pilgern,weit und immer weiter. Noch tönten die Glocken, die ihr sagten, wo die andern
seien; aber sie verhallten bald, und stille wards. Sie hörte nichts als ihre eigenen
Tritte, nicht einmal ein Hund bellte im Thale;so stille mußte es im Grabe sein. Und wenn
sie nun alleine wäre in der Welt, fände keinen Menschen mehr
Angefüllt war die Kirche, kein Platz schien mehr für Aenneli da, sie stund im Thürwinkel.
Sieh, wenn es dir so ginge, wenn du sterben würdest, dachte sie, und kämest unter des
Himmels Thüre und kein Platz wäre mehr da für dich, und du müßtest stehen, müßtest wieder
gehen, weil kein Platz für dich da wäre, weil du zu spät gekommen, alle voran gelassen, im
Wahne, du kämest noch früh genug. Und wieder nun wuchs ihr Angst ums Herz, denn es gibt
Augenblicke, wo unser Herz angstvoll ist, und alles auf sich bezieht, wo die Angst um die
Seele zuvorderst ist, und alle Augenblicke die Augen voll Wasser sind. Da winkte ihr eine
Taunersfrau, welcher sie auch manche Gutthat unters Fürtuch gegeben; aber Aenneli merkte
es nicht, bis im nächsten Stuhl eine ihr einen Mupf gab und deutete.Da sah fie, wie die
arme Frau ihr ängstlich winkte,den andern deutete, daß sie noch näher zusammenrücken
sollten und ihr dann ein Plätzchen frei machte im Stuhle. So machte die arme Frau der
reichen Platz in der Kirche, und diese trat demüthig näher und nahm jetzt auch eine
Wohlthat an. Wer weiß, dachte Aenneli, wenn ich so spät komme und voll Sündenschuld in den
Himmel, wer weiß, ob mir dann nicht vielleicht
Als der Gesang verklungen war, begann der Pfarrer zu beten und die Gemeinde stand auf. Es
schmerzte Aenneli vom erhaltenen Platze aufzustehen, wo ihr so wohl geworden, als sei ste
zur himmlischen Ruhe gekommen. Sie dachte, wie es wohl einem sein müßte,der den Himmel
erlangt und wieder daraus weg müßte,in die Hölle vielleicht, wo Heulen und Zähneklappen
ist ewiglich. Da zuckte es in ihrem Herzen, als ob feurige Pfeile durch dasselbe führen,
und vor ihr standen die vergangenen Tage, und nach ihnen kamen die gegenwärtigen, und über
den ersten stand Freude und Glück und die letztern waren in Weh und Schmerz gehüllt, und
sie fühlte in ihrem Herzen, wie es einem sein muß, der aus dem Himmel in die Hölle muß.War
sie ja auch in schaurigem Jammerthale und sah ihrem Elende kein Ende, und von hier weg, wo
ihr so wohl geworden, mußte sie in kurzer Stunde wieder heim in Qual und Zank, in des
Unfriedens graulicht Gebäude. Mußte alleine dort wieder einziehen, von all den Hunderten
kam Niemand mit, keine arme Frau,welche ihr ein still friedsam Plätzchen bereitete, dort
warteten ihrer wieder die alte Noth, das Elend, das nicht aus mißrathenen Erndten kommt
und mit den schlechten Jahren zu Ende geht, sondern das andere,
Es war ihr, als hätte der Pfarrer in ihr Herz gesehen, und die Worte gerade auf sie gerichtet, als eine schöne Verheißung, daß ihr Wunsch bald sollte erfüllet und sie befreit werden aus ihrem Elend und an ein ruhig Plätzchen kommen. Sie freute sich des Sterbens und doch kam eine unbeschreibliche Wehmuth über sie. Sie dachte anfangs wohl, mir ginge es so wohl und Niemand übel, wenn ich daraus stellen könnte. Vielleicht, wenn ich einmal fort wäre, merkten sie, was ich gewesen und daß ich nicht mehr da bin,und sie sinneten vielleicht noch manchmal an mich, wenn an das nicht gesinnet wird und für jenes nicht gesorget. Sie würden vielleicht denken: es ist notti (doch)übel gegangen, daß uns die Mutter gestorben ist. Würde aber wohl auch Jemand weinen, wenn ich stürbe, wenn sie mich zu Grabe trügen und wenn die Erde polterte auf meinem Todtenbaum? Müßte wohl Christen das Nastuch nehmen vor das Gesicht? Und Resli, was würde der sagen, würde er fühlen wie übel es ihm ginge? Ach, hätte ich vor drei Jahren sterben können,da weiß ich, was sie gethan hätten; da wäre es Christen gewesen, als hätte man ihm das Herz aus dem
Leibe genommen, als müßte er diesem Herzen nach ins Grab. Und wenn ich jetzt sterbe, steht vielleicht Niemand an meinem Bette, und wenn sie mich todt finden,so ists ihnen, als sei ihnen ein Berg vom Herzen gefallen und der Stein des Anstoßes verschwunden. Ach Gott, wenn meine Mutter wüßte, wie es mir ergeht,und daß ich ein solches Ende nehmen würde; das hätte ich keinem Menschen geglaubt, und habe ich gemeint,wenn ich einmal sterbe, so müsse es heißen: Wir haben noch nie eine Leiche gesehen, wo es so übel gegangen ist, alli sufer (allesammt) hei pläret, man hat es fry wyt g'hört; das muß afe e Frau g'si sy!
Heiße, heiße Thränen siedeten in Aennelis Herzen und sprudelten in reichen Strömen über ihre Wangen.Sterben als ein Stein des Anstoßes, als ein Berg auf aller Herzen, als eine Thüre vor dem Glück, das war schrecklich und hatte sie ja immer das Gegentheil gewollt. Von wehmüthigem Schmerz überwältigt, konnte sie fast des lauten Weinens sich nicht enthalten, und der Schmerz verzehrte ihr alle seine Gedanken und in die Finsterniß ihrer Seele hinein tönte wieder des Pfarrers Stimme.
„Sein letztes Mahl hätte Jesus mit seinen Jüngern gehalten; er hätte gewußt, wann es das
letzte wäre,hätte einen unvergänglichen Segen gestiftet an selbigem,hätte dieses Mahl uns
hinterlassen als ein unverwelkliches Erbe. Wann sein letztes Mahl jeder hielte mit den
Seinigen, wisse keiner, keiner wisse seinen letzten Tag. Es wäare wohl gut, wenn jeder
jedes Mahl als sein letztes betrachtete, das er mit den Seinigen hielte,und so weit aus
den Augen sollte dieser Gedanke nicht liegen, denn wie mancher Hausvater sei am Abend als
Leiche auf seinem Bette gelegen, der des Mittags mit
„Oder wenn man gar in Streit und Zank die Gaben Gottes genossen, in Streit und Zank
auseinander gegangen ist, mit Groll im Herzen, mit bösen Gedanken in der Seele vielleicht,
mit bösen Wünschen auf der Zunge, und Gott rufet einen ab, er kann nicht Friede machen,
nicht abbitten, nicht zurücknehmen, er. stirbt
„So sollte wohl jegliches Mahl in jedem Hause genossen werden als das Letzte, genossen
werden wie die Kinder Israel das letzte Mahl genossen im Diensthause des Egypter Landes,
zur Reise in die Wüste bereit, so der Christ bereit zur Reise ins wüste Thal des
Todes,welches zwischen unserem jetzigen Lande und unserem gelobten Land gelegen ist. Aber
der Geschäfte des Tages, des gemeinen Lebens Aufregung hindere dieß, halte meist den Geist
nieder, daß er nicht aufzuschauen vermöge in die Gebiete des höheren Lebens. Aber eben
darum sollte man ja nicht versäumen, wenigstens das Mahl, welches die Erneuerung ist des
Mahles, welches der Herr als sein letztes genossen, auch als ein Abschiedsmahl von dieser
Welt zu betrachten. Nicht nur als einen Abschied von der Sünde, sondern auch als einen
Abschied von Allen, welche uns angehören, sollte man es betrachten, denken, man müsse nach
genommenem Mahle scheiden von all den Seinen. Hat man füür sie gesorget? seine
Schuldigkeit an ihnen gethan? welchen Namen, welches Andenken läßt man ihnen? scheidet man
im Frieden? folgen ihre Thränen uns nach? bleiben ihre Herzen bei uns? Das sind Fragen die
sich stellen sollen vor unsere Seelen. Denket euch, zum Letztenmale tränket ihr hienieden
mit den Eurigen vom Gewächse des Weinstockes, diesen Abend, wenn die Sonne scheidet,
schlage auch eure Abschiedsstunde, und stellet nun jene Fragen vor eure Seele. Was waret
ihr den Euren? was hinter
„Darum reiniget euch, damit wenn der Herr kommt,ihr fröhlichen Abschied nehmen, auf Erden
ein freundlich Andenken hinterlassen, im Himmel den ewigen Frieden finden könnet.“
Sie ging nicht zum heiligen Mahle, mit andern verließ sie nach der Predigt die Kirche unwillkürlich, von einer inneren Gewalt getrieben, obgleich sie eigentlich angezogen war, um zum Tische des Herrn zu gehen.Aber eben es war nur der Leib, welcher die rechte Kleidung trug, und da weigerte sich die Seele, und forderte auch das Kleid der Reinigung. Betäubt, fast wie Jemand der aus großer Todesnoth gerettet worden,aber noch nicht weiß wie es gegangen und wo er ist,ging sie nach Hause. Wie lange sie heimgegangen und was in ihrer Seele auf- und niedergegangen, das wußte sie ebenfalls nicht. Aber sie hatten ihrer geharret, Resli stand auf der B'setzi und seiner Stimme, als er frug: Mutter, kömmst du endlich und wo bleibft so lange? hörte man es an, daß er Angst um sie gehabt.Das Essen war längst z'weg, Annelisi hatte gekocht und schoß puckt in der Küche herum. Es war die Verlegenheit des bösen Gewissens, das gerne sich entlastet hätte, aber nicht recht weiß wie. Denn als die Mutter fragte: ob alles z'weg sei zum Essen, antwortete Annelisi ganz freundlich und mit viel mehr Worten als nöthig gewesen wäre. Noch fehlte der Vater; er sei zum Waldacker hinaufgegangen, hieß es. Dort oben am
Waldessaum saß Christen und während der Himmel so heiter über ihm war, die ganze Erde
lachte, war es ihm so trüb im Gemüthe. So kann es nicht mehr länger bleiben, sagte er zu
sich selbst; kein Essen ist mehr gut; die Kinder reden in alles; die Diensten estimiren
einen nicht mehr; eins zieht hier aus, das andere dort aus, und zuletzt geht alles über
mich aus und mit dem Rücken kann ich ansehen, was ich vom Vater geerbt. Nein so kann es
beim Schieß nicht mehr gehen. Aber was machen? ZBoden stellen, daß man einmal weiß, wer
Meister ist und wenn es sein muß,sie zuweilen in die Finger nehmen, das wär zibest,wenn
die Kinder nicht wären. Aber man muß sich vor den Kindern schämen, und dann liefen sie
fort und der Lärm würde nur größer. Die verfluchte Bettelweiber mit der Geisel wegiagen
und wenn eine ins Haus schleichen würde, sie an den Züpfen hinausführen, so gutete doch
wenigstens das verfluchte Verschleipfen.Aber was hätte ich davon, als verbrüllet zu werden
im ganzen Land, und wenn eine Frau verschleipfe will,so ist ihr der Tütschel nicht listig
genug. Scheide wäre z'kürzest und dann könnte ein jedes mit seinem Gelde machen und husen
wie es wollte. Aber wie ginge es dann mit dem Weibergut, wenn ich das herausgeben müßte,
es thäte mir notti weh. Und dazu hätte ich eigentlich gar nichts wider Aenni, wenn es nur
weniger narrochtig thät mit dem Bettelvolk und nicht meinte es müßte jeder Täsche
aufwarten mit dem Hemd ab dem Leibe, und weniger regieren wollte und mir die 5000 Pfund
nicht immer vorhielte, so hätte ich gar nichts wider ihns, im Gegentheil, es wäre mir fast
noch so lieb wie ehemals. Denn daneben wäre es ein Gutes in alle Spiel, hätte Sorg zu
allem, und es sei
Aber was er anfangen wolle, das wüßte er wahrhaftig nicht, aber so stehe er es nicht mehr
aus. Bis hieher dachte Christen; nun versank er in tiefes harmloses Sinnen, einzelne
Glockenklänge, mit denen leise Winde über den Wald her spielten, weckten ihn. Es war das
Zeichen, daß der Gottesdienst zu Ende sei und eine Mahnung wieder zu kommen am
Nachmittage,damit der Same, welcher mit fleißiger Hand ausgestreut worden sei, mit Ernst
und Nachdruck eingeegt werden könne in den seltsamen Boden des Gemüthes, wo der
An schönen Sonntagen und besonders wo keine kleinen Kinder sind, ist es oft einsam des
Nachmittags um einen Bauernhof. Man kann zweimal ums Haus herumgehen, man merkt nichts
Lebendiges als vielleicht ein Schwein, das sich kündet, wenn man dem Trog zu nahe kömmt,
oder ein Pferd, welches durch den leeren Bahren wiehert. Zuweilen sieht man beim dritten
Mal einen Hans oder einen Peter, der im Schatten eines Baumes wohl schläft, das Gesicht
nach unten gekehrt, die Beine aber vom Knie weg gen Himmel gestreckt. Sehr oft aber sucht
man umsonst unter den Bäumen nach solchen Himmelszeigern, man muß am Hause hoschen, muß
drei-, viermal hoschen, stark, aber geduldig; dann kömmt endlich beim siebenten oder
achten Mal eine ingrimmige Stimme aus der hintern Stüblisthüre. Doppelt Neuer (klopft
Jemand)? Es ist die Stimme der Bäuerin, welche sich vor dem Fliegenheer ins Hinterstübli
geflüchtet hat, erst lesen wollte in einem
Eigentlich war es eine flotte Dampete, welche er im Sinne trug, in deren Hintergrunde ihm
ein tüchtiges Glas Schnaps glänzte, nebst dem dazu gehörigen Stück Brod, wie ein Licht in
dunkler Nacht. Denn so ein Polizeier ist oft neben seinem Amte auch zugleich eine alte
Frau, die sich mit Neuigkeiten herumtragen abgibt, mit dem Unterschiede jedoch, daß er für
seine Mühe lieber Schnaps nimmt als Kaffee, waährend eine eigentliche alte Frau den Kaffee
mehr liebt. Aenneli hörte ihn sonst nicht ungerne, und es geschah selten,daß der Polizeier
den Mund nicht noch lange bald schlecktte, bald abwischte, wenn er vom Hause wegging.
Dießmal war Aenneli nicht aufgelegt zum Dampen, öffnete nur den obern Theil der Thüre und
diesen nur halb, sagte: „Christen ist nicht daheim, du mußt ein andermal kommen.“ Die
üblichen Fragen: wo ist er hin? kommt er bald heim? wenn ich wüßte, daß er bald käme, ich
wollte warten, fertigte Aenneli kurz ab,und als der Polizeier vom Wetter anfing, und
sagte:es sei schön und er traue, es wolle einen Rung (Zeitlang) so bleiben, es wäre gut,
da sagte Aenneli: es wär gut, aber z'Beste ist, wenn man es nimmt wie es kömmt. „Du hast
Recht, sagte der Polizeier, aber wenn man's könnte, du gute Frau du.“ „He, man
Aenneli aber hatte die Thüre zugemacht, das Bett im Hinterstübli zurecht gerüttelt, ging zur hintern Thüre aus, zog sie hinter sich zu, machte die Runde ums Haus, besichtigte die Ställe, in welchen ste lange nicht gewesen war, machte ihren Schweinen einen Besuch,und sie begrüßten sie freundlich mit Grunzen und Schnürfeln, und erhielten zum Dank dafür einen Arm voll grünes Gras in den Trog. Von dort trappete Aenneli in die Hofstatt hinaus, trappete von Baum zu Baum,freute sich des Segens, der so reichlich die Bäume schmückte,dachte bei jeder Sorte, für was ste wohl gut wäre, und wie ein Feldherr die Truppen zur Schlacht, so ordnete Aenneli die sämmtliche Masse nach ihrem Werth und Dienst, zum Behalten, zum Verkauf, zu Schnitzen und zu Bätzi, zu Most und zu Branntwein, kam unvermerkt zum Flachs, der dicht und schlank emporwuchs, dem Hanf nachstrebte, der hochmüthig auf ihn herab sah.
So kam Aenneli immer weiter, von einem zum andern und alles war üppig und schön, und als
sie am Rain hinterm Hause das Ganze übersah, da hüpfte ihr das Herz fast vor Freude, denn
so schön hatte sie noch nie alles gesehen, und einen schönern Hof gebe es doch nicht,
dachte sie. Aber da kam schon wieder der Jammer, gerade wie in nassen Jahren nach jedem
Sonnenblick ein nur um so ärgeres Regenwetter kömmt. Das alles ist unser, und wie gut
Händel könnten wir nicht haben, und jetzt, wie haben wirs. Uebler z'weg sind wir als die
ärmsten Kacheler und Häftlimacher, und nicht wegen der Armuth, wir hätten Sachen genug für
uns und öppe auch für unsere Kinder, aber da inwendig ists nicht gut, da hat bös Wetter
alles verherget.Aenneli setzte sich nieder, sah über das reiche Land hinweg, sah wie alles
im reichsten Segen prangte,vom Thale weg bis hinauf zu den Gipfeln der Vorberge, sah, so
weit das Auge reichte, den Himmel rundum sich senken den Spitzen der Berge zu, sah ihn
umranden den Kreis, welchen ihr Auge ermaß,sah wie da eins ward der Himmel und die
Erde,und von dieser Einigung kam der reiche Segen, kam der Sonne Licht, kam der Regen, kam
der geheimnißreiche Thau, kam die wunderbare Kraft, welche Leben schafft im Schooße der
Erde. Es ward dem Aenneli ganz eigen ums Herz, als sie diese Einigung zwischen Himmel und
Erde erkannte, und wie eben deswegen alles so schön und herrlich sei und so wunderbar
anzuschauen, weil Friede sei zwischen Himmel und Erde,der Himmel seine Fülle spende, die
Erde den Himmel preise. Und sie dachte, ob denn eigentlich der Himmel nicht alles umranden
sollte, nicht blos die Erde, sondern auch der Menschen Leben, so daß, wenn die Jahre
Wohl hatte sie auch für sich gebetet, aber das Gebet war nicht hinuübergeklungen in Christens Seele, hatte nicht mehr geebnet alle Anstöße, ja es hatte sich immer weniger erhoben zu Gott, hatte die Seele im Dunkel ihres Jammers gelassen und immer mehr waren es nur Worte gewesen, die, wie Steine im Flußbette rollen,ihr über die Zunge gerollt waren. Das Licht von oben läuterte ihre Seele nicht mehr, aber die Erde trübte sie jeden Tag mehr.
So ging ihr auf ihre Schuld, und ihres Elendes Anfang suchte sie nicht mehr im Verlust der 5000 Pfd.welche mehr dem Manne als ihr zur Last fielen, sondern im Zerreißen des geistigen Bandes, welches so lange ihre Seelen in Treue und Liebe zusammengehalten hatte, und dieses Zerreißen war ihre Schuld. Diese Erkenntniß, die fast wie ein Blitz durch ihre Seele fuhr,erschütterte Aenneli tief. Das hatte sie nicht gesehen,nicht begriffen, lag es ihr doch so vor den Füßen und diese Schuld hätte sie beinahe mit sich ins andere Leben genommen, mit sich genommen die Seufzer ihrer Kinder, denen sie ihr Leben vergiftet und vielleicht auch ihre Herzen. Jetzt erkannte sie, wie man den Splitter sieht in des Nächsten Auge, den Balken im eigenen Auge aber nicht. Ach, wenn sie Gott mit dem Gerichte gerichtet hätte, mit welchem sie oft ihren Mann gerichtet.
Eine unendliche Demuth kam über sie, sie sah wie tief unten sie war, keine Strafe schien ihr groß genug,und sie bat die Strafe nicht ab, sondern sie füͤhlte einen innigen Wunsch gestraft zu werden, eine Freudigkeit jede Strafe zu ertragen, es dunkte ihr, erst dann würde es ihr wieder wohlen, wenn Gott sie so recht züchtigte, dann erst wüßte sie, daß Gottes Augen, von denen sie so lange nichts gemerkt, wieder auf ihr ruhten, seine Hand wieder offen wäre über ihr. Sie fühlte aber auch, daß sie gut machen müsse, was sie gefehlt,bekennen müsse ihre Schuld, es ward ihr so recht von ganzer Seele klar, daß nur dem, der seine Sünden von Herzen bekenne, könne vergeben werden, und nicht nur nen, in der Hoffnung ploötzlicher Vergebung und Auswischens, sondern sie bekennen in der Liebe, die sich nicht verbittern läßt, die alle Tage die Schuld bekennet,ohne Versöhnung zu erhalten, die im Bekenntnisse verharret, auch wenn der Bruder das Bekenntniß mißbraucht, sein eigen Unrecht nicht erkennt, sondern alle Tage häuft. Sie wußte, daß an ihr nun alles lag,daß sie der Angel war, um den des Hauses Schicksal sich drehte, daß sie die Hand ans Werk legen müsse sondern Zagen und Zaudern; denn kömmt nicht der Herr wie ein Dieb in der Nacht und fordert von seinem Knechte Rechnung über seinen Haushalt? Sie wußte, sie mußte vor allem aus das zerrifsene Band wieder anknüpfen; das war ihr großes, ihr heiliges Werk.
Man liest so oft von Helden die Uebermenschliches vollbrachten, von Märtyrern, welche
Uebermenschliches ertrugen; die Schwächern beben, die Kühnern glühen,wünschen die Tage
wieder herauf, wo solchen Ruhm
Nun aber gibt es Helden und Märtyrer immer fort, und die Gelegenheiten dazu kommen jeden Tag.Wo göttliche Kraft im Menschen ist, da sprudelt sie hervor, und wo ist auf Erden die Quelle, welche nicht ihr Bett gefunden; die ächte Kraft weiß im Kleinen groß zu sein, der öde Hochmuth nur harret immer auf.die Gelegenheit groß zu werden und harret immer umsonst, und wenn eine Gelegenheit zu Großem käme, so würde er nicht groß werden, sondern gar jämmerlich klein; so wie ein eitler Mensch, der in allen Aengsten nach einem Titel ringt, sei es ein geistlicher oder ein weltlicher, erst recht erbärmlich wird, wenn er denselben erhaschet hat. Aechte Heldenherrlichkeit, großer Märtyrersinn, findet und sieht man heute wie immer, man muß ihn nur zu erkennen wissen im Leben, und nicht blos wenn er geschrieben angepriesen wird, man muß ihn nur zu suchen wissen in jedem Lebensverhältniß, und nicht meinen, er blühe nur auf Schlachtfeldern oder Blutgerüsten.
Diese Demuth aber, die aus der Liebe stammet, die alles erträgt, alles erduldet, sich
nicht verbittern läßt,die da, wo Gott sie stellet, ausharret bis ans Ende,
Diese Demuth kam über Aenneli, und dazu eine rechte Freudigkeit alles auszustehen, was Gott nur für gut finde, und nicht nachzulassen, bis alles wieder sei wie ehedem, wo die Mutter noch lebte. Und jetzt erst war es ihr, als dürfte sie so recht wieder an die Mutter denken, und es fiel ihr auf, wie sie sie von Tag zu Tag mehr vergessen, und in der letzten Zeit gar nicht an sie gedacht habe. Jetzt hob sie ihre Augen zu ihr auf, und ein Friede kam ihr ins Gemüthe und eine fröhliche Zuversicht, wie sie sie lange nicht gefühlt. Das kömmt von der Mutter, dachte sie, sie freut sich auch deiner, und will dich aussteuern zu deinem heiligen Werke, wie sie dich während ihres Lebens auch so manchmal aussteuerte mit gutem Rath und lebendiger Vermahnung.
Als Aenneli so auf dem Berge gerungen und gesieget hatte, und sie die Augen aufhob, da schien ihr alles noch viel schöner als sonst, und der Himmel schien ihr nicht nur die Erde zu umranden, sondern sich auf dieselbe gesenket, mit ihr verwoben zu haben, Himmel und Erde eins zu sein. Aenneli wußte es nicht bis jetzt, daß, wenn der Himmel sich hinuntergelassen hat über unser Gemüth, wenn er inwendig in uns ist, unser Fuß jeden Ort, den er betritt, zum Himmel heiliget.
ß Gekräftigt, wie neu geboren, stieg sie zum Hause
Walde her, Christen lustiger von Seite des Dorfes,Annelist zur hinteren Thüre herein, man wußte nicht woher.
Noch war Christen nicht da; mit Angst schaute Aenneli nach ihm aus. Endlich kam er langsam, zögernd und fast wie ein Schiff dem Hafen zu, dem vom Lande her der Wind entgegen weht. Es klopfte doch Aenneli das Herz, als sie ihn so kommen sah, mit dem sauren Gesicht und dem zögernden Schritt, denn was ihm im Herzen sich regte, das wußte sie nicht. Es wollte ihr der Muth und die Zuversicht fliehen und sie mußte ins Haus hinein und konnte kein freundlich Wort zum Willkommen ihm sagen, wie sie gewillet war.Das that Christen weh, als er Aenneli bei seinem Kommen ins Haus gehen sah. Kann sie mir dann nicht einmal mehr freundlich guten Abend sagen, und selbst an einem heiligen Sonntag das Dubeln nicht lassen? dachte er, und fast wäre er umgekehrt. Nun machte er aber ein desto saurer Gesicht und mochte fast nicht einmal dem Annelisi guten Abend sagen, das an ihn heranschlich wie in heimlichem Verständniß, oder als wenn es ihm etwas anzuvertrauen hätte. Da aber der Vater that, als merkte er sie nicht, gab sie dem Hund, der an ihr sich streichen wollte, einen Stoß und ging in den Garten zu ihren Blumen. Unterdessen hatte Aenneli den Kaffee gemacht, die Erdäpfelröste dazu, alles stand auf dem Tische, bis an die Kaffeekanne, die stand auf dem Tritte des Kunstofens, und langsam drehten die Leute zum Essen sich herbei.
Aenneli nahm sich zusammen, festigte ihre gläubige Demuth wieder, that freundlicher als
sonst und hatte für jeden ein gutes Wort. Was sie lange nicht gethan, that sie wieder, sie
schenkte selbst den Kaffee ein
So böse über sie, dachte Aenneli, mußte Christen doch nicht sein, und ihr Vertrauen ward fest, und als die Haushaltung gemacht war, setzte sie sich zu den andern draußen vor die Küchenthüre, nahm freundlich Theil an allen Gesprächen; ein freundlich Wort gab das andere freundliche Wort, man wußte nicht wie;und hoch am Himmel stand der Mond als eins nach dem andern seine stille Kammer suchte.
Aenneli ging zuletzt ins Haus, schloß die Thüre,sah, wie üblich, nach, ob das Feuer
ausgelöscht sei und alles am rechten Orte. Zweimal machte sie die Runde,denn es klopfte
ihr wieder das Herz, und ihrem Stübchen nahte sie sich wie der Laie sich naht dem
Heiligthume im Tempel, welches sonst nur des Priesters Fuß betritt. Sqau gend rüstete sie
sich zur Ruhe, schweigend suchte sie ihr Plätzlein. Da saß sie lange und wollte wieder
beten wie ehedem, aber enger und enger
Beim ersten Ton aus Aennelis Munde fuhr Christen z'weg, als hätte der Klang der
Feuerglocke sein Ohr getroffen, dann saß er auf, dann rangen sich auch Töne aus seiner
Brust, er betete mit, und als Aenneli die Bitte betete: Vater, vergib mir meine
Schulden,wie auch ich meinen Schuldnern verzobe und nun das Weinen über sie kam und sie
erschütterte über und über,und ihre Stimme nur ein Schluchzen ward, da weinte
Dann tröstete Christen, daß er auch nicht gewesen,wie er gesollt, was er gefehlt, hätten
andere entgelten sollen, er fühle das wohl, und wenn er die Herzen verschlossen, so hätte
sie sie wiederum aufgethan, und mehr als gut gemacht. Und wenn das nicht alles so
gekommen, so hätte er nie gewußt um wie viel mehr
Aber auf ihr Glück senkte sich erst die Krone, als sie ihrer Kinder gedachten. Sie wußten
es, wie ihr Unglück auch auf die andern übergegangen, denn wenn alle Glieder eines Leibes
es empfinden, wenn ein Glied krank wird, so empfinden es noch viel mehr alle Glieder eines
Hauses, wenn eine Krankheit in einer Seele ausbricht, und in dem Grade mehr, je
bedeutungsvoller die kranke Seele im Getriebe des Hauses ist. Sie sahen wohl wie die
kindliche Harmlosigkeit und der jugendliche Frohsinn verwelkten, als ob der elterliche
Streit zum Mehlthau an ihren kindlichen Seelen würde. Sie sahen erst jetzt recht ein, wie
der Streit ihre Herzen zusammengezogen, daß sie keinen Platz mehr darin für
Jetzt waren ihre Herzen wieder weit geworden, der Kinder Glück war wieder ihr eigenes und
freudig schlug ihr Herz, wenn sie dachten, wie dieselben sich freuen würden, wenn sie den
Streit verschwunden, die alte Einigkeit und die alte elterliche Liebe auf einmal wieder
sehen würden, als ob sie für einen Augenblick freiwillig sich versteckt hätten, nur um
freudig zu überraschen, wie oft Eltern pflegen, wenn sie mit Kindern sich necken in
fröhlichem Spiele. Ihren Kindern bauten sie Häuser in ernster elterlicher Liebe, bis
endlich Christen fragte:„Aber sage mir Aenneli, wie brachtest du es dahin,daß dir das Herz
wieder aufging und du das Beten wieder anfangen konntest? Ich habe auch daran gedacht, mit
dir mit Manier zu reden, aber erstlich wäre ich boöse geworden, und du wahrscheinlich
auch, denn ich war gesinnet, nur du hättest die Fehler; aber ich konnte nicht, wenn ich
auch wollte; man hätte mir das Maul nicht mit einem Knebel aufgebrochen.“ Nun erzählte
Aenneli, wie es ihr ergangen, wie der Geist es ihr gesagt, daß sie bald sterben werde, wie
ihr geworden sei, sie sei der letzte Mensch auf Erden und müsse eiligst den andern nach,
und dann wieder, man trage sie zu Grabe, es weine Niemand hinter ihr, und sie finde keinen
Platz im Himmel, wie keinen in der Kirche,wo ihr endlich eine arme Frau Platz gemacht. Wie
darauf hin der Pfarrer gesagt, man solle immer meinen,
„Los, lieb Aenneli, sagte Christen, vom Sterben rede mir nichts mehr; davon mag und will
ich nichts hören;ich wüßte nicht warum du gerade etzt sterben solltest, wo wir mit
einander im Frieden leben könnten. Das duechte mich, ich muß es sagen, vom lieben Gott
nicht recht.Aber mit allen Freuden will ich am Sonntag mit dir DDDDD gerne thun, und eine
b'sunderbare Freude daran haben,wenn der alte Tschup (Handel) aus ist. Und es ist mir auch
noch wegen den Leuten. Es ist so manches von uns unter sie gekommen, wie ich wohl gemerkt
habe; sie konnen dann auch von uns reden, wenn sie wollen, wenigstens sehen können sie,
daß es nicht so übel mit uns steht, wenn wir zusammen vor des Herrn Tisch gehen duürfen.
Es ist kurios, auf die Religion verstehe ich mich freilich nicht recht, und zur Kirche
gegangen bin ich nicht viel, es wollte sich mir so oft nicht schicken, und unser ein hat
gar so viel zu sinnen,z'Geistliche kann man nicht immer im Kopf haben, aber ich muß
bekennen, allemal wenn ich in die Kirche kam oder zum Nachtmahl, nahm ich mir vor, mehr zu
gehen. Es wohlete mir allemal, es war mir fast der Seele nach, wie es mir ist, wenn ich
zur Selteni (Seltenheit) einmal badete. Es duechte mich allemal, ich hätte mehr Muth, und
es habe mir wieder g'luteret
Die Freude des wiedergewonnenen Glückes hielt den Schlaf ferne von ihrem Lager; es dämmerte draußen,die Sonne stieg herauf, ihre freundlichen Strahlen kamen als liebliche Boten und döppeleten an die Augen der Menschen, daß sie schauen sollten des Herrn Herrlichkeit und schaffen ihre Werke, während der Herr dazu ihnen leuchte.
Wonnereich und glücklich ging das alte Ehepaar in den jungen Tag hinein. Alles Uebel war
versenket und ein neues Leben blühte im Herzen, oder es war vielmehr das alte Leben, das
neu aufgetaucht war unter dem Uebel hervor, mit dem es bedecket und das jetzt abgeschüttet
war, und über das jetzt neunundneunzig Mal mehr Freude war als ehedem, weil es verloren
gewesen und wieder gefunden worden. Sie verkündeten ihre Freude nicht laut, gaben ihr
keine besondern Worte,das Hauswesen ging seinen gewohnten Gang, aber ein seliger Friede
leuchtete auf ihren Gesichtern und es war recht rührend zu sehen, wie die alternden Leute
sich
Fast ebenso ging es Annelisi mit der Mutter, die mit einander Kabis setzten. Die Mutter begann von Annelisis Garderobe, musterte sie mit ihr durch, sagte von Hemden, welche sie ihr wolle machen lassen, sobald man die Näherin herbeibringen könne, fand, ihr Sonntags Tschöppli sei abgetragen und es mangele ein neues.Sie könne es machen wie sie wolle, entweder schon am Abend zum Krämer und sehen ob er etwas anständiges hätte, oder warten, bis an einem Ort ein Märit sei,wo man bessere Auswahl hätte.
Diese Reden der Mutter machten Annelisi fast wunderlich; sie wußte nicht, war es ihr
recht im Kopf oder
Es ist Friede und Liebe eines elterlichen Paares die Haussonne, verbirgt sie sich, so
steht das Haus im Winter von Frost umgürtet, von Sturm, Schnee, Regen gehudelt und
trübsinnig nutzlos, stöckisch sind alle seine Bewohner; scheint sie, so thaut alles
unwillkürlich auf, der Sturm schweigt, der Regen hört auf, ein fröhliches Treiben beginnt,
und wie die Lerchen am liebsten in den blauen Himmel hinein ihre Lieder schmettern,
ertönen heitere Lieder ums Haus, und jeglicher
So kam der Samstag und mit ihm sein früher Feierabend, der hier, wie in vielen andern Häusern,pünktlich gehalten ward. Es ist nämlich noch Sitte,daß am Samstag nach 6 Uhr, oder nach dem Feierabendgeläute, nicht mehr gearbeitet wird; man macht lieber am Sonntag Morgens fertig, was Samstags vor 6 Uhr nicht beseitigt werden konnte. Obs ein Ueberrest des jüdischen Sabbaths ist, oder eine freie Zeit sein soll zur stillen Vorbereitung auf den kommenden Sonntag, wissen die Leute selbst nicht recht, und die einen legen es so aus, die andern anders. Besonders willkommen ist sie dem jungen Volk, besonders den Dienstboten. Diese benutzen sie selten genug zur stillen Einkehr in sich selbst, sondern fahren ihren Verrichtungen nach, zu denen sie in der Woche keine Zeit hatten, zu Schneider und Schuhmacher, zum Krämer, suchen nebenbei gut Schick. Die Bursche rotten sich zusammen,die Maädchen flattern hin und her, wie Mücken ums
Licht, oder wie Kinder, die neckisch vor Jemand laufen,und in einem fort schreien: nimm mich, wenn du kannst,nimm mich doch.
Es war abgegessen worden, das Vieh besorgt, die Mägde waren ausgeflattert, die Knechte
weggestopfet,auf dem Bänklein vor dem Hause saß der Vater mit Resli. Christen stund auf
der B'setzi, wußte nicht was machen, und Annelist trug Maienstöcke hin und her.Da kam die
Mutter heraus und frug: „Hast du es ihnen gesagt?“ „Nein, sagte der Vater, aber du kannst
es ihnen ja selbst am besten sagen.“ „He, sagte die Mutter, das kann ich wohl. Es wäre
mein Wunsch,daß wir morgen alle zum Nachtmahl gingen mit einander. Ihr wißt wohl, es war
lange etwas Ungutes unter uns. Wir meinten es beide gut, ich und der Vater, aber wir haben
uns nicht mehr recht verstanden. Es war uns nicht von wegen uns, sondern von wegen euch,
denn für wen husen die Eltern als für die Kinder? Daran war ich den Mehrtheil schuld und
grusam habe ich da gefehlt. Das habe ich nun eingesehen und dem Vater es gesagt, und er
hat mir verzogen.“ „Aber Mutter, sagte der Vater, ich habe gefehlt so gut als du; ich habe
so gut als du nicht gewußt, was das Glück ausmacht, und während wir meinten, wir seien
unglücklich geworden, hatten wirs Glück noch ganz unversehrt gehabt und trieben es dann
selbst vor lauter Aengstlichkeit von uns weg, und ich noch mehr als du. Wenn ich mich
etwas besser nachelah (nachgegeben) hätte, so wären die 5000 Pfd. bald verschmerzt
gewesen.“ „O Aetti, wir wollen jetzt nicht worten, ich weiß es im Herzen wohl, wie ich
gefehlt,und wie ich mich vor lauter Aengstlichkeit nicht nur am Vater, sondern auch an
euch versündiget habe, denn
126 noch ins Dorf hinter den Schneider her; der hat wieder versprochen und wird nicht
halten, und wenn ich mein neues Tschöpli nicht bekomme, so kann ich nicht mitkommen, denn
im alten darf ich mich nicht mehr zeigen.“ „Du bist immer das gleiche Annelisi, sagte der
Vater, und hast nur deine Narrethei im Kopf, sonst würdest du jetzt nicht an dein Tschöpli
sinne, sondern daran, was es heißt, wenn Vater und Mutter, und Brüder und Schwester mit
einander zum Nachtmahl gehen wollen, zu einem Versöhnungsbunde, damit sie auch mit Gott
versöhnet bleiben. Denk daran, wenn du deinen Sinn immer an der Hoffahrt hast, so wirst du
unglücklich und machst unglücklich wer um dich ist.Jetzt weiß ich was es heißt, wo euer
Schatz ist, da ist auch euer Herz, und wenn der Schatz verloren wird so geht das Herz im
Jammer unter. Darum müssen wir nach einem Schatze trachten, der nicht verloren geht, um
deswillen wir nicht Gott und Menschen hassen müssen. Nein, Annelisi, heute gehst du nicht
deinem Tschöpli nach, sondern lässest Tschöpli Tschöpli sein und bleibest bei uns, und
wenn du schon einmal ein Auf mich mußt du nicht sehen, ich habe mehr zu thun und zu denken
als du, und dann brauche ich nicht immer zu lesen, wenn ich an etwas Gutes sinnen will,ich
kann noch gar manchen Spruch, den du nicht kannst,öppis gut z'lere ist man zu vornehm und
es soll manchen neumodischen Lehrer geben, der sich der Bibel schämt, und der übers
Fragebuch numme zäpflet. Ich habe schon manchmal gedacht, wie es endlich kommen müůsse und
daß man sich nicht verwundern dürfe, wenn die Kinder nur an Tschöplein denken, wenn man
vom Nachtmahl redet.“ „O Aetti, zürnt nicht, ich habe das
127 so gesagt und nichts weiters gesinnet, aber ich bleibe ja gern daheim, und es ist nicht, daß ich unr an Tschöpleni sinnen muß. Wenn morgen der liebe Gott in mein Herz sieht, so wird er auch sehen, daß ich an Vater und Mutter sinnen kann, und daran, wie ich sein müsse, daß sie mich doch lieb haben könnten auch so recht. Gell Mütterli, du glaubst es?“ sagte Annelisi,legte ihren Ellbogen auf deren Achsel und streichelte ihr die Backen, wie kleine Kinder es so gerne zu thun pflegen. „Es sei notti ein Gutes, sagte die Mutter,wenn man schon zuweilen nicht wisse, woran man mit ihr sei, und meinen sollte, sie hätte lauter Flausen im Kopf, aber wenn sie sterben sollte, so werde Annelisi nicht die Letzte sein in der Haushaltung, und zeigen,daß sie noch etwas anderes wisse als Flausen machen und hoffärtig sein.“
So saß die Familie in ernsten und lieben Gesprächen ungestört zusammen bis in den tiefen
Abend hinein. Vieles wurde verhandelt aber die Hauptsache drehte sich immer um Aennelis
Glaube, daß sie bald sterben werde, und daß sie Morgen das letzte Mahl mit ihren Kindern
hielte. Weichmüthig, aber heiter hielt sie diesen Gedanken fest, wie sehr die andern ihn
ihr auch ausredeten. Sie redete viel von Ahnungen und von Exempeln aus ihrer Familie, daß
den Kindern die Herzen immer weicher wurden, bis endlich der Vater lesen, da wisse man
doch, daß es wahr sei und könne sich trösten damit, bei solchen Sachen aber, wisse man
nicht was daran sei, und sie machten einem nur traurig und unnöthig z'förchten. Er wolle
hoffen, der liebe Gott werde sie noch lange im Frieden bei einander lassen; hätte er ihrem
Streit zugesehen, so werde er
Feierlich steigt ein heiliger Sonntag übers Land herauf; da hört man keine Kutschen,
Chaisen rollen.Niemand kommt es in Sinn, Gott und seinem Gewissen entrinnen zu wollen; da
weiß man noch, was der städtische Pöbel, zusammengesetzt aus Herr V. und Herrn X. nicht
mehr weiß, daß, wenn man auch Flügel der Morgenröthe nähme, und flöge ans Ende des Meeres,
der auch da sei, der den Wurm im Staube sieht und jeglichen Schlingel, sei er zu Fuß oder
zu Wagen; da weiß man noch, daß man nicht Aergerniß geben soll, und schämt sich des
städtischen Pöbels, der gerade an den heiligen Tagen rings auf dem Lande Zeugniß ablegt,
wie nahe er, trotz seiner guttuchenen Kutte, dem Vieh verwandt sei, und wie er ohne seiner
Ehre Abbruch zu thun, jedem Schweine „Götti“ sagen kann.Feierlich steigt der Tag herauf
und stille ist's; das Säuseln des Herrn hört man in den Zweigen der Bäume,die Seufzer der
Gewissen rauschen in den Seelen, das Beten der Herzen tritt flüsternd auf die Lippen. So
war es auch in unserm Hause, und in jedem Herzen war noch das Weh über den unwürdigen,
unheiligen Streit vom letzten Sonntag, der die eiternde Beule zur Reife gebracht und
aufgebrochen. Um so weicher war eines jeden Stimmung, um so inniger war ihr Sinnen an den
heiligen Tag, um so inbrünstiger eines jeden übliche Gebete, um so freundlicher und
weicher ihr Begegnen. Ihre Gefühle thaten sich nicht durch besondere Heberden kund, sie
traten kaum ins Auge, aber im
Es ist doch schön, wenn Eltern mit ihren erwachsenen Kindern zur Kirche ziehen können, wo sie dieselben taufen ließen, und nicht nur sagen können: siehe,Herr, hier sind die, die du mir gegeben hast, und
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Bald waren sie nicht mehr alleine; hieher kamen Leute und dort her, freundliche Grüße wechselten, die einen hemmten ihren Schritt, die andern beschleunigten ihn, ein jedes richtete seinen Schritt nach der andern Schritt, weil es nicht alleine wallen wollte auf dem Wege zur Kirche, sondern in Gemeinschaft mit den andern. Warum aber nur auf dem Kirchwege seinen Schritt modeln nach der andern Schritt, warum nicht auch auf dem Lebenswege? Nur eine kleine Anstrengung, nur ein klein weniger Eigensinn, nur einiger Tage leichte Uebung, und einmüthig und gleichen Schrittes, eine Gemeinschaft der Heiligen, würde durchs Leben wallen, was auf ewig auseinander geht, weil das eine seinen Schritt noch kürzt, während das andere den Seinigen verlängert.
Die Leute sahen mit Verwundern die Fünfe so eintraächtig zusammen gehen, drückten aber die Verwunderung nicht einmal mit den Augen aus, geschweige daß
Jemand nach der Veranlassung des nach der bekannten Spaltung um so auffallenderen gemeinsamen Kirchganges gefragt hätte. Jeder machte seine Muthmaßungen und behielt sich vor, dieselben daheim beim Mittagessen vorzubringen, und fast in allen Häusern war dieß das Tischgespräch. Vermuthungen aller Art wurden laut,und allerdings blieb die Bewegung Aenneli's am vorigen Sonntag in der Kirche nicht unbemerkt, aber das Rechte errieth doch so recht Niemand, von wegen wenn man etwas begreifen will, so muß man den Sinn, aus welchem es hervorgegangen, selbst in seiner Brust tragen. Das wissen aber die wenigsten Leute, darum so viele Mißverständnisse, darum verweisen die Meisten so dummes Zeug, wenn sie von einer guten, uneigennützigen That hören, sie tragen halt den Sinn dazu nicht in ihrer Brust. Hingegen weiß so Mancher, daß er selbst für die schlechtesten, eigennützigsten Absichten, die schönsten Gründe hat. Mancher vermag z. B. Amt,Stellung, Staat auf die schändlichste Weise zu mißbrauchen zur Sättigung seiner Lust oder seines Geldäͤckels, während er von lauter System, Gemeinwohl sund Volksinteresse überfließt.
Die Leute strömten immer zahlreicher, je naäͤher man der Kirche kam; denn an Pfingsten, wenn die Sonne schön warm scheinet, wagt so manches alte Mütterli,das durch Kälte und Koth nicht mehr kam, noch so gerne einen Kirchgang und labet seine Seele, die auch gerne da oben wäre an des Herrn Mahl; es weiß nicht,was der Herr im nächsten Winter mit ihm vor hat;es sucht, wo es kann, den Herrn, damit wenn der Tod kommt, der Herr es finde.
Wenn sie schon früh waren, so fanden sie doch mit Mühe Platz in der Kirche. Wer es vermag, sollte
3 immer frühe gehen, wer hintendrein hastet, kömmt sehr selten mehr in die rechte Stimmung, so wenig als der Pfarrer, der weltliche Geschäfte abrechnen muß, um ans heilige Werk zu gehen. Es ist gar eigen unser Gemüth,und stille und feierlich muß es um dasselbe sein, wenn es stille und feierlich in ihm werden soll, so wie auch die Winde aufhören müssen zu wehen, wenn die Wellen sich legen, das Meer sich ebnen soll.
Wenn man da so sitzt im stillen weiten Raume,vielleicht ein schönes Lied von der Orgel tönt, oder ein schönes Wort aus der Bibel kömmt, und die Glocken rufen die draußen herein, da, wie die Augen im Dunkel des Kellers allmählig aufgehen und zu schauen vermögen, so geht es unserer Seele, sie öffnet sich Eindrücken, für welche sie sonst verschlossen war, und wenn der Prediger kommt und als geistiger Saäemann frommen Samen streut, so fällt dieser Same in offene Seelen,wo er sonst nur Ohren gefunden hätte, und Ohren, die nicht hörten.
So wurden ihre Seelen noch weiter, empfänglicher ihr Herz, gespannt harrten sie auf die Textesworte des Pfarrers, welche an bewegte Seelen kommen, wie eigene Loosworte, oder vielmehr wie Worte aus des Herrn eigenem Munde, und vom Geiste, der alles weiß,auch die Bewegung jeglicher Seele, dem Pfarrer in den Mund gelegt für diese oder jene Seele. Und darum haben solche Textesworte für bewegte Seelen eine ganz eigene Kraft, und nach Jahren, wenn die Predigt längst vergessen ist, hört man noch solche Worte anführen,durch welche die Seele niedergeschlagen worden oder aufgerichtet.
Da schlug der Pfarrer das heilige Buch auf und las die Worte: „Was fehlt mir noch?“ Diese
Worte
Da begann der Pfarrer zu reden von seiner letzten Predigt, und wie er ermahnt, daß man jedes Abendmahl genießen möchte als ein Abschiedsmahl, versöhnt mit allen Menschen. Aber nicht blos an die, welche man lasse, hätte man zu denken, sondern auch an das,was vor einem liege, an die, zu denen man wolle;nicht nur Abschied habe man zu nehmen, sondern auch zur Reise sich zu rüsten, und da müsse jedem die Frage von selbst kommen: Bin ich fertig oder was fehlt mir noch? Habe ich, was zum Himmelreiche hilft oder was mangelt mir? Da sei es, wo man so leicht sich täusche und man täusche sich allemal, wenn man das Ziel ergriffen zu haben meine. Es seien aber deren so viele die mit aller Zuversicht den Himmel erwarteten und vollkommen mit sich zufrieden seien, sich innerlich gerne zum Beispiel anderer aufstellten, mit aller Behaglichkeit auf andere herabsehen und selbst ihre Fehler zu beschönigen wüßten, als wären es Tugenden, und sie selbst Gott als solche anrechneten, fast wie zuweilen ein Mensch den andern zu betrügen suche mit einem gemeinen Steine, den er für einen kostbaren Edelstein ausgebe.
Wenn man so im Allgemeinen und von weitem an den Tod dächte, so meine man nur zu gerne, man wäre fertig und es sei leicht zu sterben, aber wenn er plötzlich vor einem stünde, so käme es einem anders, und was man leicht geglaubt, das käme einem schwer vor,und was man nicht gesehen, für das gingen einem die
Augen auf. Sie sollten nur an den reichen Jüngling denken, wie der guten Muths zu Jesus gekommen,Willens das ewige Leben zu gewinnen, und das Gewinnen leicht glaubend, weil er schon so vieles gethan und die Gebote gehalten von Jugend auf. „Was fehlt mir noch?“ habe auch der gefragt. „Geh, verkaufe, was du hast und gib es den Armen,“ sagte Jesus. Darauf war der Jüngling nicht vorbereitet, er ging betrübt hinweg, er, der gemeint, er hätte alles gethan, was er schuldig gewesen, dem fehlte noch alles zum Himmelreich. Dem fehlte der christliche Sinn, der gehorsam ist bis zum Tode am Kreuz; ihm fehlte die Liebe, die Gott über Alles hält, den Nächsten als sich selbst; der war zu allem bereit, aber nur zu dem, woran er gewöhnt war und nicht zu dem, was der Herr von ihm forderte; er war getreu, bis der Herr seine Treue erproben wollte; ihm fehlte der Geist, der in alle Wahrheit leitet, und den Menschen bewahret in jedem Verhältniß, in jeder Anforderung ein Kind Gottes bleiben läßt, wie er die Apostel das Rechte reden ließ vor jeglichem Richter.
„Nun leben Tausende dem reichen Jünglinge gleich,wissen nicht daß die Hauptsache ihnen
fehlt. Sie leben in stiller Rechtlichkeit, im Geleise, in welchem Vater und Mutter
gegangen, geben keinen Anstoß und sinden keinen Anstoß im Leben, aber ihnen unbemerkt
leben sie doch für Etwas, und dieses Etwas ist ein Zeitliches, es ist ihr Gut, und ihnen
unbemerkt leben sie für dieses Gut, in einer immer festeren Angewöhnung auf besondere
Weise, und diese Gewohnheit wird ihr Meister und regiert sie, sie merken es nicht. Tritt
nun etwas Besonderes in ihr Leben, fordert Gott ein Opfer von ihnen, streckt er seine Hand
nach ihrem Gelde
„Dies ist der Geist, der in Christo die Welt überwunden hat, in jedem sie überwindet, der in Christo ist; er ist koöstlicher als Silber und Gold; die Welt nimmt ihn nicht, der Tod raubt ihn nicht, er bewahret das Glück in jedem Verhältniß, den Frieden in jedem Hause, das Genügen in jedem Herzen; es ist der, der uns den Vorgeschmack der Seligkeit gibt, und der Schlüssel zum Himmelreich ist.
„Dieser Geist war's der dem reichen Jüngling fehlte,der noch so vielen fehlt, und ohne
diesen ist's dem Menschen schwerer ins Himmelreich zu kommen, als es einem Kameel wird
durch ein Nadelöhr zu gehen; und schwer besonders ist's dem Reichen, weil er sein Genügen
in seinen Besitzthum setzet, und es vergißt, daß weit über dem Gelde etwas anderes ist, in
dem einzig das Genügen wohnet, das fest bleibet im Leben und im Sterben, in gesunden und
kranken Tagen, in jeglichem Wechsel dieser Welt; und wenn ihm dann sein Geld Jammer
bringt, oder kein Genügen mehr gibt,dann geht es ihm wie dem Menschen der ins Wasser fällt
und nicht schwimmen kann, in zappelnder Angst beschleunigt er seinen Untergang. Die
Besonnenheit hat er nicht, die Hand zu sehen, die rettend sich ihm bietet, er fasset sie
nicht, er stößt sie von sich, er gehet unter.“So redete der Pfarrer im Allgemeinen, führte
aber das Allgemeine im Besondern näher durch und belegte alles mit dem Leben. Da ward den
Gliedern der Familie der Text lebendig, der Stein ward zum Diamant,der die hellsten
Strahlen durch ihre Seele warf, alle Falten erleuchtete. Es war ihnen als sehe der Pfarrer
in ihrem Herzen eine eigene Schrift und lese ihnen die ab, und diese Schrift erzähle alles
was sie erlebt und
Wunderbar wurden sie gerührt und erhoben, als sie im Wechsel ihrer Seelen in den Regungen, die sie füͤllten, das Wehen des Geistes erkannten, der ihnen so lange gefehlt, als sie deutlich dessen sich bewußt wurden, daß Pfingsten geworden sei in ihrem Herzen, daß sie ein Gut erlangt, welches über alle Güter ist, dessen Mangel die ganze Welt nicht ersetzt, daß der Herr sie in die Finsterniß geführet, damit in der Angst der Nacht ihre Seelen den Morgen suchten, ihre Augen nach dem Aufgang richteten, bis die Sonne kam. In Staunen,in frommer Bewegung versunken, hörten sie, wie von der Kanzel herab abgelesen ward vor der ganzen Gemeinde ihrer Herzen Geschichte und Zustände, es war,als stünde dort oben ein wunderbarer Zauberspiegel, in welchem zu sehen wäre das Innere der Herzen, welches sonst den Augen der Menschen verborgen ist.
Und daß der Pfarrer so deutlich auf sie rede, ihr Geheimstes vor der ganzen Gemeinde
erzähle und erläutere, sie zum Gegenstand der allgemeinen Betrachtung mache, das zürnten
sie nicht; es war ihnen, als müsse es so sein, als seien gerade solche Erlebnisse
Gemeingut und sollen nicht unter den Scheffel gestellt werden, sondern auf einen Leuchter,
damit die Herzen der Nächsten auch gewonnen würden. Es kam manchmal sie an, daß sie fast
des Wortes sich nicht enthalten konnten zur Bestätigung oder Erläuterung dessen,was der
Pfarrer sagte. Wenn er ihre Namen genannt hätte, sie hätten es nicht gezürnt, denn,
meinten sie,müusse doch jedes Kind, welches in der Kirche sei, wissen,
Ernst, aber in getroster Freudigkeit, verließen sie das Haus des Herrn, sie waren erbauet worden.
Der Strom der Leute umwogte sie und seltsam kam es ihnen vor, daß sie mit ihnen
unbefangen heimgingen,
Dieses Verhüllen hat aber auch seinen Grund in der Angst, nicht verstanden zu werden, in der Angst,daß die, denen man das inwendige Leben erschließt,Spott und Muthwillen mit demselben treiben möchten,weil sie es nicht würdigten, nicht begriffen, wie Kinder mit den kostbarsten Edelsteinen nicht anders umgehen als mit gemeinen Steinen, und gemeine Leute desto lauter und höhnischer über das Edle spotten, je höher es über ihre Gesinnung steht.
Darum auch fiel es weder dem Christen noch dem Aenneli, noch ihren Kindern ein, den Leuten die Predigt auszulegen, wie sie dieselbe verstanden und sie/ mit ihrem äußerlich und innerlich Erlebten zu belegen. Sie wurden fast froh, daß den Andern ihre Augen oder Ohren gehalten gewesen, und das, was sie so klar glaubten, ihnen dunkel und verborgen geblieben, und fagten nur hie und da, wenn ste nicht anders konnten,ein Wort ins Reden der Leute: ihnen hätte die Predigt gefallen, es dünkte sie, es könne ein jeder seinen Theil davon nehmen, und wenn man dem Pfarrer nach thaäte, so käme es nicht bös.
Aber als der stille Nachmittag heraufkam, die Diensten ihre Wege gegangen waren, schön
sonntäglich feierlich es ums Haus ward, der Baumgarten, fast einem
Wunderbar aber schien es allen, wie der Pfarrer gepredigt, als rede er aus ihren Herzen
heraus und kleide es nur in Worte, was er in denselben gesehen,und mache ihnen nur
deutlich und hell was sie selbst gefühlt, geahnet, aber ohne ihm recht Worte geben zu
können. Sie wußten, er kannte sie wenig, von ihnen hatte in Jahresfrist Niemand mit ihm
geredet, von ihrem Inwendigen konnte Niemand anders ihm Bericht gegeben haben, kannten sie
es selbsten doch kaum. Die Vorgänge der letzten Woche kannte ebenfalls Niemand.Sie wußten
es nicht anders zu erklären, als eine Fügung Gottes, der auch noch heut zu Tage durch den
Mund seiner Knechte redet, die Geister lenket, die Herzen zu treffen weiß. Denn wer ist's,
der dem Prediger
Es war aber nicht nur der Text zur Predigt aufgegangen in des Pfarrers Geiste, sondern seine Predigt war auch aufgegangen in ihrem Geiste, war Leben geworden, d. h., hatte mit ihrem Leben sich verwoben,und dieses Leben trat in bald schroffern, bald mildern Uebergängen, gerade wie es der Zufall oder das wunderbare Gedankenspiel in unserer Seele mitbrachte, in scheinbar rein weltlichen Gesprächen zu Tage, welche,dem Fremden vielleicht gemüthlich geschienen, in denen er aber auf keine Spur eines höhern Lebens, eines heiligen Geistes, eines höhern Aufschwunges geahnet hätte. Aber es strömet der Geist des Herrn durch Feld und Wald, durch Nessel und Nelke, er strömt durch alle unsere Lebensverhältnisse, durch alle Worte, womit wir sie bezeichnen, wenn der Geist des Herrn in uns ist. Nur unsere Jungens meinen, er sei an bestimmte Worte gebunden, wie die Seele eines Frosches in den Leib des Frosches.
Die Freude, daß die Finsterniß vergangen, der Morgen wieder angebrochen, brachte sie auf
den vor
„Er werde alt, sagte der Vater, er fühle wohl, er möge nicht mehr Allem nach, und so könnte öppe vieles besser gehen, als es gehe, aber ändern könne er es nicht wohl mehr. Die Jungen möͤchte er nicht versäumen, darum sei besser, er stelle daraus, und lasse die Kinder machen. Wenn sie öppe einander verstehen wollten, so wüßte er nicht, warum es nicht gehen sollte“„Es sei ihr auch recht, sagte die Mutter, sie wolle sich wohl gerne darein schicken. Sie und der Vater wollten in die Hinterstube, oder könnten eine Wohnung machen lassen auf das Ofenhaus, die würde so viel nicht kosten; und wenn man etwas rathen könne oder D noch manchmal froh über einem. Aber anständig wäre es, wenn Resli heirathen würde, sonst sehe sie nicht ein, wie das zu machen wäre. Annelisi werde nicht immer da bleiben wollen, und wenn Christen heirathete und seine Frau die Haushaltung machen müßte, und Resli nehmte einst den Hof zur Hand, so thäte es Christens Frau weh und es ginge nicht gut.“
Resli unterbrach die Mutter und sagte: „Von dem wolle er nichts hören, und er wolle sie
nicht vertreiben.
Resli wurde roth und wollte sich vertheidigen, da fragte die Mutter: „Hör, was ist das mit z' Dorngrüterbaurentochter? Du hast mich einmal nach ihr gefragt und so wunderlich dabei gethan. Ich habe dich damals abgeschnauzt, es ist mir seither manchmal leid gewesen, und ich hätte wieder davon angefangen, aber bald schickte es mir sich nicht, bald dachte ich, du sagest mir jetzt doch nichts mehr, und so schwieg ich. Ist dir die öppe im Sinn ?“
„O apparti nicht,“ sagte Resli.
„Hör, sage es fry recht gerade heraus. Wenn es etwas ist, so kann man dir helfen. Es hat schon mancher so geschwiegen, und hat die Sache so in sich selbst verdrückt und ist hinten drein reuig gewesen,“ anwortete die Mutter.
„He nun, sagte Resli, so will ich es gerade heraus sagen: das Meitschi hat mir gefallen wie noch keins, ich glaube nicht, daß es eins gebe, das ihm die Schuhriemen aufthäte, und ich habe gleich gedacht, das oder keins. Und es ist mir noch so, aber ich sehe wohl,daß es nichts daraus gibt.“
„Warum? fragte Christen; hast gefragt?“
„He nein, sagte Resli, aber ich weiß es sonst.“
„Wie kannst du so etwas wissen, wenn du nicht gefragt hast; das geht oft ganz anders als man denkt.Oder ist das Meitschi verheirathet?“ fragte der Vater.
„Selb weiß ich nicht, sagte Resli, und vom Meitschi wollte ich nicht reden, es schien mir, als wäre ich ihm nicht ganz unanständig, freilich irrt man sich leicht.Aber es ist noch etwas anders.“
„So sage doch, was ist's, sagte der Vater. Ist öppis z'schüchen (scheuen) a de Lüte ?“
„He, wie man will, sagte Resli. Der Vater ist sehr reich und grusam geizig, und, wie ich gehört, ist ihm für seine Kinder nicht gleich einer reich genug, und wenn es auch einer ist, so will er dann noch ehetagen auf alle Füli (mit aller List) daß es keine Art hat. Er haätte schon zwei Töchtern so gebraucht und Ehetagen lassen, daß seine Tochtermänner daheim alleine erben,und ihre andern Geschwister mit leeren Händen gehen können. Das will ich nun nicht, ich will mich an meinen Geschwistern nicht versündigen, daß ich denken muß,Kinder und Kindeskinder müßten es? utgelten, und wo
II. 10
„Los Bruder, sagte Annelist, wenn es nur das ist,so achte dich meiner nicht. Christen hat nur Späße gehabt, und es ist dann noch lange nichts Richtiges und wenn ich dich damit kann glücklich machen, so bleibe ich ledig. Es wäre ja so mancher ihr Glück gewesen,wenn sie nicht geheirathet. Wie wohl es mir ist, bei Vater und Mutter, das weiß ich, wie es mir aber so mit einem Manne gehen würde, das ist ein Ungewisses.“
„Wie wir es zusammen haben, sagte Christen, weißt du, und wenn dir das Meitschi anständig ist, so mach was du kannst, und was wir dir dazu helfen können,darauf zähle, und wenn dir der Vater den Hof abtreten will, kaufsweise um ein Billiges, ich für mich hätte nichts darwider.“
„Von dem will ich nichts hören, sagte Resli, Vater und Mutter sollen ihre Sache behalten. Daß sie wegen einem. Kinde sich die Hände binden sollten, das thue ich nicht. Wegen einem Meitschi lasse ich Vater und Mutter noch lange nicht auf die Seite stellen, wir sind jetzt so schön bei einander, wir wollen nicht alsobald Unguld hinein machen.“
„Mir thätest du einen großen Gefallen, wenn es sich machen ließe, sagte die Mutter; wenn
ich sterben sollte,und das werde ich bald, es wäre mir ein großer Trost,wenn ich deine
Frau gesehen hätte.“
„Nein, sagte Resli, er hätte nicht gewußt, was das Nachfragen abtrage, wo es besser wäre, er vergesse die ganze Sache je eher je lieber.“
„Da hast du Unrecht gethan, sagte Christen, und ich will für dich vernehmen was nöthig ist; es ist mir auch daran gelegen, daß du eine rechte Frau erhaltiest,und wenn die Mutter so Freude hat an einer Sohnsfrau, so muß sie noch vor Ostern eine haben, oder ich will nicht Christen heißen. Vater gib mir einige Neuthaler in Sack, die meinigen sind neue use, und ich will um etwas aus, um Rosse, Kühe, Schafe, sei es was es wolle, und somit habe ich Gelegenheit auf das Dorngrüt zu kommen, unbekannt, vielleicht mit dem Meitschi z'reden und vernehme allweg was für Werch an der Kunkel ist, und wie die Sache öppe anzukehren wäre.“
„Mache was du willst, sagte Resli, und ich danke dir für dein Anerbieten, aber ich will dich nicht geheißen haben und an Nichts schuld sein. Ihr seid alle nur viel zu gut gegen mich, aber ich will es auch keinem vergessen.“
„Das hätte ich vor acht Tagen noch nicht hoffen dürfen, daß es so kommen könnte, sagte
die Mutter,und wenn es mir Jemand gesagt hätte, so hätte ich es ihm nicht geglaubt. Aber
bei Gott sind alle Dinge möglich, und wie er das Unglück einbrechen läßt, wie eine
„Horch, was ist's,“ rief Resli, und sprang vom Boden auf. Langsame Glockenschläge hallten einzeln durch die Luft, alle sprangen auf; es stürmt, wo brennts,frugen alle. Rauch war nirgends zu sehen, aber nur im Halbkreise lag frei der Horizont vor ihnen. Sie eilten dem Hause zu, in zwei Minuten sah man Resli den Feuerhaken auf der Achsel, den Eimer daran gehängt, in raschem Laufe dem Kirchthurme zueilen, wo immer ängstlicher die Glocke um Hülfe wimmerte, und verschwunden war das schöne Bild der innigen Familie, verschlungen vom Wirbel der Welt.
Aber sei auch das Bild verschwunden, ist nur der Geist geblieben; der lebendige Geist sprüht neue Bilder inmer wieder auf, schöne Kinder, Zeugen seines Lebens.
Auf mäaßiger Höhe über des Sees linkem Ufer stand eine moosigte Hütte und vor ihr ein mächtiger Greis,silberhaarig, hundertjährig; düster war sein Wesen, dunkel und traumend sein Auge, dem dunkeln See zu seinen Füßen gleich. Zwei Hunde lagen vor ihm im Grase;wild wälzte sich zwischen beiden ein Kind.
Ueber den blauen See kamen Kähne gezogen, in weiße Segel. stieß der Wind, mit gewaltigen Schlägen peitschten die Ruder die Wellen, sie flogen dem Ufer zu wie Schwääne zur stillen Bucht, wo im Schilfe ihre Brut liegt, während über ihr der Aar kreiset.
Gegen den Hügel, auf welchem der Greis stand, kam einer der Kähne geflogen, vorlor sich
unter überhängendem Gesträͤuche. Es rasselte zu des Alten Füßen, es hoben
Männer brachen herauf, voran ein Held in glänzendem Schmucke des Krieges. Gold funkelte an seiner Rüstung, silbern glänzten seine Waffen, aber weiß bereits wallten über die breiten Schultern die schweren Locken. Ehrerbietig schwiegen die Hunde, still barg sich hinter den Greis das Kind; der Held aber trat zum Greis, bot ihm die Hand und sprach: „Du noch hier,Schwito? Sieh, schon dunkelt es auf dem See, es steigen die Nebel, der Mond säumt das finstere Wolkenband, welches über den Bergen liegt. Die Opferstunde naht, die Opfer müssen fallen, die Zeichen erforscht werden, und du säumst? bist noch nicht im Haine?“„Ich gehe nicht hin, ich bleibe.“ „Du bleibst? Reihe noch einmal der Priester Schaaren, reihe die Opfer,rufe zu den Göttern am Opfersteine. Schwito komm!“„Nein, Diviko, sprach der Greis, ich komme nicht.Ein Anderer steht an meiner Stelle. Mein Arm ist zu schwach geworden, mein Opfermesser trifft die Opfer nicht mehr gut, und meine Augen sind dunkel geworden, sie sehen in den Opfern nicht mehr was junge Augen sehen, jetzt noch weniger als vor drei Jahren.Aus meinen Gliedern ist die Wärme gewichen, es friert sie im kühlen Haine, und meine Ohren sind auch alt geworden, sie vernehmen die Gesänge nicht mehr. Am Opfersteine steht jetzt ein Anderer, seine jungen Augen sehen in den Herzen der Thiere eure Wünsche, der Opfer fließend Blut raucht ihm wie Romerblut, und wie Feindesflucht tönet ihm des Haines Rauschen. Geh nur, am Steine steht er schon, und was ihr wünscht,das wird er sehen.“
„Hartes sprichst du, sprach Diviko, und wenn eine
„Die Götter geben und nehmen ihre Gaben nach ihrem Willen, sprach Schwito; was Alle sahen, das habe ich nicht gesehen. Darum weil des Amtes Gabe mir fehlte, legte ich auch das Amt in eines Andern Hand; sein Mund mag euch nun eures Zuges Ziel und Schicksal deuten nach der Jugend hellem Sinne,was in des Alters Schatten so dunkel vor meinem Gesichte schwamm.“
„Schwito, sprach Diviko, deine Seele ist krank,gehe schlafen, auf daß du morgen rüstig seiest.“ Und ehe er seines Freundes Antwort vernahm, schritt der alternde Held dem Haine zu, aus welchem dunkle Säulen stiegen, zu düstern Wolken gestaltet, über ihm hingen, als ob fie verschleiern sollten des Haines Geheimnisse.
Das Feuer, mit welchem er am Lemanersee die Römer geschlagen, brannte noch im alten
Helden und
Darum that es ihm so weh, daß Schwito, der Erste der Druiden, seinem Wunsche entgegen stand, den gleichen harten Willen dem seinen entgegenstellte. Wie mächtig es Diviko zog nach dem neuen Land, so innig war Schwito gefesselt ans alte Land. Je inniger diese Liebe zum Lande war, um so weniger schien es ihm der Götter Wille, daß man dieses Land lasse, um fso ungunstigere Zeichen fand er für den Zug, zu dem die Führer das Volk reizten, und er fand sie nach der Lehre seines Amtes und in voller Ueberzeugung; er täuschte andere nich.
Aber gewaltig regte im Volke der Geist sich, vor dem der Priester, wenn er ihn nicht
lenken konnte, sich beugen mußte, selbst im heiligen Haine. Der Wille,das geträumte Land
zu suchen, schwoll an Schwito's Widerstreben auf, wie der Strom am Damme, der
Als Schwito, der Vielgeprüfte und Vielgeehrte, den Hain verließ, da war es dem Volk, als
sei es ein Kind und der Vater ziehe seine Hand aus der Kinder Hand, ein eigenthümlich
Beben rieselte durch sein Mark und seltsam rauschte es durch die Kronen der Eichen,
Mit Zagen bereiteten die Priester neue Opfer und suchten neue Zeichen, und die Zeichen wurden immer günstiger dem Willen des Volkes, bis sie mit demselben zusammentrafen, bis der Auszug beschlossen ward. Orgetorir fiel in die Netze, die er dem Volke gestellt, und um so fester stund des Volkes Entschluß. In seiner Rettung aus dem bereiteten Netze, ersah es der Götter Gunst, glaubte jeglicher Gefahr entronnen und schloß um so fester an Diviko sich, den erprobten Helden,welcher eben so sehr den Auszug wollte als Orgetorir,aber in dessen Glanze verdunkelt stand wie ein veraltet Bild in düsterem Hintergrunde. Es war ein mächtiges Treiben im Volke, die thörichten Weiber pflanzten um so eifriger, weil sie glaubten, fürder aller Arbeit enthoben zu sein in dem neuen Lande, und die Jäger schonten die trächtige Hirschkuh nicht, nicht die Brut der Auerhähne, weil sie das alte Land nicht mehr nothig zu haben glaubten.
Das dritte Jahr ging zu Ende, es nahte die zum Auszug festgesetzte Zeit, der Schnee war
längft geschmolzen, die Wege waren getrocknet, milde Winde wehten über die Berge, als ob
die Götter selbst die Wege ihnen ebneten, zum Aufbruch sie mahnten. Alles
Zum letzten Male endlich ward voll der Mond,zum letzten Male wollten sie im alten Opferhaine ihre Götter ehren, wollten sie bewegen, mitzuziehen ins fremde Land, in schönere Haine. Am folgenden Tage wollte der Stamm der Tiguriner aufbrechen, um am bestimmten Tage einzutreffen an der Gränze von Helvetien, wo im Westen die Stadt der Allobrogen wie mit einem Riegel den Ausgang schließt.
Aber immer noch ward Schwito im Haine vermißt;so angestammt war sein Ansehen, daß trotz dem Glauben an seine Schwäche, vielen die Zeichen nicht sicher schienen, bis auch Schwito sie erkannt und als günstig dem Volke verkündet. Darum kam Diviko oft, kam auch dießmal zum alten Oberpriester, zum Mitgehen ihn beredend. Aber wie dießmal kam er alle Male umsonst;was seine Augen sahen, das wußte er. Störung bringen ins Unvermeidliche wollte er nicht, und was er einmal beschlossen, das änderte er am folgenden Tage nicht und an keinem der folgenden Tage.
Als Diviko in die Schatten des Haines trat, wogten schon Tausende auf und nieder, und von allen Seiten strömten neue Schaaren herbei; denn wer hätte nicht zum letzten Male noch besuchen wollen den heiligen Ort, wo die Götter der Väter Rath geleitet, von wo her sie gesegnet hatten des Volkes Thun, im Krieg und im Frieden, in Haus und Feld, Wald und See.Gewaltige Eichen breiteten weithin ihre mächtigen Aeste,ewischen ihnen durch zog der Rauch von Fackeln und
Feuern, die überall brannten; dumpfe Gesange hörte man von der Opferrunde her, in dessen hell erleuchteter Mitte grausig die Opfermesser blitzten, während weiße Stiere ängstlich brüllten, Gefangne schweigend harrten ihres blutigen Looses.
Voll und glühend war des Mondes Scheibe heraufgezogen, leuchtete über dem Haine, warf ihre Strahlen durch Rauch und Aeste hinunter auf des Waldes Grund; in wunderbarem Zauberscheine begann der Erste der Druiden sein blutiges Amt. Schwito aber war nicht schlafen gegangen; unsichtbare Fesseln hielten ihn fest am Hügelrand überm See. Finstern Auges sah er des Mondes volle Scheibe über die Berge steigen, sah finster auf das liebliche Bild, das allmählig auftauchte aus der blauen Fluth, als einzelne Silberstreifen die schwellenden Wellen zitternd berührten, als der Mond sein volles Antlitz in den Wellen badete, und endlich mit vollem Lichte den ganzen See mit hellem Silberglanze übergoß. Je höher der Mond stieg, je lieblicher die Landschaft ward, vom Mond und See verklärt,desto höher quoll in ihm die Wehmuth, desto düsterer ward sein Auge.
Wo war wohl ein schöner Land als das, welches zu seinen Füßen lag? wo eines, das treuer seine Söhne nährte und sicherer sie schirnte? Wo war das Land,das kräftigere Söhne zog an starker Brust, als das Helvetierland? Söhne, berühmt am Rheine und an der Rhone, der Germanen und der Römer Schrecken, das Helvetierland, dessen Eingang den Römern zum schmachvollen Joche geworden, ein Ereigniß, welches sie seit Jahrhunderten nicht mehr erfahren hatten.
Hier waren ihre Sitze seit Jahrhunderten, hier weilten die Schatten ihrer Mütter,
thürmten sich die Grab
Da schien es sich zu regen auf den Hügeln und in den Schluchten; leichte Nebel stiegen aus den Hügeln,schwebten über die Hügel, schwebten an des Sees Ufer,irrten auf und nieder dort, als suchten ste etwas und fänden es nicht; die Wellen rauschten seufzend und klagend gegen die Ufer hin, und allenthalben ward es laut, rings um ihn hörte der Greis klagen und seufzen,drunten am Ufer, auf den Spitzen der Hügel, aus des Sees Mitte, herab aus der Eiche starren Aesten.
Es waren die Schatten der Väter, die stiegen aus ihrer dunkeln Gruft, aus des Hügels Schooße, die irrten an des Sees Ufern, die alleine bleiben sollten im Lande, welches ihre Söhne muthwillig verlassen wollten.Sie irrten an den Ufern, trostlos über ihrer Söhne Beginnen, sie klagten den Göttern die thorrechten Opfer im heiligen Haine und heiliger Zeichen verkehrte Deutung. Und in seiner Seele vernahm der Greis diese Klagen, sah der Väter Weh, daß sie einsam bleiben sollten im öden Lande, düstere Nebel auf verlassenen
Hügeln, und seine Ohren vernahmen die lauten Gesänge im Haine und der Söhne unverständigen Jubel, und in sein altes Auge rollten Thränen und heiße Tropfen,heilige Opfer heiligen Leides sielen zur Erde. Da rauschten die Wellen lauter auf, stießen Kähnen gleich ans Ufer, und wie in silbernen Kähnen glitten mit den Wellen die Nebel in den See hinein, schwammen zusammen da, wo Schwito in der Mitte des Sees des Mondes volle Scheibe sah, als zöge die Neugierde sie heran, zu schauen in die Züge des funkelnden Bades.Dort gestaltete sich eine Wolke; höher und höher hob sie sich und Sterne zuckten durch die Nacht, legten auf die Spitze der Wolke sich, und ein seltsam wunderbarer Reigen tönte über den See. Da glitt langsam leise,einem weiten Mantel gleich, die Wolke auseinander,glitt hinab in den See, und hehr und herrlich, aus Nebeldunst und Mondesglanz gewoben, auf ernstem Haupt die Sternenkrone, sah er Hertha, des Landes Göttin, sitzen auf hohem Wolkenthrone über dem still gewordenen See.
Sinnend und wehmüthig leuchtete ihr Auge gegen die Berge hin, welche gegen Süden wie
duftige Zauberbilder den Gesichtskreis begränzten, ihre hehren Häupter in den Wolken
badend; dann schweifte es über das blühende Land, die wohnlichen Ufer, wie der Mutter Auge
blickt über das Ihre, weilte lange auf den duftigen Nebelwolken, die, wie bittend und
betend, an ihres Thrones Stufen sich schmiegten. Da loderten immer höher die Flammen aus
dem Haine empor, immer lauter tönte über den See der Menge Jubel, in zorniger Wehmuth
hoben sich der Göttin Augen zum Haine hin,und klagend und seufzend schmiegten näher und
näher sich die Nebel um ihres Thrones Stufen. Immer zor
14
Da ward es lebendig von den Bergen her, neue Diener hatte Hertha ausgesandt gegen die
fremde Krone über ihrem See. Diese wühlten in des Sees Wassern,daß sie zu sieden und zu
brausen begannen, ihre Wellen zusammenschlugen, daß hoch gen Himmel die Wasser spritzten,
als ob sie löschen wollten den Feuerbrand,waschen wollten von der Krone das Blut. Aus der
Krone aber zischten feurige Streifen, wie das Feuer sprüht, wenn Wasser es trifft;
blutroth stürzten die Wellen nieder, blutroth war der Schaum,den sie bei neuem Anlauf der
Krone entgegenwarfen. Plötzlich fiel über das ganze Gebilde die Nacht, deckte Krone und
Wellen mit schwarzem Mantel, begrub Zischen und Brausen in ihr schweigend Grab, und
Schwito sah nichts mehr, als vor sich das Grab der Nacht, hinter sich die
Dort dienten Tausende den Göttern mit Blut und Meth; der Götter Wille ward erforscht und gedeutet,die Götter wähnte man sich günstig und versöhnt. Und als man so den Göttern diente, diente man nur seiner Lust, und während man ihren Willen erforschte, suchte man nur Bestätigung der eigenen Gelüsten, und das Alles wußte man nicht, wußte nicht, daß die Götter nicht waren im blutigen Ring. Draußen, fern von ihnen, weilte Hertha, kündete sich ihrem alten Getreuen,tröstete die vergessenen Schatten der Viter, und das Gegentheil von dem, was die Priester im blutigen Gedärme fanden, das las Schwito in der Göttin selbft eigenen Zügen.
Da ergriff ihn die alte heilige Gewalt, die ihn so oft vor dem Volke erfaßt, vor das Volk getrieben; und wo der Mensch einmal von ihr ergriffen ist, da frägt er nicht: was soll ich thun und was soll ich reden,sondern Thun und Rede gestalten sich sonder Mühe und Denken, durch die gleiche Kraft empor getrieben, die Welten schafft und Welten zerstört. Feierlich schritt er dem Haine zu, schritt sonder Aufenthalt und Umsehen dem Mittelpunkte zu, wo in weitem Runde keine Eiche stand, in dessen Mitte das gewaltige priesterliche Feuer brannte, an welchem in weißen Gewändern mit eintönendem Gesange einige Priester dienten. Die Opfer waren gebracht, und günstige Zeichen hatten die Priester verkündet; in freudigster Regung war das Volk.
Weithin im Haine brannten kleinere Feuer, wie um die Sonnen ihre Gefolge sich schaaren;
allenthalben wurde Rath und Mahl gehalten; laut schallten Rede und Freude von Feuer zu
Feuer. Rasch zogen die Be
Als langsam und feierlich der Greis durch die Feuer schritt, stand still das Mahl, die Rede schwieg; wie ein Geist aus andern Welten, wie ein Schatten der Väter,erschien er in des Haines geheimnißvollem Schatten.Die kühnen Männer durchrieselte das Beben, das die Kühnsten ergreift, wenn sie das Unsichtbare Sichtbar zu erschauen meinen, denn vor etwas muß der Mensch sich beugen und beben, so will es das Gesetz, das über dem Menschen steht. Als sie ihn erkannten, den sonst so wohl Bekannten, als fie ihn treten sahen in den Opferrund zu dem heiligen Steine, an dem er so lange nicht mehr gestanden war, da erhob sich die Menge,nahte sich ehrerbietig und harrte gespannt seines Beginnens; denn als die Menge ihren Willen hatte, trat wieder hell hervor die Ehrfurcht vor Schwito, dem Oberdruiden, der sonst der Liebling der Götter war, aus dessen Mund sie dem Volk so oft verkündet: glückliche Fahrten, glänzende Siege.
Wie das Hofgesinde zusammenschrickt, das mit des Königs Mantel und Krone sich geschmückt,
und plötzlich den Ferngeglaubten in seiner Mitter sieht, so fuhr der Schreck durch die
Druiden. Scheu sammelten sie sich um ihr Haupt. Diesen hielt wohl des Amtes Würde
aufrecht, aber gewaltig spannte Bangigkeit seine Seele.Denn schwer ist's, die
Besonnenheit, welche schnell sich faßt und nach dem Rechten faßt, sich zu bewahren,wenn
man einen entscheidenden Augenblick nahen fühlt,aber einer schwarzen Wolke gleich, die in
ihrem Schoße den zerschmetternden Blitz birgt, von dem man aber
Diese Spannung verkürzte der Greis nicht; lange stund er schweigend am Opfersteine, man wußte nicht,harrte er der heraufquellenden Rede oder den herbeiströmenden Männern, aber immer kühler wurden die Schauer, welche durch die Schaaren rieselten im mitternächtlichen, geheimnißreichen Haine.
„Noch einmal stehe ich hier, ich hatte es nicht gewollt; als ihr den Schatten des Alters
über meine Augen geworfen glaubtet, verschloß ich meinen Mund.Mißtrauen vertragen die
Götter nicht, den Willen der Götter vertragen erregte Gelüsten nicht; was Alle wollen,
kann Einer nicht hindern, auch im Namen der Götter nicht; der Warner muß schweigen, wenn
die Erfahrung reden soll. Darum legte ich in andere Hände das Forfchen nach dem Willen der
Götter, und das Deuten der üblichen Zeichen; es schien mir, die Götter wollten es so, als
sie eure Ohren meinem Munde verschlossen; ich irrte. Während ihr im Haine Zeichen suchtet
und fandet, sah ich die Götter felbst, sah die Schatten der Väter, die bei den Göttern
sind, sah eures Zuges Ausgang. Ihren alten Priester hatten die Götter seiner Treue nicht
entbunden, ihrem alten Gefährten vertrauten eure Väter ihre Seufzer. Da muß ich nun reden,
muß verkünden, was ich klar mit meinen Augen sah, was mein Ohr deutlich hörte. Schenkt mir
Glauben, so werden die Götter sich freuen, eure Väter fröhlich wieder einkehren in ihre
dunkeln Stätten; schenkt ihr mir keinen Glauben, so will ich zu den Göttern bitten, daß
euer Glaube der rechte sei, euer Auszug ein glücklicher, sein Ziel ein reiches Land, kein
dunkles Grab unter blutiger Krone. Aber ehe ihr entscheidet,
„Klagend irrten an der Hügel Rändern, an des Sees Ufern, die Schatten der Väter; ihre Klagen drangen in Hertha's Sitz; krause Wellen führten auf des Sees Mitte der Väter Schatten. Dort hob auf hohem Throne die Göttin sich aus dem Wellenschooß, hörte die Klagen an ihres Thrones Stufen, hörte euern Jubel aus dem heiligen Haine. Düster ward ihr Gesicht, drohend hob sie ihre Hand, Zorn sprühten ihre Augen. Da sah sie vom Berge her, hinter welchem ihr das Land suchen wollt, von dem ihr träumt, blutige Feuer wallen, sah,wie aus dem wallenden Feuer eine blutige Krone sich nahte, drohend und schreckbar. Sie bog die Haände,aber Stern um Stern fiel aus ihrer Krone, wie Thräne um Thräne aus ihrem Auge, aber unaufhaltbar nahte die Krone, stand über ihrem Haupte. Da verhüllte sich Hertha, schwand mit den Schatten der Väter, sandte ihre Diener, Wind und Wellen, gegen das blutige Zeichen; aber sie überwältigten es nicht. Trotzig stand es auf dem schwarzen Wellengrabe, ein Sieger auf verlassenem Schlachtfelde, bis die Nacht es verschlang. So sah ich Götter und Väter klagen, drohen, schwinden,sah über schwarzem Grabe eine blutige Krone. Was die Götter selbst mir gezeigt, das mußte ich euch verkünden, so wollte es die Treue gegen Götter und Menschen, die mich nicht verläßt, so lange mir das Wort im Munde lebt.“
So hatte der Greis gesprochen; lautlos blieb es im Haine. Seine Worte tönten lautlos
wieder in der Männer Seelen; es zagte der Erste der Druiden, das Wort stockte ihm im
Munde, denn die Wahrheit regte sich auf des Herzens Grunde. Da trat kühn und rasch Diviko,
der alternde Held, in den heiligen Ring, faßte traulich und mit ehrerbietigen Geberden
Schwitos Hand und sprach die gebietenden Worte: „Vater, du hast geschlafen, zu schwerem
Traume haben deine Gedanken sich gewoben. Geh' wieder schlafen, lichtere Träume werden
sich dir bilden, da du das fröhliche Volk gesehen und gehört, daß die glücklichsten
Zeichen gefunden worden. Morgen werden deine Gedanken heller sein,heiterer dein Auge, und
mit leichtem Herzen wirst du mitziehen ins herrliche Land. Geh' schlafen, Vater.“Da
richtete hoch, ehrfurchtgebietend, Schwito sich auf;in sein altes Auge schoß der göttliche
Strahl, der es so oft erleuchtet hatte, und weithin tönend durch die Nacht, sprach er die
gewaltigen Worte: „Geträumt habe ich nicht, und schlafen gehe ich nicht, und in eurem Zuge
werdet ihr mich nicht sehen. Du aber, Diviko,wirst schlafen gehen einen blutigen Schlaf,
ehe der Mond zum fünften Male sich füllt, und Feuer wird lodern rings um dich und blutroth
wird der Himmel sein. Ich werde es nicht sehen, du aber wirst es mir verkünden.Dann will
ich schlafen gehen, und bei den Göttern wird mein Erwachen sein. Wo aber, o thorrecht
Volk, wird dein Erwachen sein aus blutigem Grabe in fremdem Lande, wo keine Götter dir
hold sind?“ So sprach Schwito; Wehmuth brach ihm die Stimme, langsam schritt er durch den
Hain seiner Hütte zu, und stille blieb es hinter ihm, und seine Worte gruben sich ein in
die Herzen der Helvetier, blieben haften darin, wie Pfeile
Schwito aber ging nicht schlafen; vor seiner Hütte weilte er, wo seine Hunde schliefen und zwischen ihnen das Kind. Düster sah er in die stille Nacht, sah hin zum weiten See, aber kein neues Bild tauchte auf; im stillen See badeten in stiller Freude die Siernlein des Himmels.
Endlich dämmerte es im Osten, Morgenwinde kräuselten den See, weiß und eisig legten die lockichten Nebel sich über die Erde, schmückten sie mit des Reifes weißem Kleide, welches die Sonne nicht dulden will.Dann begann der Rauch zu steigen aus den Wohnstellen, zog seine dunkeln Streifen im marchlosen Raume und ein geschäftiges Treiben begann um die Hütten so weit das Auge reichte. Es regten sich im Schlafe die Hunde, kurze dumpfe Laute entfuhren ihnen, wie es oft geschieht, wenn der Traum sie faßt, ein Wild vor ihre Augen stellt; aber dießmal war es der Instinkt, der die Laute bewußtlos ihnen auspreßte.
Raschen Sprunges brach ein großes Madchen aus dem Gebüsche, wild und goldgelb flatterten seine Locken im Morgenwinde, wild blickten seine Augen und im engen Gewande regten sich üppig die vollen Glieder.Im Sprunge haschte es das erwachende Kind, hoch an ihm auf sprangen die Hunde und zum Greis sprach es mit fliegendem Athem: „Aber Großvater, wo weilest du? warum kömmst du nicht? Alles harrt auf dich, die
Wagen sind bespannt, das Essen steht dir bereit. Säume nicht, bald, bald geht es fort, schon harret alles des Zeichens.“
Da schüttelte ernst der Greis sein Haupt, vorwurfsvoll sah er zum Himmel, fragend: Womit hat es das Volk verdient, daß ihr mit dem gleichen Wahne geschlagen Alt und Jung; und zum Mädchen sagte er:„Geh, freue dich, du armes Kind, bald verblüht die Blume, bald verblüht die kindliche Freude. Geh, ich komme nicht mit, ich bleibe hier, den Göttern will ich das Land hüten, will nicht einsam lassen die Schatten der Väter. Zieht nur und meiner harrt nicht.“ Da wand mit raschem Schwunge das Kind sich aus des Mädchens Armen, hing sich dem Greis an und rief:„Ich will auch nicht mit, will hier bleiben, will dir hüten helfen.“ Starr stand das schöne Mädchen vor Beiden, das Wasser war ihm in die Augen geschossen und rollte in großen Tropfen die vollen Wangen nieder; aber der Rede war es nicht mächtig. „Geh, Kind,sagte der Greis, und säume nicht, harret meiner nicht,ich bleibe.“ Und wie vom Bogen der Pfeil durch den Raum fährt, schoß das wilde Mädchen über den Hügel hin ins Gebüusch.
Die Hunde setzten ihm spielend nach, kehrten aber bald zu dem Greis zurück, dehnten die schlanken Glieder, sahen gähnend ihn an, während das Kind nach der Hütte zeigte; sie mahnten ihren Versorger an den Imbiß, den er in den Sorgehß seines Gemüthes vergaß.Da rauschte es wieder den Hügel herauf, bellende Hunde voran, wilde Kinder ihnen nach, Erwachsene hinten drein, eine ganze Familie umringte den Greis in wilder Hast. Ein schöner Mann in priesterlichem Gewande,in der Blüthe der Jahre, sprach zuerst mit bittender
Stimme ihn an: „Großvater, du willst nicht mit, willst alleine bleiben im verlassenen Lande, willst nicht bei den Deinen bleiben? Das thue nicht, warum uns zürnenwo die Götter gebieten?“
„Kind, ich zürne nicht, aber ich komme nicht, ich bleibe bei den Vätern, sie wollen nicht
allein sein im verlassenen Lande, und haben mir ihr Leid vertraut.Was die Götter wollen,
wißt ihr, wie ihr meint, ich meine anders. Darüber streiten wir nicht, der Entscheid liegt
in der Götter Hand. Euren Willen will ich nicht hindern, hemmt aber auch den Meinen nicht.
Gehet und die Götter geleiten euch.“ Traurig schwieg der Mann, ein Enkel des Greisen, er
wußte, an des Vaters Wort war kein Wandel. Die Augen der Kinder thränten, bittend faßte
derselben schöne Mutter des Greisen Hände und sprach: „O Vater, laß deine Hulda nicht.“
„Ich muß, sprach der Greis. Traure nicht,meine muüden Glieder ertrügen die Reise nicht;
hier ist mein Leben. Geht, lebt wohl.“ Da ergriff tiefe Trauer alles, und Jeder nahm
Abschied auf seine Weise und Niemand widerredete mehr. Wenn das Wort des Alten auch nicht
mehr galt am Opfersteine, unter den Seinen hatte es noch das gleiche Gewicht. Dann wollte
die Mutter ihr Kind nehmen an des Greisen Seite,das aber wollte den Ohm nicht lassen. Seit
langem hatte es bei ihm und den Hunden gewohnt, war fremde geworden unten im Familiensitz.
Da schlug der Jammer der Mutter laut empor, sie wollte es nicht lassen in der schaurigen
Einsamkeit, wo es nach des Greisen Tod verlassen sterben mußte. Sie versuchte Liebe und
Gewalt, rief des Mannes Macht zu Hülfe. Da der Greis den Ernst des Kindes sah, so wehrte
er mit ernster Milde der Gewalt. „Weib, tröste dich, sprach er, und
Als es stille geworden war auf dem Hügel, gab der Greis Rüden und Kind ihr Morgenbrod, setzte sich dann nieder auf den Hügel überm See. Weithin lag das Land vor seinem Blicke; das Kind saß zu seinen Füßen, aß sein Morgenbrod; die Sonne schien hell übers Land, ihre Strahlen gaukelten mit den Wellen im See.
So weit das Auge reichte war Leben, wie vor einem Bienenstocke, der stoßen will. Zahllos
war die Menge vor den Häusern und immer neue Schaaren drängten sich heran aus den Häusern,
und ein eigenthümlich Gesumse drang zum Hügel empor. Schon stand die Sonne hoch, als in
das Gewimmel Bewegung kam, die Knäuel sich entwirrten, weiter zogen. Hinter jedem quoll es
schwarz vom Boden auf, die letzte Hand hatte den Brand geworfen ins alte Obdach. Glühende
Flammen sprudelten auf, eine Rauchsäule nach der andern stieg zum Himmel auf. Säule reihte
an Säul
Wohlgemuth zog durch Rauch und Brand ein ganzes Volk, Groß und Klein; jubelnd freuten sich die Jungen der wirbelnden Feuer, der himmelansteigenden Rauchmassen; gleichgültig sahen die Erwachsenen in die brennende Wüste, aus dem Rauche des schwindenden Landes schimmerte ihnen um so glänzender entgegen das geträumte Land. Aber hinter manchem Wagen wankte ein greises Paar und die Füße wollten nicht vorwärts,die Augen wandten sie immer hinterwärts, und die rauhen Hände trockneten fort und fort die Augen; aber wie sie auch trockneten, die Augen wurden nicht rrocken.
Auf dem Hügel stand der Greis und auch sein Auge war nicht trocken, und doch konnte er es nicht abwenden von dem Brande, den das Volk mit muthwilliger Hand in den eigenen Herd geworfen, und jede aufflammende Hütte erschütterte ihn, und seine Seele hörte das Klagen der Gestorbenen, deren Hände sie gebaut.Neben dem Greisen stand jauchzend das Kind, und immer neu war sein Jubel, wenn frische Feuer aus dem Boden sprudelten, gewaltige Rauchwolken hinauf gen Himmel stießen, oder seltsam gestaltete Streifen daher geflogen kamen und um den Hügel strichen. Den schwindenden Zügen bellten die Hunde nach, als ob sie Abscheid nehmen oder Zurückrufen wollten die Gefährten,mit denen sie so manch Wild gejagt, mit denen sie so oft sich gebissen um der Liebe oder eines Stück Fleisches wegen.
Da klirrte es hinter ihnen, aus einer Rauchwolke klangen eilende Schritte, ein Held ward
sichtbar; es war Diviko. „Aber um der Götter willen, Schwito,was willst du im verlassenen
Lande. Die Deinen weinen, dich mißet das Volk, Mund um Mund frägt nach dir. Schon hat dein
Traum Männer bethört, jetzt wirft dein Ausbleiben einen Stachel in die Herzen ängstlicher
Weiber, eine Spalte ist geworfen in unsern einträchtigen Sinn. Darum saume nicht länger,
laß den Troß,vom Volke das dich geboren, sondere dich nicht, komm!“„Ich komme nicht, ich
bleibe, fprach Schwito. Täuschen kann ich nimmer; was ich erkannte, das verkündete ich,und
würde es fürder verkünden, wenn ich wandelte in des Volkes Mitte. Ich würde die Spalte
sein, aus welcher brechen würde die Flamme der Zwietracht.Bleibe ich, so bin ich bald
vergessen, es schließt die Spalte sich, einträchtig bleibt das Volk. Darum lebe
„Dich lasse ich nicht, Schwito, so alleine im verlassenen Lande, alleine im Tode, und Niemand thürmet dir deinen Hügel.“
„Und dennoch komme ich nicht, und wäre ich auch ganz alleine. Ich will bleiben, ein einsamer Wächter auf den Gräbern der Väter, will wachen auf dem großen Grabe, das ihr heute selbst gegraben, will es hüten. Wer weiß, wie bald sich um mich sammeln und froh des Hüters sind, welche weder Grab noch Land jenseits jenes Berges finden konnten; diese mögen meinen Hügel mir thürmen.“
„O Schwito, will die Nacht nicht weichen von deinem Haupte, dein seltsamer Sinn sich nicht brechen lassen? So lebe wohl einstweilen. Wenn wir das Land gefunden, das wir wollen, dann soll dir Kunde werden, dann kommst du nach, wir sehen uns wieder.“
So sprach bewegt Diviko, und bot dem Greis die Hand. Bewegt faßte Schwito sie und sprach: „Wiedersehen werden wir uns, und vielleicht bist du es selbst,der mir Kunde bringt, was der Wille der Götter war.“Bewegt schieden sie, und schwerer in Gedanken als er gekommen war, eilte Diviko den Seinen zu.
Der Lärm der Ziehenden verhallte, die prasselnden Flammen schwanden, die Hunde schwiegen,
legten sich zu ihres Herrn Füßen, und stille ward es im Lande.Ein dichtes schwarzes Tuch,
aus Rauch gewoben, verhüllte, ein schauriger Wittwenschleier, das verlassene Land. Sonne
und Sterne schienen nicht mehr hinein in die dunkle große Todtenkammer, und traurig ging
der Greis schlafen mit dem weinenden Kinde. Es weinte das Kind, weil die lustigen Flammen
erloschen und so
Manchen Tag trug diesen schaurigen Schleier das Land, endlich zerriß ihn die Sonne, lichter wurde der Himmel, aber noch manchen Tag schwebte es wie düsterer Nebel über jeder Brandstätte. Waren es die Schatten der Verstorbenen, die trauerten um ihr altes Obdach, war es der Geist der Hütte selbst, der über die Grabstätte seines Leibes trauerte?
Als der Greis am ersten Sonnentage aus seiner Hütte trat, der Wolkenschleier zerrissen war, Land und See im Sonnenglanze vor ihm lag, da ging wiederum ein Strahl der Freude durch seine Seele, jubelnd schlug das Kind die Hände zusammen, freudig bellten die Rüden freundliche Morgengrüße über den See.
Sonst waren dann freundliche Gegengrüße gekommen von allen Seiten her, aber jetzt kamen keine Grüße,wie oft sie horchten nach kurzem Ansatze. Rings im weiten Lande war kein Hund mehr, der die freundlichen Grüße vernahm, keiner der freundlich dankte. Sie bellten rechts, sie bellten links, immer rascher, immer ängstlicher, endlich heulten sie laut und lange, tief, gerade hinaus, wie auch Menschen thun, wenn das innigste Weh über ihrem Haupte zusammenschlägt. Als alles stille blieb ringsum, da ergriff ein Schauer sie, eine unergründliche Angst, sie duckten sich zusammen, krochen zu des Greisen Füßen, leckten inbrünstig seine Hände.Neben den Hunden war das Kind gestanden, das Leben am See suchte sein Auge, nach den Schifflein sah es, die so munter auf den blauen Wellen tanzten, nach den weißen Segeln sah es, die so lustig im Winde sich schwellten; aber leer blieb es auf dem weiten See,alleine tanzten die Wellen, keine Hand regte sich am
Ufer, keine war da, die Ruder zu fassen, die Segel zu entfalten. Da wandte es sein scharfes Auge nach den Vögelein, die so zahlreich an den Ufern flatterten, so heiter im grünen Laube sich wiegten; aber stille war es auf den Bäͤumen, an den Ufern, kein Vögelein flatterte dort, wiegte sich hier, der Rauch hatte sie vertrieben, oder dem Volke waren sie nachgezogen. Steine warf es hier hin, warf es dort hin, aber kein Vogel flog auf, stille blieb es allerwärts. Da kam es auch über das Kind wie Sehnsucht und Heimweh, weinend schmiegte es sich dem Großvater an, legte sich an sein Herz, es fühlte, wie arm der Mensch ist, wenn er alleine ist im weiten Lande, wie arm er ist, wenn er Alles hat, nur Niemand um mit ihm zu theilen, nicht einmal ein Vögelein, das die Brosamen nimmt aus seiner Hand. Am Herzen des Großvaters, das so warm an seine Wangen klopfte, fand das arme Kind seinen Trost.
Und der Großvater umfaßte beide, Kind und Rüden, und theilte ihr Grauen, alleine zu sein an der Stätte, wo vor wenig Tagen ein zahlreich Volk gewohnt, das jetzt spurlos verschwunden war mit all seinem Leben, alleine zu sein mit den Geistern der Väater,die da bleiben, wo sie begraben werden, nimmer mit denen ziehen, die das Land verlassen, in welchem sie geboren wurden.
Es kam ihm vor als wäre alles gestorben, alles Leben erloschen, er und das Kind die
letzten Menschen auf Erden, vergessen von den Göttern, vergessen lebendig von den Göttern
hier auf Erden. Und vergessen zu bleiben, wenn die Götter alle gerufen, harren zu müssen
und immer umsonst und immer alleine, und es verrinnt Tag um Tag und keiner will der letzte
sein
Doch bald ermannte sich der Greis, für öde Trauer war sein starkes Gemüth nicht geschaffen. Er schaffte und sorgte für das Kind, er dachte an die Zukunft,und es ward ihm immer mehr, als sei ihm noch Bedeutendes bestimmt, als hätte er viel zu schaffen und zu sorgen für sie. Er wanderte den Ufern des Sees entlang von Wallstätte zu Wallstätte, sammelte und schirmte, was vergessen war, das vom Feuer verschont worden war. Kein Werkzeug in einem Winkel, kein Fruchtkörnlein am Boden entging seinem spähenden Auge, er sammelte Beides, bewahrte das erstere auf,für das letztere aber suchte er die besten urbaren Landstellen, bestellte, besäete sie, schirmte sie mit dichtem Gehäge vor den Gelüsten der Waldbewohner. Rüstig ging ihm das Kind zur Hand bei jeder Arbeit, jeder Jagd. Es lernte den Bogen führen und Fische fangen,und was sie erjagten und fingen, überstieg weit ihren Bedarf. Große Vorräthe häufte der Greis für das Kind, wenn er sterben sollte über Nacht, wie so oft der Götter gütige Hand dem Alter es vergönnt, und doch war ihm immer, als werde jemand Ander sie verzehren, als müßte er für Viele sinnen und sorgen. Reich wie nie war die Beute im See und Wald. Dem Wild im Waldesdunkel, den Fischen auf dem stillen Grunde ward es unheimlich. Die Fische regten unruhig sich,als keine Kähne mehr über des Sees Fläche strichen,
II. 12
Hirsch, Sthwein und Bär kamen an hellem Tage aus Schlunden und Gründen, aus des Waldes Tiefen,sahen sich um nach den wilden Jägern oder ˖ rauhen Rüden, deren Stimmen verhallt waren in Berg und Wald, vor denen her sie so manchen langen Tag gestaubt waren in bald lustiger, bald ängstlicher Flucht.Sie wagten näher und näher den Hütten sich, ließen wilde Töne hören, lauter und immer lauter, als ob sie wecken und locken wollten die schlafenden Jäger und Rüden zu lustiger Jagd. Und wenn dann kein Jäger erwachen DVsie wild und traurig wieder in den einsamen Wald.
Wenn Schwito des Morgens sich rüstete mit Spieß und Bogen, das Kind die Rüden zum Waidwerk rief,diese, heulend in losgebundener Lust, in den Wald setzten,da regte es sich im ganzen Walde und lebendig ward es überall. Die ungewohnten und doch so heimeligen Töne trieben nicht bloß den Eber auf, auf dessen Lager die Hunde stießen, sondern überall raschelte es in den Gebüschen. Die Thiere juckten aus ihren Lagern, nahmen Theil an der Jagd, kreuzten vielfach die Fährten, zuckten über die freien Plätze. Spieß und Bogen kamen nicht zur Ruhe und die Hunde fanden der Jagd kein Ende, wie manches Wild auch fiel.
Wenn er den Kahn vom Ufer stieß, dessen dunkler Schatten über den Tiefen schwebte, so
wirbelten vom Grund auf der Fische ungezählte Scharen, schwärmten und gaukelten um den
Kahn, und im Sättigen der
So löste in dieser Einsamkeit ein Tag den andern ab, der Mond füllte sich und schwand wieder, der Frühling blühte ab, die Vögel kamen schweigend wieder, die Gerste stieg in Aehren, die Gewitter kamen von den Bergen her, stiegen zu Thale, donnerten überm See, regten ein neues Leben auf. Aber sie rauschten vorüber, verstummten, dann ward es wieder stille im Lande, lautlos überm See. Wohl plätscherte wieder hie und da eine Ente in verborgener Bucht, aber kein Mensch erschien, keiner verirrte sich ins verlassene Land,keiner brachte Kunde von den Geschiedenen.
Am Abend, wenn zur Ruhe die Sonne gegangen war, stiegen Nebel auf hier und dort auf den
einsamen Hügeln, irrten suchend um den See, schifften auf sil
Aber von Abend zu Abend schien es Schwito mehr und mehr, als rege in der Nebel Mitte ein ungewöhnliches Leben sich, als gewoönnen sie besondere Gestaltung,als beginne geheimnißvoll, markerschütternd die innigste Wehklage. Wie oft ein plötzlicher Schmerz durch den Menschen, zuckte auch die Erde von schmerzlichem Weh erfaßt zusammen, die Berge schüttelten ihre Haupter;ihre Schweißtropfen, die fürchterlichen Lawinen, donnerten sonder Unterlaß zu Thale, die Eichen ächzten, wie Sterbende ächzen auf blutigem Felde in der Nacht nach geschlagener Schlacht. Ein unendliches Bangen ergriff ihn wieder, wie es über den kommt, dessen Geliebte weggegangen sind für einige Stunden, und die Sonne ist üntergegangen und die Nacht kömmt herauf und sie kehren ihm nicht wieder, wie er auch horchen mag,kein Fußtritt schallt durch die Nacht. Ein Bangen,wie es der Vater fühlt, der seinen Sohn im Sturm der Elemente in den Bergen weiß oder auf den Wassern. Dieser hat auch keine Ruhe, alle Augenblicke tritt er aus seiner Hütte, hebt die Hand über die Augen,schaut nach dem Sohne, horcht ins Weite nach dem Hall seiner Tritte. Und wenn er nichts vernimmt, will er sein Bangen bekämpfen, kehrt zurück in die Hütte,will nicht mehr an den Sohn denken, will sich legen,will schlafen gehen. Aber umsonst, die Bangigkeit wallt neu herauf, er springt auf vom Lager, setzt sich vor die
Thüre und will harren und warten, bis der Sohn kömmt. So war es Schwito.
Er begann mehr und mehr die Stunde zu verwünschen, in welcher er den Entschluß des Bleibens gefaßt,A sein Haupt sich gelegt, seine Augen den Willen der Götter nicht erkannt hätten; bald ward er irre an sich, bat irre an den Göttern. Und hatte er auch das Rechte erkannt und war kein Irrthum in seinen Augen, keine Täuschung bei den Göttern, so fühlte er doch, wie viel tausendmal leichter es ist mit den Seinen zu leiden und zu sterben, als von trüben Ahnungen gefoltert, nicht zu wissen, was sie leiden und wie sie sterben.
Des Tages mochte er wohl der Angst sich erwehren;des Tages Geschäfte zerstreuten ihn, bei der Sonne Licht erscheinen auch die Gespenster, welche unseren eigenen Seelen entsteigen, seltener. Das Kind, das im vollen Genügen dessen, was es hatte, im Stolze der wachsenden Kraft so froh um ihn spielte, so verständig ihm half, so hell hinaus ins Leben sah, erfreute ihn Aber wenn dann der Abend kam, der Schlaf das Kind umfing, der müde Leib die Seele schwächte, die Schauer der Nacht heraufstiegen, dann erfaßte ihn die Angst mit gedoppelter Kraft, in der Hütte ward ihm zu enge, zu bange auf seinem Lager, er mußte hinaus, obgleich ihm jeder Abend draußen in der weiten Oede noch enger ward ums Herz.
So trieb es ihn auch eines Abends hinaus nach schwülem Jagdtage, als frühe das Kind zur
Ruhe sich gelegt. Wie in dunkles Blut tauchte die Sonne unter und blutroth färbten die
Wolken sich, mit Blut wurden die Berge übergossen, Blut strahlte aus dem See herauf,in
blutigem Schimmer glimmte das Land. Immer dunk
Bald schloß ihm der Schlaf die müden Augen, verschloß ihm des Kummers Kammer, verwandelte
seine Seufzer in friedliche Athemzüge. Plötzlich fuhr er, wie von jähem Schreck ergriffen,
hoch vom Lager auf, aufgerissen schien ihm die Thüre, in selbe stürzte ein Krie
„Um der Göͤtter willen, bist du es, Diviko!“ rief Schwito.
Es hob der blutige Krieger sein Haupt, unaussprechlicher Schmerz, und ein ganz anderer, als das Weh des Todes lag in den Heldenzügen, reichlicher strömte sein Blut, höher loderten an ihm die Flammen auf,stumm blieb sein Mund, aber den Schild, den reinen und unbefleckten, hob er empor, auf demselben begann es zu leben und eine fürchterliche Nacht stieg empor auf seiner Fläche. Ueber der Nacht stand blutig der Vollmond, schwere Wolken wälzten sich am Himmel, ein weites Schlachtfeld dehnte sich aus über die Erde. Mit viel tausend starren Leichen war es bedeckt, des Mondes Strahlen beleuchteten die krassen Züge, viel Tausende wälzten sich in bitterem Sterben. Der Mond hielt ihnen die Todtenfackel. Hier hatte der Streit ausgetobt, nur hier und da würgte noch ein sterbend Paar sich in dem Hasse, der erst nach dem Leben erlischt, der in den erstarrten Zügen liegen bleibt, bis die Verwesung über sie kömmt. Sieger oder Besiegte erkannte Schwito nicht, bunt durch einander sah er Römer und Helovetier liegen, alle in ihrem Waffenschmucke, und mit unparteiischer Hand schien der Tod Erndte gehalten zu haben, denn in die Tausende lagen die Römer erschlagen auf dem blutigen Felde.
Als er hier umsonst forschte nach Sieg und Untergang, versank das grausige Feld und auf
dem Schilde sah er eine mächtige Wagenburg, um sie tobte eine nächtliche Schlacht. Aus
weitem Felde her sah er schwer gerüstete Krieger stürmen, sah viel einzelne Kämpfe in
Aus der Wagenburg starrten Speere, Pfeile flogen zwischen den Rädern, funkelten Schwerter, unter den Rädern hervor glitzerten in Kinderhänden lange Messer, kurzer Speere dreigespitztes Eisen, in der Wuth den Tod zu geben, nahm man den eigenen hin. Die Krieger stürmten die Burg mit der Beharrlichkeit, gestählt auf hundert Schlachtfeldern, welche weiß, daß im Aushalten der Sieg liegt, im Absetzen der Tod. Tausende fielen nieder, aber keiner wandte sich, keiner setzte ab, wo er angesetzt.
In gleicher Todesfreudigkeit ward von der Burg herab gestritten, und aus der Burg heraus; Niemand sah man weichen von den Rädern der Wagen, keinem Streiche fliehen. Wem seine Waffe brach, zackte mit den bloßen Händen den Feind, unerschrocken krochen die Kinder zwischen die stürmenden Krieger und suchten mit ihren Messern die verwundbaren Stellen, und wenn ein eherner Fuß ein Kind zertrat, es stach jubelnd nach dem Fuße, der es zerquetschte. Und wo ein Wagen in Bedrängniß war, sah man Mädchen, Weiber in die Krieger sich stürzen, Luft schaffen mit ihrem Tode den bedrängten Männern.
Wo in des Wagenringes Mitte ein hoher Wagen stand, da brauste am wildesten der Kampf. Von
ihm herab stritt eine weiße Männerschaar, ein jeglicher ein Held. Wie am Felsen die
Brandung donnert, Welle
Da tauchte hinter den Kriegern ein einzelner Krieger aus der Nacht herauf, sein Auge
schaute über die Wogen der Schlacht, seine Hand hob sich gebietend,neue Schaaren strömten
über das Feld, neues Leben strömte durch die Stürmenden. Von tausend Fackeln ward es helle
und die tausend Fackeln flogen lodernd in die Wagenburg und tausend Krieger stürzten an
die Wagen und rangen mit Weibern und Kindern, um mit eigener Hand das Feuer an die Wagen
zu legen, und hunderte von Fackeln zischten aus im Blute ihrer Träger. Aber hunderte
zündeten; eine gräßliche Lohe flammte auf vom hohen Wagen der Druiden und rings um ihn
würgte gräßlich der Tod. Da hob über Tod und Flamme auf des hohen Wagens höͤchster Stufe
rasch sich ein Held, weit hin leuchtend durch die feurige Nacht; alle Augen sahen ihn,
nach allen Seiten hin gab er seine Zeichen. Und als ob seine mächtige Hand eine Schleuse
gezogen in wildem Flusse, stürzte von allen Wagen herab, aus allen Zwischenräumen,Ströme
von Kriegern in den Feind, während die andern die Wagen verließen, und hinter dem Brande
zu einem gewaltigen Haufen sich schaarten. Nur die lodernde Druidenburg verließ kein Fuß,
Feuer und Streit umtoste sie in immer steigender Wuth, unter den Rädern hervor drängte
sich Kind um Kind mit blankem Messer zwischen die Stürmenden, furchtlos rangen Weiber und
Mädchen mit dem am Wagen empor wimmeln
Ueber die Flammen aber kam schwarz die Nacht,der Schild verschwand, der Krieger der ihn hielt. Nacht war es in der Hütte, umsonst starrte Schwito in die Nacht, kein neues Gesicht tauchte auf. Diviko war es,welcher dem alten Freunde die Kunde gebracht vom Entscheid der Götter, vom blutigen Feuergrabe, das er und sein Volk gefunden; denn wenn auch Schwito des Kampfes Ende nicht sah, so wußte er wohl, daß,wenn die Führer gefallen, der Herde der Glaube an den Sieg entfällt. Jetzt wußte er, daß am letzten Abend der Schimmer des vergossenen Blutes hinüber geleuchtet hatte in die Heimat, an die jeder Fallende im Tode dachte, daß es seines Volkes Blut gewesen, welches Berg und Thal, Baum und See gefärbt, daß es Hertha gewesen war, welche unten im See gejammert hatte über ihre Kinder, die fern von ihr todeskühn den letzten Kampf rangen auf fremder Haide, wo alles gegen die kühnen Fremdlinge stritt, Götter und Menschen,Feuer und Nacht, Luft und Land. So hatte er also recht gehabt, hatte richtig das blutige Grab gesehen,und jetzt war das Volk in selbem begraben, und mit dem Volke seine Enkel alle, die er wohl erkannt im feurigen Streite, und er alleine war noch übrig von
Hertha's Kindern. Da wallte ein unnennbarer Jammer in seiner Seele auf; er, alleine übrig
von dem Heldenvolke, vor dem man zitterte am Rheine und an der Rhone. Er alleine übrig in
weitem Lande, von den Göttern vergessen, vom Tode verschmäht, der von dem Mord eines
ganzen Volkes gesättigt, den schwachen einzelnen Greis nicht begehrte. Und seinen
Jammer,sollte er ihn einsam tragen, alleine weinen und klagen,während unten im See Hertha
jammerte in Mitte der klagenden Väter, wo vielleicht auch die Seelen der Erschlagenen sich
sammelten? Wo andere klagten, dahin wollte auch er mit seiner klagenden Seele, wollte zu
Hertha, wollte zu den Vätern, wollte den alten Leib in den See versenken, damit seine frei
gewordene Seele auf zu den Seelen der Väter könne, heraus aus der einsamen Oede, in der
kein Lebendiger ihm geblieben.Schon hatte er sein Lager verlassen und seine Hand an der
Thüre Riegel, da jauchzte das Kind wieder in freudigem Traume auf, und mit heller Stimme
rief es des Großvaters Name, rief ihn zur Theilnahme an seiner Freude. Dieser Ruf, eine
Stimme der Götter EDDDDDD fesselte ihn wieder ans Leben. Es blitzte ihm der Schreck durch
die Seele, wie es wohl dem Kinde, das er in seinem Jammer vergessen hatte, gewesen wäre,
wenn es beim Erwachen den Großvater umsonst gerufen, umsonst ihn gesucht um die Hütte, in
Wald und Schlucht,wenn am Ufer die Rüden stehen geblieben und über seinem Grabe das
Todtengeheul gen Himmel gestoßen,und es nun alleine bleiben sollte in seiner Schwäche,vom
treulosen Großvater verlassen. Es wankten seine Knie, als er dieses Frevels gedachte und
doch ließ er von den Todesgedanken nicht. Er nahm das Kind auf
Vom Kinde konnte er sich nicht trennen, das warme Leben ihm nicht senken ins schaurige Wassergrab; er legte es wieder auf sein Lager, setzte sich an demselben nieder. In des Mondes wechselndem Scheine sah er in die muntern Züge und aus demselben tauchte ihm seine eigene Vergangenheit herauf: das wilde Kind, der kühne Jüngling, der hochgeehrte Mann, der hundertjährige Oberpriester; über alles leuchtete, wie über die Erde die Sonne, die Huld der Göͤtter und ihr nie getrübtes Vertrauen. Hatte ihr Vertrauen sein einzig Auge nicht blenden, die Wahrheit sagen lassen, hatte ihn nicht auch ihre Huld vor dem Untergange bewahrt,zur Vollbringung ihres Willens, und sollte er, der den Göttern treu blieb, das Leben, das sie ihm erhalten,treulos von sich werfen, sich entziehen wollen, ihrem
Willen nicht harren wollen, ihre fernern Zeichen und Verkündigungen. Hatte er Ursache zu glauben, daß er,ein von den Göttern Verlassener sei oder der Göiter Liebling?
Da traf ein Sonnenstrahl des Kindes Auge, langsam oöffnete es sich, sah die gähnend sich erhebenden Rüden, sah den sinnenden Großvater an seinem Lager,sah den jungen Tag, der in die dunkle Hütte sich drängte.Da hob es rasch seine jungen Glieder, schlang seine Arme um des Großvaters Hals, sprang dann wild und froh ins Leben hinein, und auch kein Schatten fiel auf seine frohlockende Seele. Da war des Kindes Leben gesichert und der Großvater an das Leben gebunden, wie oft auch die alten Gedanken wiederkehrten.Denn es ist dem Sterblichen selten gegeben, einen Kampf recht auszukämpfen; wie hoch er seine Seele auch heben mag in göttlichen Stunden, hinunter auf die Erde muß sie wieder, dann strömen neue Kräfte zu dem alten Feind.
Das Gesicht, das er gesehen, der Kampf, die Flammen, standen Tag und Nacht vor seinen Augen, die Gesichter der Seinigen in der Glut des Kampfes, in der Glut des Wagens wichen nicht aus seiner Seele,immer und immer mußte er schauen, wie der Wagen zusammenbrach, das Feuer alles verschlang. Aber den Ausgang hatte er nicht gesehen, das Feuer war zum feurigen Vorhang geworden, der ihm des Volkes endliches Schicksal verhüllte, denn daß alle Helvetier und Römer im Feuer umgekommen, das glaubte er nicht.Das Ende hatte er nicht gesehen, und wie war dieses Ende ? An einen glücklichen Ausgang glaubte er nicht,glaubte nicht, daß das ganze Volk untergegangen, aber wo weilten die Trümmer, wo weinten sie heimathlos?
Solches sann er Tag und Nacht, und seine Gedanken wickelten sich in einander bis zur Verwirrung, die Niemand löste; Niemand brachte ihm Kunde, kein neu Gesicht tauchte vor ihm auf.
Wohl versuchte er zu träumen, wie am folgenden Morgen die Helvetier in neuer Schlacht einen neuen Ausgang erstegt. Die Römer überwunden, ein herrlich Land des Kampfes Preis geworden. Aber wer kennt nicht die Haltlosigkeit solcher Träume, zu welcher eine zagende Seele sich zwingt; zerfahren sie nicht bei jedem Pochen an eine Thüre, bei jedem Tritt, der aus der Ferne tönt? Sie zerstoben, wie Schwito sie gewoben,die innere Gewißheit ihrer Unwahrheit, wollte nicht weichen. War ihm nicht der Untergang verkündet worden, hatte nicht Hertha selbst ihm denselben gezeigt,hatte er nicht selbst das Blut gesehen, selbst den Jammer gehört, und was hatte ihm der sterbende Diviko verkündet, hatte ihm ein einzig günstig Zeichen eine Wandelung der Dinge angedeutet, eine Aenderung im Entschlusse der Götter? Nein, kein Zeichen hatte er erVD len, in der Einsamkeit, abgeschnitten von aller Möglichkeit, das Schicksal der Seinen zu vernehmen, Tag für Tag hinzunehmen und jeglichen anzutreten mit der Gewißheit, daß er sein werde, wie die vergangenen, ohne Nachricht, was aus den Seinen geworden und ohnmächtig sich fühlend, an dieser schauerlichen Ungewißheit das Geringste zu ändern, ist schrecklich.
Wenn man weiß, daß die Lieben gestorben und wie trachtung des Geschehenen ermattet die
Seele, sie wendet sich mehr und mehr von derselben ab, die Beruhigung beginnt sich zu
bilden, ein neuer Grund sich zu
So floß der Sommer vorüber, die Gerste war reif geworden, der Haber gelbte und falbe
Blätter sah man schon hier und da in Busch und Wald. In Buchen und Eichen hielten die
Tauben ihre Festtage, zwischen Koth und Wurzeln feierten die Schweine ihre goldene Zeit.
Des Morgens deckten Nebel Land und See,wenn aber gegen Mittag die Sonne durch den Nebel
brach, ihr Licht die Nebel jagte, dann ward es so duftig, so lieblich, so mild und sfüß,
daß des Kindes Jauchzen kaum im Schlafe verhallte, daß es selbst dem Greisen warm und süß
im Herzen sich regte, daß er stundenlang stehen konnte an des Hügels Rand; und wie leise
Winde mit dem hellen Wasser spielten, so stiegen hellere Träume in seine Seele auf, und
sein Auge erquickte sich an des Landes Lieblichkeit. Aber immer folgte die Wehmuth dem
süßen Träumen, dem entzück
Wenn endlich der Abend kam und über dem duftigen lieblichen Lande des Mondes schmale
Sichel stand,D in feierlicher Stille, dann kam es ihm wieder, als sehe er eine verklärte
Braut harrend ihres Bräutigams in schönstem Silberkleid und stillem Bangen. Und wiederum
fesselte sein Auge die liebliche Schönheit, er konnte es nicht von ihr wenden, konnte
nicht glauben,daß solchen Schmuck die Götter umsonst gegeben, und ihm ward, als ziehe ein
leises Klingen über den See,als töne es aus der Tiefe herauf, wie fröhliche Lieder und
Hochzeitsreigen. Wenn dann die Nebel aus den Hügeln stiegen, hier ein Wölkchen, dort ein
Wölkchen von des Hügels Spitze weg, die Kinder suchte, eins nach dem andern zum See
niederstieg, über den See schwebte, den dichten Schleier webend um des Sees heiliger Mitte
und dessen Geheimnisse, so schien ein freudig Leben hinter diesem Schleier zu beginnen.
Stern um Stern lössste sich am blauen Himmel, hinter den Schleier sich senkend, dann
wallte höher und höher der Schleier, bis zum Himmel empor und verhüllte dem Auge der
Sterblichen, wie die Unsterblichen ebnen die Kluft zwischen dem Himmel und der Erde, wenn
sie in Freude sich finden wollen, der Himmel auf die Erde kömmt, die Erde zum Himmel wird,
die Götter auf und niedersteigen, der auf hohem Wellenthrone sein Haupt in den Himmel
hebt, jener auf lichtem Sternen
Und je mehr die Scheibe des Mondes sich füllte,um so zauberischer ward es im Lande, um so lustiger regte sich das Wild im Walde, die Fische auf des Sees Grunde, um so heller war der Himmel, um so duftiger flogen des Abends die Nebel, goldener glänzten die fliegenden Sterne, lichter ward der Schleier um des Sees heilige Mitte, und manchmal glaubte der Greis die strahlende Sternenkrone zu sehen über den steigenden Nebel, die Krone, welche Hertha, die göttliche Mutter, trug auf ihrem Throne, zu sehen, wie diese Krone sich hob zu den goldenen Kammern empor, wo die Unsterblichen der Menschen Geschicke ordnen und der eigenen Seligkeit sich freuen.
Alles um ihn regte sich hastig und geschäftig; die Zeit schien jedes Thierlein zu drängen und ein jegliches zu wissen, daß ihm keine Stunde gegeben sei zur Versfäumniß. Lustig waren die Schwalben fortgeflogen,die Tauben zogen nach, die Krähen sammelten sich, in hohen Flügen sah er viele Vögel ziehen, und jeglichem Zuge sah er nach, sah, wie sie gen Westen zogen, wo hin die Seinen gezogen waren, als jene Voögel von Westen kamen. Waren sie damals schon einander begegnet, begegnen sie sich wieder auf ihren Zügen, sehen sie sich lebend wieder, oder rufen wohl die Vögel auf ihren Gräbern und halten die Krähen Raft und Mahl auf der Wahlstatt, wo die Seinen modern, wo ihre Gebeine unbegraben an der Sonne liegen? So sann jegliches Mal der Greis, wann solche Züge über ihn zogen und es ward ihm mehr und mehr, als sollte er ihnen Grüße mitgeben und Befehle, daß die ihnen Begegnenden eilen möchten und nicht säumen, zur Säumniß sei dem Sterb
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Jeden Morgen, wenn er aus seiner Hüütte trat, hell die Sonne ihn begrüßte, hob er die
Hand über die Augen und schaute immer länger übex den weiten See und ringsum im Gelände.
Wenn dann kein Kahn über die blaue Fläche kam, kein Mensch an den Ufern sich regte, keine
Schritte im Gebüsch zu hören waren,keine Rauchsäule aufstieg so weit das Auge
reichte,seufzte er wohl, setzte noch einmal an, etwas zu erspähen, aber die Trübsal stieg
nicht über die Hoffnung.Vald war er wieder heiter und beschickte mit doppeltem Fleiß sein
Tagewerk; er sammelte mit aller Sorgfalt das Getreide auf allen Flecken, die er besät,
sammelte,so weit er konnte, die einzelnen Aehren, die aus Samen entsprossen waren, der
hier und da bei der letzten Erndte ausgefallen war. Jede Aehre, die er fand, betrachtete
er als eine Gabe der Götter und brachte sie sorgsam heim. Wenn dann der Abend kam, so
setzte er sich vor seine Hütte oder an des Sees Rand und ward
Hertha vernahm den Ruf in ihrem goldenen Schlosse,ein mächtiges Rauschen verkündete das Nahen der Göttin. Zum silbernen Wellentanze erhob sich das Wasser im See, höher röthete der Brautkranz sich, enger floß er zusammen, und in des Sees Mitte begann es zu funkeln und zu strahlen, als ob die Tiefe des Sees eine neue Sonne geboren und diese herauffsteige, groß und golden, in ihrer himmlischen Majestät.
Da strömten nie gehörte himmlische Töne über die Wellen, fächelten süß und leise den
alten Liebling der Götter, den staunenden Druiden an, gossen über ihn die Fülle
unaussprechlicher Wonne, schlossen dann seine Augen mit zartem Wehen, denn kein sterblich
Auge durfte belauschen der Götter Freudenfest auf offenem unverhülltem See. Das Auge der
Sterblichen, welches offen war überm See in solchen Stunden, erblindete im Tode; aber
ihres Lieblings Tod wollten sie nicht, sein Auge sollte noch anderes schauen. Aber wie die
Götter nie etwas nahmen, ohne etwas zu geben, nie sich
Verschwunden waren ihm des Sees erblühende Herrlichkeit, der strahlende Brautkranz, die aus dem See steigende Sonne, der volle Mond am Himmel;eine veränderliche Nacht umfing ihn: Zuerst war sie schwarz, nirgends erglänzte ein Licht, der Sturm heulte durch die Bäume, er wühlte in den Wellen.Dann schwieg der Sturm, die Wolken brachen, Sterne erglänzten am Himmel, Lichtlein schimmerten durch die Nacht, Kähne rauschten über den See, wie Fischerruf erklang es von den Ufern her. Neues Leben fühlte er durch seine Seele strömen, als er die Zeichen, daß wieder Menschen lebten im Lande, erkannte. Hell aufjauchzen wollte er, aber seltsam schwer war ihm die Zunge, er vermochte es nicht, er wollte gehen und schauen, aber träge wie gebunden waren die Glieder,sie versagten ihm den Dienst. Lange sah er Näheres von diesem neu sich kündenden Leben nicht, denn lange weilte die Nacht, der Morgen wollte nicht kommen.Brandwolken sah er wohl, gewaltiges Streiten nahte sich ihm, wilde Rosse sausten an ihm vorüber. Er dachte an die Germanen, und ob stie Besitz nehmen wollten vom Lande, in das sie sich nicht gewagt, so lange in selbigem die Helvetier wohnten. Aber er ergründete es nicht.
Da stieg unten, wo der See sich mündet zu rasch strömendem Flusse, ein Licht empor, hoch
und wunder
Traume ein solches Ringen zum Erwachen führt, so zing, während das Auge des Traumes sich
schließen woute, sein leibliches Auge ihm auf. Um ihn war es heller Tag, mit dem Nebel
kämpfte die Sonne, und vor ihm stand ein Wesen, und lange wußte er nicht,war es ein Wesen
dem Himmel entstiegen, oder den dunkeln Gründen, in welchen die neckischen Geister wohnen,
wußte lange nicht, sah er es im Traume, sah er es im Wachen. Ein Weib war's, arm und blaß,
abgezehrt, ein Kind lag an ihrer Brust; es weinte bitterlich und streckte dem Greise die
Hand entgegen. Es dämmerte in Schwito's Seele, Erinnerungen stiegen auf, plötzlich flammte
das Erkennen durch seine Seele:es war seines Enkels Weib, das vor ihm stand, so bittend
und abgezehrt. Da ward die Freude unendlich in seiner alten Brust, er hob seine Hände
bebend zum Himmel auf, und dankte den Göttern, daß ste sein Sehnen erhört, daß sie
Menschen ihm wieder gebracht in seine schaurige Einsamkeit, daß sie in Brand und Schlacht
die Seinigen ihm bewahrt. Dann herzte er Multer und Kind, geleitete sie sonder Frage nach
Schicksal und Weg in seine Hütte, und diente der armen Mutter mit Speise und Trank, wie
der Priester der Göttin dient, der Sklave seiner Herrin. Trotz dem bittern Hunger, der ihr
aus den Augen sah, nährte das Weib zuerst das lechzende Kind an ihrer Brust, wo es längst
keine Nahrung fand, nährte es unter heißen Thranenströmen, als sie die gierige Hast sah,
mit welcher dasselbe die süßduftende Milch genoß. Dann kam es wie ein Lächeln auf sein
blasses Gesichtchen, und zufrieden lehnte es sein Häuptlein an der Mutter treue Brust zum
süßen Schlafe. Allmählig verstegten auch der Mutter Thränen, sie langte nach Speise und
Trank
Weder der Greis noch das Kind frugen nach den vergangenen Tagen, nach den verlornen Ihren. Das Kind lebte der Freude der Gegenwart, der Vergangenheit gedachte es nicht; des Greisen Herz war der Freude voll, labte sich am Schauen der theuren Gäste, am Gedanken, nicht mehr alleine sein zu müssen in der schaurigen Oede, strömte über in Dank gegen die Götter;und wie man Todte nicht eigenmächtig aus den Gräbern rufen soll, wenn man sie nicht verderbend im Leben haben will, so wollte er auch nicht das Erlebte herausrufen aus des Weibes Seele, damit es nicht zerstörend trete in die beginnende Freude. Er wußte auch,daß wenn die Seele in die Gegenwart sich gelebt, die Vergangenheit von selbst sich löäsen werde aus ihrem Grabe, und hervortreten werde als ein Schatten, der dahin fährt sonder Macht und Gewalt. Er hieß beim Kinde die Mutter ruhen, und bald umfing auf dem lange entbehrten weichen Lager der milde Schlaf die matten Glieder, und lange schlief sie, der Hunger weckte sie nicht, das Heimweh jagte sie nicht ruhelos weiter,sie war daheim.
Schon weit über des Sees Mitte stand die Sonne,warm und lustig sich spiegelnd in dessen
dunkler Fläche;in duftigem Hintergrunde ragten in ihrer heitern Schöne die Berge hoch
empor über Land und See, als das Weib aus der Hütte trat. Staunend stand sie unter
„Als wir fortzogen, weinte ich auch, begann Hulda,ich unter Tausenden vielleicht alleine, doch nicht um die Heimat und das Kind, das uns verließ. Ich haderte mit dem Manne, daß er es nicht mit Gewalt genommen, ich zürnte mit mir, daß ich es nicht gethan,ich wäre zurückgerannt, hätte das Aeußerste versucht,wenn man mich nicht mit Gewalt gehindert. Meine Thränen verrannen, ich horchte wie die andern, mit thorrechter Freude den goldenen Träumen von dem Lande,welches Niemand gesehen, aber alle zu erzählen wußten. Zwischen die Träume hinein kamen neue Züge aus andern Thäalern, kam mannichfacher Wirrwar und manche Flamme leckte wild und ungezügelt, Verderben drohend, über unsern Weg, mitten durch die schönsten Träume, als ob sie dieselben verzehren, den Weg aus unserm Lande uns versperren wollte. Aber der Götter Winke, wie feurig sie auch sein mögen, sieht der verblendete Mensch nicht.
„In beständigem Taumel von Neuem und Ungewohn
„Ob diesem Zögern würden der Väter schneeweiße Bärte blutroth werden, sagten sie;
Thorheit sei es, ein
„Als diese Antwort kam, loderte die Wuth im Volke empor, die du wohl kennst; die Fuüͤhrer
kaum ihres Lebens sicher, wurden mit Schmach überschüttet und ohne Säumen ward der
gewaltsame Durchbruch versucht.Doch umsonst. Der reißende Fluß deckte Graben und Mauer,
Graben und Mauer deckten die feindlichen Krieger, durch die dreifache mächtige Wehr
vermochte die Wuth unserer Manner nicht zu brechen; manches Hundert verschlang der Fluß,
andere Hunderte der Tod,endlich suchten wir einen andern Weg. Wir fanden ihn durch die
Klüfte des blauen Berges, aber es war ein schwerer wilder Weg, und manchen langen Tag
mußten wir ihn ziehen. Wild und wasserarm war dies Land, tausendmal schöner war es daheim.
Wagen brachen, die Wege stopften sich, die Vorräthe waren aufgezehrt, die Heerden wurden
geschlachtet, Stück für Stück, hungrige Kinder wimmerten, verlaufene schrien Tagelang,
jammernde Mütter suchten verlorne Kinder oder Speise für hungernde, es stritten die Männer
um Weg und Wagen, redeten trotzig auf gegen die Führer und die größte Mühe hatten die
Priester, Friede zu schaffen und die Hoffnung zu erhalten durch günstige Zeichen. Als wir
selbst nichts mehr hatten, mußten wir von andern nehmen. Da Nebenzüge zu gefährlich waren,
mußten wir nehmen was zunächst am Wege lag, mußten es nehmen von unsern Freunden, welche
den Durchgang uns gestattet. Diese wurden darum unsere Feinde, schrieben der Bosheit zu,
was Noth war,lockten auf unsern Weg den treulosen Römer, der schlich uns nach wie ein
hungriger Wolf hinter der Heerde schleicht. Er hatte ein mächtiges Kriegsheer zusammen
gerafft, hatte Hülfe von den meisten gallischen Stäm
„Wir kamen endlich ins weite Land, an weite Flüsse.Die rauschenden Flüsse, die trotzigen Berge, der Heimat mißten wir immer mehr; der Mangel nahm zu; der Feind schlich uns immer gieriger nach und ließ sich doch immer weniger fassen. An einem der schleichenden Flüsse lagen wir manchen Tag, und langsam mit großer Mühe setzten wir über. Fährte war keine, die Ufer steil und der Männer einer Theil mußte Speise zusammentreiben,der andere den Wolf hüten, der so lauernd uns nachschlich. Wie das Raubthier die Zurüückgebliebenen zur Beute sucht, oder auf die Hintersten der Heerde fällt,so that auch der Römer. Der größte Theil des Volkes war über den Fluß gezogen, nur ein Theil unseres Gaues lag noch am jenseitigen Ufer, da brach in dunkler Nacht der Römer plötzlich ins Lager; erschlug in Nacht und Ueberraschung viele Schlafende, doch als der Tag anbrach und unsere Krieger sich zusammenfinden konnten, da ließ er ab und die übriggebliebenen Krieger retteten Weiber und Kinder über den Fluß.Als wir von den unglücklichen Ufern zogen, war der hinterlistige Feind wieder hinter uns, wo wir so lange verweilt hatten, setzte er in einem Tage über. Denn zu seiner größern Kunst konnte er die ungetheilte Kraft setzen; er hatte weder Speise zu sammeln, noch einen Feind zu hüten. Wo wir mit Flößen langsam uns behelfen mußten, schlug er Brücken in unglaublicher Eile. Als man ihn wieder auf unsern Fersen sah,wollte man ihn strafen, wollte man die Unsern rächen;allein er ließ sich nicht fassen, vor Wenigen der Unsern floh seine ganze Reiterei, seine eigenen Leute hielt sein erschrockenes Auge für Feinde. Setzten wir unsern
Weg fort, so schlich er uns wieder nach; endlich, plötzlich wandte er sich von uno ab. In
voller Hast jagten die Unsern ihm nach, sie dachten nur an Rache, nicht an Hinterlist. Da
stand der, den sie in vollem Rückzug glaubten, plötzlich wohl geordnet und wohl gestellt,
vor den Unbesorgten, fiel von einem Hügel herab mit dem ganzen Vortheile, welchen
besondere Vorbereitung giebt.Diesen Vortheil glich die Wuth der Unsern aus; sie wichen
nicht. Die Schlacht entbrannte; sie kämpften Helden gleich in ungünstiger Stellung mit
nachtheiligen Waffen, bis der Zug der Wagen aus dem Gedränge war und seitab in Sicherheit
stand. Dann suchten sie einen günstigern Boden, suchten mit ungetheiltem Auge die
Vortheile der Schlacht. Wir sahen die Schlacht von unsern Wagen herab und freuten uns
unserer Männer, unserer Söhne, sie stritten als die, welche nichts fürchten, aber alles
gewinnen wollten. Sie fochten mit gleichem Muthe den ganzen Tag. Keiner -floh,Keiner
wankte, aber mit Schrecken sahen wir, wie der Tod ihre Reihen lichtete, wie Rüstung und
Waffe den Römern das Uebergewicht gab über der Unsern Kraft und Kühnheit. Schwere
Rüstungen hatten die Römer,aber leichte Waffen. Die meisten der Unsern fochten ohne
Rüstung, unbeschützt, aber mit schweren Waffen.Im Gedränge konnten sie diese nicht
schwingen, nicht gebrauchen, waren sich selbst im Wege oder verwundeten einander selbst
mit dem langen Schwerte und ließen sie es fahren, wollten den Römer mit den Händen fassen,
zu Tode würgen, so war unterdessen der nackte Leib hundert Streichen ausgesetzt, hundert
Dolchen handrecht. »So wüthete der Tod schrecklich unter den Unsern, aber keiner wich,
keiner sah zurück Da sank die Sonne, vom Zusehen war sie müde, denn zwolf
„Jetzt ricfen unsere Führer ab von der Schlacht,denn es wollen ja die Götter nicht, daß Schlachtgetöse störe die heilige Ruhe der Nacht. Die Einen wandten sich nach der Wagenburg zu unserem Schutze, die andern lehnten sich an einen Berg zum Schutze des Weges, auf dem wir zur Schlacht gekommen, auf dem wir aber auch weiter wollten. Matt von zwölfst ündigem Blutkampf, von langem Hunger, waren alle, wundvoll die Meisten, aber alle waren noch gesunden Herzens und die Muthlosigkeit nicht eingeschlichen; sie dürsteten nach Rache und waren auf Morgen des Sieges gewärtig; auf ihre Kraft trotzten sie; und was hülfe den Römern Waffe und Rüstung, wenn ihre schwächere Kraft erloschen war, so sagten sie. Sie täuschten sich,wie der Zuversichtliche nur zuleicht eine schlechte Rechnung stellt.
Das Dunkel der Nacht hatte sich zwischen uns und den Feind gesenkt, aber ein reges Leben waltete im Wagenring. Die Krieger erquickten sich an Speise und Trank; wir wuschen ihre Wunden, und stärkten ihre Seelen mit lobpreisenden Worten, die vielerfahrnen Greise gaben ihre Näthe, die Kinder schärften die zerhauenen Waffen, selbst die Hunde kauerten zu den Füßen der Krieger, mit denen sie gestritten und harrten der Bissen aus gütiger Herrenhand. Die wildesten der Buben krochen aus dem Ringe, streiften durchs dunkle Feld; es war unser Glück, wir meinten es wenigstens. Sie wurden es inne, daß der tückische Feind heranschleiche zum Ueberfall, brachten flüchtigen Fußes die Kunde. Da juckte alles nach den Waffen, im Augenblick waren die Wagen besetzt, die Zwischenräume
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Neue Schaaren sandte er bewaffnet mit tausend Feuerbränden. Neben meinem Manne hatte ich
gestritten, der aus mancher Wunde blutend, deiner würdig war, mit meinem Schilde ihn
gedeckt, hatte Söhne fallen sehn, Kinder unter die stürmenden Krieger kriechen mit blankem
Messer, ich hatte fortgestritten, ausgehalten.Da ergriffen mich die Wehen, ich wollte sie
nicht achten, sie warfen mich nieder. Mein Mann sah meine Noth, trotz meinem Sträuben hob
er mich vom Wagen,trug mich zu den Feuern in der Mitte, wo die Mütter kochten und
Sterbende pflegten. Die Mütter nahmen sich meiner an, ich aber bekümmerte mich nicht um
mich,mein Auge hing am Streite, heftete sich an den Wagen,
Mißmuthig sprangen die Krieger, denen es geheißen ward, von den Wagen. Die Mehrzahl
harrte aus oder stürzte, um uns zu sichern, in den Feind. Der Hülflosen große Schaar, von
den Kriegern gewahret und geschirmt, wandte nach dem Berge sich ungestört,die Römer
vermochten ihre Kraft nicht zu theilen. Mich schleppte man mit; mein Kind war geboren; ich
achtete
Morgen war es, als die wärmende Sonne mein erstarrtes Leben weckte, Regung mir wieder in die Glieder kam, das Auge sich aufschloß; vor mir sah ich das rauchende Blutfeld, um mich war Heulen und Weinen.Die größere Zahl und die Ersten und die Besten des Volkes waren unten auf den zwei Schlachtfeldern erschlagen oder verbrannt, hier oben waren Weiber, Greise,Kinder, verwundete Krieger; gering war die Zahl der Streitbaren. Und doch wollten diese neu an den Feind,wollten die Ihren rächen oder bei ihnen erschlagen bleiben; der Sieg schien ihnen nicht so ferne, denn drunten in blutigem Leichenfelde lag auch der Feind einem gesättigten Raubthiere gleich, blutend, träge, geschlossenen Auges, der Ruhe bedürftig, nach neuem Kampfe nicht lüstern.
Vielen aber war in Angst und Hunger der Muth
Wir aber zogen, entblößt von allem, durchs häßDDDDmal Wasser für den brennenden Durst der Matten und Wunden, wir hatten nichts mehr als das Gefühl, daß wir verlassen seien von den Göttern und von den
Menschen, hatten nichts als die Rechnung über alles,was wir verloren, über alles, was wir an eitle Träume gesetzt, um Verzweiflung zu gewinnen. O Väter, da wurde dein Name oft genannt und die Stunde verflucht,wo thorrechtes Verlangen dir des Vollkes Ohr verschlossen. Es wurde den Priestern geflucht, die nach des Volkes Willen die Zeichen gedeutet. Wohl ihnen,daß sie in den Flammen ihre Schuld gebüßt, das Volk hätte blutige Rache genommen, daß sie ihm zu Willen gewesen in seiner Thorheit, treulos an Volk und Göttern geworden: denn darum hätte man Priester, daß sie den Willen der Götter verkündeten und nicht dem Willen der Menschen sich beugten. Da ward es mir zum Trost, daß Mann und Söhne den kühnen Tod gefunden, auch ich hätte mir ihn gegeben, wäre bei ihnen geblieben, aber man ließ mich nicht. Nach und nach fesselte mich auch das neugeborne Kind, das einzige,welches ich noch hatte, wieder ans Leben. So zog ich mit dem Volke, und das war ein gräßlich ziehen in fremdem Lande, ohne Führer, ohne Freund, speislos,schirmlos, Kinder tragend, Sieche schleppend, hinfällig alle, hoffnungslos, verzweiflungsvoll, jeden Augenblick des Feindes gewärtig. Da erfuhren wir es, wie wandelbar die Gunst der Menschen ist, und wie anders sie sind gegen ein mächtiges Volk als gegen eine schirmloso Heerde. Ganz Gallien glaubten wir uns günstig,alle den Römern feindlich; jetzt erfuhren wir den Werth der Menschen Gunst. Wohl legte Niemand Hand an uns, aber auch Niemand öffnete uns Hand oder Hütte,unangetastet ließ man uns ziehen, aber Niemand gab uns Brod, Niemand zeigte uns Wasser, ja Niemand vo sich gierige Hunde allein bellten an unserem ege.
Kein Römer zog hinter uns her; der ruhte noch auf blutigem Felde; wie matt er geworden,
wie tief der Sieg seine Krääfte erschöͤpft, sahen wir erst jetzt; er erholte sich, während
unser Elend jeden Tag wuchs;denn vor uns her waren seine Boten geflogen, hatten mit harten
Drohungen uns die Herzen verschlossen, die Hände der verwandten Stämme gefesselt und des
Siegers Wort fand offenere Ohren als der Jammer geschlagener Freunde. Das waren
schreckliche Tage, während welchen wir zogen durch heißen Sand, durch laubloses Land,
trostlos, heimatlos, und kein Ziel im Auge, kein Ende unseres Elendes, elende Trümmer vom
Winde gejagt in uferlosem See. Zum Tode matt war ich, jeder Schritt eine Todespein, nichts
lebte mehr in mir als der Schmerz und die Liebe zu meinem Kinde,dem Zeugen der
schrecklichen Nacht. Und dieses Kindlein wußte nichts von meinem Jammer, war heiter und
froh, schrie nur, wenn ich nicht mehr stillen konnte seinen heftigen Durst. Endlich
erlosch uns Allen aller Muth. Eines Morgens blieben wir liegen auf weiter Haide, was
sollte das Wandern sonder Ziel? Es blieb uns nur das gedoppelte Ende, der Tod oder des
Siegers Gnade; und warum in gräßlicher Pein noch länger fliehen wollen, dem man doch nicht
entfliehen konnte. Das Ende wollte man, darüber war man einig, aber welches, darüber erhob
sich Streit. Die Kräftigsten wollten den Tod, die dem Tode am nächsten waren des Siegers
Gnade; das Leben war ihnen um so theurer geworden, je näher der Tod ihnen trat; die
Letzteren gaben wiederum den Ausschlag. Es wurden Boten abgesandt; wir harrten der Antwort
auf freier Haide unter glühender Sonne, ein sterbend Volk, selbst zum Weinen war die Kraft
uns ausgegangen; wir
Der Feind eilte nicht mit der Antwort; er ließ den letzten Funken der Kraft in uns ersterben, wie man auch dem wilden Ur sich nicht naht, so lange noch ein Glied an ihm sich regt. Endlich kam er, es war ein schrecklicher Augenblick. Jetzt sahen wir ihn mitten unter uns, den falschen Mann, der unser Grab gegraben, und keiner mochte sich regen, mit einem Steine die stolze Stirne ihm zu zerschmettern, zu durchbohren mit einem Pfeil das falsche Herz. Er mißhandelte uns nicht, aber er betrachtete uns mit Blicken, wie der Jäger sie wirft auf das sterbende Wild, das seine Kraft heiß gemacht, und wir sahen diese Blicke, mußten sie dulden, gebunden durch eigene Schwäche ihm zu Füßen liegend in heißem Sande. Wir, das ehemals so stolze Volk, das nie sich gebeugt, vor dem Alle gezittert, gebrochen lagen wir zum ersten Mal zu eines Ueberwinders Füßen! Da fühlte jetzt Mancher, wie der Tod eine Wollust gewesen wäre gegen diese Schmach, aber zu spät war es jetzt.
Er ritt durch unsere Reihen, betrachtete uns mit zählendem Auge, dann nahm er holdselige
Mienen an,machte uns mit seiner falschen Freundlichkeit Vorwürfe über unsere Thorheit,
erhob sein Volk, nannte sich unsern befsten Freund, verkündete uns als Zeichen dieser
Freundschaft, als große Wohlthat, die Heimkehr ins Vaterland. Seiner Selbstsucht den
Schein des Wohlwollens zu geben, das Erhaschen feines Vortheils Wohlthat zu nennen, das
war seine Klugheit. Ein mattes Volk in unserem Lande, war ihm lieber als ein ödes Land,
der schönste Schlupfwinkel für die raubsüchtigen Germanen. Wir waren zu matt zur Freude,
fühlten
Sein Befehl schloß die Hände uns wieder auf,und nothdürftig gestärkt, von den Römern
geschirmt,mußten wir wieder auf den Weg. Jetzt hatte dieser Weg wieder ein Ziel, aber es
war ferne, und Schreckliches, was noch zu erdulden; gar Viele erlagen.Wohl schirmte uns
der Römer Wort gegen Mißhandlungen und das Nöthige sollten wir erhalten; aber den Hohn und
den Schimpf hielt kein Römer von uns ab,und wie Hunden warf man uns das Befohlene vor,und
ich mußte es essen, mußte es essen um meines Kindes willen! Gegen Alles hatten wir keine
Wehr, keine Rache; wir erfuhren es, was Ohnmacht ist. Je näher wir der Heimat kamen, um so
deutlicher stellte sich uns vor unsern Augen, wie wir ausgezogen, wie wir zurückkehrten,
wie im Lande es gewesen war, wie wir es finden würden, wir sahen das unübersehbare
herrliche Volk in sprühender Kraft und jetzt das armmüthige Haäufchen wankend am Stabe,
und das Weinen verließ uns weder des Tags noch des Nachts. Und doch als wir zum ersten
Male wieder die weißen Berge sahen hoch oben am Himmel und den blauen See, wo wir unser
Land verlassen hatten; da rann leise wieder Freude in unsere Herzen, und wenn wir unsere
Häupter auf die Erde legten, so war es uns, als legten wir ste in einer Mutter treuen
Schoos. Nun begann trotz der Angst, wie wir es finden, wie es uns sein werde,ein Sehnen
nach der verlassenen Hütte uns gefangen zu nehmen, zog uns schneller fort, je näher wir
ihr
18 kamen, und kräftiger schien unser Fuß zu werden, je heimatlicher die Luft ward.
Nach und nach lichtete sich unser Häufchen; wir kamen zu den verbrannten Wohnplätzen, an
vielen zogen wir vorüber, und es lebte Niemand mehr von denen,die da gewohnt. An andern
Stellen war noch Jemand übrig! Wie weinte, wer zurückblieb, alleine, verlassen, in seinem
Elende; wie weinte, wer daran dachte, daß bald auch an ihn die Reihe kommen werde, alleine
weilen zu müssen auf verödeter Stätte! Mir einzig glimmte eine Hoffnung, die Hoffnung
Lebende zu finden und eine Hütte.Wie es mich so traulich anwehte, als ich die bekannten
Berge erblickte, welche den See von dieser Seite umwanden, ich kann es nicht sagen, und
hinter den Bergen wohnte mir vielleicht noch ein Vater, noch ein Kind. Da hielt ich es
nicht länger aus. Als nach kurzer Tagreise die Gefährten rasteten, trieb es mich weiter,
ein heißes Sehnen hielt aufrecht meine wankenden Kniee, erhielt mir den Athem in der engen
Brust. Wild war es überall, verwachsen fast bekannte Pfade. Als ich durch die Zweige
streifte, als mein Fuß knisterte im Laube, kam neugierig näher manches sonst so scheue
Thier, blickte mich mit freundlichen Augen an, als wollte es mich willkommen heißen,
tanzte vor mir her, zeigte mir den Weg: so hatte ich es nie gesehen. Selbst der Eber, der
bei mir vorbei sprang,schien mir weniger rauh zu grunzen, that mir kein Leid. Aber je
näher ich dieser Stelle kam, um so weniger sah ich solches, um so dunkler ward es mir vor
den Augen, eine unendliche Angst faßte mich, es kam mir immer deutlicher vor, daß ihr
beide todt wäret oder fortgezogen und keine Hütte mehr daz die Knie brachen,der Athem
stockte. Ich erholte mich wieder, ich raffte
Jetzt liegt eine unaussprechliche Mattigkeit auf allen meinen Glieder, aber wie süß dünkt sie mir! Ich weiß ja, morgen muß ich nicht weiter, morgen kann ich ruhen,kann morgen wieder hier sitzen, mich laben an Land, Seen,Bergen, am Gefühl, daß ich daheim bin. Ich kann schlafen diese Nacht, schlafen so lange ich will, kein
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Jammer wird mich wecken, der Hunger nicht, der harte Wächter nicht, der alle Morgen, wenn die Sonne aufstund, uns auftrieb und auf den Weg jagte, trotz den steifen, wunden Gliedern. Weilen und bleiben und sein kann ich hier, und Niemand jagt mich weg und Niemand stößt mich fort, kann sitzen hier den ganzen Tag bis die Nacht kommt und kann schlafen die ganze Nacht,bis daß der Morgen kömmt; o Vater, was das heißt,weiß Niemand, als wer die Heimat verließ und nirgends Ruhe fand, bis er die Heimat wieder fand.“
Hier schwieg Hulda und trocknete ihre Thränen, die süß und leise ihr durch die Wangen rannen, und sah ihres altern Kindes Thränen, die voll und groß über die vollen Wangen rollten. Und die Mutter zog es an sich,wollte es herzen, das so lang entbehrte, aber der Knabe hob zornig die Hände auf, schwur Rache dem treulosen Manne, schwur Vater und Kinder und Schwestern rächen zu wollen im Blute ihrer Ueberwinder, und zornige Funken eines glühenden Hasses sprühten aus seinen Augen, und in seinem Herzen setzte das Leid sich an,daß er nicht selbst in der Schlacht gewesen, setzte das heiße Sehnen fich an nach einer neuen Schlacht, und tausend Gedanken stiegen auf, bereiteten und ordneten die neue Schlacht, die blutige Rache.
Im Greise aber brannte, wie auf hohem Altare das heilige Feuer, eine stille Freude, daß die Götter ihm Jemand wieder gebracht, daß sie es so gelenket, daß ihr Land keine von ihren Kindern verlassene Mutter sei,nicht die Beute fremder Lust, daß ein neu Volk der Helvetier hier erblühen könne am Busen der kraäͤftigen Mutter. Ja es war ihm jetzt fast lieber so, als wenn unter fremdem Himmel die Helvetier ein ander Volk geworden wären, von einer üppigeren Mutter genährt.
Jetzt waren sie als Helden gestorben den Vätern gleich;ihr Name war unbefleckt geblieben, untergegangen war ihr Leben, nicht ihre Ehre, nicht ihres Namens schreckbarer Klang; dem alten Namen neue Kraft geben, das konnten jetzt die Enkel wieder.
Wie er solches sann in seiner Seele verborgener Kammer, sah er einzelne Gestalten schwanken unten am See, wie Bettler vereinzelt schleichen, mühsam an langen Stäben. Da glänzte ein freudigeres Willkommen aus seinen Augen, als es je seinen Söhnen geglänzt, wenn sie beutereich kamen aus schweren Schlachten. Er winkte dem Kinde und wie von der Schleuder der Stein, flog das Kind über den Hügel hinaus nach des Sees Ufern.Drunten schlichen die Einzelnen ihren alten Wohnungen zu; und immer mächtiger drückte sie nieder das Gefühl,daß sie daheim Niemand fänden, daß sie verlassen seien.Doch sprang das Kind ihnen entgegen, lud mit freundlichen Gebehrden sie nach dem Hügel. Ein Götterbote schien ihnen der goldgelockte Knabe, zagend folgten sie seinem Winken.
Ein junges, neues Leben war auferstanden im Greise.Seit langen Jahren hatte er ein beschauliches Leben geführt, thätigen Antheil an Wenigem genommen, jüngern Händen die Geschäfte des Tages, das Leiten des Ganzen überlassen, nur aus der Fülle seiner Erfahrung Rath gespendet, wenn er bei ihm gesucht ward.Jetzt aber fühlte er, mußte er aufs neue wieder schaffen mit voller Kraft, mußte der Mittelpunkt der Verlassenen,der Ordner des neuen Lebens, der Schiffer werden, der mit starker kundiger Hand des Schiffes Trümmer sammelt, bindet, festiget.
Auf dem Hügel zündete der Greis ein mächtiges Feuer an; mächtige Rauchsäulen wirbelten
hoch auf
Dach, sondern als glänzende Wölkchen, schifften sie durch den weiten Himmel: glänzende Boten des freundlichen Feuers, das der Müden harrte. Aus der Hütte holte er sein Horn, das sonst so wohl bekannte, jetzt sandte er aus, die Wanderer zu holen und zu leiten.
Und wo sie einen fanden, drangen sie ihm in die Seele,und die alten wohlbekannten Klänge weckten als Echo in der Wanderer Brust den alten Mut und neue Hoffnung und neu gestärkt lenkten sie ihre Schritte dem Hügel zu.
Sein Feuer blieb nicht lange einsam; allmälig, trübselig kam es den Hügel auf, hier eins, dort eins, hier ein altes Mütterchen an langem Stabe, Schritt um Schritt und ruhend nach jedem Schritt, dort ein Greis,der einen wunden Jüngling stützte, ein wildes blaßes Mädchen mit zwei Kindern auf dem Rücken, denen es durch der Mutter Tod Mutter geworden. K inder,Krieger, Mütter, Mädchen, eins nach dem andern,alle matt und müde, das Sehnen nach Ruhe in jedem Gliede, und mancher Mann und manches Kind setzten am Fuße des Hügels sich hin; der Himmel schien ihnen auf seiner Spitze, aber zum Himmel reichte ihre Kraft nicht. In wehmüthiger Freude begrüßten die Alten den Greis, und mit tiefer Scham trat mancher Krieger vor ihn hin und bat harte Worte ab; aber freundlich und rüstig diente Allen mit Speise und Trank der Greis, und rüstig ging ihm das Kind zur Hand, und seine Vorräthe nahmen kein Ende; er hatte für Alle genug und noch übrig für manchen Tag. Allgemach warmete es den Müden im Herzen. Speise und Ruhe hatte sie erquickt, das Schauen der Heimat öffnete die
Herzen, sie sprachen die Gefühle aus, die sie erfüllten,wieder in der Heimat zu sein, eine bleibende Stätte zu haben, nicht weiter zu müssen einen Tag um den andern, wie müde auch die Glieder, wie krank auch das Herz sei. Sie erzählten, wie schrecklich es ihnen gewesen ins selbst verheerte Land zu kommen, wie der Gedanke sie gequält, hier Niemand und Nichts zu finden,keinen Menschen, keine Hütte, keinen Vorrath, kein Geräthe, nichts als eine öde Statt und einen langen Winter. Wie es ihnen in ihrer Mattigkeit gegraut vor der Arbeit, welche ihrer warte, vor dem Sammeln des ersten Holzes zum ersten Feuer, vor dem Erlegen des ersten Wildes zur ersten Speise. Dunkelgrau war ihnen der Morgen aufgestiegen, an den Abend durften DDD lich Feuer, von Speise Alle satt, und Holz hatte keiner gesucht und Wild keiner gefangen und alle hatten den Freund gefunden, der sie willkommen hieß, für ste sann und sorgte, hatten ein Heim gefunden, eine warme Stätte für die Nacht. Sie redeten viel von diesem Unterschiede zwischen ihrem Erwarten und ihrem Finden, dem unendlichen Glück, das die Götter ihnen bereitet, und ehe der Abend über den See kam und die Schatten der Väter aus ihren Gräbern, war bei Manchem auch der Muth wiedergekehrt, und es rankte seine Seele an der freudigen Seele des Greisen empor, wie am Weinstock die Rebe ranket; mit dem lustigen wilden Kinde begannen einzelne Kinder munteres Spiel und die Greise mit Schwito verständiges Rathen.
Es war ein armmüthiges Häufchen, welches als det größere Theil des Rests des gefürchteten
Stammes um das Feuer saß. Vor einigen Monden war der Stamm der Schreck der umliegenden
Völker, jetzt war
Noch in selber Nacht bereitete der wachende Schwito dem aus der Krone gefallenen Samkorn
den Boden,wo es keimen, Wurzeln schlagen konnte. Er ließ sie
Schwito wußte jetzt, warum ein dunkler Trieb ihn sammeln und säen geheißen und wie ein Vater unter seine Kinder theilte er, was er geerntet und gesammelt unter Alle, und jeglicher strengte jede Kraft an, um zu sorgen und zu sammeln für den nahenden Winter. Die Greise mühten sich mit Fischen und Fallen stellen; die Mütterchen sammelten ein, was Feld und Wald noch boten, Maänner und Jünglinge, genesend in heimischer Luft, an heimatlicher Quelle, bauten Hütten, jagten Wild, während Weiber und Mädchen Geräthe und Kleider schafften und das Haus besorgten.
Es war ein emsiges freudiges Rühren drinnen und draußen bei Alt und Jung. Noch nie war der See so freigebig, so reich nie der Wald, so leicht und flüchtig nie das Weberschifflein, als in den letzten Tagen dieses Herbstes, noch nie stand so schnell und sonder Zaudern eine Kraft zu der andern Kraft, fand einer den Rath,der ihm fehlte. Und überall war Schwito, es war als wäre jeder seiner Jahre ein eigener Schwito, als wäre er hundertfältig geworden. Es vermag eine hohe er
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Aber wer ermißt auch des Greisen Freude, wie das Häuflein tiefer und tiefer wurzelte in heimischem Boden, wie es wuchs und sich kräftigte von Tag zu Tag!Noch manches Auge hatte am ersten Tage keinen Rauch zum Himmel wirbeln sehen, den Ruf des Hornes nicht gehört; die einen schliefen, andere wankten im Dickicht;das Moos verschlang die Klänge. Sie waren zu ihren alten Hütten geschlichen, und schauerlich ward es ihnen in der Einsamkeit und die ersten Tage waren ihnen wie ein Grab, das sie verschlungen bei lebendigem Leibe. Allmälig öffneten sich ihnen Ohr und Augen,V Kähne im See. Sie machten sich auf, suchten die Jagd und den Rauch, suchten dort die alten Gefährten ihres langen Elendes, das ihnen fast leichter schien,als ihre jetzige Einsamkeit. Sie fanden sie, fanden sie frohgemuth und wohlversorgt, kehrten nicht heim,schlosfsen sich an, brachten neue Kräfte und faßten neuen Muth. Der Mond füllte sich wieder, aber noch säumte der Winter, die Götter hielten ihn in Ketten und Banden und die Heimgekehrten hatten Zeit gewonnen,hatten sich eingerichte, hatten Dach und Fach und harrten nun getrost, wann es den Göttern gefalle, Ketten und Banden des Gefesselten zu lösen.
Wie es ihnen so wohl ward im Lande, alle Umstände so glücklich sich gestalteten, ein ganz
anderes Leben ihnen aufging, als sie erwartet hatten, da
Schwito hatte, seit er alleine war, der Götter Dienst gepflegt; er war ihnen treu geblieben, sie ihm hold;sein Herz war bei ihnen, darum sandten sie ihm auch ihre Zeichen und goldene Träume. Aber auch er sehnte sich wieder einmal im heiligen Haine zu stehen und nicht alleine, sondern mit des Volkes Gliedern allen,um es zu weihen mit der Götter Segen, daß aus den Wenigen bald wieder ein Volk werde. Auf die Nacht,wo des Mondes Scheibe voll und rund am Himmel stand, beschied er die Seinen in den heiligen Hain.
Es drang tief in die Herzen und Wehmuth und Demuth wallten hoch auf, als die Zurückgekehrten aus dem mächtigen Tigurinerstamme zusammenträufelten im Haine, wie Tropfen von einem Dache, wenn längst die Sonne in ihrer Wärme des Schnees Masse begraben.
Am Opfersteine stand ein Einziger statt Hunderte, aber silberhaarig, hundertjährig, den Göttern selbst vergleichbar,erhabenen Hauptes, leuchtenden Auges, bewaffnet mit dem Donner des Worts. Um den Opferstein lagen keine Gefangene, keine weißen Rinder brüllten, mit leeren Händen sammelte das dünne Häufchen sich, aber volle Herzen brachten sie, und wo die Herzen voll sind,da gilt ein weißes Taubenpaar den Göttern einer Heerde weißer Stiere gleich.
Dem armmüthigen Häufchen hatten die Götter selbst den Hain geschmückt, reicher als Menschenhände einen Göttertempel, Nebel hatten ste gewoben während manch dunkler Nacht, hatten zu den Nächten noch genommen manch langen Morgen, hatten mit den Nebeln reich umzogen die entlaubten Bäume, sie an die kahlen Aeste gefestigt mit des Reifes kühlem Hauche, sie geglättet und versilbert durch der Sonne warmen Hauch. So bald sie warm wurden und tropften in der Sonne, so sandten sie wieder Nebel und auf den Nebel wieder Reif, und so wechselten sie durch manchen langen Tag, manche lange Nacht, bis silberne Ketten sonder Zahl geflochten waren im ganzen Hain, um jeden Baum, um jeden Ast, bis silberne Zacken und silbernes Laubwerk niederhing, von jedem Baum, von jedem Ast, bis der mächtige Hain zum silbernen Tempel geworden, dessen Kuppel der Himmel war; und am Himmel stand das ewige Licht, von den Göttern selbst entbrannt und gehütet,des Mondes Scheibe rund und glühend.
Mit heiliger Scheu hatten sie des Tempels heiligen Grund betreten und tiefe Ehrfurcht
füllte ihre Herzen,als sie die Pracht desselben erschauten; Thränen opferten sie der
Vergangenheit, und fast schaurig ward es den Wenigen im weiten Haine. Da kamen duftig
geheim
Und wenn ein Helvetier sein Land verläßt, so wird dieser Glaube ihm immer lebendiger, wird immer mehr zu glühender Kette, die heim, die nach seinem Lande ihn zieht. Wenn nun andere Ketten fest seinen Leib umwinden, nicht heim ihn lassen, so reißt der Göttin Kette Leib und Seele auseinander und auf den Flügeln der Sehnsucht zieht heim die Seele. Dann stehen mit seltsamen Gesichtern die Fremden an des Schweizers Leiche und kennen die seltfame Krankheit nicht, die sein Leben verzehrt. Endlich fällt es Einem ein, daß die Leiche die Leiche eines Schweizers sei, er spricht: „Das war das Heimweh, den Schweizer holte es heim.“ Aber daß dieses Heimweh das Weh ist, welches sie im schnöden Gallien geholt, als sie übermüthig das Land verließen,das weiß auch er nicht. Und daß dieses Weh ein göttlich Pfand ist, daß dem Schweizer bleibe fein Land,so lange ihm dieses Weh und die Treue bleiben, das wissen viele nicht.
Wer es aber weiß und fühlt, der empfindet alle Tage der Mutter Treue, und den Segen Gottes, mit welchen gelohnt werden, die, welche treu der Mutter sind und die Mutter nur verlassen, um den Vater zu fuchen, auf welchen auch die Mutter reiset fort und fort.
Wer gläubigen Herzens ist und ein gläubig Auge hat, der setze sich auf Schwitos Hügel am ZürcherSee,wenn voll der Mond über selbigem steht. Was er sieht, das bewahre er in seinem Herzen, und nie wird ihm der Glaube wanken, daß Hertha treu geblieben,daß der da oben der Mutter Verheißungen erfüllet an jeglichem Sohne, der die Mutter liebet, den Vater suchet.
Mangehe und schaue.
1
Dem geneigten Leser wird anmit eine Fortsetzung der Erzählung „Geld und Geist“, welche im
zweiten Bändchen der Bilder und Sagen enthalten ist, dargeboten; der Aerger vieler Leser
über den scheinbar zu raschen Schluß bestimmten den Verfasser dazu, und Bedingungen zu
fernerem Leben fanden sich in der ersten Erzählung hinreichend vor. Auf neuem Boden birgt
sich das innere Leben mehr hinter äußere Verhältnisse und
bringt.
Ernst und hoch, wie vom Himmel her, ertönen sie,wenn sie den Menschen rufen in Gottes
Haus, sich zu demüthigen vor dem Allmächtigen, sich aufzurichten am Allerbarmenden; dumpf
tont die Todtenglocke, von weitem her wird es einem, als höre man auf den Sarg die Erde
prasseln, als versinke man in ein dunkles Gewölbe und höre immer ferner und ferner des
Lebens Klang. Freundlich und mild toöͤnt die Vesperglocke. Wer des Abends über Berg und
Chal das freundliche Geläute höört, dem wird als empfange er freundliche Grüße, ein
gastfreundlich Laden zu süßer Ruhe, als vernehme er des Vaters Ruf sich zu stellen unter
dessen treue Hut, zu legen all sein Sorgen und Sinnen in dessen weise Hand. Aber wenn die
Feuerglocke erschallt, da zuckt Schreck durch die Seelen,Weiber werden blaß, Kinder
weinen, Männer horchen hastig auf und stärker klopfen ihre Herzen. Es tönt vom Thurme her
wie Weiber Jammer, wie Kinder Gewimmer, wie des Feuers Knistern, und je länger die Glocke
geht, um so inniger scheinen ihre Toöne zu
Ums Spritzenhaus, welches wie üblich in der Mitte des Dorfes stand, von welcher
gewöhnlich das Wirthshaus auch nicht ferne liegt, während die Kirche gerne zur Seite
steht, wie billig auch, das erstere als Anker der Welt, die Letztere ein Wegweiser aus der
Welt,ums Spritzenhaus, fand Resli, des Bauern Sohn von Liebiwyl, das halbe Dorf geschaart.
Die Einen sahen in den wirbelnden Rauch, der in der Ferne, aber immer dicker, immer
schwaäͤrzer, gen Himmel stieg; die Andern liefen ängstlich herum, handthierten mit der
Spritze, banden Schläuche auf, schleppten Eimer herbei, schrieen nach Pferden, welche aber
Niemand werde geben wollen, was ein recht Elend sei, und immer so gehe, schrieen nach
einem Stück Kerze in die Laterne,da es auf den Abend gehe, und Niemand wollte Kerzen haben
daheim, aber der Krämer hätte fürs Geld,sagte man. Sobald Resli kam, frug er: „Wo ist's
?“Bestimmt wisse man es nicht, sagte man, aber allem an, zu Ufbegehrige, und die Brunst
sei groß und alle Augenblicke scheine ein neues Haus aufzugehen. Aengstlich rief Resli
nach dem Rundellenträger (der beweglichen Laterne welche an einer Stange, getragen
wird),dem Führer der Feuerläufer; der war nirgends zu sehen.
„Wenn ein jeder Säubub sein Maul in die Sache hängen wolle, so hätte er nichts da zu thun“, sagte der Ammann, aber wohlweislich erst, als Resli in kurzem Trabe bereits ein Stück Wegs weit war. „So ein Lümmel wisse nicht, daß man allweg, ehe man fahre, die Rosse füttern müsse, an einem jeden ein Immi Haber oder zwei, von wege man wisse nicht,wann sie wieder zum fressen kämen. Und wenn sie gefressen hätten, so sei es dann manchmal nicht einmal nöthig, daß man fahre, und schon alles z'Bode.“ In gemessenem Trabe steuerten die Feuerlaäͤufer und mit ihnen Mancher, der nicht daheim bleiben kann, wenn Noth irgendwo ist, dem Brande zu.
Je weiter sie trabten, desto gewaltiger stieg vor ihnen die Rauchsäule auf und verschwamm
unterm Himmel in eine große schwarze Wolke, ein zweites Gewölbe,aus Rauch und Ruß
gebildet; desto klääglicher wimmer
Kühn drang Resli mit seiner Schaar in den Mittelpunkt der Schlacht, suchte die
gefahrlichste Stelle, suchte die Führer; die letztern fand er nicht. Wirre durcheinander
wogten Feuer und Menschen, geordnet war der Widerstand nirgends. Hier befahlen Viele, dort
Niemand; wo Jeder that, was ihm der Instinkt gebot,da ging es am besten. Als kluger
Kommandant hatte Resli seiner Schaar geboten, bestmöglichst beisammen zu bleiben; aber
allen wards nicht möglich, auch hier war
Resli erfuhr das zum ersten Mal, denn wenn er schon bei mehreren Bränden gewesen, so hatte er doch nie diesen Dienst versehen. Leicht wie ein Vogel und kühn wie ein Löwe war er zum Brande gekommen,hatte er sich in denselben gestürzt. Es war ihm gar wunderbar zu Muthe gewesen, fast als ob er Flügel hätte und Kraft in sich, die Welt zu bezwingen; er haätte während dem Laufe jauchzen und singen mögen,wenn es schicklich gewesen wäre, und weil er's nicht durfte, rissen seine Beine um so schneller aus, daß die hinter ihm alle Augenblicke rufen mußten, er solle doch nicht so laufen, es möge ihm ja Niemand nach.
In fast freudiger Erregung hatte er sich ins wilde Wirwar gestürzt, aber wer weiß nicht wie jede Erregung so leicht in verschiedene Töne übergeht, die freudige in eine wilde, die wilde in eine zornige? Einen Wasserzug hatte er rasch zusammengebracht, und je lauter das Feuer prasselte, desto rascher eilte er auf und ab. Die Glut ergriff ihn immer mächtiger, dem jungen Helden gleich, dem die brausende Schlacht zum schäumenden Göttertranke wird, welcher menschliches Fürchten versenkt und einen Muth entbrennt, welchem zu hoch der Himmel nicht ist. Ans Lächerliche streift es aber, wenn dieser Götterbrand an kleinlichten Dingen
verlodert, am Ordnen eines Wasserzuges zum Beispiel.Dieses Lächerliche fühlt aber Niemand
als der, in welchem der Brand lodert; aber dieses Gefühl löͤscht die Glut nicht, sie
schlägt nur wilder auf, verkehrt endlich in Zorn sich. Resli mahnte und stellte die Leute
erst in ftiegender Hast, aber freundlich, fragte, ob man so gut sein wolle, bat, man
möchte ihm den Gefallen thun, sobald mehr Leute da wären, so könnte man sich ablösen. Als
aber immer Lücken zu füllen waren, oder wenn alles geordnet war, alles wieder zerrissen
ward,da ließ er erst alle unnoöͤthigen Worte weg, dann alles Bitten, dann alles Reden,
jagte nur kurzweg die Leute,welche er habhaft werden konnte, in den Zug. Endlich begann er
gegen seine Gewohnheit zu fluchen und recht ungebehrdig sich zu stellen, die Leute bei den
Armen in die Reihen zu mustern und nicht immer sanft. Eben hatte er die Sache wieder
einmal in Ordnung, da fuhr die Spritze auf die andere Seite des Hauses und husch! war die
Spitze des Zuges zerstört. Wild und fluchend jagte er die Leute zusammen. Zwei Mädchen die
unter einem Baum mit einander redeten, riß er aus einander und schmiß das Eine dem Zuge
zu. „Dampit daheim, ihr “ sagte er. „Ume hübschli, (nur sachte) mach nit d'r Lümmel,“
sagte das Mädchen und wandte das Gesicht ihm zu. Da sah Resli in des Dorngrüttbauren
Tochter Gesicht und die Tochter sah in Reslüs Gesicht, und beide sahen einander an,
starrten einander an und keines konnte zum andern etwas sagen, und beide waren die
einzigen in der weiten Runde, die da stunden stille und wie vom Blitz geschlagen. „Sorg!
Sorg! Platz! Platz!“ erscholl es plötzlich von allen Seiten. Durch die Bääume, einem
Weiher zu, brach plötzlich der wohlbekannte Solothurner
Resli mußte an seine Pflicht, und wie gerne wäre er jetzt davon gelaufen, wie andere
früher, die er hart an ihren Ort gewiesen! Hitze und Eifer war verschwunden, und wenn er
schon noch wie wild auf und ablief, so sah er doch nicht nach den Lücken, sondern nur
jedem Mädchen ins Gesicht, und wie oft er über weggeworfene rinnende Eimer stolperte,
zählte er nicht,aber weithin verkündete es jedesmal ein schallendes Gelächter. Er machte
wohl noch die Runde rund um die Reihe, Müußiggänger herbei zu treiben, sah aber wiederum
nur nach Dorngruttbauren Tochter, rannte dabei an Bäume und brachte mehr als einmal die
längst angezündete Rundelle in Lebensgefahr. Aber nirgends sah er sein Mädchen wieder, wie
manches er auch umdrehte, um wie manches er auch lief, und je länger er es nicht fand, um
so mehr ärgerte ihn sein Betragen, aber auch das Mädchen, das gar wohl in der Nahe hatte
bleiben können, wo es sicher gewesen wäre, ihn wieder zu treffen. Resli dachte nicht
daran,daß bei einem Brande an einem fremden Orte und
Es war eine schöne Nacht; die Sterne flimmerten am Himmel; die große Brandstätte hüllte
sie in dünnen durchsichtigen Schleier, glühte im friedlichen Gelände einer Hölle gleich,
und die Schatten der Verdammten sah in denselben wimmeln, wer den Ort verlassen hatte und
sich zurückwandte auf den Graus der Verwüstung noch einen Blick zu werfen. Die arbeitende
Mannschaft kam ihm vor, wie eine wilde Höllenschaar,welche das Feuer schürte, die
Verdammten hin und her schleppte, von einem Feuer ins andere Feuer, während die Haufen,
die ringsum aus Feuer und Rauch
Vor dem Dorfe liefen viele Wege auseinander und
X
Bäume weit auseinander stunden, das Unterholz spärlich wuchs, der Menschen Auge in tiefen Hintergrund
sich verlor. Ein eigenthümlich Leben waltete in demselben. Zahllos wogten durch denselben
die Helfenden ihrer Heimat zu, lachend und schäckernd, singend und brüllend; dumpf
rasselten die Spritzen, ängstlich schwirrten die aufgeschreckten Vögel, seltsam leuchteten
die schwankenden Rundellen auf den Spritzen und den Achseln ihrer Träger. Immer wilder und
lauter gestaltete sich dieses Leben. Der schwer aufzuregende Berner wird, eiumal
aufgeregt, schwer wieder ruhig.Nichts aber läßt wohl das Blut rascher kreisen, als die
Ausregung bei einem Brande. Der jähe Schreck bei de Lersten Tönen der Feuerglocke setzt es
in Bewegung; der rasche Lauf zur Stätte jagt es immer rascher; Werchen und Wagen beim
Brande selbst macht es immer heißer, und kömmt zu allem noch ein Schluck Bränz, ein
Schoppen Wein in den leeren Magen, dann kocht das Blut, ein Funke bringt es zum
Brande.Daher Lärm, Geschrei, Toben und Streit allenthalben durch den weiten Wald. Jede
Spritze, welche durch die Menge fuhr, drohte oder erzeugte eine Balgerei;um schäckernde
Madchen, welche in Massen zum Brande gelaufen waren, von guten Herzen getrieben oder gute
Herzen suchend, schlugen Bursche sich blutig; alte Dorffeindschaften setzten die
Feuerhacken in Aufruhr und manche Hacke fuhr in Menschenfleisch, als ob es ein hrennender
Balke wäͤre. Und wenn das Ding an
Resli ging mit seinem Begleiter ruhig und stolz durch das Getümmel hin; kam ihm das Gedränge zu nahe auf den Leib, so wehrte er es mit starkem Arme,aber sachte, zur Seite und schritt fürbas. So kam er tief in den Wald hinein. Vor ihm hörte er Fluchen,harte Schläge, plötzlich Weibergeschrei; dunkel war es im Schatten der Eichen und seine Rundelle die einzige in diesem Augenblick im langen durch Eichenäste gewölbten Wege. Akurat tönte ihm eine weibliche Stimme wie die, die gesagt hatte: „mach nit d'r Lümmel“, und rasch zog er aus, dem Streite zu. Vergeblich mahnte sein Freund, aus dem Wege zu beugen oder die Rundelle zu löschen; wie er damit unter die Streitenden komme, so könne er auf Schläge zählen.Aus dem Wege gehe er nicht, der sei für all Keute,sagte Resli, und die Rundelle lösche er nicht, die hätte man dafür, um heiter zu machen, wo es dunkel sei.Je lauter der Streit vornen ward, desto rascher zog Resli aus, hinter ihm sein Kamerad, der, als er sah,daß Resli nicht abzuhalten sei, meinte, wenn's denn für zTüfels G'walt sein müßte, so sei ihm zuletzt gleich, Ftöde werde es nicht gehen, und um eine Hand voll Schläge mehr oder weniger, kehre er nicht die Hand um.
Wie Trojaner und Griechen um die Helena, zankten sich allerdings die Burschen um ein
Mädchen oder zwei, und zwar handgreiflich nach der Väter Sitte.Und als Resli über den
Trupp leuchtete, sah er manch blutend Gesicht; aber wie er meinte, auch sein Mädchen
„Wart du verfluchter Mörder, dich will ich“, schrie Reslis Kamerad. Das Wort Mörder
schreckte die Streitenden, in den Handel wollte keiner kommen und ehe er sich versah, war
der Begleiter mit Resli allein.Da lag er nun betäubt im Blute und jener sagte:„Gäll, es
ist dir gegangen, wie ich gesagt, wenn du nur wieder lebendig wärest.“ Er zog ihn neben
den Weg, wollte ihn aufwecken, aufstellen, aber nichts gelang ihm; in der größten
Verlegenheit stund er da.Endlich kam wieder ein Mensch durch den Wald, ließ sich in die
Länge erzählen, was es gegeben und sagte:„Weißt u was, da rechts, nicht einen Büchsenschuß
weit, ist ein kleines Häuschen, ich will es dir zeigen, da geben sie dir einen Karren und
du kannst mit ihm fahren, wenn du einmal bei den Andern bist,D gen, den Freund wollte er
nicht allein lassen. „Du Löhl, sagte der Andere, fortlaufen wird dir der nicht,und stehlen
wird ihn auch Niemand, und die ganze Nacht da neben ihm stehen wirst du doch nicht
wollen,
Lange war es gegangen, da rauschte es durch den Wald, mit einem Karren kamen zwei Männer gefahren. „Sieh, sagte der Eine, dort, wo die drei Eichen zusammenstehen, dort liegt er an der mittlern.“ Vor der Eiche hielten sie, aber da lag Niemand mehr, lag weit herum Niemand; still und öde war es im Walde,alles Leben war verrauscht, die aufgescheuchten Vöogel ruhten wieder.
Da stand der arme Kamerad, nirgends war der Freund, nirgends eine Spur von ihm. Die drei Eichen waren es, ringsum standen keine so, und vor denselben lag Blut und unter der mittlern sah man deutlich, daß Jemand da gelegen. Einige Angst ergriff ihn; rundum zündete er mit der Rundelle ñ in jedes Maäuseloch hinein, auf jeden Baum empor; dann fluchte er über sich, denken hätte er doch sollen, es gehe so, dann über den, der es ihm angegeben und ihn noch dazu in der Irre geführt. Plötzlich kam ein schwarzer Gedanke über ihn, „oder hat der mich nur weggelockt, sagte er, um zu machen, was ihn gelüstete.“ Und immer schwärzer ward sein Gedanke,immer größer seine Angst; er theilte sie dem mit, welcher
a
Er erzählte nun und erzählte immer wunderlicher,weil er die Schuld verdecken wollte, welche sein Gewissen ihm vorwarf, und die doch eigentlich gar keine Schuld war, sondern höchstens ein Mangel an Besonnenheit, nach einem solchen Brande und noch dazu bei ödem Magen leicht verzeihlich. Er erzählte immer wunderlicher, verworrener, wie es gekommen, daß er bon Resli weggegangen; je mehr man ihn fragte,je länger er erzählen mußte; und aus dem Ding,das jeder hörte, das je länger je mystischer ward,machte nun jeder eine eigene Geschichte, und eine Geschichte glich der andern so wenig als weiß und schwarz,als eine Schlange und ein Clephant sich gleichen.Nach den Einen war er als todt verscharret worden im Walde, nach den Andern zu Kilt gegangen, die Dritten düderleten vom Teufel, die Vierten von seinem Kameraden, der längst kein Geld gehabt und gewußt,daß Reslis Sack meist wohl gespickt war.
Unterdessen wartete man daheim mit Bangen auf Resli; der Vater lief ungeduldig die
B'setzi vor dem
So rasch hatte seit Jahren Niemand Christen gehen sehen. So wie man ihn von weitem zum Dorfe kommen sah, hieß es: „er kömmt, er kömmt“, und Alles verbarg sich vor ihm; die Weiber schossen in die Küche,die Männer drückten sich um die Ecken herum in die Ställe, nur hie und da blieb ein gwunderiger Junge an der Straße stehen, um zu sehen, wie der bedächtige Bauer daher geschossen kam. Hinter ihm her streckten die Weiber ihre Köpfe über die Küchenthüren und sagten:„Er plaäret nicht einmal; aber z'Aenni, seine Frau,die wird thun! He nun so dann, so geht's, heute roth, morgen todt. Aber man hätte es denken können,daß es so gehen müßte. Wo nichts als Streit ist, da thut der liebe Gott gern ein Zeichen, wie er den Streit hasse und das Wüstthun.“
Doch Christen hörte dieß liebliche Geflüster nicht, er segelte, da er auf der Straße und
vor den Häusern Niemand fand, der ihm Bericht geben konnte, rasch dem Wirthshause zu. Hier
hielt die Wirthin Stand und gab vernünftige Kunde, aus welcher Christen entnahm, daß noch
nicht Alles verloren sei und das ganze Unglück darin bestehe, daß Resli abhanden gekommen,
aber Weiteres
In einem waldumsäumten Boden stund in Mitte reicher Matten ein großes graues Haus, dessen Hinterseite im Reiz der Neuheit glänzte; nebenbei lagen ein Holzschopf, ein Spycher un dein sogenannter Stock mit kleinen Fenstern und einem auf die Fenster gedrückten Dache, das akkurat aussah, wie ein Hut, den ein Rauber sich in die Augen gedrückt, damit Niemand sehe, was die Augen im Schilde führen. Allerlei lag um das Haus herum, Bauspäne und sonstiges Geräbel; die Mistgülle lebte in süßer Freiheit, Enten und Hühner ebenfalls,und im offenen Tenn stand ein kurzer dürrer Mann mit breiter Nase und schmalen Augen, der Strohbänder machte für die kommende Erndte. Neben dem Tenn lag die Hausthüre, die durch einen schwarzen rauchigten Gang zunächst in die Küche führte. Aus derselben kam rasch ein Mädchen, dem man aber den Rauch nicht anmerkte, denn es war nett, schmuck, sorgfältig,gestrählt, und sagte: „Vater, es wird doch noch der Doktor geholt werden müssen; er will nicht erwachen,oder was meinst?“ „Was anfangs, hässelte der Mann,daß ihr ihn hättet liegen lassen sollen; was ist er euch angegangen, und was hat es braucht, uns die Unmuße zu machen?“ „Aber Vater, antwortete das Mädchen, so hätte er ja sterben müssen.“ „So hätt er,es muß einmal sein, und jetzt wäre es ihm vielleicht leichter gegangen, als einist.“ „Aber Vater, was haätten wir uns für ein Gewissen machen müssen, wenn wir ihn hätten liegen lassen, und es dann geheißen hätte, er sei gestorben?“ „Unkraut verdirbt nicht so
leicht, und du weißt nicht, ob seine Kameraden ihn nicht gesucht, und das ist dann eine schöne Geschichte,wenn die ihn nicht finden, und weiß der Schinder was für einen Lärm machen.
„Es ist einmal jetzt so, Vater, antwortete das Mädchen, und Balgen macht die Sache nicht anderst.Aber wolltest du nicht hineinkommen und sagen, was du meinst? Wir haben Weinüberschlääge gemacht und jetzt sagt die Mutter, sie wolle noch mit kaltem Wasser probiren, und wenn das nicht helfe, so wisse sie nichts mehr anzufangen.“ Das Band zusammendrehend und dasselbe zu den gemachten legend, sagte der Alte:„So geht's, mit unserer Sache mögen wir nicht fertig werden und haben böse, und geben uns noch dazu mit andern Leuten ab und versäumen uns darob. Aber daß du das weißt, einmal für allemal, wer liegt, den lasse liegen! Was vermögen wir uns dessen, wenn einer nicht zu sich selbsten sieht?“ So keifend ging er hinter dem Mädchen drein, über die hohe Schwelle,durch den dunkeln Gang, in welchem Werkzeug stand aller Art und manche schwere Kette an hölzernen Nägeln hing. Das Mädchen öffnete eine Stubenthüre,und hinter ihm drein brummte der Vater: „Man hätte ihn nicht brauchen in die Stube zu thun und ins beste Bett, solche, die man im Wald auflese, thue man in den Stall und im Stroh wäre er noch wöhler gewesen als in einem Federbett.“ „Vater, der ist von einem Hause her, sagte das Maädchen, wo sie nicht gewohnt sind im Stroh zu liegen.“ „So wäre er daheim geblieben, da hatte er dann meinethalb liegen können,wo es sich ihm am besten geschickt.“
„St! St! flüsterte drinnen in der Stube eine lange hagere Frau und hielt den blauen
Umhang vor dem
„Da mangle es des Doktors nicht, sagte der Bauer,der werde bald von sich selbst erwachen. Albetz sei es einem nicht der werth gewesen, wegen einem jedere Müpfli deß auszufahren wie ein Kegel und so i d'Allmacht z'liege (Ohnmacht zu fallen).“
Da schlug der Wunde langsam die Augen auf, sah matt um sich, langsam sanken die
Augenlieder wieder zu, plötzlich, als ob etwas Besonderes zu seinem Bewußtsein gekommen,
fuhr er auf, sah mit Staunen in der Stube herum und frug endlich: „Aber um Gottes-willen
wo bin ich und was ist mit mir?“ „He, wo wolltest du sein, als hier,“ sagte die Frau.
„Aber wie bin ich hieher gekommen?“ frug Resli. „Seh, Meitschi, b'richt,“ sagte die
Mutter, drehte sich und vor Resli stund unverdeckt Anne Mareili, des Dorngrüt-hauren
Tochter, sittig und verlegen die Augen gesenkt.Dem Resli ward es gar wunderlich im Herzen,
er mußte sich legen, aber wie sie ihm auch zufallen wollten, die Augen schloß er nicht
wieder. „Seh, b'richt,Meitschi, sagte die Mutter, d'rwylen (unterdessen) kann ich
haushasten (Haushaltung besorgen).“ „Es ist einmal gut, sagte der Bauer, daß du wieder bei
dir selbst bist, so braucht man den Doktor nicht und z'Sach wird scho bessere. Wenn ich
meine Burde Bänder ausgemacht, so will ich wieder kommen und sehen, ob
Das Dorngrütt lag keine Stunde weit von Aufbegehrigen, seitwärts von der Straße. Als
Wolke um Wolke in schwarzen Wirbeln gen Himmel stiegen, das Aufflammen neuer Häuser
verkündend, die Glocken immer ängstlicher um Hülfe wimmerten, da blieb nach üblich schöner
Sitte in weiter Umgegend Niemand, der Arme und Beine rüstig rühren konnte, daheim. Die
Bauerntöchter liefen mit den Mägden, die Söhne mit den Knechten, und mancher Großätti
humpelte hinterdrein, mit einem Eimer in jeder Hand, welche von dem leichtsinnigen jungen
Volke vergessen worden waren und welche doch bei jedem Brande so nöthig sind.Auch aus dem
Dorngrüt war alles fort, bis an Vater und Mutter, und rüstig hatte Anne Mareili
gearbeitet, war aber von den Seinen abgekommen und suchte sie wieder. Da erschien ihm
plötzlich, als es am wenigsten daran dachte, sein lieb heimlich Bild,es schallt es Lümmel
und wie ein nächtlicher Spuk verschwand es. In einen andern Wasserzug, der durch dunkle
Baumgärten ging, gestoßen, konnte es sein Bild lange nicht suchen, mußte Eimer um Eimer
laufen lassen durch die rüstigen Hände und der Boden brannte unter seinen Fußen und es
mußte bleiben. Zweimal wollte es entrinnen, zweimal wies man es hart wieder an seine
Stelle. Die Abdankung mächte es frei, aber nur zu hinderst an den Ring gelangte es, sah
nichts,
Auch Anne Mareili drängte sich in den Rund, den zwei Laternen hell machten. Da lag der,
den es heimlich im Herzen getragen, gefunden, verloren, da lag er, todt. Es schrie nicht
auf, es fiel nicht in Ohnmacht, aber es war ihm als fasse eine eiserne Hand sein Leben und
drücke es zum Tode. Da rief einer: „Nein, der ist nicht todt, er ist noch ganz warm und
z'Herz rührt sich auch, wie mich düecht.“ „So kommt, rief der Spritzenmeister, ehe er zu
sich selbst kömmt, sonst wer weiß, ob wir nicht noch ins Schloß müßten oder gar z'Sach
selber sollten gemacht haben.“Der Ring lief auseinander, die Bursche wollten wieder zu
Rosse, der Spritzenmeister sagte schon: „Hü, i Gottes Name,“ da sagte Anne Marcili: „das
geht
So war es gekommen, daß Resli in Anne Mareili's Stübli war, denn daß er dorthin gebracht wurde,hatte es angeordnet, und es hatte ihns gedünkt, es nehmte nicht alle Schätze der Welt dafür, daß er nicht da waäre, und jetzt, als Vater und Mutter draußen waren, reichte er ihm die Hand und sagte: „Du bist doch nicht mehr höhns, aber ich habe wäger nicht gewußt, daß du es bist.“
„Wer wollte höhn werden in einem solchen Wirrwar, sagte Anne Mareili, wer höhn werden will, muß nicht an eine Brunst.“ „Es war nur lätz, daß der Wagen daher kam, wie vom Himmel, ich hätte dir doch sonst gesagt, es sei mir leid, und gäb wie ich dich gesucht, fand ich dich nicht mehr, sagte Resli.Aber wie bin ich hieher gekommen?“
Nun erzählte Anne Mareili wie es zugegangen,aber die Hauptrolle theilte es sich selbst
nicht zu, sondern es bediente sich der Redeform: me (man) het denkt,g'glaubt, g'feit,
g'macht. Dann mußte Resli erzählen,blieben. Der redete nun schon etwas deutlicher und
sagte: daß es ihn immer geduecht, er möchte ihns finden, um ihm zu sagen, daß er ihn;
nicht gekannt,denn sonst Järe er doch sicher nicht so grob und unerchant gewesen, das sei
doch sonst seine Art nicht;aber Alles hätte ihn bbse gemacht, und gäb wie er die Leute
zusammengestellt, sei doch gleich wieder Alles auseinander gewesen. Er hätte gemeint, er
höre ihre Stimme und nausehen wollen, da sei es ihm gewesen,als schlage man ihn auf den
Boden hinab, und schwärzer
Man hat viele Erzählungen wie man Geister vertreiben, Erscheinungen verscheuchen könne
und wie man dafür manchmal Kapuziner weither beschicken müsse;aber wie man das Herz von
der Zunge treiben, die Seele aus den Augen, beide hinunter in ihren tiefen dunkeln
Versteck und vor beide eine Thur machen und vor die Thüre einen Riegel schieben könne, das
berichtet man uns nicht, und doch können es so viele Leute und wissen es nicht, thun es so
viele Mütter, so viele Väter und schimpfen dann darüber, daß die Herzen IDDDDDDDV kurios,
wie die Menschen so oft nicht wissen was sie machen, und noch kurioser ist es, wie die
Herzen so kurios sind, fast wie die Murmelthiere, die auch nur
Stumm waren beide, während die Herzen sich verkrochen, dann sagte Resli, sie sollten doch nicht Mühe haben seinetwegen, er möge nicht und sollte fort, und Anne Mareili sagte: „weißt, wem er ist? Er ist z'Liebiwyle Bure Sohn, du weißt, wir haben schon oft von ihnen gehört, oöppe von Bettlerleuten und andern.“„So? he nun so de, sagte die Mutter, aber mit dem Fort preßir nicht, nimm z'erst und iß. Meitschi schenk ein und gib ihm, ich habe noch den Schweinen ob,habe gedacht es gehe in einem Feuern zu.“ Aber es war ihr nicht so wohl um die Schweine als um dem Vater es zu sagen, der immerfort brummte, daß man Leute heimbringe und nicht wisse, was für Fötzeln es DDD und mache sich einen schlechten Namen. Als er hörte,für wen Resli sich ausgab, sagte er: „wenn es wahr ist, so kömmt er von einem rechten Orte her, aber es hat sich schon manchmal einer für den andern ausgegeben und je eher er fort kömmt, dest lieber ist es mir.Wenn's d'r Kellerjoggi vernimmt, es weiß kein Mensch,was er sagt. Sorg ha muß man, Frau, du weißt doch wie mißtreu er ist.“
Drinnen machte Anne Mareili die Hausfrau mit serviren und pressiren, und was das
Trauliche dieses Amtes erhöhte, war, daß Anne Mareili Alles zum Bette bringen mußte, das
Kacheli hielt, während Resli aus dem Blättli trank. Man glaubt gar nicht, wie lieb man
sich während solchem Trinken und Halten werden kann. Resli wehrte sich zwar gegen alles
Essen und Trinken, aber das Halten und Zutragen war so schön, so appetitlich, daß er aß
und trank, er wußte
Das g'schweigete Anne Mareili, es ward roth über und über und ging hinaus. Resli begriff
des Alten Rede wohl, daß er da nicht werth, sondern lästig sei.Das vertrug sein Stolz
nicht. Er sagte daher, er hätte ihnen bereits zu danken genug, und wolle nicht länger
ihnen in den Kösten sein; bis zum nächsten Dorfe möge er allweg gehen, und möge er dort
nicht weiter, so werde für Geld und gute Worte wohl ein Roß zu finden sein. Er wolle ihn
nicht zwängen,sagte der Alte, aber wenn er ein Zeugniß wolle, wie man ihn gebracht, so
sage er es ihm nicht ab; er werde die, welche ihn geschlagen, doch kennen und angreifen
wollen. Resli antwortete, er sei der Sache nicht gewiß, und wenn er es schon wäre, so
griffe er sie doch nicht an. Einen Streich mehr oder weniger,
Resli schwieg dazu und sagte nicht was sie daheim auf dem Prozediren hielten, verließ das
Bett und machte sich, wenn auch schwankend und sturm, zur Abreise bereit. Da kam rasch
Anne Mareili und sagte,es seien zwei auf einem Wägelein gekommen und frügen ihm nach, er
werde aber doch nicht fortwollen,er hätte ja jetzt Gelegenheit heim Bescheid zu machen.„Er
kann ja jetzt reiten, sagte der Bauer, und wenn er's ja will g'hebt haben, so sind wir
nicht schuld,wenn er's öppe nicht erleiden mag.“ Unterdessen hatte die Mutter Christeli
hereingebracht, der eine gar herzliche Freude an den Tag legte, Resli so wohl aufgefunden
zu haben und dazu just noch im Dorngrüt, das sei das kuriosest. „Warum ist denn das das
Kuriosest,ist hier nicht wie an einem andern Orte“, frug der Bauer. „Ho wohl“, antwortete
Christeli verlegen und blieb dann stecken auf einen Wink von Resli. Anne Mareili machte
g'wunderige Augen, es ahndete etwas,das es gerne gehört hätte, aber Resli, der in des
Vaters Gesicht Unrath merkte und sein Spiel nicht gerne verdorben haätte durch ein
unbesonnen mit der Thüre ins Haus fahren, was bei Mädchen öfters vortrefflich ist, bei
Vätern aber selten, antwortete rasch: „Wir haben voriges Jahr Holz verkauft, wir reuteten
ein Wäldlein aus, das mitten im Land gestanden und viel geschadet hat an der Sonnez; da
ist uns gesagt worden,
Unterdessen hatte die Mutter Schnaps gebracht in einer weißen Flasche, Kaäͤse und Brot.
Christeli und sein Begleiter mußten Neuis nehmen, ehe sie wieder abfuhren, und ergänzten
unterdessen ihre Erzählungen. Samis Hans setzte auseinander, wie es in der Nacht gegangen
und wie Resli in alle Kuppelen die Nase gesteckt hätte,er wüßte nicht warum, er hätte es
sonst nicht so, und Christeli setzte bei, wo sie vernommen, daß so einer im Dorngrüt sei,
und wie es heiße, b'kym (komme er zu sich selbst) er sich wieder, und wie ihm selbst bei
der Nachricht geworden, es hätte ihn geduecht, er möchte einen Brüll auslassen, daß es fry
ein Loch in den Himmel gebe. Resli hörte nur mit halbem Ohre, er hätte gerne noch ein
vertraut Wort mit Anne Mareili
Resli hätte das Haus nicht verlassen sollen; aber da er sah, wie unwerth er da war, so wäre er um kein Geld geblieben. Er wußte nicht, war das überhaupt ihre Art, oder hatten sie etwas Besonderes gegen ihn, wo er doch nicht hätte begreifen können, was.Er mochte das Fahren nicht ertragen; gar fürchterlich weh that ihm der Kopf; darum blieb er in einem der nächsten Wirthshäuser, deren jetzt zur Genüge sind,daß man nicht lange zu fahren braucht, um zu einem zu gelangen, und hieß Christeli zufahren, was der Braun laufen möge, damit Vater und Mutter aus der Angst kämen. Welche Freude Christeli heim brachte,als er endlich zum Reden kam, kann man sich denken,besonders da, als sie Christen alleine daher sprengen sahen, aufs Neue Todesangst in ihren Herzen aufgewacht war.
Als die Mutter hörte, wo er den Resli gefunden und wie es ihm ergangen, schlug stie die
Hände über dem Kopf zusammen, und sagte, sie müßten unserem Herrgott doch noch lieb sein,
denn das sei Alles so,als wenn er es ihretwegen so gereiset; es dauerten sie dabei nur die
armen Leute, denen die Häuser hätten verbrennen müssen, so gleichsam ihretwegen, aber
denen müsse auch gesteuert werden, daß es fry key Gattig hätte. Daß sie dort den Resli
nicht behalten,sondern so gerne hätten fortgehen sehen, das konnte sie freilich nicht
verwinden. Sie hätten sich doch öppe seiner nicht zu schämen gehabt; und gesetzt, es hätte
Kosten gegeben, so wäre doch wohl öppere da gewesen,der abgeschaffet hätte. Sie wollte von
Christeli vernehmen,
„Ja wolle, sagte die Mutter, du wärest mir gerade das Rechte! bist ja für dich nicht klug
genug, geschweige denn für Andere. Nein, da muß ich selbsten hin und sehen, was zu machen
ist.“ Das gute Aenneli kam in ein rechtes Fieber hinein, bis der Vater kam und sagte: „Bis
ume ruhig; wenn's gut kommen soll, so fehlt's nit, und wenn's fehle soll, so hilft alles
Zappeln nichts. Heute ist's zu spät, aber morgen kann man fahren und sehen, was zu machen
ist allfällig.“ Da wollte eine Röthe aufsteigen in Aennelis Gesicht. Als es aber in
Christes gutmüthige
Aber den Schlaf las Aenneli doch nicht herbei und gar stürmisch, wie von zwei Winden hin und her getrieben, bewegten sich die Wellen ihres Gemüthes.Denn ausgestritten hat Niemand, so lang das Herz nicht steht; so lang das Herz noch geht, erhebt sich neuer Streit, wenn ein alter endet; darum hat nur der ausgestritten auf Erden, der auch ausgelitten hat und durch den Tod ins ewige Leben gegangen ist.Aenneli hatte noch kein Kind verheirathet und glaubte das Wehen des Todes zu fühlen; und wo ist die Mutter, die nicht von ihren Kindern wenigstens eins,wenn nicht alle, im stillen friedlichen Schatten der Ehe sähe, ehe sie die Augen schließt?
Resli war ihr Herzkäfer und sein Glück schien zu schwanken auf Vorurtheilen wunderlicher Eltern; wie die zu beseitigen, zu zerbrechen, das ging Aenneli wild durch den Kopf und es duechte ihns je länger je mehr,wenn es denen die Sache nur recht sagen könnte, so wãär z'Sach richtig.
Daher weckte diesmal die Sonne Aenneli nicht.Aenneli war früher auf, suchte Bettstücke zusammen,um, wenn möglich, Resli das Heimkommen zu erleichtern, machte dabei so manche Thüre auf und zu, daß Alle im Hause erwachten, und in der Angst, sie hätten sich verschlafen, da die Mutter bereits im Hause herumfahre, eiligst sich auf die Beine machten, aber bald merkten, was Trumpf war. 2n
Christeli machte sich in den Stall, Annelist in die Küche; nur der Vater saß noch im
Bette schläfrig und rieb sich die Augen, als Aenneli mit einem Arm voll
Aenneli antwortete Annelist: „Wirst du dann nie witzig, und meinst, putzen und hoffärtig
sein sei nur für euch und mit Kleidern zwängt ihr allein etwas?Glaub nur, beim Heirathen
sieht man auch auf Vater und Mutter, und manchmal machen die mehr an der Sache, als so ein
Gärnäst wie du bist. Sie müssen da unten doch wissen, daß wir auch öppe daheim und nicht
so von der Gasse sind. Und wenn Resli lange
Endlich war Alles z'weg. Christen hatte seine Pfeife angezündet, zwei Knechte hielten den
Draguner, der
„Wer kommt dort gefahren, wie aus einem Stuck?sind vornehme Leute Allem an, und
b'sunderbar am Roß“, sagte ein dicker Mann mit einer weißen Kappe auf dem Kopf, der neben
einem schlanken Burschen vor einem Wirthshause stand, die Hände ruhend in den weiten
Rocktaschen. Der junge Mann antwortete nicht, sondern trat zum heranfahrenden
Bernerwägelein;lautauf wieherte das braune Roß, schwenkte gegen ihn zu und vom Wägeli her
rief eine stattliche Frau: „E lue, da ist er ja, da hey m'r ne; bis Gottwilche;wie geht's
?“ „Seh nimm das Leitseil Resli, sagte der Mann, das ist m'r e Tusig das, mit dem fahr ich
nicht so bald wieder, der Arm ist mir ganz lahm vom Halten.“ „Warum nehmt ihr den, sagte
Resli, er ist lang gestanden und sonst wild genug, mit der Mähre wäre ein viel ruhiger
Fahren gewesen.“ „Die Mutter
Die Wirthin fand das gar schön und wollte es des Grüͤttlers von Herzen gönnen, wenn sie
recht beschämt würden. Das seien die wüstesten und stolzesten Leute weit und breit, und
meinten, es sei Alles schön, was sie machten. Einzig die Tochter, wo noch daheim sei,sei
nicht wie die Andern, die gönne armen Leuten noch es Broösmeli und mög auch noch reden mit
ihrer Gattig Leuten. Es nehme sie nur Wunder, wo die Bäuerin die aufgelesen hätte, oder ob
es dann möglich sei,17
Endlich kamen Resli und die Mutter wieder hinein und die Letztere darein ergeben, nicht ins Dorngrütt zu fahren, aber man sah, es ging ihr nahe. Alle Umstände, die man gemacht, die schönen Kleider, das viele Geld, die halbe Todesangst mit dem Draguner umsonst. Blos der Trost hielt sie aufrecht, daß doch andere Leute sie gesehen, und was diese gesehen, werde im Dorngrüutt nicht unbekannt bleiben.
Das gute fromme Aenneli war ganz Mutter und für seines Sohnes Glück hätte es seine
Seligkeit gegeben, wenigstens die halbe, und weil es glaubte,man hätte seinen Sohn
verachtet, so konnte es Prunk und Hoffart treiben, welche beide ihm sonst in der Seele
zuwider waren. Es ist jede rechte Mutter einer Henne gleich, die mit Schnabel und Flugeln
schlägt und pickt, wenn man ihr nur von weitem nach einem Küchlein reckt; aber während die
Sorge der Henne nur einige Wochen dauert, erlischt die Sorge der Mutter erst, wenn das
Auge im Tode bricht, und wer weiß, ob auch dann? Und wenn ums Bett der
Aenneli machte sich, um das Ding recht unter die Leute zu bringen, auf nach dem Krämerladen. Es gehe so selten fort, sagte es, daß es anständig sei,etwas zu kramen denen die daheim geblieben, und es nehme ihns Wunder, wie man hier den Kaffee gebe. Das Krämerhaus ist noch mehr als das Wirthshaus der Ort, wo den Weibern nicht nur der Mund aufgeht, sondern auch das Herz, und wo es alle Tage Verhandlige gibt, die noch viel kurzweiliger wären,als die Verhandlungen von Großraäͤthen und Tagsatzungen, welche doch in die Zeitungen kommen. Aber eben vor lauter Wichtigkeit und weil man mit Leib und Seele dabei ist, hat Niemand Zeit sie aufzuschreiben. Und doch kommen sie im Lande herum,laufen von Haus zu Haus, richten Krieg an und Frieden, Hochzeiten und Kindstaufen, während in den gedruckten oft weder Kraft und Leben ist, nichts als todte Buchstaben, mit denen man keinen Hund vom Ofen lockt, höchstens den Narren treiben kann mit einer jungen Katze.
Aenneli traf es bei der Krämerin wie gewünscht;Niemand war da und so konnte es reden,
sehen, sich vorlegen lassen und kaufen ganz nach Belieben. Es nahm sich Zeit, die Krämerin
nahm sich Zeit und so
Und wie es kam, weiß man nicht, aber die stattliche Mahlzeit neigte sich eben dem Ende
zu. Der Wirth saß bei Christen und sie redeten vom Knochenmehl und Oelkuchen. Die Wirthin
trug ab und zu und Aenneli sagte, es wäre bald Zeit fort und Resli sollte doch sehen, ob
auch das Roß seine Sache hätte.Es möge nichts minder leiden, als wenn die Leute sich wohl
sein ließen, während die Thiere Mangel litten und Hunger. Resli sagte, zwar öppe viel
werde der nicht mangeln, ging aber doch nach der Mutter Willen und, wie es kam weiß man
nicht, aber wie er aus dem Hause trat, kam gerade die Dornackerbäuerin die Straße herauf
und Resli konnte nicht anders als sich bei ihr stellen, ihr die Hand längen und sagen, er
sei
„Potz Tüfel! fuhr auf einmal die Wirthin drinnen z'weg, redet dort nicht die
Dorngrütbäuerin mit eurem Sohne?“ „S'ist's nit möglich, sagte Aenneli, oder wär es se?“
„Jo wäger, sagte die Wirthin, es ist se.Was will jetzt die im Dorfe? die kommt sonst das
ganze Jahr nicht dreimal ins Dorf, nicht einmal zChilche.“ Unterdessen war Aenneli
aufgestanden, hatte das Fürtuch glatt gestrichen und mit großer Freude im Gesicht ging es
hinaus, stellte sich der Dorngruüͤtbäuerin vor und nöthete diese hinein, gäb wie die sich
Sie mußte ane sitzen, mußte sich vorlegen, einschenken lassen und während dem redete sie
immer, wie man ihn todt gebracht und wie er ausgesehen, wie sie ihn gereinigt und wieder
lebendig gemacht, und wie ungerne sie ihn hätten gehen lassen, wie aber nichts zu machen
gewesen; wenn man ihn mit Ketten gebunden hätte, sie glaube- er hätte sie zerschrißen.
Diese ungeforderten Entschuldigungen entwaffneten das gutmüthige Aenneli; sie lobte und
ruhmte der Bäuerin Gutthätigkeit, lobte und rühmte aber auch Resli und wie sie nicht mehr
begehrt hätte zu leben, wenn man ihn todt heimgebracht und große Tropfen rollten ihr
unterm Kinn zusammen. Es ging ihr auch so, sagte die Bäurin, obwohl es sie manchmal
dueche, man wäre ohne King viel ruhiger. Seien sie klein, so seien sie einem den ganzen
Tag unter den Füßen und man sei nur mit ihnen plaget; seien sie groß, so liefen sie wo sie
wollten und z'todt müsse man sich werchen und sinnen, für Pmache, daß ein jedes auch
bekäme, daß es DDDDVDDkäme als sie, das möchten sie nicht; wie man gewohnt sei, so sei man
gewohnt und anders käme es nicht gut.Das bildete den Uebergang zur Erzaäͤhlung, was sie
hätten und wie sie King haätten, die b'sungerbar pffällig gewesen mit dem Heirathen, daß
die jetzt noch reicher seien als sie. Aenneli redete verständige Worte dazwischen, ließ
sich aber nicht zu gleicher Ruhmredigkeit verleiten. Ueberhaupt bildeten die beiden Weiber
einen großen Gegensatz, so etwa wie eine schöne gelbe Anken
Aenneli war so schmuck und durchsichtig, für eine alte Frau noch so appetitlich, seine Rede langsam aber bedeutsam, alle seine Bewegungen rund und gefällig,daß, wer ihns sah, Respekt vor ihr bekam und es begriff, wie man so einer rechten Frau Röcke anziehen kann, welche man will und hinter allerlei Tische sie setzen kann, hinter Theetische und hinter Specktische,hinter Kuchitische und hinter Spieltische, und sie sitzt hinter jedem recht, zu Jedermanns Respekt.
Die andere hatte auch allerlei an, aber es war nur so angewuschet und nichts hatte den
rechten saubern Glanz; sie machte alle Kleider zu Werktagskleidern,während an Aenneli alle
Kleider zu Sonntagskleidern wurden. Ihre Hände waren nicht ungewaschen, aber beim Waschen
ging immer nur noch das Halbe ab.Die Nägel waren theils kurz, theils lang, und an allen
war bald hier bald dort was Ueberflüssiges. Das Gesicht war eben nicht häßlich, aber
hochmüthig, schien dazu auch kleberig; sie sprach geläufig, aber ungern hörte man ihr zu,
und wußte nie, sollte man etwas glauben von dem was sie sprach, oder nichts. Wo sie absaß,
meinte sie, sie müsse zeigen, daß sie die Erste sei, und eben deßwegen hielt man sie nie
für das, was sie war, und wo sie absaß, saß sie ab, als wenn sie dahin nicht gehöre.
Jemehr sie vor Aenneli Respekt kriegte innerlich, destomehr ließ sie sich äußer
Das Spiel lächerte die Wirthin, sie mochte es der Dorngrütbäuerin gönnen, und hätte ihm
den ganzen Tag zusehen mögen, aber Christen mahnte zum Auf-bruch. Aenneli wiederholte
seinen Dank und erwähnte absonderlich der Tochter, die geheißen, Resli aufs Grüt bringen,
meinte, es möchte die einmal gerne sehen und ihr selbst danken; es wüͤrde sie freuen, wenn
sie einmal kämen und einzögen, was sie an Resli gethan.Selb sei nicht d'r werth, davon zu
reden, sagte die Bäuerin, indessen könnte es es wohl geben, d'rneben aber wisse man nie
was es geben könne, es gebe manchmal mit jungen Mädchen etwas ung'sinnet. Darauf trat
Aenneli nicht ein, sondern fragte Christen, ob es nicht anständig wäre, der jungen
Burscht, welche sich des Resli's angenommen, ein Trinkgeld zukommen zu lassen? Christen
sagte, er hätte schon daran gesinnet und es sei gut, daß es daran mahne, zog die große
Blattere aus dem Busen, nahm ein Hampfeli Brabänter und gab sie dem Wirth mit dem
Auftrage, er solle wenn es ihm sich schicke der Mannschaft einen Trunk geben, was es
erleiden möge, und ihr danken in seinem Namen. Der Wirth that gar erschrocken und sagte,
selb wär' doch nicht nöthig, das hätt' afe kei Gattig, unter Hunderten thäte das nicht
Einer, sie hätten das nicht deßwegen gethan, und kein Cinziger sinnete an so etwas, und
allweg gebe er viel zu viel,
Wie es so geht, wenn Leute fortgehen oder fortreiten, die Bleibenden stehen zusammen und senden den Enteilenden nicht Kugeln aber Worte nach, liebe und treue, böse und falsche, je nachdem die Büchse ist aus der die Worte geschossen werden; denn auf die kömmt Alles an und nicht auf die Enteilenden. Es gibt solche Büchsen, die unserm Herrgott Spott und Schande nachsenden wuürden, wenn er einmal leiblich erschienen wäre, ihnen den größten Segen ins Haus gebracht hätte und wieder davon ginge.
So standen sie auch, die Bäuerin und die Wirthin,und die letztere lud und schoß ganze Kanonen voll Preis und Ehre ab, wie das doch Leute seien, so manierlich und gemein mit allen Leuten, von Hochmuth nicht einen Flöhdrecks groß an ihnen, und doch so adelich, man wisse nicht wie. Was aber die für Geld haben müßten, für eine einzige Nacht hätte der Junge 5 Btz. Trinkgeld gegeben und dem Stallknecht eben so oiel, und was der Mann erhalten, sei allweg 10 Kronen; das wäre hier herum keinem Menschen in Sinn gekommen, ja, es wäre die Frage, ob Einer darnach sie nicht angegriffen, als die welche ihn geschlagen.Sie hätte ihn gefragt, ob er die kenne, welche ihm den Streich gegeben, und ob er nicht hinter sie wolle?Da hätte er gesagt, was dahinten sei, sei gemäht und
wegen eines Streiches willen, fange er keinen Streit an; er hätte Gott zu danken, daß er
davon gekommen und ein schlechter Dank wär's, wenn er seine Erhaltung mit einem Prozeß, wo
all ehrlich Leute scheuen und Gott hasse, vergelten wollte. Das hätte ihr b'esunderbar
wohl gefallen, aber sie möchte wissen, ob centum Einer die Gedanken hätte. Wenn sie
Meitscheni hätte und eins den bekäme, es könnte sie nicht mehr freuen, wenn es einen König
erhalten könnte. So rühmte die Wirthin; und wie sie so zwei Weiber beisammen stehen sah,
trappete auch die Krämerin herbei,blies in die Posaune, und rühmte, wie die Frau eine
b'sunderbare Erkenntniß von allen Dingen gehabt, und doch um keine Sache gemärtet hätte.
Sie hätte nie im Brauch eine Sache zu überschätzen, wie es Manche hätte, die sie nennen
könnte, aber wenn sie ihn hätte,sie hätte um kein Geld eine Sache theurer schätzen mögen,
als sie werth sei, sie hätte gefürchtet, vor der Frau zu schanden zu werden, und das hätte
sie um kein Lieb mögen. Man wisse nie, aber solche Leute kämen weit umher, und wenn so
eine einmal sage,dort und dort hätte sie es gut gemacht, z'Sach recht kauft und um den
rechten Preis, so nütze einem das hundertmal mehr, als wenn man einmal die Sache z'halb
z'thür hätte verkaufen können. Das sei mit den Wirthen gleich, sagte die Wirthin, es meine
mancher er könne einen Schnitt machen, und übertheure bei einem Anlaß die Leute, oder gebe
z'Sach schlecht, und von selbem an hätte er keinen Stern mehr und wenn er die Sache halb
umsonst gebe, so brülleten die Leute die Welt voll, sie seien b'schissen, weil ste den
Glauben zu ihm nicht hatten. Der Glaube mache z'Sach. Und b'sunderbar junge Wirthe hätten
das z'schüchen, sie
So schwer hatte die Dorngrütbäurin nie heim getragen, auch wenn sie einen Korb voll
Birnen auf dem Kopfe getragen und einen Kratten voll in der Hand.Sie mußte immer strenger
daran denken, wie ihr Anne Mareili mit dem glüücklich sein würde, und wie das doch ein
ganz anderer wäre, als der alte Unflath, vor dem es ihr selbst gruset hätte in der Jugend,
obgleich sie nicht halb so eigelich gewesen sei als ihre Tochter.Freilich hatte sie
dieselbe, wenn sie weinte und jammerte, oft damit getroöstet, daß der Aetti noch älter sei
als ihr Freier, und wenn es ihr der Aetti thue, so könnte es ihr der andere auch thun
(genügen), sie wüßte nicht, warum es die Tochter besser haben sollte als die Mutter.
Indessen war doch etwas in ihr, welches ihr sagte, daß dieser Trost nicht genügend sei,
daher setzte sie gewöhnlich hinzu, es sei sich doch d'r werth für eine Sache, welche öppe
nicht lange dauern werde, so wüst zu thun, eine der so kurzen Athem hätte wie der
Kellerjoggi, werd öppe nit hundertjährig werde. Ja wenn es so lange dauern sollte, so
wollte sie nicht viel sagen, sie glaube selbst, öppe d'r Chümligist (einer mit dem leicht
nachzukommen) werde er nicht sein und g'nug thun in der Haushaltung werde Eini müssen. Die
Dritte möchte sie nicht sein, was sich Zweue das Dritte sich auch, aber die Vierte, die
werde ihm nadisch wohl den Marsch machen, und dann hätte es sein Lebtag gut, könne im
Sessel hocke und brauche nur zu befehlen, was man ihm darstellen solle
„Aber Mutter, die Täufer tanzen nicht, wie ich immer gehört habe,“ antwortete Anne Mareili. „Ach was, du hast immer nur dein schießiges Tanzen im Kopf, als wenn z'Tanzen die Hauptsache wäre in der Welt. Zähle darauf, es kömmt dir nicht gut, wenn du nur solche Flausen im Kopfe hast; kannst du dein Lebtag nicht auch zu guten Gedanken kommen: was der Flachs gelten werde dieses Jahr, in welchem Zeichen man Bohnen setzen müsse, und wie machen, daß
V.
3
Die Weggehenden, welche den Ort verändern, kommen aus dem Fluß der Rede, es geht eine Weile bis sie an die Straße sich gewöhnen, die Worte wieder flüssig werden und manchmal geschieht es gar nicht,bald sind die Beine zu müde dazu, bald ist das Roß zu wild, oder die Gedanken über das was man gesehen und erfabren, sind zu schwer und wollen erst verwerchet sein, ehe sie zu Worten werden können, wie es auch oft aus den schwärzesten Wolken weder regnen noch hageln kann, wie gerne es auch möchte. X
So redeten sie auf dem Wägeli nicht viel und am allerwenigsten von der Hauptsache. Die Mutter kümmerte sich um Resli's Kopf, dieser hatte mit dem Draguner zu thun, der jedoch unter seiner Leitung besser gehorchte, als unter der des Vaters, welcher sehr schlaärig war und mit seiner Pfeife sich abgeben mußte,wenn er nicht einschlafen wollte, was er jedoch nicht verwehren konnte.
Daheim aber warten ängstlich und neugierig dir Zurückgebliebenen, langsam verläuft ihnen
die Zeit und immer zu früh gucken ihre Augen aus nach den Heimkehrenden, und gar manchmal
wird verhandelt, warum sie noch nicht da seien, und wie sie känen, und was sie brächten an
Kram und Neuigkeiten, und kommen sie endlich, so ist Geschrei ums ganze Haus, aus allen
Loöchern schießt es hervor, jedes bietet seinen Willkomm,sogar die Thiere stimmen ein, es
blökt das Schaf, es wiehern die Pferde, der Hund wedelet um Roß und Menschen und auf der
B'setzi steht mit aufgehobenem Schwanze die zurückhaltendere Katze und harrt, um ihre
sittsamen Liebkosungen merkbar anzubringen, eines gün
Obgleich Resli sehr müde war und der Kopf ihm schwer, so wartete er doch die Auspacketen ab, denn auch ihn nahm Wunder, ob Vater und Mutter nichts zu sagen hätten.
Annelisi war sehr unzufrieden, daß der ganze Bericht eigentlich auf nichts hinauslief,
als daß sie die Dorngrütt Bäurin gesehen, und auch dieser Bericht fiel sparsam aus, denn
Vater und Mutter waren vorsichtig in ihren Aeußerungen über sie, und daß mit ihr gar
nichts über die Sache geredet worden, das konnte es ihnen nicht verzeihen. Es sei ume
lätz, daß es nicht dabei gewesen, z'Sach waäre anders gegangen, und ab Ort gekommen,
meinte es. Endlich vernahm es, daß das Ding sich nicht so machen ließe, indem etwas
anderes im Spiel sei, und wo viel Dornen seien, müsse man erst zusehen, ehe man Hand
anlege, wenn man nicht die Hand voll Dornen wolle. Da meinte Annelisi, das müßten aber
doch wüste Leute sein, einem Meitschi so etwas (schüligs, würden die Zürcher
sagen)zuzumuthen. Es wolle aufrichtig sagen, keinen Augenblick könnte es Vater und Mutter
mehr lieb haben,wenn sie ihm so etwas zumuthen würden, so ein Einmetzgen bei lebendigem
Leibe, es duechs, ein rechtes Meitschi sollte fortlaufen so weit es seine Beine tragen
thäten, einmal es würde es so machen. Da seufzte Aenneli und Christen tubackete stark.
Resli aber bekam die Augen voll Wasser. Er sehe wohl, sagte er, daß
„Man kann nicht wissen, sagte Christen, Blut ist Blut und Art ist Art, aber ich will
deswegen nicht wehren, du bist alt genug um selber z'luege; du mußt sie haben.“ „Vater,
sagte Resli, glaubt mir, die Sache macht mir auch schwer, ich weiß, es ist für mein
Lebtag, ja vielleicht noch für die Ewigkeit und es ist mir manchmal, es wäre mir viel
nützer ledig zu bleiben,da wüßte ich doch was ich hätte und woran ich wäre.Aber so will es
ja Gott nicht, und darum müssen Vater und Mutter es so wunschen und den Kindern ans Herz
es legen. Glaubt mir nur, blindlings will ich nicht hineintrappen, nicht meinen es muüsse
erzwängt
Resli kam in Verlegenheit und sagte endlich: „Häb nit Kummer, etwas muß gehen, aber lieber behalte ich die Sache für mich, bis sie zuche an gewerchet ist, daß man weiß, wo sie hinauswill.“ „Das sollte ich zürnen, sagte Annelist, sonst ist's der Brauch, daß die Schwester so um eine Sache weiß und schon gar manche Schwester hat dem Bruder gute Dienste geleistet, ist Lockvogel gewesen oder Deckmantel und ohne Schwester wäre er nie zur Frau gekommen. Und warum ich das nicht so gut verstüͤnde als eine andere, das wüßte ich nicht, bin ich doch nicht von den Dümmsten Eine.Aber wenn du's willst g'hebt ha, so probire alleine,und wenn du mich doch nöthig haben solltest, so sag's,ich wili dir deßwegen nicht ab sein, wenn du jetzt mich schon nichts schaätzest.“
Resli schlief selbe Nacht nicht viel; so recht schwer lag es ihm auf dem Herzen, daß er
selbst den Kopf nicht mehr fühlte. Ihm selbst gefiel das ganze Dorngrütt Wesen nicht, die
Leute nicht, ihre Leb und Redeweise nicht, ihr Bauern nicht; es ging ihm fast mit
Resli hatte schon manchmal es gesehen, wie aus einer jungen schönen Frau sich ein Ding, fast ein Ungethüm sich herauspuppte, welches man gar nicht im feinen und lieblichen Meitschi gesucht hätte; wenn's ihm auch so gehen sollte, wenn seine Eltern ihre grauen Haare mit Jammer in die Grube tragen müßten und er müßte dem zusehen, es trieb ihm aufs neue das Wasser in die Augen. Wie das auch möglich sei,dachte tief Resli nach, aber er ergründete es nicht;aber genau zu forschen mit Furcht und Zittern! das beschloß er. Daß Resli dies Geheimniß nicht ergründet, soll Niemand verwundern, ergründet es doch Mancher nicht, der Professor ist oder Rathsherr sogar, oder gar ein halber Moses mit glänzendem Gesichte, mit dem Unterschiede nur, daß dessen Glanz nur rückwärts und innerlich wirkt, daher ein Schleier nicht nöthig ist.Hat aber Niemand je ein herrlich Kleid gesehen, funkelnagelneu, glitzernd und aller Menschen Wohlgefallen,hat er das Kleid später nicht gesehen, abgeschossen,ohne Glanz, mit übertunchten Flecken, einem Kammermeitli am Leibe, hat er es nicht bald darauf gesehen im matten Schimmer, aber voll Staub, bei einem GrämplerDdann alle Tage schmieriger am Leibe einer welschen Köchin und endlich als Hudel irgendwon den Niemand in die Hand nehmen mochte
Hat Niemand ein zierlich Reitroß tänzerlen sehen unter einem mageren Kavalier oder ein
herrlich Thier hoch auf sich bäumen sehen an einem köstlichen Tilbury,
Ja, hat noch Niemand eine Mädchenhaut gesehen,glatt und weich wie Sammet, glänzend, der Seide gleich, fest und drall wie ein Trommelfell, und die Haut spannte sich allmählig ab wie das Trommelfell,wenn viel darauf gepaukt wird, verlor die Weiche,wie Sammet, der viel getragen wird, wie Seide an Wind und Wetter. Sie ward anfänglich zur währschaften Weiberhaut mit etwelchen Klecksen und Spälten, dann welk wie eine Zweischge nach etwelchen Reifen und endlich gleich einem alten Judenkrös, wo man den Spiegel braucht um die gelben Falten und Faltchen zu zählen?
So geht es mit allen irdischen Dingen, der Glanz verschwimmt, Flecken gibts, die Häßlichkeit kͤmmt und bald darauf tritt Verwesung ein, und manchmal schon bei lebendigem Leibe. Ja, wenn nun auch das Herz irdisch ist, nur irdischen Stoffs, es schwellt zu Glanz und Schönheit, zu Prunk und Lieblichkeit, was sollte anders sein Loos sein, als das Loos alles irdischen ist,zu verblühen, zu verwelken. Flecken und Schmutz,steigende Häßlichkeit, zahllose Falten, Jämmerlichkeit bis in alle Ewigkeit. Man balsamirt wohl ein, aber damit wehrt man der Häßlichkeit, wehrt man den Falten nicht, man setzt Herzen in Weingeist, aber damit werden sie um nichts appetitlicher.
Aber einen Balsam gibt's, ein Geist hat ihn getränket, und wo ein Tropfen dieses Balsams auf ein Herz gefallen ist, da sprüht er Leben aus, und das
keben ätzt Schmutz und Flecken aus, in immer reinerem Glanze strahlet es, es blüht die Schönheit auf, die in ewiger Jugend strahlet, von der man viel gefaselt,zu der man lange das Elixier gesucht, das doch längst schon gegeben war vom Himmel herab, aber die Menschen erkannten es nicht, es suchten es immer noch die Thoren, wie noch immer die Juden des Messtas warten. Wo aus kleinem Senfkorne das Leben erblühet,dessen Funke Christus auf die Erde gebracht, da bleibt dem Herzen die Häßlichkeit ferne, es glätten sich die Falten, es tritt nicht die gräßliche Täuschung ein, die den schlägt, der mit einer Schlange am Herzen aus der Liebe Traum erwacht. Es strahlet immer klarer das wunderbare Ebenbild auf, dessen Urbild auf des Himmels Throne sitzet. Wer ein solches Ebenbild gefunden, der hat einen ewigen Fund gethan, wenn er auch nur eine sterbliche Hand gefaßt; denn wenn auch die Hand welkt, modert, das neugeborne Herz blüht als ewig jung, ewig schön, in immer göͤttlicher Klarheit fort.Wie schwer ist's aber durch glatte, seidensammete Haut hindurch zu sehen auf des Herzens Grund, zu entdecken dort tief unten, ob die Flamme des ewigen Lebens glühe, ob die Lüfte der Verwesung nahen, ob Moder oder süßes Leben unser Theil sein werde. Zu solchem Schauen hilft Wissenschaft nicht, taugen Brillen nicht, das Alter schützt vor Thorheit nicht, kindliche Augen sehen am klarsten, das Beste aber thut Gott,und denen besonders, die kindliche Augen haben, ungeblendet noch vom Glanz oder Staub der Welt.
Wenn Liebende unbemerkt sich finden wollen, se müͤssen sie entweder die größte Einsamkeit
wählen oder das größte Menschengewühl; die Gegensätze berühren
21
Als Resli sein vergessenes Nastuch holte, hatte er rasch ein Bestelltes gemacht, aber nicht das Gewühl hatte er auserlesen, sondern die Einsamkeit, theils weil er sowohl mit den Marktgelegenheiten als mit der Familien Lauf und Gängen zu wenig bekannt war. Denn Anne Mareili auf einen Markt zu bestellen, den die halbe oder ganze Familie besuchte, wäre gefährlich gewesen, und auf einen Markt, welchen gewöhnlich Niemand besuchte, waäre verdächtig gewesen, und wahrscheinlich hätte man aufpassen oder Anne Mareili nicht gehen lassen.
Aber an einem Orte von Natur einsam lag ein Bad, das wegem Wasser b'sunderbar berühmt war,wegen den Wirthsleuten aber destweniger, denn entweder hatten sie nichts, das Fleisch gestern aufgegesfen und das Brot am Morgen, oder aber wenn sie etwas hatten, so ließen sie sich bezahlen, daß einem das Liegen weh that. Sie wollten halt so und so viel aus dem Bade ziehen und jeder Gast sollte seinen Antheil daran bezahlen. Nun meinten sie, wenn nur hundert Gäste kämen, so hätten sie das Recht aus diesen hundert Gästen den gleichen Profit zu ziehen, als sie gezogen hätten, wenn tausend Gäste gekommen wären.Das Publikum versteht bei solchen Rechnungen aber nicht Spaß, und da ihm meist an der Wirthschaft mehr gelegen ist als am Bade, so ward der Ort nicht nur von Natur einsam, sondern auch von Menschen leer,und wer was Ruhiges wollte, der fand es dort Sonntag und Werktag.
KCag und Namen dieses Ortes hatte Resli dem Meitschi ins Ohr geflüstert und es hatte
genickt dazu;
Dort saß nun Resli schon lange am bestimmten Tage und kein Anne Mareili kam dem waldigen Abhange nach, oder über den gebrechlichen Steg von der Ebene her. Düstere Wolken jagten sich am Himmel,ein saurer Wind strich durch die Lüfte, Badewetter war es nicht, und düster und sauer sah es aus in Resli's Gemüthe, und Liebesfreuden sonneten es nicht. Angst und Bangen war darin und wie es dann geht, wenn man warten muß und immer banger wird ob dem Warten, hunderterlei Dinge komme einem in Sinn,warum man warten müsse, und ein Ding ist immer ärger als das andere Ding, und eines macht einen immer böser als das andere, und wenn man endlich recht böse ist, so schlägt der Zorn in Angst über und tausenderlei fällt einem ein und steigert von Minute zu Minute des Wartens Pein. O, Warten ist hart,so recht Warten ist füͤrchterlich, ist eine Folterbank die kein Gesetz abschaffen kann, über die keine Zeit hinauswächst. Aber wir sollen eben nie vergessen, was das Warten ist an der Himmelsthüre, wenn kein Pfortner kommen, kein Schlüssel im Schlosse sich drehen, kein Willkommen uns entgegen schallen will, kein Liebesblick durch das Schlüsselloch dringt, kein Säuseln uns Gnade verheißt, wenn es immer düsterer um uns wird,immer kälter, schauerliche Finsterniß wie eine Wolke uns umfängt, die Wolke allmählig zur Nacht wird und die Nacht zur Hölle erglüht, und keine Stimme will ertönen, keine will Erbarmen rufen, wie wir auch Warten unter Heulen und Zahneklappen in des Wartens entsetzlichsten Entsetzen. Aber wenn man so in
banger Spannung auf etwas Geliebtes auf Erden wartet, denkt man an jenes entsetzliche Warten nicht, sondern man sitzt auf glühendem Stuhle und wiegt die Wenn und Aber ab, die Ob und Noch, die Was und Wie.„Hat es mich nicht verstanden? kömmt es noch?war's schon da? hat es sich verirrt? haben sie es nicht gehen lassen? hat es nicht kommen wollen?“ so werweisete Resli in sich in einer glühenden Pein; denn Wochen lang hatte er es sich ausgedacht, wie wenn er gegen das Bad komme, er Anne Mareili von der andern Seite her kommen sehe, und wie sie akkurat bei dem Bade zusammentreffen würden. Jetzt war er schon Stunden lang da; man hatte ihn gefragt, ob er baden, ob er essen wolle; er solle es nur zu rechter Zeit sagen, von wegen an einem solchen Orte könne man nicht hexen, wie etwa die Leute meinen möchten, daß wenn sie daran daächten, die Sache schon z'weg sei.Resli hatte ausweichenden Bescheid gegeben, endlich Essen bestellt; die Stubenmagd brachte Teller und sagte, z'angere werde sie bringen, sobald der Bub mit dem Brod komme; der schießig Bub mache immer so lange, er werde wahrscheinlich auch öpperem warten.So leitete sie ein Gespräch ein, von dem man nicht recht wußte, sollte es eine Einleitung sein zu einer Schimpfeten über ihre Meisterfrau und des Hauses Unordnung, oder aber zu einem Privatvergnügen mit dem hübschen Burschen. Da ging langsam die Thüüre auf. „Gott grüß euch mit einander,“ sagte eine Stimme, und ein Mädchen stand in der Stube, dessen Backen roth anliefen, während die Stubenmagd aufstund vom Vorstuhle und antwortete: „Gott grüß dich wohl. Womit kann ich aufwarten?“ Resli war auch
roth geworden, ob aus Ueberraschung oder weil er es ungern hatte, daß die Stubenmagd so
nahe bei ihm gesessen, wissen wir nicht; rasch stund er aber auf und sprach: „Gottwilche
Basel! bist du auch da? was bringt dich ·Guts dahin?“ Anne Mareili merkte Resli und sagte:
„Bis mir auch Gottwilche! ich bin auf dem Wege gewesen zu euch, und jetzt kann ich dir die
Sache verrichten; es ist mir noch anständig, so kann ich zu rechter Zeit wieder heim sein.
Es ist bei solchem Wetter nicht lustig auf der Straße sein; aber z'Sach hat pressirt.“
Resli sagte: „Komm hock und thue Bescheid;“ er hätts bald nicht gekannt. Das war wirklich
auch fast kein Wunder, denn Anne Mareili war nicht geputzt, sondern mehr verkleidet, hatte
ein dünn kurz Kitteli, einen halbleinernen Tschopen, ein halbreistenes Hemde an, eine
Roßhaarkappe auf dem Kopf,war mehr angezogen wie eine mittelmäßige Jumpfere,und nicht wie
eine reiche Bauerntochter, und doch war es auch recht hübsch und so stattlich, daß man da
auch wieder sah, daß nicht immer die Kleider es sind,welche die Leute machen. Die
Stubenjumpfere sagte,sie werden z'Sach wohl zusammen wollen, und wenn sie es begehrten, so
wolle sie dieselbe ihnen in ein oberes Stübli tragen, es seien weniger Fliegen dort,und
wenn man mit einander zu reden habe, so sei man bas (besser) alleine. Nit daß sie Jemand
hier stören würde, so an einem Orte sei ste nie gewesen,wo weniger Leute känmen, längs
Stück Niemand, als der Mühlekarrer und der Kämifeger, nicht einmal Bettler. Von wegen je
böser eine Stubenmagd über die Frau Wirthin ist, desto zärtlicher wird sie in der
Regelgegen die Gäste; und warum sollte sie nicht? zieht es doch zum Herzen das Herz, und
wenn die Frau
Das Stüübchen war klein, das Lischenruhbett eingesessen, der Tisch wackelte; es hatte nicht die fernste Aehnlichkeit mit irgend einem Prunkgemach, sei es einem Salon oder der berühmten blauen Stube; aber doch kam es Resli und Anne Mareili wunderbar vor,und als sie neben einander auf dem Ruhbett saßen,fanden sie anfaäͤnglich keine Worte. Alles was sie einander zu sagen hatten in der kurzen ihnen zugemessenen Frist, hatte sich aufgestaucht vor dem engen Durchpaß; eins klemmte das andere ein, bis endlich Resli die Masse zu lösen begann mit der Bemerkung: „Ich habe geglaubt, du wollest nicht kommen, ich müsse unverrichteter Sache wieder heim.“
„Es ist ein Wunder, daß ich da bin, sagte Anne
Mareili; ich habe lange nicht gewußt wie machen,und als ich einmal es gewußt, da hat es etwas gegolten, bis ich los geworden.“„Hast du dann nicht im Sinne gehabt zu kommen?Hast du Muth gehabt mich zu sprengen und umsonst warten zu lassen? sagte Resli. „Zürn nicht, sagte Anne Mareili, aber wenn das nicht so gegangen wäre wie der Blitz, so hätte ich es dir gleich damals abgesagt.“ „Begehrst du dann nichts von mir, oder mich nur zum Narren zu halten? Hab ich mich dann geirrt,wenn es mich ducchte, es sei dir fast wie mir, und ich sei dir auch öppe e weneli werth?“
Da that Anne Mareili einen Blick auf Resli; das Wasser schoß ihm in die Augen, dann sagte
es langsam: „Du weißt darum nicht wie ich es habe. Mein Brauch ist's nicht, öppe im Lande
herum zu fahren,bald hier hin hald dort hin; das ist das erste Mal,
„Du hast dann nicht Freud bei mir?“ frug Resli.
„O plag mich nicht und frag nicht so, sagte das Meitschi, Allem an weißt du nicht, wie es einem ist,wenn man alle Augenblicke fürchten muß, es sehe einen Jemand, der einen kenne und verrathe. Und wenn man immer denken muß, was machen sie für Augen, wenn ich heim komme, was sagen sie mir,wie wüst werden sie mit mir thun? wenn man das vorstehnds hat und denken muß, das ist der letzte Tag,wo ich hätte Freude haben können, und kann's nicht einmal, weil mit dem Tag auch ein Elend näher kommt, das ärger ist, als das Grab. Du weißt nicht wie es einem da ist.“
Wohl, sagte Resli, das ist z'denke. Oeppe ganz am besten ist es mir auch nicht immer gewesen, und auch schon ist's mir im Kopf gewesen, daß ich mich dessen, was außer mir gegangen, nichts geachtet, und daß ich hätte pläͤren mögen, wenn die Sonne am schönsten geschienen. Wohl, das begreife ich. Du hattest also nichts gegen mich und begehrtest mich zu heirathen, wenn's nur an dir wäre?“
„Rede mir nicht davon, sagte Anne Mareili, es macht mir das Herz nur schwerer, ohnehin
wenn ich dich ansehe, so muß ich immer an den Kellerjoggi denken mit seinen Augen, die
immer tropfen wie ein
„Lybs thalbe gefiel ich dir also besser, als der alte Unflath?“ frug Resli.
„Gang m'r, sagte Anne Mareili, selligs z'frage!“
„Aber wenn d'r Alt my Lyb hät, so wär's d'r recht?“
„Wenn ich gewußt hätte, sagte Anne Mareili,daß du nur daran Freude hättest, mich zu plagen,so wäre ich nicht gekommen, und haäͤttest mir noch zehn Mal B'scheid machen lassen. Nein wäͤger, es ist mir nicht nur Lybs thalb, daß mir Kellerjoggi z'wider ist.Ich weiß nicht, aber es duecht mich manchmal, ich könnte mich in Alles schicken, wenn er nicht so wüst gegen alle Menschen wäre und alle Laster an sich hätte.O es ist ein schreckliches Dabeisein, wenn man immer das denken muß, es v'rfluchen einen alle Leute und kein Mensch bette für einen, und einem dabei die Hände gebunden sind, daß man auf keinen Weg öppe gut machen kann. Davor gruset es mir am meisten, denn ich weiß wohl, das kann ich nicht so in der Geduld annehmen, sondern ich ertaube auch und was ich dann anfange, weiß Gott! Und deretwege habt ihr ein gutes Lob, wie ich vernommen, und rechtschaffen geht es bei euch zu; da konnte man Guts lerne, und ich mangelte das so übel, ich g'spür's wohl, wie nöthig ich es hätte. Und deretwege, ich will es aufrichtig sagen, habe ich mehr als Lybs thalb an dich g'sinnet;s'duecht mich immer, wenn es Gott so gut mit einem meinte, als es heißt, er sollte einem nicht so dem Teufel lassen vor die Füße werfen, wo man doch deutlich weiß, daß es der Hölle zu geht.“
„He, sagte Resli, der liebe Gott wehrt sich nicht
„Was meinst wegem Ernst? fragte Anne Mareili,was soll mir Ernst sein?“ „Ich meine so wegen der Seele und von wegen dem lieben Gott. Es ist nicht,daß ich meine, es sei dir nicht Ernst, aber es ist mir schon manchmal so gegangen, daß ich habe den lieben Gott hineinstoßen wollen, wo doch die Sache an mir lag, und daß ich die Seele füreg'stoße ha (vorangeschoben), wo es mir doch nur um etwas Leibliches war. Ich habe nur gemeint, wenn es dir recht um die Seligkeit wäre, so würdest du das den Eltern vorgestellt haben, und wenn ein guter Blutstropf in ihnen waäͤre, so könnten ste ja kein Wort mehr sagen.Ich will nicht sagen, daß wir die Besten sind, und es ist manchmal strub genug gegangen bei uns, doch so Gott will ist's verwerchet. Aber auch wo es am trübsten ausgesehen, so hatt's wohl Lärm geben koöͤnnen wegem Geld, aber wo eins gesagt hätte, z'Sach wär ihm vor der Seligkeit und es wollte nicht Schuld sein daran, so hätte kein Mensch mehr ein Wort gesagt,nit d'Mutter, nit d'r Vater.“
„So ist es darum nicht bei uns, sagte Anne Mareili, es ist mir leid, daß ich es sagen
muß, und Jemand anderem sagte ich es nicht. Da könnte ich lange sagen, nur auslachen würde
man mich und sagen:du Löhl, was fragst doch dem darnach. Wenn er macht, was er will, so
mach du, was du kannst;d'Hauptsach ist, daß du einen reichen Mann kriegst
„Das ist bös, sagte Resli, aber sie werden doch auch eine Religion haben?“
„Ich glaube es, sagte Anne Mareili, sie werden;unterwiesen sind sie worden, wie üblich,
aber viel davon habe ich nicht gemerkt; ich sag's mit Leid. Du glaubst nicht, wie es mir
manchmal Angst wird unter unserem Strohdach, wo man den ganzen Tag flucht,selten ein Gebet
verrichtet wird, wo über Tisch geredet wird, daß einem duecht, es sollte den Wänden übel
werden und selten ein Mensch zum Nachtmahl geht. Wenn's donnert, oder wenn ich Nachts
denken muß, wie leicht ein Funke nebenaus fallen und wir alle verbrennen könnten, ehe nur
Jemand das Feuer merkte und die Hölle so uns anginge schon bei Lebenszeit, dann wird's mir
so Angst, daß ich kein Aug voll schlafen kann, daß ich im Hause herum gehen muß,zu sehen,
ob nicht irgendwo noch Feuer ist, und wenn ich nichts finde und mich niederlege, so dunkt
es mich ich rieche Rauch, muß von Neuem auf und der Mor
„Nit, nit, sagte Resli, v'rsündige dich nicht; der liebe Gott läßt sich nicht so mustern und d'r Marsch machen, wie ein anderer Mensch, und wenn man selbst das Rechte breicht (trifft), so ist das, was er einem schickt, immer gut; aber eben aufs Breichen kömmt es an.“
„Ich kann weiß Gott nicht helfen, sagte Anne Mareili, aber denk doch nur, wie es einem sein muß,so in aller Himmelsangst, das Elend vor sich und ein Tag nach dem andern kömmt näher, und hinten eine Wand und neben Wände, oben der Himmel vermacht und nirgends eine Hand, die aufbricht, daß man fliehen, dem Elend entrinnen kann. Denke, wenn man selig sterben möchte, und bei lebendigem Leibe schon wird man dem Satan zugeworfen; denk, wie wäre dir, und wüßtest du immer, was du redtest?“
„Wenn's dir so ist, sagte Resli, und es wird, so
„Ach! sagte Anne Mareili, wenn ich einmal in einem solchen Hause leben könnte, wo ich
nicht alle Nächte Furcht haben muß und öppe d'r Tag düre Friede, es duechti mih, ich wäre
im Himmel, wenn man dann auch schon nicht so reich wäre dazu. Aber setz ab, das gibt es
nun einmal nicht. Der Vater will's, und wenn der einmal etwas gewollt, so hat er noch nie
abgesetzt. Wehren kann ich mich noch ein
„Hör, sagte Resli, willst du mir versprechen und treu sein, so nehmte es mich doch Wunder, ob nichts zu machen wäre; aber auf dich kömmt Alles an; wenn du nicht standhaft bist, so ist ʒ'Sach verspielt. Willst du, so gib mir die Hand und sage Ja in Gottes Name!“Anne Mareili ward roth und blaß, Thränen stürzten ihm über die Wangen; es hob langsam die Hand,legte sie in Reslis, dann sagte es langsam: „Ja in Gottes Namen!“ und in heftigem Weinen lehnte es sich an Reslis Schulter.
Stille drückte Resli die Hand, welche in seiner lag, und stille war es lange; es war, als beteten beide leise, als flöge in leisem Flügelschlage ein Engel zu den Verlobten, zu empfangen und emporzutragen,was in ihren Herzen lebte und bebte. Resli zog seine Uhr hervor und sagte: „Nimm sie als Ehepfand. Ich weiß, für uns ist es nicht nöthig, aber es freut mich,wenn ich denken kann, du habest etwas von mir, und wenn du sie schlagen hörst, denkst du an mich, und glaube nur, so oft es schlägt in der Uhr, so oft schlägt es mir im Herzen für dich.“
Anne Mareili betrachtete die stattliche schwere silberne Uhr mit den erhöhten Zahlen und der schweren silbernen Kette und sagte: „Ich behielte sie gerne, sie freute mich, aber ich darf doch nicht; ich darf sie
nicht aufziehen; ich könnte sie auch nirgends bergen,daß ich nicht fürchten müßte, man
könnte mir darüber kommen; Vater oder Mutter koöͤnnten sie sinden. Nimm sie wieder; und
wenn ich dich recht verstanden habe,so braucht es zwischen uns eigentlich kein
Ehepfand.
Resli steckte sein Guldenstück appart ins Leiblitäschli, Anne Mareili behielt es in der
Hand; aber beiden ward erst jetzt so recht behaglich und traulich im Stübchen und so recht
offen ums Gemüth. Es war ihnen, als könnten und mußten sie einander Alles sagen, was sie
auf dem Herzen hätten und was sie in Liebe und Leid gesinnet. Anne Mareili erzählte,wie es
ihm gewesen, als es mit dem Vater fortgefahren und nicht hätte vernehmen können, woher
Resli sei. Mit mehr als hundert Bursche hätte es schon
„Aber du, frug Anne Mareili, hast du gewußt,wer ich war?“ Da ward Resli roth und sagte,
es solle ihm recht nicht zürnen, er wolle ihm Punktum die Antwort sagen. Aber Anne Mareili
ward roth,fast bbse und sagte, es möge nicht hören von einer Liebe, die ein Jahr daure,
und man wisse, wo das Meitschi sei, und thue keinen Wank um zu ihm zu kommen, es hätte ihn
aufrichtiger geglaubt,und wisse jetzt woran es sei. Mit großer Mühe kam Resli zur Rede und
bat, es möchte doch nicht so aufbrennen; wenn es ihn gehört, so werde es zufrieden sein.
Er erzäͤhlte nun Punktum, wie es zu Hause gestanden, wie die Mutter ihn nicht habe anhören
wollen, wie er allen Muth verloren, und b'sunderbar,als er nachgefragt und vernommen, wie
reich sie seien
Guter Rath war da theuer, und um so mehr, da Anne Mareili meinte, es sei kein Zögern,
kein Aufschieben, weil Kellerjoggi sich jüngst nachgiebiger gezeigt und dem Vater
verheißen, wenn er nur verkünA auch nicht eigelig machen, sondern sich bppe nachelah,daß
man zufrieden sein könne. Ein langes Unterholzen war da nicht thunlich, es mußte rasch zu
Werke
Dann kam es natürlich aus, wo es gewesen, und darauf konnte es zählen, daß es, so lange es noch daheim war, kein gut Wort mehr bekam. Wenn es sein müsse, sagte Anne Mareili, so wolle es sich in Gottes Namen darein schicken ihm zu lieb, wenn er ihm schon ein ganzes Jahr nicht nachgefragt hätte.Aber es sehe voraus, es gehe nicht, und dann noch einmal etwas zu versuchen werde bös sein, es werde so wohl der Kübel auf einmal ausgeleert werden.Jedenfalls solle er nicht böse werden, manierlich bleiben, man möge ihm sagen was man wolle, damit man keinen Grund hätte, ihm ein für alle Mal das Haus zu verbieten. Es schlottere aber schon, wenn es daran denke, und er solle ihm doch recht nicht zürnen, wenn es sich erst zeige, wann es müsse.
Resli hatte immer größere Freude an dem Mädchen, je mehr er es ansah; es war trotz seiner
geringen Kleidung so sauber und nett, redete so gesetzt, manierlich
Wie aber die Zeit von dannen rennt, Stunden schwinden, aus dem Morgen Abend wird, wo in Liebe zwei Herzen offen liegen, die Liebe Liebe in den Augen liest, die Ohren voll süßer Töne sind und ungehemmt der Liebe Rede über die Zunge quillt. Wohl redet die Liebe verschieden, redet in herrlichen Worten, die dem Hauche der Geister gleichen, nicht eigentliche Worte fiund, nicht Leib haben, sondern fast klingen wie Kinderlispeln, oder unaussprechliches Seufzen; aber sie redet auch recht derbe, zieht ein rauhes Kleid an, wirft Worte aus, die Feldsteinen gleichen oder gar Felsenstücken, wie aus dem Schooße des feuerspeienden Berges auch allerlei kömmt, eine glühende Feuersäule,schwarzer Rauch, schwere Steine, flüssige Lava, und doch der gleiche Schooß es ist, der sie gebiert, die gleiche Kraft, die sie auswirft.
So war es Resli und Anne Mareili Abend geworden, sie wußten nicht wie, und Anne Mareili
begann zu pressiren, und Resli es zu verweilen, bis es endlich doch sein mußte. Scheiden
und meiden thut weh,heißt's, das erfuhren sie, und besonders dann, wenn Zan voraus weiß,
daß das nächste Treffen ein schweres ist und dessen Ausgang möglicherweise ein
unglücklicher, Gerne hätte Resli sein Meitschi begleitet, aber es sagte es ihm ab. Die
Felder hätten Augen, die Wälder Ohren, und wenn etwas böses anzustellen sei,so führe der
Teufel ungesinnet Leute in den Weg, die man hundert Stund weit weg glaube. So schieden sie
beim Hause, nachdem das Stubenmeitli ihnen glückliche Reise gewünscht und manchmal
geheißen hatte wieder zu kommen und wenn sie was zu verrichten hätten und
Anne Mareili hatte einen schweren Heimgang, denn wenn der Geliebte von ihrer Seite weicht, so kömmt dem Maödchen gewöhnlich das Zagen an, selbst in geebneten Verhältnissen, geschweige denn, wenn Unholde drohen und Klüfte gähnen.
Wer ist wohl, der nicht schon von der Teufelsbrücke gehört hat, und von dem finstern Loch jenseits, und wie jenseits des Loches ein wunderbar friedlich Gelände sei, wo sanft die Wasser fließen, sonnig die Wiesen glänzen, hell der Kühe Glocken läuten, fruchtbar die Berge zu Thale laufen, freundliche Menschen wohnen, bei gutem Käse und herrlichen Fischen? Aber wer diesseits der Teufelsbrücke steht, in wildem Felsenthale, eingeklemmt zwischen nackter Fluh, die gen Himmel strebt, zu seinen Füßen donnernd die wilde Reuß in schäumendem Zorne, hinter ihm kommen stäubende Wetter gezogen, und Noth und Sehnen treibt ihn nach dem Thale des Friedens, auf ebner Bahn und weichem Rasen die müden Glieder zu sonnen;aber vor ihm fehlt die Brücke, gähnt die Kluft, und höher und höher spritzt der wilde Fluß seine gierigen Wellen und ungestümer drängen die Gewitter sich nach,
und oben geht die Sonne vorüber, ihre Strahlen verglimmen an der Felswand, und Nacht wird es über dem Graus; der mag sich denken wie es in Anne Ma
reili's Seele war. Es hatte einen Blick gethan in der Ehe selige Gelände, wo des Gemüthes
Wogen friedlich rauschen, des Friedens Sonne scheinet, im Schwersten des Herrn Segen ist,
der Liebe Läͤuten jede Stunde zum Sonntag macht, das Leben zum Sabbath des Herrn weiht;
aber vor seinen Füßen gähnt der Abgrund und aus dem Abgrund empor streckt ein Unhold nach
ihm seine Arme, über den Abgrund fehlt die Brücke, hinter ihm drängen die Wetter. Der
elterliche Wille wäre die Brücke, dann ein Schritt, es wäre drüben über seinen Jordan,
stände im Lande Kangan,dem Gelobten, dem Ersehnten. Aber dieser Wille ist keine Brücke,
hat vielmehr ins harte Wetter sich gewandelt, das ihns tückisch zum Abgrund drängt, aus
dem empor des Kellerjoggi's versüderete Augen naäher und näher zwitzeren. Kann es nun aber
etwas gräßlicheres geben, als wenn in tückische Kobolde die Eltern sich wandeln, welche
auf der gefährlichen Lebensfahrt neckisch und teuflisch ihre eigenen Kinder locken und
drängen in Schlünde und Gründe, in denen die Hölle ihre Eingänge hat. Ein einzig
freundlich Wort, der Ausgang aus der Gefahr, der Eingang ins sichere kand wäre gefunden.
Und wie muß so einem Kinde sein, wenn es klar seine Lage erkannt hat, das heilige kand,
den schwarzen Abgrund, und es geht heim zu den Eltern, die mit einem Worte ihm erschließen
koönnten seine Herrlichkeit, und es weiß, sie wollen nicht,und es weiß, es liegt in ihrem
Sinne, daß es sich opfere dem Moloch, der aus dem Abgrunde die Arme reckt. Das kann man
sich wohl denken, wie es dem armen Kinde sein muß, und wenn es weinen muß, so recht des
Herzens Grundwasser aus den Augen quellen,wer will es tadeln, wer will ihm sagen, schwyg
ume,vV
Man höͤrt noch hie und da vom alten grauen Heidenthume, hört mit Schaudern, wie man Kinder geopfert. erwachsene Töchter, halbgroße Söhne, Sklaven zu Hunderten, ja, wie von einem indischen Götterwagen noch dato alljährlich Hunderte Gott zu ehren zermalmt würden, und wer das hört, macht, wenn er katholisch ist, ein Kreuz, und Reformirte fröstelet es einfach, und alle sagen: Gott lob sind diese Zeiten vorbei und rollt der indische Wagen nicht auf unsern Wegen. Und doch ist das Heidenthum mitten unter uns und Menschenopfer sind gäng und gäb und der gräuliche zemmalmende Wagen des Gottes Unverstand rollt alle Tage über Tausende, nicht über Hunderte bloß.
Schon so oft ist es ausgesprochen worden, daß,sobald der Mensch einen Göötzen habe, er demselben Alles opfere, was er hat, und je klarer diese Wahrheit ist, und alle Tage zu Tage tritt, tausendfach, um so weniger faßt sie der Mensch. Ist einem Menschen Geld sein Götze, so opfert er ihm Leben, Ehre, Kinder. Hat einer die Ehr- oder Familiensucht, so opfert er derselben Leben, Geld, Kinder u. s. w., und klagen die Letztern, so schreit er Mordio über kindlichen Undank, wie er sie habe glüͤcklich machen wollen, und sie thätens nicht begreifen, wie stockklar es auch sei. Das ist halt Goötzendienst und der will Opfer.
Nun freilich verbergen sich diese Eltern zumeist hinter dem Vorwande, daß Kinder nicht
wüßten was ihnen
Man mag sich aber denken wie schwer das Gehen wird, wenn so schwer das Herz einem ist, wenn jede rinnende Sekunde näher dem Abgrund uns bringt, für das wölbende Wörtlein keine Hoffnung ist.
Anders aber ging Resli heim, voll Muth und Freude, war doch das Mädchen sein, und nicht nur dem Worte nach, sondern Inneres und Aeußeres war,wie wenn Gott es appart für ihr Haus erschaffen, er ihm eine zweite Mutter haätte schenken wollen. Mit dem Laufen wuchs ihm der Muth, und als er heim kam,hatte er keinen Zweifel mehr, daß nicht alles gut gehen werde. Es werde doch wohl noch Gerechtigkeit im Himmel und auf Erden sein, sagte er.
Es war ziemlich spät, als er heim kam, aber noch schimmerte Licht durchs Fenster; auf der
B'setzi traf er den Vater an mit seinem Pfeifchen; in der Stube las die Mutter in der
Bibel; hinter dem Tische nähte Annelist an einem Göller und auf dem Ofen erhob sich
„So hat's doch keinen Verdruß einstweilen, sagte die Mutter; es hat mir immer Kummer
gemacht, sie ließen es nicht gehen oder schicken ihm Jemand nach.“„Ja aber denk, Mutter,
sagte Resli, wie es ihm sein muß, wenn es gegen ihr Haus kömmt und es da erst recht
verbergen muß, wessen sein Herz voll ist, ärger als ein Schelm gestohlene Habe. Und ist's
doch nichts böses, das es im Herzen trägt, nichts, dessen es sich zu schäͤmen braucht,
sondern etwas, das Vater und Mutter zuerst wissen sollten, und das es ihnen nicht sagen
darf, weil sie meinen, ihres Meitschi's Herz sei ihr Holzschopf, wo nichts drein und draus
darf ohne ihr Vorwissen, und kömmt die Liebe an, man weiß nicht wie, und kann selbst nicht
wehren, wenn man schon wollte. Ich habe nicht genug denken können,
„Ja, sagte Annelisi, so ist's, da ist es lustigers d'rbysy. Aber warten mag ich nicht,
bis ich das Meitschi sehe; das nimmt mich Wunder, was das für eins ist, welches es dir hat
anthun können, als wie gherxet. Ich bin doch auch nicht das Leidist, aber ich mag thun wie
ich will, so z'weg bracht wie dich dein Mätschi habe ich keinen. Die, welchen ich den
Täsch gebe, hängen sich nicht, und die, welche fragen, was der Vater mir wohl Ehesteuer
gebe, und ich sage, ich traue eine trägene Aue und halbrystige Hemli bis gnue,die gehen
und sehen sich nicht mehr um, gäb wie ich ein Büscheli Müli mache, und Auge wie
Fürsprützerädli. Und wegen keinem habe ich mich gehängt, gäb wie mancher auch schon
gegangen ist, und keinem wäre ich eine Stunde weit nachgelaufen, die Schuhe hätten mich
gereut. Da nimmt es mich doch Wunder, wie das fei mit der Liebe, ob sich die Leute das nur
so
„Und ich weiß nicht, sagte Annelisi, ob ich, und wenn man mir mit zentnerigen Steinen das
Herz zerbenggelt hätte, daß es ein Grus wäre, daß es würde wie ein löthiger (purer)
Heitibrei (Heidelbeeren) Einem nachliefe. B'stellet hat mich schon Mancher, aber gekommen
bin ich keinem, wenigstens exrpreß nicht.“ Resli ward roth, aber rasch sagte die Mutter:
„Los, redt nicht, wennd' z'Sach nicht verstehst. Du mahnst mich an einen, der im heißen
Sommer über die lachet, die im Winter auf den Ofen sitzen und wollene Strümpfe tragen. Und
was eins nicht mag, daß dieß dann auch Niemand thun soll, das ist noch lange nicht gesagt.
Wie viele Bestellungen hiehin, dorthin, werden nicht gemacht, und Mädchen, welche
unb'sinnt gehen,sind sicher eine größere Zahl als solche sind, welche nicht gehen. Und
warum sollte man in ein ehrbar Wirthshaus nicht gehen dürfen, und was ist da unanständig?
Es ist Landsbrauch und wer einen ehrbaren Sinn ins Wirthshaus trägt, bringt sicher einen
ehrbaren Leib wieder hinaus. Dann Meitschi, was meinst,was thätest, wenn wir dich
verkuppeln wollten einem alten Sünder, wenn wir dich verspotteten und verlachten, der
Vater dir abputzte, die Mutter des Vaters Meinig wäre, und die Brüder anf dir, wie der
Teufel auf einer armen Seele, und ein rechter Bursche möchte dich und du ihn, und im Hause
ware keine Ecke zu einem vertraulichen Wort, und du hättest doch das Herz
Mehr als hundertmal ward Resli reuig, daß er nicht nachgegeben, als Anne Mareili meinte,
er solle den Vater senden; er empfand es, wie im Uebermuth eine Ruthe sitzt, die
unbarmherzig geißelt. Ist's doch eigentlich Uebung, daß Väter Brautbitter bei den Eltern
der Braut sind, daß sie hingehen und sagen: „My Bueb möcht dys Meitschi, du wirst doch
oppe nüt d'rwider ha, es wird d'r recht sy?“ Manchmal macht man es schöner, wie z. B.
jener Aetti, der am Läufterli doppelte des Abends spät, bat, der Alte möchte unters
Fenster kommen, und als er erschien anhub:„Es ist Gottes Wille, daß mein Bub und dein
Meitschi zusammen kommen sollen und da habe ich mich darein ergeben, du wirst wohl auch
muüssen. Aber fragen hätte ich dich doch mögen, was du Ehesteuer geben willst, öppe
drütusig Pfung duecht mi? nit?“ „„'Sach ist m'r recht, antwortete der Andere, aber mehr
als hundert Kronen gebe ich allweg nit.“ „Wird nit Ernst sy,“ antwortete der Erste. „Wohl
ist's, sagte der
Und warum es Uebung ist, daß Väter gehen,kömmt erstlich noch aus dem alten schoönen
Grundsatze,daß Eltern für das Wohl ihrer Kinder sorgen sollen in jeglicher Beziehung, und
aus jener alten schoönen Zeit,wo die Kinder nicht mit der Muttermilch sich emanzipirt
glaubten und auf die Eltern stark herabsahen, sobald sie die Nase selber schneuzen
konnten. Zwischen unbarmherzigem Zwang und frommer Sorge ist ein unendlicher Unterschied;
denn es ist ein Unterschied zwischen Eltern, die Geldsack mit Geldsack kuppeln, ein
Pöstlein aufs andere Pöstlein pfropfen, einen Namen mit einem anderen Namen paaren wollen,
und solchen, die es verhüten möchten, daß ihre Söhne nicht heidnische Weiber nehmen aus
dem Lande der Moabiter und Kananiter, sondern sie wählen aus den frommen Töchtern des
Landes.Nebenbei thun, sobald die Sache ihnen recht ist, die Vater nicht ungern diesen
Gang, ja manchmal streiten die Muütter um den Vorzug, ihn thun zu dürfen. Das ist so ein
Anlatz, wo ohne Ruhmredigkeit Vater und Mutter Zeugniß ablegen dürfen von ihren
Kindern,von ihrem ganzen Hauswesen; und Wohl dem Vater,Heil der Mutter, die bei dieser
Gelegenheit aufrichtig sagen dürfen: Noch kein Herzenleid hat mir mein Kind gemacht; mit
uns und unsern Kindern war Gott für und für! Dabei werden wohl, d. h. wo aus aufrichtigem
Herzen die Worte kommen, die Augen thränen
Mutter und Vater wären Resli gegangen, aber er hatte es anders gewollt und hielt sich jetzt nicht dafür,seinen Kleinmuth zu bekennen und zu sagen: „Aetti,gang du, ih darf nit.“ Er nahm den zweiten Anlauf wirklich und ging. Aber das war ein Stolpern und Studiren, bis er im Dorngrütt war! Wer hat nicht schon einen Studenten stolpern sehen mit seiner ersten Predigt im Kopf, in der Tasche, in beiden Händen,allenthalben, um und um, daß er selbst zu einer lebendigen Predigt ward über eines Studenten nebelhaftes Heldenthum in der Einbildung, und wie er aber nichts ist, als ein kleiner Nebel in der Wirklichkeit, der stolpern muß über Steine und Steine, bis er selbst, wenn er ächtes Korn hat, erhärtet zum Felsen, an dem Nebel streichen, Wellen sich brechen, die Luft sich läutert. Aber noch ganz anders stolpert ein Schulmeister, Schullehrer will ich sagen (von wegen die Demuth kömmt; Meister sich zu nennen, schämen sich die Herren Lehrer mehr und mehr, besonders die unbärtigen), wenn er am Pressen der ersten Kinderlehre ist, wo es gerade ist, als wenn man mit dem Kopfe aus den Steinen eine lebendige Quelle schlagen wollte,oder aus Thuner Trauben in harten Jahren was Nasses.Und doch weiß keiner, was Stolpern ist, wenn er nicht einen Dito gehört hat stolpern an einer eidgenössischen Rede an einem eidgenössischen Schießet, daß man mit Kanonen schießen mußte, damit er nicht Leib und Seele
verstolpere. Da machen es die Fürsprecher besser; die reden zu, mag's nun kommen wie es
will; und wenn einer dem Volke ein Kompliment macht und sagt:
Die Wirthin wußte ihm nicht viel Tröstliches zu sagen. Das Mädchen rühmte sie, es sei
sich d'r werth anzusetzen für dasselbe seiner Person wegen, aber dppe wegem Reichthum
könne man es leicht anderswo
Resli ließ sich b'richten, nahm ein vierpfünder Zuckerstöckli und ein Pfund Kaffee in ein Säckli und marschirte gefaßt, als wie einer, der seine Seele Gott befohlen muthig und todesgewärtig ins Feuer der Schlacht geht, dem Dorngrütt zu.
Bald lag es vor ihm halb alt, halb neu, halb grau, halb blank, und welches ihm besser
gefiel das wußte er nicht. So geht es noch Manchem mit Alt und mit Jung, daß man nicht
weiß, was einem besser gefällt, und ganz besonders, wenn Alt und Jung unter einander ist,
wie Kraut und Rüben, wird einem das Urtheil schwer. Indessen kömmt's halt nicht aufs Dach,
sondern auf die Leute an, ob's einem unter einem Dache gefällt und wohl ist, oder
z'kunträri. Es gibt strube Dächer es ist einem wohl darunter, wenn
Je mehr man hoschet, desto ängster wird einem,denn um so Wunderbareres erwartet man; so
ging es Resli. Er hoschete zum ersten Male, wartete, hoschete zum zweiten Male, wartete,
wartete länger, endlich zum dritten; aber stark klopfte ihm das Herz, alle
Resli machte sich so höflich als er konnte; aber die Bäuerin hieß ihn nicht hinein
kommen, sondern blos abhocken auf dem Bänklein vor der Küche. Dort gab er ihr sein
Säcklein, sie solle es leeren, er sei in der Nähe vorbei gekommen und hätte gedacht, er
wolle ein Zeichen thun für die Müh und Kosten, welche sie seinethalben gehabt. Die
Baäuerin sagte: „E, aber ney! Daran haäͤtte ich doch nicht gesinnet; das hat sich nicht
nöthig, b'häb's“ (behalte es). Aber Resli setzte nicht ab und brachte die Bäuerin bald
dahin, daß sie sagte: „He nu so de, weds zwänge witt; aber es hätt si notti nüt brucht.“
Sie ging hinein; bald darauf hörte man es lustig knistern in der Küche, und als die Bäurin
wieder kam, hatte sie ganz freundliche Augen, es war, als ob sie ihr der Zucker so süß
gemacht hätte. Er müsse warten, sagte sie Resli, ohne
„Es freut mich, sagte Resli, wenn ihr das glaubt,und deswegen hoffe ich werdet ihr ein
gutes Wort für mich einlegen. Z'Sach wird doch wohl zu äͤndern sein,und dem Meitschi wär's
auch recht, wie ich Grund habe zu glauben.“ „Es thut wüst, ja ich weiß es wohl, aber es
hilft ihm nichts, als daß es nachher um so böser hat, sagte die Alte. Sie machen es einem
so, die donnstigs Grännine; nimmt man sie gerne, so halten sie einem vor, man sei ihnen
nachgelaufen, und wehrt man sich und muß doch ane kneue, so treiben sie es einem ein, das
man Anfangs vergehen möchte vor plären, nachher bessert es einem.Ich habe es auch erfahren
und weiß wie es geht.“„Darum, sagte Resli, seid eine Mutter am Meitschi,legt ein gut Wort
für ihns ein, macht die Sache mit dem Alten krebsgängig, ihr sollt euch euer Lebtag nicht
reuig sein; z'Meitschi will ich auf den Händen tragen und euch auch.“ „Hör chäre, sagte
die Frau, es hilft nüt. Mein Mann hat einen Gring, wie ein Landvogt, was er einmal darin
hat, das bringt man ihm nicht mehr daraus. Nun setzt er an die Heirath mit dem
Kellerjoggi; es ist ihm wegen den Buben. Das sei das Einzige, für was man die Meitscheni
brauchen könne, daß man sie reich heirathen mache und öppe daß die Buben noch zum Erben
kämen, so mehre sich die Sache, statt daß sie sonst mindere und die Buben durch die
Meitscheni zuletzt über Nichts kämen. Und es ist wahr, Kellerjoggi ist reich, und wenn
Alles öppe
„Aber Mutter, sagte Anne Mareili, du wirst doch nicht begehren, mich so unglücklich zu
machen; haäb auch ein Gefühl für mich!“ „Höör chäre, sagte die Mutter, du weißt ja, wie
d'r Aetti ist und was ich zu einer Sache zu sagen habe. Und so wegem Manne ist's wäger nit
d'rwerth z'Wüstist Alles z'mache. Am End kömmt's aufs Gleiche hinaus, nehme man den oder
diesen, öppe e chly besser oder e chly böser, es ist e g'ringe Unterschied; und wenn es
schon nicht nach dem geht, was man im Kopf hat, deswegen fährt einem der Kopf doch nicht
ab, darauf chast zehle. Ih hät sust scho 30 Jahr kene meh.“ Man gewöhne sich an Alles.
Dreißig Jahre sei es nie gegangen, wie ste gewollt, deretwegen würde es ihr jetzt gar
ungewohnt vorkommen, wenn es einmal ginge, wie es sie dueche,daß es ihr anständig wäre.
Und wenn d'r Aetti einist abgehe, und sovli lang gehe es nicht mehr, sie sage es noch
einmal, so hätte sie den Glauben zu ihnen,daß sie es bei ihnen nicht am bösten haätte.
Aber was nicht sein könne, müsse man nicht zwängen wollen,und wenn man zuweilen ein gutes
Tröpfli Kaffee habe,so lerne man sich in Manches schicken, wo man Anfangs geglaubt, es
wolle einem in die Luft sprengen.So tröstete die Mutter, aber dieser Trost schlug nicht
ein. Trost und Gemüüth verhalten sich gar seltsam zusammen, und gar selten weiß ein
Mensch, ob er mit seinem Trost Oehl oder Wasser ins Feuer gießt.Die Einen trösten, und
haben selbst den Glauben nicht zu ihrem Troste, und Andere trösten, nach dem es sie
duecht, und denken nicht, daß es den Andern ganz anders duecht.
Sie bat ihns, es möchte gehen; zu Resli sagte sie,es dueche sie, es sollte ihm lieb sein, nicht Ungelegenheit zu haben, und wenn sie ihm zu Gutem rathen könne, so solle er gehen, so streng er möge, und an ihrem Meitschi würde er doch eben nicht Alles erobern,z'Sach sei den Buben und von der Haushaltung verstehe es nichts, es hätte z'Sach geng alles a Seye glah, es v'rstang i Gottsname nüt, als so grad ane dryz'schlah; so ein Bursch, wie er sei, könne es hundertmal besser machen, und wenn sie ihn wäre, so wollte sie doch nicht so Mühe haben, wo es nichts als Verdruß gebe. Aber auch zu ihm redete die Bäurin wie an eine Wand, und je strenger sie redete, desto weniger achteten sich die zwei ihrer, sondern führten Privatgespräche. Da ward die Alte endlich böse und sagte: „Ih säge n'ech zum letzte Mal, göht. U wenn d'r nit ganget, su luegit de. Ob de d'r Alt chunt oder d'r Tüfel, es chunt ech i eys.“
Da ging die Thüre auf und der Alte trat ein.„Herr Jesis! er chunt, er chunt,“ rief die
Bäurin und machte sich hinaus. „Das geht lustig“, sagte der Bauer, doch eben nicht zornig,
„grad wie es im Sprüchwort heißt, wenn die Katze aus dem Hause ist so tanzen die Mäuse.
Haben sie dich schon wieder gefunden hinter einem Hag?“ „Nein, sagte Resli, dießmal bin
ich selbst gekommen. Mutter und Vater alten und sind schon lange an mir, daß ich weiben
solle;aber es hat mich bisher nie duecht, daß ich möchte,
Die Mutter war draußen und hatte sich wohl gehütet, in die Nähe zu kommen; sie hatte es akkurat wie ein Knabe, der brennenden Schwamm auf einer Schlüsselbüchse hat oder auf einem Feuerteufel; er horcht ängstlich, ob's nicht bald losgehe, aber das Gesicht häͤlt er wohlweislich so weit als möglich vom Feuer ab.
Als Anne Mareili hinaus kam erschrack sie und meinte, sie müsse vor Gericht; als es aber
seinen Auftrag ausrichtete frug sie freudig: „Was, hat er zugesagt, ist z'Sach richtig?“
„Nichts hat er gesagt,sagte Anne Mareili, er thut, als ob er von Allem nichts gehört und
redet da von Ziger und Käsmilch,daß man vor Ungeduld fast selber Ziger wird. Ich kann mich
gar nicht auf den Aetti verstehen.“ „Zähle darauf, sagte die Mutter, es hat etwas
Ungerades gegeben mit Kellerjoggi. Die alte Säble! Es wird einer den andern betrügen
wollen, und jeder wird meinen, der andere solle es nicht merken. Uese Aetti wird öppis
g'merkt ha, und nit zwüsche Stühl und Bänk welle; er het lieber Figge und Mühle.“ „Weiß
nit, sagte Anne Mareili, aber Figge und Mühle koöͤnnen auch fehlen, das erfährt
gegenwärtig so manche stolze Tochter, die sich in ihren Aengsten die Beine abläuft um
einen Mann, und vor lauter Figge und Mühle zu einem unehlichen Kinde kömmt. Es ist jetzt
afe eine Schande, eine Bauerntochter zu sein, und man nimmt bald alle in eine Wid“ (Band).
„Ja,sagte die Mutter, d'Welt ist afe schlecht.“ „Ja, sagte Anne Mareili, aber noch manches
Meitschi sinnete das
„He, wennd' meinst ihr habet Laden, einen Baum zwei Zoll und zwei anderthalbzöllige, aber
saubere, so wäre es möglich, daß ich die andere Woche hinaufkäme, wenn man etwa ein Roß
entmangeln kann.“„Deren, sagte Resli, haben wir zum Auslesen, und wenn ihr mehr mangelt,
so braucht ihr auch nicht weiter. Aber von wegen der Tochter möchte ich fragen.wär's euch
wohl anständig?“ „He, sagte der Bauer,preßire wird das öppe nit sövli, man hat danach alle
Zeit davon zu reden und z'Meitschi ist uns nit sovli
Der Eröffnung hörte Anne Mareili mit großer Andacht zu; ein Berg glitt ihm vom Herzen,
vor ihm that der Himmel sich auf, aber wie er herunter war,rutschte langsam der Berg
wieder das Herz hinauf, der Himmel schloß sich wie ein Blitz und schwarze Angst
„Geh und köhl (hole Kohl, Kraut) de Säue, für selligs het me d'Wyber, i z'angere häb
dNase nit,sust überchunst druf, es geyt di o hell nüůt a.“ Da aber doch selten ein Mensch
ist, der nicht seine Stunden hat, in denen er gerne schwatzt, oder der nicht
An einem Sonntag ging der Dorngrüttbauer selten aus, wenn er nicht irgend einem Geschäft nachfuhr mit Roß und Wägeli, manchmal um Holz aus, manchmal um eine Kuh oder sonst was. Er rechnete am Sonntag, und Nachmittags war meist Jemand da, der mit ihm verkehren wollte, bald ein Metzger, bald ein Zinsmann, bald ein Nachbar, der Rath suchte, bald ein anderer, der Geld wollte.
An jenem Sonntag that er wie gewohnt und Anne Mareili bebte nur vor einem heranfahrenden
Kellerjoggi;aber es wußte doch immer was ging, und hatte den Vater so zu sagen unter den
Augen. Wie erschrak es aber, als er, sobald er zu Mittag gegessen hatte, sich sundigte,
den Hut bürsten ließ und abzog, ohne zu sagen wohin, aber in der Richtung eines
Wirthshauses,
Unwillkürlich zog es Anne Mareili dem Vater nach,aber bis es sich z'weg gemacht, war er seinen Augen längst entschwunden, aber dennoch mußte es gehen.Es werde ihm Neue so angst, sagte es der Mutter,es duechs, es müsse ein wenig vor use. „He nun, so geh, sagte die Mutter, aber mach, daß du heim bist für d' Sach z'mache. Auf die Jungfrauen kann man sich nicht mehr verlassen, gäb wie man es ihnen sagt,wenn die hinter sieben Zäunen ein Bubenbein sehen, so bringt man sie mit keinem Lieb mehr ab Platz.“
Anne Mareili ging der Richtung nach, in welcher der Vater gegangen war, aber keine Spur vom Vater fand sich mehr. Wege liefen nach allen Richtungen aus, es wählte nicht, lief den geradesten; bald stand vor ihm das Dorf, wo ihre Kirche stund, und nun fiel auf einmal ihm die Verlegenheit aufs Herz, was es dort machen, was es z'Wort haben wolle, und wenn es durchs Dorf durch sei, wohin aus es denn wolle. Wenn es gesagt häatte, es wolle ein Kehrli machen, spazieren gehen, man hätte es angesehen, wie einen Stier ohne Hörner, ein Schwein ohne Ohren,und bis dato noch schämen ehrbare Mädchen auf dem Lande sich des Kehrlis und Spazierens ohne Ziel; sie spazieren auch, aber sie haben entweder etwas beim Schuhmacher zu verrichten, oder möchten sehen was ihr Flachs mache, oder der Hanf auf der Rösti. Dann war es so früh, und es kam daher wie aus einer Kanone; so wegen mir nichts und dir nichts kömmt man aber nicht so früh und so wie aus einer Kanone.
Da fing es an zusammenzuläuten zur Kinderlehre.
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Jetzt duechte es Anne Mareili, dahin möchte es einmal wieder und alsbald fiel ihm bei, wenn es die Leute frügen, was es da wolle, so könne es zWort halten, sie hätten einen Ackerbub, und es nähme ste wunder, wie der antworte und ob ihm der Herr wohl erlauben würde. Das könnte freilich noch Mancher z'Wort haben, um zur Kinderlehre zu gehen; aber leider sind der Mütter, der Väter gar zu Viele, die sich nie darum kuüͤmmern, wie ihr Kind dem Herrn antworten koönne in der Kinderlehre, die sich eben so wenig darum bekümmern, was einst ihr Kind dem Herrn antworten müsse am Tage des Gerichtes. Aber wartet nur, es kömmt eine Stunde, wo ihr anhören müßt,ihr mögt wollen oder nicht, was das Kind antworten muß, und wehe dann euch, wenn das Zeugniß gegen euch ist, euch anklaget als Seelenmörder, und Seelenmörder ist noch ganz was anderes als Leibesmörder.Dann gehen euch die Ohren auf, sie mögen verpicht sein wie ste wollen, und die Predigt könnt ihr nicht verschlafen, wie manche auf Erden ihr auch verschlafen habt; die Donner des Zornes Gottes wecken, darauf könnt ihr euch verlassen.
Anne Mareili mäßigte, sobald es den Fund gethan,seinen Schritt, und ging ganz zimpferlich
ins Dorf,wie es sich Dorngrůttbauerntochter ziemte, suchte so ungemerkt als möglich zur
Kirche zu gelangen, und wenn ihns Jemand ansprach, so brachte es seinen guten Grund vor,
gegen welchen man ihm gewöhnlich einwendete: He, was witt, laß du die zusammen
Als Anne Mareili in die Kirche kam, hatte es verläutet, der Herr den Psalm verlesen, schon ging die Orgel, mit gwunderigen Augen sahen sich die Kinder nach ihm um, daß es ganz roth ward und fast reuig,daß es gekommen.
Wahrend die Orgel ging, gingen seine Gedanken dem Vater nach, sahen, wie er den Kellerjoggi fand,wie sie Frieden machten, sah den Tritt vor dem Taufstein und dachte sich, wenn es da knien müßte mit dem alten an Leib und Seele wüsten Manne, sich verkaufen lassen müßte mit Leib und Seele, wie es unter Christen, und zwar unter den vornehmsten, am öftersten üblich und bräuchlich ist. Immer lebendiger trat ihm der Alte vor's innere Gesicht; es sah ihn dort knien, sah sich an seiner Seite, sah wie der Pfarrer las und immer las und immer näher die Stelle kam, wo es Ja sagen sollte; immer enger schnürte sich sen Herz zusammen, es dünkte ihns, als müßte es ersticken oder geradeaus in die Kirche hineinrufen,Nein, Nein und immer Nein in alle Ewigkeit. Da schwieg plötzlich die Orgel, aber seine Beklemmung lösste sich nur langsam; Göller und Hemde und Kittel,alles war ihm zu eng geworden, denn wo es einem zu eng ums Herz wird, da ist kein Göller weit genug,da ist selbst Gottes weite Welt zu eng. Aber wenn es einem zu eng wird in der weiten Welt, da findet man wohl ein ruhig frei Platzchen im eigenen Herzen,wenn man ein Herz darnach hat.
Da begann der Pfarrer zu reden, wie es draußen
Wenn ein reicher Segen Scheuer und Spycher füllte, so dankte man nicht Gott, sondern aß
und trank um so reichlicher an den Sichelten und that um so wuüster, und wenn das Wetter
Verderben drohte, so grollte man mit dem Wetter, aber um besseres bat man den Herrn des
Wetters nicht; was dieses eintrage, jenes schade, so rechnete man, aber was der Herr zu
diesem sage und zu jenem, so frug man nicht;eines war des andern Feind, jedes lauerte auf
seinen Vortheil und des anderen Schwäche; zwischen den selbstsüchtigen Herzen mittelte
Gott nimmer; darum war daheim ein so düster und unheimlich Sein. Das hatte Anne Mareili
schon lange gefühlt, aber so klar war es ihm nicht geworden; so klar war es ihm nie
geworden, wie es selbst trotz der eigenen Unheimlichkeit erfasset sei und unterthänig
ihrem bösen Hausgeiste.War doch Gott ihm kein Trost, suchte es doch im Gebete den Frieden
nicht, hatte doch all sein Glauben wenig Einfluß auf seine Stimmungen, suchte sein Auge in
keiner Schickung Gott, war ja auch sein Leben
Weit komoder als dies ist's freilich, wenn man annimmt, unser Fleisch sei unser Gott, und was das wolle, sei recht; da ist die Einheit rasch da, aber es ist die Einheit, welche bereits in der Maus und in der Katze, im Hunde und im Haase ist. Komod ist's wieder, wenn man unser Fleisch für einen dürren Ast erklärt, der nichts mehr zu bedeuten hätte, also den Glauben oder den Geist nichts anginge, so daß was allfällig noch mit ihm vorginge, ehe er voöllig zu Staube wuürde, sie nicht im mindesten zu verantworten hätten.Das ist den Worten nach zwei, aber dem Wesen nach eins; es führt beides zu der Einheit, welche im Thiere ist, aus welchem wir uns empor winden, aber nicht
Gar Manche aber auch meinen, der aufgespeicherte Saame sei das Ackerfeld selbst, und
denken nicht, daß,was im Syycher wächst, Auswuchs oder Würmer sind.Was im Spypycher ist
muß man während es gesund ist mahlen, dann gibt es gesundes Brod, wird zu Fleisch und Blut
in gesunden Körpern, oder man muß es eben wieder aufgehen lassen in des Lebens Ackerfeld
zu neuer Frucht, zur Frucht, die bis in den Himmel reicht.
Als der letzte Gesang vorübergerauscht, der Pfarrer den Segen gesprochen, der Sigrist die
Thüre geöffnet,ging Anne Mareili ungern aus dem kühlen friedlichen Hause hinaus ins heiße
staubige Leben; es fühlte eben in sich Leben wogen, Gefühle kreisen; der heiligen Stunde
hätte es so gerne abgewartet innerhalb den stillen heiligen Mauern. Wer aber sein Leben
draußen hat, nicht drinnen, wer sein Gehör anstrengen muß,seine Sinne zusammen halten,
die, wie ein Trupp wilder Buben, sich nicht gerne stille halten an einem Orte, der mag
wohl kaum warten bis der Pfarrer schweigt, der Sigrist z'Loch aufmacht für die ungezogenen
Buben, die hinausfahren, ehe er es noch recht offen hat. Anne Mareili mußte mit den
anderen hinaus und trappete ins Dorf hinein, ohne daß es durch etwas gezogen ward, ohne
daß es wußte, wohin es wollte; innerlich war seine Seele gekehrt. Aber seiner selbst war
es nicht lange, erst rief ihm die Krämerin,kramen sollte es, dann riefen ihm zwei
Gefährtinnen,eine Halbe zahlen sollte es, dann kam die Wirthin und rief, d'Geiger seien da
und tränken nur noch einen Schoppen, die Hallunken meinten, sie könnten keinen Zug thun,
wenn sie nicht den Kragen voll hätten, sie sollten doch ja nicht weiter, im Augenblick
ginge es an.So umarfelte (umfaßte) die Welt das Meitschi von allen Seiten, zog es dem
Strudel wieder zu, an dessen
Mehr und mehr festigte sich in ihm der Entschluß,der Heirath mit dem Kellerjoggi, wenn sie wieder auf das Tapet kommen sollte, sich ernstlich zu widersetzen;war's doch keine Noth, sondern nur Zwang, den Eltern an sich selbst nichts geholfen, sondern nur den Reichthum der Brüder vermehrt, die deshalb um nichts besser mit ihm gewesen wären. Wollten sie ihm Resli nicht lassen, in Gottes Namen, darein wollte es sich fügen, und doch zog es ihns immer inniger nach einem
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So verschwammen ihm immer mehr Himmel und Erde und beide waren eins. Reslis Haus ward
sein Himmel und im Himmel schien ihm Reslis Haus, und so wanderte es langsam gedankenvoll
dahin, bis rohei wildes Bellen ihns weckte; es war ihr rother Mutz,der alle
Vorübergehenden neckte. Ach, wie viele Himmel gibt es nicht, aus denen ein rother Mutz mit
Bellen uns verjagen, ja manchmal eine einfache Katze,braucht nicht dreifarbig zu sein, mit
Miauen uns verjagen kann. Dort stand es lange und schaute ihr Haus und rechnete zusammen,
was Alles darin sei,wie man es haben könnte, wie man es hätte, und wie das Guthaben nicht
abhänge vom Garbenstock,nicht vom Heustock, nicht vom Schmutzhafen, nicht vom Geldseckel,
und wie es ihnen nicht übel ginge,wenn alles dies verbrennen thäte, indem sie es böser
nicht hätten, vielleicht besser, denn man käme wahrscheinlich der Wanzen los. Aber was am
meisten
Die Sonne senkte sich und Anne Mareili ging heim,ziemlich ruhig, was auch der Vater heim bringen möchte; denn nur so lange man nicht gefaßt zu sein meint, währt die Angst; ob man dann aber auch wirklich gefaßt sei, wenn man auch gefaßt zu sein glaubt, das ist eine andere Frage.
Von weitem schon kam ihm ihr Mutz entgegen und ränggelete mit dem Schwanz so weit es ihm
möglich war; denn wenn er schon ein wüster Hund war, so war er doch dankbar. Still war's
sonst ums Haus,blos die Enten schnaderten in der Mistgülle und die Schaafe blöckten zum
offenen Gatter hinaus; die Jung-frauen aber waren, wie die Mutter richtig gesagt, noch
weit von heim, werden wahrscheinlich auch in irgend einer Mistgülle geschnadert haben. Die
Schweine grunzten gewaltig als es bei ihnen vorbei ging; sie wußten auch, wer es war, und
als es in die Stube trat,berzete auch die Mutter im Nebenstübli, durch das Raxen der Thüre
aus ihren Träumen gestört. Es ist
„Bist du's?“ fragte die Mutter, und zog die Kappe wieder weg; „was ist für Zeit? Es wird Zeit sein zum Feuern; geh und mach z'weg; es muß z'weg Ymacht sein für die Saäu u für üs geyts de grad i eym, u was de nit da ist, cha hingernache luege.“
Anne Mareili, ein getreuer Adjutant, jedoch ohne galonirte Hosen (die Obersten sollen galonirte Schnäuze kriegen nächstens, an Geflemmten wolle man den Effekt probiren, heißt es), fütterte die Schweine an der Mutter Statt. Wie es eben dran war, den Trog zu putzen, kam der Vater daher, that die Thüre auf zum Stall; und wie Anne Mareili das Herz klopfte,während der Vater die Schweine besah, aber nicht wegen den eigentlichen Schweinen, sondern wegen Kellerjoggi, das begreift Niemand, als wem einmal aus Valters Lippen ein Urtheil gehangen hat, das, wie eine Kartätsche in den Leib, schlagen konnte in das Lebensglück. „Die thun nicht bös, sagte er; am kalten Märit konnen wir zwei vorab den Burgdorf-Metzgern geben, oppe eim, der Geld hat; wenn wir die andern ausmästen bis Lichtmeß, so wiegt jede drei und einen halben Zentner, und wenn morn mit willst d'r düruf,fo mach, daß du vor den Fünfen z'weg seiest.“
Man sagt bald, es sei einem gewesen, als ob Feuer durch einen durch gefahren, oder als ob
man einem mit Wasser beschüttet hätte über und über; aber wie es Anne Maxeili war, das
konnte es nicht sagen. Es wußte nicht, tanzte es mit dem Säutrog, oder fuhr es mit sammt
dem Haus durch die Luft, und ehe es begriff
Anne Mareili freute sich gar unbeschreiblich, je unoerhoffter und wie ausgemacht sein Glück, wie ein Engelein aus dem Himmel ihm vor den Füßen stund.Es hürschete in der Küche herum, daß die Mutter es daraus schicken mußte; es kehrte in seinem Stübchen das Oberste zu unterst und als es den Schaden umsah, hatte es lauter alte Rustig für Morgen z'weg gelegt und alles, was es wollte, wieder in den Schaft gethan. Es wollte nicht gäugelhaft erscheinen, sondern so recht ehrbar und anständig, wie es sich ziemt. Das ist aber für ein Meitschi ein schwer Ersinnen, wenn es dieses nicht von Jugend auf seiner Mutter absehen kann.
Es ist wohl nicht bald etwas so schwer, besonders wenn es ersinnet werden muß und nicht
angewohnt ist,als sich immer so zu kleiden, daß weder etwas Nachlässiges noch etwas
Narrechtiges zum Vorschein kommt,daß Jedermann sagen muß: das kömmt doch tusigs brav
daher, geng wie use me Druckli use, nut z'viel,nüt ð'wenig. Gäb wie leicht ein Bäͤndeli
z'viel, eins zu wenig, etwas schmutziges oder etwas glariges (schei
Anne Mareili hatte einen natürlichen Sinn für das Rechte, und die nicht zu kaufende Gabe der Nettigkeit;es stund ihm alles wohl, es strahlte so gleichsam aus den Kleidern heraus, und doch sah man gar nicht, daß
es angewendet, daß es gedacht: helf was helfen mag;es war meist alles so, daß man meinte, es müsse so sein und nicht anders, es hätte gleichsam gerade so von selbst sich verstanden. Was ihm aber die Sache sehr erschwerte, war, daß es nicht kaufen konnte, was es wollte, sondern daß ihm sehr viel Kleider kramsweise zukamen, bald vom Vater, bald von der Mutter,manchmal war es dabei, manchmal nicht, und weder der Vater noch die Mutter hatten je von Geschmack gehört; sie wußten nur was steych (stinke) und was wohl schmöck, und meinten, was sie schön duech, sei schön, und schön duechte sie, was himmelschreiend war,oder was wohlfeil war und doch, wie sie sagten, in die Augen schien. So krameten sie manchmal, daß es Anne Mareili das Wasser in die Augen trieb, während es schön danken mußte. Und was sie gekramet,das mußte es auch tragen, sie zürnten es sonst an ihm.Das Dümmste mußte es einige Male tragen, daß die Eltern es sahen. Das that es denn auch etwa als Gotte an einem Nebenausort oder in der Nähe herum,wo es wohl bekannt war, oder in der Familie, wenn es an irgend ein Mahl mußte. Hatten sie es so gesehen, so vergaßen sie es, und es konnte sich desselben wieder entledigen auf beliebige Weise.
Man kann sich daher denken, daß die Wahl Mühe kostete, besonders da die Toilette eines
Bernermädchens da anfängt, wo eine vornehme Dame noch gar nicht daran denkt, beim Hemde
nämlich; das Hemd bildet eine der köstlichsten Zierden. Ich weiß nicht wie Köoniginnen
Hemder tragen; selbst von der Viktoria ihrem,von der sonst allerlei in den Zeitungen
stand, habe ich nie etwas gesehen oder gehört, aber ich bin überzeugt, sie würde es kaum
merken, dem Stoffe nach, wenn man
Die Mutter hatte es recht boöͤse an selbem Abend und ward daher rumpelrurrig aus dem ff.
Anne Mareili war hell nichts für sie und keine Jungfrau kam heim, sie mußte die Sache (den
ganzen Haushalt) alleine machen. So Jungfräuleni kommen nicht heim,so lange eine Geige
geht, so lange noch Hoffnung zu einem Schick vorhanden ist; so Jungfränleni haben selten
Sinn für ihre Pflicht und christlichen Ernst im Leibe, sie haben nichts im Leibe als den
Sinn der Müuücke, die auch nichts kann als tanzen, und zwar am liebsten um ein Licht, bis
die Flügel verbrannt sind.Dann ist's mit dem Tanzen aus und ein elend Raxen faäͤngt an,
das währet bis endlich der Tod kommt.Was dann aber auch an einem solchen Abend wo sie
alles alleine machen muß, und am Morgen eine andere dafür ausfahren kann, eine Mutter
abzerrt, man glaubt es nicht, wenn man es nicht gehört hat. Es kömmt ihrer Umgebung wohl,
daß sie gewöhnlich alle ihre Vorsätze unterm warmen Federnbeite verschläft, sonst
Anne Mareili konute lange nicht schlafen, es war ihm viel zu heiß in seinem Stübchen und wenn der Schlaf kommen wollte, so kam die Angst auch; die hörte dann donnern oder regnen. Anne Mareili fuhr auf, steckte die Nase zum Läufterli aus, husch! war der Schlaf entflohen. Dann kam er leise wieder,drückte leise ihm die Aeugelein zu; plötzlich fuhr Anne Mareili auf und schrie: Halt, Aetti, Halt, Herr Jeses,Herr Jeses, m'r falle, lue doch d's Bort! Da saß es dann ganz verblüfft im Bette, wenn es merkte, daß kein Bort da war, schämte sich vor sich selbst, huschte unter die Decke, der mitleidige Schlaf erbarmte sich seiner wieder, drückte leise die Augenlieder nieder, ein angenehm Schnarchen ließ liebliche Töne hören. Da plötzlich ein lauter Schrei und boltz gerade stand Anne Mareili im Bette und schrie: „Häb, Aetti, häb, d'r tusig Gottswille, hab, häb, lue der Kohli het Fecke und wott flüge.“ Das lächerete wohl den Schlaf, aber boshaft ist er nicht, er ist der Menschen mildester Freund auf Erden. Alle Abende kömmt er mit Bechern voll süßer Labung und stärket die Menschen zu neuem Tagewerk. Wie eine treue Mutter zum dritten und vierten Male ansetzt, einen heilenden Trank dem kranken Kinde einzuflößen, so thut auch der Schlaf. Nur wo er weiß, daß einem recht Noth thäte an den Himmel zu sinnen Tag und Nacht, weil gar zu weit er noch von der engen Pforte ist, da koömmt er nicht, da gibt er dem Menschen Zeit zum Sinnen. Aber gar
viele Menschen verstehn ihn nicht und sinnen nur an die Welt, deren eben das Herz voll ist.
Zum dritten Male aber kam er zu Anne Mareili wieder, nahm aber dießmal süße Bilder mit, ob denen Anne Mareili nicht erschrak, in die mit süßer Wonne es sich versenkte; denn lieblich wurden seine Mienen,ein Lächeln schwebte über ihnen, dem süßen Dufte gleich, der aus den Blumen steigt. Der schönste Tag brach an, es merkte ihn nicht; goldene Sonnenstrahlen gwunderten übers holde Maädchen hin, ste weckten es nicht; ste glänzten in seine Träume hinein, zauberten den süßesten Tag herauf, den es je erlebt. Aber wie die schönsten Tage gewöhnlich mit Gedonner enden, so fuhr in seinen schönsten Traum auch die Stimme der Mutter: „Seh, wennd' doch mit willst, so steh auf,das ist doch afe kei Manier, im Bette liege bis man fort will und Alles a mi z'lah.“
Da that Anne Mareili einen Satz wie ein Roß in der Schlacht, wenn ihm eine Bombe oder sonst etwas auf den Kopf fährt, stand mitten im Stübchen, wußte aber lange nicht wo es war, bis es den Tag vor den Fenstern sah und die Kleider rings auf Tisch und Stühlen. „Herr Jeses, Mutter, hab' ich mich verschlafen, sagte es, und doch so früh auf wollen. Zürn doch recht nicht, ich bin gleich z'weg.“
Mit dem Dorngrüͤttbauer war nicht zu spaßen, und wenn einer ein streng Regiment führt, so
thut er alles eher als warten, das wußte Anne Mareili und hexete sich z'weg, man wußte
nicht wie; aber als es fertig war, rann ihm der helle Schweiß von der Stirne. Es kam ihm
wohl, daß sein Gesicht das schwitzen erleiden mochte, was bekanntlich nicht alle Gesichter
vermögen,und daß es sich schicken konnte ohne eben zu pfuschen,
Anne Mareili war gut getrüllet, absenderlich vom Vater, der für Niemand Nachsicht und Geduld hatte;wer mit ihm fahren wollte, mußte z'weg sein; war er fertig, so saß er auf, und saß er oben, so sagte er Hü! und wer nicht fertig war, konnte nachspringen oder daheim bleiben. Bei ihm hätte noch manches Ding, Frau oder Tochter, das Schicken gelernt und das Springen.
Es war daher fertig, wunderbar schnell (o, was die Meitscheni sich schicken kͤnnen, wenn's sein muß nämlich, man glaubt es nicht); es hatte weder das Nastuch vergessen, noch die Brasselet zu den Myten,welche es freilich erst auf dem Wege von der Küche zum Wägeli anzog; aber als der Vater absaß, hatte es schon den Fuß auf dem Tritt und in diesem Fall war er doch nicht Hungs genug zu sagen Hü! er wartete dann bis man wirklich niedersaß. Die Mutter trappete, trotz dem, daß ste daheim bleiben mußte,nach bis zum Wägeli; sie hoffte auf ein freundlich Abschiedswort von ihrem Alten. „Daß ihr mir dann
heute fertig werdet mit Werch ziehen, sagte dieser, und spreitet es dann sogleich auf dem
Moosacker, daß es aber gemacht sei, wenn ich heim komme. Hu, Kohli,“
(Schluß der im Aten und Aten Bändchen begonnenen Erzählung.)
Es hat was eigenes und wirkt auch eigens ein auf unser Gemüth, unserem Glück entgegen zu traben in frischem hellem Morgenwinde. Mancher Fähnrich hat dies erfahren, der in den ersten Morgenstrahlen mit fröhlichem Trompetenklang seiner ersten Heldenthat entgegenritt. Des Feindes Feldmarschall wollte er zusammen hauen in Mitte der Armee, wollte der Erste sein auf dem Mauerkranze, der Erste auf der Feuer sprühenden Batterie, und wie immer enger und enger das Herz sich zusammenzog, je näher die Stunde der That anrückte, wird er ebenfalls erfahren haben. Das Gleiche hat mancher Schütze erfahren, der lange von Bechern,Stutzern und Goldbarren geträumt, an schönem Morgen dem ersten Schießet entgegen fuhr, in grünem Kleide,im Jubel der Gefährten. Wie er auf den Platz der Ehre kam, da dutterte ihm das Herz, es zwirrte ihm vor den Augen, so klein war die Scheibe, so weit der Stand! Gerne hätte er das Schießen aufgeschoben,
aber es rennt von dannen die Zeit, dann trinkt man sich Muth ins Herz, will mit 34ger den Schlotter aus den Armen treiben, und doch zittert der Stutzer in der Hand; ob man den Zweck von oben oder von unten zu nehmen habe, weiß man nicht mehr, und aus dem Stutzer fährt der Schuß, man weiß nicht wie und nicht wohin. Allweg nicht in den Zweck, oft nicht einmal in die Scheibe.
Was eines Mädchens Herz bewegt, wenn es bald,bald, am Ziele ist, welches es mit ganzer Seele erfaßt hat, kann man sich denken. Aber wie es schlägt, wenn es einer Hölle entronneu und dem Himmel entgegen fährt, bald, bald, ihn erreicht, das kann nur der recht sich denken, der auch einmal vom Höllenthor weg noch gen Himmel fuhr. Aber je näher man dem Himmel kommt, desto mehr will es einem schwindeln, desto mehr ängstigt die Kluft, welche noch zwischen uns und dem Gestade liegt, desto mehr fällt uns ein, was uns am glücklichen Landen hindern könnte. Wenn der Kornet in die Schlacht reitet, so ist es Gott und er, welche die Sache ausmachen, und steht der Schütze im Schießstand, so ist zwischen seinem Stutzer und der Scheibe nichts als ein Bischen Lust. Ehedem kam noch manchmal der Zeiger dazwischen, jetzt ist dem auch abgeholfen.Wie viel schwerer hat's ein Mädchen, neben dem ein zwängischer Vater sitzt, mit appartigem Kopf, und das auf G'schaui zu einem jungen Burschen fährt, wo Vater und Mutter und Geschwister sind, und wahrscheinlich alle mit appartigen Köpfen, und diese Köpfe alle haben etwas zu sagen, können sich stellen zwischen ihns und sein Ziel!
Der Vater sprach nicht viel, er dachte seinem Ladenhandel nach; die Tochter sprach in dem
Maße noch
weniger, als ein Herzhandel das Herz mehr angreift als ein Ladenhandel. Manchmal schien
ihr der Kohli so langsam zu gehen, daß ihm ein „Hü, Hü,“ nach dem andern auf die Zunge
kam, und manchmal schien ihr, als kriege derselbe Flügel, und müsse sie rufen:„O Aetti,
Aetti, häb, häb!“ Auf einmal hielt der Aetti wirklich still. „Herr Jemer, wo sy m'r?“ rief
Anne Mareili, welches plötzlich die Angst ankam, sie feien schon an Ort und Stelle.
„Z'Herrlige,“ sagte der Vater, gab dem Stallknecht das Leitseil und sagte ihm: „spann aus
und das Roß bleibt über Mittag hier.“ Jetzt wußte Anne Mareili, daß es absteigen solle,
und daß Liebiwyl in der Nähe sein müsse. Dem Rosse nach ging der Vater in den Stall und
Anne Mareili stund zwischen Wägeli und Wirthshaus, wußte nicht was machen, und als das
Stubenmeitli ihns hineinkommen hieß, sagte es, es wolle dem Vater warten,es wisse nicht,
was der im Sinn habe. Der hatte im Sinn hinein zu gehen, wie es sich erzeigte und Anne
Mareili folgte ihm. Drinnen kannte ihn der Wirth,that erfreut, ihn zu sehen und frug, was
ihn Appartes einmal in ihre Gegend bringe, wo man ihn sonst nicht zu sehen pflege. Der
Dorngrütbauer that vertraulich und sagte, er hätte noch etwas an Holz und Laden nöthig und
gedacht, er wolle hier durch kommen, er (der Wirth)könne ihm vielleicht rathen, wo er es
am besten und wohlfeilsten finde „Mit dem Holz ist es bös, sagte dieser, es geht alles
fort, wir können ihm nachsehen und bald unser eigenes nicht mehr sägen lassen. Die Sager
sägen auf den Kauf hin und uns Bauern lassen sie warten, bis die Würmer im Holze sind, und
gäb wie wir bitten und fluchen, so zäpfeln sie uns nur aus.Dürre Laden oder Holz sind rar,
öppe hie und da noch
keinem Wirth mehr etwas. Nüt für ungut z'ha! Es werden die Bauern öppe auch alle Tage
witziger, und sie müssens, wenn sie die Haut unter den Ohren behalten wollen, und es ihnen
nicht gehen soll, wie den Haasen, die immer rarer werden, je mehr Jäger es gibt.“ „Sind
die Leute reich?“ „Ja, antwortete der Wirth, das sind noch Bauern, wie ehedem
gewesen,haben noch Würze, hängen nicht zu oberst in den Aesten und müssen nicht, wie so
Viele jetzt, wenn sie drei Dublonen mangeln, um Geld aus, und um Milch,wenn sie ein Kaffe
machen müssen ung'sinnet.“ „Ho,sagte der Dorngrütbauer, es wird doch dere noch mehr geben,
welche einen Tropf Milch übrig haben und einen Kreuzer Geld, und mügli wär's, daß d'Wirthe
auch noch oft froh darüber sind, wenn sie Geld bei Bauern finden, oder eine Kuh, und
manchmal zwei dings haben können.“ „Es gibt auch beider Gattig, sagte einlenkend der
Wirth, aber wenn ich rathen kann, so geht dorthin, reuig werdet ihr nicht werden.“
„Allweg, sagte der Bauer, will ich zuerst zur Säge, liegt beides an einem Wege?“ „Nein,
sagte der Wirth, dort bei jenem Haus mit dem rothen Dache gehen sie voneinander,und jhr
müßt wieder zurück bis dort, um von der Sage nach Liebiwyl zu kommen.“ Als nun Vater und
Tochter zum neuen Dache kamen, sagte der Vater zu Anne Mareili: „geh du afe, wenn sie etwa
nicht daheim sind, so kann man sie rufen, damit ich nicht lange warten muß, von wegen,
noch heute wollen wir heim und es ist weit.“ Somit ging er links und ließ Anne Mareili
stehen. Das wäre gerne in den Boden gekrochen, wenn ein Loch da gewesen wäre, bis der
Vater wiederkam, aber da stehen durfte es nicht, es mußte rechts, wie schwer es ihm auch
ward. Was man
Mutter und doch kein Bohnenstecken, hat eine schöne Haut, fufer, nit kühroth, aber auch
nicht wie ein ausgewaschener Fürfuß, läng Züpfe, dunkle Augen und
Von dieser Seite her kam man zum Hause, ohne andere Häuser zu berühren, es lag in weitem
Baumgarten,rundum ein geräumiger Platz, aber nirgends ein verzattert Stück Holz, nirgend
herumliegend Stroh, alles wie an einem Festtage, freundliche Blumen in den Fenstern, auf
der breiten Terasse sonnete sich ein alter Hund,der ohne Bellen, aber freundlich wedelnd,
ihnen entgegen kam. Der Vater schnefelte im Holzschopf, die Mutter hutzte Saamen, und
Annelisi fegte das Milchgeschirr beim Brunnen. Von dort sah es Anne Mareili zuerst hinter
dem Kleewägeli mit Resli gehen, ließ das Melchterli fahren, schoß zur Nebenthüre hinein,
zur vordern hinaus, rief der Mutter zu: „sie kommt, sie kommt!“ und husch wieder hincin
und davon und hörte
Gesichtspunkt man ins Auge faßte. Ging man von einem vornehmen Standpunkt aus, so war Anne Mareili schöner, schlanker, und von regelmäßigern Zügen;faßte man das Wesen ins Auge mit mehr bürgerlichem Auge, so war Annelisi beweglicher, lustiger, von geistiger und leiblicher Frische, welche eben gern in einem rundlichten Wesen wohnt, nud welche man eben nicht für vornehm hält.
Die blanke Küche, die schöne, helle, große Stube,fielen Anne Mareili auf, so hatten sie
es nicht daheim,und als es unter der Küchenthüre noch nach außen sah, in den schönen
Garten, über Matten und Felder weg, in deren Mitte so frei und stattlich das blanke Haus
stand, so mußte es bekennen, daß es einen schönern Bauernsitz noch nie gesehen, und
mächtig bewegte sein Herz der Gedanke, was es heiße, hier Bäurin sein zu konnen! Und doch
fühlte es sich gedrückt, unwohl, und eine Art Beklemmung nahm immer zu, fast wie gewisse
Leute des Morgens sie empfinden, wenn es Abends ein Gewitter geben will. Alles war so
freundlich gegen ihns, alles gefiel ihm so wohl, man stellte ihm, gäb wie es sich wehrte,
den besten Kaffe auf, wie sie ihn daheim nie hatten, Käs und weißes Brod, und alle nahmen
sich Zeit, bei ihm zu sein, und keinem Gesicht sah man Aerger an, daß man so für nichts
und wieder nichts, ume so wege me ne Meitschi, einen heiligen Werktag versäumen müsse. Es
fühlte, daß da ein viel manierlicher Wesen sei als bei ihnen, so eine Art von Haussitte
und Anstand, welche man im Weltsche hinger nicht lernt, welche zusammengesetzt ist aus
Gutmüthigkeit und gegenseitiger Achtung, welche zur andern Natur geworden, und welche
Kinder gegen Eltern üben und Eltern gegen Kinder, und wenn sie alleine sind
Das ist aber noch gar nichts gegen einen Liebhaber,dessen Mädchen zum ersten Mal zu seinen Eltern kömmtz der möchte, daß sein Mädchen thäte, wie die leibhaftige Liebenswürdigkeit und daß seine Eltern mit dem Mädchen thäten, wie mit einem leibhaftigen Engel, der grad Wegs vom Himmel gekommen. Er hat Angst nach beiden Seiten hin, sieht mit einem Auge auf das Mädchen, mit dem andern auf die Eltern; bald meint er,es fehle hier, da will er hier nachhelfen, dann scheint's ihm dort zu hinken, er will dort nachhelfen, kommt dabei in eine Art von Fieber, wird selbst am unliebenswürdigsten, macht kehrum alle taub, und am Ende gehts ihm wie einem ungeduldigen Weber mit einer verhürscheten Strange schlechten Garns. So ging es freilich Resli nicht, dazu war er eben zu adelich, aber fast Blut schwitzte er doch. Sein Meitschi war so seltsam, so schweigsam, fast pumpelrurrig, daß er es kaum mehr kannte, fürchtete, man hätte irgendwo gefehlt, oder Christelis Rede rüche auf (Geruch von sich geben, nachdem es verschluckt ist). Er ward um so freundlicher;Anne Mareili merkte es wohl, aber es machte ihm die Wirkung, als ob Jemand den Hals ihm zusammen schnüre, es konnte fast keinen Laut mehr von sich geben.
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fortfahren, aber nicht unerchant, und luegen dazu, und nur so zuweilen mit dem nassen
Finger ganz leise und süferli ein Brämi abmachen. Mit solcher junger Weiber
Liebenswürdigkeit oder Erbsünde (ist fast ein Thun)ist's ungefähr wie mit einem
Bienenstock, der schwärmen will, wehren kann man ihm nicht, aber reisen (weisen)kann man
ihn mit süferli Thun, das aber versteht gewöhnlich nur, wer schon mehr dabei gewesen ist.
Das war Resli nie, darum vermochte er Anne Mareilis Gemüth nicht zu reisen, gäb wie er
anwendete, und ihm Gelegenheit zu geben meinte, sich zu zeigen in der Holdseligkeit,
welche Resli an ihm gerühmt hatte. Die Ankunft des Vaters machte eine Unterbrechung,
erleichterte aber Anne Mareili nicht. Es nahm Aergerniß am Vater und hatte die größte
Mühe, dieses nicht auszusprechen. Obgleich es selbst nicht recht wußte, wie thun, so
duechte es ihns doch, es sollte den Vater b'richten, was anständig sei und was er reden
solle und was nicht, und wenn Resli auf Dornen saß, so saß dagegen Anne Mareili auf
glühenden Kohlen. Dem Vater dagegen war es recht behaglich, er aß und trank,und weil er es
umsonst hatte, noch zweimal so viel als gewöhnlich, er kaufte Laden, und weil er sie weit
unter dem Preise erhielt, zweimal so viel, als er brauchte,und weil er Großmuth am Brett
sah, so hätte er dem Liebiwylbauer Roß und Kuhstall ausgekauft ums halbe Geld, wenn der
nicht, klug genug, gesagt hätte, wegem nahen Säet mangle er Zug und wegen den vielen
Leuten Milch, so daß er weder Kuh noch Roß entmangeln könne. Darum machte der
Dorngrütbauer sich hinter eine Staatskalbete, und da diese weder Milch gab noch Zug,
sintemal eine Staatskalbete einstweilen zu nichts anderem taugt, als zum Fressen und
Ansehen, so galt
Anne Mareili war bei diesen Staatsaktionen nicht,es besah derweilen mit Annelisi die
Plätze. Als es beim Heimfahren sich nicht enthalten konnte, dem Vater zu sagen, es müsse
sich fry schämen, wie er die Sache bekommen hätte, so erhielt es zur Antwort: „So schäme
dich, es kostet nichts. Aber wenn'd nit es Babi bist, so laß dir gesagt sein, daß man die
Birnen schütteln muß wenn sie fallen wollen.“ So ging der Morgen um und in die Stube
mußten sie wieder, wo ein Mittagessen z'weg stand, wie im Dorngrüt noch keines auf den
Tisch gekommen, so nett und appetitlich, und nicht blos so grad ane Schnitz und Tellerete
voll Fleisch,schwynigs und g'räuchts, sondern da war Voressen, es kam sogar Bratis, und
war doch nicht Kindbetti, und das ging neue alles so g'schlecket, daß es Anne Mareili fry
recht dudderte, wenn es dachte, wie sie hier gewohnt seien, und wie es sich nicht zu
helfen wüßte,wenn d'Sach an ihm wäre. Das müßten afe Sache in dem Hause sein, für so
aufzuwarten, dachte es, und nebenbei mußte es Aerger verwerchen über den Vater,der
wiederum aß, als wenn er heute noch nichts gehabt hätte. Je mehr der Vater aß, desto
weniger brachte die Tochter hinunter, so daß es die guten Leute recht g'mühte, und sie
vielfach sich entschuldigten, daß sie so schlechtlig aufwarteten, wenn sie gewußt hätten,
daß sie kämen, fo hätten sie sich besser versehen, ein ander Mal wollten sie oppe luegen,
daß sie es besser breichten (träfen).
Von der Hauptsache war über dem Essen nicht die Rede, erst als Niemand mehr essen mochte,
der Wein gebracht wurde, und billig gelobt war, denn es war nicht Kuttlenrugger von Erlach
oder Biel, frug Christen, nachdem ihm Aenneli bereits mehrere Winke gegeben hatte: „Und,
wie hey m'r's wege diefem, wes euch recht wär, üs wär's gar aständig. Wir alte afe u wüsse
nit, wie lang m'r's no mache, u da wär ihs denn d'ra g'lege, we m'r wüßte, wem wir die
Sache hinterließen. Wir haben es Uesem (dem Sohn) schon lange gesagt, er söll wybe, aber
es het ne neue kes Meitschi chönne adräye, bis er euers gesehen hat, an dem hanget er jetz
grusam; z'Meitschi hätt auch nichts darwider, meint er, und wenn's euch recht wär, so
hulfen wir eine Hochzeit machen. Oeppe apparti rühmen will ich nicht, sagte Christen, aber
ich denke, wenn sie zusammenkommen, und ume e kly zur Sach luegen,so werden sie öppe ihr
Lebenlang mehr als genug haben.“ Aenneli wischte sich die Augen, Christeli war
ö
mehr, die Heimeth (Güter) würden ermagern und die Leute dazu. Alles wollte nur am Land hangen, und wie es mit den kleinen Heimethen gehe, sehe man gut.Sie vermöchten weder sich noch ihre Besitzer zu erhalten;die Meisten, welche nicht Geld außerhalb des Hages zu nehmen wüßten, gingen ja auf solchen Kühheimethlene zu Grunde. Unser Amtsrichter hat erst letzthin b'richtet, es sei ein Land, man sage ihm Irland, dort gehe es strub und mehr als die Halben stürben Hungers und das komme alles von der Vertheilung des Landes, wo eine Haushaltung nur so viel haätte, und zwar nur pachtsweise, daß sie dabei in guten Jahren weder recht leben noch recht sterben könnten, sondern so zwischen inne plampeten, wie der Kalle in der Glocke; in schlechten Jahren aber Hungers sterben müßten, wie im Herbste die Fliegen. Nein, so ist es bei uns Gottlob nicht, da bleibt das Land noch beieinander, daß es sich und eine rechte Familie ernähren kann. Und wo öppe rechte Kinder sind, da gibt es beim Theilen nicht Streit und Keins begehrt zu viel heraus. Es weiß öppe Jedes, was so auf einem Hof alles auszurichten ist und Keins begehrte den Ort, wo es daheim gewesen,zu zerstören, sondern jedes hat Freude daran, wenn es ein rechter Bauernort bleibt, wie von Altersher, und oöͤppe auch in der Familie, daß ihn der Jüngste nicht zu verkaufen braucht. So lang eins lebt, weiß es öppe wo es daheim ist, und daß, es mag ihm gehen was will, es dort immer ein Heim findet, und nicht gleich auf die Gemeinde muß. Man wurd sich öppe schämen,nur was es heißt, alles auszurichten, was Vater und Mutter z'G'vatter stange sy, bis alles öppe g'hürathet het. Ja, wenn öpper us d'r Familie z'G'vatter g'stange ist, so laht si alles geng gegem Hof zu u meint, er
syg halb da daheim, wenn scho Goöͤtti oder Gotte uimme lebe oder wyt da dänne g'hürathet hey. Daran sinnet öppe es nieders rechts King u bigehrt, daß d'r Jüngst öppe v'rmah z'y. U wenn Vater und Mutter sterbe,so ist dĩr Jüngst geng d'r Jüngst, und wenn der Hof nit zu ihm luegti, so luegti an manchem Orte Niemere zu ihm, denn einen Hof kann man ihm doch nicht so liederlig verliederlige. Es wüßt kei Mönsch wie's ging,we so jungi Bübli ume Geld hätte, wo Niemere zu ne meh luegt, wo me ume zu dene luegt, wo könne stimme anne re Wahlversammlig oder gar am Große Rath.“
„Ja, ja, sagte der Dorngrütbauer, selb wär gut wes geng so wär, aber mi weiß nie, was d'Lüt öppe achunt,oder was ne g'seit wird, darum ist's immer gut, we me d'rvor ist. Und da duecht es mi, ihr solltet den Hof dem Jüngsten verkaufen, daß er dabei sein kann.Was ist er werth?“ Christen sagte: „Apparti g'schatziget habe ich ihn nicht, aber mein Vater selig hat immer gesagt, unter Brüdern sei er sechszigtausend Pfund werth. Seither habe ich dazu gekauft, und das Land het thüret, es wüßt kein Mensch, wie hoch er an einer Steigerung käme, b'sungerbar wenn er stuckweise ausgerufen würde.“
„So um zweiunddreißig oder dreißigtausend Pfund könntet ihr ihn also abtreten, sagte der
Dorngrüter,der Bub kriegte immer noch Schulden, und hätte zu thun genug, von wegen, oöppe
use gäh thue ich nicht,es schickt mir sich nicht, ich stümple nicht gerne, sie können dann
einmal alles zusammen nehmen, es gibt nur um so besser aus.“ Christen sagte: „die Schulden
werden ihm nicht viel thun, Gülte sind auch da, und deB'satzig ist groß, Schiff und
G'schirr wird er öppe nit viel bruche lah z'mache, u d'r Wald ma o öppes
Aenneli seufzte schwer auf diese Rede, aber Christen sagte, es dueche ihn, selligs sei nicht nöthig. Wenn Resli den Hof um fünfzigtausend Pfund nehme, und sechzigtausend möchte es auch erleiden, so seien alle wohl zufrieden und Resli mache einen guten Drittel best. Wenn er dann die Gülten herausgebe und aus dem Wald nehme, was es wohl erleiden möge, so würden die Schulden ihn nicht pvlagen. Sein Weibergut sei noch da in Gülten, und vielleicht noch etwas dazu, und was Resli einmal von seiner Frau bekommen sollte, das brauche er nicht an die Schulden zu verwenden; so wie jetzt alles gelte, hätte der Hof die längst gezahlt, wenn er einmal z'erben kommen sollte.Aber so ein Schelm an seinen Kindern zu werden, das begehre er in seinen alten Tagen nicht, er begehre nicht, daß einmal Enkel und Urenkel ins andere Leben ihm nachkommen und vor Gott es ihm vorhalte möchten, er hätte sie zu Schelmen und Bettlern gemacht.Davor, wie es an manchem Orte gehe, wo nur eins erbe und den andern nur ein Bettlergeld gebe, hätte es ihm immer gruset, und nicht immer wegen ihm selbst,aber es heiße, ein ungerechter Kreuzer fresse zehn ge
rechte, und das gelte noch, man sehe es alle Tage,darum müsse so mancher Urenkel barfuß laufen, weil der Großvater ein Schelm gewesen an seinen eigenen Geschwistern, Geschwisterskindern oder andern Leuten.Das möge er nicht, und wenn er mehr Kinder gehabt,oder wenn Christeli hätte heirathen wollen, so hätte er nicht begehrt, sie daheim zu behalten und gemeint, sie müssen für den Jüngsten den Hof werchen und ihre beste Zeit für ihn verbrauchen, sondern sie hätten etwas für sich anfangen müssen, und er hätte ihnen wollen z'weghelfen. Es dürfe einer nicht vierzig Jahr alt werden auf's Vaters Hof, wenn er einmal davon müsse und fortkommen solle, es müsse einer in die Welt hinaus, während er noch klebrig sei; wenn einer einmal g'stabelig geworden, so sei es ustubacket, er brauche,was er habe, und dann müßten andere Leute ihm helfen. So gehts! Was recht sei, müsse Resli haben,sie gönnten es ihm alle, aber mehr als recht, das möchten sie ihm nicht gönnen, dazu sei er ihnen z'ieb,und denen unterm Herd möchten sie es nicht zu leid thun.Das brauche er nicht halb so spitz zu nehmen, sagte der Dorngrütbauer, es werde öppe e Jedere d'Wehli ha, z'säge was er denk, und mache werde auch ein jeder können, was er wolle, dazu werde es nicht zu spät sein. Aber so dem ersten besten Fötzel und Schuldehung gebe er seine Tochter nicht, sie hätten es gehört,und g'seit syg g'seit.
Darauf sprach Aenneli: er solle verzeihn, Christen hätte es nicht bös gemeint und nur so beispielsweise geredet, er hätt minger o chönne, es syg wahr. Aber einen Schuldenhung gebe Resli doch nicht. Wenn er den Hof um sechszigtausend Pfund übernehme, so werde
er nicht zehntausend Pfund darauf schuldig, daran zahle ihm der Wald das Meist, und wenn er den Hof verkaufen wollte, was aber neue nit ;'denke sei, so hätte er de fry viel mehr g'erbt als die andern. D'Schulde werden ihn nie plagen, es mög gehen wie es wolle,und viel Bauern, die es besser machen können als er,würd es nicht geben, und es wär noch mancher froh,er hätte es so. Dann müsse man auch nicht vergessen,daß von dem vielleicht, wenn man öppe g'recht und billig handle, noch viel vorume chöm, es sei noch keins von den andern geheirathet, und ob es eins thut, weiß man nicht, aber mit wüst thun könnte man es zwängen. Aber was meinst du dazu, wandte sich Aenneli zu Anne Mareili, di geit's am nächsten an, und hast doch kein Wort noch dazu gesagt?“
Diese unerwartete Frage erschreckte Anne Mareili,wie ein Kanonenschuß, der ung'sinnet
hinter dem Rücken abgebrannt wird. Während des ganzen Gespräches hatte es in seinem Herzen
gezitterr, es ward um sein Glück gehandelt, und des Handels Ende ward seinem Auge,welches
weder in die Tiefen der Herzen sah, noch den Handel selbst übersah, immer dunkler, und als
es nun selbst sich hineinmischen sollte, zitterte es, es möchte den Ausgang noch
schwieriger machen, antwortete daher in seiner Angst, es ließe sich gefallen, wie sie es
machten. „Uesereim het zu felligem nit viel z'säge, mi muß es näh wie's chunt.“ Das arme
Meitschi wußte nicht, daß ein kekes gerades Wort hundertmal besser ist, als ein
verdrücktes, achselträgerisches; aber wissen das noch ganz andere Knebel nicht, als ein
Mädchen,dessen Herz im Bangen der Liebe erzittert! Erlickt aber die Hohlheit zu jeglicher
Zeit diese Wahrheit, die Hohlheit, die schwer wiegen will auf der Wage der
Resli wurde ganz blaß, als er das hörte, die Lippen bebten ihm, als ob er reden wollte, aber, wenn er's schon gewollt, für kein Lieb hätte er ein Wort hervorgebracht. Etwas giftiges quoll in ihm auf, welches sonst seinem Herzen fremd war, ein Stolz regte sich in ihm, von dem er nicht wußte, woher er kam. Kam man da von Unten her und meinte, hier Oben sei lauter Dummheit, und man könne mit den Menschen umgehen, als wie mit Tröpfen und Halbwitzigen, war dann keine Liebe im Meitschi zu ihm, sondern nur zu seinem Hofe, und während er nichts forderte, von keinem Kreuzer Ehsteuer sprach, war's dann recht, daß man von ihm alles forderte? War er ein Kerli, den man vergolden mußte, damit ein Meitschi ihn nehme? Er fing an zu fühlen, daß er alleine ein Mädchen werth sei, und daß sein Ich alleine mehr wiege, als manch ander Ich, und wenn dasselbe hunderttausend Pfund mit sich auf die Wage nähme. Der gute Resli wußte halt nicht, daß selten ein Mädchen eine rechte Wage hat für das rechte Ich, und daß, wenn es sie schon hätte, auf der Eltern Wage ein rechtes Ich doch nie mehr zieht, als eine Nulle, und daß jedes Ich zu seinem Ich noch legen muß einen Zinsrodel, oder ein Geschäft, oder einen Titel sammt Namen, wenn es irgend etwas ziehen soll, gäb wie wenig. Das wußte Resli nicht und sah auch nicht in Anne Mareilis Herz hinein, nur an sein Gesicht, und das hatte ihm bereits sattsam Kummer gemacht. Es arbeitete gewaltig in seiner Brust, es duechte ihn, er möchte satteln und reiten auf Leben und Tod, gegen was man wollte, wissen sollte man, daß er nicht Nichts wäre, sondern Resli, der Bauernsohn zu Liebiwyl, e rechte Burscht, un e Draguner, trotz Eim. Die Weiber haben einen eigenen
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Sinn für das, was sich auf den Gesichtern regt, dieser Sinn ist ein Schlüssel zu den Herzen der Männer, in diesem Sinne läge auch die Herrschaft über sie, wenn nicht wiederum im Weibe ein eigener Geist des Widerspruchs läge, der das, was es im Herzen sieht, nicht beherrschen, sondern undultsam seine Stelle ihm nicht gonnt, es vertreiben will mit Keifen oder Zürnen. Mütter sind geläuterter als Weiber, ihre Liebe ist meist weniger selbstsüchtig, sie sehen ebenfalls in die Herzen ihrer Söhne (kurios, mehr als in die ihrer Töchter),aber sie stellen sich ihnen nicht entgegen, sondern als Schirm und Schutz, als Vorfechter, davor, oder wenden es unvermerkt mit Zärtlichkeit, wie man ja Butter weich macht, wenn man sie kneten, und Eisen flüssig,wenn man es gießen will.
So lasen Anne Mareili und Aenneli in Resli's Gesicht die unsichtbare Schrift, die auf der
wunderbaren Tafel seines Herzens geschrieben ward von unsichtbarer Hand. Heiß und kalt
fuhr es Anne Mareili den Rücken auf, als es sie sah, für kein Lieb hätte es ein freundlich
Wort reden können, hätte es reden müssen,D ergriff Aenneli das Wort und sprach, das seien
Sachen, an die man nicht gedacht, und über die man nicht miteinander geredet hätte. Es für
seinen Theil legte gerne die Bürde ab, und je eher ihm Resli ein Söhnisweib zubringe, dest
lieber sei es ihm, und gerne wolle es abgeben, und dasselbe machen lassen, es sei müde und
ruhe gerne, und öppe ume z'bifehle, sei nie seine Sache gewesen, deßwegen brauche man
nicht Kummer zu haben. Aber wegen dem Andern müsse man doch mit den Andern reden, es gehe
sie auch an, und wenn man es vorher abgeredet und ausgemacht, so
Eingemärtet habe er das Führen nicht, sagte der Bauer, und wenn es etwa viel kosten sollte, so wollte er lieber noch warten. Das sei nun gleich, eingemärtet oder nicht, was man anerbiete, sei anerboten, und dafür nehme man öppe kein Geld, sagte Christen. Er solle nur sagen, an welchem Tage es ihm am anständigsten sei. Wenn das so gemeint sei, antwortete der Dorngrüter, so wolle er es mit Dank angenommen haben, all Tag seien ihm gleich, d'r Freitag noch schier lieber als der Donnstag. Oeppe Futter brauchten sie nicht mitzubringen, der Gattig hätte er genug, mit Haber zwar sei er nicht am besten versehen, aber dest besser sei das Heu, und wenn es noch etwas mehr sein müsse, so thäte es Reiterkorn auch. Aber jetz hulf er fort, bis sie daheim seien, sei es längst Nacht. Er solle nicht pressiren, hieß es, allweg doch vorher noch recht essen und trinken, wofür sonst wär's da? Das ließ er sich allerdings nicht lange sagen, und Glas um Glas rutschte ihm runter, man wußte nicht, wie, und wer weiß, wie lange er gesessen, wenn Anne Mareili nicht immer heftiger am Heimgehn getrieben hätte. Es hatte, wie unsere Weiber zu sagen pflegen, voll bis oben aus, es zwitzerte ihm vor den Augen und unendlich viel hätte es darum gegeben, wenn es sein
Haupt hätte legen können auf ein Bett in dunkler Kammer, und da so recht ausweinen
Liebeszorn und Liebesangst, verbergen können das eigene Herz vor den eigenen Augen. Es war
ihm so wind und weh, da weg zu kommen, es fühlte immer mehr, daß es seiner nicht Meister
sei, ein Reiz seiner Herr werde, dem unterthan zu sein es nicht gut ist, sintemalen man
nie weiß, was alles zu thun er im Stande ist. Es fühlte sich' in einem Zustande, in
welchem eine Wolke ist, die regieren möchte, aber bereits ein Wesen fühlt, das den Regen
hemmt, dafür aber hageln läßt; denn ob's regnet oder hagelt, haäängt nicht von der Wolke
ab, sondern von der Luftschicht, in die sie geräth, von dem Winde, der über ste hinweht.
So brachte es Anne Mareili zum Aufbrechen, aber holdselig war es dabei nicht, es sah
aus,als wenn es zürnte, und es zürnte allerdings und zwar über alles, über ihns, weil es
mit dem Weinen kämpfen mußte, über den Vater, weil er so gethan, daß den andern der Muth
zu entfallen schien, über Resli und seine Leute, weil sie die Sache ins Bedenken
gezogen,so gleichsam sie an eine Kommission gewiesen. Ach ja,an Kommissionen weisen, das
ist ein prächtig Ding,denn jedwede Sache soll doch reiflich erwogen, jeder Beschluß rundum
bedacht sein, ehe er gefaßt wird. Aber wo ein jung Herz in Liebe schlägt, da sind solche
Kommissionen und ihr Erwägen ein gräßlich Ding, denn was kömmt da wohl alles ins Spiel,
und was wird wohl alles bedacht, und wie lange geht es wohl, bis eine Kommission eine
Sache ausgedacht! Und wo ein ander Herz in Eifer für eine schöne Sache schlägt, im Feuer
der Begeisterung sie erfaßt, in der Klarheit eines reinen Aufblickes ste erschaut hat, wie
werden diesen Herzen so oft Kommissionen für ein schändlich gräulich
Nun war es allerdings ein parlamentarischer Kniff von Aenneli, daß es die Sache aufs
Referendum schob,aber es geschah nicht in böser Absicht. Es sah, was kochete, und eben
diese Kocheten wollte es nicht anrichten lassen. Es gibt Augenblicke im Privat und
Staatsleben, welche man verrauschen lassen muß, wenn man nicht g'raune Sachen machen will.
Diese Augenblicke erfordern Tackt, den hat man leider nicht immer,in neuen Kantonen nicht,
ja, am Vorort selbst nicht,die Aargauer z. B. könnten Beispiele von Exempeln erzählen.
Anne Mareili aber, noch eine junge Kreatur,gleichsam ein neuer Kanton, begriff das nicht,
und daß es ohne Sicherheit und Gewißheit heim mußte, vom vermeintlichen sichern Port weg
wieder aufs unsichere
Finster zog nach vollendetem Abschied es hinter dem Vater her und als der einige Male
keine Antwort erhielt, blickte er zurück und sah, wie Anne Mareili mit dem Nastuch im
Gesichte focht. „Plärist?“ fragte er.„Nein, sagte es, aber ich bin flessig (Kheumen
haben).“„Ich wüßte auch nicht, was z'pläre hättest, sagte der Vater, gehe es wie es wolle.
Kömmst du dahin, so ist für dich gesorget, thun sie hinterstellig, he nun, so gibt es was
anders. Das sind dumm altväterische Leute,die für jede Sache einen appartige Brauch haben,
meinen, wie witzig sie seien, und doch nichts verstehen,einmal für vierzig Kronen habe ich
sie mögen. So dumm Lüt habe ich längs Stück nicht angetroffen. Denen muß man den Marsch
machen zu rechter Zeit, wenn du unter ihres Regiment müßtest, in acht Tagen machten sie
dich z'Tüfels. Darum habe ich für dich gesorget, wenn du z'Maul schon nicht hast aufthun
wollen.“
Solche Reden umsurreten Anne Mareili, und wenn schon zuweilen ein Gedanke ihm kam, daß, was man zu Liebiwyl gesagt, nicht so ungegründet sei, so faßte der nicht Fuß. Es duechte ihns, alle Leute sehen ihm an, daß es auf der G'schaui gewesen, und möchten es ihm gönnen, daß es unverrichtet heim gekommen. Es nahm sich vor, am Freitag, wenn Resli komme, recht kühl und kalt zu sein, sich lange nicht zu zeigen, und wenn er komme mit dem besten Bescheid, so wolle es ihn anhalten lassen bis g'nug, damit er für alle Zeit wisse, wie man mit ihm umgehen müßte, von wegen,wie man sie gewöhne, so hätte man sie. Zudem kam noch das, daß Kellerjoggi sich wieder zeigte, und dringlicher und nachgiebiger als nie. Wahrscheinlich hatte er Wind von dem, was unterhänds war, möglich, auch noch andere Gründe zur Ehe, kurz, eines Abends kam er daher getrappet. Er that, als ob nichts vorgefallen wäre, setzte sich aufs Bänklein vor der Küche, frug nach dem Aetti, und b'richtete unterdessen der Mutter von seinem Reichthum und seinen Vorhaben. Und als der Vater endlich kam, lauernd und es dick tragend hinter den Ohren, sagte Kellerjoggi unbefangen: Es hätte da Neuis gäh, aber jetzt syg er d'rüber cho, und
g'seh, wie's syg, und darum komme er wieder, und wolle sehen, wie es stehe zwischen
ihnen. Man habe so allerlei b'richtet übers Meitschi vo d'r Brunst nache.Er hätte es nie
geglaubt, aber wisse hätte er doch wollen, was an der Sache sei, von wegen, wenn man afe
d'Jahr uf eim heyg, wie er, so lueg me z'erst, ehe man d'Sach richtig mach. Darum hätte es
ihm nicht pressirt, jetzt aber sei es ihm daran gelegen, daß d'Sach i d'rRichtigkeit
komme, er wisse jetzt, daß man gelogen habe; aber wie lang man lebe, wisse man nie, es
gehe manchmal geschwinder als man mein. Erst vorgester sei d'r Kuderwirth g'sund und wohl
ins Bett gegangen und todt ufg'stange, u ke Mönsch heyg's g'hört,wo n'r g'storbe syg. Selb
grus ihm, so möcht er doch nicht sterben. We me i g'wüßne Jahre sei, so sollte man immer
Jemand bei sich haben, die wüß, was gang,und emel o öppe chönnt es Gebet verrichte, wenn's
ung'sinnet a Nothknopf köm. „He ja, sagte die Frau,ich habe auch schon manchmal daran
gesinnet, wenn mein Alter so gehustet hat, daß es mich duechte, er sött z'Herz a d'Diele
uche sprenge, es wär gut, wenn ich ein Gebetbuch z'weg legte, man könnte nicht wissen,was
es gebe, und wenn man in der Angst etwas suchen soll, so findet man es nicht, b'sungerbar
öppis,wo me öppe nit viel brucht. Und denn könnt's ʒ'spät werde, u das chönnt m'r doch de
gruse, vo wege, es könnte etwas bleiben hangen, wo besser wär, es bliebe hier u daß de so
ne armi Seel müßt ume cho, u selb wär doch de neue grüslig; we's einist het müsse sy,so
wär's doch de besser, es blieb d'rby un es nieders blieb wo's wär, mi het öppe g'nue
chönne binangere sy bi Lebzyte.“ „Du bist e Sturm u weißt nicht, was d'redst, sagte der
Bauer, geh und gib den Schweinen,
Aber er solle doch zu ihm kommen die nächsten Tage und darauf zählen, d'Sach werd richtig; aber säumen solle er nicht, man wisse nie, wie reuig man werden könne. Er leu ihm guten Abend wünschen, sagie er,und stopfete davon. „Du alte dolders Schelm, was du bist,“ brummte ihm der Dorngrütbauer nach. Aber das nahe Sterben machte doch Eindruck auf ihn und er dachte, etwas könnte doch an der Sache sein, u luege müß me. Anne Mareili begriff noch besser den Kniff,aber das machte ihns um so böser über Resli, je mehr es Kellerjoggi haßte. Nun war es neuen Drangsalen ausgesetzt, die Sache ins weite Feld gestellt, und vor dem allem hätten sie sein können, wenn sie nicht so eigelich gethan, sondern sich hinzugelassen, wie man es öppe begehrt hätte.
Ueber Liebiwyl war der Himmel auch nicht helle.Als die Familie vom Begleit zurückging,
redeten sie abgebrochene Worte von gleichgültigen Dingen, aber keins frug das andere: „was
sagst du dazu, wie haben dir die gefallen ?“ „Du solltest noch Bohnen g'winnen“,sagte
Aenneli zu Annelisi. „Ich habe geglaubt, es gebe ein Wetter,“ sagte Christen. „Vater, soll
ich das Wasser abreisen ?“ frug Resli. „Es duecht mich, das Emd hätte brav ag'setzt“,
bemierkte Christell. So ging's nach Hause, dort jedes seinen Geschäften nach. Annelisi
ertrug das schwer, es machte ihm ordentlich eng über den Magen, so alkes verschlucken zu
müssen, was ihm durch die Gedanken lief; aber es wußte wohl, wenn Vater und Mutter von
einer Sache nicht anfingen, so stund es ihm nicht zu. Als es einen Korb suchte für die
Bohnen, ging Christeli vorbei. Da konnte es sich nicht enthalten, ihn zu stellen und zu
fragen: „du, wie het si d'r g'falle?“ „So bös nit, sagte Christeli, so ne
Wirthshaus gewesen und der hat gesagt, es gebe zweier Gattig Mönsche, die eine seien gut für d'Gaß, die andern gut für z'Hus, und die einen hätten Manieren daheim und die andern daheim keine, aber z'Tüfels viel Dorf,und es gäb schöne Visiteg'sichter, die vorflurt wüste Kuchig'sichter seien. Nun komm es darauf an, was me lieb,aber wenn me das scho wüß, so werd me doch gern b'schisse, vo wege, man sehe die Meitleni doch meist nur auf der Gaß, und könne sich daher gar nicht vorstellen, was sie in der Küche für Gesichter machen, oder wenn sie sollten Bohnen g'winnen und lieber klappern möchten und d'Lüt usführen.“ „Wart numme du, sagte Annelist, kein Wort sage ich dir mehr, und wenn de d'r Dokter manglist, so kannst du selbst laufen,“ so schnauzte es, und schoß dem Bohnenplätz zu.
Als alles zu Bette war und Christen und Aenneli in ihrem Stübchen, redete lange keines, aber schwer seufzte Christen. „Was hast du?“ fragte Aenneli. „Ich weiß es selbst nicht, sagte Christen, aber es ist mir neue so schwer. Was ich zur Sache sagen soll, weiß ich nicht, sie gefällt mir nur halb.“ „Was gefällt dir nicht?“fragte Aenneli. „Z'Meitschi noch gut genug, von dem will ich nichts sagen, obschon öppis e wenig holdseliger nichts schadte, aber der Alt hat mich geärgert, das ist so recht Einer, wo meint, es sei Niemand gescheid als er, und wenn er aus seinem Dorfe weg sei, so komme er zu lauter halbwitzigen Menschen. Er hat doch wohl gewußt, wo er ist, und hat gethan, als wäre er auf dem Märit, als hätte unser einem keinen Verstand und gemärtet, wie ich mich unter den fremdesten Leuten schämte. Ich glaube, er hätte uns die Kleider am Leibe abgekauft, wenn ich nicht gesagt, ich brauche sie selbst.“„Das, sagte Aenneli, sind Gewohnheiten, einer hat's
so, ein anderer anders, und wer öppe viel auf den Märten herumkömmt, meint, er sei immer
darauf.“ „Von dem wollte ich nichts sagen, sagte Christen, das könnte mir gleich sein,
aber die Gedinge, die er gestellt hat,die sind uverschant. Wenn er noch viel geben
wollte,so hätte er z'Recht, auch etwas z'fordern, aber nichts zu geben und alles zu
wollen, das het afe kei Gattig.Er hat gethan, als wär kein Meitschi mehr in der Welt als
seins.“ „He, sagte Aenneli, sie haben es so da unten. Geht es ihnen an, so nehmen sie
alles, will man nicht, so nehmen sie auch mit minderem vorlieb.Es hat mich auch gedrückt,
und b'sunderbar Resli, der hat mich dauern können. Aber was meinste, wie macht man das?“
„Ich hulf, die Kinder machen zu lassen, sagte Christen, es ist ihre Sach, was den Preis
anbelangt,hingege wegem Abtrette, das ist m'r z'wider. Aber am Meitschi het's mi o nit
schöns duecht, daß es em Vater nit abbroche het, und ne so het lah mache, es hätt sölle
meh V'rstang ha un abwehre. Ih muß säge, wenn so nes gytigs, wüst's Fraueli da sött uf e
Hof cho,ih dräyti mi no im Grab um.“ „Wir wollen öppe nit hoffe, sagte Aenneli, Resli sagt
gar, es sei nicht so und der Gyt daheim sei ihm z'wider. Daneben weiß man es nicht, es
duecht se manchmal, wenn sie daheim sind, sie möchten es ganz anders machen und haben,als
im elterlichen Hause, und doch dann muß es einmal in ihrer Haushaltung akkurat am gleichen
Schnürchen gehn. Doch das Best wollen wir hoffen, es ist müglig, daß es nit g'wüßt het,
was säge, u daß es si z'Vaters g'schämt het, und's nit het doörfe lah merke.Es ist nichts,
das einem so weh thut und eim es dumms oder es bos Gesicht macht, als wenn man sich
Oepperem schämt, und sich's doch nicht darf merken lassen,
geben. Wottsch du oder soll ich?“ „Bet ume,“ sagte
Christe.
„Vater im Himmel, betete Aenneli, vergib uns unsere Schulden, wie auch wir vergeben
unsern Schuldnern, rechne sie use Kinge nit a. We m'r öppis Guts tha hey uf d'r Welt, das
rechne de Kinge a u hilf ne dessetwege. Aber nit, daß de se rych machist u vornehm, aber
b'halt se uf dyne Wege, b'halt ne d'r Friede im Herze u d'r Friede im Hus u d'Freud für e
Himmel. B'halt se als G'schwisterti unter enandere, daß eys em andere sy Troft ist, sys
Haupteküssi, we's Herz schwer ist, u d'r Kummer z'vorderist. Lah nüt zwüsche yche cho, nit
d'r Tüfel, nit e Mönsch, und was is
Es war an den beiden folgenden Tagen fast, als ob cine Leiche im Hause wäre, ein
Gegenstand stiller Trauer, über den zu reden Jedermann sich scheute, in stillem Wesen
verrichtete man seine Arbeit, aber Jedermann schien gerne allein zu sein, als ob er noch
mehr innerlich als äußerlich zu verwerchen hätte. Dieses innerliche Verwerchen ist eine
altadeliche Tugend, oft stillen Leuten angeboren, es ist eine reiche Werkftätte, in
derselben werden die Grundsätze geschmiedet, auf welche Menschen absetzen, um ihre Namen
im Himmel anzuschreiben, da werden die Seelen geläutert zu reinen Spiegeln, in welchen
Gott zu schauen ist, da werden die Leben geweiht zu heiligen Opfern, welche ewig und in
alle Ewigkeit gelten. Knechte und Mägde merkten wohl, daß etwas obhanden war, und aus
einem natürlichen Instinkte verschwanden sie so viel sie konnten,gaben Raum zu einem
vertrauten Wort. Dennoch gab
Drinnen frug der Vater: „Wer fahrt?“ „Ich, denk,“sagte Resli. „Was wotsch für e Wage näh?“ „Denk d'r breitschienig,“ antwortete derselbe. „Ist der nicht yschwere?“ „Sechs Bäum soll ich doch lade, u da muß es e gute Wage sy.“ „Ist's nit z'viel?“ fragte der Vater. „Es macht sich, der Weg ist gut, d'Lade sy dür, un es geyt alles nidsig, u was me ungereinist führt, dara brucht me nit zwure (zweimal) z'mache,“antwortete Resli. „Wenn d'g'fahre magst, mir ist's recht,“ sagte der Vater. „Aber was willst du für Bescheid geben, darüber muß man doch auch reden,“ sagte Christeli. „He, ich habe gedacht, kurzen,“ antwortete Resli, und stützte den Kopf in die hohle Hand, als ob ihm das Licht weh thäte in den Augen. „Man kann kurzen geben und doch mancher Gattig,“ antwortete der Vater. „Da ist nur ein Bescheid möglich, sagte Resli, auf die Geding hin gibt es nichts aus der Sache,ich will nicht, daß alle ihr Glück einschießen müssen für mich, und für was am End? Für öppis, wo no ke Moöͤnsch weiß, was daraus wird. Zuerst ist's m'r gst,d'r Knecht chönn fahre, aber du ha nih denkt, aständig syg's, was ih ag'fange heyg, das mach ich selber us.U de ist m'r z'Meitschi z'Sinn cho, das duret mi, so ist's nit, wie's d'r Schyn het, es het mi duecht, emel einist möcht ih's no g'seh. Gang's de nache wie's well.“
„Was meinst du, das nicht gehe? fragte Christeli,man muß doch zuerst über eine Sache reden, ehe man den Muth verliert und den Stecken wirft.“ „Das ist
doch öppe nicht nöthig zu sagen, antwortete Resli.Der Alt hat d'Sach so gestellt, daß gar
nichts daran zu machen ist. Der infam Hund weiß wohl, was er macht, er will nichts von der
Sach, und will damit nur einen andern in das Garn jagen. Ich merke ihn wohl, aber dem sage
ich noch was, ehe wir auseinander kommen, der graue Schelm muß wissen, daß wir auch an
einem Ort daheim sind, und nit Hunde sind.Belle cheu si de nadisch da niede besser als wir
hier oben.“ „Nit, sagte Aenneli, so mußt du nicht thun;wenn man ein Meitschi lieb hat, so
muß man dessen Vater nicht schelten, ästimire sött me ne, syg er de wie n'r well. Aber von
der Sach muß man reden stückswys, u se nit so arfelswys desusschieße. Was meinst,was geht
nicht, was ist nit z'gattige (beg'wältigen) ?“„He, da will er vor allem aus, daß mir der
Hof nicht höher angeschlagen werde als vierzigtausend Pfund, und söpli Kronen ist er
werth, wenn alles aufs höchste getrieben würde. Ich will nicht sagen, daß er mir so theuer
gegeben werden solle, weniger wär billig, aber wenn ich ihn um vierzigtausend Pfund
begehrte, so wäre ich ein Schelm an diesne, und eins von ihnen bekäme nicht mehr als
dreißigtausend Pfund, und ich fast so viel als beide.“ „Was, dreißigtausend Pfund,rief
Annelist, so viel bekäm ich, da nimm du nur den Hof für vierzigtausend Pfund, wenn ich
dreißigtausend Pfund bekomme, so will ich auslesen z'Land auf z'Land ab und erst jetzt mi
recht uflah u bäumele wie's Wetter, Potz Hegel!“ „Nit, nit, sagte Christen, es g'spaßet
sich da nicht.“ „He, Aetteli, es ist mir Ernst, sagte Annelist, da spaße ich nicht.“ „So
macht sich das,Bruder, sagte Christeli, wenn Annelist so denkt, so will ich ihm auch daran
denken, und wenn einmal sein Mann
auch nicht, sagte Resli, daß alles auf eine Seite kömmt und daß z'Hürathe ist wie Krütz und Bär, wo man macht, welches dem andern das Seine abgewinne, da muß ich sagen, das drückt mich, daß ich alles verwyben und vielleicht nichts erwyben soll. Es ist grad so, als wenn öppis an mir z'schüche wär, das ich mit Geld sollte gut machen. Und doch wüßt ich nicht was, und wenn man gegeneinander rechnen wollte, so wüßte ich nicht, wer am andern herausschuldig wär. Das ist ein Hochmuth und e Uv'rschantigkeit, daß es m'r i alli Glieder schießt.“ „He, sagte Aenneli, wenn dir das Meitschi recht lieb ist, so sieh das nicht an, in den Ehetag wird der liebe Gott wohl ein Loch machen, ehe es lang geht. Wegen etwas, wo zwanzig gegen eins zu wetten ist, daß es nichts abträgt, sollen zwei nicht von einander lassen, welche sich lieb gewonnen so recht.Das ist gar eine seltene Sache, rechte Liebe, und so wege Bagatellsache muß man sie nicht zerstören, man muß nie vergessen, daß einer glücklich ist, wenn er einmal in seinem Leben zu solcher Liebe kömmt, zum zweiten Male gibt es sich ihm kaum. So, wenn deine Geschwister nichts dagegen haben, so wollte ich das annehmen. Wenn dein Meitschi öppe es Herz het, wie's z'hoffe ist, so sinnet es ne ihr Lebtag d'ra.“ „Es ist gut, sagte Resli, es ist wäger besser, als es sich hier gezeigt hat. Ich habe mich selbst nicht darauf verstehen können, aber sagen muß es mir noch, was es gehabt hat.“ „So wär man ja richtig, sagte Christen, ohne Streit und ohne Zank, wie es öppe nicht an manchem Orte so gegangen wärez das freut mich, und blybit so,es wird euch noch wohl kommen im Leben, und man kann einander gar oft z'Gutem sein, wenn man ein Herz zu einander hat und sich kann verstehen. Sinnet
daran, Kinder.“ „Ja nein, sagte Resli, es ist noch eins, aber us selbem gibt es nichts, und da es wegem Geld nicht darauf ankömmt, so denke ich, werden sie nicht z'wüstest alles machen, um es dure z'wänge, und wette si, su thät ih's nit. Ich will doch de nadisch auch wissen, ob ich dem Meitschi lieb bin oder nicht,und ob es meinetwegen auch nachgeben und sich etwas gefallen lassen kann.“ „Was wär denn das, fragte Annelisi, habe ich ihm etwa nicht gefallen, und soll ich aus dem Hause? Wenn's das ist, ume zug'fahre,mit dreißigtausend Pfund will ich schon nächsten Sonntag verkünden lassen, mit zweien statt mit einem, oder ih gange is Weltschlang, ga lere bradle u Kürbsbrei esse, es heißt, für fünfzig Dublone es Jahrs überchöm me ebe halb g'nue dere im Weltschlang.“ „Schweig doch mit deinen Flausen, sagte Aenneli, es wird oöppe von dir nicht fast die Rede gewesen sein, dulden wird man dich wohl müssen, so lange wir auch da sind.“„Ja, Mutter, das meine ich auch, sagte Resli, aber habt ihr nicht gehört, daß der Alt von Abtreten geredet hat, er meint, ihr sollet abgeben, ich solle den Hof gleich übernehmen, Nutzen und Schaden mir gleich angehen und dann wär Anne Mareili Meisterfrau.“ „He nun so dann, sagte Aenneli, geschehe nichts böseres,die Ruhe ist mir auch zu gönnen, daran einmal stoße dich nicht.“ „Wohl, Mutter, sagte Resli, das ist's eben, woran ich mich stoße und was ich durchaus nicht thue. So lange ihr lebt, sollt ihr da zu befehlen, zu schalten und zu walten haben, wie ihr es von je im Brauch gehabt habt, anders thue ich es nicht, es freute mich nicht mehr, hier zu sein.“ „Du bist doch e Göhl,sagte Aenneli, warum doch nicht, eine junge Frau mag der Sache besser nach als eine alte, sie kann gleich an
fangen, wie sie es gerne hat. Es drückt junge Weiber oft gar sehr, wenn sie sich in einem andern Hause neu gewöhnen sollen.“ „Drück es sie nun oder drück es sie nicht, so will ich, Mutter, ich mag nun die oder eine andere Frau bringen, daß ihr, so lange ihr mögt, die Meisterschaft im Hauswesen behaltet. Mit dem Aetti und mir wird's öppe, so Gott will, im Alte blybe, so lang m'r lebe, und wie ihr es mit Annelisi habt,so sollt ihr es mit meiner Frau haben, das will ich,und mengere d'wege (um mehreren Ursachen willen).“„Mach dich deretwege nit köpftg, sagte Aenneli, ich wüßte nicht, warum du gerade das erzwängen wolltest,der Eigensinn trägt nichts ab.“ „Mutter, es ist nicht Eigensinn, aber ich habe die Sache wohl überlegt. Wir haben öppe ein Hauswesen, wie wir uns dessen nicht zu schämen brauchen, wir haben genug, und für andere Leute ist auch etwas da, so ist's bei Mannsdenken gewesen, und soll so bleiben, so lang wir hier sind. Es würd öppe a me ne Niedere von uns wehe thun,wenn's ändern sollte. Dort unten haben sie ganz andere Bräuche, und die begehre ich nicht hier herauf, sie wären mir und euch nicht anständig. Und dann würd es auch viel Lachens geben deretwegen, die Leute würden öppe z'reden haben und selb begehre ich auch nicht.Meine Frau kömmt in mein Haus, und da soll sie öppe fortfahren, wie ich mich gewohnt bin, wie es mir anständig ist, das, mein ich, sei nicht über Ort. Das
muß sie aber alles lernen, sie weiß von unsern Bräuchen nichts, sie muß sich selbst zuerst daran gewöhnen.
Und unsere Mutter ist öppe eini, wo ein Söhniswyb
öppe mi der Liebi nachziehn wird, wie öppe nit e Niederi. Sie wird nicht alles an einem Tage wollen, sie wird Geduld haben, sie hat ja von je mit uns allen
Geduld gehabt; wir haben sie öppe erfahren, seitdem wir leben, anch ein Söhniswyb wird
nicht bös Sach bei ihr haben, und im Trab sein, ehe es daran denkt,we's e kly Vorstand het
und d'r Friede bigehrt. Soll aber meine Frau gleich das Heft in die Hand nehmen so nimmt
sie es, wie es daheim üblich war, frägt vielleicht die Mutter einige Male und andere Male
vergißt sie es. Sagt ihr die Mutter ung'fragt, was nicht recht ist, wer weiß, wie sie es
aufnimmt, und ob sie nicht meint, die Mutter wolle sie kujoniren, und es gehe sie nichts
mehr an. Und muß ich es ihr sagen: „die Mutter hat es so gemacht, so sind wir es gewohnt,
frag doch die Mutter,“ wer weiß, wie sie das dünkt, ob sie nicht im Herzen denkt, sie
könne nichts recht machen,ob sie nicht schalus wird und meint, ich habe die Mutter lieber
als sie und dann sich und andern das Leben schwer macht mit plären und dublen oder sonst
wüst thun. Und wenn wir nichts sagten, es verdrückten, so wären wir auch nicht wohl dabei,
und Zufriedenheit wär keine.“ „O, so wird sie doch nicht sein, du wirst doch wohl wissen,
an wen du so gesetzt hast,“ sagte der Vater. „Vater, was weiß ich, sagte Resli, die Mutter
kenne ich, und ihr darf ich vertrauen, sie wird mir öppe es Fraueli nit plage. Aber wie
ein Meitschi ausfällt,kann man nicht wissen, und wie es in ihm aussieht,nicht sehen. Es
hat einmal einer gemeint, es komme schon viel darauf an, ob sie am Hochzeittag die Sonne
anscheine oder es regne, regne es, so hätte man manchmal z'Schinders Noth mit ihrem
Gesicht die ganze Ehe durch. Es kann etwas so in ein Herz hineinkommen,gäb wie wenig, und
es ist ganz angers und v'rpfuscht für geng.“ „He ja, sagte Aenneli, haben wir das nicht
selbft erfahren, und nicht etwa jung, sondern wir alte
Mutter, ich muß euch sagen, ich hätte geglaubt, ihr hättet mich lieber als so, und
möchtet euch doch g'mühen, um so mit Liebi und V'rstang d'Frau nachezieh.Aber ich merke,
die ganze Sach ist euch nicht recht,z'Meitschi g'fallt euch nicht, darum möchtet ihr ganz
drus und dänne, und lieber nüt mit ihm z'thue und eure Sache apparti haben. Das merk ich,
und so wär's besser, man gebte die ganze Sach auf und redti g'rad use, währet es noch Zeit
ist, als daß man dann so hintendrein sagt: „ih ha's doch denkt, ih ha's doch glaubt, ih
ha's doch g'meint, u g'seit ha nih's o, aber ume für mi selber.“ „Los, los, sagte der
Vater, wird nicht bös, du solltest doch wissen, daß d'Mutter es besser meint, als du es
ihr andichten willst, und daß sie deinetwegen noch nie eine Mühe g'schoche (gescheut)hat.
Aber öppis recht hast du auch, da muß ich dir Beifall geben; so da von vornenherein zu
regieren, und d'Eltern von ihrer Sach weg z'sprenge, selb ist nicht recht, so lange sie es
nicht gerne von selber thun, oder eins von ihnen gestorben ist. Ja, wenn eins oder das
andere sturb, ih oder d'Mutter, das wär es angers, de schickt es si bas, daß es jungs
Ehpaar d'Sach übernimmt z'grechtem, vo wege, für es rechts Hus Fführe,müsse Ma u Frau sy.
Ist d'Mutter g'storbe, u buret d'r Vater furt, u z'Sühniswyb macht d'Hushaltig, su het äs
meh z'bidüte as d'r Ma, es ist d'Meisterfrau,u är ume d'r Bub, lebt d'Mutter no u wott
furt bure,so ist dͤr Bub wie d'r Ma, u d'Frau sött ume d'gumpfere sy, u selb thut o nit
gut. Lebe aber Vater und Mutter noch, so haben's Sohn und Söhniswyb eins wie das andere,
sind beider G'hülfen, u keis het si z'chlage. Darum bist du nicht so über Ort, aber sagen
will ich nichts dazu. Uebersinn d'Sach noch recht, und
Nun war die Sache äußerlich abgethan bis ans Z'wegmachen und Ladenz geredet wurde nicht mehr darüber, es sann jetzt jedes wieder. Und, wie gesagt, wo der rechte Sinn ist, da kömmt beim Sinnen mehr heraus, als man denkt, meist mehr als mit Reden.
Wenn man dem Treiben zu Liebiwyl zugesehen hätte,so würde Jedermann geglaubt haben,
Christeli sei der Bräutigam, und wolle eine Hoffahrt thun das Land hinab. Fast den ganzen
Morgen hätte er mit den Rofsen
Die vornehme Welt hält viel auf einer schönen Equipage. Zwei Pferde d'ran sind schon was, für vier aber muß man ein Graf sein. Bei einem rechten Bauer gräfelts, der hält wenigstens vier Pferde, zwei tüchtige Stuten hinten, zwei luftige junge Mönche vornen.Ehrenfest ziehen die einen daher, tänzelnd die andern,aber wenn Noth an Mann kömmt, der Wagen an den Berg, dann vereinen sie treu ihre Kraft und liegen ins Geschirr, jedes so stark es mag. Es ist eine Freude,so mit vier tüchtigen Rossen zu fahren in Wald und Feld, Fuhrmann und Pferde aneinander gewöhnt, daß die letztern dem erstern ohne Worte unter der Geisel laufen, wie und wohin er will. Darum ist die Geisel auch eine Art von Scepter, sie führen zu können, ein Ehrenpunkt. Man liest von jungen, vornehmen Engländern, wie sie die Kutscher machen, sich hoch meinen,wenn sie vier Pferde vom Bocke führen können; man liest von Parisern, welche gerne engeländerlen, daß sie
es auch versuchen; die alle machen es eigentlich nur unsern Bauernsöhnen nach. Es bildet ein eigentlich Ereigniß, wenn ein Vater seinem Sohn die Geisel gibt,er erhebt ihn damit zu seinem Mitregenten und Stellverrreter. Die Geisel ist gleichsam ein Marschall- oder Feldherrnstab, welchen der König seinem besten und treusten Soldaten gibt. Aber ebenso ist es ein Ereigniß,wenn ein Vater seinem Sohne die Geisel wieder nimmt.„Denk o, er het ihm d'Geisle g'no!“ heißt's. Aergeres droht ein Vater seinem Sohne nicht leicht, als: „ich nehine dir die Geisel!“ Das geht gleich vor dem Enterben her, und wenn man einen General wieder zum Gemeinen macht, es, kann ihm nicht ärger als einem Sohne sein, der vom Pfluge weg wieder unter die gegemeinen Hacker auf den Acker muß. Und diese Strafe wird nicht blos verhängt oder gedroht, wenn Einer schlecht fährt, den Wagen in den Koth, die Pferde zu todt, sondern auch, wenn der Sohn zu einem Mädchen geht, welches dem Vater nicht anständig ist, oder in ein Wirthshaus, welches dem Vater verhaßt oder verdächtig ist, und wegen andern wichtigen Vergehen mehr.Resli hatte die Geisel; Christeli hatte sie nie begehrt;dessenungeachtet wandte er alle Sorgfalt an den Zug,und labete sich an dem Gedanken, wie die Leute luegen,wie sie fragen werden, wem der Zug sei, wenn sie die vier stolzen Braunen mit dem schönen Geschirr und dem mächtigen Ladenfuder durchs Land laufen sehen, als wäre die Last federleicht. Als sie das Fuder luden,sparte er die gewaltigen Ketten nicht zum binden, und als Resli bemerkte, es manglen sich nicht so viele, die Wege seien gut und öppe schlagen werde es nicht fast,so meinte Christen, es sei besser zu viel binden als zu
wenig, d'Kettenne hätte man dafür, und sie müßten da unten wissen, daß sie hier die Ketten nicht zu sparen brauchten und nicht mit Seilstümpen zusammen zu plätzen,wie er sie schon manchmal da unten herauf habe Holz holen sehen, wo sie dann nicht einmal genug deren gehabt, sondern von Haus zu Haus hätten springen müssen, um zu entlehnen.
Früh um drei wollte Resli fort und alleine. Der Vater hatte ihm anerboten, mit zu gehen. Es möge geben, was es wolle, so sei es komod, wenn ihrer zwei seien, hatte er gesagt. Aber Resli hatte es abgelehnt,er wollte seine wichtigste Angelegenheit ab Ort treiben alleine, mit freier Hand, nach seinem Sinn, so ziemt es eigentlich dem Manne.
Wenn eine solche Ausfahrt in einem Bauernhaus im Biet ist, so wird öppe nicht viel geschlafen, und am folgenden Tag merkt man es doch den Leuten gar nicht an. Das ist nicht wie in einem Herrenhaus, wo die Köchin drei Wochen grännet, wenn sie einmal um fünf auf muß, statt um sechs, und sieben Wochen, wenn man es ihr für um vier Uhr zugemuthet hat. Im Stalle füttert Jemand, und wer es thut, geht selten zu Bette. Bauernpferde fressen langsam und viel, lassen sich behaglich alle Zeit dazu. Es ist wirklich, als ob es ihnen dieser und jener, der in einem Stalle nächtlich viel gefüttert hat, abgeguckt hätte, wenn er acht bis zehn Stunden an einer Kindbetti sitzt, und langsam immer isset, eins nach dem andern, von der Suppe bis zur Tattere, und zwischen durch tapfer tränket. Und wie im Stalle gesorgt wird für den abfahrenden Geiselherr (Giselherr), so vergaß man auch seiner vornen im
Hause nicht. Da legt die Mutter halbangekleidet sich zu Bette, damit sie sich nicht
verschlafe, denn nicht nur
bis sie aus dem Hofe draußen im Wege waren. Es ging immer etwas eng zwischen den Thürlistöcken durch,aber das war eben die Kunst, darum wurde das Thürli nicht größer gemacht, sondern die neuen Stöcke immer in die alten Löcher gepflanzt. Der junge Geiselherr hätte es für eine Schande gehalten, wenn er nicht zu einem eben so engen Thürli hätte einfahren können als der alte; und allerdings, im ganzen Dörfchen hätte es geheißen: „e Fuhrme git z'Bure Resli syr Lebtig nit, denkit ume o, si hey ihm z'Thürli müsse wytere,wo me scho hundert Jahr us u y g'fahre ist, u ist alle wyt g'nue g'si, u mi het öppe nie g'hört, daß Neuer ag'fahre syg.“
Glücklich, wie üblich, kam Resli durch und fuhr,trotz der schweren Last, rasch seinem Ziele zu. Die Geisel in der Hand, vier rasche Rosse unter seinem Wink, steigerte in Resli das Selbstgefühl sich immer mehr, und immer mehr fand er sich in seinem Recht,wenn er sich nicht ganz untern ließe, als einer, der mit Geld es zwängen müsse, wenn er eine Frau wolle.
Die Liebe ist wunderlich, ist stolz und demüthig, ste duldet alles und ist wie ein
Pulverfaß, das aufsprüht,man weiß nicht wie; sie ist süß, wie die gute Sommermilch, und
wird sauer, wie sich der Wind dreht; sie setzt das Leben ein und weigert Kleinigkeiten;
sie bietet ungeheißen Hab uud Gut, schlägt Kreuzer ab, wenn sie gefordert werden, hält die
schwersten Proben aus und verschmäht am Ende den Lohn, um dessentwillen man die Proben
bestanden. Als Fräulein Kunigunde den Ritter Delorges ihrem Händsche nachsandte, da ging
Ritter Delorges und holte ihn. Aber es wuchs ihm,das Schwert an der Seite und des Muthes
Brand in der Brust, der Kamm, als er aus der Ungeheuer Mitte
Nicht nur Schmiede und Schlosser sind halt Naturprodukte, wie jene schulmeisterhafte Geistbüchse sagte,sondern wir alle werden es wahrscheinlich sein, nach
seiner Meinung, somit sind wir auch chemische Stoffe,und chemische Stoffe wirken aufeinander, und je nachdem ich mit diesem oder jenem Stoff in Verbindung komme, werde ich auch anders, werde so oder so bewegt und verändert, nehme an oder stoße ab, werde ein ander Produkt, so daß ich z. B., wenn ich mit jenem Schulmeister in Verbindung gebracht würde, vielleicht,was weiß ich, für ein Hauptkerl werden könnte, oder vielleicht wieder ein Blütterlüpf sonder gleichen, nachdem er halt mir spendete oder entzöge, ich müßte es halt erwarten sein.
Nun möchte ich fragen, ob so einem chemischen Stoff, einem jungen hübschen Burschen nämlich, der einen starken Arm hat und Geschick mit Sparren, Ketten, Winden umzugehen, wenn er mit einer Geisel,einem Sattel, vier schönen Pferden, welche sein und circa hundert Dublonen werth sind, einem guten Kaffe Rösti und Käse, in Rapport und Beziehung gebracht wird, nicht ein eigen Selbstbewußtsein entstehen muß,das Gefühl: du bist auch was werth, in der Wagschale sollst auch du ein ziehend Gewicht sein und nicht Silber und Gold allein. Wie er das frühere Mal blöd und bang hinunter gewandelt war, so ward er jetzt nicht keck und trotzig, doch aber muthig und fest, und als er auf dem Dorngrüt einzog, trugen nicht nur seine Braunen den Kopf hoch auf, sondern auch er, und wie sie frisch und munter rücheleten, so knallte lustig seine Geisel. Dießmal brauchte er nicht lange Jemand zu suchen,zar freundlich kam zuerst Anne Mareili ihm entgegen,reichte ihm die Hand und sagte: „ich habe b'langet afe und gemeint, du kommest nicht mehr. Bringst guten Bericht?“ Und dazu guckte es ihm gar lieblich in die Augen, und während er die eine Hand hielt, tätschelte
es mit der andern das wilde Dragunerroß, das scharrte und that, als komme es erst aus dem Stalle. „Ich mein's, antwortete Resli. Meine Leute waren b'sunderbar gut gegen mich, daß ich mich fry schämen mußte.“„O Herr Jere, wie froh bin ich, du glaubst es nicht.Denk nur auch, dä alt Uflath, d'r Kellerjoggi, ist wieder da gewesen, hat alles liebs und guts v'rsproche, hat unserm Vater den Mund süß gemacht, sich gestellt, als ob er sterben wollte, daß ich den größten Kummer ausgestanden, der Vater lasse sich wieder mit ihm ein. Das ist nun zwar nicht geschehen, er hat ihm ausweichenden Bescheid gegeben, aber ich fürcht, ich fürcht, wenn es den geringsten Anstand geben würde in unserer Sache,ich entrönne dem Kellerjoggi nicht. Lieber sterben wollte ich.“ „Häb nicht Kummer,“ sagte Resli. Da kam die Mutter und als Resli ihr die Hand geben wollte,sagte sie: „ih ha gar e wüsti, ih darf d'r se fast nit gäh, ih ha mym Alte d'Schuh g'salbet. Es ist gut daß du kömmst, z'Meitschi hat sich fast die Augen aus dem Kopf gesehen, gäb wie ich gesagt, du werdest nicht vor Mittinacht dich auf den Weg gemacht haben. Ih ha afe g'förchtet, es werd blings. Aber ist Niemand umdeweg (bei der Hand, am Weg), der dir abnehmen hilft und d'r zeigt, wo du mit den Rossen hin sollst?Es wird afe heiß, u s'G'schmeuß (Fliegen, Bremsen)wird bös. Lue doch, wo Hans un Joggi sy, die Stopfine“ (von stüpfen, stolpern, aus Trägheit die Beine nicht heben mögen). Aber Anne Mareili hörte die Mutter nicht, sondern blieb bei Resli stehen, rühmte seine Rosse und sagte ihm, wie es afe Längizyti gehabt,es hätte es duecht, die paar Tage seien eine Euikeit (Ewigkeit), es hätte gemeint, es g'stang's nicht mehr aus. So was gestehen die Mädchen sonst nur unter
vier Augen, vor den Leuten wollen sie den Namen gewöhnlich nicht haben, daß sie Jemand anhangen mit Leib uud Seele. Ja, es gibt welche, die meinen, es schicke sich selbst unter vier Augen nicht, so etwas zu bekennen. 'S sind kuriose Dinger, die Mädchen, und man versteht sich nie auf sie, so lange man nicht weiß,daß viele eine Rolle spielen müssen, andere eine Rolle zu spielen dressirt werden, und die Zahl derer nicht so groß ist, welche ihre Seele zeigen dürfen, wie sie ist,D dumme Gouvernanten, noch durch dumme Bücher verleitet werden, eine dumme Rolle schlecht zu spielen, statt das Schönste an ihnen, reine Liebe, zu zeigen in ihrer edeln Natürlichkeit.
„Sövli dumm gah z'rede, sagte Mareilis Mutter,gäb wie lieb si eim sy, su muß me se's nie lah merke u d'Nägel geng halbers davorne ha, sust meine si scho,si chönne mit eim mache was si welle. Mach ume so,du wirst es bald z'merke übercho. Aber du losist m'r nüt, ih wirde no selber dene Stopfine nah müsse, dene schießige Schlürfene.“
„Seh, rief sie mit greller Stimme gegen das Haus,ist de Niemere umdeweg!“ Da kam der Dorngrütbauer selbst von der Bühni hinunter und sagte, die andern seien eben mit der Mistbütti fort, sie werde wohl selbst abspannen können. Er war nicht halb so freundlich als das Weibervolk, kam langsam heran, ging erst um die Laden herum ehe er zu Resli kam, und frug dann,statt Gottwilche zu sagen: „Hest m'r die, wo ich ausgelesen, oder öppe anger?“ He, sagte Resli, er solle selber sehen, er werde sie wohl noch kennen, und seien es fie oder seien es sie nicht, so werde er öppe an diesen Laden wenig auszusetzen haben, öppe schöner würden
kaum zu finden sein. Aber er soll ihm sagen, wo er hinfahren solle, die Laden müßten abgelegt sein, es wär ihm lieb, wenn die Rosse ab der Sonne kämen. Der Bauer zeigte ihm den Ort, Gräbel lag herum und eng war der Weg für's große Fuder. „Zuchefahre wird sich kaum geben,“ sagte der Dorngrüter. „M'r wey luege,“ sagte Resli, hob die Geisel und ohne Hustern und ohne Donnern liefen unter der Geisel und durch einige Worte geleitet die Rosse scharf und schnell wohin sie sollten, und stunden alsbald aufs Wort. „Du bist schon mehr gefahren,“ konnte der Bauer sich nicht enthalten, zu sagen; vielleicht wäͤre es ihm anständig gewesen und es hätte ihn gelächert im Herzen, wenn Resli das ganze Fuder überleert hätte. „Lue, sagte die Mutter, wie der fahre cha, ich glaube nicht, daß einer von unsern Buben es so könnte; aber geh und nimm Eier aus, es werden wohl sein. Ich habe nicht einmal mehr für einen Eiertätsch im Keller; we me ke Krützer Geld het, aber e wüste Hung zum Ma, u doch albeeinist es wyßes Brödtli möcht oder e Wegge, was wett me d'r Weggefrau anders gäh as Eyer?“ „Mutter, ih weiß nit, wo sie s'Nest hey,“ antwortete Anne Mareili, schoß den Rossen nach und half sie abnehmen, trotz dem Mahnen, es solle es nur sein lassen.„Ja wolle, weißt du d'Nester nicht, sagte die Mutter,wo ist es Meitschi, das d'Hühnernester nit weiß! Aber es hat den Narre g'fresse a dem Kerli, we's ne nit überchäm, ih glaub, es hintersinnete sich. He nu, er gefiel mir auch, un schynt nit so ne Hündligürter und Batzeklemmer z'sy. Het er m'r ächt aber öͤppis kramet,es hätt ihm's sauft tha, b'sungerbar, wenn ih myner Eier für ihn bruche muß.“
Es beelendete Reski, als er seine Rosse in den dunkeln
Nun mußte Resli mit dem Alten abladen, oder wenigstens es anfangen, und peinlicheres gibt es wohl nichts für einen jungen raschen Kerli, der alle Handgriffe los hat und gerne rasch zu Ende wäre, als mit jemand, von welchem man nicht weiß, macht er's expreß unbeholfen, oder ist er's von Natur, ein Werk gemeinsam verrichten zu müssen. Und wenn der rasche Kerli noch dazu eine wichtige Ausmacheten vorstehend hat,wenn es sich entscheiden soll, ob er sein Lieb kriege oder nicht, so wird eine solche Arbeit doppelt peinlich. Zudem wollte der Alte die Laden, um spätere Arbeit zu ersparen, gleich aufgeknebelt; es fehlten aber die Knebel dazu, die Scheiter waren auf alte Mode, noch vier Schuh lang, sie mußten also abeinander gemacht werden, und dazu waren sie noch so ungleich dick, so krumm und holpericht, daß man sie ärger auslesen mußte, als
heut zu Tage die junge Mannschaft. So wußte der Bauer den armen Resli gut Dings zu versäumen, zudem mußte er noch alle Augenblicke von der Arbeit in den Stall, weil dort die Rosse rumorten und zusammenschlugen, daß man meinte, sie wären daran, den Stall auseinander zu schlagen. Endlich band er sein Sattelroß zuvorderst gegen die andern Rosse zu, die konnte er gerost machen lassen, die wußte sich Platz zu machen,wie eine hässige Frau an einer Feuerplatte. Wenn sie die Rosse nur weißen (aufschreien) hörten, und der Bauer sagte: „los, was geht aber, mi muß denk gah luege,“so antwortete Resli: „ih hulf se lah mache, sit werde e nangere nit fresse“ Wenn's aber zum zweiten Mal wieder kam, so lief doch dann der Bauer, fürchtend,sein Nebenroß zöge den Kürzern und hieb mit der Geisel ein, wohl weislich aber zumeist auf Reslis Rosse.Das war so ein Vorpostengefecht, aber ganz auf die alte Mode, daß wenn die Könige sich grollen, es über der Völker Haare geht.
Es war gar nicht früh mehr, als man zum Essen kam, und da hatte es auffallend gedunkelt
auf Anne Mareilis Gesicht. „Wir können dir nicht aufwarten,wie ihr uns aufgewartet habt,
sagte es, du mußt vorlieb nehmen, es ist einmal sufer (reinlich), das kann ich dir sagen.“
„Vexir nit, sagte er, es wär mir leid,wenn ihr Umstände gemacht hättet. Es ist eigetlich
uv'rschant, daß ich schon wieder da bei euch zuchehocke,aber wil's da ist, so will ich
einmal nehmen ins Gottes Namen. Aber den innern Aerger Anne Mareilis,daß die Mutter es
nicht hatte, um so recht aufzuwarten cuch kein schönes Geschirr, keine schönen Gläser, den
merkte er nicht, wohl aber die Wolken auf dem Gesicht.„Was hat's wohl aber wieder, dachte
er, vorhin so 6
Wolke entsteht aus heißem Liebesgrunde, sieht aber akkurat aus, wie eine aus giftigen Gründen. Ein gut Liebeswort würde sie zersetzen in ein freundlich Lächeln,eine zärtliche Thräne, und hätte man von weitem meinen sollen, sie berge Donner und Blitz, oder gar ein Erdbeben.
Und weil eben Resli den Grund nicht sah, woher die Wolke kam, so schien sie ihm verdächtig und er hätte viel darum gegeben, sie wäre nicht gewesen, der Kaffe schien ihm bitter und der Eiertätsch, an welchem in der That der Mangel an Eiern mit Mehl ersetzt war, bodenbös. Und je weniger gut er Anne Mareili selbst dünkte, und je weniger Resli davon aß, desto ärgerlicher ward Anne Mareili, ja, recht hässig, und durfte es doch nicht mit Worten erzeigen. Das wußte es, daß Kinder mit nichts sich einen bösern Namen machen, als wenn sie Vater oder Mutter vor den Leuten widerreden, oder gar sie vernütigen, das that es nie, auch wenn es ihm das Herz fast versprengen wollte.Es retirirte sich dann in sein Stübchen, lag übers Bett,und schnüpfte grusam, wobei ihm höchstens eine Thüre etwas härter als sonst aus der Hand entrinnen mochte.Dießmal konnte es nicht fortlaufen, es konnte nichts,als der Katze einen Stupf geben, aber wenn ein Mädchenherz so recht schwer geworden ist, vermag es der bloße Stupf einer Katze zu entladen? ich frage.
„Und jetz, was hast für B'richt, fragte der Bauer,als die Weinflasche auf dem Tische stund. Es wär mir lieber, es wär nüt, aber weil doch einmal das Wort heraus ist, so will ich lose, ob es euch recht ist,wie ich gesagt habe. Aber, wie gesagt, lieber wär's m'r, es wär nichts, vo wege, wenn eine Katze Bratis schmöckt, so läuft sie den Mäusen nicht mehr nach.“
„Ja, aber schon manche Katze hätte verhungern müssen,wenn sie auf das Bratis hätte warten
wollen, welches sie geschmöckt,“ antwortete Resli. „Sei es nun mit der Katze, wie es
wolle, antwortete der Bauer, so ist's wie g'seit, we z'Wort nit gäh wär, su gäbt me's
nimme.“ „Und du, fragte Resli Anne Mareili, bist du etwa auch reuig?“ „Es ist mir geng wie
geng,“antwortete Anne Mareili. „He nu so dann, sagte Resli,so hoffe ich, sei der Sach
nichts im Weg, myner Lüt sy gut gege m'r gsi und haben in allen Pünkten yg'williget. Der
Hof soll mir verschrieben werden um vierzigtausend Pfund und wenn ich sterben sollte ohne
Kinder,so kann es die vierzigtausend Pfund nehmen und damit machen was es will.“ „D'r Hof
wirst meinen,“ sagte der Bauer. „Nein, sagte Resli, der Hof ist, so lang man sich hintere
b'sinne mag, in der Familie gewesen,und da thäte es uns weh, ihn daraus zu lassen. So hat
Christeli gemeint, wenn er noch lebte, so wollte er ihn an sich ziehen, vo wege d'r
Familie.“ „So, Bürschli,antwortete der Bauer, soll das Märten angehen? werdet meinen, wir
wüßten nicht, was mehr werth sei, vierzigtausend Pfund oder der Hof. Södvli uv'rschant
hätte ich euch nicht geglaubt. Aber das wird nicht das einzige sein, was du im Kropf hast,
gib gleich alles füre,so ist ziChär us.“ Es dunke ihn, was er mit dem Hof gesagt, sei so
unbillig doch nicht, und hundert gegen eins sei zu wetten, daß es nicht dazu kommen werde,
das sei auch alles, was man begehre. Daß Nutzen und Schaden ihm erst angingen, wenn Vater
oder Mutter stürbe,und bis dahin d'Sach noch unter ihrem Namen gehe,das werd ihnen öppe
gleich sein, antwortete Resli. Da stand der Bauer auf; „so, meinst? meinst, du seiest
listige g'nue, das so einzuschlirggen, daß man nichts
ein Kind sein, habest du den Hof oder habest du ihn nicht. Wenn ich hier einmal entronnen
bin, wenn wir einmal beisammen sind, so können wir es immer machen,wie wir wollen, dann
hat uns Niemand mehr etwas zu befehlen. Und was du willst, das thue ich, es soll dir
versprochen sein.“ Er glaube es gerne, sagte Resli,er wüßte, daß es ihn lieb hätte, aber
es sei immer wegen Leben und Sterben, und darin hätte der Vater recht, daß, wie man es
mache, man es hätte. Was an ihm sei, wolle er von Herzen thun, aber füͤr die andern könne
er doch nicht versprechen, und billig sei es auch nicht, daß seinetwegen alle sich
entgelten sollten und alle thun, als ob sie nichts wären, das dürfte er ihnen nicht
zumuthen. „Aber hast du mich dann nicht lieb, und wenn du willst, so sagen die andern
alles nach, ich habe wohl gesehen, wie sie an dir hangen,und wenn du nicht dem Vater alles
nachsagst, so bindet er auf und macht es mit Kellerjoggi richtig. Denk an mich!“ „Du bist
mir lieb, lieber als ich mir selbst,aber wenn der Vater ein Wort hat, sollen wir nicht
auch eins haben, und ist etwa das unsere das unbillige (ungerechte), soll ich Vater und
Mutter auf die Seite stoßen?“ antwortete Resli. „Glaub mir nur ich will Kind an ihnen
sein, mich unterziehen, ich bin's ja gewohnt, aber mach wie's der Vater will, sonst heißt
er dich gehen, und was er einmal gesagt, nimmt er nicht zurück,“ sprach dringlich das
Mädchen, trat vor Resli,sah angstvoll und liebvoll ihm ins Auge. Resli that es im Herzen
weh, er schlang den Arm um Anne Mareili, drückte es an sich: „Wie lieb du mir bist, weißt
du nicht, sagte er, und wenn ich sieben Leben hätte,ich gäbte sie dir alle, vo wege, die
Lebe wäre myni.Ich weiß, du hieltest dein Wort und wärest wie recht.
Da trat auch Resli zum Tische, das Geld sah er nicht an, aber schwer kämpfte es in seiner
Brust: „So da weg, sagte er, möchte ich doch nicht, und ein vernünftig Wort wird wohl
erlaubt sein. Was Geld und Gut anbelangt, will ich nicht märten, was möglich ist,soll
geschehen. Daß man da den Vortheil nicht begehrt, hat man gezeigt, und mit keinem Wort
gefragt,ob das Meitschi etwas mitbringe oder nichts. Einstweilen haben wir genug, und was
es künftig geben sollte, überlassen wir Gott. Gebe es etwas oder nichts,so hoffe ich,
können wir es mit Gottes Hülfe fürder machen. Aber etwas will ich offenbaren, damit koönnt
ihr dann in Gottes Namen machen, was ihr wollt.Es gibt in jeder Familie zuweilen etwas,
manchmal kann man es mit Gottes Hülfe verwerchen, manchmal aber nicht. So hat es auch
etwas bei uns gegeben,und damals hat mein Vater g'werweiset, ob er mir nicht den Hof
abtreten solle. Da aber hat der Vater erfunden, daß die Mutter das nicht verdiene, weil
sie bedeutend Gut eingebracht und eine Hausmutter sei,die für alles Sinn hätte und
V'rstang für alle, und so eine, hat er gedacht, soll man nicht bei guten Kräften auf die
Seite stellen, weil es ihr leicht in das Gemüth kommen könnte, wenn sie nicht mehr über
alles könnte, zu nichts mehr etwas sagen sollte. Das ist eine schwere Verantwortung vor
Gott, wenn man so um zeitlichen Nutzens willen Jemand bei Seite stellt, dem Gott seine
Kräfte noch erhalten hat. So hat der Vater gedacht, und ihm wäre es öppe gleich gewesen,
hintere
heraus. Wie habe ich dich gebeten, und was hast du gethan, was habe ich dir versprochen, und wie hast du mir vertraut! Ja, vertraue so einer nur auf Gott,verlassen wird er dich, wie du mich verlassen!“ Wie Resli reden wollte, es hörte ihn nicht: „geh weg, rief es, ich mag dich nicht sehen, nicht hören. Ein Wort,und du hättest mich erlöst, und willst nicht, und machst mir's so, und jetz .“ Da ging seine Rede in krampfhaftes Schluchzen über, es stürzte ins Nebenstübchen,warf sich aufs Bett und weinte, daß es das ganze Bett erschütterte.
Verstummt war Resli, Schrecken exgriff ihn, er wollte trösten, entschuldigen, ging nach
zum Bette, bat um ein gutes Wort, wollte dessen Hand ergreifen;aber es hörte ihn nicht,
zuckte, wenn es seine Hand fühlte, zusammen, als wenn diese eine Schlange wäre.Wie er so
da stund und es ihn fast zerriß, so weg zu sollen, kam die Mutter und sagte: „Laß du das
Madchen sein, es hilft jetzt nichts mehr. Was gehst und verkegelst d'Sach, selber tha,
selber ha. Es ist öppe recht, we me zure Mutter luegt, un ere albeeinist öppis kramet,
aber mit ihre gah d'r Narr z'mache ist dumm und trägt nichts ab. Einist muß st doch vom
Hof,gäb es Jahr früher oder später, und was soll ihr das machen! Einmal mir wär's recht,
wenn mir Jemand d'Burde abnähmte und ich meine Sache gleich hätte,öppe albeeinist es
Tröpfli Kaffe un es äsigs Moöckli.Aber jetz mach, daß fortkömmst, vom Meitschi bekömmst du
doch keinen Bescheid mehr, es ist es grüsligs, we's so z'weg chunt, und wenn d'r Alt d'rzu
chunt, su seyt er d'r wüst“. „So gehe ich doch nicht gerne fort,“sagte Resli. „Bist selber
schuld, sagte die Alte, nimm z'Geld u gang, angers git's jetz nümme.“
Rasch liefen Reslis Rosse, immer rascher rollte sein Blut in den Adern, und je rascher es rollte, um so heißer ward es, um so langsamer schienen ihm die Rosse zu laufen. Hand und Fuß juckten ihm unwillkürlich,zum schnellsten Jagen die Pferde zu treiben. Es kochte in ihm auf glühendem Herde in einem Kessel beisammen Zorn und Weh, Liebe und Leid, Stolz und Demüthigung, und wie der Wind die Gluth erhitzt, ließ das schnelle Reiten den Brand unterm schauerlichen Kessel immer heißer erglühen.
Es ist allerdings ein eigenthümliches Heimgehen oder Heimreiten mit einem Korbe auf dem
Rücken, sei derselbe nun ein grober oder ein feiner, sei er von den Eltern geflochten oder
des Mädchens selbsteigenen Händen, immerdar wird er ähnlich sein einem Stück Schwamm, der
auf unserm Herzen gleichsam als auf einem nassen Feuerteufel sitzt, dasselbe zischen und
Funken sprühen läßt, daß es ein Graus ist. Natürlich zischen nicht alle Feuerteufel
gleich, die einen haben mehr Pulver als die andern, und auch nicht alle Funken
Ist der Korb nichts als das Fehlschlagen einer Spekulation, gleichsam das Ablecken des Pulvers auf der Pfanne, so ist's richtig eine fatale Sache, eine verfluchte sagt man, wird taub über Meitschi und Eltern, aber da es halt so ist, so schüttet man anderes Pulver auf die Pfanne, räumt vorsichtiger das Zündloch und sucht aufs neue zum Schusse zu kommen, am liebsten natürlich auf eine fette Wildsau oder ein blankes Rebhühnchen, wer aber gar zu taub ist, läßt sich verleiten und schießt auf den ersten besten Spatz. Solche Schüsse gehen gerne los, worob aber Niemand mehr erschrickt,als wer sie selbst losgedrückt.
Anders gestaltet der Feuerteufel sich, wo er mit Liebe halb oder ganz getränkt ist, der
ist nässer, sprüht langsamer, aber länger, und wehmüthig flimmern die Funken, und betrübte
Gedanken streifen, durchkreuzen den Horizont der Seele. War man zu wenig hübsch,zu wenig
reich, zu wenig vornehm, zu wenig galant und elegant, ach, und auf solche Lumpereien und
Nebendinge achtet die Welt, und z'Herz sieht sie nicht, z'Herz,die Hauptsache, wie der
Docht in der Kerze, und wie wäre dieses Herz so schön, so gut, so voll Liebe, und wäre auf
den Knieen gelegen lebenslänglich, und hinund hergerutscht, auch lebenslänglich, hätte
Kartoffelrinde
an den Zeitgeist, der den Eltern allen Zwang verbietet,dagegen den Kindern das Zwängen zuläßt, (aus welchem Grunde wahrscheinlich einige Gelehrte meinen, der Zeitgeist sei kindisch geworden), oder sieht die Eltern rundum an, ob nicht hinten die Rückenmarkauszehrung oder vornen die Wassersucht, unten das Podagra oder oben eine respektable Gehirnentzündung zu hoffen sei,wodurch am natürlichsten jeder Zwang beseitigt würde,und nebenbei weiß man sich gut auszudrücken über elterliche Beschränktheit, Standesvorurtheile, oder des Alters stupiden Geiz, der meine, man lebe vom Gelde alleine.Und wenn man einen Stock in der Hand hat, so können die Vorbeigehenden zu ihren Beinen Sorge tragen,sind aber Disteln bei der Hand, so werden die richtig geköpft, und jedem fliegenden Kopf wird nachgerufen:„gäll du Ketzer, jetz hesch's,“ wobei die, welche es allfällig hören, im Zweifel bleiben, ob unter dem Ketzer VV blos der Distelkopf.
Auf Resli paßt, wie man sieht, keiner dieser Fälle,darum ward ihm auch ganz appart. In seiner Macht wäre es gestanden, den Korb abzuwenden, das Mädchen liebte ihn, den Eltern konnte er gewähren, was sie wollten, und jetzt war er von beiden verstoßen, von den Alten verhöhnt, und das Mädchen hatte ihm kein gutes Wort gegeben, im Zorn den Rücken ihm gewandt.Und doch war er im Recht, bei ihnen aber Unverstand,an dem scheiterte sein Lebensglück. Nun ist nichts, was man weniger begreift, als Unverstand, nichts erbittert daher mehr, als dieser, und den von Einzelnen erlittenen schreibt man zumeist der ganzen Welt und Gott auf Rechnung, daher zumeist junge Menschenfreunde ( Philanthropen) alte Menschenhasser werden, denen die
ganze junge Begeisterung in einen alten zähen Gallensatz sich niedergeschlagen hat. So
ging es auch Resli.Die ganze Welt schien ihm ein Saunest, dem er im Galopp hätte entrinnen
mögen, je eher je lieber, und dem lieben Gott warf er Blicke zu, nicht für G'spaß,daß er
solchen Unverstand habe zur Möglichkeit werden lassen. Er hatte die größte Mühe, seine
Rosse nicht abzuflachsen, so recht vaterländisch, aber es dünkte ihn,wenn nur so ein
rechter Bauerndrüssel auf einem Wägeli oder mit einem Zug ihm begegnen würde, oder gar ein
lästerlicher, roth gefütterter Kommis, mit einem erzwängten Schnauz, die wollte er mit
einem Riß zusammenwettern, daß nicht eine Hand groß ganz an ihnen bliebe; aber glücklicher
Weise begegnete ihm Niemand als ein Hund, der herlief, die Pferde anzubellen,wie es eben
Thiere gibt, sogar Menschen, welche alles anbellen müssen, was in ihren Gesichtskreis
kommt.Dieser kriegte einen so tüchtigen Geiselhieb, daß er das Bellen einstweilen vergaß
und heulend nach Hause lief,und eine Zeit lang nicht gewußt haben soll, ob das Bellen ganz
verboten sei oder nur zu Zeiten.Allmälig setzte sich das Fieber und das allgemeine Gefühl
wandelte sich in ein besonderes Denken, gleichsam in ein Wiederkauen des Vergangenen, in
ein neues Ueberschlagen, ob er Recht oder Unrecht gehabt. Wenn er an den Bauer dachte, so
juckte es ihn immer neu im Arm, und wehe dem Pferde, das in diesem Augenblick die
geringste Untugend erzeigte, es kriegte richtig eins aus dem Salz, denn es war Resli in
solchen Augenblicken nie, daß er ein Pferd schlage, es kam ihm immer vor, der Bauer kriege
die Hiebe, und da war's ihm, je härter sie wären, desto wöhler thäten die dem Ketzer. Dann
glitschten seine Gedanken, er wußte nicht
Wie es nun Zufälle geben, Umstände sich häufen können, wo ein Mann in einen Zorn gebracht
wird,der ihn zum Mörder macht, des Mörders Strafe er auch ausstehen muß, während man ihn
allgemein be
Das Mitleid mit dem Mädchen gewann die Oberhand, er bedauerte es von Herzensgrund, die
Rohheit des Alten verwand er; so ein Mensch habe keinen Verstand, dachte er, und wie man
mit einem rechten Menschen umgehe, das wisse er nicht. Es freute ihn, daß er keinen
besondern Aerger erzeigt, sondern fest geblieben war bis hundert Schritte vom Hause weg,
und mehr war ihm doch auch nicht zuzumuthen. Aber eins stund ihm fest, daß die Sache aus
und ab sei, es war ihm,als thue sich ein unendlicher Abgrund auf zwischen dem Dorngrüt und
ihm, als seien die vergangenen Tage eine versunkene Welt, die er nur noch im Traume
betrachten könne, die mit seinem zukünftigen Leben nicht zusammenhingen. Daß es so war,
that ihm weh, denn wen schmerzt das Herz nicht, wenn was Liebes zu Grabe geht, wer
trauerte nicht in tiefster Seele, wenn
Dieser Trost kam allmälig immer mehr über Resli,er hatte aufrichtig und ehrlich recht
gethan, und nun in Gottes Namen! Das kann aber der nie sagen, der gemeint, geglaubt,
gedacht, gehofft, sich geduckt, gemärtet hatte, und nun getäuscht wird, der Erfolg ein
ganz
Langsam und spät kam er nach Hause, und alle warteten seiner guter Dinge, hielten dieses Spätsein für gute Vorbedeutung, ja, Annelisi redete schon von zu Bette gehen, denn er komme doch nicht heim, es wolle ihnen das für gewiß sagen, und einen Meyenstock oder eine Halbe darauf wetten, mit wem da wolle.„Es gult, sagte Christeli, wenn d'auch zahltest, was d'vrlörest, aber du hast ja nie kes Geld. Resli kömmt lich, daß der Bauer da unten im Grüt hie und da öppe e Mönsch z'Gast het, öppe viel nit, ih bi o dert gsi, un öppe viel het me m'r nit anerbote, aber vier Roß hat der nicht über Nacht. Z'Selbist ha nih ume eys by m'r g'ha, u selb het niemere bigehrt, ine Stall ythue, ume öppe für e Stung oder e halbi.“ Bald darauf hörten sie durch die nächtliche Stille Rädergerassel. „Das ist ihn,“ hieß es. „Nein, es ist ihn nicht, man hörte ihn klepfen, er würde strenger fahren,“ ward entgegnet, und während dem Werweisen noch lenkte er still und ohne Peitschenknall durchs Thürli.„Es het g'fehlt,“ sagte die Mutter.
Trübe und stille ward es in Liebiwyl, aber eine Innigkeit, eine stille Freundlichkeit verband die einzelnen Glieder der Familie, wie noch nie. Wer hat es nicht schon erfahren, wie still und öde es in einem Hause wird, aus dem ein geliebtes Wesen zu Grabe getragen worden, wie leer und trüb den Zurückkehrenden vom traurigen Begleit das Leben scheint, allenthalben ihnen etwas fehlet, während sie um so inniger an einander
sich schließen, in liebevoller Sorge um das Glied sich reihen, welches durch den Verlust am härtesten getroffen worden, die verlorne Liebe ihm zu ersetzen suchen. Wie überhaupt in allen Herzen die Liebe klarer und leuchtender aufbrennt, wie ja auch die Sonne nie heller scheinet, als nach gewaltigen Gewittern. Das ist der Segen der wahren Liebe, daß in der Liebe selbst der Balsam liegt für die Wunden der Liebe.
So lebten sie in stiller Freundlichkeit zu Liebiwyl,und jedes redete sanfter mit Resli,
und jedes suchte es ihm zu zeigen, wie lieb es ihn hätte und alles für ihn thun möchte.
Ueber die Sache selbst ward wenig oder nichts mehr geredet. Resli hatte natürlich erzählt,
wie es ihm ergangen war, und die ganze Familie es tief empfunden, wie Resli behandell
worden, die Jungen hatten sich hauptsächlich über Anne Mareili geärgert,und Annelist
gesagt, so könnte es es doch keinem machen, zu dem es nur einen Funken Liebe hätte. Die
Alten aber schmerzte der Uebermuth des Vaters am meisten gegen eine Familie, deren er sich
doch nicht zu schämen hätte, am Meitschi dünke es sie nichts anders,es King syg emel geng
ume es King, wüß doch mänge Alte mängisch nit, was er thue. Die Mutter deutete darauf hin,
daß sie so etwas gefürchtet, und gerne sich unterzogen hätte, aber tadeln that Resli
Niemand, die Sache war abgethan, und was nützt es, wenn hintendrein ein jedes sagt: „so
hätte ich es gemacht, und so hättest du es auch machen sollen?“ Hintendrein ist gut teden,
sagt das Sprüchwort, und die Erfahrung bestätigt es auch. Während vor der That guter Rath
theuer ist, hat nach der That jedes Babi Steinkrätten voll, und trägt sie einem nach und
dringt sie einem auf, und zwar gratis. Es ist nichts ärgerlicher, als
Am meisten drückte es Aenneli, daß die Hoffnung,eine Sohnsfrau zu erhalten, in ungewisse Ferne gerückt war, es hätte so gerne die noch gesehen, die nach ihm schalten und walten sollte in diesem Hause. Aber zu etwas Neuem drängen, das mochte es den Sohn nicht;ein solches Drängen zur Unzeit vergrößert nur den Widerstand, ist eine von den bittern Früchten der Liebe,die einem Menschen als Glück etwas aufdringen will,zu welchem derselbe weder Lust noch Liebe hat. Resli war darum auch so gerne bei der Mutter, die ihm von alten Zeiten b'richtete, ihn bekannt machte mit vergangenen Sitten und den Vorgängen in der Familie,so weit hintern sie selbst etwas wußte. Wo das Ringen mit der Gegenwart den Menschen nicht mehr allein faßt, sein Herz sich losgemacht hat von den Dornen und Disteln des gemeinen Lebens, da denkt er an die Vergangenheit, kümmert sich um die Zukunft, sorget für das Loos seiner Kinder, forschet nach denen, die ihn auf die Welt gestellt, ihm ein Dasein verschafft.Ueber der Menschheit tiefsten Niederungen, wo der Mensch beginnt, Vergangenheit und Zukunft in Beziehung auf sich und, die Seinen ins Auge zu fassen,entsteht die Familie.
Der Familie Schatzkästlein soll aber nicht sein das Verzeichniß der bloßen Namen der
gestorbenen Familienglieder, soll nicht blos enthalten die Sparpfenninge der
haushälterischen Ahnen, sondern dieses Schatzkästlein soll enthalten Sitten und Erlebnisse
der Väter, zu Warnung und Weisheit der Kinder. An dieser Familiengeschichte sollen Kinder
aufwachsen, wie am Spalier der edle Fruchtbaum. Der Väter Sinn und Art, welche
gegeben, wenn er dort oben in den großen Sternen,gleich als wie in einem Spiegel, es hätte sehen können,was da unten in seines Mädchens Herz sich rege, ob er auch noch in selbem sei, und in welchem Glanze.Gar oft dachte er: „wenn wir einander nicht mehr sehen in dieser Welt, und beide sterben, sehen wir uns dann wohl wieder in einer andern Welt, erkennen wir uns wohl, und ist da auch noch etwas zwischen uns,oder können wir dort bei einander sein in ungetrübter Liebe?“ So sinnete, so träumte er, und mancher abenteuerliche Plan ging an ihm vorüber, wie er erfahren könne, was im Dorngrüt gehe, und wie dort die Sachen stünden. Er konnte dort als Bettler erscheinen,oder als Kiltbub bei den Mägden, konnte bei der Wirthin in eigener Gestalt sich einschleichen und vernehmen oder Bericht machen lassen, er konnte als stilles Ung'hür das Haus umkreisen, und bewachen jeden Eingang und Ausgang. Dieses und eine Menge anderes bedachte er und that nichts, nicht aus Unschlüssigkeit,und weil er werweisete zwischen diesem und jenem, sondern weil er eben nichts thun wollte, und seine Ueberzeugung fest stund, daß es so bleiben müsse. Hundert Mal juckte es ihn, mit seiner Mutter zu reden über seine Gedanken, aber weil er wußte, wie sie sich verbünden würde mit seiner Sehnsucht, hielt er das Wort gefesselt an ehernen Banden.
Dieses stille Liebesleben ward nachgerade doch Annolist langweilig, und es wachte in ihm die Sehnsucht nach etwas lustigerem, lebendigerem. Und es ist seltsam, wie es Buben und Wespen fast gleich haben.So lange eine Birne hart und bitter ist, da fliegen die Wespen wohl darum, aber rasch vorbei; sobald sie aber nur gäb wie zu mürben beginnt, so ist's, als wenn's
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So ging es auch um Annelist wie wild. Ja, sogar einige Fürsprecher ließen sich herbei,
gleichsam wie große Raubvögel (denn je größer das Aas, desto größer die Vögel sind, welche
es herbeilockt) und breiteten roth verbrämte Mäntel stattlich aus, und schlenggeten die
Haare, oder strichen den Schnauz und redeten zärtlich nach neuer Mode, welche freilich
zuweilen ans kannibalische streift. Sie machten aber keinen Eindruck, strichen umsonst
Schnäuze und ließen Mäntel flattern und wedelten mit den Haaren, eine neue Art
ungebundener Zöpfe, nur daß man sie jetzt vornen trägt, statt, wie ehedem, hinten. Ein
junger Bauer, mit dem Annelisi aufgewachsen war, über den es von seinem ersten Schuljahr
an bis zum letzten geschimpft, sich mit ihm gezankt, gekratzt, gestriegelt, über den es
von dort an beständig zu lachen und zu spotten hatte, der schlich sich auch unter die
Wespen, welche um die Birne flatterten. Annelisi spottete nur ärger und richtete alle
Pfeile des Witzes und der Bosheit auf ihn, daß ihm die Mutter oft abwehrte und ihns bat,
es solle doch schweigen und denken, es könne sich versündigen. Dann bat es wohl ab, aber
handkehrum fiel es in den gleichen
Es war die sogenannte heilige Zeit im Herbst, die der Bettag schließt, welcher vor der Thüre stand.
Heilige Zeit als ob nicht jede Zeit und jeder Tag zu unserer Heiligung uns gegeben, Gott
geweiht sein sollte. Aber der Mensch findet so gerne mit Gott sich ab, gibt ihm etwas, das
Uebrige will er appart haben und gebrauchen nach seinem Sinn. Einige Tage nimmt er sich
etwas in Acht, nennt dieses heilige Tage, glaubt damit Gott einstweilen abgefunden, geht
getrost ans alte Leben wieder hin, und treibt es mit um so größerer Lust, fast wie es
Schlemmer treiben, die expreß einige Stunden fasten, um nachher mit um so größerem Appetit
zu fressen. So wird alles verkehrt dem verkehrten Gemüthe, und selbst die heilige Zeit
wandelt sich für ein solches in einen Fluch um. Schön aber sind unsere vier heiligen
Zeiten, unsere vier geistigen Jahreszeiten, wo jede die andere gebiert, jede aufs Gemüth
der Menschen eigens wirkt, und in beständigem Wechsel und Wiederkommen den Menschen vor
geistigem Schlafe wahren soll. Wenn im Herbste die Erndte in den Scheuern liegt, junge
Saaten einer neuen Erndte entgegen grünen, an den Bäumen die Blätter gelben und zwischen
ihnen die hellen Früchte glänzen, dann soll der Mensch es sich bewußt werden, daß auch er
ein Baum sei, von dem Früchte gefordert werden, daß die Menschheit sei der große
Weltenacker, und gerichtet werde nach den Früchten, die auf selbigem stehen. Es soll im
Geiste der Mensch den Herrn sehen, wie er
Dieser Tag hat noch immer seine hohe Bedeutung unter uns, feierlich wird es uns zu Muthe,
und je näher wir ihm kommen, desto demüthiger werden wir,desto klarer stellt das
Bewußtsein sich heraus, daß wir vor Gott des Ruhmes mangelten, daß all unsere
Gerechtigkeit sei wie ein unfläthig Kleid. Es gibt freilich Leute unter uns, welche sich
dieses aufdringenden Bewußtseins mit aller Macht zu erwehren suchen. Es sind hier nicht
die gemeint, welche theoretisch Christus und die Sünde abschaffen wollen, sich selbst zum
Götzen machen möchtenz welche, bei Lichte besehen, akkurat dem Kalbe gleichen, welches die
Juden anbeteten, mit dem
und die eben deßwegen nichts sind, als Zeugen der Wahrheit des Evangeliums, welches sie
vernichten wollen, als Denksteine, daß, wer sich selbst erhöht, erniedrigt werden werde,
daß sie eben nicht länger dauern als das Kalb, das noch dazu golden war, das zu Pulver
gestoßen ward, und welches Pulver verschlucken mußten die, welche das Kalb angebetet
hatten, und und welches ihnen sehr übel bekam, denn es machte ihnen Bauchweh und einer
erwürgete den andern. Akkurat wie es heute geht, wo, wer heute der Götze war,morgen zu
Pulver zerstampft wird und übermorgen die,welche ihn zerstampft, sich gegenseitig
erwürgen. Und jener arme Tropf, der die schmählichen Worte sang:„Und vor der Menschheit
schreit ich groß, noch durch Jahrhunderte daher,“ um den bei Lebzeiten kaum tausend
Menschen wußten von tausend Millionen, von dem nur einige Kameraden Lärm machten und ihn
herum führten und zeigten, wenn er irgendwo durchkam. (Apropos, die Literaten haben den
Schneidern etwas abgeguckt. Wenn nämlich so ein Schneider auszieht,so singen alle
Schneider um ihn her, einer trägt ihm die Stiefel nach, ein anderer die Flasche, er selbst
hat das Glas in der Hand, bedankt sich ringgum, indem er vortrinkt und hintendrein brüllt,
was die andern
Von denen, die ich hier beschrieben, kann ich in Beziehung auf den Bettag nicht reden, er macht ihnen weder kalt noch warm, und wie sie ihn zubringen wollen, darüber sind sie nicht in Verlegenheit, sie bringen ihn zu, wie das vergangene Jahr, und daß man ihn so zubringen kann, dafür ist bei Zeiten gesorgt.
Die Leute, von denen ich reden möchte, sind die,denen es störend in ihr Leben trittet,
Handwerker, die in den gewohnten Pinten nicht schöppeln, Agenten, die in Wirthshaäusern
nicht auf gut Schick passen, Gebildete,
Es ist auf dem Lande wohl mehr Sinn für das Ernste,und im Hause unter den Seinen ist's dem Landmann wöhler, und mit dem Bettag weiß mancher Bauer weit mehr anzufangen, und empfindet mehr seine Bedeutung, als gar mancher, der viel von Geist zu reden weiß, aber doch eigentlich nur von Fleisch, Brod, Wein und ähnlichen Dingen lebt. Ruhig geht schon der Vorabend ein und eine wunderbare Stille liegt am Tage selbst überm ganzen Land. Man hört kein Geräusch,als nur hie und da ein Chaischen, in dem Stadtleute sind, welche ihrem eigenen Teufel entrinnen möchten.Es wird an rechten Orten wenig Bauern geben, welche an diesem Tage ein Roß aus dem Stalle nehmen würden. Man sieht nichts als Predigtleute, vielleicht solche,welche die Neugierde in eine entferntere Gemeinde getrieben, um zu hören, wie den Nachbarn der Text gelesen wird, wie man denn allerdings lieber Andern abkapiteln hört, als sich selbst, und, seltsamer Weiseeine Predigt in einer fremden Kirche nicht auf sich
bezieht, als ob das Wort Gottes nur in unserer eigenen Kirche das Recht hätte, unser Herz zu züchtigen.Hie und da sieht man bei einsamen Häusern wohl eine Wäsche flattern, die irgend eine verwahrloste Frau an die Sonne gehängt, und die da ruhig hängen bleibt,obgleich es eigentlich verboten ist. Aber es ist halt die Welt eine Kugel, und dreht bekanntlich sich um, was oben war, kömmt unten, und wie man zu Zeiten beim Erlaubten ruhig war, beim Verbotenen gestört wurde,so dreht sich natürlich mit der Welt auch dieses Ding um, bald wird man ganz getrost das Verbotene treiben können, aber sich wohl in Acht zu nehmen haben vor dem, was erlaubt, gesetzlich einem zugesichert war. Und wer kann was dafür, daß die Welt sich dreht?
Und wie die Gemeinde in feierlicher Stille des Wortes harret, das zur Buße rufen, eine tiefe Furche reißen soll ins eingerissene Leben, so sinnet der Prediger auch mit Ernst und Andacht über diesem Worte, schaut über das Saatfeld, schaut die Krankheiten an, die auf demselben sichtbar werden, der Erndte die größte Gefahr drohen, und was er tief und ernst erwogen, das legt er seiner Gemeinde vor, nicht in Anschwellungen des Zornes, als ein Oberherr, der seine Sklaven züchtigt,nicht als ein Schweinehirt, der seine Schweine peitscht-sondern ernst und bewegt, im Bewußtsein, daß auch er der Gemeinde Glied, uud vielleicht nur dadurch über den andern Gliedern, daß sein Auge schärfer schaut,sein Mund genauer bestimmt die Krankheiten, die durch die Saaten gehen.
In Liebiwyl war dieser Tag von je ein heiliger gewesen, den man in der Stille zubrachte,
und wo, Krankheitsfälle ausgenommen, keinem Menschen im Hause es nachgesehen worden wäre,
wenn er nicht wenigstens
An diesem Tage gehen die Leute nicht langsam, gemächlich, zur Kirche, sie eilen, die zahlreichen Züge gleichen Strömen, die Niederungen zueilen, zu spät will Niemand sein, jeder Platz noch finden, je älter die Leute sind, desto früher machen sie sich auf den Weg,und längst, wenigstens bei schönem Wetter, ist die Kirche angefüllt, wenn der Prediger kömmt, ernst“ und feierlich, im Bewußtsein, daß, was in seiner Brust sich rege, auch in den meisten andern lebe, und auf den Herrn hoffend, daß der Herr das rechte Wort ihn finden lasse, das, was sich innenregt, äußerlich zum Leben zu bringen.
Christen und Aenneli hatten darüber nachgedacht,wie das Jahr ein so wichtiges für sie
geworden, und wie der Herr in demselben sie gesegnet und gezüchtiget,wie noch in keinem,
und wo wohl noch die Sünde sei bei ihnen, und wie es mit Resli gehen, Gott ihn führen
werde. Lange hatten sie am Abend vorher ernste Gedanken gewechselt und die bewegte Seele
wollte lange sich nicht in des Schlafes Ruhe sinden. So verschliefen sie sich fast am
Morgen, und ungern hatte es Aenneli,denn an solchen Tagen hatte es Hasten und Jagen nicht
gerne, denn gar schwer wird es dann dem in die häuslichen Wirren versenkten Gemüthe, zu
der Ruhe zu kommen, welche alleine der fruchtbare Schoos für des Herrn Wort ist. Aber zu
seiner großen Verwunderung war schon die meiste Morgenarbeit abgethan und das Meiste
z'weg, so daß die Haushaltung nicht versäumt war und Aenneli seine Zeit auf sich verwenden
konnte. Dieses Vorthun war ihm eine seltsame Sache,
Es war ein schöner Herbsttag, klar und mild die Luft, und ganz voll Glockentöne, schwiegen sie hier, so hallten sie, bald milder, bald ernster, von anderswo her. Es war, als ob ein treu Elternpaar zuspreche feinem Kinde, und schwiege des Vaters ernste Stimme,so begönne leise, milder, aber gleich innig, die Mutter.
Sonst ist allem voran immer die leichtbeinige Jugend, dießmal zogen alte Mütterchen
vorauf, langsam,und oft noch stille stehend, und alte Männer gingen mit ihnen, sprachen
von alten Tagen, und was zu
Aenneli, und als sie in die Kirche kamen, wollte jede wissen, wo man den Herrn am besten verstehe, und ordneten es in eine Bank mit Rücklehne und an die Wand, wo es öppe am bequemsten sei und hingefer u nebefer anliegen könne, vo wege, d'r Herr mach mängist wohl lang, u de werd me grusam müd, b'sungerbar im Krütz. Nach und nach schwoll die Kirche an,die Glocken riefen, der Schulmeister las, und fry herzhaft, er wollte noch über die Glocken übere, und auf einmal verstummte alles, oben auf der Kanzel erschien der Pfarrer, blaß und angegriffen, und nachdem er sein Gebet verrichtet, verlas er leise das zu singende Lied.
Ernst schwollen die Töne auf, ernste Andacht ließen sie in den Herzen zurück, und demüthig beteten sie um segensreiche Empfängniß des segenreichen Wortes. Begierig horchten sie auf das Grundwort, welches der Herr der Schrift entnommen, und hörten folgende Worte:Gefällt es euch nicht, daß ihr dem Herrn dienet, so erwählet euch heute, welchem ihr dienen wollt, es seie den Göttern, denen eure Väter gedient haben, welche jenseits des Flusses waren, oder den Göttern der Amoniter, in welcher Land ihr wohnet. Ich aber und mein Haus wollen dem Herrn dienen.“
Es war ein schwer Wort, aber viele dünkte es doch seltsam, daß der Pfarrer jetzt noch
davon sprechen könne,daß man wählen solle, wem man dienen wolle, es sei ja längst
ausgemacht, daß sie alle Christen seien, meinten sie.Der Pfarrer begann mit der Bemerkung,
daß er auf eines aufmerksam machen müsse, was alle Voölker,welche ihrem Untergange
entgegen gegangen, mehr und mehr außer Acht gelassen hätten, was aber ganz eigenthümlich
im Alten Testament bezeichnet sei, und dessen
Liebe Andächtige, heute haben wir einen Bußtag,unseres Elendes sollen wir uns bewußt werden, sollen jammern und klagen darüber. Wenn jeder unter euch reden wollte, an Jammer und Klage würde es nicht fehlen, und wirkliches Elend wäre der Klage Gegenstand. Aber wie selten einer würde des Elendes Grund und Wurzel da suchen, wo sie ist. Es ist des Menschen Art, über alles zu klagen, nur nicht übex den eigenen Abfall, die eigene Verkehrtheit. Liebe Andächtige, ich will euch Hauptklagen anführen, die man hört, wenn man nur einige Worte mit Menschen spricht,nur einige Augenblicke an einem Orte steht und hört,was andere reden. Alle Klagen, welche ich gehört,führe ich nicht an, aber die, welche ich auslasse oder vergesse, die nehmt und macht es so, wie ich mit den angeführten, so werdet ihr auch über diese ins Klare kommen.
Ihr klagt, nicht Jeder über sich, nein, es klagt der Mann über das Weib, das Weib über
den Mann,der Mann klagt, das Weib sei nicht mehr des Hauses Mutter, nicht mehr seine
sichtbare Vorsehung, nicht mehr dessen Amme, von der die gesunde Speise kömmt für Leib und
Seele Allen, die im Hause wohnen. Das Weib klagt über den Mann, daß er außer dem Hause des
Hauses Mark verzehre, des Hauses Dienst versäume, daß er ob sammeln oder verzehren des
Geldes vergesse die Menschen, die um ihn wohnten, das Weib,das seine Hälfte sein sollte,
die Kinder, die seine Zeugen vor Gott sein werden. Die Eltern klagen über die Kinder, über
Mangel an Treue, an Gehorsam, über den hochmüthigen Sinn, der alles, was nicht jung ist
und nagelneu, verachtet, der meint, es sei mit allen Dingen, allen Menschen, wie mit
schlechtem Zeuge,
Liebe Andächtige, ihr wißt, daß meine Sitte es
nicht ist, Verdammungsurtheile auszusprechen, von denen ich Niemand ausnehme als mich
selbst, aber wo durch die Zeit eine Krankheit geht, da bleibt selten Jemand von ihr
unberührt, am wenigsten ich ; es schwebt über jeglichem der Zeitgeist, der die Krankheit
mit sich führt oder die Krankheit selbst ist, gerade, wie wenn in der äußern Luft ein
Krankheitsstoff getragen wird, z. B. der rothe Schaden (Ruhr), sehr selten Jemand
unberührt bleibt, sondern die Meisten davon berührt werden, wenn auch die Krankheit nicht
ausbricht,auch der Tod nicht droht, so doch durch ein Unbehagen, das durch unsere Glieder
schwebt, von dem wir nicht wissen, woher es kömmt, und zumeist auch nicht,was es
eigentlich ist. Ich bin der Meinung, daß es eben niemand zieme, zu sagen: „ich danke dir,
Gott,daß ich nicht bin, wie jener arme Zöllner.“ Darum werdet ihr auch nicht zürnen, wenn
ich keine Ausnahme mache, nicht rede von absonderlich braven Leuten, die keinen Fehl
hätten, von Häusern, die nichts als heilige Tempel wären, zu anmaßlichen Sektirern will
ich euch nicht stempeln, und als Esra betete: „ich schäme mich,mein Antlitz aufzuheben zu
dir, denn unsere Schuld ist groß geworden bis an den Himmel,“ wen nahm er da aus? Die
Priester, die Regenten, die Reichen? Er nahm Niemand aus. Wen man vom allgemeinen
Bekenntniß der Sündhaftigkeit, der Sündenschuld, ausschließt, den stößt man damit aus der
Gemeinschaft der Gläubigen. Daß je reicher, je mächtiger einer sei, auch ein desto
größerer Sünder sein müsse, wollen wir nicht sagen, aber lebendiger soll das
Schuldbewußtsein in ihm sein, denn ihm sind zehn Pfund anvertraut, und nicht nur ein
Pfund, und wie schwer es einem Kameel sein muß, durch ein Nadelöhr zu gehen, das soll er
Alle die vorgebrachten Klagen sind richtig, aber ihr,ihr Hausväter, ihr Hausmütter, die ihr klagt, ihr seid zumeist die Schuldigen, und aus dem verwahrlosten Hause herauf wachsen, wie im Moraste Schwämme und Giftpflanzen, die Dinge auf, über die ihr klaget.
Wenn Mann und Weib über einander klagen, was klagen sie eigentlich? Daß das Haus nicht mehr ihr Tempel sei, daß Gott nicht mehr zwischen ihnen sei,daß jedes dem eigenen Götzen sich zugewandt, daß eins vom andern fordere, daß es ihm als seinem Götzen diene, daß er auswärts opfere, was das Haus selbst bedürfe; was klagen sie eigentlich, als es sei der Friede fort zwischen ihnen, der Friede, der nur von Gott kömmt, und der nur in seinen Tempeln wohnt? Das eine oder das andere, zumeist beide, stehen nicht als Priester am Hausaltare, warten des heiligen Feuers nicht, das die Herzen rein glüht von irdischen Schlacken,daher die Klagen, daher das Weh, das durch zerrissene Glieder fährt. Ihr klagt über die Kinder und wundert euch darüber. In der Taufe habt ihr versprochen,sie dem Herrn zuzuführen, thut ihr es? Vater, zeigst du deinem Kinde Gott, des zeitlichen Lebens ewige Bedeutung? und du, Mutter, nährst du in frommem Sinne der Kinder geistigen Hunger und Durst, und offnest ihnen die Augen, daß sie im Sichtbaren das
Unsichtbare sehen, und die Quelle des Leides über jegliche Sünde, jegliche Befleckung?
Gewöhnt ihr sie,euch als Priester nicht nur, sondern als Engel Gottes zu betrachten, die
ihnen der Herr auf Erden vorausgesandt, um an erfahrner Hand sie zu geleiten auf rechter
Bahn zum ewigen Ziele? Gewöhnt ihr sie,das Haus zu betrachten als eine Freistätte des
Guten?Thut ihr das? Oder was meint ihr, wenn die Kinder euern Abfall von Gott sehen, dem
Allmächtigen, dem Allwissenden, und euern Ungehorsam gegen ihn, sollen sie dann euch
gehorchen, euch, den Schwachen und Gebrechlichen? und wenn ihr selbst mit der Muttermilch
sie einsaugen laßt Fleischeslust, Augenlust, Hoffart des Lebens, was wollt ihr euch da der
Früchte weigern,die aus solchem Saamen entstehen? Oder wollt ihr sagen, Religion zu lehren
sei der Lehrer Sache? Religion lehrt sich eben nicht, wie ein Rechnungsexempel,und ließe
fie sich auch lehren, wie soll sie da gelehrt werden, wo ihr mit Wort und That das
Gegentheil von dem thut, was der Lehrer lehrt? Was würdet ihr von einem Acker erwarten,
den man ansäet und alsobald nach der Aussaat wilde Schweine und andere Thiere hineinläßt?
Wenn ihr von den Lehrern fordert, daß sie die Kinder zu Christen machen, so müßt ihr
erstlich Lehrer wählen, welche selbst Christen sind, und nicht etwa dem Christenthum den
Krieg angekündigt haben,und wenn ihr Christen zu Lehrern habt, so müßt ihr sie weder
verhöhnen noch verdächtigen, noch gar ihre Arbeit und ihren Fleiß verwünschen, oder dann
suchet nicht Trauben an den Dornen; müßt nicht von der Thorheit besessen sein, nicht
christliche Kinder zu begehren, sondern blos gute, so allgemein Gute, ohne Glauben, ohne
Christus, ohne Gott. Man klagt über
Darum lege ich auch euch die Frage vor wie Josua,der auch seinen guten Grund gehabt, doch keinen bessern,als ich heute: Wem wollt ihr dienen, irgend einem Götzen oder dem Herrn, dem ich und mein Haus dienen wollen. Ihr werdet meinen, das sei eine müßige Frage, aber das ist sie eben nicht; ihr werdet sagen,das verstehe sich von selbst, daß ihr Christen seiet, und mit euerm Hause dem Herrn dienet, aber das versteht sich eben nicht von selbst.
Ein Haus will man machen, ein Haus will man bauen, ein Haus möchte man besitzen, aber
alles das in Beziehung auf die Welt, auf den äußern Schein,man will ein braver Mann sein,
eine berühmte Frau,aber an das recht christliche Haus, an's christliche Priesterthum,
denkt man nicht; bedenkliche Verlegenheit
Es ist, ihr mögt wollen oder nicht, das Haus der Spiegel euerer selbst, eueres
Inwendigen; ist euer Herz zerrissen, oder hoffärtig, oder zuchtlos, so wird alles dieses
auch euer Haus sein, wird als Zeuge und Spiegel täglich euch vor Augen stehn. Seht, darum
ist's auch, warum so oft Menschen nicht daheim sein mögen,warum es dem Manne wird im
eigenen Hause, als ob er im Gefängniß wäre, der Frau wie einem Vogel,der in eine Stube
sich verirrt, daß ihnen wind und bange wird innerhalb der eigenen Schwelle, was sie im
Spiegel sehen, vor dem grauet ihnen, des Hauses Predigt, die ohne Worte, aber wie ein
zweischneidend Schwert durch ihre Seele fährt, möchten sie nicht hören, aber wo wollen sie
hinfliehen! Das Herz, so öde und ohne Trost, aber voll Stürme; Wind und Graus,das folgt
ihnen überall, dem entrinnen sie nicht, das sitzt ihnen nicht blos auf der Ferse, das
sitzt mitten in ihnen. Und das Haus sollte doch eben sein der süße friedselige
Zufluchtsort des Pilgerims nach vollbrachtem Tagewerk, der freundliche Hafen, den der
Schiffer sehnsuchtsvoll sucht, wenn hart des Lebens Wellen ihn geschaukelt, im Hause
findet er den Frieden, der aus der Liebe wächst, die süßeste Frucht eines Gott ergebenen
So ungefähr redete der Pfarrer, aber ausführlicher,und namentlich den letzten Spruch
erklärte er, wie man sich heilig darzustellen hätte als ein Gott wohlgefälliges Opfer, und
sein Haus zu machen habe zu einem heiligen Tempel, und es war große Stille und Andacht in
der Kirche, und wohl nicht manches Herz war darin,das dem Pfarrer nicht recht gab, und
nicht manche Seele, die nicht an das eigene Haus dachte, und manches Auge ward naß, wenn
es erkannte, wie es im Hause aussah, und weil ihm jetzt die Verständniß kam,warum ihm so
übel darin war. Und manch anderer durchlief seines Hauses Geschichte, und klar ward es
ihm, warum der Friede desselben gestört war und sich hell widerstrahlte Alles das in dem
Maaße, als auf des Tempels Altare dunkel oder hell brannte das heilige Feuer. Und manches
arme Weib wischte im Stillen eine Thräne ab, denkend, welchem Dienste der Mann fröhne und
nahm sich vor, eine desto treuere Priesterin des Herrn zu sein, und mancher Mann freute
sich seines Weibes, dem das Haus Alles war, und mancher hatte es umgekehrt. Und manches
Kind begriff besser der Eltern Zucht und gelobte willigere Treue. Auch
Was das für ein freundliches Heimkommen ist, wenn in allen der Friede Gottes ist, wenn man nichts Störendes daheim hat, die einen in der Stille des Hauses Geschäfte besorgt, die andern im Hause des Herrn neue Kraft gefunden, neues Licht, neuen Trost, dann beiderseits sich sammeln um des Hauses Tisch, alles in der
Ordnung ist, alles zufrieden ist, die einen auftragen,was sie daheim bereitet, die andern mittheilen und zerlegen, was sie in der Predigt gesammelt, da faßt man es, was Paulus damit meint, Essen und Trinken zu Gottes Ehre, und in solchem Essen und Trinken ist dann auch Gottes Segen.
Es wolle hüten diesen Nachmittag, sagte Aenneli,es werde oöppe keins von ihnen daheim
bleiben wollen,an einem solchen Tage solle man nichts versäumen,man wisse nicht, wenn man
wieder dazu komme. Und wenn der Pfarrer diesen Nachmittag wieder anwende wie Vormittag, so
könne Jedes sein Theilchen nehmen,und es wäre Schade, wenn Eines es nicht hörte. Es söll
mir aber doch Oepper Reis heimbringen, es halb Dutzend Pfund oder was. Sie hätten
b'richtet, wie d'r roth Schade so grusam regier und so bös syg; bi z'Styni Glause seien
vier King krank, und d'Mutter selber auch, keis chönn am andere mehr Rath thun und hätten
von allem nichts. Das ist ein schrecklich Dabeisein, und die Leute können mich erbarmen,
ich kann es nicht sagen. Wenn ihr heim seid, so will ich noch hin und sehen, wie da zu
helfen ist; so kann man die Sache nicht gehen lassen, denk man doch auch, wie es eim
felber wär, sövli krank, u Niemere, daß eim hilft,und nüt im Hus, und vielleicht kein
Mensch, der ihnen zum Doktor geht. „Mutter, sagte Christeli, schicket öppere, es geht euch
scho eys vo dene Meitlene, oder wartet bis Morgen. Das ist noch e Plätz (Weg), bis zu dene
Leute, und ihr seid schon in der Kirche gewesen.“ „Von denen Meitlene kann ich keins
schicken,sagte die Mutter, die sehen nicht, was fehlt, und die Leute wissen es vielleicht
selbst nicht, oder können es nicht sagen, oder dürfen es nicht, und dann weißt wohl,
Durch die harte Schule waren auch die kranken Kinder gegangen, sie lagen ergeben, stumm,
stumpf,würden solche sagen, die das nicht verstünden, in ihren Hüdelchen; was sie dachten,
was sie empfanden, ob sie an das Leiden dachten, oder an den Tod, von dem so viel geredet
ward, oder an Genesung? Sie gaben kein Zeichen von sich. Aber als die alte, schöne
freundliche Frau sich ihrer annahm, sie säuberte, reine Hemder ihnen anzog, ihnen
hülfreich beistand, sie tröstete, ihnen zu trinken gab weiche, warme Sachen, da war es
fast,als ob sie aufwachten, als ob sie wieder reden möchten,und das Kleinste, ein blasses,
aber lieblich Mädchen mit krausen, blonden Härchen um den Kopf, fragte:„bist du öppe my
Gotte?“ „Ja, King, sagte Aenneli,dy Gotte will ih sy.“ „Gäll, du gehst nicht von uns,du
bleibst jetzt bei uns, bis es für (vorbei) ist, u Müetti wieder ufmah,“ sagte es. „Ja, du
guts Kind, ich verlasse euch nicht,“ hatte Aenneli gesagt, und jetzt konnte
Eine rechte Reisbrühe zu kochen für diesen Fall wüßte Niemand, sagte Aenneli, man koche das Ding gewöhnlich ein wenig, aber den Reis verkoche man nicht; wenn man anrichte, so sei das lautere Wasser oben auf und der Reis hocke ganz am Boden, und und d'Hauptsach bei einer solchen Brühe sei, daß sie schleimicht sei, anhänke in den Därmen, wie der Doktor gesagt habe, eine solche Brühe wolle es selbst kochen.Dann müßten die Kinder Dokterrustig nehmen, die Frau sage zwar, man könnte ihnen nichts beibringen, sie nehmten nichts. Das müsse nun sein, und wenn sie Jemand etwas abnehmen, so nehmten sie es von ihm, sie seien jetzt an ihns gewöhnt, und es wolle das einmal probieren. Es gehe ihm schier leichter, jetzt hier zu bleiben,als heimzulaufen. Am Morgen könnten sie ihm dann Roß und Wägeli schicken, und wenn Jemand kommen wolle, ihn's abzulösen, so sei es ihm recht, daneben,wenn einmal die Sach im Gang sei, so werden sich wohl Leute aus der Nächsemi (Nähe) zeigen. Aber
vergessen solle man nicht, noch Haberkernen zu bringen,und von denen Bettdecken eine, wo im Syycher hingen.Gäb was es sich sträubte, Annelist mußte gehen, und gäb was die arme Frau dagegen einwandte, Aenneli blieb als Wärterin. Sie dürfte das nicht annehmen,sagte die Frau, sie wüßte nicht, wie es vergelten. Oeppe so bei einer Kindbetti, da wollte sie nichts sagen, da sei es der Brauch, da hätte öppe eine Frau die andere nöthig, und sie sei manchmal froh darüber gewesen,aber bei einer solchen Krankheit hätt's afe ke Gattig.Wenn man das Trinken auf den Ofen stellen wollte,so wollte sie sehen, wie sie es mache. Sie weinte, als Aenneli auf seinem Willen bestand, und meinte, sie hätte nicht geglaubt, daß so eine gute Frau auf der Welt noch lebe, und noch so eine vornehme, und wo selligs nit nöthig hätt auf der Welt und nit für e Himmel, weil sie sonst schon darein käme, und ihn für g'wüß hätt. Aber wie ihr das Erwarmen wohl thäte,weil sie nicht immer auf sein müsse, sie könne es nicht sagen. Endlich kam Zeug und das Versprechen, der Doktor werde morgen früh da sein, man solle alle Stunden von der Rustig geben, und Brühe zi'trinke,so streng man möge. Vielleicht, daß dann noch müsse kristirt sein. „E aber nein, sagte die Frau, sövli Hung wird er doch nicht gegen uns sein wollen, sövli, daß wir schon auf müssen, wird er uns doch nicht noch mehr kujiniren wollen.“ „Habe nicht Kummer, Frau, nimm jetzt und schlaf dann ein wenig. Lue, aufs Doktern verstehen ich und du uns nicht, und manchmal ist, was unser Gattig Lüt z'Dümmste dunkt, z'Witzigist,“ sagte Aenneli. Darauf machte es sich an die Kinder, die sonst keinen Zeug einnehmen wollten. Schmeichelnd fing es beim Jüngsten an, versprach gute Brühe, und das
Kind nahm, und sagte, das sei fry gut, es hätte nicht geglaubt, daß Dokterzüg so gut sei. „Hast du noch nie gehabt?“ fragte Aenneli „Nein, aber man hat mir oft gesagt, ih söll folge un is Bett, sust werd ih krank, u de gäb me m'r Dokterzüg, u das steych vom Tüfel und dräy eim ganz z'rinsetum, und syg yz'näh öppis schröckligs.“ „Jä so,“ sagte Aenneli. Auch die andern Kinder nahmen ein, theils weil das Jüngste es genommen hatte,theils weil sie der freundlichen fremden Frau es nicht recht weigern durften. Die Nacht war eingebrochen, die Mutter schlief, Aenneli, das beständig beschäftigt war,bald mit den Kindern, bald mit Kochen und andern Dingen noch, wollte Licht machen, fand die Lampe, aber kein Oel dazu, gäb wie es suchte an allen Orten, wo man sonst das Oel zu haben pflegt, leise fragte es eins der Kinder darnach. „Wir haben schon gestern keins mehr gehabt,“ antwortete das Kind. Glücklicher Weise war es Mondschein und sehr helle, indessen unbequem war es jedenfalls. Wenn Aenneli zuweilen absitzen konnte,so mußte es immer und immer wieder denken: „kein Oel und vier krankne Kinder! Unser eim weiß doch wahrhaftig nicht, wie es solche Leute haben, wir haben viel zu gut. Wie wäre mir doch, wenn was mangelte,gäb wie leicht, in meiner Haushaltung, und nur eine Nacht lang, es legte mich schlaflos, und wenn's nur kein Kaffe wäre, oder kein Mehl, und ich wüßte, den andern Tag könnte ich deren wieder haben, so viel ich wollte. Und hier nichts, kein Geld, kein Brod, von allem nichts, und alle krank! Nüt ha u nit wüsse,wo näh, nein, das stünde ich nicht aus! Und doch würde ich müssen, dachte es, wenn unser Herrgott es wollte, aber ich weiß nicht, wie mir wäre. Und doch müßte ich es ertragen, wenn Gott es wollte! O, wenn
man geben kann, man weiß nicht, wie es einem anders ist, als wenn man nehmen muß. Und
wenn ich meine Kinder auch so hätte müssen liegen sehen, in schlechten Hüdlene, so matt
und mager, nichts als die Haut über die Beinchen; Herr Jemer, wenn ich eins von ihnen noch
so sehen müßte, nein wäger, das ertrüge ich nicht!Und wenn mir Gott die Wahl ließe
zwischen dem Reichthum und den Kindern, entweder sie so sehen, ohne alle Sachen, in
schlechtem Bett, oder sie gar nicht zu haben: was lieber? Ach Gott, ach Gott, dachte
Aenneli,wie gut ist doch der da oben, daß er einen nicht in Versuchung führt, solche
Fragen nicht thut, es macht,wie er's am besten findet! Aber wenn ich denken müßte,ich
müßte Alles, Alles, geben, und hätte nichts mehr für meine Kinder, und sie lägen so da,
und ich könnte nicht einmal für sie betteln, es würde mir das Herz zerreißen, und doch
gäbte ich sie nicht. Was hülf's mir, reich zu sein, wenn ich keine Kinder mehr hätte,da
müßte ich mich ja zu Tode weinen und könnte nichts mehr sagen, als: „hätt ih se doch no,
hätt ih se no!“Wie doch das ein hübsches Kind ist, mußte es denken,als es das kleine
Mädchen aufheben mußte, und der Mond auf dessen Gesichtchen sich spiegelte, durch die
Locken schimmerte, golden sie säumte. O du armes Kind, was wird aus dir werden, wie bös
wirst du es einst haben, und wie reich wäre manche Frau, wenn sie dich hätte! Da lägest du
in einem andern Bettchen,und wer weiß, was du für Aufwart hättest! Gott hat es so gemacht,
er wird wissen, warum. Aber unser eim begreift es nicht. Ach, man begreift so manches
nicht! Warum der armen Frau nicht mehr geben, mit Minderem könnten wir es ja auch machen,
und müßten doch lange nicht so wohnen, und hätten noch lange
Es war ein kühler Herbstmorgen, als stie heimfuhren, ein scharfer Nordwind strich ihnen entgegen,es fröstelte Aenneli, als sie heimkamen, es hatte warm gehabt, und sich nicht wärmer angezogen, als es aufs Wägeli saß. Daran hatte Niemand gedacht, und weit war übrigens der Weg nicht. Seit gestern hatte es nichts genossen, den Kindern mochte es die Brühe nicht wegtrinken, und Anderes hatte es nichts. Wenn man so leer im Leibe sei, so friere man doch afe, sagte es,es hätte es nicht geglaubt. Annelist werde aber schon
an ein Kaffe gesinnet haben, und es müsse sagen, so hätte es nie nach demselben blanget, als jetzt.
So war es auch, das Kaffe war z'weg, und Aenneli lebte wohl daran, aber bei jedem Schluck mußte es sagen: „O Kinder, wir wissen nicht, wie gut wir's haben, und wie's hergege arm Lüt hey, warms Esse,es warms Bett, u we m'r öppis mangle, su cheu m'rs ga näh im Keller oder im Spycher, o, mi weiß nit,was das ist, u was me het!“
Die Kinder waren an der Mutter, daß sie gang ga ligge, um wieder recht zu ihr selbst zu kommen, mit großer Mühe brachten sie es dahin. Aenneli war so voll des Gesehenen, daß es lieber den Kindern den ganzen Morgen b'richtet hätte. „Schlaf du jetzt, Mutter, mußte Annelisi mehr als ein halb Dutzend Mal sagen, ehe sie es entließ; „Los no das, u denk doch“hielten es immer aufs Neue fest. Und lange wollte der Schlaf nicht kommen, und als er kam, war er unruhig und bewegt. Annelisi hatte die Thüre nur zugezogen,um zu hören, wenn die Mutter was begehre. Es hörte sie reden, sah hin, und fand sie schlafend. „Komm doch, rief es Resli. Komm hör, wie d'oMutter redt,und schlaft doch, soll se ächt wecke?“ „Ich ließe sie schlafen, sagte Resli, sie hat gar es lings Herz, die Lüt hey se grusam erbarmet, un das chunt ere jetz für.Ih glaub, es syg nüt angers, aber gang nit da dänne u gib wohl acht.“
Aenneli erwachte mit Kopfweh, sagte aber nichts,es war recht unwohl, wollte aber nicht
den Namen haben, wie die andern auch fragten. Aenneli fürchtete,die andern möchten sagen:
„Jä lue, Mutter, warum gehst und machst solche Dinge, haben wir es dir nicht gesagt, du
magst wäger so etwas nicht erleiden.“ Diese
Solche Gäugle waren freilich Aennelis Leute nicht,aber hätten doch vielleicht nicht
gedacht, daß man geschehenen Dingen z'best reden solle, hätten gesagt:„Mutter, warum
meinst auch, du seiest noch zwanzigjährig. Mutter, warum glaubst Niemere nüt und
vertrauist üs nüt a!“ Aenneli verbarg daher, daß zum Kopfweh, zur Mattigkeit, noch
Bauchweh kam, ein Durchfall begann, so geheim als möglich machte es sich Thee, nud da es
ihn nur trank, wenn es Niemand sah, so kam es selten genug dazu. Endlich merkten es aber
Annelist und Christen. „Los, Mutter, es fehlt dir, wo het's, säg's doch, du bist nit
z'weg.“ Es sei nichts anders, sagte Aenneli, es hätte nur ein wenig d'r Dürlauf, das werd
scho bessere, es hätte Kamillenthee angerichtet. „Hör, auf der Stelle muß man zum Doktor
schicken, das kann man nicht so gehen lassen,wer weiß, was es geben könnte,“ sagte
Christen. Das wäre sich wohl d'r werth, sagte Aenneli, so wege eme Bitzli Dürlauf zum
Dokter z'schicke, er wurd ihs schön uslache. Man kann noch Brühe kochen, und wenn es dann
nicht bessert, so kann man immer noch luegen.“„Jä, mit em Luege ist scho mänge Mönsch
g'storbe,“antwortete Christen. „He, sagte Aenneli, emel bis morn wird es nit alles zwänge,
und wenn's de nit besseret, su cha me schicke. Es sollte ohnehin Jemand
Als Nachmittag der Doktor kam, war auch der rothe Schaden da. Was das für ein Jammer war!Der Doktor machte erst ein bedenklich Gesicht und sagte:„Richtig, da hey m'r ne, wie nih g'seit ha.“ Als er aber die Gesichter der Andern sah, da tröstete er auch,und sagte, so sollten sie nicht thun, sie machten der Mutter nur Angst. Was er machen könne, das wolle er machen, und söpvli eine gute Frau werd öppe üse Herrgott nit welle lah sterbe, es ginge den armen Leuten und allen sammen viel z'übel. Sie kamen ihm noch alle nach, bis weit vor das Haus hinaus, um zu fragen, was er meine, und ihn zu bitten, er solle doch anwenden, und alles machen, was zu machen sei, und
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Der Anfall war sehr stark für eine ältere Frau,und der Doktor machte sehr bedenkliche
Gesichter, befahl großen Fleiß und hatte selbst auch großen. Das müsse einander helfen,
sagte er. Am Morgen früh war er schon da und Abends kam er meist wieder, und noch größern
Fleiß hatte die ganze Familie; sie kam nicht zus den Kleidern; wenn schon nicht alle in
der Stube waren, es zog doch keines seine Kleider aus, und wenn eins schon schlief, die
Unruhe weckte es doch bald wieder, um vor der Mutter Thüre zu horchen, was drinnen
vorgehe, oder in die äußere Stube, wo Botschaft zu vernehmen war, wenn Jemand aus dem
Stübli am. Der Doktor hatte verboten, daß man nicht alles in die Stube lasse, weil das der
Kranken nur Angst mache, und namentlich bei dieser Krankheit, wo man immer auf müsse, und
die Leute dabei einem hinderlich seien. Damit hatten sie große Noth. Sobald es bekannt
wurde, die Bäurin sei krank, so kamen die Leute weit herum her und wollten sie besuchen;
die Stube wäre nie leer geworden, eins hätte gesagt: „Herr Jesis, wie sieht die aus, die
erlebt den Morgen nicht.“ Jemand anders hätte gesagt: „Nein aber, wie hat die
g'leidet,aber es ist schon mancher Mensch wieder z'weg gekommen, und ist doch noch viel
schröcklicher z'weg gewesen;“ ein Schauerfall hätte den andern gejagt, und dazu hätten sie
brav pläret, arme Weiber hätten geijammert, und wenn eins Abschied genommen, so hätte es
gesagt: „he nn so de, umeg'seh wirde ih di nümme,aber bete will ih, daß d'r öppe Gott
dyner Sünde v'rgeb,“ und ein anderes hätte gesagt: „Ih muß hey,su leb de wohl, u we m'r e
nangere hie öppe nümme g'seh sötte, su wey m'r hoffe, daß m'r dert öppe wieder z'säme
chöme.“ Sie hatten große Noth, die Menge abzuhalten, es meinte jedes, das Recht zu haben,
hinein zu gehen, und Leute sind's, die halten es für eine eigentliche Sünde, wenn man
nicht alles zum Kranken läßt,oder meinen, er liege in großen Sündenängsten, und rede
Sachen, die Niemand hören solle; eine KrankenD Kammern oder Großrathssitzungen. Wir
verhehlen es nicht, daß manchmal sicher mehr Erhebung und Erbauung zu finden wäre in einer
Krankenstube, als in einem Großraths- oder Tagsatzungs-Saal. Indessen kömmt es hier auf
das Heil der Kranken an, und wenn man Säle als Krankenstuben betrachten wollte, so wäre es
den Patienten darin zu ihrer Genesung vortheilhafter, sie wären geschlossen, von wegen, es
macht der Kranke fich gerne vor den Leuten forsch, und sollte eigentlich auf den
Nachtstuhl, oder der größten Ruhe sich befleißen und fleißig einnehmen und abführen.
Aenneli aber redete nichts von Sterben, und das machte den Seinen gute Hoffnung, sie
dachten, es müffe selber am besten wissen, wie es ihm sei, und wenn es Neuis g'spürte, so
würde es es sagen; sie hofften wieder, da der Tod nicht einsmal kam. Und eines Morgens
schien der rothe Schaden aufgehört zu haben, da hatten sie große Freude, und daß es nach
sövli Leiden schwachs sei, duechte sie nichts anders. Es strengte selbst fie an, um auf
den Acker zu gehen, allesammt,Resli könne bei ihm bleiben. Er hätte die ganze Nacht
gewachet, da könne er vielleicht ein wenig schlafen.Wenn es etwas geben sollte, so sei es
ja nicht weit,man hätte sie plötzlich. Es war so heiter und schön draußen, und allerdings
Arbeit noth, daß sie gingen,obschon es sie duechte, sie könnten nicht fort, und es war
keins, das nicht noch vorgab, etwas vergessen zu haben, und nachsah, ob es der Mutter
nicht noch was thun könnte.
d'r Welt, als für si z'bessere? Du willst das Meitschi v'rstoße, und denkst nicht, wie es
so einem armen Kind sein muß, wenn an einem einzigen Wörtchen sein Glück hanget, und
vielleicht das zeitliche und ewige Glück,und das Wörtlein wird nicht gesprochen, und das
Glück geht unter, denk dir das! Und das Mädchen muß da zusehen und darf nicht viel dazu
sagen, darf nicht zeigen, wie es ihm ums Herz ist, und soll da gleichmüthig bleiben, aber
Resli, denk! Eine Abgefeimte wäre dir um den Hals gefallen, und hätte es mit flattiren
versucht, das Meitschi that aufrichtig, that, wie es ihm war, und das, Resli, willst du
ihm übel nehmen! Nein, thu mir das nicht, versprich mir, du wollest ihm verzeihen und es
wieder suchen. Versprich mir's,denk daran, du hast auch Sünden und mangelst
Barmherzigkeit. Das wär no mys einzig Bigehre uf d'r Welt, de wett ih gern sterbe. Glaub
m'r, ih ha's lang uberlegt, ih weiß, was es Hus v'rmah, in einem andern Hus wär ich auch
anders geworden. Es ist i mängem Hus, als ob e gute Geist d'rin wär, mi cha nit angers, un
es wird m'r meh un meh, als wenn ih ne g'spürti, wer weiß, vielleicht g'seh ne bald.“
„Mutter, redet nit so, wollt ihr was?“ sagte Resli. „Wottsch m'r's v'rspreche, wieder um
das Meitschi z'luege ?“„Mutter, aber wie soll ich, soll ich mich wieder lassen weg jagen
wie ein Hund? Ja, wenn ich ein gutes Wort hätte von ihm, aber so muß ich glauben, es habe
mich nicht lieb, und kein Zeichen hat es seither gethan.“Da sah er einen eigenen Schein
fahren über der Mutter Gesicht, sie faltete die Hände, er erschrak, „Mutter, Mutter, was
hast?“ frug er. Er sah ihre Augen gegen die äußere Stube blicken, dorthin deutete sie, er
sah sich um, dort stand in der Zwischenthüre, den Kopf an den
m'r's wohl vorzieh, er het mir ne ja gäh. Häb mi e weneli, ih möcht ufsitze. Es wird m'r so wunderlich, so kalt, und doch so heiter vor de Auge; geit m'r scho die anderi Welt uf? Wenn sie doch käme, ih würd se gern g'seh, alli bi enander, e nu so de, so ha nih doch dih g'seh. Wenn er krank wird, gäll, du hest Sorg zu nihm, und wehrst ihm z'Werche ab? G'hörst nüt, chöme si? Wenn st nume chämte. Deck mi besser, es ist, als wett's mi früre um's Herz. Wenn'd zornig wirst, erzeig's nit, gang dänne u bet es Vater Unser. O Gott, Gott, witt mih,es duecht mih, ih g'sey my Mutter!“ Da kamen die Gerufenen, weinend, in voller Hast. Anne Mareili erschrak, wollte Platz machen am Bette, es war ihm,als hätten die andern näheres Recht, es ward ihm auf einmal wieder so fremd und leid ums Herz. Aber Aenneli hielt seine Hand und sagte leise: üses King! Heit's lieb! Es ist jetz die neui Mutter. Zürnet m'r nüt,u sinnet albe einist a mih. U du, b'häb mi lieb,sagte Aenneli zu Christen, ih will d'r o nes Plätzli suche im Himmel .“ Dann nahm es seine Hände zusammen, die blassen Lippen bebten, in eigenem Glanze schlug es seine Augen empor. So betete es leise, leise neigte sein Haupt sich auf die Seite um eine gute Frau, um eine gute Mutter war die Erde ärmer.
Schlust.Meine günstigen Leser werfen mir so oft vor, meinen Erzählungen fehle der Schluß,
daß ich genöthigt bin,die Schlüsse förmlich herzusetzen. Ich beginne also hier damit, da
auch hier der gleiche Tadel sich erheben könnte.Allerdings ist die Neugierde in Beziehung
auf die persönlichen Verhältnisse nicht vollständig befriedigt, die Umstände, welche Anne
Mareili an der seligen Mutter Bette brachten, sind nicht angegeben, Aenneli ist nicht zur
Erde bestattet, die Hochzeit von Anne Mareili und Resli nicht gefeiert. Das alles hätte
sich wohl erzählen,einschalten lassen, wenn der Verfasser blos die Neugierde seiner Leser
im Auge hatte. Aber er ist unterthan einem eigenen Geiste, der in jeder Erzählung lebendig
wird, sie leitet und schließt; der Verfasser kann eine Erzählung beginnen, aber dieser
Geist ist es, der sich ihrer bemächtigt, und sie gestaltet nach seinem Willen.Es ist
dieser Geist ein eigenthümlich Wesen, er war es,der mit Aennelis Tod einen freundlichen
Schlußstein setzte der Erzählung „Geist und Geld,“ welche die Leser so freundlich
aufgenommen. Das Betragen des Kellerjoggi und des Dorngrütbauern, Anne Mareilis Leiden und
das Ereigniß, welches ihns nach Liebiwyl brachte,hätte den Schluß nur getrübt, freilich
den Gegensatz greller gemacht, aber vielleicht neue Klagen über die Länge der Erzählung
erzeugt, zur Verständniß des Ganzen, zur Verklärung des Bildes einer guten Mutter nichts
beigetragen. Die Leute sind manchmal wunde rlich, klagen bald über Kürze, bald über Länge;
theilweise ist es mir schmeichelhaft, theilweise wohl peinlich.Es läßt sich Holz nach
Schuhen messen, Kopistenarbeit nach der Seitenzahl, aber wie lang sein Kind werden
Es wäre leicht möglich, in einigen folgenden Bändchen den Tod des Dorngrütbauern zu zeichnen, den Gegensatz zu zeigen zwischen dem Tod im Geiste und dem Tod im Gelde; aber eben der Geist weigert sich dessen. Erstlich weil er sich Aennelis Tod nicht trüben lassen, weil er zweitens nicht von sich sagen lassen will,er hätte es, trotz dem, daß er im Geist sei, doch nur aufs Geld abgesehen. Somit ist die Erzählung „Geld und Geist“ vollendet.
Ueber den Verhältnissen stehen die Persönlichkeiten,wie über der Neugierde die Liebe.
Sollte es mir gelungen sein, den in vorstehender Erzählung aufgestellten Persönlichkeiten
Leben einzuhauchen, Leben, welches Leser lieb gewonnen, lieb gewonnen, wie das Leben
werther Bekannter, theurer Kinder, welches sich entwickeln zu sehen zu den wesentlichsten
Lebensgenüssen gehört, so daß man im Geiste sie fortbildet, auch wenn Gott den Faden
derselben abbricht, die Erscheinung löscht, sie anders hin versetzt: so steht der
Entwicklung dieser Leben in neuem Rahmen nichts im Wege, als zwei Dinge: