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Berlin, 1849.Verlag von Julius Springer.
Der erste Theil dieses Buches enthielt die Geschichte eines Knechtes, welcher durch Treue aus einem · Knechte zum Meister wurde. Dieser zweite Theil enthält die Geschichte eines Meisters, welcher in den Banden der Welt lag und welchen der Geist wirklich frei machte.Der erste Theil war den Einen zu weltlich; was nun dieser Theil den Einen oder Andern sein wird, läßt der Verfasser dahin gestellt. Der Verfasser behauptet nicht, das Rechte getroffen, sondern blos das: mit ehrlichem Willen nach dem Rechten gestrebt zu haben.Ob das Publikum billig und damit zufrieden ist, weiß der Verfasser nicht. Mag es aber nun so oder anders sein, so ist das sein Trost, daß ihm, so Gott will,nirgends ein gedankenloses oder feiles Segeln mit herrschenden Winden wird nachgewiesen werden können.Lützelflüch, den 13. Oktober 1848.Jeremias Gotthelf.
Capitel 1. Eine Betrachtung.
Drei Kämpfe warten des Menschen auf seiner Pilgerfahrt.Drei Siege muß er
erkämpfen, will er dem vorgesteckten Ziele sich nahen, bei seinem Scheiden sagen
können:Vater es ist vollbracht, in Deine Hände befehle ich meinen Geist. In
einander hinein schlingen sich die drei Kämpfe;doch bald der eine, bald der
andere drängt sich in den Vordergrund, bald nach dem Lebensalter, bald nach den
Umständen. Wenn der Frühling des Lebens blüht, die Kräfte sich entfalten, das
Herz von Wünschen schwellt, die Seele zum Fluge nach Oben die Flügel regt, aus
dem sichern Hafen des väterlichen Hauses hinaus ins Leben, hinaus auf des
trügerischen Meeres Höhe das Schifflein strebt, da wenden die reinsten und
edelsten Kräfte sich dem Suchen einer Seele zu, im Ringen nach ihrem Besitz
erglänzt zum ersten Male des Mannes göttliche Gestaltung. Es lebt ein tief
Gefühl im Manne, und Gott hat es gepflanzt in den Mann,daß er, um zu kämpfen mit
des trügerischen Meeres wilden Wellen, um zu besiegen die andringende Welt, eine
zweite Seele bedürfe; daß er ein Weib bedürfe, um sich in dieser Welt zu
schaffen und zu gründen ein bleibend Denkmal,die schönste Ehrensäule: eine
tüchtige Familie fest gewurzelt in der Erde, und kühn und fromm hoch zum Himmel
auf die Häupter hebend. Hat er die Seele gefunden, mit welcher vereint er sich
getraut ein Haus zu erbauen, eine feste Burg gegen die lockende, andringende
Welt, dann will er nli, der Pächter. 1
Hat er das Gefundene errungen, mit sich vereint durch der Ehe heilig Band, dann hat er den ersten Sieg erkämpft.Aber wehe dem, der mit dem Siege allen Kampf zu Ende glaubt, das Wahren des Sieges ist oft schwerer als desselben Erringen, wie ein rascher kühner Anlauf leichter ist, als ein fest und standhaft Ausharren; diesen Wahn hat mancher Sieger mit Schmach und Tod gebüßt. Jetzt gilt es, die Ungleichheiten der Seelen auszugleichen, vor der Selbstsucht sich zu hüten, und das innere geistige Band, die Liebe,zu wahren, die da langmüthig ist und freundlich, sich nicht aufbläht, nicht ungebehrdig stellt, nicht das Ihre sucht und sich nicht verbittern läßt.
Dem Ehemann beginnt so recht eigentlich der Ernst des Lebens, der Kampf mit der Welt. Wahrscheinlich hat er schon lange mit ihr gehändelt, manch Scherzspiel mit ihr getrieben, aber so recht mit Bewußtsein beginnt doch erst jetzt die ernste Schlacht.
Dem Feldherrn vor beginnender Schlacht gleicht der Hausvater am Morgen nach geschlossener Ehe. Wenn bei grauendem Morgen am Schlachttage aus seinem Zelte der Feldherr tritt, ist ernst bewegt sein Herz, prüfend schweift sein Auge durchs Gefilde, ermißt die Höhen, erforscht die Schluchten, erwägt die Kräfte, die ruhen hier und dort,schlummern vielleicht den letzten Schlaf, die bald sich messen werden in graulichem Gewühle. Er überschlägt den Anfang und denkt an das Ende. Während er sinnt und denkt, erwacht um ihn die Welt, Schildwachen rufen, Tritte rafseln, Pferde wiehern, Bajonette blitzen in der aufsteigenden Sonne, Nauch fteigt auf und zum
Aufsitzen ruft die Trompete die Reiter. Des Tages Getöne verbreitet sich, es erwacht aus seinem Sinnen der Feldherr. Er rafft sich zusammen, ordnet die Kräfte, ruft zur Schlacht. Ueber dem Gewirre wacht sein Auge, mit starker Hand lenkt er dasselbe, rollt er auf, zieht er züsammen, einem Netze gleich, in welchem der Fischer seine Fische fängt. Er beginnt den Kampf, die Kräfte messen sich, wie ein Wirbelwind wirbelt die Schlacht durch Schluchten, Felder und Berge. Der Donner der Kanonen erfüllt die Luft,blutroth färben sich die Waffen, schwarz und dunkel, ein grausig Leichentuch, legt der Rauch sich über Leichen und Lebendige, verhüllt den Augen der Gebietenden das Wogen der Schlacht. Da bedarf der Feldherr ein scharfes Auge,eine feste Seele, um mit starker sicherer Hand die Wirbel der Schlacht zu schürzen und zu lösen nach seinem Sinne,sie zu behalten in seiner Macht, daß das Ende der Sieg ist und gebunden und ohnmächtig der Feind zu seinen Füßen liegt.
Glänzt endlich auf des Siegers Haupt des Sieges Krone, so gilt es, sie zu bewahren, nicht ein Opfer seiner Siege zu werden, schmählich zu euden. Es ziehen Siege und Kronen gar zu leicht ins Herz hinein, schwellen das Herz, regieren das Herz, trüben den Blick, lähmen die Hand, jagen den Sieger in den Untergang, das Ende so vieler Sieger.
Wie der Feldherr vor die Schlacht, trittet vor die Welt der junge Hausvater. Er will ihr abringen eine sichere Stätte, Platz zu einer Ehrensäule, er prüft die Welt, mißt seine Kräfte, beginnt endlich den Kampf mit den vorhandenen Kräften und dem Vertrauen auf sie. Tausende werden rasch niedergerannt von der Welt, verlieren alsbald Muth und Leben, sie waren nicht befähigt zum Kampfe, ihr Dasein war und ist ein trostloses. Viele ringen immer und kommen nimmer zum Siege. Ihr Dasein ist ein ein mühseliges, das Schöpfen in ein durchlöchertes Faß, das Nollen des Steines, der immer wieder niederrollt, den Berg hinan, zu einem festen Sitz kommen sie nicht, die Krone der Ehre schmückt ihre Scheitel nicht, der Welt ringen sie nichts ab, eitel und voll Mühe war ihr Leben, und keine Beute ward ihnen, weder eine äußere noch eine innere.
1
Im Herzen steckt von Anfang an und von Natur der alte Mensch, der da böse ist und
verkehrt, Gott und den Nächsten häaßt, sich allein liebt, lüstern ist nach der
Welt, ihren Genüssen und Schätzen, der da einen Boden hat für alles Unkraut
empfänglich, nicht für die Lust allein, absonderlich auch für Neid, Zorn, Haß
und Rachgierigkeit. Dieser alte Mensch, vom Fleische geboren, ist es, der von
der Welt sich locken läßt und gefangen genommen wird dem Affen gleich, dem man
in einer Flasche Nüsse beizt; in den engen Hals der Flasche zwingt wohl der Affe
die leere Pfote,aber die mit Nüssen gefüllte bringt er nicht durch den engen
Hals, die Nüsse fahren lassen will er nicht, läßt lieber Freiheit und Leben.
Dieser alte Mensch ist der Zwillingsbruder der Welt draußen; jemehr derselbe der
Schwester abgewinnt,desto üppiger schwillt er auf, desto üppiger wird die Welt
O groß und wunderbar ist des Lebens Bedeutung, und eng und schwer durch das Leben der Weg, der zum Ziele führt! O und wie leichtfertig und vermessen schlendern die Menschen durchs Leben, als ob sie weder Ohren noch Augen hätten, keinen Verstand die Tage mit Weisheit zu zählen,als ob sie hundert Leben hätten, hundertmal von vornen wieder beginnen könnten, wenn eins in Liederlichkeit, Thorheit und Sünde schmählich zu Ende gelaufen, als ob der Glaube abgeschafft sei und erlaubt nach viel tausendjähriger Erfahrung erst sich zu bekehren, durch hundert verlorne Leben endlich klug geworden.
Heil denen, welchen in diesem Leben Augen und Ohren aufgehen und das rechte Verständniß kommt, daß mitten in der Welt der Himmel errungen werden muß, wenn wir die Liebe bewahren, die Welt überwinden, den Himmel jenseits schauen wollen, daß wir Gott hienieden finden, unser Herz seine Herberge werden muß, wenn er droben uns herbergen,unser Theil werden soll in alle Ewigkeit.
Dieses Alles dachte Uli nicht, als er am Morgen nach seiner Hochzeit vor das Haus
trat, unwillkührlich am Brunnen vorbei, hinter das Haus schritt, von wo man
einen großen Theil des Hofes übersah; aber Aehnliches regte sich doch
Wahrscheinlich wußte er auch kaum so recht, was er
Es ist aber wirklich dem guten Uli zu verzeihen, wenn seine Gedanken gefangen und unwillkührlich in einer Richtung dahin gerissen wurden; seine Lage war auch darnach.Vor ihm stund in nächster Nähe der Tag, wo er, wie man heut zu Tage zu sagen pflegt, ein Geschäft übernehmen sollte,welches weit weit über sein Vermögen, das er so schwer und langsam erworben, ging, ihn in Jahresfrist ohne Wunder und absonderliche Gräuel zu Grunde richten konnte.Nun Vielen hätte dieses nichts gemacht. Hunderte springen,wenn sie nur irgend wie ein Geschäft erblicken, mit beiden Beinen hinein. Tausende gar mit dem Kopf voran, ohne sich zu kümmern, mögen die Beine nach oder nicht. Uli gehörte nicht zu dieser Race. Uli hatte eine der bedächtigen BernerNaturen und war nicht demoralisirt durch den Zeitgeist, d. h.durch den Schwindelgeist der Zeit. Er besaß 1000 Gulden,circa 600 Thaler. Vermögen legt der Berner gerne auf solides Unterpfand an, ehedem bloß auf dreifaches, jetzt nimmt man schon mit nur doppeltem vorlieb. Uli aber setzte das seine auf Regen und Sturm, auf Hagel und Dürre, auf Blitz und Seuche. Nicht bloß konnte ihm alles verloren gehen,sondern namentlich wenn Unglück in die Ställe brach, konnte er zwei- dreimal mehr verlieren als er besaß. Dann war nicht bloß der beste Theil seines Leben scheinbar verloren,sondern der Rest desselben schien kaum hinreichend, sich dürftig von dem Schlage zu erholen. So ist es wohl erlaubt,daß es einem bange wird ums Herz, daß Vertrauen und Sorgen mit einander ringen. Wem es nicht so geht, der müßte wirklich sehr leichtfertig, neumodisch genaturt sein.
Die Vorbereitungen zur Uebernahme wurden allmählich getroffen. Joggeli und seine
Frau ließen nach und nach in den Stock schleppen, was sie behalten wollten, und
Vreneli
Das Inventar; von dem Geräthe und dem Viehstand war groß, und die Schatzung, obgleich alles äußerst billig, machte Uli die Haare zu Berge stehen. Man denke sich z. B. nur acht Kühe und jede durchschnittlich zu sechzig Thalern. Dieses Inventar überstieg mehr als um das Vierfache Uli's Vermögen, mußte zu 4 pCt. verzinset und später allfälliger Abgang ersetzt werden. Uli hatte großen Vortheil dabei,aber bedenklich war es doch in alle Wege.
Endlich kam der verhängnißvolle 15. März, an welchem, wie man zu sagen pflegt: Uli Nutzen und Schaden angingen. Es war ein schöner heller Märztag, und doch kam er allen trüb und unheimlich vor. Es that allen weh,die Alten ausziehen zu sehen. Als man ihr Hinterstübchen ausräumte und namentlich das große Bett hinüber schleppte,war es fast als trage man ihnen einen großen doppelten Sarg voran. Die Base hatte den ganzen Tag das Wasser in den Augen, aber lauter heitere aufmunternde Worte im Munde, sie hatte eine Gewalt über sich, welche allen Gebildeten zu wünschen wäre. Man sah es ihr an, sie betrachtete dieses Ueberziehen aus dem großen Hause in das kleine,als eine Vorübung auf das Beziehen des allerkleinsten
Häuschens, welches Armen und Reichen aus wenig Brettern zusammengeschlagen wird. In diesem kleinen Haäuschen schläft man auch, doch wie wohl oder wie übel: das weiß Gott.Als aber das alte Ehepaar zum erstenmal in ihrem großen Bette im Stocke schlafen wollte, da wollte der Schlaf nicht kommen, er war nicht gewohnt sie hier in diesem Stübchen zu suchen. Ob Joggeli es zürnete, wissen wir nicht, es schien fast als sei die Nacht ohne Schlaf ihm willkommen,um seiner Alten alle ihre Sünden bis weit in die Urwelt hinauf vorzuhalten und sie für alle Folgen derselben verantwortlich zu machen, nicht bloß bis auf Kindes und Kindeskinder, sondern bis drei Tage nach dem jüngsten.
Die gute Alte schwieg lange, endlich üef es ihr doch über. „Ich hoffte,“ sagte
sie, „wenn Dir die Last abgenommen werde, so werdest Du einmal mit Gott, Dir
selbsi und der Welt zufrieden. Aber wie ich leider sehen muß, bleibst Du immer
der gleiche Stürmi. Du hättest eigentlich zu einem armen Mannli, einem
Korbmacher oder Besenbinder gerathen und dreizehn oder neunzehn lebendige Kinder
haben sollen,dann hättest Du klagen können, vielleicht daß Gott es gehört hätte.
Aber jetzt ist's nur ein böser Geist, der Dich immer klagen läßt, und der ist
mit mir hinübergekommen und wird bei uns bleiben sollen. Ich muß mich versündigt
haben, daß ich mich damit muß plagen lassen. In Gottes Namen, ich muß es so
annehmen. Unser Herrgott wird doch hoffentlich bald finden, jetzt sei es Zeit.
Warum ich nicht von Dir lief,als ich noch junge Beine hatte, die laufen konnten,
und so weit weg als sie mich tragen mochten, das begreife ich noch auf die
heutige Stunde nicht. Jetzt trüge Fortlaufen nicht viel mehr ab, und meine alten
Beine truügen mich kaum so weit, daß mir Dein Stöhnen und Klagen um nichts oder
wieder nichts nicht noch zu Ohren käme, besonders wenn der Wind ein wenig
ginge.“ Das wollte Joggeli doch fast gemühen. „Wer laufen will, kann,“ sagte er,
„ich will Niemand dawider sein, und mit Nachlaufen werde ich Niemand plagen.
Wenn ich schon wollte, thäten es meine Beine nicht,wenn Andere ausgestanden
hätten, was sie, sie wären auch froh, an die Ruhe zu kommen. Ihm wäre es je eher
je lieber, Gutes hätte er nie viel gehabt, und was ihm noch
Drüben im großen Hause ging es anders zu. Die Bauart des Haufes brachte es mit sich, daß die Meisterlente im Hinterstübchen wohnen mußten. Dasselbe war gleichsam des Hauses Ohr, jeder Schall aus Kammern und Ställen, von vornen und hinten, schien dort landen zu müssen;das ist komod für einen rechten Hausmeister!
Uli und Vreneli mußten dieses Stübchen auch beziehen,aber sie thaten es ungern,
sie schämten sich fast, als Knecht und Magd nun zu schlafen, wo früher der
Meister und die Meisterfrau. Sie kamen sich wirklich im Stübchen als so gar
nichts vor, und auch bei ihnen wollte der Schlaf nicht einbrechen. „Ja, ja,“
stöhnte Uli, „es wäre schön hier, und im Winter b'sonderbar warm, da ließe sich
sein. Wenn es nur immer währte, aber das Aendern thut weh. Wenn man am Ende doch
wieder in eine kalte Kammer muß, so wäre es hundertmal besser, man hätte sich
nie an ein warmes Stübchen gewöhnt. Aber Zwängt sei Zwängt, und jetzt müsse man
es nehmen, wie es sei.“ So jammerte Uli ähnlich wie Joggeli, der Unterschied war
bleß der, daß sein Jammer nicht aus einem zähen, verhärteten Herzen kam,fondern
aus einem jungen, warmblütigen, demüthigen, welches sich in seine höhere
Stellung nicht finden konnte. In einem solchen finden gute Worte noch gute
Stätte. An solchen ließ es auch Vreneli nicht fehlen, tröstete, so gut es
konnte. Sprach vom Werthe des Hofes, von seinem guten Willen, von dem Vertrauen
zu Gott, der Alles wohl machen werde, daß Uli die Ruhe kam und er andächtig mit
Vreneli beten konnte; darauf kam leise der Schlaf gezogen, hüllte die Beiden in
seinen dicksten Schleier, und als die Sonne kam,
Der Frühling ist eine herrliche Zeit, eine ahnungsreiche,wonnevolle. Darüber werden doch wohl die Parthien von allen Farben einig sein, wie weit sie sonst auseinander gehen mögen! Wie prosaisch und trocken ein Bauer auch sein mag, im Frühling wird ihm doch das Herz größer und er denket weiter als die Nase lang. Er hat es, seinen Acker,Wiesen und Gärten gegenüber, wie ein Vater, der mitten in einem Dutzend blühender Kinder steht. Was wird aus ihnen werden, was werden sie für Früchte tragen, muß er unwillkührlich denken? Wie der Kinder Gesichter blühen,Gesundheit ihre Glieder schwellt, blühen und schwellen Freude und Hoffnung in seiner Seele. So hat es auch der Landmann, besonders der junge, welcher noch nicht manchen Frühling auf eigene Rechnung erlebt hat. Jede Pflanzung wird ihm zum Kinde und je üppiger sie grünt und blüht,desto üppiger grünen und blühen seine Hoffnungen. Der Frühling, von welchem wir sprechen, war ein ganz eigener von Gott gespendeter, als wollte er die Probe machen, ob die Menschen so weit in der Aufklärung gekommen, daß sie zu begreifen im Stande seien, sie selbst könnten keinen solchen machen, auch sei es unmöglich, daß er von ungefähr käme,sondern daß er von Gottes väterlicher Hand müfse gegeben sein.
Mit Fleiß und Kunst bestellte Uli Saat und Acker und Vreneli machte nicht bloß fast alleine seine schwere Haushaltung, sondern half doch noch draußen, daß Männiglich sich wunderte, sorgte für den Garten, daß Kraut darin wuchs und Salat nebst allerlei Kräutlein, weiche einer vernünftigen
Suppe wohl anstehen und sonst in gesunden und kranken Tagen gut zu gebrauchen sind. Vrenelis rührigem Treiben sah die Base mit der größten Freude zu. Alle Tage war sie im Garten oder guckte wenigstens über den Zaun, besah die andern Pflanzungen und häufig kam sie, setzte sich zu Vreneli, half ihm das Essen rüsten oder sagte: Gehe nur,wenn Du was zu machen hast, ich will Dir zum Feuer sehen und sorgen, daß das Essen nicht anbrennt. Wollte Vreneli sich wehren oder danken, so meinte sie: Ich habe Ursache zu danken, daß Du es annimmst. Was meinst,müßte die Langeweile mich nicht tödten, wenn ich auf einmal von Allen käme und nichts mehr anrühren dürfte?Kam sie dann heim, hatte sie zumeist ein lachend Gesicht (denn daß es drüben so gut ging, freute sie sehr, und was sie im Herzen hatte, zu verbergen, war ihr nicht gegeben)und sagte wohl zu Joggeli: „Gottlob, es geht da drüben gut, besser noch als ich gedacht. Wenn die es nicht zu was bringen, so gelingt es Niemanden mehr. Vreneli läuft als wenn es Räder unter den Füßen hätte und Nli schafft, als sei er aus lauter Uhrenfedern zusammengesetzt. Es ist mir ein recht schwerer Stein ab dem Herzen, hätte mir ja mein Lebtag ein Gewissen machen müssen, wenn es nicht gut gegangen wäre.“
Joggeli, welcher wohl auch herum getrippelt war an seinem Stocke und hinter
Zäunen und Bäumen hervor dem Treiben zugesehen hatte, zog auf solche Reden sein
grämliches Gesicht und meinte: „Glaub es, wie sollte es anders sein, wenn ihnen
alles hilft, die Fische in das Netz zu jagen,sogar das Kraut in den Hafen. Hätte
man für mich halb gearbeitet und gesorget wie für sie, ich wäre noch einmal so
reich. Aber mir hat Niemand helfen wollen, ja wenn man mich hätte auf die Gasse
bringen können, man hätte es gethan und dazu noch den Hals voll gelacht und dazu
noch die, denen es dabei am übelsten gegangen wäre, und zuletzt hätte ich denn
doch an allem Schuld sein sollen. Ja die Welt ist böss. Trau, schau wem, heißt
es nicht umsonst.“ „Ja da hast einmal recht,“ antwortete die Base, „die Welt ist
wüst und Trauen bös, aber von den Allwüstesten bist Du,und wegen Trauen solltest
schweigen. Wenn das Gewissen
So verschiedene Gedanken wachsen bei gleicher Witterung in den Herzen der Menschen, es ist aber eben der Grund der Herzen verschieden. Giftkräuter wachsen auf dem einen, Heilkräuter treibt der andere. Du mein Gott, wie follte es dem Menschen, welcher den Gärtner vorstellen sollte,in seines Herzens Garten so himmelangst werden, wenn er in seinen Garten kömmt und es weht ihm entgegen ein giftiger Hauch und gleich Schlangenaugen'glitzern ihm lauter Giftkräuter entgegen! Ach Gott nein, denen wird gar nicht himmelangst, die bleiben kaltblütig, ja ste haben noch Freude und Spaß an den giftigen Kräutern, lassen sie nicht bloß nach Belieben wuchern, sondern pflegen sie noch sorgsamst als obs die kostbarsten Pflanzen wären, und je üppiger sie auch schießen, mit desto größerem Behagen weisen sie als große Raritäten dieselben vor, Allen, welche sie zum Betrachten herbeibringen können.
Fröhlich wie im Fluge rannen die Tage dem jungen Ehepaare dahin, wie es zu gehen pflegt, wenn voll Arbeit die Hände sind, voll Sinnen der Kopf, die Arbeit wie ein Uhrwerk läuft und das Erdachte zur That wird ohne Säumniß und Hinderniß. Es war, als ob der liebe Gott erst nachsehe, was Uli meine und Vreneli sinne, ehe er das Wetter mache, regnen lasse, oder die Sonne scheinen. Dachte Uli, jetzt wäre ein warmer Regen gut, so kam ein warmer Regen, man wußte gar nicht woher; und wenn er dachte,jetzt ists genug, die Sonne wäre wieder gut, so ging der Regen, man wußte nicht wohin und die Sonne war da.Wer auf Sonne und Regen nur des Spazierens wegen achtet und nicht weiß, welche Bedeutung beide für den Landmann haben, der weiß gar nicht welch Unterschied, wir wollen nicht sagen im Gedeihen der Pflanzen, sondern im Betrieb der Arbeit ist, bei günstigem oder ungünstigem Wetter.
Es giebt Jahre, in welchen man bei gedoppelter Anstrengung und Kosten nirgends
hinkömmt, immer im Rückstand ist, alles pfuschen muß, wenn man das Dringlichste
Uli wuchs sein Glück fast über das Haupt, daß er vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sah, d. h. vor lauter Hoffnungen und Erwartungen sein Glück nicht mehr berechnen konnte, weil es seine Rechenkunst zu übersteigen anfing;wie aber Manchem über dem Essen der Appetit kommt und das Begehren nach immer Mehrerem, so ging es auch Uli.
Uli hatte Ställe voll Pferde und Kühe übernommen,um eine sehr billige Schatzung. Bei allfälligem Abgeben der Pacht mußte er wieder für die gleiche Summe Waare einliefern, oder den Abgang ersetzen, oder hatte den Mehrbetrag zu fordern. Er konnte also mit der übernommenen Waare ganz schalten und walten nach seinem Belieben, was bei seinem Abgang in den Ställen stund, wurde wieder geschätzt, und je nach dem es sich fand, fanden Vergütungen von der einen oder andern Seite statt.
Joggeli hatte auf dem Handeln nicht viel gehalten und selten zu rechter Zeit
abstoßen können. Uli kalkulirte anders;er hatte namentlich zwei Pferde und drei
Kühe übernommen,welche auf dem höchsten Punkte ihrer Reife stunden, behielt man
sie länger, fielen sie stätig im Preise, verkaufte er sie,kaufte dagegen junge
Thiere, so stiegen diese im Preise, bezahlten neben der Nutzung noch ihre
Fütterung. Uli entschloß sich alsbald zu diesem Handel, Vreneli wehrte: „Recht
Geld hätten sie eben auch noch nicht so nöthig, und im Fall es gegen Herbst rarer werden sollte, so könnte man immer noch verkaufen, nur nicht jetzt gleich, wo Joggeli es als eine absichtliche Prellerei ansehen könnte, wenn Uli vielleicht hundert Thaler in Sack mache, oder doch funfzig.Uli hatte recht, aber Vreneli noch rechter, und wie es geht in der Welt, das Beste geschieht am seltensten. Uli gewann ein Erkleckliches und meinte, Joggeli vernehme es nicht.
Aber die Leute, welche früher Joggeli alles zugetragen hatten, lebten noch, und wären sie gestorben gewesen, so wären aus ihrem Grabe herauf alsbald neue aufgewachsen,von wegen diese Sorte stirbt nie aus. Joggeli wußte richtig alsbald bei Heller und Pfennig, was Uli gelöst, das gab böses Blut. Die Base und Vreneli mußten viel leiden deretwegen. Uli hätte das nicht thun und den Frieden auch für etwas rechnen sollen, da Gott es so gut mit ihm meinte und er es so wenig nöthig hatte. Das Frühjahr ist für den Landmann, welcher nicht Vorräthe hat, sonst eine Zeit,welche Geld frißt, oder zu Schulden nöthigt, das war bei Uli nicht der Fall, seinen Handel nicht gerechnet. Vreneli löste aus Butter und Milch viel Geld, so daß nicht bloß die Hauskosten bestritten wurden, sondern hie und da noch ein großes Silberstück bei Seite wanderte, um bei der Hand zu sein, wenn der Pachtzins gezahlt werden mußte. Ferner wurde er mit einigen Prachtkälbern beschenkt. Diese mästete er bis sie nahe an zwei Centner wogen, half zuweilen sogar mit Eiern nach, welche er entbehrlich glaubte. Solche Kälber sind rar, gehen in die Bäder, nach Basel ꝛxc. und werden schwer bezahlt, so daß Uli wirklich Glück in allen Ecken hatte, das Geld nicht von ihm wollte, sondern immer vermehrt zurück rann, einer guten Taube gleich, welche nie aus ohne mit einem neuen verlockten Tauber zurück zu ehren.
Capitel 8.Das Erntefest oder die Sichelten.Dennoch setzte sich Uli ein Wurm ins
Herz, von wegen was er einnahm, das gehörte ihm, versteht sich; was er ausgeben
mußte, das verstand sich nicht von selbst, er kehrte es siebenmal um, bis er
sicher war, daß er es schuldig sei.Es ist eine eigene Geschichte, wenn ein
großes Bauernhaus sich umwandelt in ein bloßes Pächterhans. Ein großes
Bauernhaus, welches seit hundert und mehr Jahren im Besitz der gleichen Familie
war und absonderlich, wenn gute Bäurinnen darinnen wohnten, ist in einer Gegend
fast was das Herz im Leibe; drein und draus strömt das Blut, trägt Leben und
Wärme in alle Glieder; ist, was auf hoher Weide eine vielhundertjährige
Schirmtanne den Kühen, unter welche sie sich flüchten, wenn es draußen nicht gut
ist, wenn die Sonne zu heiß scheinet, wenn es hageln will oder sonst was im
Anzuge ist, was die Kühe nicht lieben; ist der große unerschöpfliche Krug,
welcher nicht bloß einer Wittwe und ihrem Söhnelein das nöthige Oel spendet,
sondern Hunderten und abermal Hunderten Trost und Rath, Speise und Trank,
Herberge und manch warmes Kleid Jahr aus, Jahr ein. Ein solches Haus ist das
Bild der größten Freigebigkeit und der sorglichsten Sparsamkeit. Da liest man
die Strohhalme zusammen und zählt die Almosen nicht; da findet man die Hände,
welche nie lässig sind im Schaffen und im Geben, denen zur Arbeit nie die Kraft
ausgeht und nie die Gabe für den Bedrängten. So ein Haus ist ein wunderbar Haus,
aber darum ist es auch eine Art heiliger Wallfahrtsort, wohin wandert wer
bedrängten Herzens ist, Noth leidet am Leibe oder an der Seele. Zieht aber nun
aus einem solchen Hause die Seele, d. h. die Bäurin oder der Bauer, so bleibt
das Haus, und wie Kinder immer wieder zum todten Körper ihrer Eltern zurück
kehren, forschen, ob die Seele nicht zurück gekehrt, so kommen die Leute immer
und immer noch zum Hause, klopfen an die alte Thüre,horchen, ob die alte treue
Haud, die nie leer ward, nicht ali, der Pächter. 2
4 ist keine Scheere, die schärfer schiert, als wenn ein Bettler zum Herren wird.“ Die Meisten jedoch sagten Vreneli ihre Gedanken nicht an den Kopf heraus, aber sie verlästerten es desto jämmerlicher hinterwärts. Da sie nichts böses wußten,ersannen sie um so gräulicheres, namentlich machten sie gelten, wie sie den Hof fast um nichts hätten, den Kindern das Brot von dem Munde wegstöhlen, da sei kein Wunder,wenn sie auch gegen die Armen wären wie Türken und Heiden. Schlecht sei schlecht und schlechte Leute habe es immer gegeben, aber Leute wie die, ohne Religion, seien doch noch nie erlebt oder erhört worden. Das Alles that Vreneli sehr weh, denn begreiflich wurden ihm alle diese Reden wieder hinterbracht, und wahrscheinlich von Denen selbst, welche sie gehalten, nur daß sie dieselben dann Andern in den Mund legten. Doch sagte es davon Uli nichts, es verarbeitete das in seinem eigenen tüchtigen Sinn. Es dachte, klagen trage nicht viel ab, warum ein zweites Herz betrüben, wenn man im Stande sei, es alleine zu verwinden; Hülfe leisten könnte ihm Uli nicht, und alle Armen diese Wehthat entgelten lassen, wollte es nicht. Uli war wenig zu Hause und hatte den Kopf so voll von Geschäften und Gedanken, daß er gar keine Augen für diese Dinge hatte. Er war es gewohnt, Leute an den Thüren zu sehen, oder bei Vreneli in der Küche, achtete sich derselben nicht, frug nicht, was sie wollten, dachte gar nicht daran,daß es jetzt über ihn ausging und um seine Sache, ließ Vreneli also ganz gewähren nach seinem Belieben.
Der Heuet war vorbei geflogen, wie gewünscht; die Kirschen mit den Sperlingen im Frieden getheilt worden und die Erndte vor der Thüre, ehe man sich dessen versah.
Die Erndte ist dem Landmann eine wichtige Zeit, eine heilige Zeit, von ihrem
Ertrage hängt sein Bestehen ab, oder wenigstens sein Wohlergehen. Er erkennt
dieses auch an,und Aals Zeichen dieser Erkenntniß richtet er am Schlusse
derselben eine Art von Opfermalzeit aus; er speiset Arme,speiset und tränket
Knechte, Mägde, Taägelöhner, deren Weiber und Kinder und den Fremdling, der da
wohnet innerhalb seiner Thore. Solche Mahlzeiten bilden die Glanzpunkte in dem
Leben so Vieler; würden sie aufhöͤren, wäre
Die Erndte war prächtig, das Wetter schön, der Acker reich. Uli war glücklich, Joggeli knurrte. Er schrieb des Ackers Fülle Uli zu, der im Herbste dichter gesäet, besser hatte arbeiten lassen und im Frühjahr stark gewalzt. Einen folchen Acker voll Korn habe er sein Lebtag nie gehabt.Dicht, wie die Haare einer Bürste, stünden die Halme und doch sei nicht einer gefallen. Der arme Joggeli bedachte nicht, daß fäen und wässern der Mensch kann, aber nicht das Gedeihen geben. Ob dicht oder dünn das Korn auf dem Acker steht, ob aufrecht oder ob es auf dem Boden liegt, das ist Gottes Sache. Wer es zu treffen wüßte allezeit, wüßte, ob viel oder wenig säen gut sei, ein kalter Winter käͤme oder ein milder, der wäre eben ein Hexenmeister,aber solchen giebt es nicht, es ist ein einziger, der dieses weiß, und der ist eben der, der kalte oder milde Winter macht, und der ist Gott.
Bei allem Segen hatte Vreneli das Herz voll Angst.Niemand besser als es wußte, was jene Opfermalzeit,Sichelten genannt, verzehrt hatte unter Joggeli's Regiment.Im ersten Theile vom Uli steht auch was darüber zu lesen.Daß sie dieselbe nicht nach dem gleichen Maaße auszurichten vermöchten, das wußte Vreneli wohl, aber wieviel Uli abbrechen wolle und wie weit es das Verlästertwerden zu fürchten hätte,das wußte es nicht. Vreneli war tapfer, das wissen wir, aber es fürchtete sich doch vor böser Weiber bösen Zungen; es wußte,daß weiter als die Blitze fahren, weiter als die Winde wehen,böser Weiber böse Töne tönen. Einige Wochen vorher hatte Vreneli Uli Milchgeld eingehändigt mit dem Bemerken, es werde eine Zeit lang nicht mehr viel geben, was es immer erübrigen könne an Milch, müsse zu Butter gemacht werden für die Sichelten. Darauf hatte Uli gesagt: „Allweg wird es was brauchen, aber den Narren wirst nicht machen wollen;ich hin nicht Joggeli und du einstweilen keine Bäuerin.“
„Weiß wohl“, sagte Vreneli, „Zu thun wie sie, kömmt
Eines Tages nun, als Vreneli im Schweiße seines Angesichts haushaltete und eben
dachte, komod wäre es ihm,wenn es vier Hände hätte, mit zweien könne es kaum
alles beschicken zu rehhter Zeit, kam die Base, setzte sich aufs Bänklein und
frug: „Kann dir was helfen, so sags. Die Leut werden hungerig, wollen lieber
früher essen als später, und eine alleine kommt fast nicht zurecht, habs oft
erfahren.“„Wahrhaftig Base“, sagte Vreneli, ihr kommt mir akurat wie ein Engel
vom Himmel, wenn ich euch nicht hätte, ich wüßte wahrhaftig nicht, wie ich es
machen sollte. Will die Erdapfel vom Brunnen holen, ihr seid dann so gut und
beschneidet mir diese.“ Flugs war Vreneli wieder da, stellte das Körbchen der
Base dar sammt einem Kessel mit Wasser, in welchen die zerschnittenen und
gerüsteten Kartoffeln zu werfen waren, und half ab und zugehend der Base.Habt
ihr es abgeredet mit der Sichelten, wie ihr es mahen wolit?“ frug diese. „Nein“,
sagte Vreneli, „aber sie DD ein gesegnetes Jahr und wir können Gott nicht genug
danken, daß wir ängstlich wegem Zins und ich kann es ihm nicht verargen. Es ging
ihm gar schwer, bis er hatte, was er hat, und daß er nicht gerne plötzlich darum
kömmt, ist begreiflich. Ich fürchte da
Noch selben Abend eröffnete Vreneli die Verhandlungen mit Uli. Uli sagte, es sei ihm schon lange zuwider gewesen, nur daran zu denken. Schon als ihn die Sache nichts angegangen, sondern alles über den Meister ausgegangen sei, habe er sich darüber geärgert, wie so viel durchäus unnütz und überflüssig draufgehe. Wenn er einmal was dazu zu sagen haben sollte, so müßte es ihm anders gehen, habe er immer gedacht. Viel wohler sei man bei Wenigem, und daß jeder arme Mensch an diesem Tage Küchl essen müsse, bis sie ihm zum Mund heraushingen,selb stehe nirgends geschrieben. Wenn sie Küchli haben wollten, so möchten sie sehen, wo sie welche bekämen, sollten zu Joggeli gehen, der könne den alten Gebrauch fortsetzen.„Rede mir nicht so, Uli“, sagte Vreneli, „das ist ungut.Sieh, der liebe Gott speiste von deinem Acker auch seine Vögei, wie lustig waren sie nicht dabei, es war ihre gute Zeit im Jahre, und du mußtest. es geschehen lassen. Und nun, wie viel besser sind doch Menschen als Spatzen, und die sollten nicht einmal einen guten Tag haben, und wenn Gott sie dir vor die Thüre schickt, um deinen guten Willen zu sehen, zu erfahren, ob du weißt, wer dir den guten Anfang giebt, denen willst du dann nichts geben? Selb, Uli,wirst du nicht machen!“
Bin ich denn Pächter geworden, um Bettlern zu küchsen? Was brauchen die solche
Speise? Brot, wenn was sein muß, thut's. Oder meinst etwa, man solle auch den
Vögeln küchlen und Schüsseln voll in den Acker stellen?“ „Lieber Ali,rede dich
doch nicht in Zorn hinein, denn das ist dein Ernst nicht. Christen Brauch ists
ja, daß man die Armen wie Brüder hält und nicht wie Hunde abspeiset, und giebt
man ja selbst den Hunden Brosamen vom Teller, jagt sie nicht mit ungesättigten
Gelüsten vom Tische weg, sollte man dann einem ärmen Fraueli oder einem armen
Kinde, welches das ganze Jahr durch nichts Gutes hat, kaum Salz zu den
Karloffeln hat, nicht eine gebackene Brotschnitte geben oder sonst ein Küchli?
soli es umsonst den ganzen Tag, wohin es kommen mag, den Duft der in der Pfanne
brodelnden Butter
Nun war Vreneli hell auf, es glaubte Alles gewonnen,aber die Angst kam ihm
wieder, und zwar am Tage der Sichelten selbst, und nicht von Uli her. Als das
Sieden und Braten anging, die Feuer prasselten, die Butter brodelte und zischte,
die Bettler kamen, als schneie es sie vom Himmel herunter, die Pfannen zu Alles
verschlingenden Ungeheuern wurden, Vreneli, wie viel es auch hineinwarf,immer
frisch wieder angähnten mit weitem, ödem, schwarzem Schlund; da kam die Angst
über ihns; aber sie half ihm hali nichts; wie die Sperlinge den Kirschbaum
wittern, welcher frühe Kirschen trägt, weither gezogen kommen mit ihren raschen
Schnäbeln und nimmersatten Bäuchlein, so kamen die Bettler daher vom Duft der
brodelnden Butter gezogen,schrien heißhungrig von weitem schon: „Ein Almosen de
tusig Gotts Wille,“ und trippelten ungeduldig an der Thür herum, weil sie vor
süßer Erwartung die Beine nicht stille halten konnten. Vreneli begann
Schnittchen zu backen, daß es sich fast schämte, so klein und so dünn die
Kruste, und Alles half nichts, es war, als ob sie Beine kriegten und selbst
zuliefen einem Schreihals vor der Thür. Es ward ihm immer himmelangster, für die
eignen Leute könnte es gar nicht sorgen. In der größten Noth erschien die Base
unter der Küchenthüre, wahrhaftig wie ein Engel, und zwar einer von den
schwereren, denn sie wog wenig unter zwei Centnern. „Es dünkt mich, es sei noch
nie so gegangen, mit betteln,“ sagte der dicke Engel, „es ward mir himmelangst
für Dich, die Leute haben doch je länger je weniger Verstand,
„Thue nicht so nöthlich,“ sagte die Base, „und sag',wo ich Dir helfen soll. Es wäre ja unsere Pflicht auszurichten, was üblich und bräuchlich ist, und daß ihr schon zum erstenmal aufgefressen werdet, wie das Kraut von den Heuschrecken, selb meinte sicher felbst Joggeli nicht. Blos daß ihr scharf gebürstet würdet, das wohl, das möchte er euch gönnen.“ „Base, glaubt nur, geben thue ich gar gerne,ich fühle es recht, daß geben seliger ist als nehmen. Es kommt mir dabei immer vor, alsfei ich Gottes selbst eigne Hand, welche er öffnet zur Stunde, damit sich fättigt was da lebt. Aber wenn es daher geflogen kömmt, wie Krähen im Winter über einen spät gefäeten Acker, dann wird es einem doch Angst ums Herz, man kömmi in Versuchung und versündigt sich fast, wird ungeduldig, wenn die Zeu verrinnt, der Abend kommt und unfre Leute hungrig kommen und nichts finden.“ „Allweg,“ sagte die Base; ,aber wart,ich will Dir helfen.“ Nun half die Base, sie machte die Schaffnerin und Spenderin nun wirklich so, daß Vreneli Zeit und Stoff, für seine Leute die Fülle blieb. Ging Jemand unzufrieden weg, so fiel der Groll auf die Bäuerin, deren bekannte Gestalt unter die Thür stund und ihn abgefertigt hatte.
Wie Vreneli in der Küche, schwitzte Uli auf dem Felde.Es war ein Tag in welchen
sich fast mehr Arbeit drängte als hinein mochte. 2000 Garben sollten eingeführt
werden.Mit zwei Stieren führte er den Wagen auf dem Acker, war er geladen, so
fuhren 4 Pferde denselben heim. Eine Parthie lud zu Hause die Garben ab, eine
andere band Gar
Indessen bis er mit dem letzten Wagen heim konnte,stund er eine Hitze und
Ungeduld aus, daß er von nun an vollkommen wußte, wie es den Menschen im
Fegfeuer zu Muthe sein muß. Auf dem Wege begegnete ihm Joggeli.„Führe nur brav
ein,“ sagte ihm dieser, „hast es nöthig;Bettler und Mäuse bedürfen viel und das
Jahr ist lang.“Uli antwortete nicht, aber wer sich auf das Knallen einer
Peitsche versteht, konnte an demselben dessen Gedanken abnehmen. Es war viel daß
er den Wagen nicht umwarf, oder keinen Abweisstein umfuhr, aber Gewohnheit macht
viel.Aber sobald die Pferde stille stunden, übergab er das Abspannen dienstbaren
Geistern und ging der Küche zu. Gewaltig nahm er sich zusammen, um nicht mit der
Thüre ins Haus zu fallen, sondern gemäßigt aufzutreten mit dem Anstand, welcher
dem Meister ziemt. Gepolter und Aufbegehren an diesem Tage würde sein Ansehen
bedenklich beschädigt haben. Das bedachte Uli. Als er unter der Küchenthüre
erschien, stieß er auf die Base, vor welcher er anch Respeckt hatte, so daß er
fast kleinlaut frug: „Wie stehts? in einer halben oder ganzen Stunde höchstens
find wir fertig!“
Freundlich kam Vreneli aus Rauch und Qualm ihm entgegen gesprungen, glühend von Schweiß und Arbeit.„Gut,“ sagte es, „kommt wann ihr wollt, es ist alles zweg und lieb ists mir gar sehr, wenn es mit der Arbeit nicht geht bis tief in die Nacht hinein, habe es an diesem Tage sehr ungern, denn gewöhnlich geschieht noch was ungeschicktes. Aber zu thun haben wir gehabt, Du glaubst es nicht;wäre die Base nicht gekommen und hätte mir geholfen, ich darf nicht sagen wie, Du hättest mich nicht mehr gefunden,ich wäre davon gelaufen, so weit mich die Beine hätten tragen wollen. Komm und sieh, was wir geschafft.“ „Muß gehen und helfen,“ sagte Uli, „die Pferde sind nicht ausgespannt, müssen noch geputzt und abgerieben sein.“ „Wärest mir ein schöner Meister, wenn Du immer dabei sein müßtest,wenn der Wagen laufen soll, und nicht einen Augenblick Zeit hättest zu sehen, was Dir Deine Frau zeigen will. Komm,“rief Vreneli schalkhaft, „Base seht zur Pfanne“ und sprang die Kellertreppe hinab, daß Uli folgen mußte, er mochte wollen oder nicht. Weit sperrte Vreneli die Kellerthüre auf und drinnen auf dem üblichen Tische sah er mit großem Erstaunen Berge von Küchlein von allen Sorten. „Sieh hier diese sind für diesen Abend, diese für morgen Mittag, jene dort für nach Hause zu geben und für Ungestimmtes backen wir noch, man weiß nie, was es geben kann. Was meinst,haben wir genug?“
Ganz verstaunet stund Uli vor den hohen Thürmen,machte Augen wie Pflugsräder, und
doch konnten sie das Wunder nicht fassen, fast wäre er davon gelaufen, weil er
dachte, dieser Segen könne nur durch den Rauchfang hinunter gekommen sein,
endlich sagte er: „Gott behüt uns davor,woher dies Alles und so viel Bettler.“
„Bst! Bst!“ sagte Vreneli schalkhaft, „das frägt man nicht und darfs nicht
sagen, wenn es die Erdmännchen hörten, sie zürnten es; denke wie komod, wenn man
nur ein Küchlein auf eine Schüssel zu legen braucht, um handkehrnum noch sieben
andere darauf zu häben“ „He, ja komod wärs,“ sagte Uli, „aber vielleicht, daß Du
das Hexli warest,“ machte aber dabei doch ein Gesicht, dem man es ansah, daß er
nicht wußte, was er glauben sollte, wandte sich und wollte wieder die Treppe
„Was hat er gesagt?“ frug droben die Base. „Augen hat er gemacht, wie Pflugsräder
und weiß noch jetzt nicht,ists mit rechten Dingen zugegangen oder nicht. Aber
Gottlob zufrieden ist er und das ist die Hauptsache,“ ant
In der Glunggen ging es aber nicht so, in Kopf und Beinen hatte Vreneli ein ander
Eingericht. Kaum hatten die Leute die Arbeit beendigt, Staub und Schweiß sich
abgewaschen, erscholl der willkommene Ruf zum Essen. Dieser Ruf kommt nicht vom
Himmel her, noch ruft er in den Himmel, aber am Wohllaut desselben mag der arme
Sterbliche abnehmen, wie herrlich und süß einmal der Ruf dorthin klingen wird.
Diesmal zögerten die Leute nicht so unerträglich, wie es sonst der Fall ist, es
war etwas, welches sie schneller in Bewegung setzte. Sie hatten alle ein gutes
Vorurtheil für Vreneli, es war allen lieb; ein solcher Verstand bei einer so
Jungen sei selten, hieß es. Uli schien ihnen dagegen wohl streng und allzusehr
den Meister zu machen.Sie meinten: Einer, der selbst Knecht gewesen sei, sollte
Verstand haben und begreifen, daß man sich nicht gerne zu Tode
Als so rasch gerufen wurde, dachten sie: von zweien ist eins, entweder geht es
verdammt mager zu, oder verdammt brav hat Vreneli sich gestellt, denn fast die
ganze Last lag ihm alleine ob. Die Neugierde, welches von den Zweien der Fall
sei, machte ihnen so rasche Beine. Sie kamen fast in die Stube wie Kinder ins
Zimmer, wo zu Weihnachten ihnen beschert wird, bemerkten aber nichts besonderes,
es schien alles akurat wie ehedem, so daß es ihnen ganz traulich und heimelig
ward ums Herz und einer zum andern sagte: „Er hätte geglaubt das ändere hier,
von wegen, was einem recht und gut sei, das ändere, das Schlechte könne man
behalten.Es sei aber nichts als billig, daß es einmal umgekehrt gehe.Das Beste
und Schönste was zu sehen war, war Vreneli,welches mit Freundlichkeit und
Sicherheit alles ordnete, für jeden ein gutes Wort hatte, jeden mit dem Hauche
der Heiterkeit berührte, welches ein wunderbar Ding ist, aber die allerbeste
Würze, ohne welche das reichste Mahl nichts ist, als eine schädliche,
gefährliche Abfütternung. Üli war es eigen zu Muthe, es war das erste Mal, daß
er so gleichsam präsidirte und als Gastgeber eine Gesellschaft bewirthete und
mit selbsteigenen Speisen; wer es gewohnt ist, thut es mit einem eigenen Behagen
und einem gewissen Seibstgefühl,welches wir nicht Stolz nennen möchten. Uli that
noch linkisch, das Behagen kam erst später, aber er zeigte Geschick dazu, die
Leute waren mit ihm zufrieden. Sie freuten sich auch der alten Frau, welche mit
einer großen Schüfsel Fleisch erschien und dann zu ihnen sich setzte.Besonders
erquickte ihr Anblick die alten Tagelöhner, welche seit Jahren auf dem Hofe
gearbeitet und in gesunden und franken Tagen ihre müde Hand erfahren hattͤn. Da
war keiner der ihr sein Glas niddt brachte, wollte, daß sie ihm
„Bist immer die gleiche Hexe,“ sagte die Base und lachte herzlich, und ein alter Tagelöhner sagte: „Frau, nicht für ungut; aber dem Alten wäre zu gönnen gewesen, ihr wäret vor ein paar Jahren gestorben, und er häͤtte Vreneli geheirathet. Wohl die hätte ihn tanzen lassen, bis er gelernt hätte nach Gott schreien, und es ihm verleidet wäre andere Leute zu plagen und ihnen die Freude zu verderben.“ Es war wirklich sonderbar wie Joggeli Vreneli so wenig leiden möchte, und doch durch Niemand so regiert werden konnte,wie durch Vreneli.
Es ging wirklich lange nicht zehn Minuten, so hatte das Fraueli den Alten
knurrend und brummend auf den Beinen. „Warte,“ sagte er, als er zur Thüre des
Stöckleins aus war und ging in den Keller, welcher unter demselben war; kam mit
einer großen Strohflasche herauf, welche mehrere Maaß faßte; gab sie Vreneli und
sagte: „Nimm die,und schenke mir davon ein, habt heute Schmarotzer genug, möchte
nicht auch noch euch in den Kosten sein..“ „O Vetter,“ sagte Vreneli
unwillkührlich oft von Muthwillen gestachelt, „das laßt euch nicht kümmern, der
Hof mag das Alles ertragen, und Vetter Joggeli kann einen Pächter erhalten,
welcher alles auszurichten vermag, was einem stolzen Bauernorte wohl ansteht.
Wenn der Pachtzins vernli, der Pächter. 3
Die Leute hatten tapfer gearbeitet, aßen nun auch tapfer und nicht mit der angebornen Gemächlichkeit, nicht viel anders als das Klappern der Löffel und Teller wärd gehört.Doch nicht lange, so kam ihnen die Besonnenheit, sie gedachten, daß sie die ganze Nacht zum Esfen hätten, und je langsamer sie es thäten, desto mehr möchten fie, und desto länger könnten sie. Da begann das Reden und zwischendurch scholl Gelächter. Die Jüngern wechselten Witze, rieben Neckereien; die Alten erzählten die Heldenthaten ihrer
Jugend, wie viele sie geprügelt, und wie manchen Bauer,der gemeint, er sehe das
Gras wachsen und höre die Flöhe husten, sie angeschmiert und was der Dinge mehr
waren.Dann schwatzten auch die Honorationen unter einander, doch so laut wie
drüben ging es nicht her. Lange machte hier Joggeli den Hauptredner und erzählte
eine Menge Geschichten, wie es Pächtern ergangen, ungesinnt Seuchen ihnen die
Ställe geleert, Hagel die Erndte zerschlagen, daß ihnen nichts übrig geblieben
sei als in den Wald zu gehen und sich zu hängen an den ersten besten Baum. Er
erzählte von andern, welche den Pachtherren bestohlen, die Milch von der Kuh,
welche sie ihm futtern sollten, nicht halb gegeben, alles auf das
Allerschlechteste ausgerichtet, hinterrücks Holz aus dem Walde verkauft, bis
ihnen endlich der Bauer über die Schelmerei gekommen und sie mit Schimpf und
Schande weggejagt, und wie sie Bettelleute geworden und ihr Brot vor den Thüren
hätten suchen müssen, da ihnen Niemand mehr eine Pacht habe anvertrauen wollen.
So erzählte Joggeli, legte ein Gedächtniß an den Tag wie eine Heuscheuer, bis
ihm endlich seine Frau sagte: „Jetzt schweig mir bald mit deinen
Lausgeschichten, du könntest einen zu fürchten machen, daß sie einem im Traum
vorkämen.“ Vreneli aber, welches dem Vetter, seit er in der Stube war, auch
nicht eine witzige Antwort gegeben hatte, sondern die artige Wirthin mächte, als
ob es in einer 600thalerigen Penston gewesen, sagte: „Laßt den Vetter reden,
Base, ich habe ihn lange nicht so kurzweilig gesehen, ich könnte ihm zuhören bis
am Morgen, es schläferte mich nicht.“ Jä, so hatte es Joggeli nicht gemeint, an
Vrenelis Kurzweil war ihm wenig gelegen; er brach daher mit seinen
Höllengeschichten ab und machte sich zu den ältern Tagelöhnern. Hier hörte er
eine Zeitiang zu, gab selbst einiges zum Besten, freilich keine Heldenchalen,
denn von einem Helden hatte Joggeli kein Haar an sich; aber pfiffige Streiche:
wie er sich aus der Patsche gezogen und andern hineingestoßen. Er erregte viel
Gelächter, daß selbst die Jüngern ihre Ohren ihm zuwandten, denn Fuchsenstreiche
sind leider eine beliebte Speise für alte und junge Ohren von je gewesen und
werden es bleiben leider. „Ach ja,“ sagte er endlich, ufelbe Zeit war eine
Unter der Schaar sei immer einer gewesen, der ein Tänzlein hätte pfeifen können
auf dem Blatte oder sonst,und nicht selten hätten die Schnitter neben der Sense
eine Geige mitgebracht oder eine Zitter; Jetzt ists mit Pfeifen und Tanzen aus
und es kommt noch die Zeit, wo man in einem Tage alles macht. Ja ja, die Leute
werden alle Tage gescheuter und abgerichteter auf ihren Nutzen. Wann habt ihr
angefangen, und seid schon fertig?“ frug Joggeli mit einem andächtigen Seufzer.
Auf erhaltene Antwort sagte er,„das ist nie erhört worden, und wenn man das
früher jemanden gesagt hätte, er hätte gesagt, es fehle einem im Kopfe.Aber Uli
ist auch ein Ungeheuer zum arbeiten, es geht ihm von der Hand, ich habe noch
Niemand so gesehen. Wenn ihr es von ihm lernet, so kömmt es euch in alle Wege
komod.“ Nun schlug er Ulis Ruhm auf dieser Saite in allen möglichen Variationen
an bis ihm die Base, welcher es katzangst dabei ward, rief: sie möchte ihn was
fragen:„Ob es nicht Zeit wäre heimzugehen, meinte sie, es fei üͤber
Mitternacht?“ Als Joggeli nicht Lust bezeigte, wahrscheinlich hatte er wieder
was Neues Interessantes im Kopfe, warf sie so hin: „Man könne nie wissen, aber
es gebe schlechte Leute in der Welt und zwar immer mehr, wenn die merkten,daß
der Stock leer und alles hier sei, so könne sie die Lust ankommen, nach zu
sehen, ob sie drinnen nicht was fänden,welches ihnen anständig sei?“ Ja wohl,
das wirkle und machte Joggeli Beine. Wenn sie es erzwungen haben wolle, so sei
es ihm am Ende gleich. Obgleich nun Uli
Nachdem Beide abgegangen, ward es einförmiger am Mahle, wenn auch lärmender
mehrere Stunden lang. Zuweilen legte einer den Kopf auf die Arme und
schlief;wachte er wieder auf, so trank er erst ein Glas Wein, dann begann er zu
essen, als komme er neu zum Tische. Andere gingen hinaus; was sie trieben,
wissen wir nicht, aber kamen sie wieder, so aßen und tranken sie ebenfalls so,
als hätten sie noch sehr wenig gehabt. Wenige blieben sitzen, als wären sie da
für's ganze Leben angenagelt, es waren die Veteranen, welche an funfzig
Sichelten sich die kaltblütige Ruhe erworben hatten, welche im Stande ist,
vierundzwanzig Stunden lang, wenn es sein muß, zu essen und zu trinken ohne je
zuviel zu kriegen. Aber furchtbar langweilig wurden sie und schienen nur darauf
zu horchen, ob sich die verschluckte Masse nicht setzte, so daß sie einen Bissen
hinunterschieben und einen Schluck nachtrinken könnten. Dazu kam nun allgemach
der Tag herauf und nicht leicht was Grausigeres giebt es, als wenn der Tag durch
die Fenster kömmt, hinter welchen herabgebrannte Lichter glimmen, Tabacksqualm
schwer über graäuen blassen Menschen mit gläsernen Augen liegt,über Menschen,
welche essen, trinken, rauchen, reden, singen,aber alles in unsäglicher
Schwerfaäͤlligkeit und Langsamkeit wie im Traume, zu nichts mehr taugüch sind,
nicht einmal zum Aufstehen und zu Bette zu gehen. Ja das ist wüst,aüber nicht
bloß so einfach wüst, sondern gleichzeitig eine Geduldprobe; für den Wirth, und
besonders wenn er bloß Pächter ist, kann kaum eine ärgere erdacht werden. Er muß
also aushalten; vielleicht geht auch seine Frau ins Bett, da sie zur Jeit wieder
auf dem Platz sein muß, um das Mittagsmahl zu bereiten, während der Mann
schlafen kann bis es auf dem Tische steht. Er ist müde von der Arbeit,schläfrig
von kurzem Schlafe in vergangener Zeit, hat Wein getrunken, eine Nacht ganz
durchwacht und sitzt da und
So wie der Tag kam, kam es einen nach dem andern an wie die Eulen, er suchte die Finsterniß, nachdem er noch in sich geschafft hatte, was die Haut ertragen mochte; aber die alten verpichten Häute bleiben und der Wirth muß auch bleiben. Es sieht der Gastgeber, daß sie sich offenbar Gewalt anthun da zu bleiben, zu essen, zu trinken, daß sie es ihm offenbar zum Trotz thun, nicht bloß um ihm so wenig als möglich übrig zu lassen, so viel als möglich abzuessen, sondern um ihn zu peinigen mit dem Dableiben, ihn zu versuchen, daß er ungeduldig wird, endlich in die Worte ausbricht: „Es dünket mich, Ihr solltet einmal genug haben, und Euch ins Bett packen, das würde euch wohl anstehen und schöner als dort seid Ihr nirgends.“
Dann hätten sie, was sie wollten, würden einige spitzige Worte sagen, gehen, aber
dann während ihrer ganzen übrigen Lebenszeit an jeder Sichelten und sonst noch
dei jedem Änlasse es rühmen, wie sie es einmal dem Meister gemacht,was er gesagt
und was sie gesagt. Das Aushälten in Ruhe und Würde hat etwas Nehnliches mit dem
gelassenen Aushalten eines indianischen Häuptlings, welcher von einem
feindlichen Stamme langfam dem Tode entgegen gemartert wird, um schließlich
scalpirt zu werden. Was dabei vas Unerträglichste ist, daß solche Peiniger sehr
oft nicht etwa die schlechtesten Arbeiter sind, oder die feindseligsten, fondern
die fleißigsten, mit denen man das Jahr durch im besten Verhältnisse gestanden
hat, von denen man freundschaftliche Rücksichten erwarten sollte, ein Eingehn in
des Meisters Pein.Aber es ist als ob sie einmal des Jahres genießen wollten
Herren zu sein, den Meister zum Kuecht zu haben, ihn ihre Laune empfinden zu
lassen so recht bis auf den Grund. Ein ganz ähnliches Gefühl herrscht da vor,
welches bei den Römern das merkwürdige Fest erzeugte, wo die Herren ihre Sclaven
bedienten, als seien diese zu Herren, sie zu Sclaven geworden. Darin lag Sinn
und Witz und beide tief; die Herren sollten ein ganzes Jahr lang nicht
vergessen, daß ein Sclave fühlt und wie er fühlt, die Sclaven sollten im
Uli mußte aushalten bis Morgens halb sechs. Da erst sagte der Letzte: „Wenn Niemand mehr bleiben wolle, so werde er auch gehen müssen, sonst müsse er aber der Unverschämteste heißen, und wäre ihm doch noch wohl da. Es dünke ihn, er sei erst abgesessen.“ Indessen ging er und zwar so, daß man wohl sah, er müsse eine geraume Zeit abgesessen gewesen sein. Denn er fand die Thüre kaum und als er sie endlich hatte, sah er die Thürklinke nicht, obgleich die Sonne daran schien. Uli hatte die Geduldprobe männlich bestanden, aber nicht aus selbsteigener Kraft. Der liebe Gott hatte zur Geduld den Schlaf gesandt; dieser, wenn in Uli der Zorn aufbrennen wollte, drückte ihm rasch die Augen zu, lähmte die Zunge, gaukelte ihm ein klein Traumbild vor,dann wich er wieder. Uli fuhr auf, aber erfrischt, als hätte er ein kühlend Bad genommen. Die Nerven hatten sich abgespannt, das Sieden des Blutes sich gelegt, eine halbe Stunde konnte er sich wieder halten, dann brannte es wieder in ihm,dann kam der Schlaf wieder, kühlte ihn rasch ab, so gings,bis er endlich vom letzten wüsten Gaste erlöset war.
Capitel 4.Wie zwei Sagemänner an zwei Ackern stehn und wie verschiedenen Saamen
sie aussäen.Den folgenden Tag wollen wir nicht beschreiben, denn dieser ist
schauerlich langweilig. Allen ist's, wenn er nur vorüber wäre; verschiedene
Mittel werden angewendet ihn vorbei zu bugsiren. Schlafen, Essen, Trinken und
wieder Schlafen das sind die Hauptfaktoren, welche angewendet werden.An einigen
Orten kommen noch Tanzen und Mädchen dazu.
In der Glunggen ging es nicht kurzweiliger. Als der Letzte das Schlachtfeld
verlassen hatte, konnte Uli nicht einmal ins Bett, er mußte sich seines Viehs
erbarmen. Als es Mittag war, hatte man große Mühe, die Schläfer aus Löchern und
Winkeln zusammen zu trommeln und zu schleppen. Als sie mal saßen, saßen sie
wieder, doch nun diesmal nicht so lange, besonders da es ein schöner Tag war.
Als Uli nach aufgehobener Tafel vor das Haus trat, um seine SonntagsPfeife zu
rauchen, rief ihn Joggeli. „Willst hineinkommen und eine Flasche trinken mit
mir,“ sagte er, „oder bist genug gesessen? Wenn selb ist, so komm mit mir nach
Gramslige,hätte dort was zu verrichten; kriegen morgen den Schuhmacher und haben
noch keine Nägel.“ Uli war das anständig: er kannte diese ehrbaren Vorwände der
Männer, wenn sie zu einer guten Flasche kommen wollen; bei einer solchen und
allfälligen Gesellschaft verdämmert man am besten die langen Stunden. „Zu
Gramslige, „setzte Joggeli hinzu,“ bekomme er das Tausend Nägel drei Kreuzer
wohlfeiler als hier und dabei seien sie auch noch recht gut. Kreuzer seien
freilich nur Kreuzer, aber wenn man viele derselben beisammen habe, gebe es auch
einen Haufen, und wer zu ihnen nicht Sorge tragen könne, komme auch nicht zu den
Thalern.Dir braucht das freilich keinen Kummer zu machen, Du hast einen Anfang
wie selten einer. Du kannst es Dir und AÄndern gönnen, und allweg nehmen es die
Leute je besser desto lieber wie sie aber auch recht haben. Du hast gestern es
laufen lassen, es hätte es mancher Bauer nicht vermögen und mit den Heischleuten
ist es gegangen, es hat mir selbst anfangen wollen zu grausen, wenn es mich
schon nichts anging. Das Vreni wird wohl wissen, was es erleiden mag und wenn es
es nicht weiß, so ist es doch schwer anders zu brichten; was das einmal im Kopfe
hat, das bringt man ihm mit einem Dutzend Purganzen nicht mehr raäus. Das hat
ein Köpflein, wohl, es weiß es Niemand als wer es
„Die kommen erst im Winter: Zinsen, Steuern, Dienstenlöhne; dann ists freilich
komode, wenn man nicht leere Hände hat. Die Dienstlöhne werden dir zu Weihnachi
eine tüchtige Lücke machen, von wegen Du hast kostbare Knechte, mancher Bauer
vermöchte sie nicht so theuer. Man meint sonst, wenn der Meister immer mit und
dabei sei, könne er es mit wohlfeilen Knechten auch machen.“ So sprach Joggeli
im Verlauf der Zeit, entwickelte eine große Unterhaltungsgabe, legte Weisheit
und Gutmeinen an den Tag Fuderweise, zahlte nicht bloß eine, sondern zwei
Flaschen Wein, wahrscheinlich aus den auf den Schuhnägeln ersparten drei
Kreuzern, und ein Herz und eine Seele, wie Vater und Sohn, wanderten sie
zusammen heim. Schon ging die Sonne nieder, aber nicht in den klaren Hintergrund
der Berge, sondern hinter eine schwarze Wolkenwand, welche sich über den Kamm
der Berge gelagert hatte. „Es ist gut, sind wir fertig,“ sagte Uli;„das Wetter
ändert, hinter Wolken geht die Sonne nieder.“„Ja,“ sagte Joggeli, „pressiren ist
gut und bei den Löhnen,welche man jetzt den Dienstboten giebt, kann man wohl
pressiren, es mags ertragen. Und wie man sie jetzt speisen muß,potz Sacker, es
hat keine Art mehr und sind doch niemals zufrieden, und ehedem hätte ein Bauer
gemeint, er lebe wie ein Herr, wenn er es gehabt hätte, wie jetzt der
schlechteste Knecht leben will. Ich mag mich noch erinnern, daß man Kaffe selten
sah, auf einem Tische und Brot selten. Man hatte Rüben, Kraut, Obst, grünes so
lange es dauerte, dann gedörrtes, Hafermus, Haferbrei und Milch, das aß man und
dabei war man wohl und mochte arbeiten wohl so gut als jetzt. Fleisch hatte man
an den meisten Orten bloß den dritten Sonntag. Schon beim Frühstück stellte man
es auf,ließ es den ganzen Tag auf dem Tische, daß jeder gehen und nehmen konnte,
so oft es ihm beliebte. Aber zu Tode aß sich keiner, grünes Fleisch war es
selten, sondern dürres gut gesalzen, oft drei Jahre alt, und mit Einlegen ins
Wasser gab man sich nicht große Mühe. Brav Durst gab das, der Bauer ging in den
Keller und löschte ihn mit Milch; das Ge
„Zur selben Zeit meinte es unser Herrgott noch gut mit den Menschen und nahm zuweilen den Zehnten mit Pestilenz oder Krieg. Aber jetzt muß ihm das erleidet sein, er laäßt alles aufwachsen; es dünket einen, das schwächste Kind könne nicht mehr sterben, es müsse leben und so kommt es dann,daß man sich die Haut abreibt und zuletzt noch einander fressen muß, wie die Ratten es machen sollen.
„Und wie muß man den Menschen noch dazu aufwarten! Brot darf auf dem Tische nie
fehlen, Kaffe wollen sie wenigstens zweimal im Tage, Kraut sehen sie kaum mehr
an, und wenn man ihnen mehr als dreimal des Jahres mit Rüben kömmt, so schreien
sie zu Gott, sie seien ganz erkältet und wenn er sie nicht von den Rüben
erloöste, müßten sie zu lebendigen Eiszapfen werden. Alle Sonntage muß Fleisch
sein per se und grünes noch, welches man kaufen muß,wovon einer wenn er noch
drei gute Zähne im Maul hat,in einer halbe Stunde ein ganzes Pfund frißt, wenn
er es kriegt nämlich. Ja jetzt wollen sie Morgens um neun Uhr noch was, wollen
um drei Uhr wieder was, wollen nichis mehr als liegen und fressen und sind doch
nie zufrieden wie man es auch machen mag, man wird den Löffel ganz aus der Hand
geben sollen. Wenn mein Vater selig wüßte, wie es ginge jetzt, er kehrte sich
noch im Grabe um und wer weiß ob er nicht aufstände und versuchte Ordnung wieder
zu schaffen, von wegen das war ein Mann, der nicht meinte,er müsse alles
annehmen, wie es kommt und über sich ergehen lassen, was jedem Maulaffen
gefalle. Der wollie zu allem, was ihn anging, ein Wörtlein sagen, ließ sich die
Ordnung nicht machen, sondern machte sie selbst, und nicht bloß so eine auf dem
Papier, sondern eine nach der er ging und eine die er hielt. Ja, ich bim froh,
daß ich daraus bin, es wird je länger je böser, und wer erst anfangen muß, kann
mich dauern, begehre nicht an seinem
Er war ein Kind geblieben sein Leben lang, aber der Art eines, welche hinter dem
Rücken der Eltern alles sich erlauben, nie ihrer gedenken, sobald dieselben
außerhalb dem Bereich ihrer Sinne sind, aber in die Kniee fallen zitternd und
bebend, wenn unerwartet sie derselben Stimme hören,und bitten und betteln um
Schonung und Milde, oder in Ecken sich zu bergen und zu sichern suchen, Adam und
Eva gleich, als sie des Herrn Stimme hörten. Als ernst und feierlich des Herrn
Stimme aus den Wolken brach,da strebte Joggeli mit schwachen Beinen vorwärts und
sagte: „er helse pressiren.“ Aber die Wolken riefen dem Siurme und schneller
reiten auf des Sturmes Flügeln die Wolken, als so ein Joggeli mit schwachen
Beinen höpperlet.„Das komme sireng daher,“ sagte er, „wenn sie nur irgend wo
schirmen könnten, Bäume wären wohl, aber bei solchem Wetter hülfen sie wenig und
seien sehr gefährlich.“ Wilder,
Fortan ward Joggeli stille, wahrscheinlich sagte er den Brief her, den er vom vielen Lesen auswendig wußte, und glaubte; er werde im Munde so gut sichern und schirmen als in der Tasche. Er that es wirklich auch, ste kamen lebendig heim, aber so naß, wie sie ihr Lebtag wohl nie gewesen Uli meinte wenigstens, einen halben Fuß tief durch die Haut in den Leib hinein habe es ihm geregnet. Er wird wohl
übertrieben haben, denn wenn dies auch bei Joggeli der Fall gewesen wäre, so hätte es in der Mitte zusammengeregnet und sicher eine Wassernoth abgesetzt, und wir haben nichts davon vernommen. Hingegen schlotterte Joggeli bedenklich brachte vor Zittern die nassen Kleider kaum vom Leibe, kroch so schnell als möglich zu Bett, zog den Umhang fest zu, damit er das Leuchten der Blitze nicht sehe und hütete vier Tage das Bett, dieweil er Fieber zu haben glaubte. Noch viel länger aber als vier Tage brummte er,wie das ein sauber Eingericht sei in der Welt, daß wer sparen und hausen wolle, von unserm Herrgott beregnet werde, daß er fast ums Leben komme. Sein Lebtag versetze er wegen Schuhnägeln und drei Kreuzern keinen Schritt mehr. Daß ihm noch ganz was anderes im Kopf gestochen Gramslige gelocket, daß er dem Uli Kopfnägel einklopfen wollte und daß unfer Herrgott mehr als Recht gehabt hätte,wenn er ihn nicht bloß beregnet, sondern auch behagelt hätte,das dachte Joggeli nicht von ferne. Er war nicht bloß von Denen einer, die nimmerdar zur Wahrheit kommen können,sondern von den Unglücklichen einer, welche Menschen, Gott und sich selbsten immerfort belügen und es nicht einmal merken.
Es giebt Worte, sie gehen in den Kopf, wie Splitter ins Fleisch: man merket es nicht. Erst nach einer Weile fangen sie an zu schmerzen und zu eitern und oft hat man seine liebe Noth, ehe man sie wieder raus kriegt.
Im Augufst ist die Zeit, wo man die Dienstboten und namentlich die Knechte frägt,
ob sie bleiben wollen oder nicht? Oder wo man, wenn man sie nicht mehr will,
andere sucht und dingt. Der Wechfel findet erst auf Weihnacht statt oder
eigentlich nach dem Neujahr. Die zwischen beiden Tagen liegende Zeit giebt man
meist frei, besonders den Mägden zum Zurechtmachen ihrer Kleider, und weil sie
doch das ganze Jahr gearbeitet, will man sie nicht um das Neujahren, d. h. eine
ähnliche Mahlzeit wie die Sichelten bringen. Rechte Meister und rechte
Dienstboten versehen sich in dieser Zeit, machen, daß sie wissen, woran sie
sind. Was leichtere Waare ist, läuft noch lange herum um Meister aus,
Es war August und Uli sagte nichts von dingen oder wechseln; es ward Vreneli ganz
Angst dabei, und doch fing es nicht gerne davon an. Es giebt in jeder Ehe
Punkte,von welchen das Eine oder das Andere nicht gerne anfäugt;Punkte, wo man
fürchtet, man möchte verschiedener Meinung seintz; Punkte, wo dem Einen oder dem
Andern sein Gewissen sagt, es sei auf dem Holzweg, während es diesen Holzweg dem
andern zu lieb nicht verlassen mag; Punkte, wo das Eine oder das Andere den
Schein vermeiden möchte, als wolle es meistern und regieren. So z. B. regieren
alle Weiber für ihr Leben gerne, aber die sind selten, welche es eingestehen und
den Namen, daß sie regieren, haben wollen;Vreneli fürchtete eben diesen Schein
auch. Es kam ihm oft dazu einen Entscheid geben zu müssen in aller Liebe, oder
für dieses oder jenes reden zu müssen, da Uli's Kopf für die Meisterschaft und
das Rechnen und Sorgen ums Auskommen fast nicht groß genug war, und er alle Tage
klagte,er glaube, es komme nicht gut mit ihm, er werde gar vergeßlich. Der gute
Uli dachie nicht daran, daß jeder Kopf sein Maaß hat, daß man Weniges leicht
fassen und behalten kann, aber von gar zu Vielem einem eine Menge entfallen muß,
ohne daß deßwegen das Gedächtniß schwachet. Zu viel ist zu viel. Aepfel kann man
in einem guten Korbe behalten, aber häuft man sie zu sehr auf, so rollen sie
herab,
Am Abend, als sie im Allerheiligsten des Hauses waren, sagte Vreneli: „Mädi hat mich gefragt, ob es bleiben könne oder weiter sehen müsse? Ich habe ihm gesagt, ich wüßte nichts anders, wolle aber erst mit Dir reden, ehe ich bestimmten Bescheid gebe.“
„Ja“, sagie der Uli, „das ist eine Sache, sie hat mich schon lange zu sinnen
gemächt,“ und kratzte dabei am Kopf als ob er einen Splitter aus dem Fleische
ziehen wollte; es war einer der Kopfnägel, welche Joggeli unvermerkt ihm
eingetrieben. „Sieh, wir sind gar zu theuer drin. Für die Dienstenlöhne, welche
ich zahlen muß, könnte man ein ordentlich Gut in Pacht nehmen, denke zweihundert
Thaler, die Taglöhner nicht gerechnet, und Schmied und Wagner, und Schneider und
Schuhmacher nicht. Ich weiß, weiß Gott nicht, wo ich all das Geld auftreiben
soll. Da habe ich gedacht, ich könnte es mit wohlfeilern Diensten ebenso gut
machen und wenigstens 50 Thaler an einem Punkte ersparen.Daueben, wenn Du Mädi
behalten willst, so habe ich nichts dawider. Vielleicht daß es mit etwas weniger
Lohn auch
„Das frägt sich noch,“ sagte Uli, „wenn man recht zur Sache sieht und jedes von uns thut, was es kann.Man kann die Leute dresstren; sieh, Größthun ist luftig,aber es kömmt bei reichen Leuten nicht gut, geschweige bei armen. Was würden die Leute sagen, wenn wir fortführen großthun mit kostbaren Dienstboten? Da erst würden die Bettler kommen und uns fressen von Haus und Heim, die
Leute glauben wie eine geringe Pacht wir hätten. Joggeli hat mir das schon um die Nase gerieben, und er ist im Stand er läßt sich aufweisen, kündet uns die Pacht unter irgend einem Vorwand.“ „So ist der alte Schelm dahinter, dachte ich es doch,“ sagte Vreneli. „Der kaun sein Lebtag nichts anders als Unheil stiften. Das ist einer der einmal dem Teufel ab dem Karren fiel, als derselbe eine Ladung heimkutschirte. Indessen mach was Du willst, ich will nicht regieren, am Ende mußt Du dabei sein; der Leute wegen würde ich es weder so noch anders machen, sie helfen Dir doch nicht, wenn Du nicht kommen magst, sei es mit der Arbeit, sei es mit dem Gelde. Hast Du mich aber lieb,so laß mir Mädi. Wenn ich dahinten bleiben muß, wer sollte die Haushaltung machen? Mädi ist treu wie Gold und weiß alles, wenn ich einer Fremden Alles in die Hände geben sollte, ich wäre keine Stunde ruhig im Bette.“
„Wider Mädi habe ich nichts, daneben wäre es für ein paar Tage nicht gefochten,“ antwortete UlIli.
„Du weißt nicht, wie es gehen kann,“ sagte Vreneli, „manchmal geht es ein paar Wochen und manchmal kann man sterben und ist dann aller Noth und Elend ab.“ „Bist bös,“ sagte Uli endlich aufmerksam werdend. „Bös wollte Dich nicht machen. Zürn mir nicht, ich meine es für mich und Dich gut. Wäre es Dir anständig, wenn im ersten Jahre wir mit dem Schelmen drauß müßten, wie es schon so vielen ergangen,wie Joggeli an der Sichelten erzählt hat. Ja, und die Sichelten, was die gekostet hat, weißt Du, wenn wir nicht so fortgefahren hätten, im Gleichen mit den gleichen Dienstboten, so wären die Bettler auch nicht so daher gekommen.So hätte er es nie gesehen, hat Joggeli mir gesagt, er hätte ein rechtes Bedauern mit uns bekommen, es hätte ihm übel gegraust.“ „So, das alles hat Dir der alte Schelm gesagt?Ich wollte daß der wäre z'hinderst am hintersten Stern, wo nirgends eine Seele mehr ist, nicht einmal ein Teufel. Wenn Teufel dort wären, so hätte er noch seine Freude, er könnte ihnen die Haare zusammen knüpfen und sie hintereinander bringen. Wo aber Niemand ist zum Aufweisen, wo er alleine ist, da ist seine Hölle und er der einzige Teufel darin,der Unflath was er ist, der Allerweltsvergifer!“
Nli, der Pächter
Das war das erste Ehegewitter, welches bei ihnen stattfand. Kleine Stäupeten oder Schauer hatte es wohl schon gegeben, aber war die Wolke vorübergezogen, schien die Sonne wieder.
Das erste Gewitter dagegen zieht gerne trüb und namentlich kalt Wetter nach sich, denn es verzehrt allzuviel Wärme und die wäre der frisch erwachten Erde so nöthig,sie vermißt sie so schmerzlich!
Trübe war's auch am folgenden Morgen an ihrem Ehehimmel, daß das Gesinde sich fragte: was es wohl gegeben zwischen der Meisterfrau und dem Meister, sie hätten sich heute noch nicht angesehen, geschweige ein Wort zu einander gesagt?
Vreneli war am Morgen im Garten und zog Salat aus. Es hatte seit jenem Gewitter nicht geregnet, es war sehr trocken; wahrscheinlich glaubte Vreneli ein weicher warmer Regen, komme er nun aus dem Himmel oder aus eines armen Weibes Augen, thäte dem Kraut wohl. „Bist fleißig,“erscholl hinter ihm der Base währschafte Stimme. „Muß den Salat nehmen, er stengelt sonst auf und wenn es so heiß ist, essen die Leute nichts lieber als Milch und Salat, süß und sauer durcheinander, wie es auch geht in der Welt,“entgegnete Vreneli, sah aber nicht auf. „Ja, warum ich komme,sagte die Base, habe was merkwürdiges vernommen, muß es Dir erzählen; aber mach nur. Wenn Du genug Salat hast,so will ich dir ihn rüsten. Denk', diesen Morgen war ein
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Du nicht; aber das weißt, daß ich Deine Großmutter bin und dir den Tusig
Gottswille anhalte, laß heute Dein Korn draußen. Ich will, wenn Du es sonst
nicht machen kannst,ein ganzes Jahr kein Brot mehr essen. „Mutter, hat darauf
der Johannes gesagt, „deretwegen sollt ihr nicht desto weniger Brot haben, aber
eine Zeit ist nicht alle Zeit; es giebt alle Jahre neue Bräuche und z'Sach sucht
man alle Tage besser zu machen.“ „Aber Johannes,“ hat die Mutter gesagt, „die
Gebote bleiben die alten und kein Düpflein wird daran vergehen; und hast Du Dein
Korn unter dem Dache, was hilft es Dir, wenn Du Schaden leidest an Deiner
Seele.“ „Für die kümmert nicht, Mutter,“ hat der Johannes gesagt, „und jetzt
Buben auf, und gebunden was das Zeug hält, die Zeit wartet nicht.“ „Johannes,
Johannes,“ hat die Mutter gerufen, aber Johannes hörte nicht, und während die
Mutler betete und weinte, führte Johannes Garben ein, Fuder um Fuder, mit
Flügeln schienen Menschen und Thiere behaftet. Tansend Garben waren unter Dach,
als die ersten Regentropfen fielen; schwer, als wären es Pfundsteine, fieVhannes
in die Stube tretend mit seinen Leuten, „jetzs ists ünter Dach Mutter und alles
ist gut gegangen, mag es jetzt stürmen, wie es will, und morgen schön oder bös
Wetter sein, ich habs unter meinem Dach.“ „Johannes, aber über Deinem Vach ist
des Herrn Dach,“ sagte die Mutter feierlich, und wie sie das sagte, ward es hell
in der Stube, daß man die Fliegen sah an der Wand und ein Donner schmetterte
überm Haufe, als ob dafsselbe mit einem Streich in Millionen ma Millionen
Splitter zerschlagen würde. „Herrgott, es hat eingeschlagen,“ rief der Erste,
der reden konnte;älles stürzte zur Thüre aus. In vollen Flammen stand das Haus,
aus dem Dache heraus brannten bereits die eingeführten Garben. Wie stürzte alles
durch einander, wie vom Blitz geschlagen war jede Besonnenheit! Die alte Mutter
alleine behielt llare Besinnung, sie griff nach ihren beiden Stecken, sonst nach
nichts, suchte die Thüre und einen sichern Platz und betete: „Was hülfs dem
Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und er litte Schaden an seiner Seele.
Dein und dicht mein Wille geschehe, o Vater!“ Das Haus brannte ab
A V Salat ausgezogen, wie langsam es auch machte und wie andächtig und g'satzlich
die Base erzählte, so mußte es doch endlich aufstehen und wenn es schon nicht
die Augen aufschlug, so sah die Base doch alsbald, daß es geweint hatte.„Was
hast Meitschi, hätte ich bald gesagt, Du und weinen,was zum Tütspel hast Du
unebenes, oder etwa Kummer, Du kommest mit dem Leben nicht davon? Du Tröpflein,
alte Soldaten giebt es ja mehr als genug und erst alte Weiber ganze Dörfer voll,
Du dummes Tröpflein. Aber das wird wohl was andres sein. Was hast? Wenn Du
Glauben an mich hast und ich Dir helfen kann, so sags. Meinst, Du könnest es
alleine verwerchen, so schweige; sag es aber auch sonst Niemanden.“ „Base,“
sagte Vreneli halblaut, „es kam ein Jemand zwischen uns.“ Da fuhr die Base einen
Schritt zurück und rief: „Was Du nicht sagst: Mädi?“ „Nein Base,was denkt ihr?
So schlecht ist Uli nicht, deretwegen habe ich nichts zu fürchten und kann ruhig
sein.“ „Wer dann,“frug die Base, „wenn es nicht selb ist?“ „Sollte es nicht
sagen,“ entgegnete Vreneli, „aber kann, weiß Gott, nicht anders, waret ihr doch
immer Mutter an mir. CEuer alter Gnäpeler ists, der hat Uli über Ort gebracht.“
Da lachte die Base, daß es sie schüttelte über und über und sagte:„O, wenn ich
ein so jung hübsch Fraueli wäre, wegen einem ganz grauen und halblahmen Mannli
wellte ich nicht aus der Haut fahren; wäre es ein hübsch Dirnchen, selb wäre
eine andere Geschichte, Du Babeli was Du bist. Uli kennt ja den Alten so gut als
Du, Du wirst ihn unrecht
„Kommt Base,“ sagte Vreneli, „Ihr seid meine Mutter gewesen von je, Euch darf ich
es wohl klagen, sonst vernimmt es Niemand in der Welt.“ Nun erzählie ihr
Vreneli, „wie der Vetter sich an Uli gemacht, ihm den Kopf groß gemacht wegen
vielem Brauchen und kostbaren Diensiboten,und ihn eingenommen, daß Uli auf
einmal das beste Zutrauen zu ihm habe, glaube, es meine es Niemand auf der
ganzen Welt so gut mit ihm, als der Vetter Joggeli, und Alles vergessen habe,
was er vorher an ihm erfahren. So dumm und leichtgläubig hätte es sein Lebtag
Uli nicht geglaubt, wenn das so sei, so könne jedes alte Weib ihm den Kopf
kehren, und so komme es wahrhaftig nicht gut. Es habe ihm sagen wollen, wie die
Sache sei, da habe er ihm abgeputzt und den Vetter erhoben, als ob er ein
Seraphim oder gar ein Cherubim wäre, das alte Giftbecherli! Und daß er glaubt,
so einer meine es besser mit ihm, als ich, selb will mir fast das Herz
abdrücken.“ Erst ward die Base bös, und sagte: „Dä Tüfels Alt, kann der das
nicht lassen!ich glaube, er wäre im Stande, die Engel im Himmel hinter einander
zu bringen.“ Doch, erfahren im Besänftigen, sagte sie: „Z' Sach' würde mich auch
böse machen, daneben danke Gott, daß es nur das ist, es könnte leicht was anders
sein,welches hundertmal schlimmer wäre.“ „Aber Base, wenn Uli mit wohlfeilen
Dienstboten fahren will, kommen wir in ein Wesen hinein, daß ein Wespennest ein
Himmelreich dagegen ist, und wenn Uli andern Leuten mehr gläuben will, als
mir,so begehre ich gar nicht mehr dabei zu sein,“ eiferte Vreneli.Da lachte die
Base und sagte: „Zürne nicht, daß ich lache, das Weinen wäre ja freilich
anständiger, aber ich kann nicht anders.Was meinst, wenn alle Weiber sich hängen
oder ersäufen wollten, deren Männer andern Leuten zuweilen mehr glauben, als
ihren Weibern, was meinst, Vreneli, wie manches lief lebendig herum? Meinst
nicht, es hingen mehr Weiber an den Bäumen, als Kannenbirnen, schwämmen mehr in
den Flüssen, als Hechte und Forellen? Die Sache ist auch nicht
So sprach die Mutter, ward selbst gerührt und fuhr oft mit der Hand über die Augen, besonders als sie davon sprach, daß es Dinge gebe, welche man nicht ändern könne.Sie dachte an Elisi, und daß sie da auch etwas habe machen helfen, welches bodenbös sei. Vreneli hatte manchmal drein geredet, endlich sagte es noch: „Ach ja Base, Recht werdet ihr haben, mehr als Recht, aber wer wollte das können, so sich in Alles schicken wie ein Lamm, besonders wenn man genaturt ist wie ich und so heißes Blut hat!“ „He Kind,für was bist auf der Welt? Etwa für Lehenmannin auf der Glungge zu sein, ein Dutzend Kinder aufzustellen und ein paar Taufend Gulden an einen Haufen zu kratzen? Eben um Dich zu ändern, zu lernen, was Du nicht kannst, statt der alten Natur nach einer neuen zu trachten, dafür bist Du da, dafür bist Du getauft und unterwiesen. Sieh, ich rede von solchen Dingen nicht gerne; die gehören in das innerste Herzkämmerlein. Wie ein jung Mädchen nicht gerne von seinem Schatz redet als mit der allerbesten Freundin und allemal roth wird, wenn es dessen Namen hört, so habe ich es mit dieser Sache und mit dem, der mich allein selig machen kann. Dir will ich sagen, daß er mein einziger
Trost ist im Leben und im Sterben, und ohne ihn hätte ich es währhaftig nicht ausgestanden hier auf der Welt. Am Morgen Verdruß und am Abend Verdruß. Da hätte ich unsern Herrgott fragen müssen: „Herr marum bin ich da, woran habe ich mich so schwer versündigt, oder ist die Welt ein Narrenspiel? Aber so fragte ich nicht, ich erkannte warum ich da war: ich sollte Gott erkennen, seinen Willen tragen lernen, mich ändern und bessern, daß ich geduldig und sanftmüthig aushalten könne vom Morgen bis zum Abend, wie Gott ja auch alle Menschen ertragen muß und doch langmüthig bleibt, was uns wohl kommt. Als ich das einmal begriffen hatte, ward das, was mir vorher Hauptsache war,Nebensache, und woran ich nicht gedacht, ward mir zur Hauptsache. Butter und Milchgeld am Abend zu zählen, war nicht mehr meine größte Freude, sondern zu rechnen, was ich an der Seele gewonnen und gewerchet. Von da an ward mein Leben anders, ich konnte es aushalten, konnte wieder lachen, konnte Gott danken, für Alles, was er that,stach er mich oder hieb er mich. Aber was ich Dir da sage,sage Niemanden, ich schämte mich, wenn Jemand wüßte, wie es mir wäre im Gemüthe. Dir wollte ich es sagen, Du lachst mich nicht aus und willst was recht ist, und hast Du mal was ergriffen, so lässest Du es nicht los. Du erbarmtest mich, als ich Dich über Kleinem so trostlos sah, Du armes Tröpfli, Dir werden wohl noch ganz andere Punkte warten. Da dachte ich, es möchte ein Gotteslohn dabei zu verdienen sein, wenn ich Dich an den wahren Tröster weisen würde. Aber hörst, was ich Dir sagte, behalt für Dich.“
„Base,“ sagte Vreneli, „ganz habe ich nicht vergessen,was ihr mir sagtet, als ich
zum erstenmal zum Nachtmahl ging. Der liebe Gott wolle es euch vergelten, daß
ihr mich daran mahnet zu rechter Zeit, ich will es nicht mehr vergessen. Aber
die Welt will immer oben auf und je weniger man von der Welt hat, desto mehr
will sie einem den Kopf füllen und stellt sich vor die Augen, daß man gar nicht
darüber weg mehr sehen kann. Was man sinnen sollte,sinnet man nicht, und was man
nicht sinnen sollte, das liegt einem Tag und Nacht im Sinn, läßt nicht einmal
den Schlaf kommen, damit man es nicht etwa vergesse, oder
Doch wohl verstanden, wir reden von aristokratischen Naturen, welche auch im Zwilchkittel zu finden sind, nicht von aristofratischen Angewöhnungen und einem gemachten aristokratischen Aeußern. Es giebt solche gemachte Figuren,welche zu den aristokratischen Gebehrden noch die christlichen annehmen. Dann ist es aber ein wunderlich zusehen, wie bald eine Sorte von Gebehrden und Redensarten sichtbar wird, bald die andere, wie im Umgang mit der einen Klafse von Menschen die christlichen Gebehrden vorstehen, bei einer andern die aristokratischen. Als Regel kann man annehmen,daß das christliche vorherrscht, so lange weder Befürchtung äußerer Beeinträchtigung der Ansprüche oder Widerspruch statt finden. Ueber beide erhebt das christliche sich nicht,sondern gegen sie werden die aristokratischen Mänieren und Gebehrden Meister. Ueberhaupt werden in solchen gemachten Figuren aristokratisches und christliches nie sich verschmelzen, sie treiben sich abgesondert im Leibe herum, wie Kraut und Rüben in einer Bettlersuppe. Es giebt aber auch eine gewisse Sorte Christenthum, welches sich für das aristokralische hält, welcher die Plätze zur rechten und zur linken im Himmelreich gehören. Die Christen, welche zu dieser Sorte gehören, mühen sich auch ab mit Gebehrden, welche fast wie aristokratische aussehen, diese ihre Meinung von sich selbst auszudrücken. Sie sollten es nicht thun, es steht so übel.
Capitel 3.Kraut und Rüben durcheinander, wie es sich giebt in einer Haushaltung.Uli wurde von so freundlichem Winde nicht angeweht,sondern blieb sich selbsten überlassen. Ihn dünkte, er hätte nicht bloß Recht in der Sache, vsondern er müsse einmal zeigen, daß er auch Jemand sei und zwar eigentlich der Mann,der die Hosen anhabe. Wenn er das immer so gehen ließe,so könnte seine Frau zuletzt ein Recht daraus machen wollen und meinen, er solle zu keiner Sache was sagen. Zu solchen Ansprüchen berechtige ste doch endlich ihr Vermögen nicht, was sie eingebracht, habe an einem kleinen Orte Platz.Cr nahm daher das Gespräch über das Gesinde nicht wieder auf, nahm Vrenelis Freundlichkeit mit dem Mißtrauen,als ob es auf diesem Wege probiren wolle, was es auf dem andern nicht zu Wege gebracht. Da er sich auf dieser Seite schwach fühlte, so verpalisadirte er sich mit desto düsterer Miene.
Noch ungerner als mit Vreneli sprach Uli mit dem Gesinde selbst darüber, nur daran zu denken war ihm zuwider.Es waren eine gewisse Schüchternheit und eine gewisse Unbehülflichkeit bei einander, von wegen nicht bloß Meister zu fein, sondern sich auch als Meister darzustellen auf die rechte Weise und in allen Dingen ist eine Kunst, zu welcher viele alte Bauern nie gelangen, wie sollte man sie von einem jungen Pächter fordern können, der erst noch selbst Knecht gewesen. Darüber wurden die Knechte ungeduldig. Hat er mit Dir gesprochen, frug einer den andern? Dich gefragt, ob Du bleiben oder gehen wollest? Der eine der Knechte sagte:„Ich halte ihm nicht an, mein Brauch war es nie, daß ich um den Dienst fragte: der Meister mußte mich fragen und frägt er mich bis Sonntags nicht, so sage ich dem Kabis Müller zu. Es ist ein schwerer Dienst aber der Lehn auch danach und verdienen muß man, während man jung ist.“Ein anderer sagte: „Wollte nicht pressiren, er wird das
Maul schon noch aufthun, mir wäre es zuwider fort, wechs'le nicht gerne. „Wartet, am Samstag soll ich mit dem Meister Spreu holen, da giebt vielleicht ein Wort das andere.“ „Meinethalb,“ sagte der andere, „aber daß es mir viel machen würde, weiter zu dingen, kann ich nicht sagen.Er ist nicht mehr der Gleiche. Man kann nicht genug schaffen, und doch ist er nie recht zufrieden. Es dünket mich,er habe schon vergessen, was ein Knecht gerne oder ungerne hat und meint, er müsse aus Aeckern und Wiesen, Vieh und Menschen das äußerste, das letzte Tröpflein Saft herauspressen, damit er ein reicher Mann werde. Bloß wegen Zins hätte er das nicht nöthig. Wie ich habe merken mögen, ist der so, daß er deßwegen keinen Kummer zu haben braucht.Warum nun alle bös haben sollen, um Einen zu mästen,weiß ich eben auch nicht, es wäre ein anderes, wenn Noth am Mann wäre.“ „O,“ sagte der Erste, soviel wirst doch nicht zu klagen gehabt häben, einmal wegen der Speise nicht, die ist wie man sie nicht an allen Orten antrifft.“„Einstweilen wohl,“ sagte der Erste, „aber ob es so bleibt,frägt sich. Was ich merken mochte, nimmt man aus der Metzg alle Samstag ein Pfund bis zwei weniger Fleisch und in letzter Woche hatten wir zweimal keine Milch auf dem Tisch und bin ich recht berichtet, so mußten sie vorden Tisch stellen konnten. Wenn es so käme, so wäre dies mir nicht anständig, von wegen ein Jahr ist lang und aus dem Jahr zu laufen, ist nicht meine Sitte.“ „Man muß nicht immer das Bösere glauben und mit dem grauen Brot kann das allenthalben geschehen, am Geschmack merkte man nichts und der Müller kann vielleicht auch noch daran Schuld sein.Die Haglen netzen manchmal das Mehl, daß man Schneeballen daraus machen kann, oder es als Mehlsuppe brauchen, ehe es noch in der Pfanne ist,“ entgegnete der Erste.
Am Samstag also fuhren sie nach Spreuer aus und luden in Bern an der Matte ein gewaltig Fuder. Spreuer war sehr wohlfeil und die Müller froh, wenn er ihnen aus dem Wege kam. Manchmal wird er rar, ist schwer und theuer zu bekommen, wenn man ihm am nöthigsten hätte.
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Mit dem Spreue unter den Menschen ists umgekehrt, da wird er am theuersten, wenn
er am zahlreichsten ist, da schätzt er sich dann selbst und zwar wie ein Jude
seinen sumpichten Trödel. Obgleich Uli wohlfeile Spreue kaufte,so war er doch
sehr übler Laune. Der Müller hatte ihn aufgezogen, wie wohlfeil der Bauer das
diesjährige Korn werde geben müssen, da sollten sie nicht Kummer haben, daß sie
die Zeit versäumen müßten, Müller in ihre Spycher zu führen um das Korn zu
zeigen. Da versetze wahrlich kein Müller einen Fuß. Die Bauern können zu uns
kommen es vor das Haus bringen, das Beste wollen wir auslesen,uns noch sehr
bedenken, ob wir für das Malter drei Thaler geben wollen. Uli wollte das in
Abrede stellen, behaupten,die Preise würden eher steigen als fallen. „Pah,
pah,Junge, belehre einen Alten nicht, stehe zuerst ein Paar Jahre an der Sonne
und lasse Dich trocknen hinter den Ohren,“sagte der Müller. „Die Spycher sind
ganz voll altes Korn,neues wird es geben, es weiß kein Mensch wie viel und auf
der Straße nach Deutschland hanget ein Schwab am andern, jeder hat einen
vierspännigen Wagen voll Korn und man sagt, sie würden bald den Leuten anhalten,
um Gotteswillen umsonst es ihnen abzunehmen, nur damit sie Platz kriegten, für
das neue draußen im Schwabenland.Jetzt wollen wir den Bauern die Preise machen,
sie haben uns lange genug das Blut unter den Nägeln hervorgepreßt.Wer mit
Metzgern, Müllern und Schweinhändeln Ümgang zu haben das le gehabt, kennt diese
Sprache wohl und weiß sie zu erwiedern in ähnlicher Tonart. Indessen macht sie
doch Eindruck. Ein alter Pfiffikus weiß alsbald, was an der Sache ist, bleibt
kaltblütig und richtet sich darnach.“Jüngere zartere Gemüther wie z. B. Uli noch
eins haite,die empfinden den Eindruck solcher Reden nicht bloß, sondern sie
können ihn auch nicht verbergen. Je weniger sie das können, desto größere Freude
hat so ein alter Müller oder Metzger, ihnen recht heiß, sie so ganz klein zu
machen,daß er sie füglich in einen Darm stoßen und als Bratwurst präsentiren
kͤnnte. So machte es auch der Müller Uli,daß der ganz mürbe und klein von ihm
wegging und dachte,wie er doch der Unglücklichste sei und das doch so schreck
Uli dachte nicht, daß das das Schrecklichste ist, wenn man nichs geerntet, nichts
hat als einen Tisch voll hungriger Leute und doppelt so theuer als sonst das
Brot ist. Er kalkulirte, wie die Meisten, und dachte nicht wie thöricht, ja
sündlich ein solcher Kalkul ist. Er kalkulirte, daß er am weitesten kommen
thäte, wenn er recht viel Korn mache und es recht theuer verkaufen könnte. Um
die, welche es kaufen müßten, kümmerte er sich nicht, aber daß es nun nicht
gehen wollte, wie er dachte, nicht alles Wasser alleine auf seine Mühle laufen
wollte, das zürnte er schrecklich an Gott und Menschen. Der arme Knecht, welcher
in diesem Augenblick sein Nächster war, mußte es zuerst entgelten. Es ist sonst
Sitte, daß man bei solchen Gelegenheiten sich und dem Knechte so einigermaßen
gütlich thut, ein ordentlich Mittagessen macht, ohne sich eben aufwarten zu
lassen. Der Knecht erwartete auch nichts anders, besonders da man die Spreue
fast umsonst erhalten. Da kann man denken, wie ein lang Gesicht er machte, als
Uli, gefragt was erverlange, hastig sagte: „Eine Flasche Wein und Suppe!“ „Und
Fleisch nachher,“ fragte die Wirthin?“ „Ho,“ sagte Uli, „wenn man eine gute
Suppe hat, so kann man es schon machen, es wäre mancher zufrieden, wenn er alle
Tage eine hätte!“ Die Wirthin hatte schon mehr mit Bauern zu thun gehabt, sie
trat nicht weiter ein, sondern fragte: „Was für Wein soll ich bringen?“
„Sechsbatzigen,“ sagte Uli, „der ist gut für den Durst und es macht haiß!“
„Poz,“ dachte der Knecht,„das geht mager zu,“ stopfte sein Pfeischen um
nachzubessern,und machte ein tiefsinniges Gesicht. Wein und Suppe kamen; mit
eingestützten Armen wartete die Wirthin bis die letztere halb gegessen war, dann
fragte sie: „Fleisch werde ich doch auch bringen sollen. Hätte Voressen
(Ragout),uli, der Pächter. 3
Es ist sehr leicht, bei solchen Gelegenheiten an einem Knechte drei Batzen zu ersparen, aber sehr schwer zu berechnen ist es, wie groß der Schade werden kann, welcher aus drei ersparten Batzen erwächst.
Der Knecht muckelte stark im Gemüthe und war Anfangs Willens, dem Meister das
Wort nicht zu gönnen, denn wenn es so seinen Fortgang haben solle, so sei am
wohlsten wer am weitesten davon weg sei. Indessen der Abend war so mild und
lieblich, daß sein Schimmer unwillkührlich die düstersten Gemüther verklärte,
wie ja auch die untergehende Sonne die schwärzesten Berge vergoldet. Uli hatte
die Zeche verwunden und sprach mit dem Knechte erst über die Rosse,dann über die
Arbeit der nächsten Woche, die vorzunehmende Ansaat u. s. w. Dem Knecht war es
auch nicht mehr so säuerlich ums Herz: „der Wüstest sei er doch noch nicht,“
dachte er. „Und Uli,“ sagte er, die Pfeife ausklopfend, „was bist Vorhabens
wegen den Dienstboten, solls beim Alten bleiben,oder willst andern? Da fuhr eine
Wolke über die Sonne und Uli sprach: „He nun, weil Du davon anfängst, so will
ich Dir sagen, was ich gedacht. Ein Bauer und ein Pächter sind zweierlei, selb
weißt. Anständig wäret Ihr mir, gegen kei
Wer Landmann ist, weiß, welche verhängnißvolle Zeit der Herbst ist, wie man alle Hände voll zu thun hat, eigentlich gar nicht in das Bett sollte oder es machen, wie man von reichen Bauern zu Raxligen erzählt. Sie hingen, wenn sie zu Bette gingen, ihre Hosen an die Stange auf, welche um den Ofen läuft, aber sobald die Hosen aufhörten zu blampen, stünden sie wieder auf und machten sich frisch an die Arbeit. Im Herbst ists nun Noth, daß alles flink sich rührt und geschickt in die Hände arbeitet, Menschen und Vieh.Schmollen aber Meister und Dienstboten, gönnen sich die Worte nicht, dann hat es gefehlt, dann harzet es überall,und es ist als ob die Glieder der Arbeitenden mit Blei gefüllt wäären. Vreneli machte gut, so viel es konnte, mußte aber oft die Augen trocknen, wie Uli unwirscher wurde, damit aber die Arbeit nicht forderte.
Es wäre sonst ein so gesegneter Herbst gewesen, aber
Aber Uli ärgerte sich fast an Allem, was über das Nothwendige hinaus im Hause blieb. „Geld zu machen,daß man sich in alle Spiele kehren könne, selb sei die Hauptsache,“ meinte er. „Für das Haus könne man noch lange sorgen, wenn Gott einem das Leben lasse; das wäre gut,daß man sein Korn nicht verkaufen müsse, wenn es so wohlfeil sei, sondern den Zins sonst machen könne. Nun gab Vreneli etwas nach, und etwas machte es nach seinem Kopf. Da ist aber keine rechte Freudigkeit, wenn einer hier aus zerrt, das Andere dort aus, das Eine als Beute betrachtet, was es erzerrt, das Andere als Raub, was man ihm abgezerrt.Vreneli zog die Base zu Rath, ob es nicht gut wäre, einmal verflümert abzustellen und aufzubegehren, daß Uli wüßte, woran er sei, und daß es sich bei solchem Schaffen und Sorgen doch nicht meistern lasse, wie ein klein Kind.
„Mach es nicht,“ rieth die Base. „Was trägt es Dir ab? Kannst etwas an Vorräthen
erobern und etwas an Bettzeug, und wenn Dir dann die Mäuse darüber kommen,was
hast Du dann davon? Hundert Jahre, wenn Ihr das Leben habt, müßt Du es noch
hören. Fahre in Gottes Namen fort, wie Du angefangen hast, und verkauft er Dir
noch mehr, so lasse es auch geschehen; denke, an einigen Ellen Leinenzeug und
einigen Metzen Obst hängen Heil und Seligkeit nicht. Während die Base so sprach,
strich Joggeli um ein Wägelchen herum, welches geladen wurde, um auf den Markt
gefahren zu werden. „Ja, ja,“ sagte er, „so ist es recht, das müßte mir auch
verkauft sein, und je mehr, je lieber, die Weiber sehen es freilich nicht gerne,
wollen Vorräthe haben, aber wofür? Um die gute Frau zu machen, oder einen
Kreutzer Geld, von dem der Mann nichts weiß. Meine Frau hat mir damit geschadet,
es weiß kein Mensch wie viel,
Als Weihnacht kam, hätte Uli wirklich ein schön Stück Geld aus all der Stümpelten
gelöst, weit, weit über den Bedarf zu den Gesindelöhnen, und doch war es keine
fröhliche Zeit, und das Neujahr war ebenfalls kein heiteres. Es ist oft der
Fall, daß, wenn man Dienstboten ändert, man den Wendepunkt, wo die Alten aus,
die Neuen einziehen, nicht erwarten mag, und zwar beidseitig nicht. Das
Verhältniß ist so giftig geworden, daß man sich nicht bloß kein gut Wort mehr
giebt, nicht bloß zornig wird, wenn man sich sieht, sondern sogar, wenn man sich
aus der Ferne husten hört. So war es aber in der Glungge nicht, im Gegentheil,
als der Zeitpunkt rückte, wo geschieden werden mußte, mochten beide Theile nicht
gerne daran denken, hätten gerne dem Rade der Zeit den Hemmschuh untergelegt.
Selbst Uli kam es jetzt,er hätte sich doch vielleicht den unrechten Finger
verbunden,allweg habe er sich eine schwere Bürde aufgeladen, und Jahre werde es
gehen, ehe er aus den Klötzen, welche er angestellt, ordentliche Knechte
herausgehauen und zurecht gemeißelt. Begreiflich gestand er es nicht, nicht
einmal vor sich selbst wollte er so recht den Namen haben, daß es ihm so sei.
Den Knechten ging es ähnlich; sie verließen ungern die Glunggen, zeigten es
jedoch nur Vreneli, wie es ihnen war, und daß sie wohl wüßten, wenn es nach
seinem Kopfe gegangen, sie beisammen geblieben wären. Aeußerlich hatten Alle das
Aussehen, als ob sie sich bitterlich haßten, aber innerlich war bloß ein
Grollen, und zwar ein Grollen, daß man von einander mußte, und zwar ohne
Nothwendigkeit,sondern weil jeder einen apparten Kopf hatte und Uli den
allerappartesten, gespickt mit joggelischen Brocken. Abgehende Dienstboten
feiern, wie bekannt, das Neujahrsmahl noch mit,
Am Näachmittag und am folgenden Tage zogen die neuen Dienstboten ein, und Vreneli ward es ein um das andere Mal übel.
Es ist ein wunderlich Geschöpf so ein Menschenkind, und noch wunderlicher
krabbelt es ihm im Kopf herum, noch viel wunderlicher als in einem chinesischen
Wörterbuche die achtzigtausend Schriftzeichen, welche die chinesischen Gelehrten
Was so in eines Knechtleins Kopfe krabbelt, stellt sich selten ein Mensch vor, und wäre es auch ein Gelehrter, selbst ein deutscher. Sie kamen daher wie Dampfkessel auf zwei schlecbte Beine gestellt zwar, aber aus allen Löchern piff und schurrte der Dampf, sintemalen sie aufgeblasen waren, was die Haut ertragen mochte. Erstlich bildeten sie sich schrecklich viel ein, daß sie wirklich einen Platz hatten und noch dazu an einem so berühmten großen Bauernorte. Wer ihnen begegnete, frugen sie, wie weit es noch bis zur Glungge sei, und jeder mußte vernehmen, dies sei der Berühmte, man werde schon davon gehört haben, der dort als Melcker oder Karrer einziehe oder gar als Meisterknecht, denn so genau nahmen sie es nicht. Sie bildeten sich auch wirklich ein: Solche,wie sie, seien noch nie diese Wege gewandelt, denn sie gingen nicht, sie wandelten. Als sie endlich an Ort und Stelle angewandelt kamen, mußten sie natürlich zeigen, wer da angewandelt käme, und so kamen sie wirklich wie aufrechte Dampfkessel auf zwei Beinen. Vreneli weinte zuletzt, doch blos für sich. Uli stunden die Haare bolz gerade auf vor Zorn, er verwerchete ihn jedoch auch im Stillen. Joggeli saß hinter dem Fenster und verwerchete nur Galgenfreude, jedoch auch im Stillen, er fürchtete sich doch zuweilen vor den Kernsprüchen seiner Frau.
Nach und nach langte auch die Bagage an; die war traurig; es war, als käme sie aus dem siebenjährigen Kriege und hätte alle Schlachten mitgefochten.
Mädi wars, welche recognoscirte und sichere Berichte darüber brachte. Mädi war also geblieben, Vreneli zu Lieb und Ehr. Uli konnte es nicht verzeihn, daß er die Andern zum Abzug gebracht. Mädi hatte keinen Liebhaber unter den Abgehenden, aber das Ehrgefühl rechter Mägde,welchen es alles daran gelegen ist, daß es gut gehe, da wo sie dienen, daß es heißt: da werde recht gearbeitet und bessere Ordnung sehe man nirgends. Soviel Verstand hatten zur selben Zeit die Dienstboten, daß die Ehre des Orts auch auf die fiel, welche zu dieser Ordnung beitrugen. Mädi hatte
Schadenfreude und sagte: „Es geschehe Uli recht, daß er solchen Zeug gekriegt; der werde das Jahr über für mehr als 200 Thaler Zorn und Verdruß zu schlucken haben. Nur sei es nicht recht,“ sagte es dann zornig, „daß die Unschuldigen mitleiden müssen. Das werde eine Zuversicht geben,daß man vor Zorn nicht mehr werde die Augen aufthun mögen. Aber was ihns am zornigsten mache, sei, daß man die Lumpen alle Wochen werde waschen müssen und dann die halbe Woche ums Haus herum werde zu hängen haben,das werde doch der Glungge wohl anstehen! Die Leute werden glauben, es sei da ein Lumpensammler eingezogen, und trockene an den Zäunen, was er naß zusammen getragen.Es hasse nichts mehr, als so verhudelte Hemdchen zu waschen.Anrühren dürfe man sie nicht, das Wasser ertrügen sie nicht,an der Sonne führen sie auseinander und das leiseste Lüftchen trage die Fetzen dem Teufel zu und wenn dann nichts mehr sei, so müsse man Alles gestohlen haben. Am besten sei es, Uli wasche selber, Vreneli solle es ihm sagen,Mädi wolle damit hell nichts zuthun haben.“ Vreneli sagte nichts, aber Mädi konnte sich nicht enthalten Uli zu fragen:„Sag' Uli, in der hintern Kammer sind noch zwei große alte Tröge, soll ich diese etwa ausputzen damit die neuen Knechte Platz haben für ihre Sachen?“ „Wenn es nöthig ist, so will ich es Dir schon befehlen,“ schnauzte Uli. „Einstweilen siehe nur zu Dir und mache, daß Du immer Platz hast.“ „Jä so,“ sagte Mädi, „ist das so gemeint. Das wird eine strenge Obrigkeit geben sollen, wo man nicht mehr das Maul aufthun soll und sagen, was einem drein kommt.“„Höre Mädi,“ sagte Vreneli, „schweig und laß der Sache den Lauf.“ „Aber darf man dann kein Wort mehr sagen hier, soll das so streng gehen?“ „Reden kannst so viel Du willst, aber Oel ins Feuer schütten, selb thue mir nicht, selb ist nie erlaubt und war es zu keinen Zeiten. Aber es ist halt eine böse Zeit, was klar war, wird finster und je mehr die Menschen sich einbilden auf ihre Weisheit, desto dümmer gehen sie mit allem um, und was gesetzlich beschränkt war,soll jetzt gesetzlich erlaubt sein, Gift und Feuer in jedes Kindes Hand zu freiem Gebrauch gestellt werden.“
Es war in der That nicht nöthig, bei Uli Oel ins
Feuer zu schütten, es brannte ohnehin sattsam in ihm. Uli hatte sich vorgestellt,
wenn er wohlfeile Knechtlein dinge für feine höhern Stallstellen, so kämen die
demüthig daher im Gefühl, wie ihre dermaligen Kräfte ihrer Aufgabe nicht
gewachsen seien, und mit dem Vorsatz, das Fehlende baldmöglichst zu ergänzen.
Aber, potz Himmeltürk, wie gröblich hatte Uli sich geirrt, den Bürschchen kam
nicht von weitem in Sinn,daß sie noch was zu lernen hätten, so wie sie ihre
Posten hatten, hatten sie auch das Bewußtsein vollständiger Vollkommenheit. Sie
hätten es immer so gemacht, sie seien es so gewohnt, allenthalben, wo sie
gewesen, sei es so recht gewesen, sie wüßten nicht, warum es hier nicht auch
recht sein sollte. Das war ihre Antwort, mit welcher sie bei jeder
Zurechtweisung bei der Hand waren. Um so trotziger gaben sie diese Antwort, weil
sie Uli als ihres Gleichen betrachteten.So einer, der auch nur erst Knecht
gewesen, solle nicht kommen und sie dressiren wollen, von einem der nicht mehr
sei als sie, ließen sie sich nicht kujoniren, dem wollten sie es zu merken
geben, daß sie wohl wüßten, wer er gewesen, wenn er es etwa vergessen wolle,
solche liebliche Gedanken hatten sie.Man kann sich denken, welch lieblich
Dabeisein Uli hatte,und durfte nicht klagen. „Selbst gethan, selbst haben,“
mußte er denken. Aus der Tenne war viel Korn getragen worden,was nicht immer der
Fall ist, wenn auch viel Garben eingefahren worden sind. Aber aufschlagen wollte
es nicht, die Müller thaten sehr wählig und selten sah man einen bei einem
Bauernhause. Dagegen schneite es mächtig, regnete drein, fror wieder zu,
schneite wieder, so daß Uli dachte, es lege sich eine Eiskruste über die Aecker,
unter dieser ersticke der Saamen oder die Mäuse thäten ihn fressen. Im Frühling
oder gegen den Sommer müsse das Korn allweg aufschlagen, und da sei es doch
hart, es unter dem Preise verkaufen zu müssen, um den Zins zahlen zu können, den
Joggeli durchaus nicht nöthig hatte. Die Pachtherren haben es gar verschieden
gegenüber ihren Pächtern. Es ist hier nicht von rländischen, nicht von
englischen Pachtherrn die Rede, sondern von schweizerischen begreiflich. Einem
Pachtherrn, der noch lebt, brachte einmal ein Pächter den Zins gleich am
Verfallstage. Der Pachtherr fuhr ihn schrecklich an: „Meinst,
So kann man sich täuschen in seinen Erwartungen,wenn man die Menschen nicht kennt; der kam aber sein Lebtag nie mehr am Verfalltage mit dem Zins daher. Ein anderer Pächter kam zu feinem Pachtherren auch ohne langes Warten mit dem vollen Zins und meinte, was er thue ünd wie wohl er ankäme. „Es scheint,“ sagte der Pachtherr,„die Pacht sei gut, daß ihr den Zins so schnell machen könnt, ja,ja, die Zeiten sind gut für die Pächter, alles geräth wohl und gilt viel, ein Birnstiel ist, wie baar Geld. Apropos,was ich habe sagen wollen, ich gönne Euch die Pacht, aber per Jucharte muß ich zwei Thaler Zins mehr haben, anders thue ich es nicht. Für mich sind die Zeiten bös, alles ist theuer, ich muß sehen wie ich mich durchbringe.“ „Wart,Du alter verfluchter Schelm,“ dachte der Pächter, der auch nicht dumm war, „Dir bin ich schlau genug für die Zukunft,wenn Du mich jetzt nicht kriegst.“ Und demüthig that er,rutschte fast auf den Knien herum und redete verblümt von einem Erblein, welches ihn in den Stand gesetzt, die Pacht zu zahlen, kurz er brachte es dahin, daß der Herr bei dem gleichen Pachtgelde blieb. Von da an kriegte selber Herr den Zins nie schnell und ganz, sondern erst auf langes Mahnen hin verstückelt, und unter hundert Seufzern und Bitten,doch abzulassen, dieweil der Zins nicht zu erschwingen sei,daß Blut unter den Nägeln hervorgepreßt werden müsse, um ihn aufzubringen. Das freut dann den Herrn gar sehr, daß er sein Land so hoch angebracht, den Pächter so hart gepreßt, läßt aber nicht ab, schlägt aber auch nicht auf und er und der Pächter sind herzlich wohl zufrieden mit einander.Sind doch zuweilen kuriose Leute die Menschen!
Uli wußte aber, daß Joggeli weder zu der einen noch zu der andern Sorte gehörte.
Er war zu mißtreu, um gerne lange Geld ausstehend zu haben, hatte es zu gerne in
den Händen und trieb Kurzweil mit Zählen, als daß er es gerne
Das dritte Ding, (an zweien wäre es mehr als hinreichend gewesen, um einen Uli rappelköpfig zu machen) war Vrenelis Zustand. Vrenelis Zustand war eben kein besonderer, aber es war das erste Mal, daß Vreneli darin war, Uli so was erlebte und da meint man dann Wunder, wie appart Alles sei und das Allerschrecklichste vor der Thüre stehe. Je inniger die Liebe, desto größer auch die Angst. Und Uli hatte Vreneli von Herzen lieb, er sah gar wohl, was er an demselben hatte, aber seine Liebe war halt nicht besser als ein Diamant, derselbe läuft im Nebel der Welt auch an, ja sogar mit irdischem Kothe kann man ihn bedecken.
Wie sehr Uli Vreneli auch liebte, den rechten Verstand in solchen Dingen und
Zuständen hatte Uli doch nicht, bei aller Angst. Die Weiber haben es gerne, wenn
man sie an Ruhe mahnt und die Arbeit ihnen wehrt, sie thun dann gerne noch
einmal soviel, als sonst und ohne sich zu beklagen. Uli kannte das nicht und
wenn Vreneli nicht immer bei allem war, wie sonst, so vermißte er es, frug ihm
nach, fragte ob ihm was fehle, dies und jenes sollte gemacht sein, wenn man
nicht immer hinten und vornen sei, so sei nichts gemacht u. s. w. Er merkte in
seiner Hast nicht, daß er damit Vreneli weh that, er meinte es gut, hatte aber
halt den Verstand nicht. „Wer ihn halt nicht habe, dem müsse man ihn machen,“
meinte die Base. Sie hielt Uli eine scharfe Predigt, machte ihm Himmelangst und
die Hölle heiß, er versprach das Beste. Fortan wenn er fragte: „Wo ist Vreneli?
Vreneli das und das sollte gehen, das und das sollte es machen,“ so setzte er
allemal hinzu: „Oder magst etwa nicht,geht.“ Die Base sagte oft: „Ein Kalb sei
dumm, aber so mit einem jungen Mann sei es doch noch lange nicht zusammen zu
zählen, selbst mit manchem alten nicht,“ brummte sie manchmal nachsätzlich. So
geduldig die Alte mit dem lieben Gott war, so sehr sie überzeugt war, daß alles
komme aus
Eapitel 6.
Ein Kindlein kommt und wird getauft.
Unwiderstehlich rücken die Tage vor, einer nach dem andern, unerwartet kommt der rechte, der die Entscheidung bringt, Leben oder Tod, Weh oder Freude hält in seiner Hand, und eben darum ein so banger ist, weil man nicht weiß welches von beiden er birgt in der verschlossenen Hand.So kam er auch unerwartet auf der Glungge eben als Vreneli noch eine kleine Wäsche abthun wollte, damit die Knechtlein wieder was Sauberes am Leibe hätten. Er brachte weder Weh noch Tod, sondern ein klein Mägdelein, das mörderlich schrie, den Mund aufriß bis hinter die Ohren, von welchem jedoch die Base versicherte, daß sie ein so hübsches nie gesehen hätte. Elisi sei auch hübsch gewesen und kein Mensch würde gedacht haben, daß es am Ende nur so zu einem dürren Birnenstiel auswachse, aber gegen dieses sei es doch nur ein Schatten gewesen. Die Freude war groß bei Uli und Vreneli, doch konnte Uli sich nicht enthalten, merken zu lassen, „Wie er lieber einen Buben gehabt, wegen der Hülfe.“
„So ein Bub könne man gar früh brauchen und glaube nicht,wie kommod er einem
Vater komme.“ „Warte nur, Du wirst noch Buben genug kriegen, darum hat Dir Gott
das Kindermädchen vorausgesandt,“ sagte die Base. „Mit den Buben ist es halt
nichts, als daß sie in Allem sind und man ganze Tage ihnen abwehren muß. Mädchen
hangen der Mutter an der Schürze und wie sie auf den Füßchen stehen können, hat
man Hülfe von ihnen; sie heben was auf, sie tragen was nach, sie sehen zur Milch
auf dem Feuer, daß sie nicht überläuft, zum Kraut im Hafen, daß es nicht
anbrennt. Klein können sie es, groß vergessen sie es manchmal,“ setzte sie
seufzend bei. Die Base war der Wächter über Mutter und Kind. Sie sorgte, daß
Beide das Nöthige erhielten zu rechter Zeit, Vreneli sich nicht selbst darum
mühen mußte, oder sonst zu früh in Anspruch genommen würde.Da' Mädi bereits bei
der Base gedient, so gab es keine Competenzstreitigkeiten, wie sie bei ähnlichen
Gelegenheiten sonst nicht selten sind, namenilich zwischen einer allfälligen
Frau Schwiegermutter, welche in solchen Fällen eigends herkommt und dem
Gesindepersonal. Es mußte schon mancher arme Schwiegersohn taufen lassen über
Hals und Kopf, damit er der mit aller Welt im Kriege liegenden Schwiegermutter
los und wieder zu Frieden käme. Solch ein vernünftiger Wächter thäte jeder
Wöchnerin wohl, aber eben ein friedlicher,der nicht mit Krieg und Kriegsgeschrei
sie in neue Nöthen und gefährliche Fieber bringt. Diese Wächter müssen sich aber
freiwillig eben in befreundeten Personen finden, fremde irren, allfällige
Vereine sind auf dem Lande, was Treibhauspflanzen versetzt in bänuerische
Gärtchen. Solche Wächter finden sich auf dem Lande unter den ältern Frauen,
soweit es ihre Geschäfte erlauben. Wie alte Offiziere immer bereit
sind,Freiwillige vorzustellen und wenn das nicht mehr möglich ist, doch gar zu
gerne ihre alten Kriegszüge repetiren und sich dieselben so recht lebendig
vergegenwärtigen, so lieben Weiber, welche die Zeit unbarmherzig über die Tage
der Kindbetten hinaus getragen, die Betten junger Weiber und erquicken sich
dabei an der Vergegenwärtigung der eigenen Feldzüge. Die Base war wirklich da
wie der der gute Engel, und wenn Joggeli schon brummte, sie thäte dümmer als
eine
Erst dann noch zu dem Vetter, den er nicht kennt, der sein Lebtag nie was von mir
wissen wollte, der jagt ihn mit dem Stock von Hause weg. Jahrelang vergißt mir
Uli das nicht,wenn wir ihn an einen solchen Ort schicken.“ „Schweige nur, er muß
gehen, das thut ihm nur wohl; die Manne müssen nicht meinen, daß sie nur das zu
machen hätten, was ihnen anständig ist und für gut dünkt,“ sagte die Base.
„Wofür hätte man sie sonst, die Tabackstincker, wenn man sie nicht zuweilen an
etwas hinschicken könnte, welches man nicht selbst anrühren mag.“ „Aber Uli geht
Euch nicht, Base, und warum ihn böse machen, so für nichts und wieder
nichts?“sagte Vreneli. „Das verstehst Du nicht,“ sagte die Base.„Uli geht, man
muß es nur machen wie der Tüfel mit den Menschen; zu guten Sachen wird das wohl
erlaubt sein.Man muß ihn bei der schwachen Seite nehmen. Da kömmt er. Will Dir
gleich zeigen, wie man das macht.“ Vreneli wollte noch einreden, wie das ihm
auch nicht anständig sei,aber Uli trat schon ein und die Base sprach: „Du hast
mich noch nicht zu Gevatter gebeten, und die Leute sagen doch,ich solle Pathe
sein; laß doch sehen, wie kannst Du das?und was für ein Gesicht machst Du dazu?“
„Wenn Ihr das verrichten wolltet, so wäre es mir grausam anständig,und daß Ihr
Euch deretwegen gar verköstigen solltet, selb meinten wir nicht,“ sagte Uli. „He
nun, kurz und gut, es ist immer besser als so ein Gestürm, wo man nicht weiß,
was hinten,was vornen ist,“ sagte die Alte. „Die andern Male machst es schon
besser, besonders beim Pathe mußt anwenden.“„Wenn wir nur schon einen hätten“
sagte Uli, „das Andere würde sich schon machen. Wir haben uns schon die Köpfe
kraus gedacht, und Keinen brachten wir heraus, bei dem nicht ein Wenn oder ein
Aber war.“ „So geht es gerne beim Ersten,“ sagte die Base; „später nimmt man es
schon nicht halb so genau mehr. Wir haben schon an einen gedacht; rathe mal.“
Uli rieth, aber errieth nichts. „Hagelhans im Blitzloch,“ sagte endlich die
Base; „nicht wahr,an den hättest nicht gedacht?“ „Ihr vexirt, Base,“ sagte Uli,
„das soll ja der größte Unflath sein, und mit dem werdet Ihr nicht begehren, zu
Gevatter zu stehen.“ „EuretweUli, der Pachter. ß
„Ach, Bafe,“ sagte Vreneli, als Uli nach abgemachter Sache wieder gegangen war,
„ich sollte lachen, und das Weinen ist mir zuverderst. Das hatte ich von Uli
nicht erwartet, und daß das arme Kindlein den Hagelhans zum Pathen haben
soll,das, Base, ist doch wahrlich nicht recht; von ganzem Herzen erbarmt es
mich, sehen mag ich ihn nicht, ich bleibe im Bett.“„Dies wäre kurios, wäre das
erste Mal, daß Du vor einem Menschen Dich nicht zeigen dürftest. Der liebe Gott
giebt ganz schlechten Eltern Kinder, daß man es gar nicht begreifen kann, warum
er das den armen Würmchen zu leide thut.Man muß sich damit trösten, daß er am
besten weiß, warum er es macht, aber darum wird es wohl erlaubt sein, einem Kind
einen Pathen zu geben, der nicht der sauberste ist; vin doch ich noch da und die
Bodenbäuerin, Du, Uli, da wird doch Hagelhans am Kind wenig machen können; und
laäßt Gott es zu, nimmt er die Gevätterschaft an, so weiß Niemand,
Vreneli gehorchte, Uli ging. Das Blitzloch, wo Hagelhaus wohnte, war von der Glungge ungefähr fünf Sinden entfernt, und lag in einer Gegend, welche ziemlich unbekannt ist, aus einem großen Hügelknäuel besteht, durch den keine Heerstraße führt, aber von Metzgern, Fürkaäufern, Hühnerträgern, Taubenkrämern und Haberhändlern fleißig besucht wird; denn da kriegt, wer Geld hat, zu kaufen, was er an Landesproducten sucht, zum Handel oder eignen Gebrauch.Uli war noch nie in der Gegend gewesen, geschweige denn,im Blitzloch selbst. Anfänglich marschirte er, wie ein Pfarrer, der seiner Predigt noch nicht recht sicher ist, und sie auf dem Kirchweg noch einmal probirt, halblaut und mit Händeverwerfen. Er studirte seine Gevatterbitte ein, sagte die Worte bald so, bald anders, und war er hinten aus, so wußte er nicht, wie er angefangen hatte, mußte frisch an das Studiren.Nun kennt ein Pfarrer seinen Kirchweg, die Steinchen alle sind ihm wohlbekannt, er verirrt sich nicht, er stolpert kaum mit den Beinen. Uli aber kannte weder den Weg, noch vielweniger die Steine auf demselben, daher er tapfer stolperte, seine Nase bedenklich gefährdete und am Ende noch verirrte. Er war genöthigt, sein Studiren zu lassen und auf den Weg zu achten, denn wo keine Heerstraße ist, da laufen desto mehr kleine Wege durcheinander, und in einem Hügellande verliert man auch die Richtung leicht.
Das Blitzloch war ein großer Hof, lag, wie es sich von selbst versteht, in einem Loch, und hatte seinen Namen daher, weil vor hundert Jahren, als der Hügel gegen Westen abgeholzt war, fast alle Jahre der Blitz dort eingeschlagen hatte, so,daß man sich lange nicht mehr getraute, ein Haus daselbst aufzurichten. Hagelhans war ein Bauer, groß von Statur und reich an Geld, hatte Knochen wie ein Ochs, ein Gesicht wie ein Löwe, und Augen wie eine Katze, wenn weder Sonne,Mond, noch Sterne am Himmel stehen. Lieb war er, so weit man wußte, Niemanden, kam er in einen Stall, so schlotterte das Vieh, sah ihn ein armer Mensch gu der Straße,
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1 so floh er über alle Zäune weg, kam er in ein Wirthshaus,so floh das Stubenmädchen auf den Estrich und rief den Wirth, als thäte es am Messer stecken; einen Hund hatte er, groß wie ein vierteljährig Kalb, der begleitete ihn Tritt für Tritt, und Tauben trippelten furchtlos um seine Füße.
Uli kannte ihn nicht, aber was er von ihm gehört, veranlaßte ihn stille zu stehen und sich bestmöglichst zu fassen,als er auf der Höhe stund, wo man ihm das Blitzloch zu seinen Füßen gezeigt. Er repetirte seine Rede, aber er mußte wischen durch auch seinen Augen Gehör geben, welche das Blitzioch musterten, und darum kam er mit dem Reptiearen nicht weit. Im Blitzloch sah es schön aus, d. h. für eines Landmanns Augen, nicht für Herrn oder eines Dämchens Augen. Die Gebäulichkeiten aller Art waren nicht elegant, aber Uli sagte für sich: „Verdammt kommod.“Was er sah an Aeckern üund Wiesen, Bäumen und Zäunen war so, daß er sagte: „Da könnte man noch was lernen.“Er vergaß endlich seine Rede ganz und gar und schaute sich das Ding da unten an, wie ein Künstler ein Gemählde, ein Liebhaber eine Dame.
„Wo willst?“ erscholl plötzlich eine tiefe Stimme neben ihm. Erschrocken fuhr er
auf, sah sich um, sah hinter einem Haselzaun eine Gestalt, welche die seine fast
um Kopfslänge uberragte und zwischen den grünen Blättern ein grau Gesicht,
mächtig wie ein Löwengesicht. Zolllang stund ein grauer Bärt im Gesichte, nicht
nach Wiedertäͤufer Art, sondern weil es dem Eigenthümer beliebte, denselben blvß
alle Mongte oder alle sechs Wochen herunter zu holen. „Wo willst,oder hast im
Sinn, das Gschickli (kleines Heimwesen) zu kaufen?“ frug noch einmal das granue
Gesicht und ein großer Hund legte seine vordern Tatzen auf den Zaun, that das
Maul auf und sah seinen Herrn an. Da fand Uli, es sei Zeit zu reden und sagte:
„Er habe sich umgesehen, ob er wohl recht gegangen sei? Er wolle ins Blitzloch
zum Bauer.“„Was wisstbei ihm,“ frug das graue Gesicht und überblitzte Uli mit
seinen kuriosen Augen, daß Uli alsbald wußte,wen er vor sich hatte. „Seid Ihr
ihn etwa selbst?“ frug er. „Was willst?“ frug der Alte, dumpf knurrte der
Hund.„Ich hätte einen Pathen gemangelt und hätte fragen wollen,
Blank wars im Hause, aber düster sah es aus; keine Art von Schmuck war in der
weiten Stube, in welche Hagelhans ihm voranging, kein Glasschrank, kein Geräthe
irgend einer Art, nicht einmal der große Ofen trug einen Zierrath, einen
eingebrannten Spruch oder ein eingehauen Bild.Da hieß Hans ihn absitzen, klopfte
mit dem Stocke, ein Gesicht erschien unter der Thüre, nach einem kurzen Befehl
ging es, kam bald wieder mit Brot, Käs und Schnaps, verschwand dann wieder, ohne
einen Laut von sich gegeben zu haben. „Also Pächter auf der Glungge bist?“
unterbrach der Alte endlich das unheimliche Schweigen und begann nun eine Art
von Examen trotz dem besten Professor. Wie ein alter Edelmann die Geschlechter
kennt und mehr oder weniger um den Bestand der Familien sich kümmert, so hatte
es auch Hagelhans, lebte aber geschieden von der Welt, suchte Gelegenheite,
Bericht einzuziehen, nicht, kam sie aber zufällig benutzte er sie. Lange hatte
er von der Gegend, woher Uͤkam, nichts vernommen, daher war ihm das Meiste
nen,was Uli berichtete. Aber ob er an dem Einen oder dem Andern mehr oder
weniger Antheil nehme, verrieth er weder mit einem Wort noch einer Miene. Er
lachte nicht einmal, als Uli vom Elist und dem Baumwollenhändler erzählte, von
der Trinette und dem Johannes, er nahm es mit der gleichen Gleichgültigkeit hin
wie den Ruhm, den Uli seinem Vreneli spendete und der Base, sagte zu Allem
nichts, als endlich:„Es sei ein verwegen Stücklein, mit keinen Mitteln eine so
große Pacht zu übernehmen. Aber so sei es halt, Jeder mache was er könne, denke,
er sei nicht der Erste, der über Nichts komme, ob einer mehr oder minder, sei ja
gleichgültig.“ Nun legte sich Uli des Langen aus, wie er das nicht so habe, wie
er es zu machen gedenke, daß es ihm nicht so gehe. Wäahrend er erzählte,
schielte er so unvermerkt als
„Was Warmes müsse er haben,“ machte Uli bei sich aus, und im nächsten Wirthshause kehrte er ein. „Einen Schoppen, Suppe und sonst noch was auf einem Teller,“befahl er. Der Wirth war selbst daheim, ein schwerer Mann am Leibe; sein Schritt war so gewichtig, daß es den Gästen allemal Angst wurde, wenn er ihretwegen einen Tritt versetzte,ste müßten ihn bezahlen, eben weil er so gewichtig war.Sein Geldbeutel und sein Ansehen waren desto leichter, daran aber dachte Uli nicht, er war noch so gewohnt, von der äußern Schwere auf die innere zu schließen, und von einem doppelten Kinn auf einen doppelten Geldsack, hier voll Silber, dort voll Gold. Große, aber hohle Bäuche, außen fix und innen nix, war damals noch nicht fo gebräuchiich. „Gar weit seid Ihr nicht gewesen?“ sprach der stattliche Wirth mit einem Gesicht, wie ein klösterlicher Kellnerherr, oder ein oberkeitlicher Korn oder Amtsschaffner ihn an. „Ich sah Euch diesen Morgen vorbei gehen.“
„Nein,“ sagte Uli, „ganz zunächst, nur im Blitzloch oder wie man sagt.“ „Potz,“
sagte der Wirth. „Nehmt es nicht übel, aber besehen muß ich Euch, ob Ihr noch
ganze Knochen habt, von den Kleidern will ich nichts sagen. Mit ganzen Beinen
kömmt selten Einer aus dem Blitzloch, oder wenn die Beine ganz, so ist er doch
halb gefressen, b'funderbar wenn er wohl am Leibe ist. Um Verlaub zu fragen, was
habt Ihr mit Hagelhans wollen, kauscher bei dem ists nicht.“ „Er hätte eine
Verrichtung gehabt, von einer Base von Haus,“ sagte Uli, „aber es wäre ihm auch
lieber,er Wäre nicht gegangen, obgleich er ungeschlagen und ungebissen davon
gekommen.“ „Ja, das ist Einer,“ sagte der Wirth, „Zwel solche laufen nicht auf
der Wel herume Nicht daß ich meine, daß ich Alles glauben müsfe, was die Hfaf
fen stürmen, selb ist nicht, ader wenn ein Teufel ist, so
Mutter wird wohl ihre Gründe gehabt haben, als sie Euch sandte. „Weiß es nicht,“ sagte Uli. „Manchmal zwingen die Weiber was, nur um das Mannevolk zu plagen, und ich glaube schier, die Base habe es auch so gehabt, und hat nur so aus Bosheit mich an den Vetter gehetzt, gegen den sie einen Zahn zu haben scheint, so wie er gegen sie.“„Man muß immer das Bessere glauben, Uli,“ sagte der Pfarrer,„Vielleicht wollte sie eine Gelegenheit zur Versöhnung suchen.“„Ja, ja, man sollte,“ sagte Uli, „aber man kann nicht immer.“
Die Sache war also verrichtet, aber einen zufriedenen Bericht brachte Uli nicht heim, und der Base gab er manchen Tag kein gut Wort, und nur hintenum durch Vreneli vernahm sie, wie es Uii ergangen. „Ihr hättet das Uli nicht anrichten sollen,“ fetzte Vreneli bei. „Warum nicht?“ antwortete die Base; „einen Pathen mußtet Ihr haben, und gefressen hat er Uli nicht. Mich nahm aber Wunder, mal wieder waäs von ihm zu vernehmen, dem Unflath. Er ist,scheint's, immer der Gleiche; schade ist's um ihn, wäre der anders ausgefallen, aus dem waäͤre was geworden, einen Kaiser hätte er abgegeben, wegen Befehlen und Regieren; aber dann hätte der liebe Gott den Leuten die Köpfe anders befestigen müssen, sonst wäre in Hanse Reich bald keiner mehr auf eeinem Halse gestanden.“
Der Täuflag eines Kindes ist in allwege immer ein sehr feierlicher Tag. Die Eltern heiligen ein Pfand der Gnade Gotes, und drücken damit öffentiich das Bewußtsein aus, daß sie es von Gott empfangen, und daß es einst aus ihrer Hand wieder werde gefordert werden; sie drücken ihre Freude aus, denn wo giebt es auf Erden reinere und süßere Freuden, als qus dinem Kinde erblühen können? aber zugleich auch die Ueberzeugung, daß wie Gottes Hand und Macht auf dem Acker wälten müsffen, wenn der Saame gesegnet sein und zur reichen Ernte reifen soll, so auch seine Huld und Gnade über dem Kinde, wenn es zum Weinstocke erwachsen soll,von welchem die Eltern Trauben lesen können, und nicht zum Dornenstrauch, an welchem die Dornen wachsen, an welchem so gern elterliche Herzen verbluten. J
Der Täufling ward an diesem Tage zum kleinen Herzkäfer,den ganzen Tag ließ er
keinen einzigen Schrei aus, bloß hier und
F wie, rechnet es nicht, aber, wenn Zeiten kommen, wo man die Sachen braucht, oder Zeiten, wo man Geld nöthig hat,so hat man einen Schatz im Hause, den man gesammelt,ohne es zu merken; das ganze Haus ist gleichsam eine Schatzkammer, in allen Ecken sindet man Schätze, und wenn man Alles zusammenträgt, so hat man einen großen Reichthum,an den man kaum dachte. Dagegen, wenn man alle Jahre aufräumt, das Entbehrliche Alles zu Gelde macht, so scheint kein Segen in den Sachen zu sein, man ist mit Allem immer fertig, und wenn mal ein Fehljahr fömmt, so kann man dreifach wieder ausgeben, was man einfach eingenommen, ist übel dabei in Noth und Sorge. Ich hasse die Hudelwirthschaften, wo oben und unten nichts Vorräthiges ist, die Mäuse die Schwindsucht kriegen und elendiglich verkümmern.“Uli sagte nicht viel zu dieser Predigt, er dachte bloß, es sei gut, daß Vreneli sie nicht höre. Dem Vetter Johannes gesame Blicke durch die Gänge, in den Ställen und ums Haus.Uli faßte diese Blicke beschämt auf und sagte: „Ja, wenn man nicht immer hinten und vornen ist, so machen sie auf und davon, und ob's allenthalben aussieht, wie in einem Schweinestall, dem fragen sie nichts nach, wenn nur der Tag umgeht und zu rechter Zeit das Essen auf dem Tische steht;es ist ein Leiden mit dem Lumpenpack, man glaubt es nicht.“„Hast geändert auf Weihnacht?“ frug Johannes. „Getroffen,“ antwortete Uli, „ich habe müssen,“ und erzählte nun des Längen und Breiten, wie er es gemeint und wie er gerechnet. „Hast best gemacht?“ frug Johannes. Uli gestund den Irrthum in seiner Rechnung nicht ein, sondern erzählte bloß: „Wie übel er es getroffen, wie an seinen Bürschchen nichts sei, als Hochmuth; trügen die Nasen so hoch, als wollten sie die Sterne vom Himmel runterstüpfen, und was das Aergste von Allem sei, sie wollten sich gar nicht weisen lassen, meinten, sie verstünden Alles, sie seien soviel als er,der ja auch nur Knecht gewesen. „So Einer, dächten sie,wie er wohl merke, solle nicht kommen und sie kujoniren wollen, so Einem stehe es übel an. „Habe geglaubt, er könne auch was verdienen, daß er halbbatzige Bürschchen zu brauchbären Knechten mache.“ „Das wäre wohl gut,“ sagte Jo
IF hannes, „aber Du wolltest es nur zu gut machen. Für Plaätze wie Du sie hast,
stelltest Du die Bürschchen viel zu leicht an, sie begreifen wie es scheint gar
nicht, was sie versehen sollen, sondern bloß, daß sie Karrer und Melker sind.Wo
Einer nicht weiß, was er zu thun hat, sieht er alles Zurechtweisen als Kujoniren
an. Nimm ein Mensch, welchhes sein Lebtag nur den Schweinen gekocht hat, und
stelle es in eine Herrenküche als Köchin, so wird es Jahre gehen,ehe es
begreift, daß ein Unterschied ist zwischen einem Schweinetrog und einem
Herrentisch, und die Frage ist, ob es je dahin kömmt, menschlich zu kochen für
die Herrschaft.Das Gleiche hast mit dem Handwerker. Am übelsten fährst immer mit
denen, welche aus Lehrjungen sich eigenmächtig zu Meistern avancirten. So hast
Du es allenthalben. Mache ans einem gemeinen Schreiber oder Schreibersknecht
einen Staatsrath oder einen Kreispräsidenten, so wird er sein Lebtag nie lernen,
was er soll, nie die rechte Würde kriegen, sondern nur Hochmuth und eine
Anmaßung vom Teufel.“ „Ja,ja,“ sagte Uli, „ich hatte nicht Glück, ein andermal
hoffentlich geht es mir besser.“ „Wetter,“ dachte Johannes, „ist der anch schon
so avancirt, daß er seine Bööcke nicht mehr für Böcke ansehen kann.“ Uebrigens
hatten sie einen recht gemüthlichen heimeligen Tag. Sie hatten das Taufemahl
daheim, besondere Gäste waären nicht geladen; was auf die Zunge kam, handelte
man traulich ab, wurde nicht alle Augenblicke gezwungen, die besten Faden im
Gespräche abzureißen, weil Unberufene in die Stube stürmten. Gut und währschaft
wartete Vreneli auf, daß selbst Vetter Joggeli sagte: „Eine Wirthin hätte es
werden sollen, es verstünde es, und dazu stehe es ihm noch wohl an, zwei Dinge,
die nicht immer beisammen seien.“ Die Bodenbäurin erzählte viel von ihren
Kindern, namentlich von der ältesten Tochter,welche am Heirathen war. Eine
Mutter kann nie glücklicher sein, selbst an ihrem eigenen Hochzeittage nicht,
als wenn sie ihrer Tochter die Hochzeitpredigt halten kann; ohne Thränen geht
sie nie ab; das reinste Glück preßt bei ächt weiblichen Herzen immer Thränen aus
den Augen. Wie am herrlichsten im Himmelsthau die Blumen funkeln, so weibliche
Augen in Thränen der Wonne. So eine rechte müt
„Aber u. s. w.!“ Das war die Hochzeitpredigt, welche die Bodenbäurin aus der
Fülle ihres Herzens hielt, und welcher die Glunggenbäurin in rührender Andacht
zuhörte.Sie konnte keine solche halten, die arme Frau. Sie wünschte Glück von
ganzem Herzen, sagte aber auch aufrichtig: „Sie erfahre das Gegentheil. Wenn die
Bodenbäurin ihre Toch
So ergoß sich die Glunggenbäurin und daß auch ihre Augen nicht trocken blieben, versteht sich. Aber weder neidisch auf die Bodenbäurin, noch unglücklich war sie dabei.Wer hat schon erfahren, wie durch eine flotte Herzensergießung in gemüthlicher Traulichkeit, der Geist sich erleichtert,und aufheitert wie nach strömendem Regen der Himmel?Die Zeit schwand, wie den Seligen die Ewigkeit, unbemerkt,nnd dunkel wards, ehe Jemand daran gedacht. Entschieden weigerten sich der Bodenbauer und seine Frau über Nacht zu bleiben. „Es sei ihnen nicht wohl, an einem andern Orte,“ sagten sie, „über Nacht. So lange sie verheirathet seien, seien sie nie Beide mit einander außerhalb dem Hause über Nacht gewesen, und eins ohne das andere nicht oft. Man wisse nie, was es geben könne.“ Dieses Gefühl, welches heim zieht an allen Haaren, dem Manne Kraft giebt, daß er jeder Ueberredung unzugänglich wird, an allen Wirthshäusern vorüber wandelt, die Müdigkeit der Glieder überwindet und heimkehrt, wenn auch erst nach Mitternacht, ist ein eigenthümliches, es ist ein Kind der Treue,welche auf dem einmal erkohrnen Posten stehen will in der Nacht, die Niemandes Freund ist.
Solche in trauter Gemüthlichkeit verbrachten Tage, wo Sterblichen die Zeit
verrann wie Seligen die Ewigkeit, glänzen durchs Leben, wie ein goldenes Gestirn
am hohen Himmelsbogen, weite Räume erhellen sie, und einmal erlebt, werden sie
nicht wieder vergessen. Solche Tage sind manchmal eingestreut ins Leben, wie am
Himmel die Sterne; manchmal gleichen sie der klaren Morgensonne, welche einen
hellen
Diesmal war dieser Tag wirklich der Abendsonne ähnlich, welcher erst die Nacht, dann wilde, trübe Zeiten folgen.
Capitel 7.Eine Ueberraschung, aber keine angenehme.Am folgenden Morgen wollie Vreneli eben die Base rufen, dieweil es im Hinterstübchen noch einige Schinkenschnittchen und eine Flasche Wein zweg gestellt hatte, um den Nachdurst zu löschen und den blöden Magen zu verbessern,wie es sagte, als ein schlecht Fuhrwerk um das Haus gefahren kam, aber noch viel blöder als irgend ein Magen nach einem Kindtauftag sein kann.
Vreneli hatte gute Augen, „Herr Jeses, Herr Jeses!“sagte es. „Was ist, was ist?“ frug die Base; „es wird doch nicht etwa eine Bettelfuhre sein?“ „Nein Base, nein,“sagte Vreneli, sich fassend, „ich weiß nicht, wo ich meine Augen gehabt, es ist ja z'Elist; es wird zum Besuch kommen wollen.“ „So ungesinnet, Du mein Gott, was hat es wohl gegeben?“ jammerte die Base. Unterdessen war das Pferd ölöde herangeschritten, und drinnen saß wirklich Elise, so mager und grüngrau wie ein vorjähriger Roßmarinstengel, hatte ein eingewickelt Päcklein auf dem Schooße, und im Päcklein quakte was, man wußte nicht, wars ein Laubfrosch oder sonst eine lebendige Kreatur.
„Da nehmt, und da bin ich,“ sagte Elisi, und reichte das Packet hinaus, in
welchem es gar heiser und jämmerlich quakte. „Jetzt müßt ihr mich behalten, ihr
mögt wollen oder nicht, ich bin hier daheim.“ Vreneli half ausladen, mußte dem
Fuhrmann einen Platz für das Roß im Stalle zeigen,da das Mannsvolk im Waldeé
war, hörie also die reichlichen Ausrufungen der Base nicht. Die gute Alte ward
inne,daß das quikende Packet aus einem Kindlein bestand, wel
Am wohlsten schien bei dem ganzen Handel der Baumwollenhändler zu sein,
wenigstens nahm er Elisis Abwesenheit höchst kaltblütig, zeigte sich nicht nur
nicht, sondern ließ auch kein Wörtlein von sich hören. Die Unbequemlichkeiten
des Fortlaufens dagegen fingen nachgerade an, recht unangenehm sich fühlbar zu
machen. Anfangs ärgerte sich Elisi blos, daß der Unflath ihm nicht nachgelaufen
kam, um ihm Alles sagen zu können, was es es ihm eingebracht hätte. Nach und
nach stieg ihm die Eifersucht zu Gemüthe, es nahm ihm bitter Wunder, was der
Unflath jetzt vornehme, da er keine Frau mehr habe? Wenn nun einmal eine Frau
auf diesen Punkt gekommen ist, dann kriegt die dickste Phantasie Leben, fängt
an, sich zu bewegen in den schauerlichsten Bildern, und malt der Frau Dinge vor,
daß sie das Zittern kriegt in alle Glieder. Noch ungeduldiger ward Joggeli.„Der
Lumpenhund habe ihn geplündert, kein Spitzbub könne es besser, jetzt schickke er
ihm Frau sammt Kind über den Hals, um ihn des Todes oder des Teufels zu machen,
aber das wolle er nicht so. Dem Schelm wolle er seine Familie nicht erhalten, in
seinen alten Tagen noch Kindbette halten und dazu keinen Augenblick Rnhe, weder
Tag noch Nacht.“ Endlich ließ Joggeli Bescheid machen dem Tochtermann: „Er solle
seine Frau holen.“ Dieser ließ sagen:„Er hätte sie nicht gehen heißen, er hieße
sie auch nicht wiederkommen, sie werde den Weg wohl noch wissen, er werde ihr
ihn nicht zu zeigen brauchen. Am liebsten sei lihm, sie bliebe wo sie sei, sie
dünke ihn dort am schönsten.“ Potz Blitz, wie gab das Feuer. „Auf der Stelle
sollte Uli mit ihm fahren,“ meinte Elist, „und dann müsse er ihm den Unflath
prügeln in seinem Namen, bis derselbe kein Glied mehr rühren könne, dem wolle es
zeigen, dem Hagel, wo es schön sei.“ Das wollten aber weder Vater noch Mutter
thun. „Es sehe jetzt, was Fortlaufen sei, ein andermal möge es die Sache besser
bedenken, und denken auch an seine
Capitel 8.Wie Zögern wechselt mit Ueberraschen, aber ebenfalls nicht auf
angenehme Weise.So verzögerte sich die Ausführung einige Tage, bis endlich die
Mutter nachgab und erkannt wurde, es müsse dem Johannes geschrieben werden, daß
er die Sache alsbald verrichte. Aber wer sollte schreiben. Die Mutter konnte
nicht, Joggeli war eine Feder ärger zuwider, als ein angezündet Schwefelholz
unter der Nase. Elisi schmierte endlich einen Bogen voll, von dem aber erkannt
wurde, den könne man nicht abgehen lassen, denn der gelehrteste Professor könnte
nichts daraus machen. Elisit heulte, aber damit entstund kein verständlicher
Brief. Joggeli mußte endlich das Wort geben, er wolle morgen selbsten einen
machen.Am Morgen fiel es Joggeli plötzlich ein: „Heute sei der Tag, an welchem
der Lehenzins verfallen sei, und nun plagte ihn die Neugierde, ob Uli wohl
zahlen werde, oder nicht?Er hatte gesehen, daß der Müller Korn geholt, hatte
auch die Zahl der Malter gezählt, den Preis zu vernehmen gesucht und daraus
geschlossen, Uli werde im Sinn haben zu zahlen.“ Joggeli hatte nicht Angst, er
könne um seine Sache kommen; aber er freute sich auf das Geld. Kinder und alte
Leute sind auch darin sich ähnlich, daß sie gerne mit Geld spielen, es zählen,
es rollen lassen durch die Finger, Häufchen machen, es durch einander werfen, es
transportiren aus einem Sack in den andern Sack. Er vergaß den Brief ganz, sah
gleich mit Tagesanbruch erst lange durch die Fensterscheiben, ob Uli nicht
anrücke. Später träpelte er ums Haus herum, zeigte sich in der Erwartung, Uli
lasse sich dann auch hervor mit einen großen Bündel Geld. Da kein Uli erschien,
trippelte er hinüber zum Hause, kam zu den Knechten, frug wie von ungefähr: „Ob
der Meister daheim sei, oder fort?“ „Sie wüßten nichts anders,“ sagten die
Knechte, „sie hätten ihn erst noch gesehen und gsuntiget, (in Sonntagskleidern)
sei er nicht gewesen.“ „Er scheut sich vor mir,“ dachte Joggeli, „darf oder will
sich nicht se
Uli lebte, er lebte einen großen Tag, er machte seine Jahresrechnung, zog seine Bilanz, verglich mit der Rechnung die Kasse. Das ist ein Stück Arbeit für einen Uli!10 Jucharten Roggen säen in einem Tage, ist Kinderspiel dagegen. Ja, Nechnen hat eine Nase, besonders wenn man es nicht wohl kann.
Uli hatte begreiflich das Jahr durch, schon gar oft gerechnet, vielleicht nur zu viel, doch so recht bis auf den Grund noch nie, und das sei nothwendig, hatte er gehört, besonders für Anfänger. Es sei schon gar Mancher zu Grunde gegangen,weil er nie nachgesehen, wie er stehe, ob er vorwärts oder rückwärts gehe. Am Jahrestag seiner Meisterschaft übernahm er nun diese Arbeit. Er zählte zuerst das Geld, welches er hier in einem Bündelchen, dort in einem Körbchen,anderwärts in einem Strumpfe hatte. Ein reicher Bauer hatte ihm gesagt: „Wenn man viel Geld im Hause habe,müsse man es vertheilen; kämen Diebe, so kriegten sie doch niemals Alles, sondern nur einen Theil.“ Das Zählen schon trieb ihm den Schweiß aus, denn so oft er zählte, so oft gestaltete sich die Summe anders. Zu der Gewißheit kam er, daß jedenfalls über tausend Thaler seine Kasse enthielt. Nun versuchte er die richtige Summe aus seinem Buche zu finden, das war aber erst ein Hexenwerk, aus welchem noch ein ganz anderer als Uli, nicht gekommen wäre. Uli hatte aufgemacht, und hatte nicht aufgemacht. Größere Posten waren anfgeschrieben, aber kleinere begreiflich nicht. Verkaufte Kühe waren aufgemacht, aber von verkauften Kälbern fand man wenig Spuren, von verkauften Ferkeln gar keine,so wollten im Buche sich nicht reimen Ausgaben und Einnahmen, und mit dem vorhandenen Gelde paßte die Bilanz im Buche erst nicht. Im Buche fehlten alle kleinen
13 täglichen Ausgaben, nur die größern Summen stunden da. Wer aber einige Zeit
hausgehalten hat, weiß, wie viel Kleines zu was Großem sich summirt. Kurz ins
Reine brachte er es nicht, er kam blos so weit ins Klare, daß er mehr als 200
Thaler in Baar gespart. Das Vieh im Stall war von geringerem Werthe, als das,
welches er übernommen, dagegen besaß er noch ein ziemlich Quantum Korn,weit
mehr, als für den Hausbedarf bis zur Ernte. Vorräthe von allen Sorten, wie sie
einer Haushaltung wohl anstehen, hatte Vreneli doch gemacht, seit der Bodenbauer
seine Vorlesung über Hausökonomie gehalten, war es von Uli weniger gehindert
worden. Was er an Vorräthen hatte,schätzte er zu ungefähr 100 Thalern, so daß
also sein Gewinn oder Arbeitslohn zum wenigsten 300 Thaler betrug.Zuerst wollte
er sich freuen darüber, dieweil das ein so schöner Anfang sei, aber nach und
nach flogen ihn allerlei Mücken an. Er fand, daß dies doch eigentlich nichts
sei. „Es sei ein dusgezeichnet gutes Jahr gewesen,“ sagte er, „und nur 300
Thaler! Jetzt habe er baar auf der Hand, daß er in ordinairen Jahren nichts
verdiene, nicht so viel, als sein schlechtest Knechtlein. Sollten es aber
Fehljahre geben, könne er nicht bloß 300, sondern 600 Thaler verlieren, so gut,
als einen Batzen! Wo dann die nehmen? Und gesetzt,“ meinte er endlich, „was
seien doch 300 Thaler für soviel Noth und Mühe und so große Gefahr, um Alles zu
kommen. Da müsse man es sein Lebtag böse haben, und komme doch zu keinem
Vermögen. Dann sei es nicht gesagt, daß man immer gesund bleibe und arbeiten
möge wie ein Hund, bis in das höchste Alter. Am Ende wäre es besser gewesen, er
wäre Knecht geblieben,“ dachte Uli, so finster kam es ihm ins Gemüth. Der UÜli,
der vor Jahren 300 Thaler für ein unerschwänglich Vermögen angesehen hatte, der
achtete sie jetzt für nichts, und hatte gute Lust wirbelsinnig zu werden, weil
er in einem einzigen Jahre blos 300 Thaler verdient. So kann der Mensch sich
ändern, so wunderlich kann es ihm in den Kopf kommen! Vreneli sprach ihm zu und
sagte ihm:„Er mache ihm recht Angst. Das sei Undank gegen Gott,und wo der sei,
da zeige Gott gerne, daß die Sache an ihm liege, und wenn man nicht zufrieden
sei mit seiner Güte,nli, der Pächter. 8
Derselbe hatte wirklich schon alle Hoffnung aufgegeben,heute sein Geld zu sehen.
„Das sei Bosheit vom Uli,“sagte er teiner Frau. „Derselbe hätte es, er wisse es
wohl,aber er wolle ihn nur plagen; doch das solle ihn nichts nützen, je läänger
er mit dem Gelde warte, desto mehr schlage er ihm mit dem Zinse auf.“ Er that
noch viel nöthlicher,als drüben Uli, so daß auch hier das Weib das Mittleramt
übernehmen mußte. „Er solle sich doch schämen, so nöthlich zu thun. Das wäre
wohl gut, wenn sie kein Geld mehr hätten, oder sonst nicht zu leben. Es könnte
sein, daß ihm zuletzt noch lieber wäre, Uli sei ihm das Geld noch schuldig,als
daß er es in Händen habe. Es sei heute der erste Tag, wo es verfallen sei, er
solle doch denken, wie Viele froh wären, wenn sie den Zins im ersten Jahre
erhielten.Selten einem komme es in Sinn, den Zins auf den ersten Tag zu bringen,
und Mancher hätte es noch ungern, wenn sein Pächter am ersten Tage käme, als ob
der Herr ohne das Geld nicht mehr auskommen könne.“ „Das ist mir hell gleich,“
sagte Joggeli, „wie es Andern dünkt, aber mir hat er versprochen an die Hand zu
gehen, und wenn Einer was verspricht, sollte er es halten, sonst halte ich
nichts mehr auf ihm.“ „Du hast mir auch manchmal schon was versprochen und es
nicht gehalten,“ sagte die Frau. „Ja, das ist was ganz anderes,“ sagte Joggeli,
„ich bin nicht Dein Pächter und Du nicht mein Lehenherr,“ anwortete Joggeli.
Joggeli that wirklich das erhaltene Geld nicht zu dem Seinen; den Genuß, mit
Zählen und Sortiren desselben den folgenden Morgen sich zu verkürzen, ließ er
sich nicht rauben. Am folgenden Morgen sagte seine Frau: „Schreibe doch dem
Johannes, ehe Du was anders hsengh sonst
Nun setzte sich Joggeli zurecht zu einem behaglichem flottem Privatvergnůgen;
beide Brillen legte er neben sich, Bleistift und ein Stücklein weißes Papier
ebenfalls, schüttete den Sack aus, reihete das Bild recht auseinander, und
begann nun eine vergnügliche Musterung, welche bei der speciellen Inspection der
einzelnen Stücke anfing. Wo sie geendet hätte,wissen wir nicht, denn wie Joggeli
am besten daran war,erschien unter der Thüre die breite Gestalt von Sohn
Johannes: „Ho, da komme ich gerade recht,“ tönte es wie aus einem mächtigen
Weintrichter hervor. Wenn ein Blitz ins Stübchen gefahren wäre, Joggeli hätte
nicht ärger zusammenfahren können; die bessere Brille fiel auf den Boden und
zertrümmerte, mit beiden Händen fuhr Joggeli über den Haufen her als wie zum
Schutze. „Gerade recht, beim lomme ich, nie hätte es mir anständiger sein
können, einen so großen Haufen Geld beisammen zu sehen,“ sagte Johannes, „den
kann ich brauchen, mit dem läßt sich was machen.“„Ja, ja,“ sagte Joggeli,
„glaubs; es weiß ein jeder was zu machen, einen guten Schick hier, einen guten
Schick dort,wenn ich auch nur mal was davon hätte! Aber ob den guten Schicken
komme ich am Ende um meine Sache;darum will ich nichts mehr von guten Schicken
hören, diesmal brauche ich das Geld selbst; aber eine feine Nase mußt haben, daß
Du so manche Stunde weit es gerochen hast,daß ich einen Kreutzer Geld im Hause
habe.“ „Nicht wahr,Vater?“ sagte Johannes, „die Nase ist noch gut, die habe ich
noch nicht versoffen, die muß erst zuletzt an den Tanz.Abor, Scherz bei Seite,
Vater! die Sache ist die, ich muß Geld haben, um mit Wein zu speculiren, jetzt
ist was zu machen,gerade jetzt, beim Abzug. Wenn einer jetzt mit Geld ins
Welschland kömmt, so kaun er einen prächtigen Schnitt ma
Aber Johannes kannte den Vater und die eigene Macht.Potz Himmeltürke, wie ließ er
eine Rede fahren, was das von einem Vater gemacht sei, wenn er dem Sohne vor
seinem Glück sein wolle? Was er mit seinem Reichthum anfangen, mit in den Boden
werde er ihn doch nicht nehmen wollen? Der Schwäher sei nur der Schwäher,
einstweilen ein Unflath, thue er aber mal die Augen zu, so werde er im
Ausmetzgen desto besser ausfallen. Dann sei es ja nicht,daß er das Geld um
Gotteswillen begehre, er wolle Papier dafür ausstellen, es genügend verzinsen,
wenn es sein müsse.„Ja, ja,“ sagte Joggeli, „Papiere hätte er viele, er könnte
drei Jahre die Pfeife damit anzünden, etwas anders würde er damit wohl nicht
anfangen können; jetzt habe er mal Geld,und zu demselben wolle er jetzt Sorge
tragen, und während er sprach, packte er so unmerklich als nur möglich,Geld in
den Sack. „Nun,“ sagte Johannes kaltblütig,und klopfte seine Pfeife aus, wenn
das so gemeint ist,und ihr mir nicht helfen wollt Wirth zu sein, wie es
4 konnte; und wer war daran schuld als seine Frau, welche auf zum Verleihen
gerathen, dasselbe ihm so dringlich gerathen und gleichsam mit Gewalt erzwungen
hatte? Die gute Frau hatte einen schweren Abend und wußte nicht, sollte sie
wirklich bereuen, ein Wort zur Sache gesprochen zu haben, denn erzwungen hatte
sie dieselbe nicht, erzwingen that sie ja nie was, nur reden, wie es sie dünkte
und wo sie es in ihrer Pflicht glaubte. Auch das wird dem Menschen oft erleidet
und verkümmert, so daß ihm die Vorfätze kommen,fürderhin zu schweigen, und zu
keiner Sache mehr was zu sagen. Wenn solche Vorsätze stichhaltig wären, so
hätten die Pfarrer in den Kirchen füͤr nichts anderes zu bitten, als für
plötzlich stumm gewordene Weibspersonen, nach dem Beispiele, welches einst ein
Pfarrer gab. Seine Frau war auch zum Vorsatze des Schweigens gekommen, der
Pfarrer, darüber wahrscheinlich geängstigt, da die verstummte Zunge sonst nicht
zu den schweigsamen gehörte, führte am nächsten Sonntage, wo seine Frau in der
Kirche saß, unter den Kranken,welche der Fürbitte der Gemeinde empfohlen wurden,
eine plötzlich stumm gewordene Weibsperson an. Man sagt, der Erfolg soll
wirklich so auffallend gewesen sein, daß der Pfarrer darüber erstaunt und in
großen Schrecken gefallen. Es ist allerdings sehr schwer abzugrenzen zwischen
Reden und Schweigen, und unmöglich, wenn man die Grenze bestimmen möchte nach
den Reden eines Joggeli, der in seiner Schwäche das Beste verkehrte, die besten
Rathschläge zunichte machte,und dann die Schuld, daß er wirklich Dornen las von
Weinstöcken, andern zuschob, Schweigen und Reden beides gleich zum Vorwurf
machte. Bei solchen Gemüthern entrinnt man Vorwürfen nimmer, darum muß man thun
nach seiner Pflicht und nach dem Maaße seiner Stellung. Ein Mann darf gebieten,
ein Weib darf sagen, mahnen warnen.Joggeli gehörte zu den unglücklichen
Menschen, welche weder was Gutes ausführen können, noch was Gutes ausführen
lassen. Wollte er, was recht war, so lähmten ihn böse Einflüsse, welche stärker
waren als seine Kraft; wollte Jemand Anders was Gutes, so siach ihn der alte
böse Mensch in der eigenen Seele, daß er diefem Willen hemmend in den Weg trat,
und ihn, wenn nicht ganz hinderte,
Capitel 8.Vom Gemüth und vom Gesinde.Ein Jahr ist nicht alle Jahre, so sagt ein
Sprüchwort,die Wahrheit desselben erfuhr Uli. Es war ein spät Frühjahr, war
wetterwendisch Wetter, man mußte die Zeit zur nothwendigen Arbeit stehlen, mußte
in Wind und Wetter, in Schneegestöber manchmal aushalten, fast wie die Franzosen
in Rußland. Nun die waren disciplinirt, darum schlugen sich noch so Viele durch
und kamen mit dem Leben davon. Wäre es lauter undisciplinirtes Volk gewesen,
kein Mann wäre aus Rußland gekommen. Nun aber hatte der arme Uli weder alte noch
junge Garde, sondern undisciplinirtes Volk in der Mehrzahl. Das war ein
schrecklich Fuhrwerken mit demselben. Wer hat wohl schon an einer Ziege
gerissen, damit sie rascher marschire? Der hat es erfahren,wie die Ziege, statt
rascher zu marschiren, mit all vier Beinen verstellt und gar nicht mehr vom
Platz will. So geht es auch mit Dienstboten welche undisciplinirt sind, sie
halten zurück, sie machen immer langsamer, am Ende gar nichts mehr. Jeder stellt
so gleichsam einen Knittel vor,
J
0 der sich dem Meister zwischen die Beine wirft, wenn er rascher zufahren will.
Von dieser Widerspenstigkeit wurden allgemach auch die Tagelöhner angesteckt, es
entstand eine heilose Wirthschaft. Uli arbeitete sich ab, wie ein Roß in tiner
Trettmühle; wie das Rad umgeht, liefen die Tage vorbei, aber wie das Pferd nicht
weiter kommt, so schien Uli gebannt und nicht vorwärts zu kommen. Je schlechter
man digkeit, wie man ihm nie genug arbeiten könne, auch wenn man sich quäle wie
ein Hund. Natürlich hatte man immer später Feierabend, Uli immer mehr zu treiben
und zu tadeln,daher die Lente scheinbar Grund zu klagen. Begreiflich suchten sie
den Splitter in Ulis Augen, den Balken im eigenen sahen sie nicht. Sonst hatte
Uli den Sonntag respeetirt, misten,grasen und sonstige Arbeit vermieden, war
gerne am Sonnlag zur Kirche gegangen, hatte ordentlich Appetit nach Gottes Wort,
er hätte die Natur, welcher die Worte des ewigen Lebens wohl thaten, Bedürfniß
waren, gleichsam eine Nahrung, welche die Natur verlangte. Wie aber Nebel in
Thäler sich drängen allgemach, bis die Thäler endlich voll Nebels sind und
unsichtbar die Sonne geworden ist, so drängte sich allgemach die Arbeit in den
Sonntag hinein, er ward finster, das ewige Licht schien immer düsterer, schien
am Ende gar nicht mehr hinein. Was sonst am Sounabend gemacht worden war, ward
verlegt auf den Sonntag Morgen, und wenn Uli nicht selbst dabei war, ward es gar
nicht gemacht.Die lumpichsten Knechtlein waren Nachtschwärmer, wie es die
Meisten sind, stunden am Sonntag nicht auf, und was Uli darüber sagen mochte, es
half Alles nichts, sie hatten keinen Glauben zu ihm, sondern das Vorurtheil
gegen ihn,daß Allem, was er sage, eigennützige Absichten zum Grunde lägen. Wo
das einmal so ist, hat es gefehlt, da hilft alles Zureden nichts. Bei den
meisten Menschen muß der Glaube es machen, zum Erwägen und Erkennen einer Sache
sind sie untauglich. Dieses fühlen sie dunkel, daher das Mißtrauen, nameutlich
gegen Alle, welche über ihnen stehen, daher die unbegreifliche Hartnäckigkeit,
mit welcher sie das Verderblichste treiben, wenn es ihnen von Leuten
eingebläuelt ist,zu welchen sie den Glauben haben. Die Menschheit steht
Bei Verstand oder Bildung findet man sehr häufig eine Glaubensweise oder eine
Leichtgläubigkeit, welcher jeder Christ sich schämen müßte. Es giebt sogar
Gelehrte, welche glänzende Examen gemacht, sie verachten die Evangelien, aber
sie schwören mit einem wahren Köhlerglauben zu den Eollegienheften eines
versoffenen Professors. Ulis Knechtlein ists also nicht zu verargen, daß sie das
Heilsame in seinen Rathschlägen nicht begriffen, dieweil sie halt keinen Gauben
zu ihm haätten. Aber Uli ist zu hedauern, daß er sich den Sonntag rauben ließ,
gleichsam so unvermerkt, wie Diebe die Börsen stehlen sollen; denn war er
Vormittags nicht in der Predigt, kam er Nächmittags noch viel weniger in die
Kinderlehre, kam aber auch zu keinem Buche. Nachmittags mußte er irgendwo aus,
wo er an den Arbeitstagen sich nicht Zeit nahm, einem Handwerksmann nach, oder
um eine Kuh aus, oder wollte Geld von einem Müller für Korn,oder einem Wirthe
für eine fette Kuh. Es war immer etwas zu laufen und manchmal lief er sich außer
Athem und ward doch nicht fertig. Man glaubt aber nun gar nicht,was das für
einen Einfluß auf ein Gemüth hat, wenn kein Lichtstrahl von Oben es mehr
erleuchtet, kein Himmelsbrot es mehr kräftigt, die Dornen und Disteln des Lebens
es überwuchern, die Sorgen und Gedanken um Gewinn und Gewerbe es, dichten Nebeln
gleich, umschleiern. Man denke sich eine wilde Kluft, in welche die Sonne nie
scheint, aus welcher die Nebel nie weichen, man denke sich, was da wächst,was da
kriecht und flattert, man denke sich das grausige Leben, wenn man gebannt würde
in eine solche Kluft, da leben müßte in den Nebeln unter dem giftigen Gezüchte
und ohne Sonne, nicht einmal sich heben dürfte empor über den Rand der Kluft,
nicht einmal mehr den Kopf recken könnte über die Nebel empor, in frische
gesunde Lust hinein.
Es schien Vreneli, als ob es kalt werde um ihns. Es war ihm wie es dem Frühling sein muß, wenn er in der Liebe der Sonne aufgeblüht, allmählig abnehmen fühlt der Liebe Wärme, kalte Winde um ihn wehen, eisig tödtlich der Reif sich naht. Wie es der Erde sein müßte, wenn feindselig unwiderstehlich eine Macht ihr ins Herz dringen würde und dort ausblasen wollte mit eisigem Munde die Feuer,welche des Herrn Hand selbst eigen sich angezündet auf dem Allerheiligsten der Altäre, auf dem Herzen der Erden. Die Sterne über seinem Leben schienen erbleichen, sein Leben sich gestalten zu wollen zum Leben eines Hundes in einer Trettmühle, wo die Tage umgehen, aber das Trippeln und Trappeln alle Morgen neu angeht in gleicher Pein und gleichen Aengsten, bis am Abend die Glieder steif geworden und die Ruhe gesetzliche Nothwendigkeit. Es war nicht die Arbeit, welche Vreneli beschwerlich fiel, es war die Atmosphäre, in welcher die Arbeit verrichtet werden sollte;mit erfrornen Fingern macht man keine Knoten auf, mit erkälteten Gemüthe wird Leichtes schwer verbracht. Liegt wohl hier ein bedeutender Theil der Schuld, daß Arbeit so schwer wird, die Klagen darüber so laut, die Sucht nach bloßem Genuß so mächtig, der Neid gegen Begünstigtere so giftig, die Menge oben und unten so weichlich? Sehr möglich, daß der Dunstkreis des Gemüthes der Arbeit so günstig ist bei uns, wie der Dunstkreis in Grönland Aepfeln und Birnen, von Trauben wollen wir nicht einmal reden. Es ging schwer und alle Tage schwerer, das fühlte Vreneli wohl,und mit alle Tage größerem Schmerze. In Beziehung auf den Landbau gehörte das Jahr zu den mühseligen zwar, und doch zu den gesegneten. Es giebt solche Jahre zuweilen,wo man Alles so mühsam stehlen muß, und wenn man am
Ende Alles übersieht, so hat man einen reichen Segen gewonnen, Jahre, wo unser
Herrgott das ganze Jahr hindurch es selten Jemand recht macht, ein beständiger
Jammer ist, es sei nicht gut, es komme nicht gut, und am Ende ist Alles wohl
gerathen, Alles gut gekommen, und Jedermann muß sagen, es ist doch gut, daß ein
Anderer, als er, das Wetter macht, und daß unsere Gedanken nicht seine Gedanken
und unsere Ungeduld nicht seine Ungeduld ist. Uli machte mehr als hundert Thaler
mit Rapps oder Repps, mit Klee und Flachssaamen, hatte eine Masse überflüssiger
Kartoffeln,war glücklich im Stall gewesen, er hatte das Meiste selbst besorgt,
so daß er aus Sachen, welche man sonst eben weniger rechnet, eine bedeutende
Summe löste. Es läßt sich mit solchen Pflanzungen aller Art viel machen, aber
sie brauchen fleißige Hände. Sie nehmen Leute und Zeit in Anspruch, und wo man
ohnehin von Beiden zu wenig hat,schaden sie mehr als sie nützen. Man versäumt
entweder sie oder die Hausarbeiten und nichts ist beim Landbau nachtheiliger als
unrechte Zeit (Unzeit) und schlechte Arbeit.Was man an der Arbeit spart, muß man
doppelt und dreifach am Lande büßen, manchmal alsbald, manchmal erst nach zwei,
drei Jahren. Das nun faßte Joggeli ins Auge und behauptete: „Uli nütze ihm den
Hof aus und so sei es keine Kunst,Geld zu machen. Wenn der Hof dann nichts mehr
abtrage,so gebe er ihn ihm wieder an die Hand, und er könne zusehen, was damit
machen; er ward häßig darüber, er sagte, er hätte es auch machen können, wenn er
gewollt,aber er hätte nicht das Haus zum Fenster auswerfen wollen, die, welche
ihm zu einem Pächter gerathen, sollten jetzt kommen und sehen, wie es ihm
ergehe, geraubet werde ihm das Geld, verhunzet das Land, und wer sich das Alles
müsse gefallen lassen und froh sein, wenn man ihm nicht noch die Kleider nehme,
daß sei er, Joggeli, der Glunggenbauer.“Aber neben diesem großen Verdruß hatte
er doch auch seine große Freude, und diese Freude erwuchs ihm aus dem
Mißgeschick, welches Uli mit seinem Gesinde hatte. Es war ein edler Stoff. Ulis
alter Meister, der Bodenbauer, hatte ihn belehrt über die Bedeutung, welche ein
guter oder böser Name für einen Knecht oder eine Magd hat, und dieses
Dampfschiffen, ohne Anstoß, aber mit Anstand leicht und angenehm bewegen könnten.
Denn, wohl gemerkt! dies müsse gelernt sein, sagen sie, und eingeübt, von selbst
gebe das sich nicht, so viel Verstand haben sie, und richten ihre Töchter zum
einfachen Theeserviren, z. B. Monate lang ab. Aber so viel Verstand haben sie
nicht, zu begreifen, daß man auch das Bewegen nach unten in Gesindestube und
Küche erlernen und einüben muß, daß man da mit Anstand und taktfest sich bewegen
lerne, nicht tölpelhaft werde, und verhöhnt von Spandau bis Magdeburg. Man
glaube es doch uur,es kömmt unendlich mehr Elend ins Haus, ins Gemüth,ins
tägliche Leben, wenn die Herrschaft, namentlich die Frau,taktlos und tölpelhaft
in der Küche und unter dem Gesinde handthiert, als wenn sie linkisch im Salon
thut, und eben nicht graciös sich zu beugen und zu neigen weiß. Ach Gott,wie
manches gute liebe Frauchen sah dies nach Jahren, nachdem sie unsäglichen Jammer
ausgestanden, ein Elend geschluckt hatte, ein zehnmal größeres als Napoleon im
Feldzug von Rußland, endlich ein, lernte, was sie versäumt hatte,suchte gut zu
machen, den Ruf zu verbessern, aber wie lange versuchte sie dies umsonst? Ein
guter Name geht in Augenblicken verloren, ein schlechter wird in Jahren nicht zu
einem guten. Ist bei einer Herrschaft, welche nicht im guten Geruch steht, eine
Stelle leer, so melden sich Diejenigen nicht,welche etwas auf ihrem Rufe halten.
Ein guter Knecht hält sich für hundertmal mehr als ein schlechter Meister, und
es tief unter seiner Würde, bei ihm sich zu melden; er findet überall sein
Fortkommen. Es meldet sich also lauter mittelmäßig oder schlecht Zeug, und auch
dieses tritt mit vorgefaßten Meinung ein: Da mache nur, was Du willst, und laß
Dich nicht kujoniren, da bleibst doch nicht lang, da ist noch keins lange
geblieben, heißt es in allen Ecken. Ja so ein Mägdlein würde es für eine
eigentliche Schmach halten,wenn es länger bliebe, als die andern, und was es
während der kurzen Zeit der Madame zu schlucken giebt und für Aerger macht, wer
spricht es aus, wer schreibt es nach, und dies Alles rühmt es als Heldenthaten,
beim Brunnen, beim Bäcker, beim Fleischer, und wenn es beten thäte, würde es
dasselbe sagen, es Gott rühmen, so verdienstlich köämmt es ihm Uli, der Pächter.
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Daran hatte eben Uli nicht gedacht und mußte es erfahren, hatte nur Eines im Auge gehabt, mußte erfahren,wie es einem geht, der nur nach den Sternen am Himmel guckt und nicht auch auf die Steine im Wege. Ul hatte den Karrer fortgejagt, den Melker einmal geprügelt, er hatte die Ruhe eines alt aristokratischen gewiegten Bauern noch lange nicht. Kaum ein Bauer verstund die Arbeit besser als er, war befähigter zu befehlen, und das machte ihn am zornigsten, daß sein Gesindel dieses nicht einsehen wollte, son dern ihn immer betrachtete als seines Gleichen, daß, wenn er was befahl, mit groben Zügen auf ihren Gesichtern zu lesen war: „Du bist nicht mehr als wir, warum solltest Du das besser wissen?“ daß sie so gar keinen Respekt vor ihm hatten, mit seiner Sache umgingen, als wäre sie die ihre,als hätte er gar nichts darnach zu fragen. Er erfuhr, was es heißt, Knechte und Mägde dressiren, der Faden seiner Geduld riß, und nach jedem Riß war es schwerer ihn zusammenzuknüpfen. Immer weniger Komplimente machte er mit seinem Gesindel, wie er es nannte. Es seien deren wie Sand am Meere, welche froh seien über solchen Dienst, und gerne was lernten, er wolle besser auslesen, da habe er gefehlt,“ sagte er. Aber der fortgejagte Karrer, der geprügelte Melker, andere, welche fort sollten, Tagelöhner, welche es mit den Diensiboten gehalten, und die Uli entlassen, alle kriegten Mäuler wie Trompeten, und verschrieen Uli zehn Stunden in der Runde, als ob er Hörner hätte auf dem Kopfe,
Krallen an den Fingern und Klauen an den Füßen, und logen neben bei noch klafterhoch, daß man eigentlich darüber hätte stolpern können. Aber es glaubten dieses die Bauern gerne, denn Uli gehörte nicht zu ihnen, hätte aber gerne werden mögen, was sie; es glaubten es die Dienstboten gerne, weil er einer war, der sich über sie erheben wollte;und weil es Alle gerne glaubten, so glaubten sie es um so fester. So war der Zudrang zu Ulis Dienst nicht halb so groß, als er gedacht. Die Besten kamen nicht, weil er nur Pächter war. Man sage was man will, im Grunde des Herzens sind alle Menschen Aristokraten, denn so hat sie unser Herrgott geschaffen. Bei einem Bauer dient der Knecht, der sich für einen Pächter zu gut glaubt, bei einer Herrschaft eine Magd, welche für ihr Leben nicht eine Bauernmagd gewesen wäre, und wenn ein Dienstbote sich was Gutes zu Gemüthe führen, oder sich recht rühmen will, so sagt er: „Er habe in lauter vornehmen Häusern gedient,nur so zu gemeinen Bürgersleuten hätte man ihn mit keiner Gewalt gebracht.“ Die Zweitbesten schreckte der böse Ruf ab. „Man sage, ein Jahr sei bald um,“ meinten sie, „aber wenn man es in der Hölle zubringen müsse, so strecke es sich, daß man veazweifeln müsse, das Ende zu erleben, einmal hätten sie es schon erfahren, probirten es ferner nicht.“
Bloß unter den Drittbesten hatte Uli auszulesen. Ja,da ists schwer auslesen und was Gutes treffen! Diese Drittbesten zerfallen zumeist in zwei Abtheilungen, die erste besteht aus angehendem Volke, undisciplinirter Militz; zu vergessen ist dabei nicht, daß die besten Angehenden nicht unter diese Klasse gehören. Die besten machen ungefähr den Cours durch, den Uli machte. Die zweite Abtheilung der dritten Klasse wird aus denen geschaffen, welche was Unrichtiges haben, daher in nächster Nähe nicht Dienst finden, sondern ihr Heil weiter suchen müssen, Sie kennen mehr oder weniger den Dienst, wissen sich als Gediente darzustellen, haben aber was an sich, welches nicht Jedermann liebt, die Einen haben zu lange Finger, Andere zu weiten Schluck, zu langen Durst, Andere zu langsame Beine, Andere ein zu geläufig Maul, Andere zu heißen Zorn, Andere zu heiße Liebe, kurz was, welches nicht paßt, und namentlich für ginen Meister
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Sie sind, was dem Studenten seine Eramen, Promotionen, und daherige Testimonien sind. Ach wir sind gar armselige schwache Geschöpfe, mit allen möglichen Mitteln muß man unserer Schwachheit aufhelfen, uns aufklopfen aus unserer Faulheit und Seibstvergnüglichkeit und dahin bringen, daß wir unsere Tage mit Weisheit zählen, damit wir Erfahrungen ins Herz bringen. Dienstboten haben solche
Stärkungen wohl so nöthig, als Studenten. Leichtsinn und Gedankenlosigkeit kömmt
über das rohere Gesinde wohl fo häufig, als über gebildete Jünglinge, welche
denn doch täglich geistige Speise zu sich nehmen. Und wie oft schleicht sich die
Bosheit ein, welche die Herrschaft absichtlich plagt,mit Vorbedacht allen
möglichen Schabernack ihr anthut, und weder durch Bitten noch Drohungen sich
abwendig machen läßt? Wenn nun rechte wahrhafte Zengnisse wären, wenn jeder
Dienstbote wüßte, was er treibt, kömmt ihm in die Rechnung, ins Zeugniß, und da
steht es geschrieben und bleibt geschrieben. „Bei jeden neuen Meister muß ich
mich ihretwegen entschuldigen, und kann den Fleck nicht tilgen,fondern bloß
durch spätere gute Zeugnisse bedecken, so gleichsam anulliren, es würde gar
mancher größere Aufmerksamkeit auf Thun und Dienst verwenden, würde allmählig zu
einem tüchtigen Wesen heranwachsen, zu selbsteigenem Nutz und Frommen. Es würde
wirklich ganz anders aussehen in der Gesindewelt. Nun aber ist das Ding
verpfuscht, die meisten Zeugnisse sind untreu, lügen an, wer sie liest, und
warum?Vor allen Dingen, wahrscheinlich aus einem gewissen Mitleiden, einer
falschen Barmherzigkeit. Das Mensch weinte,flehte, bat, man möchte ihm doch
verzeihn, es nicht unglücklich machen, seine Sünden ihm nicht im Zeugniß
verewigen,es wolle sich gewiß und wahrhaftig bessern. Die weichen Meisterherzen
ließen sich bewegen, dachten, es wäre doch wirklich hart, das Mensch unglücklich
zu machen, ihm sein Lebtag mit ein Paar Buchstaben so schwer zu schaden, und
bedecken die Menge der Sünden mit dem Mantel der Viebe.Und das Mensch geht
triumphirend mit dem schönen Zeugniß ins neue Jahr hinein, treibt sein wüstes
Wesen fort,denkt, mit einer Stunde Heulens erpresse es zuletzt doch wiederum ein
gut Zeugniß, und eine Stunde zu Heulen, gehe ihm doch allweg viel leichter, als
ein ganzes langes Jahr hindurch gut zu thun. Es lebt sein schlecht Leben
wohlgemuth und trotzig fort, verschanzt sich keck hinter seine guten Zeugnisse,
macht die Schanze alle Jahre um ein Zeugniß stärker und höher. Sagt ihm eine
Meisterfrau was,so brüllt es ihr ins Gesicht, wie manch gut Zeugniß es
Die Meisterfrau giebt wiederum ein prächtig Zeugniß,sie denkt, sie wolle doch
nicht alleine die Böse sein, hätten die Andern die schönen Worte über das
Gewissen gebracht,so werden sie ihr das ihrige auch nicht abdrücken, besser sei
es, sie bringe das Mensch im Frieden fort als unter Donner und Blitz, der ihr
zündend in Galle oder Nerven fahre, oder daß sie gar noch mit ihm vor dem
Richter müsse. Das Mensch aber hebt triumphirend das Stück Papier empor und
sagt: „Es kömmt Euch wohl, daß ihr Verstand gebraucht, und mir ein Zeugniß
gegeben, wie ich es verdient und mit den andern Zeugnissen beweisen kann.Das
waren brave Leute, welche sie ausgestellt, es wäre wohl gut, es würde keine
schlimmern geben Es kömmt Euch wohl,. sonst hätte ich es probiren wollen, ob
noch Gerechtigkeit sei auf der Welt, es giebt Gottlob noch Richter, welche
wissen, was Recht ist.“ Das Mensch wußte wohl, worauf es pochte, denn es giebt
wirklich viele Richter, welche aus Grundsätzen der Humanität allen Mägden Recht
geben, gegen ihre Meisterleute, und es giebt Richter, welche ganz besondere
Vorliebe zu schlechten Menschern haben, und streng an den christlichen
Grundsatz, wie sie sagen, sich halten:Wer viel liebt, dem wird viel vergeben
werden. So kommt das Mensch denn endlich dahin, daß es sich selbst für ein
Tugendmuster hält, denn es hat es ja schriftlich und mehr als ein Dutzend Mal,
und wenn es endlich in Laster und Noth untergeht, so schreit es über die
schlechte Welt, und wenn es so schlecht hätte sein wollen, wie die andern, so
wäre es ihm auch besser ergangen. Was für eine Gerechtigkeit auf Erden sei, habe
es erfahren, wenn im Himmel keine bessere sei, so So geht es mit falschen
Zeugnissen und so wirken sie. „Aber,“ wird man schreien, „soll man Menschen
zeitlebens unglücklich machen? Was, sind nicht eben so viele oder mehr
schlechte, boshafte, niederträchtige Meisterleute als Dienstboten? Soll es dann
in Willführ stehen,
Bei Uli meldete sich also die dritte Klasse in beiden Abtheilungen. Der Buben hätte er satt, er wandte sich mehr der zweiten Abtheilung zu. Freilich wußte er, daß es in dieser oft nicht sauber sei. Er inquirirte streng, besonders warum man so weit her komme und nicht lieber in der Nähe des früheren Wohnortes bleibe? Da erzählte ihm dann Einer: Er sei vor seiner Meistersfrau niemals sicher, er habe siebenmal Strengeres ausgehalten, als Joseph, und wenn er in der Nähe sich aufhalte, so laufe er Gefahr, daß sie an hellem Tage ihm nachlaufe. Ein Anderer erzählte von Verwandten, welche an ihm saugen, denen er den ganzen Lohn opfern müsse. Wenn er in die Welt gehe, hoffe er Ruhe zu finden vor ihnen. Ein Dritter hatte seinem Meister ein Schelmenstücklein ausgebracht, oder ihn daran verhindert, jetzt sage er nicht blos alles Schlechte von ihm,sondern er sei selbst seines Lebens nicht sicher. Eine Magd weinte bitterlich, welche Nachstellungen sie erleiden müsse,wegen ihrer Schönheit. Vor keinem Manne sei sie
242 sicher, selbst der Ammann, der siebenzig Jahre alt sei und 13 erwachsene Kinder habe, laure ihr auf; deretwegen haßten sie alle Mädchen, und die Weiber noch viel verfluchter.Darum wolle sie fort, so weit die Beine sie tragen möchten,vielleicht daß an einem anderen Orte brävere Leute angetroffen würden. Daß unser Herrgott sie so schön erschaffen und nicht wüster, dessen vermoöge sie sich nichts. So viele dieser Tugendbilder kamen, die um ihrer Gerechtigkeit willen verfolget wurden. Uli dachte, „Alles könne doch nicht erlogen sein, er wisse ja selbst am Besten, wie es gehe, wenn man dienen müsse.“ Aus dieser Klasse wählte er sich sein Volk, mit der groößten Vorsicht, aber auch mit Sparsamkeit,mit dem Lohne hielt er nieder. Er dachte, „wenn es ihnen so daran gelegen sei, weiter zu können, so werde der Lohn ihnen nicht die Hauptsache sein.“ Das sagten sie denn auch.„Ein Paar Thaler thäten sie nicht ansehen, es sei ihnen nur darum zu thnn, weiter zu kommen, und er sei ihnen besonders angerühmt, da könnte man was lernen, und es heiße auch, er habe Verstand.“ Das that Uli wohl, dem guten Uli! Wäre der dreißig Schritte von seinem Hause hinter einem Kirschbaume gestanden, oder im nächsten Wirthshause gesessen, so hätte er was ganz anderes gehört. Er hätte gehört, wie so ein Knechtlein gesagt hätte: „Er hätte Unglück gehabt, sein Meister habe ihn versäumt, so sei er dienstlos geworden und es sei ihm, wenn er nur wieder mal abD die Glungge gekommen, derselbe hätte von ihm gehört und ihm Bescheid machen lassen. Gedinget hätte er endlich, aber gefallen habe es ihm nicht, dort sei sein Bleiben nicht. Es sei ein hoffährtig Wesen, man sollte meinen wer sie seien,und doch sei er nur Knecht gewesen und sie eine Uneheliche.Nun, einige Wochen könne er schon dort sein, derweilen könne er dem Mannli den Hochmuth vertreiben.“
Worte sind Münzen. Wie es Kinder giebt, welche das Geld nicht kennen und
unterscheiden lernen können, denen man fast ihr Lebtag Zahlpfennige anhängen
kann, so giebt es noch viel mehr Menschen, welche ihr Lebtag nie dahin kommen,
die Worte richtig zu würdigen. Das gilt namentlich mit dem Renomiren und
Aufweisen, Großsprechen
Der Ruhmredige macht schnellen Eindruck, der Demüthige findet erst in die Länge Gnade.
Capitel IO.Wie bei einer Taufe Weltliches und Geistliches sich mischen.
Noch ehe der zweite Lehnzins gegeben werden sollte, erhielt Vreneli das zweite Kind, und diesmal einen munteren Buben. An diesem hatte Uli sehr große Freude, er rechnete schon, wie schnell er ihn brauchen könne, was er ihm ersparen werde, nur war er noch ungewiß, ob er ihm als Karrer oder Melker ersprießlichere Dienste leissen werde. Die Gevatterschaft gab auch diesmal viel Redens, Uli und Vreneli wurden lange nicht einig, endlich mußte Vreneli nachgeben; Uli hielt ihm den Hagelhans vor. Es handelte sich absonderlich um die beiden Pathen, die Pathin ward einhellig erwählt in der Schmiedin, welche Vreneli noch weitläufig verwandt war. Die Pathen waren Wirth und Müller, mit welchen Uli im Verkehr stand, aber nicht zu Vrenelis Freude;es war ihm immer, als könnten die Uli verderblich sein,als suchten sie ihn in ihre Gewalt zu erhalten, um ihn auszubeuten. Ihre zärtlichen Worte schienen ihm eben falsche Münze zu sein. Der Wirth war ein dicker, schwerer Mann,jeder Zoll in ihm ein Centner Holdseligkeit, mit welcher man eine große Stadt voll saurer Engländer hätte süß machen können. Die Freundlichkeit ist die freundlichste aller Tugenden, hat unter allen das lieblichste Gesicht, sie ist der Schlüssel zu allen Herzen, sie ist eine erquickende Essenz, erscheine ste am Krankenlager oder im Gesellschaftszimmer, bei
**1 der Magd im Schweinestall oder bei dem Regenten auf dem Throne; sie wird viel zu wenig beachtet, viel zu wenig bei den Kindern darauf gesehen, tausendmal des Tages sollte man daran erinnern. Gott giebt sie den begabtern Menschen umsonst, aber desto wüster ists, wenn sie auf Gewinn ausgelegt, wird, benutzt, wie man den Honig braucht, wenn man Fliegen fangen will, mit ihr auf Menschen spekulirt, mit durch sie gewonnenem Zutrauen Wucher treibt, Gewinn und Gewerbe, ablockt, was man hat, mit der größten Gewissenlosigkeit, unbekümmert darum, hängen die Betrogenen sich,springen sie ins Wasser, oder gehen sie einfach und simpel zu Grunde. Eine Person der Art war unser Wirth; mit schlauem Verstand, kaltem Herzen und holdseligem Wesen hatte er ein schönes Stück Geld verdient. Wer mit ihm handeln wollte, dem that es im Herzen wohl, und seine Worte schienen viel besser zu sein als anderer Leute baares Geld.
Er hatte eine großherzige Weise, die Leute glücklich zu machen. Sieh, weil Du es bist, gebe ich Dir einen Gulden mehr. Die Sache ist mir recht, da braucht man nicht Kummer zu haben, man kriege seine Sache nicht, oder schlecht;ja, wenn Alle wären wie Du, dann könnte man handeln.
„Sieh, Du bist mir zu hoch im Preise; aber weißt Du was? Versuche, was Du lösen kannst, halte die Sache feil,VWIGulden mehr als der Höchstbietende will ich Dir geben; es kann keiner geben, was ich, ich habe den Absatz und Leute an der Hand, welche zahlen, welche um eines Kreuzers Willen nicht reden, bis sie Löcher in die Zunge kriegen; reiche Leute, und wenn sie schon nicht auf den Tag zahlen, von wegen, sie sind in gar vielen Dingen, so kömmt es dann zusammen, da giebt es Haufen Geld, Du magst mir es glauben oder nicht, mein Rößlein hat mich manchmal übel erbarmet, wenn es heimziehen mußte.“ Nebenbei war er auch den meisten Weibern lieb. Er kannte das Handwerk des Flattirens aus dem Grunde, und wußte ihnen so zärtlich in die Augen zu gucken, daß sie die Füße nicht mehr stille halten konnten unterm Tische. Ihn vorzüglich haßte Vreneli.„Du wirst Dich mit ihm abgeben, bis Du einen Schuh
39 voll herausnimmst,“ sagte es oft zu Uli. Den Müller haßte Vreneli etwas
weniger, doch immer noch genug, um ihn nicht zum Pathen zu wollen. Er hing sich
auch an Uli,war alle Augenblicke da, war nicht ganz mit Honig bestrichen, doch
wußte er sich auch zu rühmen und zu ködern, daß Uli ihn für einen trefflichen
Freund hielt; bald holte ihn der Müller, um ein Pferd zu besehen, bald sollte er
ihm eine Kuh kaufen helfen, das kenne Niemand wie Uli, bald holte er einige
Malter Getreide, und sagte: „er müffe es haben,er solle für diesen oder jenen
Bäcker besonders schönes Mehl haben, und Korn wie bei Uli, fände er nirgends, er
wolle AV ander rechneten.“ Das wußte er immer ganz vortrefflich zu karten, daß
sie miteinander in Rechnung blieben, von welcher Rechrung er beständig auch
sprach, sehr selten aber sie zum Abschluß machte, sondern immer so, daß etwas
auf neue Rechnung blieb. Es ist wirklich auch nichts Bequemeres im Handel, als
wenn man immer sagen kann: Ich zahle Dir das jetzt nicht, es geht zum andern,
behalte Alles gut in Rechnung, die Sache wird sich dann schon finden. Wenn
Vreneli Seufzer über solche Rechnungen ausstieß, so sagte Uli: „Sieh, dies
verstehst Du nicht! die Sache findet sich und was brauche ich einstweilen das
Geld, es ist mir sicherer dort, als wenn ich es daheim hätte; ich begreife gar
nicht, was Du wider die Männer hast, und weißt doch, wie kommod sie uns kommen,
und wie da nie nein ist, man mag wollen, was man will. Gehe ich zum Wirth, so
bringe ich das beste Fleisch, Wein, wie er sagt, wie man ihn sonst nirgends
findet, nimmts mit Gewicht und Maas nicht spitz;meint nicht, daß ich jeden
Schoppen zahlen müsse. Ein Faß hat er uns zum Einbeizen geliehen, und mir
hundertmal gesagt: wenn ich was mangle, sei es Tag oder Nacht, so solle ich nur
herkommen, er zürne, wenn ich an einen andern Ort gehe, und wenn Niemand
gegenwärtig sei, nur nehmen ungenirt, was ich bedürfe; einen behülflicheren Mann
habe ich nirgends angetroffen, solche Leute sind rar, wo man sie findet, muß man
Sorge zu ihnen tragen. Ich muß sagen,es freut mich allemal, wenn ich ihn sehe,
und wenn ich schon nur Pächter bin, so schämt er sich meiner doch nicht. Er
Uili dachte, es sei doch eine verfluchte Sache mit der Eifersucht des Weiber.
Stelle man dem Weibervolk nicht nach, so erstrecke sie sich auch auf das
Männervolk, und am Ende dürfe man mit Niemand mehr reden als mit seinem Weibe
und dem Hund, doch mit diesem nur halblaut. Das
Dann aber wird wirklich Manches Eifersucht geheißen und als Eifersucht ausgelegt,
was es nicht ist. Wenn eine Frau den Mann vor Menschen warnt, sei es männlichen
oder weiblichen, wen sie ihn nicht gern Tage lang herumlaufen sieht, oder ganze
Nächte schwärmen laäßt, so kann dieses sehr edle Beweggründe haben, Sorge um den
Bestand des Hauswesens, Sorge für die Kinder, Sorge für Ehre und Wohlergehen des
Mannes selbst. Wir halten dafür, daß bei Vreneli die letzteren Gründe alleine
vorwalteten, und nicht wirkliche Eifersucht. Wir halten Eifersucht immer als den
Ausbruch des Bewußtseins der eigenen Schwäche oder der eigenen
Unliebenswürdigkeit und nun müssen wir sagen, daß Vreneli kräftiger im Charakter
und liebenswürdiger in seinem Wesen war als Uli, daß wir daher Vreneli nicht der
eigentlichen Eifersucht unterthan glauben. Uli nun aber nahm es freilich so,
wollte ein Exempel statuiren, und erzwang die beiden Pathen. Daß bei Vreneli
nicht Eifersucht im Spiel
Am Tauftage selbst hätte man von dieser Stimmung nichts bemerkt, denn kreuzlustig
war die Gesellschaft und kurzweiliger hätte es nicht zugehen können. Die Drucke,
worin die Schnurren und lächerlichen Erzählungen aufbewahrt liegen, im
Gedächtniß der Menschen, war aufgesprungen. Erzählungen, eine lustiger als die
andere, jagten sich, Joggeli lachte laut auf, und die Base fuhr ein über das
andere Mal mit der dicken Hand über die Augen, wischte die Thränen aus, welche
das Lachen hinein getrteben und bat um Gotteswillen, man solle doch aufhören, es
versprenge sie sonst. Mit diesen Drucken ists wunderlich, denn es giebt deren
mehrere in der Schatzkammer der Seele; da ist z. B.die Liederdrucke, die
Gespensterdrucke, die Krankheitsdrucke,die Liebesdrucke, und die große Grumpel-
oder Plauderdrucke. Diese Letztere ist immer bei der Hand, offen fast Tag und
Nacht, ohne Boden wie der Himmel, und enthält Alles, was wir vom Nächsten
gesehen, gehört, gerochen, geschmeckt, gefühlt, gedacht, gemeint, vermuthet und
geglaubt
*was gehört?“ Und mit großem Behagen führte er sich alle Verwunderung zu Gemüthe,
welche er auf den Gesichtern sammelte, und prägte sie tief in sein Gedächtniß,
um gelegentlich ste hervorznnehmeni und zu zeigen, wie die Verwunderung aussehe,
welche man einmal in einem Bauernhause gemacht,als er Champagner habe springen
lassen. Das nun schmerzte Vreneli sehr, daß man am Tauftag seines armen Bnbli
solch köstlichen Wein trinke, 2 Gulden die Flasche, von dem man sagte, daß ihn
der König von Frankreich nicht einmal so trinke. Das arme Kind vermöge sich
dessen nichts,nund doch werde es diesen gottlosen Aufwand mit büßen müssen, denn
Hochmuth komme vor dem Falle. Sie hätten kein Vermögen, die Andern nicht viel
mehr, und da koönne man doch denken, ob das gut kommen könne, wenn solche Leute
solchen Wein trinken wollten, wo sie ja nicht einmal den Verstand hätten, zu
wissen, ob er gut sei oder nicht?„Wenn bei Leuten, wie wir sind, solch Aufwand
getrieben wird, was sollen erst die Leute anfangen, welche tausendmal reicher
als wir sind? Einer, der mit solchem Weine kömmt, dem sehlt es entweder im Kopf,
oder es weiß der Teufel, was er im Sinn hat, allweg nichts Gutes, und wir können
den verfluchten Wein vielleicht einmal noch ganz anders bezahlen, als zu zwei
Gulden die Flasche.“ Es fand auch den Wein bitter, ganz abscheulich, während die
andern ihn nicht genug rühmen, freilich heimlicher unwillkührlicher Grimassen
sich nicht enthalten konnten. Es ist allenthalben Sitte, gut zu finden, was
kostbar ist, und schlecht, was wohlfeil ist, und was man alle Tage haben kann.
Darum sind so schrecklich viele Leute so schrecklich unglücklich, dieweil sie so
schrecklich dumm sind, daß sie meinen, sie müßten auch alles Schlechte haben,
was viel kostet und das Gute verachten, dieweil es wohlfeil ist. Da ist unser
lieber Herrgott gescheuter, und es wäre gut, wenn all unsere dummen Leute ein
Beispiel nehmen würden an ihm und so gescheut werden würden, wie er es ist. Er
hat die Kartoffel so wohlfeil gemacht, das Brot nicht theuer, läßt Kraut
wachsen, mehr als manchem lieb ist, läßt die Kühe süße Milch geben, und
Schlächter lernen das älteste Kuhfleisch als kräftiges Ochsenfleisch verkaufen,
läßt den Aermsten die kühnsten Zähne wach
Capitel II.Von einer Falle, welche Uli abtrappet, aber diesmal noch ohne Schaden.
Joggeli hatte das ganze Jahr hindurch Verdruß gehabt mit seinen Kindern; der
Tochtermann betrachtete sein Elist wie ein Schröpfhörnchen, wenn er Geld nöthig
hatte, setzte er es dem Vater auf den Hals. Der Johannes dagegen kam selbst
angefahren mit Gepolter und Schnauben, und holte seinen Theil unter Donner und
Blitz. Jedesmal, wenn eine solche Operation vorüber war, Joggeli in Schmerzen
lag und Lust zu einer Ohnmacht hatte, verschwor er sich hoch und theuer, das
müsse die letzte sein, möge es gehen wie es wolle, bei Lebtzeiten gebe er keinen
Kreutzer mehr. Und wenn sie wieder kamen, so ging es doch wieder, und Joggeli
mußte sich am Geldseckel operiren lassen, er mochte sich winden und drehen wie
er wollte. Als nun die Verfallzeit des Lehnzinses heranrückte, welche Sohn und
Tochtermann kannten so gut als er, war er in großer Verlegenheit, was machen.
Sollte er an Uli wachsen und versuchen, ob derselbe nicht eine Woche oder zwei
früher zahlen wolle, oder aber, daß er warten solle, bis der Sturm abgeschlagen
sei,mit dem Vorwande, der Pächter habe nicht bezahlt und könne nicht bezahlen.
Beides hatte seine zwei Seiten; kriegte er den Zins früher, so hatte er ihn
also, und das ist immer schön, wenn man einmal was hat; aber was dann
machen?
*
Im Hause durfte er das Geld nicht behalten, und brachte er es unter, so mußte er angeben, wo es sei? Sage er das,so ruhten die Hagle, Gott verzeih mir meine Sünde, nicht,bis ste es haben. „Das ist ein Elend,“ jammerte er. Sage er Uli, er solle nicht bezahlen auf den Termin, so sei das wohl gut, aber dann habe Uli das Geld und nicht er, könnte es ihm weiß Gott wann geben, und vielleicht gar ein Recht daraus machen, und alle Jahre später kommen mit dem Zins,bis er ihm zuletzt gar keinen gebe. Daranf könne er es also nicht ankommen lassen, kalkulirte er. Endlich schoß ihm ein Blitzgedanke durch das Haupt, er rieb mit vergnüglichem Gesichte die Hände und dachte, für solche Gedanken zu kriegen, muß man Joggeli in der Glungge sein. Man könnte manches Dorf auslaufen, ehe man einen fände, dem beifiele,was ihm. Der gute Joggeli war noch nicht zu der Erfahrung gekommen, was Einfälle, auf die man sich am meisten zu gute thut, für Schwänze haben! Er dachte, er wolle Uli sagen, derselbe solle ihm den Zins acht Tage zum Voraus geben, denselben wolle er gehörig in Sicherheit bringen,und wenn dann seine Blutsauger lämen, sagen, im Einverständniß mit Uli, Uli habe noch nicht bezahlt, er werde den Zins einstweilen nicht geben können. Er trug seinen Gedanken alsbald seiner Frau vor. „Was Tüfels ersinnest Du aber Dummes,“ sagte ihm diese; „das kömmt nicht gut,zähle darauf.“ „Ich wüßte eigentlich auch nicht, wann Du etwas gut gefunden hättest, was mir beigefallen, es war von Anfang so, und wird so bleiben bis ans Ende.“ So sprach Joggeli in zornigem Brummen, drehte sich und ging ab. Ging zu Uli und trug ihm den Handel vor. Uli war das sehr zuwider. Er glaube, sagte er, das Geld könne er geben, aber mit dem Verleugnen wollte er lieber nichts zu thun haben. Man könne am Ende nicht wissen, was das für Folgen haben könne, jedenfalls begehre er keinen Streit mit den Beiden, denn wenn sie ihm etwa auf den Hals steigen und wüst sagen würden, so nehme er dies nicht gelassen hin. „Habe nicht Kummer,“ sagte Joggeli, „ich will das schon machen, und Folgen hat es keine, gebe Dir eine gesetzliche Quittung und schreibe es alsbald ein. Es ist ein bloßer Gefallen, Dich kostet es nichts, und mir ists ein gro
ßer Dienst, und etwas wirst mir doch auch thun wollen,oder meinst etwa, es wäre nicht recht?“ Uli fügte sich,Vreneli hatte nichts dawider, begehrte bloß über den Alten auf, der immer was erlisteln wolle und andere hineinstoßen,und doch nichts ausrichte, weil er keinen Muth hätte, sondern allezeit das Herz in den Hosen.
Uli mußte ans Rechnen gehen vor der Zeit, und das war ihm sehr zuwider; nicht
deswegen, weil er dachte, es könnte der Pünktlichkeit schaden, wenn er acht oder
vierzehn Tage vor der Zeit die Rechnung schließe. Nein, daran dachte er gar
nicht; so einen Ketzer von Rechnung könne man ja ftellen wie man wolle, einige
Wochen vorwärts oder rückwärts, wie man wolle, darauf komme es nicht an, wenn es
ihm so recht sei. Akurat wie er mit dem Zeiger seiner Uhr auf zehn oder zwölf
fahren könne, je nach seinem Belieben,weil es ja seine Uhr sei und Niemand
weiters angehe. Aber solch Rechnen war ihm zuwider; solch Rechnen,zdicht alles
Rechnen, denn er rechnete eigentlich wo er ging und stand, wir hätien fast sagen
mögen, alle seine Gedanken haätten sich ins Rechnen aufgelöst, aber er rechnete
im Kopf,was dieses ihm eintragen, jenes kosten würde, wie vtele Malter er aus
jenem Acker machen, wie viel Flachs, wie viel Repps ꝛc., was er davon bei Seite
legen, und was er brauchen můsse, das ging ihm fort und fort im Kopf herum,
akurat wie ein Mühlrad, kam ihm im Traum vor,machte ihn zuweilen glücklich,
zumeist äber steinunglücklich.Er wollte halt reich werden, viel gewinnen,
stellte daher alle seine Rechnungen auf Gewinn, dachte hauptsächlich bloß an die
Einnahmen, Ausgaben sah er nicht, und dachte nicht daran. Die Einnahmen sieht
der Landmann vor sich in Aeckern und Wiesen, die Ausgaben kommen ungesinnet,
zerbrochene Wagen, abgesprengte Roßeisen fallen nicht zum Voraus ein,und“ an
eine Masse von Haushaltungsausgaben denkt ein Mann, namentlich ein junger,
nicht. Alle diese ungesinneten Ausgaben verdarben immer die Rechnung, er mußte
immer von vornen anfangen, verdarb damit alle andere Gedanken,und kam doch nicht
zu Ende. Aber auf dem Papier rechnen, zusammenziehen Alles, was man gemacht hat,
und zwar so, daß es sich treffen soll, ja, das ist was anders.
Bös hätte er gehabt, sagte Uli, ein Jahr verlebt, er möchte es leinem Hund gönnen, aber es sei doch was dabei heransgekommen, die geringern Dienstbotenlöhne seien doch wirk-sam. „Weiß nicht,“ sagte Vreneli, „ob der Gewinn daher kömmt, und ob wirklich ein Gewinn da ist.“ „He!“ sagte Uli, „wenn Du weißt, was zwei mal zwei ist, so sieh was da ist, so viel baar und noch so viel in Rechnung“ „Ja,“sagte Vreneli, „das Geld sehe ich, und wenn ich auch das sehen könnte, was noch in Rechnung ist, wäre es mir noch lieber.“ Da fuhr Uli auf, gab einen bösen Blick von sich,und ging hinaus. „Haben es ihm die Ketzer schon so weit angethan“ sagte Vreneli, „daß er blind ist, und man ihm über sie so weniger sagen darf, als einem Christen über seinen Herrgott?“
Diesmal konnte Joggeli mit Vehagen sein Geld zählen und hatte große Freude daran.
Uli hatte darauf gehalten,schönes Silber zu geben, was Kindern und andern Leuten
den Werth desselben bedeutend erhöht, jedenfalls immer ein Zeichen von Achtung
und dem Wunsche ist, in Huld zu bleiben. Als Joggeli es genug gezählt hatte,
ging die Sorge für das Verbergen an, welche nicht größer hätte sein kön
*auch nicht empfangen; der Pächter sei nicht bei Gelde, er habe ihm Stündigung
gestattet. Sie sollten doch nicht thun wie Hungerleider, welche den Lohn immer
zum Voraus einzögen.“ „Wenn sie Hungerleider wären, so sei Niemand anders Schuld
als er, weil er sie Hunger leiden lasse, und wenn da was zu schämen sei, so
komme es an ihn,“ sagte der Tochtermann und ging hinaus. Nun setzte Johannes mit
Ungestüm auf den Vater ein, brach aber plötzlich ab,und fuhr auch zur Thüre
hinaus. Er hatte durch das Fenster den Schwager hinüber zu Uli gehen sehen, und
faßte alsbald, was der drüben wollte, und machte sich ihm nach.Joggeli lächelte
ihm nach, kriegte aber alsbald Angst, Uli möchte vielleicht mit der Wahrheit
ausrücken. Gut sei es,daß er ihm die Quittuug noch nicht gegeben, dachte er, er
könne es allweg nicht beweisen, und da wüßten die Blutsauger nicht, woran sie
seien, und wem sie glauben sollten.Drüben ging ein tapferer Lärm an. Erst biß
der Baumwollenhändler nach dem Schwager, was er ihm nachzulauhabe, darauf
fertigte Johannes dem Schwager grob genug ab. Darauf manðoverirten Beide gegen
Uli. Erst kamen sie mit Manier und wünschten auf Abschlag so viel Geld,als er im
Hause hätte, es sei des Vaters Wille und Begehr, daß er gebe. „Da komme er schön
in die Klemme,“dachte Uli, „der Alte stelle ihm zum Ausessen die Suppe dar,
welche er selbst nicht möge.“ Uli entschuldte sich, „er habe nur das nöthigste
Geld für die Hauskosten bei der Hand, am Zins könne er nichts machen, er habe
ein böses Jahr gehabt, Mehreres ausstehen, Anderes nicht verkaufen fönnen, so
sei es ihm unmöglich, ihnen mit Geld an die Hand zu gehen. Nun reden die Beiden
erst von Lumpenwaare und Hudelbuben, so komme man dran, wenn man Leute von der
Gasse nehme, da hätte man keine Sicherheit,die machten sich nichts daraus, mit
dem Schelmen davon zu gehen. Das kam Uli über den Magen. „Wenn es mit dem
Schelmen davon gelaufen sein müsse, so sei er in alle Wege der Letzte von ihnen
Dreien, welcher laufe,“ sagte er.„Zuletzt,“ sagte der Tochtermann, „ist das ein
abgeredet Spiel, sie stecken Beide unter einer Decke. Es war schon lange der
Gebrauch hier, die Kinder zu betrügen, zum Be
Rasch ging sie zum Bette, warf den untern Theil auf den obern zurück, zog aus dem
Strohsack einen schweren,klingenden Beutel, den sie kaum heben mochte, sagte, da
sei die rechte Quittung, und wenn die sei, wo sie hin gehöre,so werde die Sache
sich schon machen. Ehe die Andern recht wußten, was geschah, war sie zur Thüre
hinaus. Unter der Hausthüre sah sie Vreneli, welches aufgepaßt hatte,stellte den
Beutel ab und winkte. Rasch war es drüben.„Nimm, lauf, der Athem fehlt,“ sagte
die Base. Vreneli nahm, lief und war in ihrem Hause, ehe die Andern sich gefaßt
hatten und nachgestolpert kamen. Nun, das Ende vom Liede war, daß Joggeli wieder
um den größten Theil des Geldes kam. „Aber Base,“ sagte Vreneli, „ist der Vetter
wirklich so schlecht, daß er begehrte, arme Leute um Hab
Kaum hatte der Johannes gemacht, wie die Mutter es vorausgesagt, kam der
Tochtermann, hätte die Mutter gerne gestreichelt ünd gehätschelt, wenn sie nicht
drei Schritte rück
Capitel 12.
Dienstboten-Elend.Anfangs war Uli mit seinem Dienstbotenpersonal so übel nicht zufrieden gewesen. „Er glaube, er habe es getroffen, es gehe besser als im letzten Jahre,“ sagte er zu Vreneli. „Rühme nicht zu früh,“ sagte Vreneli; „neue Besen kehren gut; natürlich plumpst so ein neuer Knecht oder eine neue Magd, welche zur zweiten Abtheilung der dritten Klasse gehören, nicht so mit allen Lastern zur Thüre herein. Der Knecht macht ein Sonntagsgesicht und stellt sich gut nach Vermögen, theils will er ein gutes Vorurtheil für sich erwerben, theils muß er doch erst die Gelegenheit erkundschaften, die Faden suchen, sein alt Leben am neuen Orte anzuknüpfen. Zudem mag in Manchem wirklich der Sinn sich regen, anders thun wäre besser, so komme es am Ende doch nicht gut. An einem neuen Orte, wo die alten Gefährten,die alten Gelegenheiten fehlten, er das Auslachen nicht zu fürchten hatte, ließe es sich schon thun. Er nimut sich zusammen, thut gut einige Wochen, bis der Teufel ihm nachgeschlichen ist, ihn wieder gefunden, neue Gelegenheit bereitet hat, die Begierden im Leibe recht gierig und hungrig geworven sind; da geht es wieder los und der neue Besen ist
Ali, der Pächter. 11
7 *1 er gerne sein Pfeifchen, oder am Sonntage statt eines Schoppens,“ so sagte Uli: „dawider könne er nichts haben, lieber wärs ihm freilich, es würde gar nicht geschehen. Aber bei der Arbeit und in der Scheune wolle er es durchaus nicht haben, das sage er rund weg.“ Begreiflich sagte der Knecht,das verstehe sich von selbst, hatte aber natürlich keinen Augenblick im Sinn, auch also zu thun.
So hatte er es auch mit dem Karrer gehabt und der auch gesagt: „Das versteht sich von selbst.“ Nun aber merkte Uli, daß derselbe sein Wort nicht hielt, sondern mehr und mehr bei der Arbeit rauchte, und starken Verdacht hatte er, er rauche auch Abends oder Morgens, wenn er glaubte,der Meister komme nicht dazu im Sialle. Wenn Uli kam unversehens, sah er natürlich keine Pfeife mehr, und wenn er fragte: „wer geraucht habe, er rieche Taback?“ so erhielt er zur Antwort: „man wisse es nicht, es sei vielleicht Jemand rauchend vorüber gegangen.“ Sah er ihn rauchen und mahnte, es wäre ihm hieber, es geschehe nicht, so steckte der Karrer Anfangs schweigend die Pfeife in die Tasche,später sagte er: „sie sei alsbäld ausgebrannt,“ endlich meinte er: „o ein Pfeischen werde doch wohl erlaubt sein, er hätte noch keinen Meister angetroffen, der so unvernünftig in der Sache gewesen.“ Der gute Karrer war durchaus ungebildet,aber er kannte aus Instinkt die Art und Weise, wie man in Gesetz und Ordnung einbricht und am Ende sie mit Füßen tritt.In Friesland, dem Meere nach, im Emmthal, der Emme nach,sind Teiche oder Dämme, läßt man in einem solchen Damm ein Mäuseloch unverstopft und unverstampft, so kann man darauf zählen, es geht nicht lange, so bricht durch das kleine Löchlein die gewaltige Fluth, reißt es auf zu weitem Bruch,bringt Graus und Zerstörung über das dahinter liegende Land.Es ist wirklich sehr schön, wie es zugeht in der Welt!Erst kommen Mörder, Diebe und sonstige Spitzbuben von allen Sorten, und machen in Gesetz und Ordnung die Mauselöcher, dann kommen Richter, mit bloöden Augen, blöden Verstand, und blödem Gewissen und übersehen die Mauselöcher, und hintendrein kommt die Springfluih sturmköpfischer Juristen, reißt Gesetz und Ordnung ein, beweist
11
2 8 angestochen, roch nach Branntenwein auf Schussesweite, setzte die Beine
auseinander und verstellte zu beiden Seiten, wie ein Matrose, der drei Jahre
hintereinander ununterbrochen zur See gewesen. Uli stellte ihn zur Rede, er
möchte doch wissen, was das zu bedeuten hätte. Da begann der Karrer gar wehlich
an zu wimmern, wie Ar einer grausamen Krankheit unterworfen sei, Magenkrämpfe
sage man ihr. Es sei akurat die gleiche, an welcher der Bonaparie gestorben. Er
hätte gemeint, er müsse sich todtkrümmen, kein Doktor habe ihm helfen können. Da
sei einmal Einer zu ihm gekommen,ganz ungesähr und habe gesehen, wie er thun
müsse, wenn die Krämpfe ihn ankämen. Der habe gesagt, er wolle ihm schon helfen,
das seien eben akurat die gleichen Krämpfe,welche der Bonaparte gehabt,
Magenkrebs sage man ihnen.Hätte er es zu rechter Zeit vernommen, so hätte er Roß
und Wägeli genommen und wäre zu ihm gefahren, dem hätte er helfen wollen; da
wäre er ein reicher Mann geworden.Als er es vernommen, sei er schon todt
gewesen, da hätte er begreiflich nichts mehr machen können. Aber, wenn er
Jemanden helfen könne, so helfe er und wenn ich wolle, so wolle er mir auch
helfen. Was habe ich anders wollen,wenn ein Mann, wie der Bonaparte, dran hat
sterben müssen, was hatte ich zu erwarten? Ihr, Meister, wißt nicht,was solche
Krämpfe bedeuten, wo es einem ist, als hätten zwei Wäschweiber den Magen in den
Händen, und drehten ihn und drehten ihn und wenn sie mit den Händen nicht mehr
mögen, mit Stöcken, daß man meint, die Seele fahre zum Hirn aus. Ich nahm also
das Mittel, es ist starkes Zeug, es gleicht dem Wachholderbranntwein, wenn ich
davon nehmen müß, weiß ich oft lange nicht, stehe ich auf dem Kopfe oder auf den
Füßen. Aber was sein muß, muß sein, und Ihr werdet es mir nicht verbieten
wollen, so unvernünftig war noch kein Meister, bei welchem ich gewesen.“Was
sollte Uli machen? Sollte er so unvernünftig sein,wie der Karrer noch Keinen
getroffen? Er konnte unter Angst und Bangen Tag und Nacht nachsehen, damit. kein
Unglück geschehe, und er eine Gelegenheit finde, den Kerl fortzujagen, ohne ihm
den ganzen Jahrlohn bezahlen zu müssen.
Vreneli war eine von den Hausfrauen, welche nicht mißtrauisch sind, aber es im
Gefühl haben, wenn etwas neben ausgeht. Sie haben die zweite Art von Instinkt,
welcher nicht sowohl angeboren, als von Jugend auf angewöhnt wird, eben wenn man
von Jugend auf bei einer Sache ist. Es warf natürlich sein Auge auf den
Melcker,Mädi seine Adjutantin unterstützte es getreulich, aber sie konnten
nichts erkunden. Der Melker war eine bequeme Natur, machte nicht mehr als er
mußte, und that so liederlich er durfte, ohne ausgescholten zu werden. Aber er
war nicht undienstfertig, brauchte gute Worte, kurz er hatte etwas, welches
namentlich dem Weibervolk gar nicht unangenehm ist.Er war oft Nachts nicht
daheim, doch am Morgen zumeist zu rechter Zeit da, so daß weiter nicht viel
gesagt werden konnte. Man mußte es als eine Unart betrachten, welche leider noch
viele haben. Da der Melker unschuldig schien,die Hühner aber wie verhexet,
begann Vreneli Verdacht auf Marder oder auf Katzen, welche zuweilen auch
Eierliebhaber sind, zu werfen, obschon man keine Schalen fand. Es war VV
Maßregeln zumeist lange in Rede stehen, ehe sie zur Ausführung kommen, werden
fie oft durch etwas Unvorhergesehenes ganz überflüssig gemacht. Wie gewohnt, kam
einmal die Eierfrau, und hätte gerne cine mächtige Ladung Eier gekauft für einen
Bäcker, welcher das Backwerk zu einer großen Hochzeit zu liefern hatte. Vreneli
konnte Wenige geben und klagte seine Noth. „Wenn es an Heren glaubte,
2 stellte es auf den Boden, ließ es träppeln und stampfen, segelte mit ihm in der
Richtung, nach welcher das kleine Ding mit den Füßchen strebte, mit den Händchen
zeigte. Sie lebten selig zusammen, das Mädi hatte volle Zeit, dem lieblichen
Spiele sich hinzugeben. Der Ruf des Gewissens, daß es den Lohn habe zur Arbeit
und nicht zum Tändeln, versalzte ihm die Freude nicht, dieweil es Sonntag war,
und das Vreneli wurde nirgends hingesetzt mit einem Steinchen oder Blümchen,
welche weder reden noch laufen konnten, um mit ihnen sich die Zeit zu
vertreiben. Es ist eine gar strebsame, bildungshungerige Zeit, die Zeit vom
zehnten Lebensmongat hinweg. Da ist's über einem freundlichen Kinde alle Tage
wie über der Erde an jedem schönen Frühlingsmorgen.Neue Herrlichkeit hat sich
entfaltet, es ist ein Anderes geworden, und doch das gleiche geblieben, denn die
Freude ist über Nacht neu geworden, hat neue Pracht entdect, über Nacht erblüht.
Aber stumm sind die Blümchen, keine Beine haben die Steinchen, wohl. spielt das
Kind mit ihnen, aber nicht lange; es wird ihm öde dabei, und unheimlich unbewußt
ist es ihm, als solle es nicht reden lernen, als müsse es fitzen bleiben auf der
gleichen Stelle lebenslang. Darum aber wird es dem Kinde wie dem Fischlein im
Bache, wenn eine gute Seele mit ihm springt und spricht, spricht und springt, es
trampelt mit den Füßchen, schlägt mit den Händen, hell jauchzt es auf, ihm ist,
als gehe es zum Himmel auf. Weiter und weiter strebet es, hinaus in die
Welt.Plötzlich kehrt es sich um, streckt die Händchen auf nach dem Halse des
Gefährten, birgt das Gesichtchen an seiner Brust,segeit mit allen Kräften
heimwärts. Ein fremd Gesicht hat es gesehen, etwas Ungewohntes hat seine Sinne
berührt, es fühlt plötzlich sich fremd in der weiten Welt, das Heimweh taucht
auf in seinem kleinen Herzen, es beruhigt sich nicht,bis daß die Heimath es
wieder umfängt. Zu klein waren noch die Flügel für die weite große Welt. So
waren Mädeli und Vreneli trappelnd und jauchzend auf Reisen gegangen,waren nach
vielen Irrfahrten endlich hinter einen alten Holzschopf gekommen, um welchen
allerlei Gräbel lag, und namentlich altes sogenanntes Zäunel olz, mit welchem
man im Herbst beim Weidgang provisorische Zäune herzustellen pflegt.
Indessen gab es doch ein verwundert Gesicht. Vreneli hatte plötzlich eine
Erscheinung. In dem alten Zaunstecken raschelte es, ein prächtig gelbes Huhn
trat majestätisch aus demselben und verkündete der Weit mit hellem Geschrei
seine eigene Heldenthat, es habe nämlich ein Ei gelegt. „Ja so,Du
Ketzters-Täsche, legst Du da, das wäre mir nicht beigefallen,“ sagte Mädi; „so
geht es in der Welt immer anders und schlechter. Hier zu legen fiel noch keinem
Huhn ein,aber es ist Alles gleich, Menschen und Hühner, es muß Alles verstohlen
und verschleppt sein, da ist Niemand mehr zu trauen. Vreneli, welches am
gackelnden Huhn seine Freude hatte, ward ins Gras gesetzt, und Mädi kroch dem
entdeckten Schatze nach ins alte Holz hinein. „Tüfel! Tüfel!“rief es plötzlich
aus dem Holze. Doch sah Mädi nicht wirklich den Teufel, sondern was anderes. Es
fand nicht soviel Eier hier als es gehofft, dif etwa vier oder fünfe. Das Nest
fiel ihm auf, es schien nicht von einem Huhn, sondern von einem Menschen
gemacht; zudem war ein altes Nestei darin. Mädi war Expertin im Hühnerfach; es
wäre gut,es würden in keinem Fache schlechtere Experte gebraucht.Mädi schloß
alsbald, das sei nicht bloß eine einfache Hühnerverlegete, wo einfach ein Huhn
sein Naturrecht geltend macht, seine Eier legt wohin es will, und nicht wo die
Frau Principalin will, um Brüten zu können, wenn es ihm ankömmt, ohne es der
Willkühr der Frau Principalin zu unterstellen, welche im Stande ist, ihm zum
Dank für seine Bereitwilligkeit, das Nest mit Nesseln zu reiben. Mädi schloß
alsbald auf eine menschliche Schelmerei welche den Hühnern hier, an dem
abgelegenen Orte, ein Nest gemacht und sie durch bekannte Mittel verführt, ihre
Eier an den Ort zu legen, an den kein ehrlicher Mensch dachte. Als Mädi sich
kundig umsah nach allen Merkmalen, welche zu einem sichern Schlusse führen
konnten, sah es nebenbei im alten schwarzen Holz was Weißes, und als es dasselbe
hervorzog, war es eine große Milchflasche von weißem Bleche
Es giebt auf der Welt nichts Fatalers, frage man nur jeden Knaben, als wenn man
am seichten Bache stund,einen großen Fisch unter einen alten Weidstock fahren
sah,rasch sich niederlegte, mit der Hand nachfuhr, Lebendiges in die Hand
kriegte, raus fuhr und man hat eine Kröte in der Hand nicht den Fisch, und wenn
man die Hand wieder nachstreckt, ist kein Fisch mehr da, man hat nichts mehr,
als das Gramseln in der Hand von der Kröte her und den Aerger über den falschen
Griff. Mädi hatte gemeint, was es habe an Flasche und Eiern, aber den Fisch
hatte es doch nicht, der Fisch war fort. Als nun der Fisch sich gar nicht finden
wollte, sagte Uli unwillig: „Du bist immer das gleiche dumme Mädi, wirst Dein
Lebtag nicht gescheut,warum mußte nicht Jemand anders die Sachen finden!Wenn man
WVögel fangen will, brüllt man nicht die Haut voll. Hättest Alles am Orte
gelassen, wo Tu es gefunden und mir es gesagt, dann wäre ich auf der Lauer
gestanden hätte den Dieb mit den Sachen in der Hand erwischt, und der Handel
hätte eine Nase gehabt. Jetzt ist es aus, denn wenn man einen Dieb nicht kriegt,
wenn er die Sache genommen hat und sieben Zeugen, welche gesehen haben, daß er
sie wirklich genommen und nicht bloß gefunden, so hat man das Nachsehen und kann
die Kosten bezahlen.“ „Ist
Von Mädis Entdeckung hatte er keinen Nutzen gehabt, aber ein andauernder Verdruß schien ihm daraus erwachfen zu wollen. Mädi aber gingen diese Worte tief und eiterten,das ist das Schlimmste aller Uebel, wenn Worte eitern, und doch wissen so viele Menschen nichts von dieser Krankheit.Mädi hatte einen Schwung genommen, es hatte sich ihm der Himmel aufgethan zu einer großen That, aber nur von Ferne hatte es das gelobte Land gesehen, als es über die Schwelle wollte, entschwand die ganze Herrlichkeit gleich der Fata Morgana in den Wüsten Afrika's; es follte blos das wüste böse Mädi sein, recht in keinen Schuh. Das schlug ihm ins Gemüth, machte es unwirsch, mißtrauisch, böfe gegen Alle. Nie dachte es daran, daß in ihm eine Schuld des ganzen Elends liege, statt Vrenelis Hülfe, ward es Vrenelis Plage. Der dümmste Junge kann ein Glas Wasser färben, mit einigen dunkeln Tropfen, aber getrübtes Wasser klar machen, gesalzenes Wasser wieder süß, eine überpfefferte Suppe genießbar, das kann kein dummer Junge, das kann mancher Gelehrte nicht, es ist Arbeit für eine höhere Hand.Es ist gar wunderbar, wie die Mischungen in den Gemüthern sich machen, und wer achtet auf die Tropfen alle,welche in die Gemüther fallen, sie zuckern oder pfeffern, säuren oder salzen, und wer verstehts, Salz und Pfeffer zuthun ans rechte Ort, wieder wegzubringen vom unrechten und zu passender Zeit?
Mädi hatte einen von den Köpfen, für welche man im Bernerland ein prächtig Wort
hat, das Wort „eitönig“,einen Kopf, in welchen nur ein Ton Platz hat, und klingt
der einmal, weder mit Liebe noch Gewalt ein anderer Ton hervorzubringen ist, im
Gegentheil, je mehr man es anders tönen machen will, desto stärker tönet der
gleiche alte Ton.Indessen der Krug geht so lange zum Wasser, bis er bricht.Den
Melcker ertappte man freilich nicht als Dieb, fand weder Eier noch Milch mehr,
aber die Kühe bekamen kranke Euter, die Milch ward ziegerig. Uli, der sich auf
Kühe verstund, suchte alsbald die Schulde beim Melker. Er sah ihm zu, er
visitirte einige Male die Kühe, ob der Melcker etwa nicht gehörig ausmelcke,
Milch in den Eutern
„Sieh,“ sagte dieser, „das ist von den Feinern einer,dem kannst lange aufpassen,
der riecht hinten und vornen,nimmt nicht die leere Guttern zur gewohnten Zeit
zum Melken und stellt sie neben sich als hätte sie das Recht dazu,oder läßt
einzelne Kühe oder Striche an den Eutern ungemolken, der rupft dir an den Kühen,
wenn er sich ganz sicher weiß, um Mitternacht, um Mittag, kurz, wenn nichts zu
fürchten ist. Der treibt das nicht zum erstenmal und nicht zum letzten. Was
willst Du Dich plagen, Dich auf die Lauer legen, bis Du halb todt bist, mach,
daß Du von ihm kömmst, so bald als möglich. Begehre mit ihm auf aus dem FF,
wegen den kranken Kühen, sage ihm, er sei Bub, kein Melker, vielleicht wirft er
Dir den Bündel dar,und magst Du ihn nur mit dem kleinen Finger erreichen,so hebe
ihn auf und mach Weihnacht. Der Lumpenkerl verpfuscht Dir in einem Jahr zehnmal
mehr als sein Lohn beträgt.“ Das begriff Uli, aber der Melker biß nicht in den
Apfel, der wollte nicht thöricht sein und um seinen Platz kommen, ehe das Jahr
um war, er nahm seinen Worten gehörig das Maaß und sagte höchstens, er sei schon
an manchem Orte Melker gewesen, noch habe ihm Niemand gesagt,er könne nicht
melken, man solle doch seine Zeugnisse nachsehen, ob was darin stehe, daß er
nicht melken könne, den Kühen die Euter verderbe. Aber was für ein Meister er
sei, sei zu Stadt und Land bekannt, und wenn er ihm nicht recht sei, könne er
ihn senden, er gehe auf sein Geheiß die erste Stunde, aber dann wolle er auch
den Lohn für das ganze Jahr, nach Brauch und Gesetz. Das war Uli auch nicht
anständig, er marterte sich lieber mit Zorn,Angst und Aufpassen, ward immer
saurer und übler im Gemüthe; es war nichts mehr da, welches die Wolken
zersetzte,den Nebel auflöste, die finstern Stimmungen abklärte in milde und
freundliche. Sonst thut dieses das Auge Gottes oder das Licht von oben, wenn
eine Seele sich ihm auffchließt,hinein die hellen Strahlen leuchten, oder es
thuts der Hauch der Liebe, wenn er leise säuselt um die düstere Stirne, oder
Daß es so ist, zeigte Gott. Es war gegen Herbst, als man mitten in der Nacht ein
mörderlich Geschrei vernahm,das durch das ganze Haus drang, und selbst die
Kinder weckte. Uli fuhr auf, zündete alsbald, wie es einem guten Hausvater
ziemt, die Laterne an, um zu sehen, was es füͤr ein Unglück gegeben. Uli hielt
dafür, es seien Kiltbuben an einander gekommen und einer schwer getroffen oder
gestochen worden. Als er vor das Haus kam, war es stille draußen. Von den
Knechten, welche herbei kamen, wollte der eine es dort vernommen haben, ein
anderer in entgegengesetzter Richtung. Man suchte hier, man suchte dort, und
ällerwärts umsonst. Man horchte in die stille Nacht hinein,man vernahm weder
Fußtritte Fliehender, noch Seufzen oder Röcheln eines Verwundeten. Das Ding ward
unheimlich,den Meisten rieselte es kalt den Rücken auf, doch nur Einer sprach es
aus und sagte; „Er möchte zu Bette gehen, das Ding gefalle ihm nicht, es sei
nicht ein Schrei gewesen, wie ein anderer, und wer zu neugierig sei, lese leicht
eine geuli, der Püchter 12
Mädi begehrte schrecklich auf über diese Zumuthung,aber nicht weil es sich ein Gewissen daraus gemacht hätte,die That zu thun, sondern weil es sie nicht gethan und doch jetzt Schuld sein sollte. Es sei nur da um Sündenbock zu sein und das fei ihm erleidet, und jetzt sollte es noch den Melcker erhalten. Je böser Mädi wurde, desto mehr hatten die Andern Freude daran, da half alles Zureden nichts, nichts bei Mädi, nichts bei den Andern, ein täglichet Krieg war los, so daß wenn der Melcker schon fort war, das Leben um nichts freundlicher wurde.
12*
Capitel 13.Von Haushaltungs-Nöthen und daherigen Stimmungen.Vreneli ward das Leben wirklich schwer. Sie hatten zu allem Verdruß im Inwendigen, auch nach Außen nicht Glück gehabt. Es war nicht eigentlich Mißwachs, aber ein mager Jahr, wo es wenig zu verkaufen gab. Das sogenannte Beiwerk fiel größtentheils weg, der Lewat gerieth nicht, der Flachs war nicht gut, Obst gab es keins, hinter den Kartoffeln waren die Käfer, das Gras war nicht melchig, d. h. die Kühe gaben wenig Milch dabei, es hatte zu viel geregnet; das Korn war gefallen, brandig, gab wenig aus in der Tenne, das Geld im Schranke wolltie sich nicht mehren, die Kasten im Speicher sich nicht füllen; es füllte sich nichts als Ulis Seele mit Ungeduld und Mißmuth und Vrenelis Seele mit Wehmuth.
Vreneli hatte, wie wir wissen, aristokratisches Blut in seinen Adern und einen
nobeln Sinn, wie er einer wahren Bäuerin so wohl ansteht, und ihr eine Bedeutung
im Volksleben giebt, welche selten ein Mann erringt. Drei Dinge hat so eine
Bäurin, einen verständigen Sinn, einen goldenen Mund und eine offene Hand. Ein
gut mild Wort thut einem armen Weibe, welches nur an schelten und harte Worte
gewöhnt ist, viel besser, als eine schöne Gabe und ein verständiger Nath ist oft
weit nöthiger, als ein reiches Almosen. So ein „Kumm m'r z'hülf“ in aller Noth
ist ein Posten, der weder erschlichen noch ererbt werden kann, er wird aus
freier Wahl nach Verdienst vergeben. So war es auch Vreneli allmählig gegangen.
Die Weiber der Tagelöhner,anderer Arbeiter u. s. w. hatten sich ihm allmählig
zugewandt, da es häufiger mit ihnen in Verkehr kam, als die Mutter, auch
rüstiger Hand bieten konnte an einem Krankenlager, oder wenn eine Kindbetterin
in Nöthen war. Begreiflich nahm dieses Amt etwas Zeit hinweg, und noch Allerlei
anderes, wenn man z. B. im Kuchenschrank einer Wöchnerin nicht so viel fand, um
eine stockblinde Suppe zu machen, und im ganzen Häuschen kein Hudelchen groß
genug,
Auf Alles guckte er und Allem sah er nach, Alles was gebraucht wurde, biß ihn,
nund was fortgetragen wurde ging durch seine Seeie. Uli hatte ein nicht ganz so
beschränkses Hirn als Mädi, aber wenn ihn was recht erfaßte, ward er immer so
eintönig, nur eines und immer das Gleiche,klang in ihm nach. Jetzt fiel ihm
Vrenelis Ehrenamt spizzig in die Augen. „Du kannst geben, bis wir selbst nichts
mehr haben, sieh dann zu, wer Dir geben wird. Die und die ist aber mai eine
ganze Stunde bei Dir gestanden, hat nichts gethan und Dich versäumt. Wundern muß
man sich nicht,
Vreneli konnte es nicht übers Herz bringen, das Bübchen in das Ungethüm zu
stecken. „Aus einem Kinde eine Vogelscheuche zu machen, sei eine Sünde,“ sagte
es, „so was könne einem Kinde sein Lebtag nachgehen. Wer ein Kind so spöttisch
verpuppt gesehen, der erinnere sich daran,wenn das Kind ihm längst erwachsen vor
die Augen komme,nehme es für dumm und lächerlich, und gewöhne sich mit Mühe
daran, die Sünden der Eltern zu vergessen und das verständig gewordene Kind als
verständig anzunehmen.“Vreneli kauste dem Bürschchen ein klein Käpplein,
wohlfeil und doch schön und was will man mehr. Darüber ward Uli auch wieder sehr
böse. „Unnütz Geld auszugeben, sollte man sich hüten in solchen Umständen,“
sagte er. „Es werde sehen, wie weit man komme damit, aber dann werde es zu spät
sein. Die Hoffahrt habe reichere Leute auf die Gasse gebracht, und dummer sei
nichts, als vorstellen zu wollen,was man nicht sei, was man erst mit Mühe und
Noth werden könne. Uebrigens begreife er nicht, was ihm an der Kappe nicht recht
sei, ihm gefalle sie und zwar besser als die, für welche es Geld verschleudert.
Es sei aber nur Weiber Wunderlichkeit, weil es die Wirthin hasse, so gefalle ihm
nichts, was von ihr komme. So eine Wirthin, welche an einer Straße wohne, wo
alle Tage Herrschaften vorbeiführen, Engeländer und Huttlöyter, werde doch wohl
besser wissen, was schön sei und Mode, als so eine Pächtersfrau,welche Jahr aus,
Jahr ein Niemand sehe als die Eierfrau,den Hühnerträger und zuweilen einen
Lumpensammler. Und daß es das Bübli nur den er wußte selbst nicht, wie er dem
rothen Thurm sagen sollte tragen lasse! Wenn die Wirthin mal käme, und das Kind
hätte ihn nicht auf dem Kopfe, so hätte sie es ungern und meinte, man schätzte
ihn nicht.“ Uli hatte für derlei Dinge durchaus keinen Sinn.Was nichts kostete,
gefiel ihm am Besten; daneben dann, was so recht buntschedigt war, so recht
himmelschreiend. Er meinte auch, für Kinder sei gleich Alles gut und je weniger
Es giebt nicht bloß Familien, sondern ganze Geschlechter bis ins dritte und vierte Glied, welche ihr Lebtag üngewaschen scheinen, alle Kleider an ihnen schmutzig, ja Leib und Seele schmutzig, sie mögen sich gebehrden, kleiden so kostbar sie wollen. Wir glauben, Demanten würden auf ihren Personen den Glanz verlieren und Farbe kriegen, wie abgestandener Froschlaich. Wenn sie auch vornehm werden, diese abgestandenen Gesichter und nach Seife und Pomade langen, erst im dritten und vierten Glied fängt man an zu merken, daß da was Ungewöhnliches in Gebrauch gekommen. Uli gehörte nicht zu diesem Schmutzgüggelgeschlecht,er war im Gegentheil, er mochte machen was er wollte,immer sauber anzusehen; aber er war von Natur so, und wußte nicht, wie schnell man in die Familie der Schmutzgüggel gerathen kann. Je mehr Mädi aus dem Haäuschen kam, desto mehr kam an Vreneli. Viel machen, macht sich noch, aber viel machen und nicht das Rechte machen, und daher nicht genug schaffen können, das ist hart und drückt schwer aufs Herz, besonders wenn man noch was unter dem Herzen hat. Auch am Essen mäkelte er, es war ihm micht mehr recht. Es klagen gar viele Weiber, sie könnten es ihren Muannern nicht gut genug geben, das ist von den Wei
2*bern dumm, sobald ihnen die Männer Geld genng geben,und Geld dafür da ist. Lernen sie halt besser kochen, nehmen sie sich die Mühe nachzusehen, wenn was in der Küche ist, und nachzudenken zu rechter Zeit und nicht erst, wenn es auf den Tisch sollte, was sie in die Küche geben, so wird das Ding sich wohl machen, der Mann müßte dann gar ein Unflath sein. Aber wenn die Frau es zu gut giebt,schlechter geben soll, als es sich mit ihrem Gewissen ververträgt, weil sie denkt, Dienstboten seien doch eigentlich,genau genommen, keine Hunde, wenn sie zehn und mehr Fahre gekocht mit Verstand und zur Zufriedenhrit, und auf einmal ists nicht mehr recht, sie sollte es mit dem Halben machen, und hat doch gleich viel Mäuler zu sättigen oder noch mehr, deun je schlechtere Arbeiter man hat, desto mehr muß man ihrer haben, und schlechte Arbeiter essen zumeist mehr als gute, dann ists böse, denn es ist nichts böser, als wenn man mit Bewußtsein und wider Willen unverständig handeln soll. Es ist wohl nichts dümmer auf der Welt, als wenn man zu schlecht zu essen giebt und es besser geben könnte. Es ist dumm und schlecht, wenn man es der eigenen Familie zu schlecht giebt, da wachsen keine Kräfte nach,die Kinder müssen es oft büßen lebenslang; hat ähnliche Folgen, wie wenn man das Land, den Boden ermagern läßt.Es s'ist aber noch viel dümmer, wenn man fremde Leute zu schlecht hält, erstlich wird man tapfer verbrüllet und zweitens stehlen sie wieder an der Arbeit ab, was man ihnen am Essen abstiehlt, das fehlt nicht. Das Sprüchwort: „eine Hand wäscht die andere,“ erwährt sich wohl nirgend unfehlbarer als hier.
Es isi sonderbar, wie Menschen in einfachen Dingen so wunderliche Augen oder
Gedanken haben können. Uli wollte es nicht schlecht geben, aber minder gut. Ihm
möge es eine große Summe bringen im Jahr, die andern merkten es nicht oder
hätten jedenfalls nicht weniger, meinte er.Der gute Uli haätte vergessen, wie
feine Nasen die dümmsten Diensiboten in dieser Beziehung haben, und wie hoch sie
den geringsten Abbruch anschlagen, er dachte jetzt so wenig daran,als srüher an
der Ernte, denn es sind gar viele Leute,welche meinen, sie alleine hätten ein
Hirn zum mer
Die Weiber mögen urtheilen, ob der Rath der Base richtig oder unrichtig war,
Vreneii glaubte daran und versuchte ihn, wenn er auch schwer war in seiner
Ausführung.Das Andauernde, Stätige ist viel schwerer als einzeine Heldenthaten
oft Früchte flüchtiger Aufwallungen. Schwer ists,immer liebenswürdig zu blesben,
wenn das Herz voll Leid und Kummer ist. Man stoße sich nicht eiwa am
Worie,liebenswürdig; wir halten dafür, Weib sei Weib, stehe es am Heerde oder im
Tanzsaale, manöverire es im Salon oder vor dem Schweinestall und meinen, es
könne und solle allerwärts wahrhaft liebenswürdig sein. Denn die wahre
Liebenswürdigkeit hängt nicht am seidenen Kleide oder an himmlisch gekäͤmmten
Haaren, sondern am Herzen, welches sich auf einem freundlichen Gesichte
spiegelt. Man halte es auch nicht sür Heuchelei, wenn man ein freundlich Gesicht
macht, während das Herz voll Leid und Kummer ist. Leid und Kummer sind Zustände,
welche man immer zu überwältigen, ihr Weitergreifen zu verhindern hat. Jeder
Zoll Haut, welche man von ihnen befreit, ist großer Gewinn.Gewinnt man ihnen
gegenüber ein ganzes freundliches gesundes Gesicht ab, so hat man nicht bloß
ihnen etwas abgenommen, sondern man hat eine Macht gegen sie gewonnen. Denn so
lange man ein freundlich Gesicht macht,fühlt man Leid und Kummer wenig, sie
verlieren ihre Schärfe,milder wird ihr Schmerz. Und die Kraft, weiche man zu
einem freundlichen Gesichte braucht, ist ja eben auch die Kraft,welche Kummer
und Leid verzehren, welche zu der Stärke führt, welche spricht, der Herr hat es
gegeben, der Herr hat es genommen, der Name des Herrn sei gelobt. Kömmt einmal
der Mensch dazu, diese Kraft zu suchen, und zu versuchen, dann ist das Bessere
in ihm erwacht, der erste Schritt zur Genesung gethan. Nun ist auf der Welt
nichts vollkommen, vor Allem alle Anfänge nicht, und nichts Böses weicht aus dem
Menschen ohne den hartnäckigsten Widerstand. Es geschah Vreneli, daß das
zurückgepreßte Weh unwillkührlich ausbrach, daß es weinen mußte die hel
Aber es ging Vreneli mit seinem Predigen, wie es vielen andern Pfarrern auch
geht, wie schön und richtig es auch predigte, es wollte doch nicht anschlagen,
der böse Feind nicht weichen. „So sei es wohl,“ sagte der Theil in ihm,welcher
nicht den Pfarrer machte, „aber er könne in Gottes Namen nicht helfen. Nicht
Geld und Noth liege ihm im Herzen, sondern was ganz anderes, es könne fast nicht
sagen, was. Aber es sei nicht mehr, wie ehedem, es sei als tappten sie im Nebel,
wüßteu nicht mehr Steg und Weg,und fänden ihn nimmermehr. Wie man in eine bösen
Luft kommen könne, man geschwollen werde über und über,daß man die Augen nicht
mehr sehe, so müßte auch an sie ein böser Luft gekommen sein, aber an ihre
Seelen, daß sie einander selbst nicht mehr kennten, und seien sie doch Mann und
Frau. Dann liege ihm so schwer aus dem Herzen ein Bangen, es wisse nicht vor
was, aber vor einem großen Unglück. Es sei ihm, als stehe vor ihm eine große
schwarze Wolke, und in der Wolke sei ein grausig Etwas, es wisse nicht was, aber
es erwarte mit Zittern und Beben, daß es herausfahre und ihns verschlinge und
Alles Alles mit.“ Dieses Weinen, Predigen, Bangen, versteckte Vreneli
bestmöglichst vor Allen, aber am Neujahrstage vermochte es dieses nicht; die
Brunnen der Tiefe brachen unwillkührlich auf. Wie der liebe Gott größere und
kleinere Lichter gemacht hat am Himmel, welche Tag und Nacht regieren, und die
Jahre zumessen den Menschenkindern, so hat
Eapitel 1A.
Von Verträgen und allerlei Künsten und Kniffen.Drei Jahre waren bald verflossen,
seit Uli die Pacht angetreten hatte. Der Akkord war ziemlich vorsichtig
geschlossen, Dank dem Bodenbauer, welcher in solchen Dingen Erfahrung hatte. Es
ist wohl nichts schwerer, als solche Akkorde so abzufassen, daß nicht jeder
Artikel ein Thor zu Mißhelligkeiten, oder zu einem Prozesse wird. Es giebt
Spitzbuben von Lehenherren, hohe und niedere, welche eine eigene Kunstfertigkeit
im Abschließen solcher Verträge haben.Eine Kunstfertigkeit, ähnlich der, welche
Katzenhändler haben sollen. Es soll nämlich solche geben, welche so geschickt
eine gekaufte Katze zu enthäuten wissen, daß dieselbe lebendig davon läuft und
unversehens ihren frühern Eigenthümern vor der Thüre sitzen. Also Pachtherren
giebt es,welche regelmäßig alle ihre Pächter enthäuten, so daß diese sich noch
glücklich preisen, wenn sie endlich mit dem nackten Leben entrinnen können.
Solche Pachtherren hat man nicht blos in Irland, sondern auch in der Schweiz,
und zwar Liberale von Farbe! Kurios! Oder aber der Akkord wird in holdseliger
Stimmung beschlossen. Man ist gut Freund oder verwandt, oder hat sich endlich
gegenseitig gefunden in süßer Liebe. Der Pächter sagt dem Lehnsherrn, er sei ein
Engel,der Lehnsherr sagt dem Pächter, er sei ein halber Engel,sie reden vom
ewigen Frieden, und nicht selten ists, daß sie wirklich zu singen anfangen, und
wenn sie auch nicht singen wie die Engel im Himmel, so meinen sie es doch. In
einer solchen Stimmung findet man hundert Dinge nicht nöthg,auf das Papier zu
bringen. Bald sagt der, das, versteht sich von selbst, ich müßte mich ja
schämen; bald sagt es der Andere. Ja es würde nichts zu Papier gebracht, wenn es
nicht wäre wegen dem allgemeinen Gebrauch, oder wegen Leben und Sterben, was
aber Beide nicht zu erleben hoffen,wie sie sagen. Ja, aber Stimmungen sind
veränderlich,besonders wo Weiber dabei sind, und eine Pacht im Spiel,wenn
allerlei Produkte zu entrichten sind, und allerlei Vet
Nun ward Joggeli von seinen beiden Kindern gerupft,viel ärger als eine Gans von
ihrer Meisterfrau. Eine Frau ruppt hre Gans doch selten mehr als zweimal im
Jahre,wartet bis Flaum und Federn einigermaßen nachgewachsen sind. Der arme
Joggeli konnte kaum zählen, wie oft des Jahres an ihm gerupft wurde. Man rupfte
und fragte nicht, wie groß Flaum und Federn seien, wenn sich nur iruli, der
Pächter. 13
Da ward Uli zornig und sprach: „So macht es mit ihm,“ und ging in den Stall. Da stund Joggeli wie Butter an der Sonne, denn es war nicht wahr, daß ihm Jemand etwas geboten. Freilich war es möglich, diesen Augenblick so viel Pacht zu erhalten, aber vielleicht von einem Pächter, der sich mästete und das Gut ermagern ließ. Einen Pächter, wie Uli, der zahlte und zum Gut sah, als wäre es sein eigen, verlor Joggeli nicht gerne, so viel Verstand hatte er. Wie ein Kind, welches einen Topf mit Milch ümgestoßen, und es der Mutter eröffnen will, ohne Schuld daran zu haben, steckelte er endlich heim, setzte fich auf den Ofentritt und sagte endlich: „Mit dem Uli ists nicht mehr auszuhalten, es ist ganz kolderig und so brutal, wie ein junger Landjäger.“ „Was hast mit ihm?“ frug die Mutter,ihr werdet ja sonst so gut mit einander fertig.“ „Gesagt hat er mir,“ antwortete Joggeli, „ich könne seinetwegen einen andern Pächter fuchen, er begehre das Gut nicht wieder.“„Du wirst ihn böse gemacht haben,“ antwortete die Base,„so mir nichts Dir nichts, hat er Dir das nicht gesagt, das weiß ich.“ „Nichts habe ich gesagt,“ antwortete Joggeli,„gar nichts. Ich habe ihn bloß daran erinnert, daß die drei Jahre da seien, wo wir einander aufsagen könnten, und es nehme mich Wunder, was er denke.“ „Ah bah,“. sagte die Base, „das ist eine Sache, von der ich nichts hören mag.“ Drüben that Uli wie ein angeschossener Eber, der Streich kam ihm ganz unerwartet, erschien ihm wie eine förmliche Brandschatzung, und gerade jetzt, wo es ihm den Schweiß austrieb, wenn er daran dachte, daß bald der Zins verfallen sei und er sein vorräthig Geld übersah. Er wollte auf der Stelle fort, andere Schuhe anziehen, um ein ander Gut aus, ein Mann wie er, brauche nicht lange zu suchen,er finde was so gutes, als dieses hier! Der Wirth sei gut bekannt in Bern, dort sei mancher Herr schrechich froh über einen vertrauten Hausknecht, oder einen en Pächter,
13
Achthundert Thaler sind ein schönes Geld, und im Raume eines Jahres muß gar mancher Batzen zum andern gelegt werden, bis man es beisammen hat. Uli hatte es nicht beisammen, bei weitem nicht, aber allerdings bei Müller, Wirih ec. bedeutende Summen einzuziehen, d. h. nach seiner Rechnung. Wunder nahm es ihn, ob die andern Rechnungen mit seiner übereinstimmten. Er setzte durchaus keinen Zweifel in ihre Ehrlichkeit, aber er hatte die Erfahrung, daß er m Aufmachen noch kein Hexenmeister sei, daß es sich ihm in den eigenen Rechnungen nie so recht treffen wollte.
Darum nahm es ihn Wunder, wie seine Rechnung zu den Rechuungen der Andern paßte,
er hoffte, da werde es besser gehen. Aber der gute Uli kam einstweilen nicht aus
dem G'wunder. „Ja freilich,“ sagte ein Jeder, „wann Du willst, es ist Alles
aufgemacht, Punktum, habe nicht Kummer. Doch die nächste Woche schickt es sich
mir nicht. Der Eine mußte um Korn aus, oder um Hafer, oder um Vieh,oder um
Bauholz, oder hatte sonst was, aber in 14 Tagen,3 Wochen, oder gar den oder den
Tag, sollte er mit seinem Buche kommen, da wollten sie sehen, wie sie stünden.
„Aber da habe keinen Kummer, keinen Kreuzer wird es fehlen, einmal wenn Du recht
aufgemacht hast, was allweg sein wird.“Aber vor jenem abgeredeten Tage kam
Bescheid, der Müller habe ung'sinnet Bescheid bekommen und könne an jenem Tage
nicht daheim sein. Oder Uli kam zum Wirthe, da hieß es, es sei ein Herr
gekommen, ein Weinkäufer, und er habe mit ihm müssen krinken, er habe mögen
wollen oder nicht.Es sei ein gar grausam guter Herr, den er nicht habe böse
machen dürfen. Nun ging es wieder lange, bis neue Termine bestimmt waren, und
als die wieder kamen, gings mit allerlei Variationen wieder so und Uli kam uicht
zur Rechnung. Als er endlich ungeduldig ward und sagte, er müfse auch zu sich
sehen, sein Zins sei verfallen, und wenn er ihn nicht auf den Tag gebe, so wisse
kein Mensch, wie es ihm gehe, lachten sie ihn aus und sprachen ihm gar herzlich
zu, er solle doch nicht so dumm sein und meinen, er müsse exakt zahlen. Dem
alten Geizhals thue es nur wohl, wenn er ein Jahr oder zwei auf den Zins warten
müsse, und kein vernünftiger Mensch meine mehr, daß er Alles auf den Tag zahlen
müsse, was ex schuldig sei. Seit Mannsdenken sei das nicht mehr der Gebrauch,
und wer es thue, werde nur ausgelacht. „Ja,“ sagte Uli, „hier sei eine Sache so,
dort anders, Joggeli sei mißtrauisch, zahle er nicht, so werde er geplagt.“ „Dem
wollte ich das Plagen vertreiben, der müßte mir lernen, was Brauch ist u. s w.“
hieß es von allen Seiten, man machte Uli den Kopf so groß, daß er kaum zur
Stubenthüre auskam. Indeffen so ganz z'Leerem abspeisen wollte Uli sich doch
nicht lassen. „Ja,“ hieß es,„Geld kann ich Dir wohl geben, Geld, bewahre habe
ich
„Sorge der Vater im Himmel für die Thiere des Feldes und die Vögel des Himmels,
so werde er um so viel mehr für einen Tagelöhner mit Weib und einem halben
Dutzend Kinder sorgen, wenn der Bauer ihm statt zwölf Kreuzer Tagelohn blos die
Hälfte oder ein Drittel giebt,und werde seinen Segen der Mahlzeit geben, welche
eigentlich für die Kinder bereitet war, an welcher jetzt aber auch der Vater,
der bei dem Bauer sich hungrig gearbeitet hat,Theil nehmen will. Nun, Andere
machen es äuch nicht so,wenn unser Herrgott die Leute heim schneit oder heim
hagelt, überlassen sie ihm dieselben nicht, daß er sie jetzt auch speise und
tränke, dieweil er sie angehagelt oder angeschneit,sondern thun dies selbst, und
geben ihnen was zu thun, bis der Tag ganz um ist. Es giebt Zeiten, wo das geht,
man sogar froh ist über einen wilden Nachmittag, um Arbeiten zu verrichten, die
man des schönen Wetters wegen immer verschoben hatte. Es giebt andere Zeiten, wo
man wirklich nicht recht weiß, was mit machen, und fürs Zähne trocknen im Winde
giebt man doch nicht gerne den Tagelohn. In solcher Zeit eben war Uli mit seinem
Volke nach Hause ge
Da wird manchmal das Denken bedenklich, und je länger einer denkt, desto weniger
kann er an einen Namen kommen und doch hätte er ihn noch gewußt, als er zur
Thüre hereingekommen,“ sagt er. Es ist bedenklich, wie Fleisch und Geist in die
seltsamsten Collisionen kommen bei den ernsthaftesten Gelegenheiten. Wo Gott ein
Zeichen seiner Huld giebt, legt der Teufel einen Stein des Anstoßes. Das Mannli
war bereits am dritten Orte und glücklich innen und außen. Er hatte nirgends
eine Abfertigung erhalten, sondern guten Bescheid und tapfer zu essen und zu
trinken.Solchen glücklichen Menschen wächst ein eigenes Redwerk im Munde, und
dieses liefert Lob, Ruhm und Preis für sich und seine Frau, und all das Seine in
einer Stunde
14
Uli war noch Keiner von denen, auf welche eine feste Sprache keinen Eindruck machte. Er besaß noch das Gerechtigkeitsgefühl, welches die Streitsucht dämpft, sobald das Recht des Andern klar ist. „Thue nur nicht so,“ sagte er,„wie eine Katze am Strick. Es hat Dir noch Niemand gesagt, Du sollest kein Geld haben, oder Du vergeudest, Du chuest nichts. Daß Du mit den Leuten bekannt bist, das wußte ich nicht, und wenn es einem zuweilen wunderlich in den Kopf schießt, das soll Dich nicht wundern. Da sollte ich eigentlich Kühe kaufen, mit Pferden wäre auch was zu machen. Schweine müssen auch gekauft sein, Du redest ja alle Tage davon, und kein Geld! Ich liege da wie ein Hungriger, dem die Hände gebunden, das Manl verstopft ist, mitten unter Brot und Würsten.“ Dieses Einlenken von Uli führte zu einer ehelichen anständigen Rathssitzung, in welcher man in reiflicher Erwägung, daß man kein Geld habe und solches bedürfe, beschloß: Es solle das Nöthige von ülis Ersparnissen aus der Kasse erhoben werden. Vreneli schlug als zweiten Artikel vor, daß die übrigen ausstehenden Gebder mit allen Mitteln eingetrieben, die Schuldner zur Rechnung angehalten würden. Auf die Versicherung von Uli,das verstehe sich von selbst, und bedürfe keines weitern Beschlusses, ließ Vreneli den Artikel fallen und es wurde zur Tagesordnung geschritten.
Capenl 18.Wie viel man an einem Tage gewinnen und wie viel man verlieren kann.Am
Sonntag also mußte Vreneli zu Gevatter stehen,da gab es einen kleinen Streit.
Uli sagte: „Nimm das Fuhrwerk es ist weit und die Rosse haben nicht viel
geschafft.“„Will nicht die vornehme Frau machen,“ sagte Vreneli, „das würde sich
übel schicken für uns.“ „Bist noch immer böse,“ sagte
14*
So einmal aus dem Gesurre des täglichen Getriebes herauszukommen, ist äußerst
wohlthätig. Es ist, als ob die Sinne freier würden, als steige man auf ein
Berglein und übersehe nun den Wald, den man sonst vor lauter Bäumen nicht
gesehen. So ging es Vreneli. Ihre ganze Lage rollte sich vor ihm auf, wie eine
Landkarte. Es sah die schönen Punkte, die steilen Höhen, die gefährlichen Pässe,
es sah,wie mit Gottes Hülfe keine Gefahr für sie wäre, wenn die gehörige
Vorsicht gebraucht würde, eine weise Sparsamkeit, am rechten und nicht am
unrechten Orte, kein närrisches Vertrauen in unbewährte Menschen. Wenn schon das
letzte Jahr nicht das beste gewesen, so war es mit ihnen doch vorwärts gegangen,
nur hatten sie leider das Geld nicht beisammen, das machte Vreneli seufzen.
Hätten wir es doch nur, dachte es.Was hilft viel lösen, wenn man nichts kriegt,
viel versprechen kostet ja nichts, zahlen ist die Hauptsache. Mit Behagen
dagegen überschlug es, wie sich ihr Hausrath gemehrt und ihre Vorräthe, mehr als
Uli dachte. Wenn es sein müßte, ein paar hundert Gulden ließen sich lösen aus
Entbehrlichem, meinte es. Mit Behagen dachte es an seine Kindlein, deren es
bereits drei hatte, die so lustig blühten, als wären sie drei Röselein im
Garten, zählte sich die kleinen Handbietungen auf, welche Vreneli bereits
leistete. Es freute sich, wie sie mehren würden, fast Tag um Tag, und dachte an
die Zeit, wo das Mädchen sein rechter Arm sein werde, seine wahre
Meisterjungfrau.Wenn nur die Pässe nicht gewesen wären, mit ihren Gründen und
Schlünden. Es hätte Vreneli keinen Kummer gemacht, sie zu durchfahren, wenn es
die Peitsche geführt, das Fahren in seiner Hand gelegen wäre, es glaäubte zu
sehen,
Die Kinder glichen Zwetschen, über welche ein früher Reif gegangen der Kaffe war
so dünn, die Milch so blau,
Die Armmüthigkeit trat erst so recht hervor, als man das Kindlein schmücken
wollte zur Kirche. So rein und schön als sie köͤnnen, zieren die Eltern das
Taufkind aus,es soll diese Sorgfalt so gleichsam ein Pfand sein, daß sie es
schmücken und zieren wollen, nicht bloß äußerlich, zum Gang in den Tempel des
Herrn, sondern von Stunde an auch innerlich, und es auferbauen zu einem Tempel,
darin der Herr wohnen mag. Da waren gelb gewaschene Windeln ünd keine ganze
Käppchen, gar erbärmlich dünn das Decklein, in welches man es legte, und
verschossen und schlecht das Tuch, mit welchem man es deckte. Das arme Kind
mußte sich früh gewöhnen, daß des Lebens rauhe Winde ihm hart an die Haut
gingen. Die alte Pathe hatte das grausam nunugern, konnte sich gar nicht darein
schicken, mit einem so schlecht angekleideten Kinde zur Kirche zu gehen. Wenn
sie das gewußt hätte, sagte sie, sie hätte die Magd gesandt,die hätte dieses
auch verrichten können. Das arme Frauchen hatte die Thränen in den Augen,
entschuldigte sich bestmöglichst. Sie hätte Besseres leihen wollen, aber fremd
hier,hätte man allenthalben Ausreden gehabt, da hätte sie gedacht,wegem lieben
Gott hätten sie sich nicht zu schämen, den Leuten aber nicht mehr nach zu
fragen, als sie ihnen. Da hätte sie es ja den Gevattersleuten können sagen
lassen, die würden ihretwegen schon dafür gesorgt haben, zürnte die graue
Alte,die eben auch nicht sehr appetitlich aussah. Da trat Vreneli ins Mittel,
durch dieses unwürdige Geträtsche sehr bemüht. „Es wolle das Kind schon tragen,“
sagte es, „es schäme sich seiner gar nicht; vielleicht sei das Kind, welches
Jesus unter die Jünger gestellt und gesagt: so ihr nicht werdet, wie dieses
Kindlein, werdet ihr nicht ins Reich Gottes kommen, nicht besser geschmückt
gewesen als dieses, und allweg wollten es Gott danken, wenn sie Beide Gott so
wohl gefielen als dieses Kindlein, und ein Beispiel hätte man,
Drer Taufschmaus, oder wie man merkwürdiger Weise sagt, die Kindbetti,
(wahrscheinlich weil der Mann die Kosten dazu mit Weh und Schmerzen aufbringt)
wurde im Wirthshause ausgerichtet. Die eigentliche Kindbetterin blieb zu Hause,
wohin auch das Kind getragen wurde. Vreneli verarbeitete grausam viel
Langeweile, ehe die Mahlzeit auf
Vreneli fühlte das wahre Mitleid, fühlte, wie es ihm wäre im Mieder des armen
Fraueli, gab ihm, was es bei sich hatte, und hieß es, ihns bald mit dem Kinde zu
besuchen. Jetzt schossen dem armen Weibchen Thränen die Backen herunter, es
stund vor Vreneli und konnte lange nicht reden.„Du bist immer das beste, das
gleiche Vreneli,“ sagte sie;„Bringst schon für das Kind schier mehr als ich
nehmen durfte, kömmst vom Wirthshans, hockest da in meiner Armuth, hörst einen
ganzen halben Tag mein Gestürm an, und giebsft mir jetzt noch mehr als ich Dir
abnehmen darf.“Als Vreneli auf der Annahme bestund, dieweil es komme aus gutem
Herzen, und es nichts desto weniger es machen könne, sagte das Fraueli: „He nun,
sodann, so will ich es nehmen, und alle Tage für Dich beten, anders kann ich Dir
nicht vergelten. Du weißt nicht, aus welcher Noth Du mich ziehst und wie
glücklich Du mich machst, und ich kann es nicht sagen. Jetzt kann ich drei
Batzen hier, sieben Batzen dort bezahlen, die ich geliehen hinter dem Rücken
meines Mannes, und die mich schon lange schlaflos gemacht. Ich brauchte ste
nicht für mich, sondern für den Arzt; mein Mann hatte gemeint, es sei nicht
nöthig es werde dem Kinde schon bessern, wenn es Gottes Wille sei. Ich habe mein
Sonntags-Mieder versetzen müssen, das kann ich auslösen und vieleicht einmal
Schuhe machen lassen. Nein, Du gutes Vreneli, Du weißt nicht, was Du 'an mir
thust, ein rechter Engel vom Himmel bist Du mir, und, unser Herrgoit wolle es
Dir vergelten an Dir und Deineun Kindern.Gott Lob und Dank, jetzt werde ich
wieder schlafen können,und wenn Gott uns gesund läßt, so wird es schon noch
besser kommen, ich zweifle nicht.“ So glücklich hatte Vreneli lange Niemand
gesehen, kaum Uli, als es ihm endlich Ja sagte, glücklicher gemacht als dieses
arme Fraueli. Kaum konnte es sich von ihm trennen, was doch endlich sein
mußte.Als Vreneli wieder allein war, und seines Weges ging, da wogten die
Gedanken stromsweise durch seine Seele. Das Glück des armen Weibes schwebte ihm
vor den Augen.
Je mehr es so dachte, desto mehr trabte es vorwärts,es war ihm, als könnte ihm
sein Heim gestohlen werden,und wenn es hinkomme, sei nichts mehr da, als eine
Oede,das Haus verbrannt, die Kinder todt, Uli weg. Aber es ging Vreneli wie
vielen Weiber, welche nicht viel vom Hause sommen, seine Schuhe fingen ihns an
zu plagen. Die Hausgeschäfte werden in Holzschuhen oder sonst bequemen
Wägelchen, von demselben herab kam eine Stimme: „Wie weit noch heute?“ Da zuckte
Vreneli zusammen, sah auf,und auf dem Wägelchen saß Uli. Der lachte über
Vrenelis Studiren, ob welchem es nicht wisse, wer an ihm vorbeikomme und Vreneli
war es eine höchst angenehme Ueberraschung, erstlich wegen den Füßen, und
zweitens wegen Uli.Wer einmal schlimme Füße in engen Schuhen gehabt hat,und noch
zwei lange Stunden wenigstens vor sich, der weiß wie hell es plötzlich vor den
Augen wird, und wie eine Stimme von einem Fuhrwerke herab, welche aufsteigen
heißt,ungefähr tönet wie eine Stimme aus dem Himmel. Wenn es dann noch gar die
Stimme des Mannes ist, welcher seiner Frau ungeheißen und unerwartet
entgegengefahren, aus bloßer Liebe und Zärtlichkeit, ja dann fehlen alle
Vergleichungen, um auszudrücken, wie die Stimme tönet im Herzen der angerufenen
Frau. Vreneli konnte nicht satt werden, Uli Dank und Freude auszusprechen für
seine Güte,und daß er ihm seine Höllenqualen abgekürzt; Uli dagegen
entschuldigte sich, daß er nicht weiter gekommen, erstlich sei er aufgehalten
worden, und zweitens habe er nicht gedacht,daß Vreneli so früh sich heimmachen
werde, das Heimgehen falle manchmal Pathinnen erst ein, wenn es zu spät sei.Nun
erzählte Vreneli, wie es ihm ergangen, wie es die Gesellschaft verlassen, ehe
der Braten gekommen, und wie es den Rest des Nachmittags zugebracht. Es konnie
sich nicht innig genug ausdrücken, wie zufrieden es geworden mit seinem
Schicksal, Uli nicht sattsam genug zu Gemüthe führen,wie sie Ursache hätten,
Gott zu loben und zu preisen für seine Güte an ihnen. Wenn sie nur genügsam
wären, so hätten sie mehr als genug, brauchten sich nicht so zu kümmern ums
tägliche Brot und hätten doch immer noch was übrig, dem Dürftigen zu helfen in
seiner Noth. Uli hatte die Noth nicht selbst angesehen, hatte überhaupt nicht
die Fertigkeit, sich in eine fremde Lage hinein zu denken, als ob es die eigene
wäre, er nahm daher die Sache kaltblütiger und widerredete, er war fast
anzuhören, wie ein alter Bauernaristokrat oder Dorfmagnat, und stund doch so
nahe in jeglicher Beziehung der Gränze, innerhalb welcher die Menschen wohnen,
von denen er so über die Achfel hinsprach. „Man
Es war sogenannter Tanzsonntag, d. h. ein Sonntag,wo so gleichsam von obrigkeitswegen getanzt werden muß.Es besteht nämlich im Kanton Bern ein Gesetz, welches im Jahr sechs Sonntage bestimmt, an welchen allenthalben getanzt werden darf. Das junge Volk legt dies nun oft so aus, als ob wirklich getanzt werden müsse. Diese Auslegung haben-schon viele Wirthe und noch mehr Väter erfahren. Die Auslegungskunst ist eine ganz eigenthümliche.Nun giebt es viele Jungens und Mädchen, welche in Kritik und Auslegungskunst noch viel stärker sind als Strauß und es noch weiter treiben, so daß selbst die Allerstraußisten (um einen allgemein gewordenen Ausdruck zu brauchen) in ihrer Schule noch entschiedene Fortschritte machen könnten.
Das Wirthshaus war sehr angefüllt, das stampfte und trampelte, als ob da eine
Trittmühle für viele hundert Personen angelegt sei. Es war das Wirthshaus, in
welchem Ulis Freund wirthschaftete; dies war Vreneli noch unangenehmer, als das
Stampfen und Trampeln, welches alle Augenblicke das Zusammenbrechen des
hölzernen Hauses befürchten ließ. Sie konnten sich kaum durchdrängen, doch
sobald der Wirth sie bemerkte, machte er ihnen mit seinem kolossalen Buckel
stattlich Raum und verhalf ihnen zu gutem Platz. Es war schade, daß er nicht ein
päpstlicher Schweizer geworden; er hätte zu nichts besser getaugt, als an großen
Kirchenfesten in Rom Platz zu machen, für die rothgestrümpften Herrn Cardinäle.
Vreneli war lange nie an einem solchen Sonntage in einem Wirthshause gewesen, um
Da wurde der Wirth abgerufen, sonst hätte er wahrscheinlich erfahren, daß Vreneli wirklich zu den Haus hunden gehöre, welche bellen und beißen können. Auf dem Heimwege versuchte Vreneli noch einige Male, den Kuhhandel zur Sprache zu bringen, aber Uli gab uneinläßlichen Bescheid, sagte endlich: „Hast nicht gehört, was der Wirth gesagt hat? Man solle den Weibern über solche Sachen nicht Bericht geben, sie verstünden sich nicht daraus.“ „Verstehst Du Dich denn darauf?“ fragte Vreneli; Du weißt von den Gesetzen und dem Procediren gerade so viel, als das Kind,welches wir heute getauft, und darum dünkt mich, Du solltest Dich nicht damit abgeben wollen.“ „Darum, weil ich und Du davon gleich viel verstehen,“ antwortete Uli böse,kann ich nicht bei Dir zu Rathe gehen, sondern muß zu Jemand gehen, der mehr von der Sache weiß als ich und Du, und dämit Punktum, wie der Wirth sagte.“ Dieser Schluß des Tages jammerte Vreneli sehr. Es hatte an diefem Tage so viel erlebt, erfahren, gedacht, es war gleichsam von den allezeit strömenden, göttlichen Offenbarungen umflossen gewesen, wie ein schöner Abendstern hatte ihm Uli's Entgegenkommen geleuchtet, und nun zum Ende Uli's Erkalten,Abwenden zu Andern, Zuwenden einer Klippe, an welcher schon das Dasein von Millionen zerschellte!
Es weinie bitterlich, weil Uli den Glauben an es ganz verloren hatte, und
öffentlich ihm gleichsam abschwur. Jedermann hat einen Glauben, es kömmt eben
nur darauf an,was und hauptsächlich an wen er glaubt. Der Glaube ist abhängig
von der Richtung des Gemüthes, ein Sprichwort wort sagt: Man glaubt, was man
gerne habe, oder was einem un den Kram diene. Man glaubt den Personen,welche
reden, was einem in den Kram dient, oder was man sonst gerne hört. Wer hat nicht
schon Katzen gesehen, wie gerne sie am Kopfe sich krauen lassen, wie behaglich
es hnen wird, wenn Jemand, ihnen mit Manier den Balg sireicht, wie sie sich auf
die Seite legen, alle Viere von sich strecken, jetzt das Bein, jetzt ein anderes
aufheben,
Nun so ein Uli, der ein Prozeß anfängt und sein Lebtag kein Gesetzbuch gesehen
hat, geschweige gelesen, der ist akurat so sein ABC-Bub, der eine neue Fiebel
oder Namenbuch, wie wir hier sagen, unter dem Arme hat und zur Mutter läuft mit
großem Geschrei: Mutter, Mutter, das große A wo ist es, wo das große A? Zeigt
ihm die Mutter das große A, so schreit er Wochen lang AA, thut wie ein Elephant
in den ersten Hosen. Kriegt der Uli einen Prozeß unter den Arm, so läuft er
damit zu den Gelehrten; diese sagen, A heißt A und auf das A folgt das B, das
kann nicht fehlen, Punktum, hier steht es geschrieben, siehst? Der Prozeß ist
gewonnen, ich nähme es nicht zum voraus, wenn man mir es schon geben wollte. Das
glaubt nun der Uli steif und fest und bildet sich ein, ein Rechtsgelehrter zu
sein,weil er das A auswendig weiß und etwas vom B kennt,wer ihm Zweifel äußert,
der hält es nicht mit ihm, mag ihm sein Glück nicht gönnen, ist ein Lumpenhund
und meint es mit dem Gegner gut. Es ist ein förmlicher Fanatismus in diesem
Glauben, und je blinder und beschränkter er ist, desto leidenschaftlicher,
unduldsamer äußert er sich. Wenn so ein Uli könnte, er würde jeden köpfen oder
gar hängen lassen,welcher den geringsten Zweifel schimmern lassen würde, als
hätte er den besten Handel von der Welt. So ein Uli würde immer so stark
verfahren, als ehemals der GroßInquisitor von Spanien, oder die ehemaligen
Ketzerriecher und Ketzerrichter in Deutschland. Die Eintönigkeit, wo kein
anderer Ton mehr anklingt, die Wuth, wenn doch ein anderer zu den Ohren tönet,
werden nie aussterben im Menschengeschlechte und zu Tage treten allemal, wenn
man der Katze lange genug den Balg gestrichen hat. Die Erfahrung machte nicht
bloß Vreneli, die Erfahrung macht man dato im' ganzen Schweizerlande. Was daben
noch sehr merkwürdig ist,ist die Festigkeit des Glaubens, wenn er sich einmal
gehörig an eine Person geheftet hat. Wie der Tyroler z. B. an
Man möchte manchmal vor Zorn die Wände aufspringen, oder vor Wehmuth sich die
Augen aus dem Kopfe weinen, wenn man die alterthümliche und volksthümliche
Balgstreicherei und ihre Folgen sieht, blinden Glauben, narrochtiges Treiben und
endliches Verderben. Wenn man das Obige begriffen hat, so wird man auch
begreifen, wie es Vreneli war, daß Uli in diesen Wirbel gezogen wurde. Der gute
Uli begriff nicht, was Menschen zu reden und zu thun im Stande sind, wenn in
ihren Bereich eine Kuh läuft, welche sie hoffen mit streicheln imd sanft thun,
dahin zu bringen,daß sie sich melken läßt. Vreneli versuchte mehr als einmal
noch ihn vom Prozesse abzubringen, denn das Mannli ließ die Sache nicht liegen,
wie man Uli, um ihn trozig zu machen, vorgespiegelt hatte. Aber das half Alles
nicht, er hatte einmal jetzt den Glauben nicht zu ihm, sondern zu
andern.Vergebens stellte Vreneli ihm vor, es sei bei dem Prozeß nichts zu
gewinnen, nur einen kleinen Schaden zu leiden,wenn man den Prozeß unterlasse;
verliere man denselben aber, so könne der Schaden leicht zehnmal größer
werden,Verdruß und versäuerte Zeit nicht gerechnet. Aber da half Alles nichts.
„Das verstehst Du nicht,“ hieß es. „Ja,wenn ich reich ware und vermöchte zu
schenken, aber ich muß zum Kreuzer sehen, es sieht mir sonst Niemand dazu.“ Wenn
dann Vreneli frug: „Aber magst Du solche Kreuzer, hast Du nie gehört, daß ein
ungerechter Kreuzer zehn gerechte frißt, und recht hat das Mannli, Du magst es
mir glauben öder nicht!“ „Das verstehst Du aber nicht,“ sagte Uli,„das eben wird
sich zeigen, wer recht hat, darum prozedirt
Capitel 16.
Es kömmt Angsi, und über jedes eine andere.Die Base begann stark zu kränkeln und
ernsthaft, die Füße liefen ihr auf, der Husten plagte sie, die Nächte waren ohne
Schlaf. „Das sei eine beginnende Brustwässersucht,“sagte der Arzt. „Wenn man
Flieiß habe, die Mittel gebrauche, hoffe er der Krankheit zuvorzukommen,“
tröstete er.Die Base schüttelte dazu den Kopf, „Mutter und Großmutter seien
ungefähr im gleichen Alter, an der gleichen Krankheit gestorben, das Gleiche
werde ihr auch warten,“ sagte sie zum ebenfalls Hoffnung machenden Vreneli. „Es
ist nicht,daß ich das Sterben scheue, ach Gott, wie vielem bin ich entronnen,
wenn ich einmal im Grabe ruhe; aber was soll aus den Meinen werden? Da ist meine
Sünde, und da werde ich hart gestraft. Was ist sterbenden Eltern der beste
Trost? Wenn sie ihre Familie so hinterlassen können, wie einen gesunden Baum,
der gesund in Wurzeln und Äesten,langes Leben und ein hohes Alter verspricht,
wenn die Kinder so sind, daß man weiß, man kömmt einfst wieder zusammen. Nun
weißt, wie ich es habe, habe feine Hoffnung“
Vreneli wollte trösten, aufrichten, aber wie schwer ist das nicht, wenn man das
Herz selbst voll hat zum Zerspringen, und wenn es einem dünkt, die Klagen seien
wahr, in gleicher Lage wäre es einem ebenso? Was hätten sie zu erwarten, wenn
die Base starb, und wen hatte Vreneli noch auf der Welt, bei dem er Rath und
Trost schöpfen, sein Herz ergießen konnte, seit Uli seinen Glauben, seinen
Götzen zugewandt, ungläubig gegen Vreneli geworden war? Es wußte nichts, als mit
der Base zu weinen, sie zu bitten, guten Muthes zu sein, ihr Leben zu fristen,
so lange als möglich,seinetwegen, denn wenn sie mal im Grabe sei, dann sei ihr
Stern erloschen, und das Elend vor der Thür. Es hätte nicht umsonst Pathe sein
müssen, einem armen Fraueli und sich entsetzen über dessen Armüthigkeit, es
wisse jetzt, daß es sich dazu vorbereiten solle, und dies wolle es thun, alle
Tage, denn dahin werde es mit ihnen kommen, wenn nicht noch weiter,“ jammerte
Vreneli. „Du guter Tropf,“ sagte die Base, „wenn es mir besser drum wäre, fast
müßte ich lachen. Ihr habt noch nichts erlebt, wem geht es immer wie gewünscht,
ohne Angst und Anstand? Glaubst, ihr wäret die einzigen, welche nicht Lehrgeld
zahlen müssen in der Welt, welche Thorheit büßen müssen, oder welchen Gott
handgreiflich darlegt, daß man sich nicht auf Menschen verlassen müsse, noch auf
des Menschen Herrlichkeit. Wenn ihr hier schon nichts verdient, oder noch dazu
um alles kommt, was ihr habt, ich habe doch nicht Kummer um euch, wegen
Durchschlagen durch die Welt. Du und Uli werden ihr Brot allenthalben finden, so
lang ihr euern guten Namen habt, da
Es verderben gar unendlich viele Kinder am Geiste,weil ihnen eben dieser warme weiche Thau fehlt, die edelsten Keime vertrocknen, gehen nie auf. Es haben gar unendlich viele Kinder ihrer Großmutter viel mehr zu verdänken, als den gelehrtesten Herren Professoren, welche oft nicht viel anders sind, als vertrocknete Haarseckel.“
Joggeli benahm sich eigen gegen seine Frau, er war böse über sie, zürnte ihr, daß sie krank war. Der alte Mann fühlte wohl, was sie ihm war, seine Stütze, sein Stab im Leben, und was er würde ohne sie; aber eben deswegen hätte sie nicht krank sein sollen, den Aerger darüber ließ er gleich einem unartigen Kinde an ihr aus. Bald sagte er,
Uli, der Pachter. 16
Den schleppte Joggeli seiner Frau zu, wollte, daß ste ihn brauche, denn er müsse mehr können, als alle Anderen,weil man so weit herum von ihm wisse, meinte Joggeli.
Als er kam, machte er ein sehr bedenklich Gesicht und sagte: Die Sache sei böse
und wohl weit gegangen, wenn einer helfen könne, so sei er es, aber er wisse
nicht, gehe es noch oder gehe es nicht; der Brustkasten sei zu eng, Lunge und
Leber haätten nicht mehr Platz, das gehe vielen fetten Leuten so; so wie sie
dicker würden, würden auch Lunge,Leber und das Herz größer, begreiflich, da
werde es ihnen denn zu eng im Kasten, von wegen der wachse nicht, der sei von
Knochen, und bekanntlich sei Knochen Knochen! Die Hauytsache sei nun, daß man
den Kasten größer mache, damit es wieder Platz gebe; er hätte schon lange eine
Pashine ersinnet,
Joggeli war böse darüber, klagte sehr, es wäre seiner Frau noch gut zu helfen, aber sie mache sich so köpfig, daß nichts mit ihr anzufangen sei. Die gute Muiter wußte wohl,daß ihr Uebel nicht zu heben, blos der Verlauf desselben zu erleichtern sei, dafür hatte sie einen Arzt, der freilich weder Hundsschmalz noch Branntwein verordneie. Ihren Kindern hätte sie gerne geholfen, ihnen die Augen aufgethan, fürs Zeitliche und Leibliche auf bessere Wege sie geführt, aber alle ihre Mühe war vergeblich. Die Juden meinten, als Jesus ihnen einmal die Wahrheit sagte: „Das sind harte Worte,wer mag sie hören?“ und gingen hinter sich. Nun giebt es viele Naturen, welche christliche Worte nicht mehr vertragen mögen, so wenig, wie verdorbene Magen tüchtige Speise;Widerwillen und Ekel läuft ihnen im Munde zusammen und schütteln den ganzen Körper. Soll man das Christenthum diesem verdorbenen Magen zu lieb akkomodiren und verdünnern, bis sie es ertragen mögen, oder soll man diese hinter sich gehen Jassen in Gottesnamen? Was versteht Paulus unter der Milch, welche er für Kinder bereite, und darunter,daß er Allen AÄlles werde, damit er sie Christo gewinne?
Sicherlich nicht ein Verkümmern oder Verläugnen der Wahrheit, denn wer redet Menschen schärfer ins Gewissen, als Paulus den Corinthern, und frägt er nicht: oder suche ich den Menschen gefällig zu sein? Iwar wenn ich den Menschen noch gefällig wäre, so wäre ich Christi Knecht nicht,und so Jemand auch ein anderes Evangelium predigt, als ihr es empfangen habt, der sei verflucht. Mit der Akomodation wird ein gar schmählich Spiel getrieben. Christus wird aus dem Christenthum herausakomodirt, das Christenthum aus den Kirchen, uns dagegen eine Moral eingewässert,in welche jede Regierung, jeder Polizeiminister das Beliebige rührt, eine Moral in Juristen Händen ist ein Stücklein Wachs in Schneidershänden! Bald rund, bald viereckigt,bald so, bald anders wird er geknetet; es ist eine Moral,daß Gott erbarm, ob welcher die Menschen nicht blos des Teufels werden möchten, sondern wirklich auch des Teufels werden. Es ist eine Staatsmoral, ob welcher sogenannte Staatsmänner leiblich den Hals brechen, und was dann aus ihren armen Seelen wird, ist Gott bekannt.
Dem Baumwollenhändler sagte die Mutter nichts, an dem hatte sie nichts erzogen
und wußte wohl, daß man Perlen nicht vor die Säue werfen soll. So einem
geschliffenen Schliffel von Religion zu reden, dazu braucht es wirklich schon
einen großen Muth. Selbst mit Johannes redete die Mutter nur leise und mit
Zagen, was er auch denke,und wo das hinaus solle? er und seine ganze Familie
machten ihr so großen Kummer. Johannes war nicht ohne Gefühl, die Mutter war ihm
immer lieb gewesen, er sagte oft,wenn sein Babi wäre wie die Mutter, er würde
einen Finger von der rechten Hand geben. Aber geistige Zusprüche mochte er doch
nicht, ste machten ihn wunderlich, sie krabbelten ihm in den Gliedern, er wurde
ungeduldig, kriegte einen seltsamen Kitzel im Halse, daß er lachen mußte, wenn
es ihm schon nicht ums Lachen war. „Mutter, habt nicht Kummer,“ sagte er dann,
„die Sache ist nicht halb so gefährlich,A gut, so wird es auch schon bessern. Es
ist schon mancher Mensch krank gewesen, und ist wieder besser geworden, und
anter irgend einem Vorwande machte er sich von der Mutter
Mutter werde, frugen: wer Tüfel ihr das angethan, ob etwa ein Pfaff' zu ihr komme, oder eine Betischwester?
Wenn sie wüßten, wer schuld daran wäre, dem wollten sie den Marsch machen. Sie
meinten, so etwas könne bloß pon außen herkommen, von diesem oder jenem, wie in
der That oft, besonders bei Entstehen von Sekten Etwas an die Leute kömmt, sieht
aus, wie Christenthum, ists aber nicht.Sie hatten keinen Begriff davon, daß in
gesunden Gemüthern ein Keim liegt, der frühe belebt, langsam wächst, unbemerkt
im Innern sich entwickelt und vielleicht erst leuchtend sichtbar wird, winn das
Licht des Lebens erlöschen will.Einen solchen Keim hatten sie aber eben nicht in
sich. Indem er eben nicht in ihnen war, die Welt aber ganz anderes in ihnen
ausgebildet hatte, war eine Kluft zwischen ihren Gemüthern entstanden, fast wie
zwischen dem reichen Mann und dem armen Lazarus, sie konnten nicht mehr zu
einander kommen, die Mutter und die Kinder. Das hatte gewissermaßen sein Gutes,
sie kamen ungern und blieben nicht lange. Die Furcht, die Mutter möchte von
Vreneli ausgeplündert werden, an Kleidern und Kleinodien, hatten sie nicht, so
weit hatien es Beide im Vertrauen gebracht, daß man es weder dem einen oder dem
andern zutraute. Destomehr war Vreneli dort, es war ihm dort wie bei einer
Mutter. Es ist ein eigenes Wort; bei der Mutter sein. Es giebt Mütter,wo es den
Kindern, wenn sie zur Mutter kommen, wird,wie einem Küchlein, das unter die
Flügel der Henne flieht,wenn es ihm zu kalt wird, draußen in nassem Grase, oder
eine Krähe in der Nähe ist. Sind dann augenscheinlich die Tage der Mutier
gezählt, macht man sich gegenseitig kein Hehl mehr daraus , dann mischen Wohl
und Weh gar seltsam sich in einander. „Will noch bei Dir sein,“ sagt die
Tochter, „es kömmt eine Zeit, ich kann nicht mehr zur Mutter,“ die Thränen
rinnen und schmerzlich zuckt das Herz zusammen. Dann wird es der Tochter wohl,
fast möchten wir sagen, selig bei der Mutter, wenn die Krankheit Ruhe
giebt.Beide Herzen liegen offen vor einander, was die Tochter hofft, was die
Mutter wünscht, was Beide freut oder kümmert, schwillt in einander, verwebt sich
zu dem wundersamen Gemeingut, welches die Mutter hinübernimmt, die Tochter hier
Vreneli hatte vielfach Ursache, so zu seufzen. Wenn es daheim war, so sagte es
oft: „Will zur Base gehen, kann es dort vielleicht vergessen, aber wie es gehen
soll, wenn ich nicht mehr dorthin kann, das weiß ich nicht.“ Es war wirklich ein
bös Dabeisein, die ganze Hausgenossenschaft schien eine große Bande zu sein,
Einer des Andern Feind,Einer wider Alle, und wiederum Alle wider Einen. Sie
waren vollständig in den Gesindeverruch gekommen, welcher früher schon
angedeutet wurde. Was Rechtes meldete sich gar nicht mehr bei ihnen, und je
schlechtere Leute Uli hatte, desto böser mußte er mit ihnen sein, desto öfter
mußte er ändern,desto mühsamer und schwerer ging jede Arbeit, desto mehr ward er
verrufen. Ist man mal in dieser Lage, so ist man wie verhexet, wie ein
Krametsvogel auf einer Leimruthe, wie ein Mensch, der in einen Sumpf gefallen,
je mehr er zappelt, desto tiefer sinkt er ein. Es verleidete Vreneli ordentlich
das Leben, wenn alle Augenblicke was Neues losbrach,eine Liebesgeschichte mit
bösen Folgen, eine Diebesgeschichte,von der man nicht wußte, wie weit sie
reichte, und schwer auszumitteln war, ob nicht wenigstens Hehler sei, wen man
des Diebstahls nicht beschuldigen konnte, eine Vernachlässigung in den Ställen,
welche Uli viel Geld kostete und fast aus der Haut trieb, oder was das
Allerärgste war, Leichtfertigkeit mit dem Feuer, ob welcher das Haus in Feuer
aufzugehen drohte. Bald hätte einer im Stall die Laterne geschneuzt, den
glimmenden Docht ins Stroh geworfen; bald
Indessen lag Alles noch in hängenden Rechten, der Entscheid schob sich immer wieder hinaus. Diese Ungewißheit,dazu der tägliche Verdruß, die harte Arbeit und doch das Nichtvorwärtskönnen zehrten gar mächtig an Uli, er sah aus wie ein Marterbild, und Vreneli bekam recht Angst um sein Leben. Darum konnte es um so geduldiger seine zunehmende Mißstimmung, in welcher er selten einem Kinde mehr ein gutes Wort gab, ertragen. Er hatte von seinem Gelde gekündet, aber es half nicht vielz wenn unten in einer Flasche ein Loch ist, so kann man lange obenein gießen, die Flasche wird nicht voll. Ein solch Loch war der Prozeß. Es lebt selten ein Pächter auf Erden, welcher das Prozediren ertragen mag, ohne die Auszehrung zu bekommen.Es ist wirklich nicht angenehm, wenn man einen Geldseckel hat, welcher einer halben Sanduhr gleicht, und zwar den obern Theile, wo das Sand allmählig, aber unaufhaltsam niederrint, bis die ganze Büchse leer ist. Nun an einer Sanduhr macht das nichts, ists oben leer, kehrt man den untern Theil herauf, so ists oben wieder voll, es ist alles im Alten und das Rimmen beginnt aufs Reue. Aber bei einem Geldseckel ists eben was anders, dem fehlt der untere
Theil, ists oben leer, so ist unten auch nichts mehr, da kann män den Geldseckel hundertmal rund um drehen, leer bleibt leer. Man könnte die Vergleichung drehen und sagen, der obere Theil der Büchse sei der Client, der untere der Advokat, was oben wegrinne, laufe dem andern ins Maul, und so ja freilich, drehe man das Ganze um, so finde man oben beim Advokaten wieder, was der Client habe rinnen lassen;die Frage sei nur, ob der Advokat Gegenrecht halten und wieder wolle laufen lassen, was er habe. Aber die Sache ist doch nicht so, denn drehe man lange den Advokaten, in den Alles geronnen, oben auf, so ist doch nichts oder wenig mehr in der Büchse. So ein Advokat ist noch lange nicht der untere Theil einer Sanduhr, welcher behält, was oben einkommt, weil er unten kein Loch hat, ein Advokat hat gewöhnlich viele Löcher, wo rasch abrinnt, was oben rein kömmt, daß jemehr hineinkommt, desto mehr unten ausrinnt,so daß, wenn man ihn schon lange auf den Kopf stellt, ja schüttelt und rüttelt, nichts mehr unten ausläuft, bis man ihn halt wieder irgend wo unterstellt, Clienten oder fette Aemtchen oben auf.
Es kam Vreneli wirklich oft der Gedanke: „Was wartet meiner noch? Die Base
stirbt, Uli ist nicht zweg, wo aus das will, ist Gott bekannt, alle Tage tiefer
darin, und in einem Gehürsch (verwickelten Ding) wo was kriegt, wer betrügt;
darf nichts sagen, um die Sache nicht noch schlimmer zu machen, wenn Gott nicht
wäre, meines Lebens wüßte ich wahrhaftig keinen Rath.“ Dieser passive, leidende
Verhalt war für Vreneli nm so schwerer, da dasselbe, rasch und unternehmend, zur
Regentin von Gott geschaffen war.Das ist gar ein eigner Punkt, zu etwas
erschaffen scheinen,und was anderes sollen; aber eben will uns Gott an schwachen
Seiten doctern, das sollten wir fassen; was uns leicht geht und lustig scheint,
dazu bedürfen wir keiner Ausbildung,aber da, wo wir nichts sind und nichts
können, und doch schön wäre, wenn wir es könnten, da müssen wir geschult und
angetrieben werden, wenn wir was werden sollen. Die heutigen Schulherren
(Schulmeister darf man nicht mehr sagen, denn die Schule ist emancipirt, und
die, denen sie gehört, sind ja deren Herren) und sonstigen Pädagogen sind
Capitel 17.Nach der Angst kommt der Tod.Lenore fuhr ums Morgenroth empor aus
schweren Träumen, so gings auch Vreneli. Vom Brennen hatte es geträumt, hatte
seine Kinder in den Flammen gesehen, zu ihnen gewollt und nicht gekonnt, war wie
in Ketten und Banden gelegen. Ein hesftiges Klopfen am Fenster brach den Bann,
mit einem Satze war Vreneli mitten im Zimmer,riß die Augen auf, stockfinster
wars, ob es geträumt oder nicht, war ihm nicht klar. Da klopfte es noch
heftiger; rasch riß es das Fensterchen auf und rief: „Wo brennt's?“„Komm
geschwind, die Frau will sterben, sie kommt nicht mehr fort mit dem Reden; sie
wollte nie machen, was ich angab, drum gehts ihr jetzt so; hätte sie gehorcht,
sie hätte es noch lange machen können, so wohl am Leibe wie sie war.“Es war
Joggeli, der so sprach. Ehe er wieder beim Stock war, war Vreneli hinter ihm,
vor ihm in der Stube, und fand die gute Base im Sterben. Nach Tropfen und Salben
griff es schnell, die Base that wohl die Augen auf, tappte nach seiner Hand,
strengte sich augenscheinlich an, etwas zu sagen, brachte blos undeutliche Töne
hervor, man wußte nicht,wollte sie Haus, oder Geld, oder Hand sagen, und wenn
man nach diesem oder jenem deutete, schüttele sie den Kopf
Vreneli fühlte, daß ihm jetzt hauptsächlich die Besorgung aller Formalitäten
oblag, denn Joggeli hatte weder Üebersicht des Nöthigen, noch das schnelle Wort
zur Beschickung des Nöthigen. Es drückte die Hand aufs Herz,wischte die Augen
aus, stund auf und frug Joggeli, was er meine, daß jetzt gemacht werden müsse?
„Eben,“ sagte er,„habe er gedacht,“ und schluchzte erbärmlich dazu, „es sei doch
nichts gemacht von seiner Frau selig, daß sie nicht gesagt, wie sie es wünsche,
es sei doch sonst überall Gebrauch,daß wer sterbe, sage, wie man es mit seinem
Leichenbegängniß halten solle und sonst befehle, was es noch möchte. Sie
Vreneli gab darauf nicht einläßigen Bescheid, es war zu weich gestimmt um die Weise, seinen Schmerz in Beschuldigungen anderer auszudrücken, zu züchtigen, wie sie es verdiente. Diese Unart haben übrigens sehr viele Leute. Bei allen. Unfällen und Wiederwärtigkeiten, auch wenn sie sich dieselben auf die augenscheinlichste Weise selbst zu ziehen,fassen sie rasch nach einem Sündenbock, ziehen ihn bei den Hörnern herbei, laden ihm alle Schuld auf; finden stie keine Menschen, denen sie die Schuld aufladen können, so muß Gott selbst herbei und das Lamm sein, welches die Sünden und Schulden der Menschen trägt. Die Kinder säumten nicht, mit Johannes kam auch Trinette. Vielleicht noch nie in ihrem Leben hatten Elisi und Trinette ihre Toiletten so schnell gemacht, denn wenn es ans Erben geht, kriegen selbst die kriechenden Thiere Beine.
Indessen war es mit dem Erben ein quasi heillos Ding,denn nach der Sitte fallen
Kleider und Kleinodien einer Mutter den Töchtern zu, Söhne und ihre Weiber haben
kei
Joggeli wollte nicht gehen, „Er sei zu krank und angegriffen,“ sagte er. Johnnes
sagte: „er wisse nicht, wie man dies verrichte, es sei ihm noch nie dazu
gekommen, und wenn es nicht sein müsse, gehe er zu keinem Pfaffen. Sie wurden
räthig, Uli zu senden, aber wohl, Vreneli sagte ihnen,was Ordnung sei, „Sein
Lebtag hätte es nie gehört, daß man irgendwo solche Dinge durch einen Knecht
verrichten lasse, wie man etwa ein Stück Vieh mit einem Knechte zur Mezg
schicke. Solches werde durch die nächsten Verwandten verrichtet überall. Nun
nehme es ihns Wunder, ob die gute Base es verdient um sie, daß Niemand zum
Pfarrer wolle,nur sie anzugeben? Drüben zanke man sich wegen ihren Kleidern,
hier um einen kurzen Gang. Es sei himmelschreiend und Wunder nehme es ihns, ob
es irgendwo in Heidenlanden ärger zugehen könne. Wenn die Base diese Liebe mit
ansehen müßte, und hören die Worte, welche geredet würden, so würde ihr das Herz
zu bluten anfangen,wenn es schon aufgehört habe zu schlagen.“ Johannes hatte
einen gewissen Respeckt vor Vreneli und bequemte sich endlich zu dem Gang.
Begreiflich trank er erst einen Schoppen oder zwei, ehe er ins Pfarrhaus ging,
unter dem Vorwande, mit dem Wirthe wegen dem Leichenmahl zu reden,eigentlich
aber um sein Herz zu stärken und Courage zu trinken. Es ist kurios mit solchen
Menschen; sie scheinen ein Herz von Eichenholz zn haben, einen Muth, welcher den
Teufelbei den Hörnern fassen darf, thun gewaltige Reden,und zeigen gegen jeden
Pfaffen die gründlichste Verachtung,renomiren vor ihren Gästen förmlich mit
dieser Verachtung und predigen den Satz: „Wann endlich die Zeit komme, daß man
mit solchen Tagdieben abfahre,“ auf alle mögliche Weise.Aber wenn sie dann mal
zum Pfarrer sollen, so wird es ihnen unheimlich und öde ums Herz, sie müssen
mühsam die Bruchstücke ihres Muthes zusammensuchen und sie dann erst noch
zusammenleimen mit einem oder zwei Schoppen. Sie sagen zwar, es sei ihnen
verflucht zuwider zum Pfaff zu gehen, meinen vielleicht selbst, oder möchten
wenigstens andern es glauben machen, es sei wegen der Verachtung. Aber es ist
durchaus nicht, sondern es ist nichts als Grimmen, Krümmen, Wenden, Aufblähen,
welhes nach der 17
Am besten kam es mit Johannes aus. Der hatte doch noch ein Herz von Fleisch und
Blut und manchmal war es sogar, als fahre wie ein Blitz ein höheres Gefühl durch
dasselbe, aber wenn man es fassen wollte, siehe, so war es schon nicht mehr da.
Indessen begehrte er doch bestmöglichst den Anstand und das Uebliche zu
berücksichtigen, hörte Vreneli an, wenn es etwas anbrachte, gab ihm zumeist
Recht, und half zuweilen selbst etwas anordnen, aus eigenem Antriebe.Johannes
hatte eine von den brüllhaften Naturen, welche die ganze Welt voll
himmeldonnern, daß man glauben sollte,in ihnen sei die Macht aller wahren und
falschen Gottheiten, von Saturn bis auf Hegel, welche bekanntlich darin große
Aehnlichkeit haben, daß sie ihre eigenen Kinder fressen,concentriert. Betrachtet
man diese Naturen in der Nähe,so sind sie zumeist ohne alle innere Kraft und
Macht, ihr ganzes Vermögen geht eben in ihrer Brüllhaftigkeit auf.Man sieht
zuweilen Menschen in Kaffeehäusern, bei Spiel und Champagner, die bedeutensten
Rollen spielen, daß man meinen sollte, sie wohnten in Palästen, schliefen auf
Schwa
Zu allem Peinlichen kam noch der ausgebrochene Kinderkrieg, welcher, man möchte
fast sagen, Tag und Nacht kein Ende nahm. Elisis Kinder waren da, Trinettes
ebenfalls, die letzteren größer, die erstern kleiner, mischten sich unAD
süchtig, meisterlos als möglich erzogen, gab es ununterbrochenen Streit,
begleitet mit einem Geheul, ungefähr wie die Indianer heulen, wenn sie die Hütte
eines Blaßgesichts überfallen. Zuweilen stürzte in das Geheul mitten hinein,
schel
Endlich kam der Tag, an welchem die gute Mutter begraben werden sollte. Da konnte man sehen, was eine gute Frau zu bedeuten hat in einer Gegend; sie ist, was ein warmer Ofen im harten Winter; Jeder, dem es schaurig wird in der kalten Welt, läuft ihm zu, sucht und findet Behagen in seiner Nahe. Gar Viele legten in lauter Wehklage Zeugniß ab, daß sie nackt gewesen, von ihr gekleidet, hungrig und durstig, von ihr gespeiset und getränkt worden.Diese Zeugnisse werden wohl noch ihren alten Werth besitzen,was sie diesen gethan, wird der, der einst zu richten kömmt die Lebendigen und die Todten, ansehen, als hätte er es empfangen, und hier wird wohl auch die Sühnung liegen von Allem, was sie gefehlt in Unwissenheit und allzu großer Milde. Indessen wem die Klage am tiefsten aus dem Herzen floß, waren doch Joggeli und Vreneli. Joggeli fühlte,daß man seinen Stab und Stütze zu Grabe trug, ein düsteres Ahnen der Tage, die seiner warteten, beschlich ihn.Schon Jahre lang war er immer am Stock gegangen, und hatte es sich so angewöhnt, daß er vom Tische zum Bette den Stock zur Hand nahm. Aber viel schwächer als seine Beine, war sein Wille, der änderte sich alle Tage, und jedes Kind konnte ihn meistern, seine Frau hatte ihn auch gemeistert, aber zu seinem Besten. So lange sie lebte, klagte er darüber bitterlich, jetzt, da sie todt war, vermißte er dieses Meistern noch viel bitterer; er fühlte, daß er den Halt im Leben verloren. Vreneli ging es fast ebenso, es war ihm,wie es dem Schiffer ist, dem auf wild bewegtem Meere das Ruder entgleitet, der Kahn der Willkühr der Wellen Preis gegeben ist. Es war ihm wie einem Kinde, welchem im Marktigetümmel der Mutter leitende Hand entfährt, hin und
Mutter sieht und schreit.
Das Verschwinden Feines Menschen von der Erde ist schauerlich, und Wenige werden, wenn sie an einem offenen Grabe stehen, diesen Schauer nicht fühlen, sich nicht sagen:„Siehe, so sieht auch die Thüre aus, durch die Du mußt zum andern Leben, so sieht Dein Grab auch aus, aber wie wird Dein und Aller Erwachen sein?“ So werden die Meisten denken, welche nicht mit besonderer Liebe an die Leiche gefesselt sind. Wo die Liebe recht lebendig ist, da verzehrt sie alle Gedanken, nur der Schmerz des Missens, das Sehnen nach Wiedersehen, fluthen durch die erregte Seele. Da wird uns klar, wie wir selbst ein Geheimniß sind im Werden und im Sterben, ein Geheimniß, welches kein Sterblicher offenbart; da begreifen wir, daß wir wandeln müssen im Glauben, nicht im Schauen, daß wir nichts sind als ein Hauch des Allmächtigen, aber ein wunderbarer, der kommt und schwindet nach seinem Wohlgefallen. Da fühlen wir,daß alles Wissen und Sagen der Gelehrten Stückwerk ist und ein kindisch Gerede, und nichts Kraft und Macht hat in den Schauern des Todes und des Grabes, als die Verheißung, daß auferstehen werde in Kraft und Herrlichkeit, was verweslich und in Schwächheit ausgesäet worden.
Wenn einer geht ins bessere Land, entsteht wohl eine Lücke in der Welt, kleiner oder größer, je nach des Menschen Stand und Bedeutung, aber schnell ist die Lücke zugewachsen in der Welt, schneller noch als das Gras wächst auf dem Grabe. Nur die Lücken in den Herzen wachsen nicht zu,wenn sie aufhören zu bluten, blüht ein freundlicher Gedanke auf, schöner, als je Rosen auf einem Grabe geblüht.
So verschwand auch die Base. Die Ardbeit, welche sie noch gethan, verrichteten
Andere, der Lauf der Welt blieb der gleiche, aber die, welche sie geliebt,
vergaßen ste nimmer,und lange wird kaum ein Tag vergangen sein, daß ihrer
hienieden nicht in Liebe gedacht wurde von denen, denen sie wohlgethan. Sie
ruhte im Grabe im Herrn, und darum ficher auch sanft, desto weniger Ruhe hatte
Joggeli. Beide Kinder, oder siatt Elise vielmehr der Baumwollenhändler (denn was
frug Elise dem Vater und allem Uebrigen nach,
Der Baumwollenhändler dagegen schilderte gräßlich die Unruhe in einem
Wirthshause, wo fast kein Schlaf möglich sei, man auch nie das Essen zu der Zeit
haben könne, sondern wenn es der Köchin gelegen sei, und oft nichts als die
Tellerräumeten der Fremden. Bei ihm hätte er goldene Ruhe und ausgesuchtes
Essen, welches er befehlen könne nach Belieben; wolle er Gesellschaft, so könne
er auslesen nach Belieben, im Orte, wo er wohne, seien neun und dreißig
Wirthschaften, allenthalben finde er ausgesuchte Gesellschaft,und wolle er Ruhe,
so finde er sinde er sie daheim, da solle er Herr sein und kommandiren wie er
wolle, gehorcht solle ihm werden, wie wenn er der Napoleon wäre. Das waren die
Präliminarien, von denen kamen sie immer tiefer in die Materie hinein, zerrten
erst die Weiber gegenseitig im Maul herum, daß wenig gute Fetzen an ihnen blieb,
dann sich selbst,und fast wäre es zum thätlichen Abschluß gekommen, wenn Joggeli
nicht selbst gemahnt hätte, was die Leute sagen würden, wenn man sich, so zu
sagen, über der Mutter Grab prügle. Das endliche Resultat war, daß Joggeli
bleiben durfte, so gleichsam auf neutralem Boden, und so war es Joggeli wirklich
auch am liebsten, denn wenn er auch über Niemand mehr zu klagen wußte, als über
Vreneli, so vertraute er sich ihm doch am liebsten an, er wußte, er hatte
Gutsprechen wolle er für Niemand, sagte Johannes, indessen traue er den Leuten mehr als den nächsten Verwandten, denn bis dahin hätte er noch nichts Schlechtes von ihnen gehört. Uebrigens würde der Vater es bald genug klagen,wenn sie an ihm rupfen wollten. Der Schwager nahm die Prise. „Also aufgepaßt;“ dachte er, „jedenfalls thue ich den ersten Zug, dann macht jeder, was er kann.“
Elist mochte nicht warten, bis es mit seinen Sachen fort konnte, sie in
Sicherheit bringen vor Trinettes gierigen Blicken, und hatte doch wieder Freude
daran, Alles so recht
Ja jetzt gabs Lärm! Wo sind meine Sachen, wo sind meine Sachen, erscholl es durch
Stadt und Land! Unerschütterlich blieb die Magd bei der Antwort: „Weiß
nicht!“Die Leute lächelten hinter den Fenstern, verschwanden aber,wenn das
Geschrei, wo sind meine Sachen, wo sind meine Sachen, in ihre Nähe kam. Endlich
kriegte es eine Frau Nachbarin satt und erschien dem schreienden Elist unter der
Thüre und sagte: „Schweiget doch und brüllt nicht das Land voll, hilft Euch doch
nichts; diesen Morgen in aller Früh ist Euer Mann damit fort, heibeibrüllen
werdet Ihr sie nicht mehr, und solltet Ihr brüllen bis zum jüngsten Tag, und
noch zehnmal so laut.“ So sprach sie und verschwand. Ja,jetzt war Elisi nicht
mehr zu helfen, es wurde wirklich in allem Ernste fast gar ohnmächtig. „O meine
Sachen, meine Sachen, o Mutter, o Mutter, und der verfluchte Schelm und und ꝛc.“
Ja das ging schrecklich, ein Schloßhund ist dagegen nur ein Anfänger. Aber es
ging, wie die Nachbarin sagte: Elisi brüllte die Sachen nicht herbei und wenn es
gebrüllt hätte, wie zehntausend Ochsen. Der liebe Gemahl war allerdings damit
fort auf Nimmerwiedersehen, d. h. die Sachen, er selbst wartete noch auf fettere
Beute; er war in immerwährender, immer engerer Geldklemme, in welcher er sich
jedoch mit großer Gewandheit zu bewegen wußte; indessen trotz derselben hätten
ihn die Gläubiger längst über Bord geworfen, wenn nicht der reiche
Schwiegervater im Hintergrunde gewesen wäre. Trieben sie ihn zum Geltstag oder
Concurs, so war zehn gegen eins zu wetten, daß er nichts erbte, sondern das
ganze Erbe seinen Kindern zugestellt wurde, was gesetzlich zulässig war, dann
hatten die Gläubiger das blinde Nachsehen. Man schenkte ihm also so gleichsam
wie die Katze der Maus, mit aufgehobener Tatze das Leben,vertraute ihm jedoch so
wenig als möglich Neues an. Das brachte den Herrn in große Geldnoth und setzte
ihn fast vor die Geschäfte hinaus. Der Nachlaß der Mutter selig war für ihn ein
prächtiger Fang, der ihn wieder flott machte für eine Zeit. Er machte sich
keinen Augenblick ein Gewissen daraus, dir Hand darüber zu schlagen, ihn zu
versilbern, so
So in der Welt zu stehen ist wirklich trostlos und Mancher wurde ein Narr darob. Aber Elist hatte keine so spröde,sondern eine zähere Natur, viel Heulens mochte es ertragen, und wenn es einmal zu einem frischen weißen Brötchen kam, einigen Cottelettes oder einigen Batzen, welche es dem Manne stehlen konnte, so fand es darin großen Trost für manchen Tag.
Capitel 18.
Ein Gericht und zwei Sprüche.Unterdessen war Ulis Prozeßlein fortgelaufen, hatte
sich ausgesponnen auf wunderbare Weise zu einem langen langen Faden. Wenn er
meinte, er packe das Ende, husch war es ihm entronnen und weit weg, wie dem
Kinde das Fischlein, nach welchem es hastig gegriffen. Schon tüchtig ward Uli
durch seinen Agenten angepumpt worden, als es endlich hieß, an dem und dem Tage
werde; wenn nichts dazwischen komme, abgesprochen, Uli müsse dabei sein, müsse
auch einmal wissen, wie dies gehe, und sehen, wie der Gegner ein Gesicht mache,
wenn er verspiele, er werde sich verwundern. Es machte indessen Uli doch Angst
auf diesen Tag,es fiel ihm ein, es wäre noch immer möglich, daß er verliere,
dann könnte es ihn ärgern und der andere zusehen; er habe schon gehört, es gehe
bei den Abstimmungen oft verflucht
Die Nacht vor dem Abspruch konnte er wenig schlafen,er wäre zu einem ziemlichen Opfer bereit gewesen, wenn er den Prozeß hätte ungeschehen machen können. „Das foll mir eine Warnung sein,“ sagte er mehr als einmal halblaut,„ist der mal aus, fange ich mein Lebtag keinen neuen an,wenn es nicht sein muß.“ Er war früh auf und Vreneli versäumte ihn nicht mit dem Frühstück, war freundlich, aber vom Prozeß redete es nicht. Da war ein wunder Fleck in seinem Herzen, der nicht heilen wollte, und schmerzte, so oft er berührt ward. Es war ein heißer schwüler Sommertag, kurz vor der Ernte, der Roggen beugte bereits seinen philisterhaften Rücken und neigte sein Haupt, wie ein alter Professor, wenn er sich der Höflichkeit befleißt. Das Korn hatte verblüht, stand keck grad auf, wie junge Fähndriche,welche Generale werden möchten. Uli dachte, in acht Tagen muß der Roggen ab, in drei Wochen das Korn, überschlug seinen Ertrag, machte Preise, handelte, daß er darüber fast den Prozeß vergaß, und an Ort und Stelle war, ehe er es sich versah. Es war noch ziemlich stille, die Stunde des Gerichts noch nicht da, und bekanntlich gehören die Advokaten, welche früh zur Stelle sind, entweder zu den Ausnahmen oder zu den Anfängern. Wer des Abends zuviel Wein im Munde hat, frägt dem Golde, welches die Morgenstunde im Munde hat, nicht mehr viel nach.
Nach und nach trappeten die Partheien an, oder fuhren wohl auch, stunden ums
Schloß, wo das Gericht saß oder sitzen sollte, oder bewegten sich der Gaststube
des Wirthshauses zu, um an einem Schnaps oder einem halben Schoppen Wein sich
für die Operationen der Gerechtigkeit zu stärken.Auch seinen Gegner sah Uli
heran trappen, an einem langen Stock, gelb und mager sah unter dem breiten Rande
des schwarzen niedern Wollhut das Gesicht hervor. Der ging nicht dem Wirthshause
zu, sondern dem Schlosse, sah sich erst lange bedächtig um, lehnte sich dann
noch lange an seinen
„Wärte hier, muß doch noch ein Wörtlein mit dem Meinen reden,“ sagte ein Anderer,
„und ihn mahnen, daß er nur ja den und den Punkt nicht vergesse und die Satzung
welche darauf sich schickt, es ist die und die. Solche Herren sind oft gar
schrecklich vergeßlich, besonders wenn sie vom Dischiniren (Frühstücken) kommen.
So Einer hat soviel Händel, daß er um den einen oder den andern nicht die Hand
umdreht, verliere ich den, he nun sodann, so gewinne ich einen andern, spekulirt
er. Unser einer, der nur einen Handel hat, kann es minder leicht nehmen, gewinnt
oder verliert er ihn. So sieht man Manchen an der Thür sich drehen, um seinem
Fürsprecher abzupassen, ihm noch ein vertraut Wort zu sagen, vielleicht
mitzutheilen, was man selbst Schlagendes gedacht oder gesinnt. Der Eine oder der
Andere flucht in einer Ecke, wenn er seinen Advokaten mit dem des Gegners
vertraut unter einem Fenster reden sieht, denn er hatte geglaubt, sie Beide
sollten sich mit dem gleichen Hasse hafsen, mit welchem er und sein Gegner
einander hassen. Da werden sie mit einander abreden, wer gewinnen und wer
verlieren soll, wie die Schwinger am Ostermontage in Bern. Es ist doch von denen
Hagle keinem was zu trauen, es ist ein Schelm wie der andere, wenn man es sagen
dürfte, und Unterschied ist keiner, weder daß der eine um etwas der Schlimmere
und der andere um etwas der Dümmere ist,“ so wird geurtheilt. Endlich wird das
Publikum ungeduldig, Einige steigen voran, Einige schimpfen über das Zögern, sie
hätten weit heim und seien nicht zweispännig hergefahren und es dünke sie, die
Herren sollten an Hunger und Durst auch etwas sparen für den Mittag, sonst
möchten sie da nichts mehr. Endlich kömmt der Gerichtsweibel und sagt den Herren
des Tages: „Die Richter säßen schon lange und verlangten nach den Herren, wenn
man erst Mittags anfange, so finde man den Feierabend nie.“ Indessen ist der
Herr Gerichtsweibel nicht halb so pressirt,daß er nicht mit einem oder zwei
Gläsern Wein Bescheid thun kann. „Hätten sie drüben schon so lange gewartet, so
würden sie noch um einer kleinen Weile willen nicht aus
Uli war einer der Letzten, welche vorkamen, ihm war ungefähr wie einem, der gehängt werden soll, aber erst uoch einige Andere zu seiner Stärkung und Erquickung muß hängen sehen; wer dies erlebt hat, weiß, wie es ihm war.Endlich wurden sie vorkommandirt. Seines Gegners Agent eröffnete das Feuer, und zwar so scharf, daß es Uli fast schwarz ward vor den Augen. Der wusch ihm den Pelz, daß er glaubte, er könne sein Lebtag keinem Menschen mehr ins Gesicht sehen, daß er viel Geld gegebenhätte, nichi blos,wenn er den Handel nie angefangen, sondern wenn er nur nie hergekommen wäre, denn fortan werde jedes Kind, wo er sich zeige, mit Fingern auf ihn weisen und sagen: „seht da, den Betrüger, den verlogenen Kuhhändler!“ und daß was an dem Gerede wäre, das sagte Uli was unter dem Brustlatz. „He nun, so ist's!“ dachte er, „gut für einmal,ich merke jetzt, wie es die Leute meinen, hätte ich der Frau geglaubt, so wäre es mir nicht gegangen.“ Nun trat auch sein Anwalt auf. „Wenn der nur schweigen oder die Sache ganz kurz machen würde, daß sie bald vorbei wäre;“ dachte Uli; „aber dem Lumpenhund wolle er es doch einmal sagen,wie er ihn hineingeführt, denn mit Schein laute das Gesetz ganz das Gegentheil, als der Hagel es ihm angegeben. So gehe es, wenn man von der Sache nichts verstehe, sich blos müsse brichten lassen, und noch dazu von solchen Beinschabern.“ Nun aber kam sein Anwald nach einigen Präliminarien auch in Fluß der Rede. Potz Himmel! wie that Uli erst das Maul auf, und wie fing es ihm dann zu woh
Uli, der Pächter. 18
So tröstete der Wirth, und der Trost eines Wirths ist auch gut, warum nicht, er währt wenigstens so lange als seine Schoppen und dies ist auch schon was. Durch die ins andere Zimmer einbrechenden Gerichtsmänner wurde der Wirth in seinem Troste unterbrochen, denn wenn Priester und Krieger der Gerechtigkeit einem Wirthe zu Handen kommen, gilt so ein Uli nichts mehr, und wenn er Trost noch so nöthig hätte. Es war bereits über vier Uhr, als Uli sich auf dem Heimweg machte; er förderte rasch feinen Schritt. Der Wein, des Wirths Worte, das Gefühl gewonnen zu 'haben, drängten den empfangenen Eindruck in den Hintergrund, machten ihn guten Muths. „Es sei schon viel geschwätzt worden in der Welt,“ dachte er, „und habe nicht viel zu bedeuten gehabt.“
Schwarz stund im Westen ein Wetter, aber es bewegte
Eapitel 19.
Ein ander Gericht und ein einziger Spruch.Uli wars nicht wohl. Gewohnt, dem immer
sehr bestimmt ausgesprochenen Willen des Wirths sich zu unterwerfen, ging er
wohl hin, erzählte, wie es gegangen, aber was das Mannli ihm gesagt, verschwieg
er, das wollte ihm nicht den Hals herauf; hastig trank er den Wein und pressirte
weiter, denn schon bewegte sich stark das Laub an den Bäumen, wie von
unsichtbarer Hand, denn kein Wind bewegte die dicke heiße Luft Fernher donnerte
es dumpf, fast an einander, als ob ein schwerer Wagen über eine hölzerue Diele
fahre. Wenn es wettern will, eilt der rechte Hausvater heim, so stark als
möglich, dort ist sein Platz, wie der des Obersten an der Spitze des Regiments,
wenn der Feind naht. Man weiß nie, was es geben kann und beim Hausvater soll der
Rath sein in allen Dingen und die Hand zur That in allen Fällen. Uli eilte
weiter, trotz den Versicherungen des Wirths: „Er komme ohne pressiren heim, zu
rechter Zeit, und das Wetter ziehe oben ein, er solle darauf zählen.“Es war
merkwürdig am Himmel, drei, vier große Wetter standen am Horizonte, eins
drohender als das andere.Feurig war ihr Schooß, schwarz und weiß gestreift ihr
Angesicht, als ob mit der Nacht der Tod sich gatte, dumpf toste es. „Dort geht
es bös, dort hagelts,“ sagte Uli halblaut für sich, „wie angenagelt steht das
Wetter, dort hagelt es fast alle Jahre, da möchte ich nicht wohnen, hier durch
kommen solche Wetter nicht, der Wirth hat recht. Joggeli hat gefagt, als er die
ersten Hosen getragen, da habe es einmal gehagelt, er möge sich noch gar wohl
daran erinnern, seither nie mehr, daß es der Rede werth.“ Indessen schneller
wur
Und plötzlich brach der schwatze Wolkenschoos, vom Himmei prasselten die
Hagelmassen zur Erde. Schwarz war die Luft,betäubend, sinneverwirrend das
Getoöse, welches den Donner verschlang, Uli barg sich mühsam hinter einen
Kirschbaum,
Da stund er nun gebeugt am Baume in den sausenden Hagelmassen seines Lebens kaum
sicher, fast wie an den Pranger gebunden, vor seinen vor Kurzem so schön
prangenden Feldern, welche jetzt durch die alles vernichtenden Hagelwolken
verborgen waren. Uli war betäubt, keines klaren Gedankens fähig, er stund da wie
ein Lamm an der Schlachtbauk,er hatte nichts, als ein unaussprechlich Gefühl
seines Nichts,ein Zagen und Beben an Leib und Seele, das oft einer Ohnmacht nahe
kam, dann in ein halb bewußtlos Beten überging. Das Zagen und Beben entstund
eben aus dem dunkeln Gefühl, daß die Hand des Allmächtigen auf ihm liege. So
stund er eine Ewigkeit, wie es ihm vorkam, in Fetzen schien Gott die Erde
zerschlagen zu wollen. Da nahm das schreckliche Brausen ab, wie eine milde
liebliche Stimme von Oben hörte man das Rollen des Donners wieder, sah die
Blitze wieder zucken, der Gesichtskreis dehnte sich aus,die Schlacht tobte
weiter, die Wolkenmassen stürmten über nene Felder, rasch hörte der Hagel auf
freiern Athem schöpfte wieder der bis zum Tode geängstigte Mensch. Auch Uli hob
sich auf, zerschlagen und durchnäßt bis auf die Haut, aber das fühlte er nicht.
Vor ihm lag sein zerschlagener Hof, anzusehen wie ein Leichnam, gehüllt in sein
weißes Leichentuch, von den Bäumen hing in Fetzen die Rinde, und verderblich
rollten die Bäche durch die Wiesen.Aber Uli überschlug den Schaden nicht, schlng
die Hände nicht über dem Kopfe zusammen, fluchte nicht, verzweifelte nicht. Uli
war zerknirscht, war kraftlos an Leib und Seele, fühlte sich vernichtet, von
Gottes Hand niedergeschlagen. Ob er was dachte oder nicht, wußte er nie zu
sagen.Er wankte heim, merkte Vreneli nicht, welches weit vom Hause die Knechte
regierte, daß sie Einhalt thäten, den stürmenden Wassern, bis es ihm um den Hals
flel mit lantem Jubel und sprach: „Gottlob bist da, nun wenn Du da bist,ist
Alles wieder gut und gut zu machen. Aber was ich für einen Kummer um Dich
ausgestanden, das glaubst Du nicht.
Unter dem Dache seines Stöckleins steckelte Joggeli im Hagel, der dort hoch aufgethürmt lag und sagte: „Groß wie Baumnüsse sind sie, so große Steine sah ich nie. Es war ein schrecklich Wetter, es weiß kein Mensch, wie übel es gegangen, gleich vor der Ernte, das wird manch Lehnmannli schütteln und erlesen. Aber sie sind selbst schuld, warum thun Hagelwetter nicht ertragen mögen, wäre sie. Aber Wunder nimmt es mich, warum es gerade in diesem Jahre, nach siebenzig Jahren, zum erstenmal wieder gehagelt hat und so grob, da muß was Appartes dahinter sein, ich wüßte sonst nicht, warum Gott es gerade jetzt wieder hätte hageln lafsen. Wenn es nur so wegen dem allgemeinem Gebrauch wäre, so wäre es schon lange wieder geschehen, aber warum jerade jetzt wieder. Das dünkt mich kurios.“ Er erhielt keine Antwort. Als sie ins Haus waren, sagte Joggeli:„Jetzt ist dem das Reden doch einmal auch vergangen, es dünkt mich nicht anders. Ich will nicht sagen, daß ich es ihm gönnen mag, aber recht ist, daß dem auch mal was auf die Nase kömmt. Wenn ich nur schon meinen Zins hätte,da läßt sich zur rechten Zeit zusehen, daß ich zu meiner Sache komme.“
Vreneli unterdrückte mit aller Macht Klagen und Kummer, war mit aller Theilnahme
um Uli besorgt, legte trockne Kleider zurecht, bereitete einen guten Kaffee, der
Weiber Tröster in allen Nöthen. Aber düster blieb Uli, sprach nicht,legte statt
zu essen und zu trinken den Kopf in die Arme auf den Tisch, und seufzte tief.
Vreneli sprach zu, guten
Er habe wohl gesehen, daß es hagle gegen das Oberland,er habe den Zusammenstoß
der Wetter gesehen, und wie sie einander heraufgetrieben, gerade gegen ihn zu;
es sei ihm kalt geworden ums Herz, er habe denken müssen, kömmt ein Blitz und
trifft er Dich? Als der Hagel los gebrochen, als er wie ein armer Sünder am
Halseisen unter dem Baume gestanden, da habe er den Blitz erwartet und nichts
denken können als: Gott sei meiner armen Seele gnädig! Mit dem Leben sei er
davon gekommen, aber was setzt? Ein armer Tropf! so lange er lebe, daß ärmer
keiner auf der Welt sei.Er sei nun um seine Sache, fei um ein gutes Gewissen,
müsse sein Lebelang denken, er habe sich und noch einen unglücklich gemacht; und
wenn er schon gut machen wollte, so seien ihm die Hände gebunden, da er selbst
nichts habe. Als der Alte vorhin gesagt, es nehme ihm Wunder, wenn es gerade
Wreneli war sehr bewegt in seinem Gemüthe, es fühlte wohl, wie schwer es sei, den
wahren Trost zu fasfen,wie schwer, über alle irdischen Kümmernisse den Glauben
zu erheben, daß das, was Gott thue, wohlgethan sei.Es pries als ein groß Glück
das Uuglück, wenn dadurch Uli aus dem Wirbel des Zeitlichen dem höhern Ziele
zugewendet worden, aber dazwischen kamen ihm doch die Sorgen,was werden wir
essen und womit werden wir uns kleiden?Am tliefsten ergriff's ihn, daß, indem
sie nnglücklich geworden und geschlagen, das Mannli seine Sache doch nicht
wieder hätte, doch vom Höflein komme, mit den Kindern dem heiligen Almosen nach
müsse; daß sie nicht im Stande seien,ihn mit Geld zu fühnen, was sie auf- und
anbringen möchten,gehöre Joggeli, dem alten Gläubiger, und wie es herauskäme,
wenn sie diesem geben würden, was sie ihm nicht schuldig seien, und da nicht
zahlen, wo die Schuld verschrieben sei? Das plagte ihns. Es sagte sich freilich,
das Mannli sei auch etwas schuld an der Sache, es habe sich immer sehr hässig
gebehrdet und aufbegehrt, wenn“ es freundlicher gethan, so hätte Uli vielleicht
nachgegeben. Indessen hatte
Das Haus war ihnen also nicht verbrannt, aber Alles, was auf, dem Gute grünte, verhagelt worden. So geht es oft, man fürchtet etwas als das größte Unglück, damit wird man verschont, dagegen bricht ein anderes über uns herein, an das man nicht gedacht, welches aber viel größer und schwerer ist. Der Morgen nach einem Brande ist ein trauriger Morgen; da steht man an der Brandstätte und denkt ans Haus, wie es gewesen, und was Alles darin gewesen. Dann geht man auf die Brandstätte, sucht im rauchenden Schutte dieses, jenes, das eine findet man nicht, von Anderm Bruchstücke, die nicht zu brauchen sind; dann will man traurig weg und kann doch nicht, und immer wieder zieht es einem zurück, zu suchen nach diesem nach jenem,zu schauen, wie es jetzt ist, zu denken, wie es gewesen.
Aber nicht viel weniger traurig ist der Morgen nach einem großen Hagelschlag,
besonders für einen Pächter, der den verschiedenen Pflanzungen nachgeht, traurig
die Stummel und Trümmer betrachtet und überschlägt, soviel hätte mir dieses
ertragen, soviel jenes und jetzt nichts. Die Bäume betrachtet und denkt, so
manches Jahr sind sie nun unfruchtbar und viele sterben; denken muß, wo jetzt zu
essen nehmen, was jetzt pflanzen, daß man im Herbst doch noch einen kleinen
Ertrag hat, etwas für die allerhöchste Noth? Das sind traurige Wanderungen,
besonders wenn bei der Heimkunft der Pachtherr unter dem Dache steht und sagt:
„Höre Du, was ich sagen wollte, es wäre mir lieb, wenn Du mir geben könntest,
was Du mir vom vorigen Jahre noch schuldig bist, es war diesen Morgen Jemand bei
mir, und ich sollte Geld haben.“ Besonders wenn man dazu noch angegriffen ist an
Leib und Gemüth, alle Glieder schmerzen, die Beine so schwer sind, daß man
glaubt, sie gingen knietief in der Erde, und die Seele so voll ist, daß man sich
hinlegen, sterben möchte,der Muth zu allem fehlt. Vreneli munterte Uli auf, gab
verständigen Rath, tröstete ihn über Joggelis Unverstand,daß der nichts zu
bedeuten hätte, doch Alles umsonst. Uli uli, der Pächter 19
Dem Muthlosen gilt Alles nichts, dem Muthigen wenig viel. Am folgenden Tag fuhr
ein Wägelchen an, Vreneli stieß einen Schrei der Freude aus, Un hob kaum den
Kopf, denn ihm war noch schlimmer als am vorigen Tag.Auf dem Wägelchen saßen der
Bodenbauer und seine Frau.Sie waren lange nicht da gewesen, hatten das Unglück
vernommen, kamen nun selbst zu sehen wie es stehe, und welche Hüulfe die beste
sei, es waren wahre Freumde in der Noth.Sie sahen mit innigen Mitleid die
Verwüstung, wie ihnen
Dem Bauer und der Bäuerin war Ulis Niedergeschlagenheit aufgefallen, nach der Weise bedächtiger Leute hatten ste aber nichts davon gesagt. Nach dem Essen stellte Vreneli, nach Landessitte, wo der Wein erst nach dem Essen erscheint, wenn nämlich welcher erscheint, eine Maaß auf dem Tisch und schenkte ein. „Warum hast doch Kosten,“ sagte die Bodenbäurin, „wir haben es nicht nöthig und ihr das Geld sonst zu brauchen, daneben wenn Ihr was nöthig habt,so sprechet zu, wenn wir es haben, so soll es nie nein heißen. Gerade in solchen Zeiten hat man einander nöthig,gehts gut, so kann man es alleine machen.“ „So ists,“sagte der Bodenbauer, „und was meine Frau sagt, ist nicht blos geredet, sondern ist Ernst. Aber sag mir Uli, was ist mit Dir? Dich kenne ich gar nicht wieder, warst sonst doch nicht so verdrückt und ohne Muth; warst wohl manchmal oben aus und ließest wieder die Flügel sinken vor der Zeit,aber wenn Du sahest, daß man Dir zu helfen begehre und man Dir das Kinn in die Höhe drückte, so warst wieder ein Mann. Aber heute will gar nichts anschlagen bei Dir,essen und trinken thust Du nichts, reden nichts, und seit einer Weile ists als hörtest Du nichts! Rede, was ists?“ „Ich bin nicht zweg,“ sagte Uli matt, „es ist mir in allen Gliedern, es ist mir, als wäre ich unter der Erde. Es wäre gut, ich wäre es schon, denn an Allem bin ich schuld.“Vrenen wollte unterbrechen, der Vodenbeuen fragte, Uli
10
Auf dem Heimwege sagte er seiner Frau: „Es ist doch kurios mit dem Menschen! Daß Uli so einfältig sei und so dumm thun könnte, hätte ich mein Lebtag Niemand geglaubt;aber es muß halt Alles gelernt sein auf der Welt und wenn einer auf einem Platze gut ist, so ist es noch lange nicht gesagt, daß man ihn auf einem andern auch wieder brauchen könne. Da war der Uli ein vortrefflicher Knecht, besser war er nicht zu wünschen, jetzt als Pächter macht er dummes Zeug und wenn man nicht zu ihm sieht, so stellt es ihn auf den Kopf. Es ist halt mancher ein guter Soldat und ein schlechter Oberst! Ist sparsam häuslich, hat bös und macht doch alles was dumm ist und zu nichts führt. Macht den guten Mann, handelt mit Händlern, prozedirt, hat schlechtes Gesinde, es fehlen nur noch die Juden! Uebersteht ers, so zweifle ich nicht daran, es giebt noch ein Mann aus ihm,die Frau ist gut, die hält ihm den Kopf über dem Wasser.Gut ists, daß es zu rechter Zeit so kam, später hätte es doch fehlen können; aber merkwürdig ists, wie unser Herrgott die Menschen faßt.“ „Der alte Gott lebt gewiß noch,“ sagte die Bäurin, „ich zweiflete zwar nie daran; aber wohl hart hat er es dem armen Uli gemacht. Es ist noch die Frage ob er es aussteht, er hat zuletzt Sachen gesagt, wo ich nicht wußte, war er noch bei Verstand oder nicht.“ „Habe nicht Kummer,“ sagte der Bodenbauer, „wen Gott doctert,der geht an diesem doctern nicht zu Grunde, er ist kein junger Pfuscher, der sich im Zeug vergreift und pfundweise giebt, was man bloß lothweise verträgt, er kennt das Maaß, was einer ertragen mag und was ihm gut ist, er wird es wohl machen.“ „Amen,“ sagte die Frau.
Capitel 20.Des Spruches Folgen.Vreneli war von den seltenen Weibern, welche
regieren und gehorchen können, beides am rechten Orte; das sind rare Vögel. Es
lief nicht umher wie ein Kiebiß, wenn er einen Frosch steht, mit schrecklichem
Geschrei: „Was soll ich machen? was soll ich machen?“ und machte am Ende von
Allem, was man ihm angab, das Gegentheil, damit die Welt merke, wer da regiere
und Meister sei. Es regierte auch nicht von vornen herein in die Kreuz und in
die Queer,und fuhr nachher, wenn Alles krumm kam, herum um Rath,wie eine Katze,
welcher man Nußschaalen an die Tälpchen,oder Glöcklein an den Schwanz gebunden.
Diese Sorten von Weibern sind weniger rar. Vreneli war es weder um eine
thörichte Erhebung seiner Person zu thun, noch war es von einer thörichten
Selbstverblendung besessen, welche so rasch in trostlose Rathlosigkeit übergeht.
Vreneli war es um die Sache zu thun, es besaß die Klarheit des Geistes,zu
erkennen den besten Rath, die Selbstüberwindung, ihn da mit Dank zu nehmen, wo
es ihn fand, und die Kraft, ihn mit Energie, als ob er in ihm selbst entstanden,
durchzuführen. Uli mochte am andern Morgen wirklich nicht aufstehen, lag in
einer Abspannung, welcher Vreneli keinen Namen zu geben wußte. Der Doctor ward
berufen, sah den Zustand lange an und sagte endlich, er wisse nicht recht, wo
das hinaus wolle, er wolle etwas geben und ein oder zwei Tage die Wirkung
abwarten. Es war der gleiche Arzt, zu welchem die Base ihr Zutrauen gehabt und
es auf Vreneli oererbt hatte. Joggeli konnte ihn aber durchaus nicht leiden,er
behauptete immer, derselbe habe seine Frau getödtet, aber sie sei selbst schuld
gewesen, hätte sie einen andern gebraucht,so hätte sie noch bis zum jüngsten Tag
leben können. Sobald der Arzt fort war, kam Joggeli daher gesteckelt und frug,
was es gegeben, daß der wieder da sei? Es wäre ihm lieber gewesen, er hätte ihn
nicht mehr sehen müssen.Er erschrak sehr, als er hörte, Uli sei im Bett und gar
nicht
Vreneli hatte viel auf den Schultern, sehr viel, eine Menge Arbeiten mußten rasch
gemacht werden, um den Boden einigermaßen noch zu benutzen und den Schaden zu
verkleinern,dazu schlechtes Gesinde, Uli in einem hülflosen Zustande, zu welchem
der Arzt den Kopf schüttelte, ein Nervenfieber hatte ihn erfaßt. Wenn man ihm
zuvorkommen möchte, sagte der Arzt zwar, habe er diese Wendung so ungern nicht,
viel lieber, als wenn es sich ihm ins Gemüth verschlagen hätte.Bei solchen
Krankheiten merke der Arzt, wie alles Wissen Stückwerk sei; gar wundersam seien
leibliche und geistige Zustände in einänder verflochten, diese Verschlingungen
zu verfolgen, gebe es keine Brille, man möge deren nehmen, von welcher Sorte man
wolle. Zu diesem Allem immer den nachsteckelnden Joggeli, mit seinem Gestürm
wegen Lürlipeter und wegen dem Gelde. Vreneli ertrug ihn mit großer Geduld, aber
endlich wußte es sich nicht mehr zu helfen und schrieb dem Bodenbauer. Der kam
und wusch Joggeli tapfer den Kopf, zahlte ihm zugleich auch den Rückstand. Aber
jetzt plaget mir die Frau nicht mehr, das ist eine, die Ho
Das sind schwere, bedeutsame Stunden, welche ein Weib am Bette ihres Gatten, der zwischen Leben und Tod in der Schwebe liegt, durchwacht. Das Geräusch des Tages ist verstummt, das Ab und Zugehen, hat aufgehört, das Schaffen und Befehlen hat ein Ende, das wachende Weib ist ungestört und alleine beim kranken Manne, über ihnen ist Gott, wohl ihnen, wenn er auch zwischen ihnen ist. Ist der Mann seiner Lage sich bewußt, so werden es Stunden der Heiligung, sie gleichen den Stunden in den Tagen der ersten Liebez was das Herz bewegt, geht über die Zunge,man freut sich in weicher Rührung der schönen vergangenen Tage, dankt sich für Liebe und Treue, Geduld und Sanftmuth, bespricht die gegenwärtige Lage, und wenn das Weib jammert um die Zukunft, das Schicksal der Wittwen und Waisen, die Noth einer Mutter mit Kindern ohne Vater,so tröstet der Maunn, giebt weise Raäthe und stärkt des Weibes Gemüthe, indem er sie dem Allmächtigen empfiehlt, dem Vater der Wittwen und Waisen. Wenn sie belet üm sein Leben, und daß dieser Kelch an ihr vorübergehen möchte, so sagt er Amen dazu, doch nicht unser, sondern dein Wille geschehe. Das sind heilige Nächte, wie auf Engelsflügeln schweben sie vorüber.
Aber anders ist's, wenn im Irrsinn der Mann liegt,das Weib alleine ist, seine
Gedanken ihm Niemand abnimmt als Gott. Auch vor seinem Auge stellt sich sein
ganzes Leben, das vergangene, das gegenwärtige, das zukünftige, und
Man hat oft bewundert, mit welcher klaren Umsicht und großen Energie Wittwen die
Zügel großer Haushaltungen faßten und führten, wie ernst und fest sie ihre
Kinder erzogen, wie mächtig sie dem Schmerze geboten, der doch sichtlich ihren
Körper schüttelte. Wer dabei gewesen wäre,in jenen stillen, langen Nächten,
gesehen hätte, wie sie mit ihrem Schmerze, wir möchten fast sagen, mit Gott
gerungen Klarheit gekommen, welche sie üben bis zum Grabe, durch welche sie
hinein glänzen in has Andenken der Ihren, wie Sterne in die Nacht, der würde
sich nicht wundern, woher ihnen das Wesen gekommen, welches. Niemand in ihnen
ahnte, welches so segensvoll wirkte. Doch auch in einer andern Richtung bildet
die Seele, schafft eigeniliche Liebensbilder; sie denkt in Wehmuth,Denn Goit
den“ Geliebten ihr wieder schenke, wie sie beide
Schlafe überwältigt worden war. Hochauf fuhr es vom Stuhle; es war helle im Stübchen, der Arzt, den die Theilnahme unberufen hergetrieben, stund am Bette und prüfte den Kranken. „Mein Gott, mein Gott,“ rief Vreneli. Da legte der Arzt den Finger auf den Mund, winkte Vreneli vom Bette weg durch die Thüre in die andere Stube und sagte leise: „Fraueli, er kömmt Dir auf, die Sache ist gut,jetzt schlaft er ruhig, schwitzt recht, jetzt nur nicht geredet.“Vreneli wollte lauf auffahren, bachweise strömten ihm die Thränen über die Backen nieder. „Bsch, bsch,“ machte der Arzt, „geh und mache mir ein Kaffee, nehme sonst nicht bei den Palienten, sie meinten gleich, man wolle den Lohn doppelt. Aber ich möchte ihn erwachen sehn, und hatte noch nichts diesen Morgen. Z'Pressiren hast nicht, es wird noch eine Weile gehen, will unterdessen in den Stall, sehen wie Du Haus hast und Deine Knechte rühmen oder schelten, je nachdem ste es verdienen. Ein fremd Wort wirkt manchmal; zuweilen nehmen sie es einem übel, aber was frage ich den Hudelbuben nach! Vreneli mußte wieder ins Stübchen, bevor es des Arztes Befehl nachkam. Was es dort machte, weiß Gott.
Der Arzt trappete mit den Händen in den Taschen ums Haus herum und las dem Dienstbotenpersonal in seiner barschen aber heitern Weise tüchtig den Tert. „Was zum Teufel, den Dünger, welchen Du gestern aus den Stälsen gemacht, noch nicht verlegt! Wohl, das sollten mir meine Buben machen, ich führte sie beim Hagel am Hals auf den Misthaufen. Das Jaucheloch läuft ja über! Was, ist das gemacht! Was giebt es doch einem von Euch zu thun, ein Faß oder zwei auszuführen? Aber wenn man nicht immer hinten und vornen ist, so ist nichts gemacht; wohl, das wird sauber aussehen in den Ställen. Auf meine Seele,wenn ich es einmai so fände, ich jagte das ganze Pack mit dem Stecken von Hof, Ihr solltet Euch schämen wie Laushunde! Auf die Ehre hättet Ihr es nehmen sollen, die Sache recht zu machen. Das Fraueli hat sich fast getötet, aber an allen Orten kaun es nicht sein. Ich habe einen alten siebenzigiährigen Trappi und einen jungen, nur so einen Löhl,aber es ist mir ein jeder von ihnen, der Alte und der
Junge am kleinen Finger lieber als Ihr Alle mit einander,Rein, hört Buben, so geht das nicht, das muß anders aussehen und zwar heute noch. Ja lacht nur, aber gebt Acht,was Ihr macht, es ist Ernst. Euer Meister kommt auf,wenn er Sorg hat und man Sorg zu ihm hat. Er ist durch die Gefahr, Gottlob! Aber kömmt er da heraus und sieht die Schweinerei und das Gesudel, so bekömmt er das Gallenfieber, dann streckt es ihn, dann heißts, der Doctor habe ihn getödtet und Frau und Kinder können ihm nachweinen.Das will ich nicht, habe ich ihn mit Gottes Hülfe gerettet,so soll solch Volk mir ihn nicht tödten, da bin ich gut dafür. In zwei Tagen komme ich wieder, macht, daß es dann aussieht, wie es sich gehört, sonst muß mein Seel die Frau Alle ausjagen, ich will es verantworten. Ich komme alle Tage in zwanzig Dörfern herum, weiß Knechte für sieben solche Höfe, will dann aber auch allenthalben sagen, was Ihr für Bursche seid.“
Unter der bekannten Ecke seines Stöckleins, so gleichsam sein Wartthurm oder
seine Steruwarte, wenn er ausgucken wollte, was im Hause vorging, stund Joggeli.
Die laute Stimme des Arztes, dem er sonst aus dem Wege ging,hatte seine
Neugierde gereizt. Als der Arzt ihn dort sah,marschirte er in langen Schritten
auf ihn zu und sagte:„Früh, Papa, früh, so alte Manne sollten im Bette bleiben,
bis bald um Mittag. Sie sind den Leuten sonst nur zur Plage mit ihrer
Wunderlichkeit, besonders wenn Sie nichts thun. Ihr hättet aber jetzt etwas
machen können und es wäre Euch wohl angestanden, Ihr hättet es gemacht.Ja ja,
Papa, seht mich nur so sauer an, ich sage meine Sache gerade heraus und sürchte
mich nicht vor einem Paar sauren Augen, die haben noch Niemand erstochen. Ihr
hättet dem Fraueli an die Seite stehen sollen und die Lumpenbuben da in Ordnung
halten, die Frau konnte nicht an allen Orten sein; Ihr hättet wohl Zeit gehabt,
es wäre aufs gleiche herausgekommen, ob Ihr hier ums Häuschen herumsteckelt oder
dort bis zur Scheune hinunter. Aber so habt ihrs, ihr Hagels Bauern, wenn ihr
nur Geld habt, so fragt ihr keinem Menschen was nach, dem eigenen Bruder
nicht.Ja, Ihr seid ein Volk, Ihr, hab es erfahren! Rettie ich
„Ja, ja,“ sagte Joggeli, zuweilen kömmt einer davon und oft gehts dem Kirchhof zu, Ihr tapfern Lieferanten, was Ihr seid! Meine Frau selig die brachtet Ihr nicht davon und der drüben wird ihr wohl nach müssen,appartig glücklich seid Ihr hier nicht.“ „Um Euere Frau ists schade, wenn sie nicht einen so wunderlichen Mann gehabt hätte, sie lebte vielleicht noch, aber um sie davonzubringen,hätte man Euch doctern follen,“ entgegnete der Arzt, „der drüben kömmt davon, ja freilich, wenn Ihr mir ihn nicht hintendrein tödtet mit plagen, quälen, kummern wegen dem Zins. Aber eben, das will ich Euch sagen, nehmt Euch in Acht damit, so gewiß Ihr das thut, will ich Cuere Zunge spannen, daß Ihr 7 Wochen das Reden lasset. Das Wasser g'schauen thue ich nicht, aber vom Hexenwerk verstehe ich vielleicht mehr als ein Anderer, und wenn es nöthig ist,mache ich, was ich kann. Jetzt wißt Ihr, woran Ihr seid und behüt Euch Gott und lebet wohl.“ Joggeli sah ihm mit offenem Maule nach. „Er wärs im Stand der Hagels Ketzer,“ sagte er. Steckelte in sein Stöcklein zurück und machte sorgsam die Thüre zu.
Uli war erwacht, aber unendlich matt; es war ihm wie einem, der aus der Grabe kömmt. Er schloß bald wieder die Augen. „Komm,“ sagte der Arzt, „laß ihn machen,schlafen, soviel er will, rede nicht zuviel, freue dich nicht zu fichtlich; frage ihn um nichts, und was Du ihm zu essen geben sollst und wie viel, will ich Dir draußen sagen. Halte Dich tapfer mit den Portionen, Du wirst Deine liebe Noth haben mit dem Hunger, wenn der einmal erwacht, oft hören müssen, Du gönnest ihm das Essen nicht. Aber dessen mußt Du Dich nicht achten. Sag uur, ich habs befohlen.“
Vreneli hatte das Herz voll von Dank und Freude,die Augen voll Thränen, aber
reden konnte es nicht, es konnte dem Arzt blos die Hand geben als sie draußen
waren. Der verstund das aber wohl, drehte sich um, stund ans Fenster, that, als
nehme er eine Priese und wische den
Uli war zum Kind geworden, mußte in jeglicher Beziehung ein neues Leben anfangen,
so daß er es anfangs kaum merkte. Nachher beelendete es ihn, daß er darüber
weinte, Vreneli auch und den Arzt beschied. Der tröstete,schärfte aber aufs neue
die größte Vorsicht ein, leibliche und geistige. Es fehlten Uli die Kräfte, er
konnte nicht gehen,nicht einmal den Löffel zum Munde führen vor Zittern.Er hatte
das Gedächtniß mehr oder weniger verloren, mußte seine Erinnerungen mühsam
zusammenlefen, wie ein Kind Glasperlen, welche es im hohen Grase verschüttet,
oder zwischen losen Steinen. Es war zum Weinen, wie das kleine Vreneli des
Vaters wartete, ihn führte und half, fast als wäre er seine große Puppe. Joggeli
hielt sich aus Respeckt vor des Arztes Worten ferne, doch konnte er sich einmal
nicht enthalten, Uli, der in der Sonne saß, näher zu treten und ihm etwas zu
sagen. Die Antwort fiel etwas linkisch aus, daß Joggeli sagie: „Dir wärs besser,
Du lägest im Kirchhof. Aber wie das Wort, welches Uli nicht einmal verstund,
heraus war, erschrak er sehr, steckelte fo streng er es vermochte, seinem
Stöcklein zu, und schloß sorgfältig hinter sich die Thüre. Indessen ging es bei
Uli rascher als bei einem Kinde, jeder Tag brachte seinen Fortschritt, derselbe
ward immer entschiedener, und zwar hier auf erfreuliche Weise. Er konnte alle
Tage besser gehen, das Gedächtniß stellte sich allmählich wieder ein, aber dazu
auch ein Hunger, welcher Vreneli manchmal den Angstschweiß auf die Stirne trieb.
Wenn ein Mann um Essen bittet, noch um ein Stücklein, um ein ganz kleines, ganz
wie Kinder es thun, und die Frau sagen muß, ganz wie einem Kinde: Ich darf weiß
Gott nicht, warte nur eine Stunde, dann gebe ich Dir wieder, und der Mann die
Minuten zäblt, so ist es allerdings ein schwer Ding für eine Frau, fest zu
bleiben und nicht an das Sprüchwort sich zu halten: Wenig schadet wenig, nicht
zu denken, daß aus vielem Wenigen Viel wird, und endlich um eines einzigen
Tropfens Willen ein Glas überfließt. Was Vreneli gang besonders freute, war eine
Weichheit des Gemüthes, eine Ergebung in seine Lage,
Vor seiner Krankheit waren alle seine Kräfte überspannt,seine Stimmung
unnatürlich gereizt, er glich einem Schwimmer, welcher alle seine Kräfte
zusammennimmt, die Strömung zu durchschneiden, das Ufer zu gewinnen. Je schwerer
es ihm wird, desto größer werden seine Anstrengungen,Alles bietet er auf, das
Letzte setzt er daran, bis plößtzlich die Kräfte brechen, einem zu stark
gespannten Bogen gleich,und der Strom ihn verschlingt. So war auch Üli
zusammengebrochen im Kampf mit seinem Geschick, ein Krankheitsstrom war ihm über
Seele und Körper gegangen. Als er wieder auftauchte aus demselben, aus langer
Ohnmacht zu neuem Leben erwachte, war die Spannung vorüber, die Stimmung eine
ergebene, dankbare, es stellte sich das Vertrauen ein, die Züchtigung sei
vorüber, der Herr, der in die Hölle führt und wieder heraus, der bis hierher
geholfen, werde auch ferner helfen. Uli konnte sagen: „In Gottes Namen komme was
da wolle, wir wollen es annehmen,wir wollen das Mögliche machen, daß Niemand an
uns verliert, auch haben wir ja gute Leute, welche Geduld haben werden. Wir sind
jung und wenn uns Gott gesund läßt, so ist nichts verloren und es macht mir
keinen Kummer, uns mit Ehren durchzubringen, was will man mehr?Das Reichwerden
wollen wir aufgeben, was hat man davon als Angst und Noth, und Zorn-und Streit?“
Diesem pflichtete Vreneli vollkommen bei. „Wenn sie nicht zappelten und
hasteten, nicht allzunöthlich thäten, und Gott ihnen ein oder zwei bessere Jahre
sende, so werde es so schlimm nicht gehen; wenn man einander treulich helfe, sei
viel zu machen und Alles zu ertragen, es danke dem lieben Gott,daß es so
gekommen.“ Uli war auch dieser Meinung. Wohl kam ihm zuweilen eine Hast an, daß
er aufsprang, meinte, er müsse dran hin, müsse alle seine Kräfte anspannen, um
den stecken gebliebenen Wagen zu heben und zu stoßen, aber VreAAli, der Pachter.
„20
Capitel 21.Wie Uli mit Menschen rechnet und Gott sucht.Ihre Lage war allerdings trüb und bedenklich. Wenn Uli seine frühern Ersparnisse einzog, so konnte er den Bodenbauer bezahlen, und was er sonst noch schuldig war. Sein so sauer Erworbenes war also zugesetzt, vor ihm war ein Jahr ohne Erndte, wo er genöthigt war, einen Theil des Brotes zu kaufen. Sein Freund, der Müller, hatte ihm so viel Korn abgeschwatzt, daß sein Speicher fast lerr war. Woher das Saatkorn nehmen? Brot kaufen müssen bei einem Haufen Gesinde, ist übel. Er hatte nichts als Heu und Kartoffeln, beides reichlich und gut. Mit Milch und Butter konnte er etwas Weniges machen, aber es gab kaum die Hauskosten, noch viel weniger die Dienstenlöhne; wenn man Brot sparen muß, muß man mit etwas Anderm nachhelfen.
Aus dem Stalle konnte er etwas ziehen. Jetzt sah er ein, wie gut es gewesen, daß
Vreneli für Vorräthe gesorgt,welche größer waren, als er glaubte. Hanf und
Flachs hatte man reichlich zum spinnen und vielleicht war vom erhaltenen Garn
etwas zu erübrigen zum Verkauf. Dazu endlich hatte er nach die Rechnungen mit
Müller und Wirth,welche nicht erledigt waxen, von denen Uli Bedeutendes
erwartete. Wie Vreneli manchmal gesagt hatte, „Mach doch die Sache fertig, ich
ließe mich nicht immer so abspeisen,Du bist viel zu gut und wirst sehen, wie es
Dir geht,“wehrte es jetzt vom Rechnen ab, und sagte: „Wart, das pressirt doch
nicht so.“ Die beiden Busenfreunde hatten in Ulis ganzer Krankheit nichts von
sich hören lassen, und während seiner Genesung ließen sie sich nicht sehen. Sie
mochten vielleicht das Wort Nervenfieber fürchten, jedenfalls aber fühlt ein
Schuldner, welcher nicht gerne zahit, kein entschie
Wie Vreneli sagte, so war es auch. „Will schon mit Dir rechnen, warum nicht? Die
Sache ist Punktum aufgeschrieben und in der Ordnung, zähle darauf, aber Geld
kann Dir mein Seel' keins geben, habe selbsten keins, und wo nichts ist, ist
nichtz, wie Du weißt,“ so sprach der Wirth. „Ich glaube, wenn es mir drei Tage
lauter Thaler durch den Rauchfang runter regnete, sie wären immer alle weg. So
hungrig nach Geld habe ich mein Lebtag die Leute noch nie gesehen. Wenn ich von
Weitem Jemand mit langen Schritten kommen sehe, so weiß ich schon, der wird auch
Geld wollen; ich muß allemal lachen, nimm, wenn Du findst, denke ich. Sie wissen
wohl, daß nichts zu verlieren ist, bewahr', ich habe mehr als Sachen genug, aber
es giebt Zeiten, wirst es auch schon erfahren haben, wo man beim besten Willen
nicht zahlen kann. Da wird es den Leuten Angst, und sie komnen daher wie Tauben,
wenn man Hanf gesäet hat, und wollen Geld für Sachen,welche ich beim Hagel nicht
einmal mehr im Hause habe,
Uli mußte dann noch mit ihm zu Abend essen, eine Flasche vom Besten trinken, kurz, der Wirth war die Liebe und Güte selbst. Die Wirthin brachte noch was in einem Papier, ein alt Stück Kuchen; das sei für den Gevattersmann, sagte sie, daß Uli ganz glücklich und Rühmens voll nach Hause kam. Es seien doch nicht alle Menschen gleich,sagte er, und wenn man von Einem Unrecht leide, so müsse man fich hüten, auch Andern Böses zuzutrauen, man könnte sich sonst leicht versindigen. „Ich will dem Wirth nichts böses nachreden,“ sagte Vreneli; „aber urtheile auch Du nicht zu schnell, sondern warte, bis Du das Geld hast. Hast Du dann einmal dies, dann will ich Dir gegen den Wirth gar nichts mehr haben, ich verspreche es Dir.“
Es ist immer das Gleiche, dachte Uli zu sich selbst, haßt es Jemanden, so haßt es
ihn, und wen es liebt, den liebt es,und dann ist's fertig. Indessen versprach
er, sein Urtheil nicht abzuschließen, und einstweilen vor dem Handeln mit dem
Wirthe sich zu hüten. Daß Uli wiederum so viel Glauben zu ihm hatte, freute
Vreneli sehr, doch eins freute ihns noch mehr, Uli's Gedanken hatten wieder eine
höhere Richtung genommen, verarbeiteten nicht mehr blos in
Uli hatte das Glück, welches nicht jedem wird, die Brücke ins alte Heimathland in der Nähe zu haben, es war Vreneli. Uli's Abwenden und Weggerissenwerden, hatte bei der eingerissenen Lauheit und Gleichgültigkeit wahrscheinlich Niemand bemerkt, außer eben Vreneli; hatte er nun mit diesem fich verständigt, hatten sie sich gemüthlich wiedergefunden, fo achtete sich wahrscheinlich Niemand seiner, und wer sein Wiedererscheinen bemerkte, fand es sicher sehr natürlich, daß nach so schwerer Krankheit er im Hause Gottes und an des Herrn Tisch erschien, wie ja auch der Kindbetterinnen erster Ausgang ins Haus des Herrn ist und die nächsten Anverwandten, welche einen Geliebten zu Grabe getragen, es nicht versäumen, am nächsten Sonntage iu der Kirche zu erscheinen.
In der Mitte des Herbstmonats war es, als er mit Vreneli zur Kirche ging. Es war
ein feuchter Nebelmorgen,nicht zehn Schritte weit sah man. Kahl, wie mitten im
Winter, waren die armen zerschlagenen Bäume. Grummet lag gemäht in den Matten
und harrte traurig der Sonne,um sich trocknen zu lassen. Hier und da, wo man das
spärlich gewachsene Gras des Mähens nicht würdig fand,hörte man das Läuten der
weidenden Kühe. „Wie doch die Zeit vergeht und was sie Alles bringt und nimmt,
in wenig Jahren wird es ganz anders um uns, und immer nicht so, als wir es uns
gedacht,“ sagte Uli. „Wie lange ist es wohl, daß ich das erste Mal hier zur
Kirche ging, es war im Winter, und maächtig kalt, es ist mir, als ob es erst
gestern gewesen, und doch wird es schon neun Jahre sein oder mehr. Damals dachte
ich nicht daran, daß ich jetzt noch da sein werde, damals wiesen mich die Leute
auf, daß ich fast noch selben Tages fortgelaufen wäre. Jetzt bin ich noch hier
ein verhagelter Pächter, damals ein munterer Knecht, den es dünkte, die halbe
Welt sei sein, jetzt ein geschwächter Mann, der nicht weiß, wo er übers Jahr
ist,und ob Frau und Kinder zu essen haben oder nicht.“„Bist reuig, daß es so
gegangen, daß Du nicht: am selben Tage fortgelaufen bist?“ frug Vreneli mit
weicher Stimme. „Nein, wahrhaftig nein,“ sagte Uli; „dann hätte ich ja Dich
nicht und die Kinder nicht, und was will ich
Sie wußten zwar wohl, daß er kein begrabener Mann war, aber es wäre ihnen recht
gewesen, er wäre es, dann aber auch im Grabe geblieben. Sie betrachteten ihn als
einen verlornen Mann und von solchen hat man es lieber,wenn sie einem aus den
Augen kommen, solche setzen die meisten Leute in die größte Verlegenheit. Blos
die, welche allen feinern Gefühlen abgestumpft sind, die gröbste Selbstsucht für
die größte Tugend halten, halten ihnen kaltblütig Stand und fertigen sie
sackgrob ab. Andere kommen aber eben in große Verlegenheit. Dem Einen sagt das
Gewissen, sie könnten helfen und sollten helfen aber sie mögen nicht; Andere
fürchten, sie möchten um Hülfe angesprochen werden, ste wollen sie abschlagen,
natürlich! aber ihnen fällt nicht gleich eine Ausrede ein; noch andere glauben,
herab
Fleisch für seinen Arm gehalten hat, und nun wird er auch von den Menschen verlassen, der ist dann allerdings ein armer Verlassener, ein unglücklicher Tropf. Ein Herz voll reichen Segens trug Uli aus der Kirche; sein Sinn war so mild, wie die Somne, welche den Nebel durchbrochen hatte und gar lieblich schien, er konnte von Herzen sagen, Vater,vergieb ihnen, sie wissen nicht, was sie lhun. Er konnte wie ein Kind sich freuen und sagen: „Weichet nur von mir,ich gehöre euch doch an, und es kommt die Zeit, wo ihr mich werdet als Bruder erkennen, euch meiner freuen werdet und mir danken, daß ich nicht Gleiches mit Gleichem vergalt, in Gott die Gemeinschaft festhielt, als die Welt feindselig fich zwischen uns stellen wollte.“ Als sie alleine auf dem Wege wieder waren und Vreneli frug: „Und was sagst zu den Leuten?“ antwortete Uli: „Nicht viel, es ist immer wie immer, und wird also bleiben; man kann es zum Voraus wissen, und doch thut es Anfangs weh, wenn man es selbst erfährt. Nun erzählte er Vreneli, was ihn getröstet, das freute Vreneli sehr, und einiger als nie kamen sie heim. Es war als hätten sie neu ihren Bund geschlossen, und mit neuer Kraft und Besonnenheit gingen sie an ihr schweres Tagewerk. Eine große Freude hatten sie. An einem schönen Morgen kam ein Wägelchen daher, fast anzusehen, wie ein Müllerwägelchen, denn Kornsäcke lagen darauf. Den muntern Jungen auf demselben XMutter vermeldete, erkannte ihn Uli als des Bodenbauern Kind, welches ihm aber aus den Augen gewachsen war.Der brachte einige Scheffel vom schönsten Saamenkorn und anderes Gesäme.
Der Vater habe gesagt, sie könnten es wohl entbehren,und hier werde man es
brauchen können, berichtete der Junge.Eine solche Gabe in der Noth hat nicht
blos einen äußern Werth, sondern einen noch viel größern innern, ist so
gleichsam das Oelblattt, welches die Taube dem Noah brachte,als das Zeichen, daß
Gottes Zorn im Aufhören fei, und seine Güte, wieder hervorbreche im Grünen und
Blühen der Erde. Joggeli ärgerte sich über des Bodenbauern Güte,wahrscheinlich
nahm er sie als Vorwurf für sich. Er fragte
Ulis ruhigere Gemüthsweise, sein milderes Wesen, welches nicht immer erhitzt war
zu Feuer und Flammen im Jagen nach einem unerreichbaren Ziele, einem Wagen
gleich,den man ohne Roß und ohne Schmiere dahin treibt, hatte einen wohlthätigen
Einfluß auf die Arbeiter und das Gesinde. Dasselbe schaffte williger, schickte
sich in die Lage und der eine oder der andere sagte: „Es sei kurios, er hatte
geglaubt, erst jetzt hätten sie es recht bös, das sei aber nicht,es sei ein viel
besser Dabeisein, als vor Hagel und Krankheit.“ Der Junge wußte nichi, daß für
das Dabeisein es viel mehr ankömmt auf die Stimmung im Gemüthe, als auf das
Schmalz im Gemüse. Diese Ruhe muß sein, wenn die nothwendige Besonnenheit,
welche alleine den Sturm der Umstände siegreich bestehen kann, sich entwickeln
soll. Napoleons großer Heldenmuth bestund bekanntlich eben in diesem besonnenen
Zusammenziehen seiner Kräfte, vermittelst welchem er nirgendwo umnütze Kräfte
liegen hatte, sondern Alle schlagfertig unter Augen, nicht blos um Angriffen zu
begegnen, sondern am geeignetsten Punkte durch rasches Durchfahren sich Luft zu
machen. Gelehrte, Schulmeister und Uli, der Pächter. 21
Daß äber menschliche Berechnung und die kaltblütigste Besonnenheit ihre Schranken haben und daß nicht ein Mensch es ist, sondern ein ganz anderer, der sagt: bis hieher und nicht weiter, das hat Niemand wiederum besser erfahren als eben der Napoleon. Die Anwendung aller in ihm liegenden Kräfte und die Bestimmung der Richtung dieser Anwendung liegen am Menschen, den Ausgang aber bestimmt Gott. Das sind große Worte für kleine Dinge, aber die kleinsten Dinge sind für den, welcher nicht größere erlebt,groß genug um mit den größten Worten sie auszudrücken,ünd die Zahl derer, welche nur sogenannte kleine Dinge erleben, ist ünendlich größer, als die Zahl der Herkuleße,Alexander und Napoleon. Daher wird dem Volksschriftsteller,welcher nicht für große Helden, nicht einmal für eidgenößische schreibt, erlaubt sein, das sogenannte Kleine, aber den Weisen das Wichtigste, auch mit den gewichtigsten Worten darzustellen, welche ihm zu Gebote stehen.
Capitel 22.Ulbi erlebt ein Abentheuer.Uli zählte seine Kühe, maß sein Heu und musterte seine Pferde, übersah sein Stroh und was sonst in Speicher und Keller, Günterli und Kammern war, hielt Kriegsrath mit Vreneli nund entwarf mit ihr Operationspläne. Da der Wirth nie Geld hatte, sein Papier einzulösen, die Düngungsmittel fehlten, das Futter knapp zugemessen war, weil das zweite Gras, Grummet, ganz oder doch ziemlich gefehlt, so ward angemessen gefunden, den Viehstand zu beschränken, Schaafe und Kühe, welche eben nicht besondere Nutzung gaben, zu veraußern. Uli that es ungern; er hatte auserlesenes Vieh im Sitalle, wußte wohl, daß zu wenig Vieh dem Hof schade und was die Leute dazu sagen würden. Indessen muß man sich eben nach der Decke strecken und dem Hofe glaubte er so wohl gethan zu haben, daß der jetzt um eines bösen Jahres willen ihm auch dankbar sein könne. Landmann und Land müssen gegenseitig sich aushelfen, und ist der Landmann treu,läßt das Land sich nie beschämen, läßt seinen Meister nie im Stich. Indessen scheute Uli sich doch, trotz seines guten Rechtes mit seiner Waare auf einen benachbarten Markt zu fahren. Er dachte, die lieben Nachbaren würden allenthalben sagen: Klemme den recht, der bedarf Geld, er muß verkaufen.Wären wir Pachtherr, wir wollten dem das Verkaufen vertreiben! Wenn alles fort ist und das Geld verthan ist, dann hat dieser das Nachsehen. Auch fürchtete er das Mannli anzutreffeu und übles Nachreden. Er wählte sich daher einen entfernten Markt aus, nahm zwei junge schöne Kühe, welche aber eben nicht viel Milch gaben, und fuhr mit ihnen nach eingebrochener Nacht fort. Er ließ sie trappen nach Bequemüchkeit, friedlich zottelten sie ihm nach, der Mond stund im ersten Viertel, nach Mitternacht ward es finster.
So konute er seinen Kühen alle Muße lassen und war doch am Morgen früh auf dem Platze, selbst wenn er sie einige Stunden in einem Wirthshause füttert und ruhen
21*
Er konnte nicht klug werden aus der ganzen Sache und namentlich daraus nicht, daß er des Mannes Nachbar zehn Thaler mehr abfordern solle und der Mann doch keinen Vortheil wolle, weder Schmaus noch Mittagsessen. Solche Unrigennützigkeit wird sonst sehr selten gefunden in Ifrael. Er konnte blos denken, der Mann hasse seinen Nachbar und möge ihm es wohl gönnen, wenn er zehn Thaler mehr zahlen müsse als ein anderer, wenn nämlich überhaupt an der Geschichte mit dem Nachbar was Wahres sei.
Der im Reden so offenherzige Uii wurde, als es zum Handeln ging, plötzlich
mißtrauisch, wozu die so selten vorkommende Uneigennützigkeit des Mannes nicht
wenig beitrug.Es ist wirklich eigen, daß man bei gewissen Klassen von Menschen
sich mit nichts mehr verdächügt als mit Uneigennützigkeit. Wer uugestraft
gemeinnützig oder uneigennützig sein will, muß wenigstens, wer es über sich
bringen kann,der Person oder der Gemeinde, welcher er Gutes thut,wacker den Balg
streichen, sagen, ihr und keiner andern thäte er das, denn sie sei eine wie
keine mehr gefunden werde zwischen Himmel und Erde. Das ist aber dann auch ein
gültiger Grund, der zwischen Himmel und Erde allenthalben begriffen und hie und
da selbst dankbar beinahe anerkannt wird. Die Nacht verschwand allmählig, es
zeigten sich Schweinhändler, ja Menschen auf den Straßen. Da man auf Marktwegen
Gespräche beginnen darf, wenn man sich schon nicht gegenseitig vorgestellt ist,
so war Uli alsbald wieder in vollen Mittheilungen. Er wollte sich verblümt nach
dem Wildenmann erkundigen und lief, um unverdächtig bis zu diesem zu kommen erst
das Register aller wilden Thiere durch bis zum Ochsen herab, von welchem der
Sprung bis zum Wildenmann ziemlich unverdächtig konnte unternommen werden. Der
Wildemann wurde sehr gerühmt,der Wirth sei Rathsherr hieß es. Das wolle heut zu
Tage nicht viel sagen, meinte Uli. Nur wer nicht arbeiten möge,nicht mehr mit
Ehren durchkommen könne, und dem man nichts nehmen könne, wenn der Schuß hinten
ausgehe, sehe auf solche Pöstlein. Es komme noch dazu, daß weun man einem
Rathsherrn sage, der vermahne, weil er es für eine grobe Scheltung nehme. Potz
Himmeltürk, jetzt hätte Uli,
„Mach, was du willst, schreib was du willst, aber Zrede,das will ich dir, du
verfluchter Aristokrat und Jesuit zeigen,was das zu bedeuten hat,“ schrie der
Schweinhändler. Da,von der stillschweigenden Preßfreiheit Gebrauch machend,maß
ihm Uli noch einen 23, Fuß langen Artikel auf, stillschweigend, versteht sich,
und trieb darauf seine Kühe zum Wildenmann, obgleich derselbe Rathsherr war. Es
war aber wirklich ein braves Haus, ein ererbtes mit altem Schilde, und alten
wohlanständigen Sitten. Es war ein bedeutender Verkehr da, und ein starkes
Zutrauen. Gar manchen Gurt voll
Geld sah Uli dem Wirthe übergeben zur Aufbewahrung.„Kauften sie was, so kämen sie
mit den Leuten hieher, sie wollten lieber hier bezahlen als draußen auf dem
Markte,“sagten die Händler. Nun begriff Uli wohl, daß er bei keinem Mitglied
einer Räuberbande fei, und doch war es ihm nicht so recht behaglich hinter
seinem guten Kaffe, denn es kam ihm immer wahrscheinlicher vor, der Mann habe
blos eine Probe machen wollen, wie gescheut oder wie dumm er sei. Hier könne er
vielleicht die beste Zeit verpassen, dann komme hinten her einer und presse ihm
die Kühe, welche er nicht heimführen wolle, wohlfeil ab. Juden schwirrten herum
mit der ihnen eigenen Geschäftigkeit, beschnoberten ganz ohne Complimente
Menschen und Vieh, um zu erfahren, ob nicht e Handel zu machen sei? Bald trat
einer zu Uli und frug, ob er nicht ein Roß kaufen wolle, er könne ihn versorgen,
wolle tauschen, begehre nicht baar Geld; ein anderer pries ihm Uhren an, wie
keine noch auf der Welt gewesen und wollte sie garantiren bis eine Woche nach
dem jüngsten Tage; ein dritter hatte Schnupftücher, Halstücher von üchter Seide
und sonst noch Tuch von allen Sorten, wollte allen alles halb schenken aus
reiner Liebe und gerade weil sie es seien, und weil ihm das Artikelchen
verleidet sei. Uli war fast seines Lebens nicht sicher, sein Kaffee wurde
kalt,weil er, ob dem Bescheid geben nach allen Seiten, nicht Zeit fand ihn zu
trinken. „Was kommt er denn auf den Markt,wenn er nichts kaufen will?“ frug
endlich ein Jude häßig?„Er habe zwei Kühe da,“ antwortete Uli. „Wo hat er die
zwei Kühe, wo sind die zwei Kühe?“ frugen zwei, drei.„Sie seien unten im
Stalle,“ antwortete Uli. „Komm,zeige sie Bauer, wollen sie schauen, kaufen sie
dir ab, tauschen mit dir e Roß, e Kuh, wie du willst. Als Uli sagte, jetzt komme
er nicht 'nunter, er müsse hier auf Jemanden warten, wollten sie wissen, wo die
Kühe stünden, wollen sie schauen, sagten, wollten e Handel mit ihm machen. Nicht
lange ging es, so kam ein schlichter Bauersmann daher und frug: „ob nicht einer
mit zwei Kühen da sei?“ Da fiel Uli ein Stein von dem Herzen, im Ring der Juden
war ihm ordentlich bang geworden, et wußte, wie man oft wider Willen auf einem
Markte in ihre Hände geräth und nie anders
9 mit einander handelten. Er hatte ein großes Hauswesen, müsse viel ändern und sei froh ohne viel Geläuse aus versorgter Hand seine Waare zu kaufen.“ Da es Uli Wunder nahm,wer der Mann gewesen, der ihm Nachts begegnet war, so sagte ihm der Andere, „er sei ein Metzger, der aber das Geschäft nur noch für seine Freunde treibe, nöthig hätte er es nicht mehr. Er sei ein wenig wunderlich, aber ein guter Mann, sie seien gute Freunde und wenn einer dem andern dienen könne, so sparre es keiner.“ Diese Auskunft setzte Uli über alles was ihm dunkel war ins Klare. Er dachte,solche Wunderlichkeit, die einem Freunde 10 Thaler abnimmt und sie einem Fremden in die Tasche jagt, möchte er alle Tage erleben.
Es mögen von selbem Markte wahrscheinlich Wenige fröhlicher aus gutem Grunde
heimgekehrt sein als Uli.Von Märkten kehrt freilich gar Mancher frobgemuth
heim,jauchzt das Land voll, thut als sei er nun Hans oben im Dorfe. Aber das
ganze Glück kommt aus dem Weingrunde,ist der verdunstet, wird das Gemüth zu
einer jämmerlichen Pfütze, über welcher wie ein stinkender Nebel eine elende
Stimmung schwebt, welche das Publikum mit dem Ausdruck Katzenjammer bezeichnet.
Nun der geht in einem oder zwei Tagen vorüber, aber mancher trägt einen
Katzenjammer im Gewissen davon und der geht nicht vorüber, regt sich immer neu
und wenn er auch vergangen, besonders bei schönem Wetter, kehrt er doch zurück,
wenn es donnert. Und Mancher und Manche trägt das Gift heim, welche ihr
Lebensglück für ihre ganze Lebenszeit zerstört und vielleicht noch hinüber ins
Jenscits wirkt. Uli freute sich nicht blos der zehn Thaler wegen, sondern als er
im Heimwege das Vergangenr überschlug, fiel es ihm ein, der Mann habe ihm
deswegen zehn Thaler mehr zugeschlagen, weil er ehrlich sein und Punktum bei der
Wahrheit habe bleiben wollen, den Mann aber habe ihm recht eigentlich Gott
gesandt, um ihm Freude über seine Umkehr zu bezeugen und zum Zeichen, daß
Ehrlichkeit immerhin die größte Klugheit sei Uli war weit entfernt zu glauben,
nun müsse und werde Gott ihm allemal, wenn Ehrlichkeit die Versuchung überwinde,
ein besonderes Zeichen thun und dem Lohn ihm immer gleich baar auszahlen Aber
Capitel 28.Joggeli erlebt auch was und was Altes: daß, was einer säet, er auch
ernten muß.Joggeli ließ eines Abends Vreneli hinüberrufen. „Es müsse ihm da
etwas lesen,“ sagte er, „er möge Brille nehmen, welche er wolle, so könne er
nichts daraus machen,er verstehe sich gar nicht auf die neue Gschrift, welche
aufkäme, man sehe es allem an, wie der Glaube abnehme und bald keiner mehr sei.“
Vreneli verstand sich, wie es schien,besser darauf, denn es ward blaß, las
einmal, las zweimal,
Dann brachte man noch Elisis Kinder sammt der Nachricht, daheim hätte man ihm Alles versiegelt. Johannes wollte Alles mit der Peitsche fortjagen und Trinette wollte Alles, was Joggeli hatte, aufpacken und fortnehmen, und Joggeli saß da und stierte herum, wollte an nichts schuld sein, sagte, sie könnten seinethalben machen, was sie wollten. Die Frau selig habe Alles auf dem Gewissen, sie hätte ihm den Spitzbub hergeschleppt, ste könne seinetwegen jetzt auch zahlen, er habe nichts mehr und werde wohl noch dem heiligen Almosen nachmüssen. Er habe ihr oft gesagt,es käme so, aber sie habe es ihm nie glauben wollen. Vreneli wußte in dem gräulichen Spektakel nicht anders zu helfen, als zu Uli zu sagen: „Um Gotteswillen thue mir den Gefallen, nimm das beste Roß im Stalle, fahr, so schnell Du kannst, zum Bodenbauer und bringe ihn her, der alleine kann sie setzen und weiß den besten Rath, sonst giebt es wahrhaftig noch ein Unglück. Ich kann nicht allenthalben sein und Alle hüten. Statt daß sie allmählig sich fassen und ergeben, werden sie nur noch zorniger, erbitterter auf einander, es ist ein gräulich Dabeisein und traurig, wie ein Mensch sein Unglück sich selbst noch unerträglich machen muß.Es ist gerade, wie wenn ein Mensch, der einen Centner Eisen tragen soll, und schwer daran zu tragen hat, denselben noch glühend macht, um ja recht doppelt Qual zu leiden unter ihm.“ Uli war dieses Gedankens froh, doch bangte er um Vreneli. „Aber Du bist dann alleine,“ sagte er,„und selb ist nicht richtig unter solchen Menschen.“ Habe nicht Kummer,“ antwortete Vreneli. „Johannes thut mir nichts und die Weibsbilder fürchte ich nicht. Aber fahre rasch, es ist mir Angst um Joggeli. Wenn Niemand wehrt,so plündern sie ihn vollends aus, und hinten drein, wenn die Gläubiger kommen und nichts mehr da ist, giebt es wüste Geschichten. Mit dem Johanues ist es auch nicht richtig,wie ich merken mochte, der wird auch gemacht haben, was
531 7*er konnte. Die Liebe war es nicht, welche so oft ihn hergebracht.“ Uli sputete sich, schonte das Pferd nicht. Wenn die Base das hätte erleben müssen! vachte er. Aber, dachte er wieder, wenn sie gelebt, wäre das nicht begegnei. Wie wenn man in einem Gebäude einen einzigen Stein wegnehmen und dadurch dasselbe aus allen Fugen, vielleicht zum Umsturz bringen könne, so gebe es auch einzelne Personen in Familien. Auf einer einzigen Person ruhe das Ganze,sie halte es zusammen, bei ihren Lebzeiten merke man es vielleicht nicht einmal so recht, erst wenn sie gestorben sei,in Trümmer das Ganze auseinander gehe, merke man, daß sie der Eckstein gewesen.
„Wie man doch das Gleiche verschieden nehmen könne,dachte er, und wie man erst, wenn was zu tragen sei, merke,ob einer Kraft habe oder keine. Er wisse wohl, er sei ein armer Sünder, aber um Alles in der Welt möchte er nicht an ihrer Stelle sein. Er sehe wohl ein, daß er nichts davon bringe denn dies Unglück werde auch ihm an die Beine gehen, und jedenfalls werde ihnen noch etwas übrig bleiben,ihm aber nichts als vielleicht noch Schulden. Indessen wüßten er und Vreneli zu sparen und zu arbeiten, Angst habe er nicht, er habe sich darein ergeben, es zu nehmen,wie es komme und damit zufrieden zu sein. Aber wie Joggeli's Kinder es mit Wenigem machen würden, da es nicht mit Vielem gegangen, dazu weder arbeiten noch entbehren könnten, das begreife er nicht. Das gebe die unglücklichsten Leute, welche immer zwischen Können und Mögen hingen, an allen andern Orten den Fehler suchten, nur nicht an ihnen selbst und daher auch so wüst thäten ohne Unterlaß, sich verfeindeten allenthalben, wo sie Freunde doch so nöthig hätten. Er dankte Gott nicht, daß er nicht sei, wie jene, aber er fühlte sich doch glücklich, daß er nicht in ihrer Haut war, und das ist erlaubt. Dankbar soll man sein für alle Gnadengaben Gottes, und ist das nicht eine große Gabe, wenn man die Kraft empfangen hat, dem Willen Gottes sich zu unterziehen und das Genügen, welches übrig haben und Mangel leiden kann und beides unbeschwert. Diese Gaben sind sehr zu unterscheiden von persönlichen Eigenschaften oder Vorzügen, auf die man stolz wird, um deretwillen man
22*
Seine Sendung setzte den Bodenbauer in große Verlegenheit. „Lieber nit, Uli,
lieber nit. Kann ich Dir was zum Gefallen thun, so soll es nicht Nein sein, aber
da laß mich ruhig. Was soll ich da thun so unberufen? wenn
„Mußt doch gehen, Johannes,“ sagte die Frau. „Brauchst ja nicht zu sagen: kommst
Du geheißen oder ungeheißen,brauchst auch nicht mit dem Rath ins Haus zu fallen.
Du brauchst sie ja nur zu grüßen und wollen sie nichts von Dir, so kannst wieder
gehen. Sieh, thue das der Base unter der Erde zu lieb und denke, wenn unsere
Kinder in einen solchen Fall kämen, wovor Gott sie bewahre, wir wären auch
unterm Boden dankbar, wenn ein guter Freund ungeheißen käme und sich ihrer
annehmen würde.“ Kurz Johannes mußte gehen, er mochte wollen oder nicht. Auf dem
ganzen Wege wand er sich, als einer der Bauchweh hat. „O Uli,“ sagte er, „Du
weißt nicht, wie mir das zuwider ist. Wenn man mit seinen eigenen Sachen fast
mehr zu thun hat, als man fertigen kann, in der Gemeinde zu thun hat, daß man
oft lange Zeit durch nicht zum Sitzen kommt, oder Tage lang sitzen muß, daß man
glaubt, man sitze auf Feuer, wenn draußen die Sonne scheint und alle Hände voll
zu thun sind, und dann noch die Nase unberufen in fremde Händel stecken,
unberufen und ohne einmal zu wissen, was man, um bei der Wahrheit zu bleiben,
für ein Fürwort brauchen soll, daß man da ist, das ist dumm. Und zu wissen, daß
das noch einen langen, langen Schwanz haben kann, und es doch thun, das ist noch
viel dümmer.“„Was meint Ihr?“ fragte Uli, „was für einen Schwanz?“„He, was für
einen?“ sagte Johannes. „Wenn da so einer dazwischen kommt, so mir nichts, dir
nichts, so denkt man,er habe Freude an solchen Sachen und spricht ihn an und am
Ende, er mag wollen oder nicht, muß er darhalten,mitmachen, Lauf und Gänge haben
und am Ende des Teufels Dank.“ „Wenn Ihr das fürchtet, so habt Ihr ja eine gute
Ausrede, Ihr seid mein Bürge und, leider Gott!kann es beide Wege gehen und
manche Sache ist ja nicht ausgemacht. Ware das nicht Grunds genug?“ „Uli, giebst
noch einen Gemeindsvater,“ sagte der Bodenbauer. „Du hast recht, daß mir dies
nicht einfiel! Aber die Sache ging mir zu rund und rasch im Kopf herum.“ Nun
traf es sich,
Der Sohn, welcher eben erst heimkam von einer Rundreise, auf welcher er bei Freunden Rath und Trost erst halb Schoppen-, dann Schoppen-, endlich Flaschenweise geschöpft, wollte sie vom Hause wegprügeln, Joggeli wollte nichts unterschreiben, auch keinen Abschlag geben, kein Zeugniß, daß das Ding bei ihm verrichtet worden sei. „Er rühre keine Feder mehr an,“ sagte er, „ein Narr sei, wer es thue.Wenn er gewußt, wie man sich damit verfehlen könne, er hätte sein Lebtag keine zur Hand genommen.“ Trinette und Elist gränneten einander au, erst aus der Ferne, rückten sich aber näher und näher, und wäre Vreneli nicht dazwischen gestanden, so wären sie einander sicher bis auf Nagelweit nahe gerückt. Weiber liefern ihre Gefechte gern in nahen Distanzen, je näher je lieber. Männer haben es bisweilen umgekehrt. Die Gerichtspersonen begehrten ebenfalls auf.Hinter dem Mist krähte der Hahn und zwei feindselige Hunde gingen zähnefletschend um einander herum.
Auch Vreneli verließ seinen Posten unbedacht, grüßte den Bodenbauer freundlich,
da, risch die Trinette auf das Elisi, dann, ermuthigt durch das Beispiel, ein
Hund auf den andern, und ein Brüllen, Wälzen, Spektakel entstand von Hunden,
Trinetten, Elist bunt durcheinander, daß Niemand wußte, war man ganz im
Thierreich oder noch halb und halb unter Menschen. Man riß Weiber und Hunde
auseinander, nahm es aber nicht so genau, ob die Fußtritte Weiber oder Hunde
trafen. Bekanntlich streckt man auch die Hände nicht gern zwischen streitende
Weiber oder beißende Hunde, man kriegt gern Zühne drein. Nun am Ende stoben die
zusammengebissenen Pariheien heulend auseinander
„Ja aber, Vetter Johannes, Vetter Johannes! der Lumpenhund, der Spitzbube hat
mich betrogen, ists dann recht,daß ich bezahle, soll ich allein darunter leiden,
daß der Spitzbube mich betrogen hat?“ Der Vetter Johännes sagte,„das könne er
begreiflich nicht entscheiden, da er nicht wisse,worum es sich eigentlich handle
und was die Vorgänge seien.“ Nun erzählten es ihm Alle, aber das Ding war noch
schwerer zu fassen, als eine neubarbarische d. h. philosophische Vorlesung.
Endlich brachte der Bodenbauer Ordnung in das Chaos, begriff und endlich sagte
er: „das sei eine fatale Sache, sie bekümmere ihn sehr. Er könne nicht
begreifen, daß man da so mir nichts dir nichts mit den Gerichten komme, ehe man
gütlichen Weg versucht, das sei sonst Sitte.“ Da mußte auf die Einrede der
Gerichtspersonen Joggeli endlich sagen, es seien ihm zwei Briefe gekommen mit
allerlei Redensarten, die er nicht begriffen. Er habe nicht gedacht, daß das was
zu bedeuten hätte, und das Papier abseits gelegt, es könnte ihm jeder Narr
schreiben,und in den Brief ihun, was ihm gefallen. „Ja so,“sagte der Bodenbauer,
„also geschrieben hatten sie, aber angefragt vorher, wie die Sache sich
verhalten, das wird nicht geschehen sein. Das wäre jedenfalls anständig gewesen,
aber die Sache ist, wie sie ist, mit Prügeln macht sich das allweg nicht. Gebt
eine Antwort, daß eine Einigung Zeit und Platz hat, eines Tages macht sich das
allweg nicht.“ So geschah es endlich, das Gerichtspersonal entfernte sich und
der Bodenbauer wollte ebenfalls gehen.Aber er mußte bleiben und sollte rathen.
„Ja,“ sagte er,„die Sache ist schlimm. Da wird wenig anders zu machen
„Da wolle er lieber den Teufel fressen sammt dem Stiel und die Großmutter als
Dessert, als daß er seinen Vater wolle bevogten lassen. Wer es gut meine, könne
so nicht
Genau genommen, ist es eigentlich gar keine große Kunst, bei großem Vermögen
nicht schmutzig und ungerecht zu sein. Aber wenn das Vermögen geschwunden, oder
sonst klein ist, das Geld nirgends reicht, immer neue Forderungen kommen und
dazu immer neue Verluste, da nicht zu machen, was man kann, die Scheere ins
Fleisch gehen zu lassen, wo man was zu scheeren hat, nicht den letzten Tropfen
auszupressen, wo man das Recht zum pressen zu haben glaubt, das ist schwer.
Darüber können so viele sich nicht erheben, sondern halten sich an dem Spruche:
Mache jeder,was er kann. Sie mußten dieses auch von Joggeli erwarten, der dazu
alle Tage kindischer, fast ganz regiert wurde von dem Sohne, der ganz erwildet
war und im Lande herum fuhr wie der Teufel im Buche Hiob. Dazu kam noch
Er überzeugte sich immer mehr, daß der Bodenbauer richtig gesehen und richtig gerathen hatte. So wie der Fall mit dem Tochtermann bekannt war, schneite es von aillen Seiten Forderung und Abkündigungen, wie es geht in solchen Fällen. Es hatten gar viele Ursache zur Angst, wenn der Glunggenbauer noch mehr solche Stücklein gemacht hätte,so könnte es ihnen fehlen. Joggeli stand noch mancher Schuld als Bürge zu Gevatter und ganz besonders bei seinem Sohne. Diesem wurden nun älle Schulden, welche ablöslich waren, und von den unablöslichen, die ausstehenden Zinse eingefordert, das lief zu großen Summen auf, den Forderungen konnte auf keine Weise begegnet werden. Da machte es Johannes wie viele, er wehrte sich mit Prozessen,das ist aber akurat, wie wenn man, um dem Fegfeuer zu entrinnen, in die Hölle springt. Er verflocht auch feinen Vater in diese Prozesse und namentlich verführte er ihn wegen den fünfzehntausend Thalern einen Rechtshandel zu beginnen.Das war ein Geflecht von Prozessen, Forderungen aller Art, daß es einem vernünftigen Menschen die Haare zu Berge gestellt hätte.
Dieß ward bekannt. Allgemein hieß es, wenn der Tochtermann am Schwiegervater den
Schelm gemacht, so sei es sich nicht zu verwundern, denn der Sohn sei noch der
viel ärgere Schelm an ihm gewesen. Elisi, das nirgends anders zu sein wußte, als
in der Glungge, heulte und lärmte bis endlich der Gemeindebehörde seiner
Heimath, welche eben nicht zu den erleuchteten gehörte, die Augen aufgingen, so
daß sie auf Bevormundung von Joggeli drang. Nun erst gab es
15 325*
Capitel 24.Wie Gott und gute Leute aus der Klemme helfen.Unterdessen verfiel der
Zins, Joggeli wollte keinen Kreutzer daran schenken. Wenn man das Gesͤ nöthig
hätte, wie er, so schenke man nichts, das wäre ja das dümmste, was er machen
könnte. Dann wohl, dann hätte man das Recht, ihn zu bevogten! Wenn er schon
wollte, er dürfte nicht. Johannes thate viel zu wüst, er glaube er risse ihm den
Kopf ab, sagte er. Es dünlte Uli streng, er hatte Lust, wenn auch nicht zum
Procediren, so doch Vermittler anzusprechen ober wie man hier sagt, eine
Freundlichkeit anzustellen. „Ueber dem,“ meinte er,„könnte man ja eine
Gegenrechnung machen. Vreneli müsse so viele Zeit mit Joggeli versäumen, sie
lieferten mehr als sie schuldig seien, und Elist sammt seinen Kindern müßten sie
ja fast alleine erhalten, die Kinder seien immer bei ihnen und über ihrem
Tischkasten, als ob es ihr eigener wäͤre.Vreneli wehrte. Wo kein Verstand mehr
isi, kann man keinen machen. Bei der Vermittlung käme nichts heraus,wenn die
Männer schon einreden würden. Johannes der Unflath, thäte es nicht, der ist zu
geldhungrig. Mit dem Rechnen ist's eben so. Sie würden sagen, wenn wir mehr
gegeben als wir schuldig seien, so sei das unsere Sache,warum wir es gethan.
Warum wir Elist und seine Kinder nicht fortgejagt, wenn wir die Gutthätigen
machen wollten,so sollten wir nicht hintendrein abrechnen wollen, das hätte
keine Form. So wüurde man uns antworten, dann könnten wir procediren, vielleicht
thäten wir es gewinnen, vielleicht verlieren und wollen wir das?“ so sprach
Vreneli. Uli sagte, „er wisse, was procediren sei, die Lust dazu habe er
verloren. Er habe bloß gemeint, man könnte probiren, so gleichsam an die Thüre
pochen.“ „Weißt nicht Uli,“ sagte Vreneli, „daß der Teufel ein Scheim ist, giebt
man ihm einen Finger, nimmt er gleich die ganze Hand. Und dann ist das: die
Sache scheint sich in die Länge zu ziehen, wir können sicherlich dableiben noch
ein Jahr und die Aussichten
Vreneli hatte Vernunft und hielt seinen Mann nicht für einen dummen
Schweizermann, zu nichts nutz, als deutschen Jungen und Allerwelts-Buben,
bankerotten Italiänern und herrschsüchtigen Weibern Kastanien aus dem Feuer zu
holen, kurz es hielt ihn nicht für einen Neidgauer. „Weißt du was,“sagte
Vreneli, „unser jüngstes Kind ist noch nicht eingeschrieben, das älteste bittet
schon lange einmal zur Pathin zu fahren,sie habe ihns eingeladen, nächsten
Sonntag nehme ich den Fuchs, er ist ein guter alter Trappi, mit dem darf ich
fahren,und will suchen was da zu machen ist. „Es ist jedenfalls am
anständigsten, man verrichte solche Sachen selbst.“ Uli begann keinen edlen
Wettstreit, er sagte bloß, „e, ja, wenn du meinst.“ Vreneli fuhr wirklich am
nächsten Sonntage mit dem alten Fuchs und seinen jungen Kindern. Es war ihm wie
einer Henne, wenn sie zum ersten Male ihre Brut zu Felde führt,holl Stolz und
Angst. Es waren aber auch drei allerliebste Kinder, mit welchen es ausfuhr. Sie
hatten eine ganz absonderliche Freude, und je mehr sie sich freuten, desto
weh
Ja, wie Manche aus allen Herren Ländern könnte mit Titeln vornen und Titeln
hinten, zu Fuß, zu Wagen,zu Roß, mit oder ohne Kinder in allen fünf Welttheilen
herumfahren, sie kriegte vielleicht mit Betteln einige Kreuzer zusammen, aber
anvertrauen, anvertrauen auf ihr ehrlich Gesicht oder ihren ehrlichen Namen
würde kein vernünftiger Christenmensch ihr drei Kreuzer! Ja, Mesdames zu Stadt
und Land, so schlecht istss mit Tausenden unter euch bestellt,nicht drei Kreuzer
auf euer ehrlich Gesicht oder euern ehrlichen Namen! Das ist verdammt wenig, von
wegen es
Sie waren also, so zu sagen, wieder unter Dach, geborgen im Wohlwollen oder in der wohlerworbenen Gunst guter Leute, und konnten ruhig die Tage kommen sehen. Nli glaubte, er sei es ihrer alten Freundschaft schuldig, dem Wirth das Papier zuerst zum Einlösen zu ehe er es in fremde Hände zu geben versuche. Diese Zartheit rechnete ihm aber der Wirth nicht eben hoch an. „Mache Du mit dem Wisch, was Du kannst, wenn ihn jemand wiill,fo gieb ihn, und wirf noch die Kappe nach. Aber Geld begehre nicht von mir und wenn Du mich auf den Kopf stelltest, nicht einen halben Gulden fändest Du. Wenn es der eigene Bruder wärxe, jetzt könnte ich ihm nichts geben.Mit Betreiben habe keine Kosten, wenn ich Dir einen guten Rath geben kann. Machst Du mich unglücklich, kriegst Du erst nichts. Da sind viele Hunderte vor Dir, welche ihre Sache vorab wollen, wem fie was finden, heißt das.Wartet man mir, ist mir einmal der Schwäher gestorben,und hat unser Herrgott mir den Vater abgenommen, er muß ihm nicht lieb sein, er hätte ihn sonst längst begehrt, so gehts dann schon. Aber einstweilen setze man ab. Wenn ich schon wollte, beim besten Willen könnte ich nicht.“ „Es sei doch hart,“ meinte Uli, „daß er sein Geld so nöthig habe und es nicht erhalten könne und vielleicht gar für einen Andern Geld borgen müsse.“ „Kann Dir nicht helfen,“ sagte der Wirth, „da siehe Du zu,“ ging und zeigte sich nicht wieder. Als Uli den Joggeli zahlte, kam es diesem doch selbst über das Herz, daß er es Uli wüst mache. „Ich würde Dir gerne was zurückgeben,“ sagte er, „aber ich mangle das Geld gar übel. Das andere Jahr aber, da will ich Dir daran denken, sinn daran und mahne mich.“Das künftige Jahr soll gar oft gut machen, was im laufenden gefrevelt worden. Aber kömmt es dem Frevler immer? „Mit dem Papier,“ sagte er, „möge er nichts zu thun haben, er wollte, er hätte es sein Lebtag so gehabt.Er solle es dem Johannes zeigen, wenn es dem recht sei,so sei es ihm auch recht.“ Dem Johannes war es aber begreiflich nicht recht. Er fluchte gar mörderlich Uli an:„Ob er auch einer von denen Schelmen welche den
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Hier erzählte nun Johannes, wie er es dem Uli gemacht und noch ferner es machen
wollte. „Du hast Recht,nur ausgefahren mit dem,“ sagte der Wirth. „Das ist der
dümmste“ Mensch auf Gottes Erdboden, jedes Kind kann ihn zum Narren halten. Man
kann ihm angeben, was man will, er glaubt Alles, und rühmt man ihn erst, so
steht er Dir zweg, wie ein Hund, den man streichelt. Er ist mir alle Augenblicke
vor der Thüre und will Geld, aber er kann noch lange kommen und wird doch keines
sehen. Da wäre man ja dumm, sein Geld zu verwerfen, um Leute zu bezahlen, welche
man nicht zu fürchten hat. Zu denen muß man sehen, welche wissen, wo angreifen,
die hat man zu fürchten, aber die, welche man zurückschrecken kann, die kann man
unbesorgt springen lassen. Einmal giebt man ihnen gute Worte, ein ander Mal böse
und laufen sie endlich zu einem Agenten, so steckt man dem was, und die Sach
bleibt Jahre lang am gleichem Orte, der Lümmel kann nichts daran machen und
kommt nie darüber, wo es hält. So muß man es solchen Menschen machen. Gott Lob
und Dank, es giebt noch viel solche, sonst wäre unser einer böse bestellt.“ Was
der Wirth da so bündig auseinandersetzte, ist wirklich auch so. Es giebt Leute,
welche mit Taschenspieler-Gewandtheit dem Bezahlen auszuweichen wissen, immer
noch Kredit finden, eine unbegreifliche Schuldenmasse aufhäufen, ihre Last Jahre
lang nicht einmal zu fühlen scheinen, bis endlich das künstliche Gebäude
schauerlich zusammenbricht. Hinwiederum giebt es Leute, welche verdämmt zu sein
scheinen, nie zu ihrem Gelde kommen zu können, beständig verlieren. Es sind
dieses zumeist noch Leute, welche das Geld sehr nöthig hätten, welche der
Verlust tief schmerzt, wie z. B. Uli. Es sind zumeist gutmüthige, leichtgläubige
Leute, welche man traulich zu machen weiß, eben wie Hunde mit Streicheln, Leute,
welche entweder
Wie, wenn es wirbelt in Fluß oder See, die Kreise sich immer enger und enger ziehen, bis endlich eine unwiderstehliche Kraft, die Wasser und was sie tragen niederwirbelt auf den Grund um sie loszulassen, die Wasser in Schaum aufgelöst, todt oder zerbrochen was sie trugen, so zogen sich Joggeli's Prozesse, an denen er nichts begriff enger und enger zusammen. So sollte er z. B. einen Eid schwören, erhätte dem Tochtermann die Schuldverschreibung nicht unterschrieben, während er auf der andern Seite bevormundet werden sollte wegen Geistesschwäche. anderer Händel nicht zu gedenken.Den Eid wollte er schwören durchaus gegen den klaren Buchstaben. Aber der Sohn hatte es ihm ausgelegt mit einigen Flüchen. Die Auslegung hatte Joggeli gefaßt und hielt sie fest, und was Pfarrer und andere sagten, es war alles an eine Mauer geredet. Vreneli machte ihm einmal Vorstellungen, ob er mit einem falschen Eide ins Grab wolle?Um sein Vermögen habe er sich gebracht, ob er nun zu guter Letzt auch seine Seligkeit verwerfen wolle? „Das verstehst du nicht,“ antwortete Joggeli, „Weiber sollten in solche Sachen gar nicht reden. Meine Frau selig that es auch immer,darum kam die Sache endlich so. Johannes hat es mir ausgelegt, daß der Eid mich gar nicht berühre, er wird das besser wissen als du. Ungerechteres könnte es doch nichts geben, als wenn ich so mir nichts dir nichts ein solch Geld zahlen sollte. Das wird mir doch kein rechter Mensch zu muthen? Aber du hieltest es immer mit allen andern gegen mich. Was ich dir zu leide gethan, weiß ich nicht.Wenn wir dich nicht angenommen, als dich Niemand wollie,so könntest du jetzt sehen, was aus dir geworden. Das wird wahrscheinlich der Dank dafür sein sollen. Ich sagte es der Frau selig immer, was du für eine seiest, aber sie
2B25*wollte es nie glauben. Jetzt könnte sie es wieder erfahren.Was sollte Vreneli darauf sagen? Kömmt einmal ein Mensch in diese Verstocktheit, wird er so kindisch, oder hat er sich so tief in einem Wahn fest gerannt, so nützen Worte nichts mehr. Die Thränen schossen Vreneli in die Augen.„Ja wenn die Base noch lebte, es wäre viel anders, und manches das noch geschehen soll, würde unterbleiben,“ sagte es. „Ich kann nichts als beten, daß Jemand anders weiser sei als ihr und den Eid euch nicht zulasse.“
Diesen heillosen Eid, von welchem alle Welt wußte, daß er falsch war, während man
dem alten armen Tropf alle Tage einredete, er solle ihn thun, weil er ihn thun
könne,so daß er allein es glaubte, er schwöre recht, während er doch am besten
wissen sollte, daß er falsch schwur, bejammerte Vreneli unendlich. Es meinte, es
sei da was zu machen,nicht blos mit Beten bei Gott, sondern auch mit
Vorstellungen bei Menschen, denn was man selbst ausrichten könne,das überlasse
Gott dem eigenen Vermögen. Es lief herum,es lief zum Pfarrer, zu diesem, zu
jenem, alle waren seiner Meinung, das Ding sei ein heilloses Spiel. Der Pfarrer
meinte, am besten wäre es, wenn der Eid verschoben werkeit entschieden sei.
Dieser Aufschub sei sehr wohl möglich,sagte er, wenn das Gericht oder der
Richter den guten Willen hätien. Diesen hatte der Richter aber nicht, er war ein
Jurist von der gröbern Sorte, er fragte einer Seele gar nichts nach, und ob ein
alter Mann einen falschen Eid thue,kümmerte ihn viel weniger, als daß zu den
Bratwürsten,welche er besonders liebte, kein Kalbfleisch genommen werde.Der Tag
der Eidesleistung blieb angesagt. Da, einige Tage vor demselben, fand eines
Morgens Vreneli den Alten, dem es das Frühstück bringen wollte, sprachlos im
Bette, ein Schlagfluß hatte ihm die Zunge und eine Seite gelähmt. Im ersten
Augenblick erschrak Vreneli. Dann aber hob es sein Auge auf und sagte leise:
„das hat Gott gethan!“ Der Arzt wurde geholt, das Möglichste zu Joggeli's
Wiederherstellung versucht, doch umsonst. Der Schlag wiederholte sich, am zesse
zu Ende, ein hoöherer Richter hatte gesprochen. „Das
Capitel 23.
Wie der Knäuel entwirrt wird.Ein harter Schlag war dieser Tod für Johannes.Wenn er früher auch Joggeli die Seligkeit, wie er sagte,gerne gegönnt hätte, weil es dem Vater wohl und ihm nicht ůbel gegangen wäre, jetzt war dieser Tod für ihn ein großes Unglück. Jetzt kam die Vermögensmasse in unpartheiische Hände, ihr Bestand mußte ausgemittelt werden, sowie Schuldner und Gläubiger. Er war nicht gerührt, aber tobte gewaltiglich, daß das hätte geschehen müssen, es sei gerade als ob das ihm absichtlich zu leid gethan sei, um ihn zu Grunde zu richten.
Noch acht Tage, so hätte der Vater geflucht (Eid geleistet) gehabt, dann hätte er
seinethalben gehen können, wohin er gewollt, die Sache wäre gewonnen gewesen.
Ueber solche Reden schalt Vreneli den Johannes fürchterlich. Er solle doch an
die Mutter im Grabe denken, wenn er auch den Vater nicht achte. Es nehme ihns
doch auch Wunder,wo er so gottlos und frevelhaft geworden sei, als Junge sei er
anders gewesen. Wäre er Bauer geblieben auf der Glungge, so wäre es nicht so
gegangen, er wäre ein ande
Die Hinterlassenen konnten fich kaum des Streites unter einander enthalten,
sobald sie ein geneigtes Ort fanden,schimpften sie über einander und Johannes,
sobald er ein Glas Wein im Kopfe hatte, pülferte dem Vater seinen Mißmuth noch
ins Grab nach. Der Vater sollte jetzt an allem Schuld sein, er der Johannes
hatte keinen Fehler. Die Andern,welche außerhalb der Hörweite der sogenannten
Erben saßen,ergingen sich in Muthmaßungen, ob wohl etwas Vermögen übrig bleiben
werde; daß das Gut verkauft werden müsse,darüber waren sie einig. Sie hatten
aber auch Recht, die Umstände waren noch viel schlechter als man es sich
vorgestellt hatte. Auch hier wollen wir Formen, in welchen eine solche Erbschaft
ermittelt, gesichtet, so gleichsam bis zu ihren reinen Bestandtheilen abgeklärt
wird, nicht näher bezeichnen.Jedermann in aller Herren Länder wird daran
hauptsächlich das begreifen, daß bei einem solchen Läuterungs- oder
Aufklärungsprozeß ein großer Abgang sein muß. Ja manchmal ist die Masse so
confus und seltsam, daß wenn man sie aus den chemischen Apotheker-Tiegeln
herausnehmen will, man ein Erkleckliches weniger als Nichts darin findet. Die
Distillation mußte um so genauer vor sich gehen, da über die eine Hälfte der
Erbschaft der Concurs verhängt, jeder Gläubiger ein natürlicher und berechtigter
Wächter war. Joggeli hatte keine Art von Verfügung hinterlassen. Im Gewirre der
Prozesse hatte man weder daran noch an Joggelis Tod gedacht. Es fiel Manchem
auf, daß Johannes sich den Hof nicht um halb Nichts vom Vater habe abtreten
lassen. Wir wissen nicht, warum es nicht geschah. Wollte Joggeli nicht,weil er
mißtrauisch geworden auch gegen den Sohn, oder
„An eine Steigerung'es bringen, ist gesetzlich, da kannst du bieten wie ein
anderer. Oder wenn du einen Preis zahlst,mit welchem man kann zufrieden sein,
und Geld schaffest, so viel man nöthig hat, so kann man berathen, was zu
machen,“sagte ihm ein Vorgesetzter. Aber da eben lag der Hacken, wo er
möglicherweise noch an andern Orten liegen mag: Wo Geld nehmen und nicht
stehlen? Johannes hatte also ein Wirthshaus mit bedeutender Landwirthschaft. Je
größer das Geschäft ist, welchem Menschen wie Johannes vorstehen, desto rascher
geht es dem Kuckuck zu. Es ist bekanntlich wegen Wasserverbrauch ein
Unterschied, ob man an eine Feuerspritze ein oder zwei oder ein halb Dutzend
Röhren schraubt. Die Landwirthschaft will von allen Wirthschaften den
nachhaltendsten Fleiß und eine stetige Behandlung, sonst verzehrt sie nicht bloß
mehr als sie giebt, sondern das Kapital wird alle Tage geringer, d. h.das Land
schlechter. Die, Gastwirthschaft von Johannes wurde alle Tage schlechter in dem
Maaße als der Wirth und die Wirthin die besten Gäste wurden, wenn das nämlich
die besten Gäste sind, welche am meisten brauchen und nichts zahlen. Je
schlechter ihre Wirthschaft wurde, desto mehr neue Wirthschaften entstanden um
sie herum, desto weniger trug die ihre also ein, desto mehr verringerte sie sich
in ihrem Werthe. Des Johannes Besitzung war also eigentlich eine fressende,
nicht eine nährende, keine einträgliche, sondern
Aber wenn er auch nicht selbst bauern könne wegen dem Storch, so laße er doch des Vaters Hof nicht, der käme einst seinen Kindern kommod, er müsse sich ja vor ihnen noch im Grabe schämen, wenn er denselben verkaufen ließe, den schönsten im ganzen Bernbiet!“ Das war auch ein schönes Fürwort, denn hätte er ihn wohlfeil erhaschen können, so würde er sich keinen Augenblick besonnen haben, ihn zu verkaufen,wenn der Profit ihm aus seinen Verlegenheiten geholfen hätte.Wir wollen jedoch nicht in Abrede stellen, daß es Johannes hart hielt, den väterlichen Hof zu verkaufen, das adeliche
Element war noch nicht ganz in ihm verflüchtigt. Kurios,daß Kinder so oft als Fürwörter gebraucht werden von Verschwendern und Geizigen, wobei jedoch zwischen beiden zumeist ein bedeutender Unterschied im Gemüthe ist. Der Verschwender, der nicht ganz zum Vieh geworden, denkt wirklich an seine Kinder, aber leider zumeist hinten drein, wenn es zu spät ist; der Geizige aber wirklich selten. Ein Geiziger ward einmal um einen Beitrag zur Erziehung armer Kinder angesprochen. „Das sei doch Verstand, ihm so was zuzumuthen,“ antwortete er. „Wie er es im Grabe verantworten wollte, wenn er den eigenen Kindern entzöge, um es fremden zuzuwenden.“ Der gleiche Geizige plagte jedoch ganz getrost durch unverständige Arbeit die eigenen Kinder bis in den Tod, so viel dachte er an sie.
Aber wenn einer weder Geld hat noch Credit, so wird er da, wo es auf Geld ankömmt, wenig geästimirt, mag er noch so laut brüllen. Da Johannes keine annehmbaren Bedingungen weder stellen wollte noch konnte, mußte der Hof an eine Steigerung kommen. Das that auch Uli und seiner Frau sehr weh.
Vreneli war da anfgewachsen, wußte kaum wie es anderwärts war. Uli hatte schöne Träume gehabt. An einem schönen Herbstsonntage saßen sie Nachmittags vor dem Hause.Tauben, Hühner, Kinder trippelten um sie her, in traulicher Freundschaft keins das andere fürchtend.
Es war ein gar freundlich Sitzen da und ein lieblicher Anblick ringsum. Desto
größer ward in beiden die Wehmuth und die gleichen Gedanken stiegen in beiden
auf. „Wie manchmal wohl sitzen wir noch hier?“ seufzte endlich Vreneli.„Es wird
hart halten, ehe ich mich an einen andern Ort gewöhnt habe. Schöner mag es an
manchem Orte sein,wo weithin das Auge sieht, an den schönen Seen, oder wo die
Berge glühen oder glitzern über das Land herein. Aber heimeliger wird es mir
wohl nirgends werden als hier, wo es grün und so still ist, am Sonntage man wie
in einer großen Kirche ist, alles versunken in heiliger Andacht und am Himmel
das große Licht so mild und freundlich über der Erde und im Herzen das ewige
Licht, das da leuchtet in de Finsterniß, und jetzt noch Kinder und Thiere durch
einander
„Weiß nicht recht, wie mir ist,“ sagte Uli, „bald dünkt mich, ich möge die Stunde
nicht erwarten, in der ich gehen kann, bald dünkt es mich, ich sei so müde und
matt, daß ich es nicht einmal ertragen möchte auf den Kirchhof getragen zu
werden, lieber gleich hier möchte ich begraben sein. Es war eine Zeit, wo ich
viel daran dachte, wenn ich alleine arbeitete oder einsame Wege ging, ob es
nicht möglich sei,daß ich hier Bauer werden könnte? Ich dachte, wenn die Kinder
üm ihre Sache kämen, Joggeli und die Base sehr alt würden; wir glückliche Jahre
hätten, reich würden,bis wir zuletzt das Gut kaufen könnten. Dann ward es mir so
frei und leicht, wenn ich mich als Bauer dachte, und was mir da alles im Sinn
kam, wie ich schalten und walten wollte, du glaubst es nicht. Gott wollte es
anders, seine Gedanken sind nicht unsere Gedanken. Es ging umgekehrt,was wir
langsam erworben, ging geschwind dahin, mehr dazu,und wie wir jetzt stehn, weiß
Gott. Was unser Gevattersmann uns schuldig ist, das wird verloren sein, kein
Mensch will das Papier ansehen. D'Schrift wäre ganz gut, sagen sie, wenn man nur
das Geld hätte. Mitder Schatzung wollten uns die Leute nicht so übel und auch
mit dem Abzug nicht.Sie haben noch Erbarmen mit uns. Dachte das nicht, als sie
so schnöde mir auswichen, als ich zum ersten Mal, nach meiner Krankheit zur
Kirche ging. Glaubten wahrscheinlich,es werfe mich alsbald auf den Rücken, ich
begehre sie um Geld zu plagen oder Gott weiß was. Jetzt, wo die Plage ihnen
anderswoher kömmt, find sie billig gegen mich, ich kann nicht klagen. In den
Steigerungsgedingen wird alles,was ich in der Schatzung habe der Zahl nach als
Zugabe angeboten, gilt es gehörig, und findet sich Einer, welcher es fo kauft um
den gehörigen Preis, so kann ich noch manches verkaufen, womit ich das Inventar
vermehrt habe. Ich kann bleiben bis im Frühjahr, oder wenn ich abziehen muß,
„Ich fühle hier, so wie wir jetzt stehen, eine Ohnmacht bis zum Sterben, fühle,
daß unsere Kräfte nicht reichen, darum sehne ich mich fort, während es mir das
Herz zerreißt,vom Hofe zu lassen, der mir fast wie eine Mutter so lieb geworden
ist.“ „Ja, du hast recht,“ sagte Vreneli, und beide begannen ein Lobpreisen des
Gutes, was zu machen wäre noch und wie trefflich es bereits sei, als wäre es ihr
neugekauftes Eigenthum, sie vergaßen gänzlich, daß sie es vielleicht in den
nächsten Wochen mit den Rücken ansehen mußten.Auf Erden dauern schöne Träume
selten lange, die rauhe Wirklichkeit läßt ihre Rechte sich nicht nehmen, und
wenn die Träume am himmlischsten sich gestalten, macht sie einen Strich durch
dieselben und streut Sand darauf. Johannes kam daher gerasselt und brachte einen
mit, um ihm das Gut zu zeigen. Natürlich that er als ob er daheim sei, ging
ungefragt überall herum, und wo er was Verschloßenes fand,befahl er zu öffnen,
und wenn er ein hart bös Wort fliegen lassen konnte, versäumte er die
Gelegenheit nicht. Es ist nicht bald was bittereres als dieses freche
Durchstöbern eines Hauses, dieses rücksichtslose Dahinwerfen giftiger oder roher
Der Mann hätte Uli gerne noch zu einem Handel verleitet, welcher nicht redlich,
indeß zu machen gewesen wäre und Uli ein schön Stück Geld abgeworfen hätle. Aber
Uli wollte nicht. Er glaube, sagte er, man könnte vor dem Richter nichts mit ihm
machen, die Sache sei eigentlich noch nicht verkauft und er hätte so noch etwas
für seinen Schaden.Aber es hätten nun schon viele Alles besehen, und wenn man
schlechtere Waare hinstelle, um die Zahl der Stücke richtig zu machen, falls
Jemand in Bausch und Bogen kaufen wolle,fei dieser betrogen. Er habe mit Ehren
nichts vor sich gebracht,mit Kniffen wolle er jetzt auch nichts. Der Mann sah
sich das Gut auch an. „Es gefiele ihm,“ sagte er, „ein ab gesehen, aber uli, der
Pachter. 24
Des Mannes Rede setzte sich in dem guten Uli immer
Gegen Abend bekam er doch große Neugierde und ward sehr ungeduldig. Es ist
allerdings ein Eigenes, einsam und in aller Stille zu verharren, wenn man weiß,
es geht in der Nähe Wichtiges und Entscheidendes vor. Man wird von einem eigenen
Bangen ergriffen und fast unwillkührlich dem Orte der Entscheidung zugezogen.
Uli widerstand dem Zug, das Grauen vor dem, was er hätte hören müßen, war
flärker als der Zug; aber als es dunkel ward, sagte er zu seiner Frau: „Was
meinst, wenn wir den Hans schicken würden,zu hören, wie es geht und uns Bericht
zu bringen?“„Machs,“ sagte Vreneli, „wenn du nicht selbst gehen magst.AÄber er
solle wiederkommen zur Zeit und nicht meinen, er müße warten bis alles aus sei
und der Letzte fort. Nimmt's uns dann noch mehr Wunder, so kann er ja wieder
gehen.“So lautete die Orbre. Hans schwoll die Brust, als er sie empfing sammt 10
Kreutzern zu einem Schoppen. Er wusch sich tapfer, und stolz marschirte er ab;
stellte er mal einen Abgeordneten oder so gleichsam einen Repräsentanten vor.Zu
dem war sein Vater in St. Gallen gewesen, seine Mutter eine Waadtländerin und in
einem Keller im Aargau ward er weiland geboren; man kann sich das Gefühl nur
denken und die Beine, welche er zu machen sich anstrengte auf diesem wichtigen
Gange. Es verliefen zwei lange Stunden, es zeigte sich kein Hans. Vreneli
schickte den Benz nach, denn uu war sehr ungeduldig aus den Ställen, wo er sich
herum getrieben hätte, in die Stube gekommen und hatte gedroht,Hans noch diese
Nacht fortzujägen, möge es seinethalben wohl oder übel gehen im St. Gallerlande.
Benz war einstweilen noch ein ehrlich emmenthaler Blut, freilich sehr
ungebildet, aber pünktlich that er, was man ihm auftrug. Ist auch was werth!
Benz lief ab wie ein Pudelhund und gar
Capitel 26.
Der neue Bauer in der Glungge erscheint.Endlich war das Kleine wieder
entschlummert. Vreneli hatte es abgelegt, zugedeckt, wollte eben auch die Ruhe
suchen,da pochte es draußen. Der Lümmel, dachte Vreneli, wäre der doch jetzt im
Wirthshause geblieben oder drüben in sein Bett gelrochen, was braucht der jetzt
so spät mit seinem Gestürm uns unruhig zu machen. Unwillig öffnete es die obere
Thür, aber draußen stand nicht Hans, sondern ein alter Mann mit einem Kopf, der
wirklich einem hundertjährigen Weidenstock glich. „Möchte hier über Nacht sein,“
sagte rauh der rauhe Kopf. Erschrocken sagte Vreneli: „es ist wohl spät, mein
Mann ist nieder und schläft.“ „Selb ist mir eben recht,“ sagte der Mann,
„deßwegen brauchst du nicht zu erschrecken. Bin kein Vagabund, sondern der neue
Glunggenbauer. Im Wirthshaus ist mir zu viel Lärm,will probiren wie hier ein
Schlafen ist.“ Da blieb Vreneli. nichts übrig, als Platz zu machen vor der Thüre
dem großen Mann, hinter dem ein Hund drein kam, wie ein großes Kalb. Um Uli
nicht zu wecken, führte es ihn in die
Doch Vreneli war keine erschrockene Frau wie bekanntlich; war eine Frau von dem
Selbstgefühl, welches Frauen eigen ist, daß ihnen nichts Unanständiges begegnen
werde,und daß je ungestörter sie mit einem Menschen eine halbe oder eine ganze
Stunde zubringen könnten, sie um so beßer wüßten, wie sie mit ihm dran seien.
Wichtig schien es wirklich Vreneli, zu wissen, woran man mit dem neuen Bauer
sei, und manierlich mit ihm zu sein, damit er nicht Ursache zum Gegentheil
hätte. In diesem Punkte traute es Uli wirklich nicht ganz, denn auch ihns
kostete es Mühe, freundlich mit ihm zu sein. Es zwang sich, hieß ihn, sich
bequem zu machen, fragte ihn, wie er den Kaffee liebe, stark oder schwach,legte
buchene Scheiter ans Feuer, damit tannerne durch ihr Spräzeln Niemanden wecken
möchten, fragte ob es dem Hund auch was reichen solle und was derselbe liebe?
Der Alte gab ganz kurzen Bescheid. Er sprach fast, als ob er seine Sprache aus
einem Exerzierreglement gelernt hätte. Rasch war das Kaffee fertig, sauber,
appetitlich, wackeres Hausbrot sammt einer schönen Schnitte Käs stunden dabei,
oder ob er Butter liebe, frug Vreneli, dieselbe sei aber nicht mehr recht
frisch. Mit der Milch seien sie gegenwärtig nicht am besten bestellt. Zucker
hätten sie keinen im Hause, entschuldigte es sich, dergleichen brauche ein
Pächter nicht. Als alles da war, der Alte es sich behaglich gemacht, zog es
einen Korb mit dürren Bohnen an sich, hülsete sie, um die Finger nicht müßig zu
lassen. „Ob sie schon lange da seien?“ frug der Alte. „Ihr werdet euch da
gewärmt haben?“ „Wäre gut,“meinte Vreneli, erzählie dann ruhig, welch Unglück
sie gehabt und wie sie jetzt davon müßten, ehe sie sich erholt.Wenn es ihm naß
ward in den Augen, fo trocknete es sie so unvermerkt als möglich. „So gehts,“
sagte der Alte,„wüste Leute thun wüst, drum gehts ihnen bös.“ „Wen er damit
meine?“ frug Vreneli. „Den, Glunggenbauer und seine Frau, wen sonst. Hätten die
bräver gethan, so wäre
Eden willkommen war sie nicht, dech Vreneli besaß die Freundlichkeit, welche
Mißbeliebiges überwindet, dasselbe nicht tagelang ablagern läßt, bot freundlich
einen guten Tag,hieß ihn zum Frühstück kommen, frug, wie es ihm gefalle hier ꝛc.
Neugierig streckten die Kinder eins ums andere ihr Gesichtchen durch die Thüre,
welche ins Nebenstübchen,wo sie schliefen, führte, fuhren dann mit Schreien und
Lachen zurück, wenn sie den fremden Mann und den großen Hund sahen, der sie nvch
mehr interessirte, als der Mann.Der Maun war ernst, doch nicht unfreundlich,
gab, gut Lob ihrer Wirthschaft, frug nach Uli, und als endlich die Kinder sich
dem Hund zu lieb in die Stube wagten, war er freundüch mit Hnen, besonders mit
dem kleinen Vreneli. Der Hund ließ mit ruhiger Ehrenhaftigkeit der Kinder
Streicheln
„Ihr guten Tröpfe,“ sagte der Mann, „Hagelhans hat schon ganz andere Dinge
gehört, wenn er, was er gehört, nachtragen und eintreiben sollte, so müßte er
den ewigen Juden ablösen, Hagelhans ist aber nicht so wüst, als er
„Vernahm es beim Wässern,“ sagte Uli. „Wenn Ihr dem Johannes gesagt hättet, wer
Ihr wäret und daß Ihr es eigentlich, wie es scheint, für ihn wollt, hättet Ihr
das Geld sparen können.“ „Wer sagt es, daß ich es für ihn will? Mit dem
Lumpenhund will ich nichts zu thun haben;bin kein Narr, der, wenn ein Haus
brennt, Holz a schleppt, damit das Feuer nicht ausgehe. Das Gut ist mein und
fragen wollte ich: willst mein Pächter sein einstweilen,bis mir was Anderes
einfällt?“ Da waren Beide wie ans dem Himmel gefallen, dran hatten sie nicht
gedacht. Hagelhans glich so wenig einem Engländer, nicht einmal einem
Neuenburgen. Vreneli schossen die Thränen in die Augen und Uli sagte endlich:
„Z'Sach wäre ihm wohl recht und hart halte es Beide, hier fortzugehen, aber er
sei zu arm, um so was mehr übernehmen zu dürfen, und Bürgen wüßte er ihm keinen
zu stellen. Dem Bodenbauer, der wie ein Vater an ihm gehandelt habe, sei er
bereits mehr schuldig, als er ihm bezahlen könne. Ihn nun noch einmal
ansprechen, wollte er nicht, die Sache könnte fehlen, dann müßte er sich sein
Lebtag ein Gewissen daraus machen.“ „Wenn der Bodenbauer vermag, Dir Bürge zu
sein, so vermag ich oielleicht, Dir das Gut ohne Bürgen zu verpachten, bin ich
doch ja sogar Gevattersmann und habe meiner kleinen Pathe noch gar nichts
gegeben, nicht einmal einen Einbund. Ihr werdet mich doch oft schmählich
herumgerissen haben, Du und die Base,“ sagte er zu Vreneli und blitzte scharf
ihm in die Augen. „Nicht einmal,“ sagte Vreneli. „Ich hatte es vom Anfang
ungern, daß man so einen fremden unbekannten Menschen anspräch, dem es wie eine
Bettelei vorkommen mußte. Aber sie wollte es haben, und als Alles
Da saßen sie nun, Uli und Vreneli, sahen einander an,wußten nicht, hatten sie ein Gespenst gesehen, oder einen guten Engel. Unerwartet wie ein Hagel vom Himmel war der grauliche Mann in ihr Leben hineingeplumpst, aber nicht zerstörend, sondern Gaben verheißend. Er war wie eine Gestalt in der Finsterniß, von der man nicht weiß, ist sie Freund oder Feind, die wohl ein Losungswort giebt, von dem man aber nicht weiß, hat man es richtig gehört, ist es das rechte oder nicht. „Was sagst dazu,“ fragie endlich Uli.„Weiß nicht,“ sagte Vreneli. Glauben thue ich, er meint es jetzt gut, aber wie lange das Gutmeinen währt, das weiß ich nicht. Es ist mir gar wunderlich um ihn herum,bald wohl, bald angst, bald graut mir vor ihm, bald duukt mich, ich müsse ein großes Erbarmen haben mit ihm. Die Base selig redete iimmer mit Schrecken von ihm, als wie von einem halben Ungeheuer, und doch glaube ich fast, die
*3 letzten Worte, welche wir nicht verstehen konnten, haben ihm gegolten, er lag ihr doch im Sinn.“
„Aber gläubst, es sei ihm Ernst, er stelle uns nicht etwa Fallen?“ frug Uli.
„Glaube es nicht,“ sagte Vreneli,daß er an so was denkt. Es möchte mir fast
scheinen, als sei es so ein alter Menschenfeind, der wieder das Verlangen nach
Menschen bekömmt. Daneben aber schadet in Acht nehmen nicht, und daß er zum
Bodenbauer begehrt, gefäͤllt mir, es ist ein Zeichen, daß er uns nicht so
ungesinnet,zu übernehmen begehrt.“ „Aber,“ sagte Uli, „ich kann es doch fast
nicht glauben, wir wären ja viel zu glücklich, wenn das sich jetzt so machen
sollte und wie es scheint viel besser,als es früher war, gerade als wir meinten,
wir seien auf dem Aeußersten.“ „So geht es mir freilich auch,“ antwortete
Vreueli. „Aber das erste Mal wäre es nicht, daß so was geschieht, daneben kann
man immer vorsichtig sein.„Du hast gehört, wie er schon lange was im Kopf
gehabt,er sagte aber nicht was, aber nicht Gelegenheit gehabt bis zur
Steigerung. Da hätte es bald Streit gegeben,“ sagte Uli. „Johannes hoffte, es
werde ihn Niemand abbieten und hatte, wie man sagt, einen Käufer an der Hand und
die Äussicht, eine schöne Summe zwischen auszunehmen.Als nun Bot um Bot aus der
Ecke kam von einem alten Mann, dessen sich Niemand geachtet, fing Johannes
Händel an. Jeder Lump und Stöffel könnte ihm den Hof herauftreiben um Wein oder
aus Bosheit. Der alte Hund solle schweigen, oder er werfe ihn zur Thüre hinaus.
Der Alte rührte sich nicht, bot kaltblütig weiter. Johannes wollte ihm auf den
Leib, da stund der Alte auf, der Hund auch und der Alte sagte: „Bübli, laß Dich
nicht gelüsten, Du bist am Unrechten. Ich bin der Hagelhans im
Blitzloch,vielleicht habt Ihr auch schon von dem gehört. Da kann der Schreiber
sehen, daß ich nicht blos bieten, sondern auch zahlen kann, und zwar baar so
viel man will und so schnell man will.“ Er legte vor den Schreiber eine
Brieftasche und nachdem derselbe hineingesehen, ward er höflich und sagte:„ja so
sei es.“ „Und jetzt,“ frug Hagelhans und streckte seine Glieder, daß er
anzusehen war fast wie ein alter Thurm aus der Römerzeit, und „jetzt, will mich
noch Jemand hinaus
Hagelhans kam zurück, Vreneli war mit dem Essen noch nicht fertig. „Jetzt ist das
Geschäft mein, jetzt will ich mir es recht ansehen, da giebt es was zu
schaffen.“ „Die Sache hätte man in Ehren gehabt, so gut man gekonnt,“ sagte
Uli,dem die Bemerkung ins Fleisch gegangen war. „Aber Joggeli hätte nicht gerne
Geld ausgegeben für Handwerksleute,er selbst hätte es sonst zu brauchen gehabt.
Er hätte auch nicht immer Alles aufputzen können; wenn man das Meiste mit
fremden Leuten machen müsse, so graue es einem am Ende des Jahres über die
vielen Tagelöhne. Daneben sei das Haus so alt nicht, noch währschaft, mit
Wenigem komme man weit.“ Der Alte sagte nicht viel darauf, guckte überall fagst
du dazu, wenn ich ein neues Haus da baue, eins, das einer hoffährtigen Frau
besser ansteht als diese alte Hütte?“Vreneli meinte, das werde ihm nicht Ernst
sein, wäre Sünde.Denn das hieße das Geld in Bach geworfen, das alte ist noch
hundert Jahre gut. Den Alten hatte der seltsame Baugeist ergriffen, der
unwiderstehlich fassen soll, wer sich ihm einmal ergeben hat. Das alte Haus
schien ihm Reparaturen nicht werth, zu klein, zu unkommod, zu viel Hüttchen
aller Art darum herum, so übel anzusehen, so unbequem, man uli, der Pächter. 25
Capitel 27.Die dritte Reise zum Bodenbauer.Uli mußte sich anstrengen Schritt zu
halten mit dem Alten, der einher schritt wie ein aus einem Hünengrabe
erstandener Recke, dem die Leute aus dem Wege gingen und nachsahen mit
Verwundern. Uli dachte im Stillen, besonders wenn die Rede des Alten heraufquoll
wie ferner Don
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4
„Daß Ihr mir aber auch nicht ZHerrgotts seid mit dem alten Unflath Euch
einzulassen, sonst halte ich mein Lebstag nichts mehr auf Euch. Wir haben, wenn
es sein muß, für euch zu arbeiten und zu essen. Was er an der Mutter nicht alles
ausüben konnte, daß wird er mit der Tochter treiben wollen, das Unthier!“ So
begehrte die Bodenbäuerin draußen vor dem Hause auf, daß man mit keinem
Hämmerlein hätte dazwischen kommen können, und es Uli ganz angst wurde, daß er
nicht hineinging bis es dämmerte und Johannes mit seinem Gaste herauskam. Wie
habt ihr das Füllen gefunden?“ fragte Hagelhans, und der Spott zuckte ihm in
jeder Runzel. „Geht und seht selbst, Ihr versteht Euch besser darauf, als
„Kannst es ihm jetzt sagen,“ sagte Hagelhans zum Bodenbauer. „Nli,“ sagte der
Bodenbauer, „wir haben einen Akkord abgeredet, ich soll ihn ausfertigen lassen,
wenn Du damit zufrieden bist, ich denke aber ja, ich hätte ihn nicht besser
erdenken können, wenn ich schon gewollt hätte.Du bekömmst den Hof auf zehn
Jahre, die gleichen Zugaben,brauchst hundert Thaler weniger Zins zu zahlen, und
kannst einen Zins immer verzinsen, wenn Du das Geld zum Betrieb brauchst.
Auszurichten hast Du nichts als den Bauer zu speisen, wenn er da ist, und will
er das Stöcklein beziehen, welches er sich vorbehalten, so macht sich dieß dann
besonders. Das ist die Hauptsache, damit, denke ich, kannst Du wohl zufrieden
sein.“ Uli wußte nicht, was er sagen sollte, war das, was er hörte ein Glück
oder eine Mäusefalle? Endlich frug er und mit den Schulden, wie ist dieß?„Der
neue Bauer übernimmt sie,“ sagte der Bodenbauer.Ich wollte zuerst sie nicht
abtreten, aber als er es nicht anders haben wollte, machte ich es mit ihm, daß
er sie die ersten fünf Jahre nicht absagen darf, bis dahin wirst Du Dich
hoffentlich erholen können.“ Da Uli mit der Sache immer noch that, wie mit einem
vortrefflichen Bissen, mit dem man aber den Mund zu verbrennen fürchtet und ihn
daher erst von allen Seiten anbläst, so sagte der Alte, der den Handel wohl
merkte und dem der Spott im ganzen Gesichte herumfuhr, wie ein Schwärmer durchs
Gras: „wenn Du nicht weißt, was Du willst, so besinne dich, gehe das Land
auf,das Land ab bei jedem Babi z'Rath, dann sage ab oder zu,wenn ich noch lebe!
Gut Nacht!“ Uli mußte mit, da sie in einer Stube schliefen, konnte es aber lange
nicht zum Schlafen bringen. So hatte es aber auch der Bodenbauer. Der Bodenbauer
war den berüchtigten Gardinenpredigten ganz entwöhnt. Mann und Frau lebten so
einig, verstunden sich so gut, daß ein Blick, ein Wort genügte, sich zu
verständi Mann lange seinen Ohren nicht traute, nicht wußte, kam sie wirklich
von seinem Weibe oder von einem bösen Geiste.
Es mag der Welt unglaublich, ja unnatürlich scheinen und doch ist es ganz einfach
und naturgemäß. Der Bodenhauer hatte seiner Frau keine eigenen Geheimnisse zu
verschweigen, darum konnte er fremde bewahren. Wer aber eigene Geheimnisse hat,
sucht gerne mit dem Ausplaudern fremder Geheimnisse die seinen zu verdecken, die
Weiber abzulenken. Wir wollen offen sein und gestehen, der Schluß befriedigte
die Bodenbäurin durchaus nicht. Die Bodenbäurin verarbeitete eine schlaflose
Nacht, nicht eigentlich wegen der Neugierde, sondern, wie sie sagte, daß der
Mann sie so wenig liebe, ihr so wenig traue, daß er nach 25 Jahren ihr nicht
sagen möge, was ihm gesagt worden sei. Als es endlich gegen Morgen ging, kam es
ihr, denn sie war vernünftig, wie selten eine, Versprechen sei eigentlich
Versprechen,und Ausnahmen seien Ausnahmen und Löcher ins Versprechen und wo mal
ein Loch sei, sei die Sache nicht mehr ganz. Ihr Mann hatte dem Hagelhans was
versprochen,er habe aber auch ihr versprochen Treue und sonst noch viel.Sie
begehre, daß er ihr halte, und sie glaube, er habe es gethan, warum solle sie
ihn verführen, daß er Jemand anders nicht halte. Genau genommen sei das schlecht
von ihr,und wenn er ihr abfalle, so geschehe es ihr ganz recht, dem einen recht,
dem andern billig. Es that der Bäurin sehr leid, daß es so lange gegangen war,
ehe sie dieß begriff,und als am Morgen der Mann erwachte, da bat sie ihn
driuglich, daß er ihr doch nicht zürne. Da hätte er es bei einem Haar gesagt,
denn er war noch schlaftrunken und die unerwartete Liebe war fast wie ein
engljscher
Am Morgen wußte die Bodenbäurin nicht recht wie sie mit Hagelhans umgehen solle. Hagelhans schlug ihr seine großen Augen ins Gesicht, so gleichsam als ein Blasenpflaster, welches wieder herausziehen konnte, was nicht drinn sein sollte. Die Bäurin merkte gleich, was das sein solle und sagte: „Habt nicht Kummer, ich habe einen wüsten Mann, eigentlich sind alle wüst, aber meiner vor allen, sagt mir nichts, als was er gerne will. Nun ich bin auch nicht halb so neugierig, es wäre mir ein Leid, wenn ich alles wissen müßte, was mich nichts angeht. CEs giebt dagegen Sachen, welche man gerne wüßte, und wo dies wohl zu verzeihen is.. Wenn man z. B. Jemanden für gut meinend halten soll, den man für einen Unflath gehalten, so wäre einem ein Warum doch vielleicht erlaubt.“
„Auf ein Warum von der Frau paßt nichts besser als Darum vom Mann. Das ist der wahre Mannsbrauch,“sagte Hagelhans. „Wie weit kam Mancher mit solchen Bräuchen,“ antwortete die Bodenbäuerin mit sanfter Stimme,aber dem bekannten Weiberblick, welchen sie an die Worte heften, welche zünden sollen, gleichwie das berühmte griechische Feuer ehedem auch mit Pfeilen geschossen wurde. Da that der Hagelhans seine Augen wieder weit auf und sagte:„Habe er es Dir nun gesagt oder nicht gesagt, so bedenke,daß wenn ein Wort von dem geschwatzt wird, was ich ihm gesagt, aus allem nichts wird, Du aber TDein Lebtag reuig wirst, so wahr ich Hagelhans heiße. Jetzt mache was Du willst.“ Die Weiber haben zuweilen ein eigen Geschick zu treffen aufs Gerathewohl, daß man meinen sollte, sie kennten das Ziel und hätten scharf gezielt, und ist doch all nichts.Die Bodenbäuerin betheuerte umsonst, sie wüßte wahrhaftig nichts, Hans traute nur halb. „Mach was du willst,“sagte er, „aber zähl darauf, was ich gesagt, das halte ich.“Der Bodenbauer, der jetzt mit Uli das Füllen besehen hatte,
25 mit ihm in die Stube kam, machte dem Gespräch ein nde.
Hagelhans pressirte mit dem Aufbruch, die Sach sei gemacht, Gschwätz trag nichts ab, die Zeit, welche vorbei sei,sei vorbei, und nicht mehr zu gebrauchen, sagte er. Er nahm Uli mit fort, trennte sich aber bald darauf von ihm und marschirte dem Blitzloch zu. „Wenn er wiederkomme, wisse er nicht,“ sagte er, „sie sollten alle Tage seiner gewärtig sein.“
Uli ging heim als wäre er trunken. Also war er wieder Pächter auf der Glungge und
unter Bedingungen, wo es ihm fast nicht fehlen konnte und doch wußte er nicht,
sollte er sich freuen oder nicht, es war ihm etwas Dunkles im Hintergrunde, von
dem er nicht wußte, war es gut oder bös.Bald kam ihm sogar der Johannes
verdächtig vor, der erst so bedächtig gethan und dann so stark eingeredet und am
Morgen sogar die Frau, es war gleichsam als hätten sie kalt und warm aus einem
Munde geblasen. Mit großer Spannung harrte seiner Vreneli, lief ihm weit
entgegen, als es ihn von ferne sah. „Und du bangst noch,“ sagte es, als es Alles
vernommen, „bist du so mißtrauisch geworden? Hast den Glanben so gutmüthig auf
jeden faulen Stock abgestellt und jetzt ist dir kein Stein gut genug dafür. Sieh
Bodenbauers, sollten wir aus ihren Werken erkennen, wegen einigen Thalern
verkaufen die uns nicht und Vetter Hagelhans ist zu alt um Bosheit mit uns zu
treiben, sonst was wäre an uns nichts zu gewinnen. Glaube mir, das ist ein
anderer als Joggeli.Hagelhans kann einen Menschen todt schlagen aber den Wurm
zertritt er nicht. Warum er es gut meint, weiß ich nicht,aber gut meinen thut er
es, dafür wollte ich meine Hand in's Feuer halten. Den wildesten Menschen kömmt
es manchmal an wie Heimweh, wenn sie alt werden. Sie hätten Niemanden, klagen
sie, und suchen Jemanden, der Antheil an ihnen nimmt und dem sie zeigen können,
daß'sie doch noch Menschen sind. Vielleicht daß es Hagelhans auch so kam, dazu
sind wir nicht ganz fremd, sondern verwandt; freilich nur entfernt,aber böfe
haben wir ihn nie gemacht und er ist Vreneli's Pathe.So habe ich alles Vertrauen
und wenn er kömmt, will ich zu ihm sehen, als ob er mein Vater wäre. Mag kommen,
was va will, so ist die Pacht gut und zehn Jahre
Capitel 28.Wie die Welt im Argen bleibt und gebeßerten Menschen es gut geht
mitten in der argen Welt.Als die Leute vernahmen, daß Ali frisch gepachtet und
gut und welche Freude darüber gewesen sei auf der Glungge,da wunderten sie sich
sehr. Anfangs hatten sie Mitleid gehabt mit Uli und gedacht, der wüste Mann
werde ihn handlich plagen, er könne sie übel erbarmen, verdient hätte er es
nicht, wenn er schon einige Zeit von dem Kraut, welches nichts koste, man nenne
es Hochmuth, wohl viel gehabt. Als sie nun aber vernahmen, daß es umgekehrt
gegangen, Uli beßer zweg sei als vorher, ja daß Hagelhans gar noch Vetter sei
und Pathe von einem Kinde, da hielten sie alles für ein abgeredet Spiel, um
Joggeli's Kinder und Kindeskinder zu verstoßen. Ob es so sei oder nicht,
untersuchte man begreiflich nicht, sondern man hielt es einfach für grimmig
schlecht.So viel Gutes sie dort genoßen, und die Älte ihnen mehr gethan als den
eigenen Kindern und jetzt es ihnen so machen,wo sie in der Noth seien, das sei
über das Bohnenlied. Da könne man wieder sehen wie schlecht die Welt werde und
daß gar keine Religion mehr sei, ehedem hätte sich der schlechteste Hund
geschämt, so was zu machen. Als man nun gar sah,wie Hagelhans oft auf die
Glungge kam und wie da eine
Das ist eben die Weise der edlern Naturen, daß das Unglück ihnen die Personen
heiliget, wie widerwärtig sie an sich auch sein mögen, so wie den Muhamedanern
die Wahnsinnigen heilig sind. Umgekehrt haben es die gemeinen Naturen, für das
Edle haben sie keinen Sinn, ists im Glanze kriechen sie vor ihm im Staube und
lecken ihm die Füße, ists im Unglanz werfen sie es mit Koth, treten sie es mit
Füßen. Vide Weltgeschichte bis auf die allerneuste Zeit.Vreneli dachte bei Elise
immer: Vater, vergieb ihm, es weiß nicht, was es thut. Was Vreneli schmerzte,
war das Benehmen der Leute überhaupt. Mißgunst trat überall zu Tage und diese
erzeugte das heilloseste Streben, für edles Handeln schlechte Gründe zu
ergrübeln. Das ist eine heillose Weise,die, wenn sie dem Thun nichts anhaben
kann, demselben einen schlechten Sinn unterschiebt. Diese Weise vergiftete das
Leben der edelsten Menschen, zerstört Erfolge, lähmt alle, welche über das
Urtheil der Menge sich nicht erheben können. Vreneli war sich so klar bewußt,
Jedermann das Glück zu gönnen, mit beiden Händen und ganzem Gemüthe bereit zu
sein, Anderer Glück zu fördern und ihr Unglück zu wenden und hatte davon so
manchen Beweis geleistet, daß es ihm wirklich wehe that, diesen Sinn der Welt in
all seiner Bitterkeit erfahren zu müfsen. Indessen will es Gott so und es ist
gut so, das sind die kühlen, frostigen Frühlings
Zudem half Hagelhans, der immer öfter da war, mit gar Manchem nach, fast
unvermerkt. Es thut einem Hof bald dies bald jenes Noth, oder thäte ihm wohl,
aber Niemand will es machen. Der Pächter scheut die Ansgabe,
4* Alte war seit Jahren nicht gewohnt, daß Jemand ihm widersprach, was er wollte,
das wurde ausgeführt, und um so unerbitterlicher, wenn er sah, daß Jemand ein
schief Gesicht dazu machte; das hatte sein Gesinde oft erfahren.Der fremde Wille
von Vreneli würgte ihn im Halse wie ungewohnte seltsame Kost und doch würgte er
ihn herunter mit manch seltsamem Gesicht und ergab sich darein, aber nicht wie
Joggeli es gethan hatte, unter Knurren und Murren und beständigem Widerstreben,
sondern als er ihn endlich hinunter hatte, sagte er: „Nun, dir zu Gefallen, daß
du es nur weißt.habe seinen Theil und die Sache sei beisammen, du kein Wort Aber
darauf zähle ich dann auch, daß wenn ich finde, der Hof mehr sagst. Hasse nichts
mehr, als das beständige Wiederkauen.“ Vreneli zögerte noch seine Hand in die
dargebotene zu schlagen und das Versprechen abzulegen, denn das alte Haus war
ihm ans Herz gewachsen, aber da that Hagelhans seine großen Augen auf und
Vreneli schlug ein. Ueber einen andern Punkt kamen sie dagegen nie zum
Einschlagen,da war beständiger Streit, doch nie ein feindseliger. Hagelhans
haßte den Johannes, aber mehr noch Elise, wenn er es sah, ward es ihm wie andern
wenn sie Mäuse oder Kröten sehen. Johannes ließ sich auf der Glungge nicht mehr
sehen, seiner Väter Gut hatte er den Rücken gewendet auf immer. Elise hingegen
hatte es wie die Katzen, welche nicht an den Personen, sondern an den Häusern
hängen sollen, es konnte nicht von der Glungge laßen. Obgleich einige Stunden
davon entfernt, erschien es doch alle Augenblicke auf derselben als wie vom
Himmel herab, und gebehrdete sich daselbst als des Hauses Tochter und behandelte
Vreneli auf die alte Weise, als ob dasselbe um Gotteswillen da sei,sagte ihm das
Unverschämteste und forderte von ihm, was
Es klopfte einmal an einem recht wüsten windigen Regentage, wo Vreneli die Küchenthüre zugemacht, hatte, damit der Wind ihm nicht ins Feuer komme, an der Thüre. Vreneli össnete, draußen stand seine Freundin, welcher es zu Gevatter gestanden, pudelnaß mit einem eben so pudelnaßen Kinde auf den Armen. „Mein Gott, bist du es,“ sagte Vreneli, „bei
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„Ists noch ein Junger,“ fragte die Frau? „Fragst wegen mir oder fragst wegen
Dir?“ frug Vreneli mit einer
„Dein Mann soll es also auch nicht wissen?“ grollte Hagelhans und seine Augen
brannten. „Eben meine ich nein, und zwar von wegen mir meine ich es. Zürnen mußt
mir nicht, Vater. Wir kamen zusammen und hatten Beide nichts, Keins dem Andern
was vorzuhalten, was wir hatten,verdienten wir, was sein war, war mein, das
Meine sein,wir hatten Beide daran geschafft. Beim arm werden, beim reich werden
hatte Keins dem Andern etwas vorzuwerfen,und wenn schon Uli hier oder dort eine
Schuld trug, so hatte ich meine Fehler auch. Jetzt geht es vorwärts mit uns,
Beide haben wir gleiche Frende, gleichen Theil daran.Werde ich auf einmal zu
Deiner reichen Tochter, zu der Du mich machen willst, so hat das ein Ende, und
wer weiß,und eben da traue ich mir nicht, ob ich nicht däͤchte, das Vermögen
käme von mir, stolz würde und Uli es fühlen ließe, oder ob Uli nicht mißtrauisch
würde und meinte, weil ich jetzt reich sei, so sei ich reuig, daß ich ihn
genommen,und verachte ihn. Wo dieser Wurm sich eingräbt, da sind Friede und
Liebe hin. So lange Uli nichts davon weiß,muß ich mich halten als das alte arme
Vreneli und nach ein paar Jahren, wenn wir selbst warm sitzen macht es dann
schon weniger aus. Der Sprung ist nicht so groß,wir sind Beide vernünftiger
geworden und wenn er weiß,daß ich bereits die Probe bestanden, so wird er mir
nicht mißtrauisch und hinterstellig. Darum, Vater, soll er einstweilen nichts
wissen und die Sache beim Alten bleiben. Es ist uns so wohl jetzt, so wie
Fischlein im Wasser. Warum ändern?“ „Magst was recht haben,“ sagte
Hagelhans.„Lieber wäre es mir, die Sache wäre offen und abgethan.Auf alle Fälle,
es mag geben, was es will, so ist gesorget, der Bodenbauer weiß davon, hat das
Nöthige bei fich“ Ich habe Respekt vor Dir, Du bist aber auch die Erste, vor der
ich ihn habe. Aber Blau Blitz, was wärest Du für ein Hagelweib geworden, wenn Du
z'Bösem gerathen? Seltsam, daß die Alte hier Dich so gut und tüchtig erziehen
mußte, während ihr die eigenen Kinder so arg mißrieihen, daß sie dem Hageihans
sein Meitschi zu einer
Das brauchte Hagelhans seinem Vreneli nicht zu sagen,sein Herz war jubelsvoll. So
lange hatte es Niemanden gehabt auf der Welt, jetzt auf einmal einen Vater! Es
hatte nicht gewußt, wie Schweres es sich aufgab, als es den Vater bat,
einstweilen ihr Verhältniß zu verheimlichen. Es ist schwer, es zu bergen, wenn
das Herz voll Jammer ist,aber unendlich schwerer noch ist das Bergen, wenn das
Herz voll Freude ist. Wäre Uli nicht seles voll Freude heimgekehrt, Vreneli
hätte sich verrathen, nün aber nahm er Vrenelis Freude für innigen Antheil an
seiner Freude. Er hatte nämlich das Mannli glücklich gefunden und nicht in so
großer Noth, wie er gefürchtet. Anfangs hatte derselbe große Augen gemacht, als
Uli vor ihm stand, und dessen Frau, als sie vernommen, wer er sei, hatte die
Schleusen ihrer Galle aufgezogen, und Uli mit Schmähreden überfluthet, daß er
fast den Athem verlor, geschweige, daß er zur Rede gekommen wäre. Indessen alles
Irdische hält nicht ewig aus,selbst der Athem eines zornigen Weibes nicht,
endlich konnte Uli sagen, warum er da sei? Anfangs sah man ihn an,als ob er
Hörner habe am Kopf, denn so was war seit langem nicht erhört worden in Israel.
Als man aber lauter verständliche Worte hörte, die blanken Thaler sah,welche er
auspackte, klaren lautern Ernst sah im Handel,da fehlte wenig, sie hätten ihn
für einen Engel angesehen und hätten ihn angebetet. Er kam ihnen eben in die
bitterste Verlegenheit hinein, sie waren hinausgedrängt auf die üußerste Spitze,
hinter sich eine Wand, vor sich einen Schlund,und jetzt kam einer und schlug
eine silberne Brücke, sie mußten ihn für einen Engel halten. Es machte Uli
unendlich glücklich, als er ihr freudiges Erstaunen sah, ihr unaussprechlich
Glück. Mit den reichsten Segnungen beladen
Uli wurde durch seinen Glauben nicht getäuscht. Der Herr war mit ihm und Alles gerieth ihm wohl, seine Familie ünd seine Saat. Offen blieben ihm Herz und Hand,und je offener sie waren, desto mehr segnete ihn Gott.Hagelhans blieb mitten unter ihnen, als Vater geliebt, aber nicht als Vater bekannt. Vreneli hatte die größte Mühe,seiner Güte Schranken zu setzen, ihre Kräfte durch seine Freigebigkeit nicht zu lähmen. Es naht der festgesetzte Zeitpunkt, wo Hagelhans sagen will, wer er ist, wo Uli aus einem wohlhabenden Pächter ein reicher Bauer werden soll.Vreneli sieht der Sache mit Bangen entgegen, es bebt vor der neuen Prüfung, ob sie wohl Beide darin bestehen werden, frägt es oft am Tage sein Gewissen. Wir glanben,sie werden es. Der Gott, der ihnen durch so manche Noth,über so manchen hohen Stein geholfen, wird ihre Füße halten, wenn sie einmal auch wandeln sollen auf geebneten Wegen durch ein reiches Gelände.