Reisebilder aus dem deutschen Norden: ELTeC Ausgabe Brenner-Kron, Emma (1823-1875) ELTeC conversion Automatic Script 82 22626

2021-12-14

Transcription UB Basel Scan UB Basel Reisebilder aus dem deutschen Norden Brenner-Kron, Emma Felix Schneider Basel 1873

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Das rege Interesse, das den Erzählungen über meinen Aufenthalt im deutschen Norden im engern Kreise der Heimath zu Theil ward, ermuthigte mich, meine Eindrücke auch einem weitern Kreise mitzutheilen. So hatte ich denn diese Reisebilder einem geschätzten Schweizerblatte zugedacht. Im Gedanken an die Lieben im Vaterlande, die sie lesen würden, und in dankbarer Erinnerung an den mir lieb gewordenen Norden, schrieb ich sie nieder. Und die Bilder von Carlsburg, von Stralsund, von Usedom, von Swinemünde traten alle wieder frisch vor meine Seele hin. Ich sah den Strand, die Küste, sah das Meer: „Die blaue Fluth wogt' ruhig, sanft im Winde.“ Und das war in den Tagen bom 13. und 14. November! vielleicht zur Stunde, wo dies Meer,ein tobendes Ungeheuer, Land und Leute erbarmungslos verschlang.

Da erscholl der Hülferuf von der Ostseeküste, und über die deutschen Ebenen drang er auch bis nach den fernen Schweizerbergen. Die Ostseeküste, die deutschen Ebenen eine weite, schauerliche Wasserfläche: das Meer hatte sie überfluthet! 4 Da wußte ich denn auch, daß meine Reisebilder, diesem Norden entnommen, diesem Norden angehörten. Möchten sie, niedergelegt auf den Altar der Menschenliebe, ein Scherflein werden, der Hülfe sich anzureihen, die, wie es gebührt, daß in den Tagen der Noth ein Volk sie dem andern, ein Mensch dem andern sie leiste,den Unglücklichen bereits auch geworden und noch werden kann.

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Was auch die eig'ne Seele mag bewegen

An leisen Sorgen und an stillem Weh,

Trag' es hinaus! Auf sonnbestrahlten Wegen Hinaus in Gottes weite Schöpfung geh'l!

Und lerne hier im großen All empfinden,Lern', was es heißt: ein Theil des Ganzen sein!Dann wird das eig'ne kleine Ich verschwinden Und Friede kehrt in Deine Seele ein.Es war im August dieses Jahres, als ich meine Reise nach dem deutschen Norden antrat; das Ziel derselben war NeuVorPommern, wo treue Freundschaft meiner harrte. Die Gegend von Basel nach Frankfurt war mir bekannt und wußte ich,daß nachdem ich dem badischen Lande ein Lebewohl gesagt und der Stadt am Main einen letzten Gruß zugesandt, ich nun auch Abschied genommen von den saftig-grünen Wiesen, den waldigen AnDDDDD00 so ernst und doch so traut mich anschauten, als wollten sie mir sagen: „Du Kind Helvetiens, wie wird dir zu Muthe sein, wenn dein Auge, umsonst nach uns spähend, weit und breit nur die endlose Ebene erblickt? Wie wird dir da sein?“

Die Reise von Frankfurt nach Berlin bietet wenig Interessantes für uns Schweizer. Da wo am fernen Horizonte noch immer die blauen Linien der Berge sichtbar, und wenn sie entschwinden waldige Hügel eine theils grüne, theils mit Getreide bewachsene Ebene anmuthig überragen; wo auf dem noch 6 stark bevölkerten Reichstheile Städte mit Dörfern, Kirchen mit Kastellen und andern sehenswerthen Bauwerken wechselnd, der ganzen Landschaft den Ausdruck muntern Lebens verleihen: da fühlen wir uns noch heimisch.

Je näher wir Berlin aber kommen, je öder erscheinen uns die Gefilde. Ich sah sie zur späten Abendzeit, jene Gegend, und die weiten Strecken hellen Sandes, der bald hügelig sich erhob,von niederm Strauchwerk bewachsen, bald flach und kahl vor meinen Blicken sich dehnte, schimmerten weiß im blassen Lichte des Vollmonds und hatten für mich etwas schier Grauenhaftes: es erfaßte mich das Gefühl unsäglicher Vereinsamung. Da aber schimmerten von Weitem, blinkend in die Wette mit den Lichtern des Himmels, schimmerten, wie ein Kranz funkelnder Sterne,die tausend und tausend Lichter der Kaiserstadt, und das immer lauter werdende Getöse, das Sausen und Brausen, das Klirren und Schwirren, das Lärmen und Schwärmen die Nähe der Menschen weckte mich aus meinen Träumen: es war Berlin,in das wir eingezogen. Ein Strom von Leben, ein Ocean von Beweglichkeit umtobte mich jetzt von allen Seiten.

Meines Bleibens war jedoch nicht in der Weltstadt; der folgende Tag schon führte früh mich mit eilendem Dampfrosse je mehr und mehr. dem Norden zu.

Wie ist sie schön, diese Stettiner-Bahn, die bis hinauf nach dem Seehafen Stralsund führt, mit ihren noch neu aussehenden Bahnhöfen, diesen festen, schmucken Backsteinbauten, die durch ihren rothen Stein hier grell abstechen vom dunkeln Hintergrunde des sie umgebenden Kiefernwaldes, dort, wie die Kornblumen zu ihren Füßen, fröhlichen Farbenwechsel bringen in das weithin sie umschwankende Weizenfeld.

Doch, nicht die Bahnhöfe waren es und nicht der fröhliche Farbenwechsel, was in dem Augenblick meine Aufmerksamkeit auf fich zog: das Kleine verschwand vor dem einen Großen, vor dem Anblick der mich umgebenden Landschaft, einer weiten endlosen Ebene. O, ihr Flächenbewohner, verzeiht, wenn ich hier bekenne, daß ein unbeschreiblich Heimweh mich da ergriff, daß eine Thräne den Blick trübte, der, zum ersten Mal auf dieser euch so theuren Heimat ruhend, sich verlor in solcher Unendlichkeit!Und ihr werdet mir verzeihen, wenn ich euch sage, daß, einmal damit vertraut, eure Ebenen mir schön erschienen, schön in ihrer Art, ich meine: großartig, wie alles Unendliche, und ich sie lieb gewann nach und nach auch darum, weil es eure Ebenen.

Die Gegend von Berlin hinauf nach dem Norden wird jedoch, ihr werdet es zugeben, immer öder, immer kahler: Kornfelder und Sandhügel, und Sandhügel und Kornfelder, dann wieder weite Strecken dunkeln Waldes. Zur Linken, sieh! jetzt aber ein stiller blauer See, still wie die menschenleere Landschaft ringsumher. Ueber seinem blauen Spiegel kreisen die Wasservögel im Morgensonnengolde, silbern schimmern ihre langen Flügel.Und der Windhauch bewegt das Schilfrohr am Ufer und kräuselt die Gewässer des Sees. Doch vorbei, vorbei! schnell treibt das Dampfroß weiter.

Und hier, in der Gegend zerstreut, die Windmühlen, deren für uns so ungewohnter Anblick diese fremdartige Landschaft noch fremdartiger erscheinen läßt! Und jetzt noch dazu die Kanäle kleine Segelbote führen auf ihrem dunkeln Gewässer die Waaren von den entfernt liegenden Strömen dem Innern des Landes zu ernste, schwarze Streifen, welche die Ebäne durchkreuzen und ihr einen noch ernsteren Ausdruck verleihen. Aber auch da: vorhei, vorbei!Es war Mittag geworden. Ich wußte, daß der Ort meiner Bestimmung nicht mehr ferne; begierig, ihn zu entdecken, blickt'ich in die Gegend hinaus: Carlsburg, das seit Alters her in Pommern bekannte Schloß Carlsburg das Stammgut der Grafen von Bohlen und nunmehriges Besitzthum des Grafen von Bismark-Bohlen wo mocht es denn liegen und wie paßte es in diese öde Landschaft ? Ich suchte nach Wald, nach dem zu dem Bilde meiner Phantasie so unentbehrlichen Forste: ich sah nur Feld und Acker, ohne Baum, ohne Strauch. Da zeichneten aber sich dunkle Umrisse gen Norden ein schwarzer Streifen auf dem gelben Plan die Waldungen von Carlsburg; denn die letzte Station, die ich zu erreichen hatte, war endlich Züssow, die nächste bei Carlsburg.

Wie pochte mir das Herz, da sollte mich ja Die begrüßen,um deretwillen ich so weit her gereist kam, meine Freundin und Anverwandte. Leichte Wolken hatten indeß den Himmel umzogen; ein feiner Regenschauer benetzte die trockene Erde.„Züssow“, erschallt jetzt die Stimme des Eisenbahnangestellten.Der Wagen hält. Ich steige aus. Ein scharfer Windhauch blies mir da in's Geficht und kühlte die heiße Stirn mir. Ist das dein Bote, du frostiger Norden, und heißest du so mich willkommen, oder willst du mich zurück treiben dahin, von wannen ich ausgieng? Ich konnte nicht lange rathen, denn sie nahm mich jetzt in Empfang, allen nordischen Boten zu lieb oder zu leide, meine gute, treue Louise.

Die gräflichen Pferde lenkten feldeinwärts und brachten, leicht über die Ebene dahin gleitend, uns Carlsburg je mehr und mehr nahe. Hoch und dunkel ragten jetzt die Wipfel seiner Bäume empor über den gelben Feldern, und durch das schattige Grün schimmerten bald auch die weißen Mauern des Hofes und die runden Säulen beim Eingange in denselben uns entgegen.

Carlsburg nicht ohne Rührung betrat ich die Stätte, welche im Laufe der Jahre derjenigen eine zweite Heimath geworden, die vor Zeiten, ein Kind schier noch, allein, auf Gottes Schutz und auf eigene Kraft angewiesen, in die Fremde zog, um gleich so vielen wackern Mädchen auch unseres Landes, fich dort durch Fleiß und Treue Gönner und Freunde zu erwerben: in wie weit dies meiner Anverwandten gelungen, mag die Reihe von Jahren bezeugen, die sie in Carlsburg schon weilt.

Der langgehegte Wunsch, mich in ihrer deutschen Heimath zu begrüßen, war nun erfüllt: Carlsburgs gastliche Pforten hatten sich mir geöffnet; freudig führte Louise, die getreue Wirthschafterin. des Schlosses, mich ein in die mir bestimmten Räume, mich daselbst der Ruhe überlassend, der ich in diesem Augenblick so sehr bedurfte.

II.

O segensreiche Erntezeit!

O Sommermorgen, klar und rein!Wie wird bei deinem Sonnenschein Das enge Herz so groß, so weit!Das war das Gefühl meines ersten Erwachens in Carlsburg.Neugestärkt durch den erquickenden Schlummer in des Schlosses weiten Räumen, athmete ich sie ein, die nordische Frühluft. Sie war leicht und kühl diesen Morgen, wie sie es im Allgemeinen dort ist: ihr Säuseln weht uns den Hauch des nicht mehr fernen Meeres entgegen, den feuchten, salzigen Hauch, der es verwehrt,daß die Hitze des Tages zu drückend wird. Ich öffnete diesem Säuseln meine Fenster, und der Blick ruhte jetzt auf dem vor mir liegenden Park.

Dieser Park nie werde ich Carlsburgs gedenken, ohne daß sein Bild vor mich hintritt. Dieser Park mit seinen herrlichen Bäumen, wie oft erzählte er mir alte Geschichten! Er erzählte mir auch die Geschichte vom Schlosse Carlsburg. Doch nicht gleich am ersten Morgen meines dortigen Erwachens; so rasch geht das nicht: der Park ist ernst und verschlossen wie seine pommer'schen Landeskinder; er will erst wissen, womit er es zu thun hat. Und so ein heller Sommermorgen ist auch nicht die geeignete Zeit zum Erzählen alter Geschichten; es kommen noch passendere Stunden.

Jetzt machte ich Bekanntschaft mit seinen einzelnen Bäumen und vorerst mit der Riesentanne, die, meinen Fenstern gegenüber, durch ihre zierlichen Formen und ihr dunkles Grün meine Bewunderung erregte. O, wie viele Blicke hafteten auf ihr, lange vor den meinen; Blicke lieber Augen, die längst das Grab nun deckt! Denn die Tanne ist ganz dazu geschaffen, ein Lieblingsbaum zu sein. Und ich wie oft sah ich nach ihr! Hoch oben in ihrem Wipfel sang der Häufling sein Lied laut und fröhlich hinaus in die Lüfte; an ihrem Stamme ab und auf kletterten die Eichkätzchen, sich im Spiele neckend, indeß auf bemooster Wurzel die ewigbewegliche Bachstelze ihre Insektenjagd eifrig fortsetzte,unbeirrt die Schaar junger Truthühner der Puten des Hofes die, den Hennen folgend, unter den lang herabhängenden Aesten des Baumes behaglich auf trockenem Grunde sich ergiengen;ihre piependen Laute drangen zu mir herauf. Und dort der stattliche Ahorn! Und hier die Edeleschen mit ihrem prächtig gezackten Laube! Und die Ulmen und Birken, die Akazien und Erlen,die Pappeln und Weiden mit den silbernen Blättern, neben der dunkeln Blutbuche; zierliche Gruppierungen, die durch ihren reichen Formen- und Farbenwechsel das Auge fesseln, bis es, von ihnen hinweg weiter und weiter hinaus spähend, über den grünen Rasenteppich hin, den sie umkränzen, nach dem entfernteren Teiche schweift, der, ein glänzender Wasserstreifen, als Grenzlinie des Parks, durch den Ausschnitt der Bäume schimmert. Jenseits seiner Fallbrücke dieses Störefrieds der kreisenden Schwäne liegen grüne Wiesen; sie bilden mit dem Himmel, der über ihnen blaut, und dem an sie stoßenden Forste, den Hintergrund zu diesem lieblich-ernsten Bilde. Durch die hohen Stämme des Forstes führt die breite Fahrstraße nach der zwei Meilen entfernten Stadt Anklam eine weiße Linie in's dunkle Grün des Waldes hinein.

Dies Bild war die Aussicht, die nach Osten von den Fenstern meines Schlafgemachs aus den Blicken sich wies; der nebenangrenzende Salon, dies kleine, hübsche Gelaß, bot aus seinem Fenster die Aussicht nach Norden auf einen andern Theil des Parks; immer die hohen, herrlichen Bäume, zwischen denen hier Blumenbeete lieblich dufteten bunt glänzten ihre Farben durch das grüne Laub. Den Hintergrund bildete das weithin wogende Aehrenfeld, begrenzt vom dunkeln Forste. Dort schwankte, wie 1141 ich ankam, noch als reife Saat das üppige Korn, der Reichthum des Landes, harrend der fällenden Sichel. Bald sah ich von Fern Garbe an Garbe sich reihen. O segensreiche Erntezeit!Und als ich Abschied nahm von Carlsburg, und an jenem Sonntag der Blick zum letzten Mal aus diesem Fenster schweifte wehte der Herbstwind über die Stoppeln. Sie aber, die da an meiner Seite stand, und der diese Zimmer zu eigen, mag wissen,wie werth mir die Räume geworden. Und wenn sie nun hinaus blickt aus diesem Fenster, und der Nordwind weht eisig kalt ihr entgegen vom starrenden Schneefeld, ihr kühlend die jugendfrische Wange: dann möge sie denken, daß, so frostig sein Hauch, so warm meine Erinnerung.

Die innern Räume des Schlosses waren eben so sehr geeignet,stundenlang den Blick zu fesseln und tausend Gedanken wach zu rufen, als der sie umsäuselnde Park. Die vielen ineinandergehenden Zimmer, verbunden durch die weiten Gallerien mit ihren lebensgroßen Ahnenbildern, ihren plastischen Figuren, beleuchtet vom Strahle des durch die hohen Bogenfenster hereinbrechenden Lichtes was erzählten sie nicht alles der lauschenden Seele!Ist es der Flügelschlag einer vergangenen Zeit, was da uns umrauschet so seltsam? Kühl weht es uns an wie ein Hauch aus dem Reich längst entschwundener Tage.

III.

Und draußen die Welt!„Es geht durch sie ein frisch-erschaffend Wehen „In ungehemmtem Lauf,

„Und mit des Frühlings neuen Knospen gehen „Auch neue, große Herzen auf.“Ein warmer Erntetag glänzte über Wald und Feld! Die Mittagssonne spiegelte sich in den Fenstern des Schlosses, die, auf IDd den Hof hinaus blickend, das alterthümliche Gebäude von dieser Seite her erleuchten.

Schloß Carlsburg zeichnet sich durch keinen schloßartigen Baustyl aus; es zieren dasselbe nicht Thürme, nicht Zinnen.Das ungewöhnlich hohe, gewölbte Dach der Seitengebände, der lange Mittelbau mit eben diesen beiden, denselben überragenden Seitenflügelñ, verleihen ihm einen eigenthümlichen, nicht aber schloßartigen Charakter. Ich habe es oft betrachtet, das Schloß,von seinem weiten Hofe, von dem großen, kahlen Rafenplatze inmitten desselben aus, und es gab mir viel zu denken, warum der Baumeister es gerade so gebaut. Aber stumm blicken den Beschauer die zwei bronzenen Hunde unten an den Stufen der großen Eingangspforte an, und still und verschlossen strahlen, hoch oben unter dem gewölbten Dache,“ die runden Fensterscheiben durch ihr verwittertes Glas das Sonnenlicht zurück: sie bleiben die Antwort ihm schuldig. Da wendet er sich um, und von rechts winken die rothen Backsteinhäuser, die Wohnhäuser der Oekonomiegebäude,ihm freundlich entgegen, von links die zierlichen Pferdeställe, wo,der Stolz des Hofes, über 60 Pferde sorgsam gehegt und gepflegt werden. Und dort die mächtigen, hohen Bäume, die Linden und wilden Kastanien, welche die drei breiten Eingangsstraßen in den Hof zu beiden Seiten in Reihe und Glied, wie alte, treue Wächter, umstehen! Und jenseits ihrer Schattengänge die übrigen herrlichen Stallungen und Höfe, und die Gärten und Gewächsehäuser, wo unterm schützenden Glase die Rebe grünt und blüht, und des Gärtners Kunst und Pflege dem kalten Norden abringt, was der Gestrenge gutwillig zu schenken verweigert.

Und weiter und immer weiter hinaus trieb es auch mich zur Stunde. Der Weg führte jetzt, nachdem der Hof zurückgelassen,vorbei an den Teichen, in deren Naß sämmtliche Thiere des Hofes ihren Durst stillen breite Wasserflächen, auf deren ruhigem Spiegel die Enten herumschwimmen, sich Kühlung schaffend bei der Hitze des Mittags. Still ist's ringsum. Der einförmige Laut der in entfernter Scheune arbeitenden Dreschmaschine dringt, melancholischsingend, zu mir herüber. Vor den leeren Schafställen zwitschern Schaaren von Sperlingen und suchen in dem herumliegenden Stroh nach Futterkörnern; die ungeheuren Heerden weiden draußen im Felde. So nahe ich mich denn dem Dorfe Carlsburg.

Das Dorf hier bedarf es einer Erläuterung für den, dem die Verhältnisse dieses Landes fremd. Gewöhnt an die, das Gleichgewicht einigermaßen unterhaltende Zerstückelung des Bodens seiner Heimath, dieses in so viele Theile zerfallenden Grundbesitzes, hat er keinen Begriff von solchen Groß-Gütern, deren Boden oft, so weit das Auge reicht, mit Schloß und Dorf, mit Feld und Wald, mit Acker und Wiese, dem einen Herrn als Eigenthum angehört.

Solch ein Dorf besteht denn aber auch uur aus mehr oder weniger, theils einzeln stehenden, theils aneinander sich reihenden Häusern; alle einstöckig, ziemlich gleichförmig aus Backstein erbaut.Die Dächer meist mit dem hier so beliebten Röhricht bedeckt, was der Landschaft einen noch einförmigeren Charakter verleiht; einförmig, besonders für uns, die wir gewöhnt sind an das Weiß und Grüne unserer Häuser und Häuschen mit den grellen Ziegeldächern, der Rebe oder dem Birnbaum um's Fenster, und den vom hellen Gesimse herabhängenden Nelken und Geranien.

Solch ein Haus im Norden wird „Kathen“ genannt und ist,also als Eigenthum des Gutsbesitzers, die Wohnung der auf dem Gute beschäftigten Arbeiterfamilien. So ein Haus ist meist für zwei, oft auch für vier Familien eingerichtet. Jede Familie hat für ihren Bedarf 660 Quadratfuß Bodenfläche um den Hausboden herum, außerdem Stallung für Kuh, Schweine, Gänse und Hühner. Die Kuh wird mit den Kühen des Hofes auf die zu dem Gute gehörenden Weiden getrieben. Das Einkommen einer Arbeiterfamilie beträgt ungefähr 340 Reichsthaler, theils in baarem Gelde, theils in Naturalien und in Beneficien. Die selbe hat dagegen je zwei Arbeiter zu stellen, einen Mann und eine Frau. Solche Familien fallen dann aber, nachdem das 14 Haupt derselben drei Jahre dem Gutsbesitzer gedient, mit allen Lasten diesem Gutsbesitzer anheim: er hat für die Kranken zu sorgen, die Arbeitsunfähigen zu erhalten; seiner Obhut bleiben auch die Greise und alten Mütterchen anvertraut, die unter seinem Dache den Rest ihres Lebens fristen, bis sie in seiner Erde auf dem stillen Friedhofe des Gutes die endliche Ruhe finden.Denn solche Familien bleiben oft da von Geschlecht zu Geschlecht.Andere freilich, vom Gedanken erfaßt, daß hier Nichts ihr Eigenthum: nicht der Grund, der sie ernährt, nicht der Herd, der sie erwärmt, nicht die Spanne Erde zum letzten, langen Schlaf wandern aus nach Amerika. Denn mit der zwar erst im Jahre 1812 auch in Pommern erfolgten Aufhebung der Leibeigenschaft steht, wie dem Herrn, so auch dem Arbeiter das Recht zu, zu künden.

Es war stille und leblos um diese Tageszeit in den Wohnungen der Arbeiter: sie waren draußen auf dem Felde; die Ernte erfordert jede rüstige Hand. Hier nur liegt vor dem Häuschen im Korbe das Wiegenkind, das Urahne hütet. Dort spielt das blinde Schwesterchen im Sande mit dem Kätzchen; der Bruder bringt ihm Brombeeren heim aus dem Walde; und da auf der Bank sitzt der Junge mit den Krücken, den die Krankheit um das Bein gebracht. Im Schulhause drinnen aber erschallen muntere Kinderstimmen; sie haben eben Singstunde. Und durch die Fensterscheiben sieht man blonde Köpfe jetzt ungeduldig hin und her gaffen: die Zeit der Erlösung aus ihrer Haft hat eben geschlagen.

Im Kornfelde, das von den Häusern des Dorfes Carlsburg bis hinüber zu denen Zarnekow's sich dehnt, ist reges Leben. Die reichbeladenen Wagen mit den schönen Garben und dem stattlichen Viergespann, wie es hier allgemein, zeigen, daß man nicht müßig gewesen. Einen Kranz möchte ich winden, blau und roth, denn die Kornnelken und Rosen blühen am Wege, die goldenen Garben zu schmücken. Aber von Zarnekow's Kirchthurm her ertönt jetzt ein Klingen; ich zähle die Zeit zur Mittagtafel im Schlosse kann nicht fern mehr sein. 15 Horch! horch! was erschallt denn von dort her, vom Schlosse?Welch fremdartiger Klang durchdringt die Luft? Es ist der übliche Ruf des, Tam Tam“, der, ertönt er zum ersten Mal, den Bewohnern kund thut, daß ihnen noch die nöthige Zeit gegeben zum Vollziehen ihres Anzugs; ertönt er zum zweiten Mal, ihnen sagt, daß die Tafel bereit. Tam Tam! Du Kind der heißen Zone! Du wunderliches Instrument, wie kommst du von Indiens lachenden Gestaden nach dem ernsten Norden hinauf? Je nun: es kam, und es ist da, und so lachend seine Heimath, so ernst ist sein Schall, so sehr paßt es zum Norden.

V.

„O, stilles Leben im Walde!„O, grüne Einsamkeit!“Zum Besitzthum Carlsburg gehören aber noch zwei Höfe:Jasedow und Stainfurth. Ich sollte dieselben auch kennen lernen,meinte die verehrte Frau, heute wieder, wie immer, bereit, Andere zu erfreuen. Und so gieng es denn mit eilenden Pferden dem Forste zu.Carlsburg's herrliche Waldungen erstrecken sich meilenweit in der Landschaft; breite, wohlunterhaltene Wege, hohe, schattige Hallen, führen Wagen und Reitpferde nach allen Richtungen in denselben umher. In eiligem Trabe geht's hinaus und hinüber, und nur das Knistern der unterm Rade berstenden Aeste unterbricht die tiefe Stille des Waldes.

Vorbei an den traulichen Ruheplätzchen unter den Wunderbäumen, den riesigen Buchen und Föhren, gieng's immer tiefer in den Forst hinein. Bald erweckte eine zierliche Umzäunung die Bewunderung: die Pflanzschule jungen Eichenschlags, bald der Buchwald, bald das Kiefernholz. Dann hielt der Wagen am Saume 16 einer Waldwiese, die, rings von hohen Stämmen umkränzt, saftiggrün sich dehnt inmitten des Forstes; eine Heerde Rehe weidet da im Sonnengold ruhig schauen sie herüber nach den ruhenden Pferden, und erst als der Wagen sich wieder in Bewegung setzte, setzten auch sie in's Undurchdringliche hinein.

Und dort auf einem dieser breiten Waldwege was steht da plötzlich so lebensgroß, und blickt aus nächster Ferne uns an mit den braunen Augen, den klugen? Ein Hirsch ist's, ein zierlichgroßer! und jetzt noch ein zweiter, ihm folgend! Herrliches Rothwild, die beiden! Ein Augenblick nur, und ... sie entschwinden im Dickicht rauschende Blätter fallen unter'm Stoß hres Geweih's; aber der Schlag ihrer Hufe verhallt jetzt schon weit in der Ferne.

Es lichtet sich der Wald: Jasedow wird sichtbar. Dort draußen liegt es, das Gehöfte, umgeben von der kornbewachsenen Ebene. Seine stattlichen neuen Gebäude stehen da, bestrahlt von der Mittagsonne. Ach, noch kaum über ein Jahr, daß sie niederbrannten mit ihren reichen Vorräthen an Heu und an Getreide und mit ihren vielen Ochsen, welche, vom Schreck erfaßt, die hrennende Stätte nicht verlassen wollten. Sieh! dort grast heute eine zahlreiche Viehheerde, über 70 Stück Kühe, in Jasedow's nächster Umgebung. Vom Hofe her ertönt der Ruf des Hahn's;er steht auf dem niedern Gemäuer golden glänzt sein Gefieder im Somnenstrahl.

Wir aber lassen das Gehöfte rechts liegen und wenden uns Stainfurth zu. Wieder gieng's in den Forst hinein, wieder weite Strecken durch denselben. Und dort drüben denn, am Saume dieser pommer'schen Wälder, liegt ein einsamer Hof. Der Wegweiser steht auf erhöhtem Grund neben der Fahrstraße; sein Arm zeigt nach den Häusern am Wege: „Stainfurth“ nennt er sie dem Wanderer. Doch wir ziehen vorbei an den Häusern; das kleine Pförtchen der hölzernen Umzäunung öffnet sich, und wir betreten geweihte Erde: einen stillen Friedhof, die Begräbnißstätte der Einwohner Carlsburgs und der dazu gehörenden Höfe.Im Hintergrunde steht, einfach und schmucklos, wie der gothische Baustyl es bedingt, erhaben jedoch eben durch diese Einfachheit, die Kapelle ein Bau der Jetztzeit. Durch die gemalten Fensterscheiben zeigt sich der Altar, ohne Prunk, ohne Tand; es schmücken ihn frische Blumen. In dieser Kapelle ruht der Sarg der entschlafenen Herrin von Carlsburg.

Und von der Kapelle hinweg schritten wir zwischen Grabhügeln dahin. Sie erhoben sich, zerstreut über dem kleinen Plane,bewachsen von Gras und Strauch, geziert von dem einfachen Steine, der, als letzte irdische Spur Derer, die da schlummern unterm Sande, ihren Namen trägt. Viele Steine mit der Jahres-zahl 1866 sind Erinnerungszeichen an die Tage, wo die Cholera,diese allseits verderbliche Seuche, auch in der pommer'schen Einsamkeit ihre Opfer suchte.

Wir schritten in's Gebüsche hinein. Dort, zwischen Strauch und Dorn ein Denkmal der Vorzeit steht eine zerfallene Kirche. Auf felsigem Grunde erbaut, wie so viele der ersten christlichen Kirchen im Norden, ragen ihre zertrümmerten Backsteinmauern mit den eingestürzten Bogenfenstern in die Wildniß empor; Epheu umrankt sie, und aus ihren Ritzen grünt Farrenkraut Leben aus Tod. Die zerfallene Kirche nach der Kapelle hinüber blickt sie: ein Gotteshaus hier, ein Gotteshaus dort: der Geist überdauernd die Form.

Und wieder über Gräber hinweg schritten wir dem Eingangspförtchen zu, um von der heiligen Stätte zu scheiden.

2

„Aus der Jugendzeit, aus der Jugendzeit „Klingt ein Lied mir immerdar.

„O, wie liegt so weit, o, wie liegt so weit,„Was mein einst war!“Landwirthschaft! Klänge aus der Heimath, aus der Jugendzeit! Wie wachten da alte Erinnerungen in mir auf, wie prägten neue meinem Gedächtnisse sich ein! Pommer'sche Landwirthschaft ist eben wieder ganz andere, als schweizerische Landwirthschaft!Ueber wie Manches bedurfte es der Erklärung, der Berichtigung.Sie ward mir denn auch vollständig, Dank sei es dem mit Allem vertrauten Verwalter von Carlsburg und der trefflichen Wirthschafterin im Bereiche der Oekonomie, der liebenswürdigen Fräulein Hedwig M. Daß doch jeder Hausfrau ein Blick vergönnt wäre in Hedwigs Bereich, ich meine in die Vorrathskammern von Carlsburg, wo sie „Füllet mit Schätzen die duftenden Laden,

„Und dreht um die schnurrende Spindel den Faden,„Und sammelt im reinlich geglätteten Schrein

„Die schimmernde Wolle, den schneeichten Lein.“Diese Vorrathskammern sind wirklich großartig! Da liegt sie denn in tiefen Truhen aufgehäuft, die „schneeichte Leinwand“,auf Carlsburgs Boden entsprossen, auf Carlsburgs Webstuhl verfertigt, liegt neben der „schimmernden Wolle“, der Wolle von Carlsburgs Schafen, aus der die warmen Decken dort, die bunten,gewirkt werden. Und die Betten von den Dunen der Gänse, wie zierlich, wie weich, diese Betten! Dann wieder die Rauchkammern mit all ihren reichlichen Schätzen! Und die Töpfe mit Butter und Honigl Die Säfte und Weine in Flaschen! Und die Vorräthe an gedörrtem und eingekochtem Obst; nicht zu reden von den Kasten voll Mehls, voll all den aus Getreide bereiteten Nahrungsstoffen, wozu „Der Scheunen gefüllte Räume,„Und die Speicher, vom Segen gebogen“,reichen Stoff liefern. Und von den Vorrathskammern zu den Bedientenstuben, zu den Gelassen der Mägde, und in die Backund Waschlokale, in's Milchgewölbe, in's Brauhaus, und bis in die Keller hinab überall hin und her, von oben bis unten in den Häusern, die Eß- und Wohnzimmer nicht zu vergessen mit Küche und Speisegemach: überall Ordnung und Umsicht, denn

„Sie füget zum Guten den Glanz und den Schimmer

„Und ruhet nimmer.“Aber es bedarf auch des Fleißes und der Ordnung, wie es großer Vorräthe bedarf: von den 254 Einwohnern Carlsburgs ist täglich eine bedeutende Anzahl den Tischen der sorgenden Hedwig zugetheilt.

Landwirthschaft! Bilder aus der Heimath! O Abendzeit, wie lieblich bist du allenthalben nach der Hitze des Tages; wie lieblich auch in Carlsburg! Schattig ist's jetzt unter der Veranda vor dem Hause, und gerne schweift der Blick hinüber nach den Höfen,wo so munteres Leben sich regt. Im Pferdestall wiehern die Stuten bei den Füllen; von der Weide kehren die Kühe zurück,die vielen, vielen Kühe. Siehe, dort drüben in dem weiten Raume werden sie gemolken unter freiem Himmel von den Mägden des Hofes! Ihr dumpfes Brüllen, und das Brüllen der Farren, und das Blöcken der Schafe, der dreitausend, die in allen Tonarten auch hre Heimkehr verkünden, und das Geschrei der Hühner und das Quacken der Enten: welch Bild landwirthschaftlichen Lebens führen sie vor uns auf!

Doch die Zeit verrinnt, und die freundliche Schwester des Verwalters harrt unser dort drüben in den trauten, häuslichen Räumen.Die Verwalterwohnung, diese hübsche, einstöckige Behausung mit den Fenstern nach Sonnenuntergang, war in dem Augenblick beleuchtet von der scheidenden Sonne: grellroth schimmerten die Mauern, und die Fenster glänzten wie brennende Spiegel. Der Tisch wurde in den kleinen Garten vor dem Hause versetzt, denn umduftet von Reseden und Spätrosen, wollten wir unter freiem Himmel unser Mahl genießen. Und er war rein und klar, dieser Himmel, wie er weit, weit sich dehnte über der weiten, weiten Fläche, die vor uns, als ein unabsehbares Stoppelfeld, dalag im letzten Abendglühen. Dort im fernen Westen sank die Sonne,eine feurigrothe Kugel, am gelben Horizonte langsam hinab und malten sich in demselben die Pappeln des uns gegenüber liegenden fernen Nepzin eines anderen Rittergutes roth dessen Häuser,und im Abendwind spielten die langen Arme einer noch fernern Windmühle.

Ich blickle schweigend hinaus. Meine Seele bewegte der Gedanke an's Meer, das ich noch nie gesehen, dessen blos geahntes Bild beim Anblick dieser Unendlichkeit vor mich hintrat.Der Hauch, der mich umwehte, war er sein Gruß? Nicht weiß ich's, aber ein heißes Verlangen erwachte in mir, da, wo ich nur Himmel und Erde sah, einmal nur Wasser und Himmel zu sehen.

Jetzt aber zieht eine Staubwolke über das Stoppelfeld und rückt je näher und näher. Bald entwinden sich dieser Wolke kleine, weiße Wesen: mit langem Hals und wackeligem Gang kommt sie angezogen, die Gänseheerde des Dorfes, über tausend Stück an der Zahl; ihr lautes Geschnatter und leises Flügelschlagen unterbricht die Stille ringsum. Wo ist „die Gänsemagd“ mit den langen Zöpfen? Das Grimm'sche Märchen rauscht auf Windesflügeln in diesem Augenblicke an mir vorüber.Zwei muntere Jungen trieben indeß die Gänse dorfeinwärts.

Bald stieg die Nacht empor über der Landschaft, denn kurz nur währt um diese Zeit die Dämmerung. Auf unserm Tische brannten die Lampen, am Himmel die Sterne, und drüben überm Felde erglühten jetzt mit rothem Scheine die Lichter von Züssow,die Leuchten des Bahnhofes. Das schrille Pfeifen des abwärtstreibenden Zuges drang zu uns herüber; ein leises Heimweh 21 ergriff mich. Heimweh ich kehrte nach dem Schlosse zurück,um im hellerleuchteten Saale, im Kreise der Familie, der Unterhaltung und Belehrung zu lauschen, die allein mich vergessen ließ, daß ich so weit von daheim.

2

„O Wanderglück! o Wanderlust!„Dein will ich nun genießen!“Mein Verlangen, das Meer zu sehen, wurde indeß von mehr denn einer Seite herausgefühlt und, als sehr begründet, bald auch werkthätig unterstützt. Ich werde nie der Worte Dessen vergessen,der eines Tages zu mir sagte: „Und Sie, mit Ihrem regen Gemüthe, Sie sollten scheiden vom Norden, ohne der See einen Gruß zugesandt zu haben? Lassen Sie sich diesen hohen Genuß durch Nichts benehmen: sehn Sie das Meer!“ Er, der sonst mit seinem trefflichen Humor über gar Manches zu scherzen pflegte,er sagte dies so ernst, so überzeugend.

Da theilte ich denn der Gesellschaft den kleinen Reiseplan mit,den der freundliche Verwalter eben entworfen, er, dem es ein wahres Anliegen war als Strandgeborner mich mit der höchsten Schönheit seines Landes bekannt zu machen. Dieser Plan wurde denn auch, als ein wohlausgedachter, theilnehmend begrüßt.Die Seestadt Swinemünde sollte das Ziel des kleinen Ausfluges sein: Usedom jedoch als Raststätte uns dienen.

Bald leuchtete denn der Morgen des 6. Septembers drei frohen Reisenden zu ihrer muntern Fahrt: dem Verwalter, der netten Hedwig und meiner eigenen Person. Freudigdankbar reichte ich unserm Begleiter die Hand zum Morgen- und Reisegruß, als die Pferde leichthin uns auf breiter Fahrstraße nach dem nahegelegenen Forste brachten. Mit der Frühluft strömte der Geruch des Kiefernholzes uns entgegen; die vom Thau benetzten Halme standen perlend am Wege, und über das dunkle Moos des Waldes schwebte der weiße Schmetterling, noch einmal seines kurzen Lebens sich freuend. Es war eine überaus heitere Fahrt: heiter der Himmel über uns, heiter die schöne Erde um uns herum, und heiter die Stimmung, die uns beseelte.

Diese stundenlange Fahrt im offenen Wagen, wie sie heutzutage so selten uns noch zu Theil wird, gestattet denn auch einen recht eingehenden Blick in die Landschaft. Die Wege führen dort zu Lande oft meilenweit über's Feld eigentliche Feldwege, wie sie bei uns kaum etwa streckenweis einmal befahren werden. Geräuschlos bewegt sich der Wagen da durch den tiefen, weichen Sand; sein Rollen stört nicht den Redefluß. Lebhaft sprachen wir uns aus über so Manches, was uns eben beschäftigte. Und der Schäfer im braunen Rocke mit dem kurzen Kragen erhielt wie er da, strickend die grobgesponnene Wolle seiner Schafe, im Feld die Heerde weidete so gut ein Wort der Erläuterung, als die Pflanzungen blühender Lupinen, dieses im Norden so beliebten SchafFutters, das mit seiner süßduftenden gelben Blüthe ein Schmuck der Landschaft zu nennen ist.

Und durch Wald und Feld, durch Anger und Wiese gieng's lustig weiter und weiter, vorbei an Schlössern und Höfen. Wie glänzen die Mauern, wie schimmern die Fenster hier rechts vom schattigen Wege! Denn jenseits des blauen Teichs mit den silberweißen Schwänen, gelehnt an den rasigen Abhang, lacht zu uns herüber das Eine der Schlösser. Aber das Andere dort links, versteckt halb und halb im Schatten der Bäume des etwas verwilderten Parkes ein zierlicher Backsteinbau ist's mit Thürmen und Zinnen blickt ernst über die grüne Umzäunung nach der staubigen Landstraße hinaus. Diese Straße, bald sich hebend, bald sich senkend, bringt uns je näher und näher der Fähre, die über einen Arm des Peene-Stromes uns von Neu-Vor-Pommern hinüber nach der Insel, Usedom bringen soll. Sie ist eine zierlich unterhaltene Straße: das sumpfige Erdreich, das zu beiden Seiten sich dehnt mit seinen Weiden- und Erlenbüschen, erheischte das Pflastern dieses Wegtheils. Hier rasselt der Wagen denn zwischen den beiden Reihen der Ebereschen hindurch.

Munter zwitschern die Vögel in den Aesten der Bäume, deren rothe Beeren sie schaarenweise herbeilocken, indeß von Stamm zu Stamm die Spinnen ihre Netze ziehen „ihre Wäsche trocknen“,wie Hedwig in der Sprache ihrer nordischen Heimath sagt; silbern glänzen die Fäden im Morgenlicht und begegnen sich schwebend im Winde. Unter diesen hängenden Brücken blüht,zwischen dem Kiese des Weges, in zierlicherer Farbenpracht als ich sie je gesehen, die blaue Wegwarte, deren Wurzel auch hier zu Land, geröstet, dem Volke als Zusatz beim Kochen des Kaffee's dient.

Die blauen Wasser des Peene-Stromes zeigen jetzt wogend sich links in der Ferne; in nächster Nähe wogt das Rohrschilf,in langen Strecken sich breitend, her und hin. Diese Strecken werfen reichlichen Ertrag ab, und würde wohl keinem Befsitzer solch wässerigen Landtheils einfallen, deren Boden zu trainieren;denn das Röhricht, zur Dachdeckung verwendet, trägt auf diese Weise einen weit höheren Gewinn ein, als der beste Wiesengrund.

Immer deutlicher erscheint nun aber der Strom, und bald hält der Wagen vor den einzeln stehenden Häusern Wohnungen der Schiffer, Schuppen für Waaren u. s. w.; wir sind bei „Schwemmort“, der Fähre, angelangt. Die Pferde werden zurückgeschickt nach den Stallungen Carlsburgs; wir aber besteigen den Nachen, der an das jenseitige Ufer, nach Usedom, der Insel, uns tragen soll.

Die Fahrt dauert ungefähr eine Viertelstunde. In leiser Strömung quillen die Wasser dieses einen Armes des großen,breiten Flusses demselben entgegen, der unweit der Fähre sie aufnimmt. Die Farbe dieser ruhigen Gewässer ist grün-gelb: in ihrem nassen Schooße keimen zahllose Algen. Wir betrachteten diese kleinen Körperchen in einer Hand voll Wassers, die wir schöpften. Sie sahen aus für das bloße Auge wie Sonnenstäubchen, erweckten aber als Zeugen von der Manigfaltigkeit der Schöpfung so gut unsere Bewunderung, als der Wald von Schilf, der gegen dem Ufer zu seine schlanken Rohre vor uns neigte. Schaaren von Schwalben bewegten diesen Schilfwald,bald in Schwärmen, die Luft verdunkelnd, drüber hin streifend,bald in seinem Röhricht sich bergend; ihr schrilles Gezwitscher belebte die Lüfte ringsum. Ach, sie beriethen sich über die weite Reise, die ihnen bevorstand! Sie wußten, daß sie über den Strom hin nach dem Meere, und über das Meer hin nach dem Lande,wo warmer Sonnenschein, nun bald die langen Flügel breiten würden! Und wir, wir wußten, daß mit den scheidenden Schwalben nun auch der Sommer von uns schied.

Der Nachen hielt am jenseitigen Ufer. Ein Wagen mußte von den nahestehenden Häusern herbeigeholt werden. Unser Reisebegleiter besorgte dies Geschäft, wir blieben zurück am Ufer.

Langsam, schier bewegungslos flossen auch hier die Wasser ihrem Ziele entgegen. Auf ihrer stillen Fläche trieben todte Fische dahin. Die Schuppen, losgetrennt vom leblosen Körper, bildeten lange Streifen auf der grün-gelben Fluth wie Regenbogenfarben schimmerten diese Streifen im Sonnenglanz. Und das Schilfrohr seufzte jetzt klagend im Winde zu dem Klirren der Ketten des am Strande festgebundenen Kahns. Durch unsere Seele zog, inmitten des Sonnenglanzes, ein leises Weh. War es der Eindruck dieses Strandbildes auf unser Gemüth? War es das Vorgefühl des herannnahenden Winters, an den die Schwalben uns erinnert, an dieses Absterben der ganzen Schöpfung?Oder war's der Nachhall eines ernsten, erst gepflogenen Gesprächs?Ich weiß es nicht; aber ein Ton, wie aus Lenau's Schilfliedern,klang zu uns her aus dem Schilfe, und erst als der Wagen auf der breiten, schönen Straße dahinrollte, zwischen den Kornfeldern und Wiesen der Insel Usedom, konnten wir den vorigen heitern Ton wieder finden.

Noch breiter und sichtbarer werden jetzt die Wasser des PeeneStromes. Auf ihren Wogen ziehen die Schiffe daher und dahin;lustig bläßt der Wind in die Segel und bläht sie hoch auf. Vom jenseitigen Ufer blicken waldbewachsene Anhöhen; ja, und aus noch weiterer Ferne, sogar Berge zu uns herüber und verleihen der Landschaft einen lieblichen, malerischen Anblick.

Die Insel Usedom ist ein fruchtbarer Erdstrich von 8 bis 10 Quadratmeilen Landes (im Durchmesser). Zerrissen durch die Meerfluth, wird der Boden von deren salzigem Hauche genährt und getränkt, so daß Korn, Gras und Wald herrlich gedeihen.Usedom ist aber, gleich all diesen nordischen Landtheilen, wenig bevölkert. Und einen Grundzug zum ernsten Charakter dieser Gegenden bildet eben dieses Wenigbevölkertsein. Meilenweit läßt sich da wandern, ohne daß weder Stadt noch Dorf der einförmigen Landschaft Leben und Abwechslung verleihe. Und wenn auch hie und da ein einzelner Hof mit den dazu gehörenden „Kathen“ am Wege oder im naheliegenden Felde steht, so tönt nur das Blöcken der Schafe, das Gackern der Hühner und das Bellen der Hunde dem Wanderer entgegen, sonst Alles still und stumm. Im offenen Wagen fährt etwa der Gutsbesitzer oder sein Jäger oder sein Förster in Geschäften oder auch nach etwas mehr Zerstreuung verlangend an ihm vorüber, der fernliegenden Stadt zu; oder es begegnen ihm die Weiber des Hofes auf dem Rückweg von jener entlegenen Kirche, deren spitzer Thurm in die weite Ebene hinaus blickt.Wir kamen jetzt Usedom näher, Usedom, der kleinen Stadt mit den 2000 Einwohnern. Ihre Thürme und Mauern winkten grüßend uns zu. Denn in Usedom sollten wir also rasten bis zum morgenden Tage, der dann nach Swinemünde uns bringen wird. Es ist aber Mittag geworden derweil. Wir fahren ein zu dem alten Thore, ein in die nordische Stadt. Wie anders diese Städte, als die Städte Süddeutschlands und als unsere Landstädte! Von grauem Sandstein oder aus Backsteinen erbaut, sind die meisten der Häuser blos einstöckig. Andere auch sind da, wo über dem Erdgeschoße noch ein Stockwerk sich erhebt; alle aber in die Breite sich dehnend, nicht in die Höhe erbaut, viele von vier Seiten frei stehend. Inmitten der beiden Häuserreihen führt die breite Landstraße von dem einen Ende der Stadt zum andern,oder es führt eine andere breite Fahrstraße nach anderer Richtung; auch sie umstehn dieselben zwei Reihen niederer, aber reinlicher und durchaus nicht ärmlich aussehender Häuser. Hier blinkt ein deutscher, dort ein ssavischer Name uns entgegen mit Angabe des Berufs oder Gewerbes dessen, der diese Mauern bewohnt.

Warm brannte die Mittagssonne von wolkenlosem Himmel auf uns herab, und nicht wenig erwünscht war es uns, als endlich der Wagen vor einem freundlichen Hause hielt. Aus der Thür trat dessen gastliche Wirthin, die Tochter unseres Reisebegleiters,Frau Doctor R., mit dem Herrn Gemahl und den netten zwei Kinderchen, und hieß uns willkommen.

Des Hauses kühle Räume boten Frische den erhitzten Reisenden; die Herzlichkeit aber, die ihnen inne wohnt, erwärmte bald auch das Gemüth derer, die als ein Fremdling hier eintrat. Ein munteres Gespräch würzte das treffliche Mittagsmahl, an dem die Weitgereisten sich zwanglos erlabten. Rasch flogen die Stunden dahin. Und als der schöne Tag, in Nacht sich verwandelnd, im freundlichen Schlafgemach mit der Aussicht auf den Baumgarten und, über diesen hinweg, nach dem Strome mit den segelnden Schiffen den Müden die Augen schloß, trat auch der Schlaf hinzu und goß Stärkung über die Ruhenden aus. Die Nacht unter'm Dache des Arztes hatte heilsame Wirkung:wir erhoben uns vom Lager, frisch und froh, wie der lachende Tag, der in seiner ganzen Pracht uns weckte.

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AJ.

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Und morgenfrisch und heiter,Als kaum die Nacht entschwand,Gieng's weiter jetzt und weiter,Die Sonne zum Begleiter,Hinaus in's liebe deutsche Land.O, diese reizende Fahrt im offenen Wagen! Wie schön die Welt überall! Leb wohl, Usedom, mit den Thürmen und Mauern dort hinten, mit den klappernden Windmühlen, getrieben vom Hauch,der da links über den Strom einhersaust, mit dem zierlichen Friedhofe auf der Anhöhe dort rechts, wo von der kleinen Kapelle aus im Schatten der Bäume, der Blick hinüber schweift nach dem herrlichen Haff, dem großen, das seine blauen Wogen, dem Peenestrom zum Trotze noch höher treibt und weiter dehnt als dieser, den es aufnimmt, ihn nach der salzigen Meerfluth zu tragen! Uns nimmt jetzt der Wald auf ein weiter, herrlicher Kiefernwald,in den es bald tief hinein geht auf der breiten Fahrstraße. Mit dem Duft seiner Moose und Wachholdersträuche trägt jetzt der Wind einen seltsamen Geruch uns entgegen, einen Geruch, wie von nicht ferner Brandstätte. Und wirklich wie uns eben erzählt wird stand vor wenigen Tagen dieser Forst in Flammen:ein schrecklicher Waldbrand setzte ganz Usedom in Bewegung und konnte nur mit ausdauernder Mühe und Arbeit gelöscht werden.Noch glühte die Asche im Sonnenstrahl, und zu uns herüber drang der Geruch des verkohlten Holzes.

Lange gieng's fort durch den riesigen Wald, gieng's Swinemünde entgegen. Und jetzt wechselt Feld und Acker mit grünen Wiesen und Hecken, Nadelgehölze mit zierlichem Buchenschlag, und am Weg rieseln rauschende Quellen: der Weg ist nicht mehr die staubige Landstraße, er ist ein lieblicher Feldweg geworden, der bald zu dem in jener Gegend so bekannten und beliebten „Golm“(Golmberg) führt. Auf der ganzen rechten Seite erheben sich 28 höhere oder tiefere waldbewachsene Anhöhen. Der Wagen bleibt jetzt am Waldessaume zurück, und wir steigen den schattigen,etwas steilen, Pfad hinan. Wie versinkt da der Fuß im Sande,in dem tiefen, weißen Sand! Das ist ein seltsames Steigen für den Bergbewohner! Nicht die glatte, glänzende Sohle macht den Fuß hier unsicher, wie auf den felsigen Höhen, den breiten Weiden der Heimath, und doch ist er unsicher, der Fuß, und rückwärts stets gleitet der Körper. Endlich sind wir oben. Der Golm trägt auf seiner waldigen Höhe eine freundliche Gartenwirthschaft: Tische und Bänke zwischen den Bäumen für die Zuhörer und auch das Erforderliche für ein Orchester. Wie schön muß Musik erklingen hier in dieser Waldeinsamkeit! Dort das geschloßne Wirthschaftshäuschen zeigt an, daß es erst Morgen,und um diese Zeit herrscht Stille auf dem Golm.Aber auf seinem Gipfel, da, wo der Wald sich lichtet und wo von hölzerner Erhöhung aus das Auge in die Ferne schweift, welch ein Anblick da auf dem Golm!

Unten im Thal die weite Ebene, durch welche die breite Fahrstraße, eine gerade weiße Linie, nach der uns gegenüber liegenden Seestadt, Swinemünde, führt. Die Ebene, das königliche Moor ist's, diese unerschöpfliche Torfgrube, die Jahr aus,Jahr ein, seit langer, langer Zeit, ihren unterirdischen Reichthum den Menschenkindern über der Erde beut. Wie ernst sie da unten liegen, die zahllosen Torfwände, zwischen deren schwarzem Braun schmale helle Wasserstreifen glänzen: die Gräben, bestimmt, das Naß des sumpfigen Grundes abzuleiten; aber vom schwärzesten Braun bis in's Gelbe und Graue hinauf zeigt sich die Farbe der Soden, je nach der höhern oder tiefern Lage und je nach den Bestandtheilen des Torfs. Es ist ein wundersamer Anblick, dies königliche Moor; bis nahe vor Swinemünde erstreckt sich das ernste Gefilde. Die Seestadt jedoch liegt da im Morgenduft.Ein lichter Nebel hüllt, wie ein Schleier, sie ein; ich soll sie nicht sehen aus der Ferne: undeutlich nur zeigen sich durch sein Gewebe ihre Mauern, unklar ihre Wälle, und ganz verhüllt ist der herrliche Leuchtthurm, der, ein Stern der Weisen, in dunkler Nacht die Schiffe leitet zum Heil. Und dort, über Swinemünde hinaus, jener lichtblaue Streifen am Himmel, mir erscheint er wie ferne Berge, die im Lichtblau des Aethers verschwimmen: es ist mein erster Anblick des Meeres! Aber laß Swinemünde und seine unendliche See dort drüben, vom Dufte umwoben, mein Blick, und wende dich hier gegenüber und sieh, was du lannst erschaun! Sieh dort den bläulichen langen Streifen, auf dem je mehr und mehr der grüne Wald sich jetzt zeichnet: es ist die Insel Wollin. Sie ist es, die mit Usedom das Haff von der Ostsee trennte, wenn nicht die Flüsse dort, sieh! die Swine, die Peene, die Divenow, drei Ausflüsse der Oder, das Haff mit dem Meere wieder verbänden. Wie schön, wie herrlich ist die Aussicht hier auf dem Golm! Bis weit hinab nach Stettin verliert sich der Blick in die Ferne, und was er nicht zu schauen vermag, das ahnt er: die Stadt an der Oder, Stettin, mit dem Schloß und dem Park, mit ihren Brücken und Thürmen und mit den Gebäuden all, die der Kunst und der Wissenschaft geweiht.

Noch weilt der Blick dort unten im Süden und der Gedanke bei mehr als Einem werthen Bekannten, deß' Vaterstadt die schöne, rege, blühende Stadt an der Oder. Da weist unser Reisebegleiter nach Osten hin und erzählt mir die Geschichte einer nicht eben so schönen, regen, blühenden Stadt, die Geschichte Vineta's, der Stadt auf dem Meeresgrund, der versunkenen Stadt. Im fünften Jahrhundert war Vineta die größte Veste des europäischen Nordens. Wenden, Vandalen, Sachsen und Griechen und viele fremde Kaufleute fristeten dort ein glückliches Dasein; denn Handel und Betriebsamkeit gedieh in Vineta. Und wie der Ruf ihres Wohlstandes, so scholl auch der Ruf der Sittlichkeit und Gastfreundschaft ihrer Bewohner bis weit in die Welt.Doch wo Menschen ihre Häuser bauen, da ziehen auch menschliche Begierden mit ein: die verschiedenen Völkerstämme stritten sich über den Vorrang im bürgerlichen Leben. Harald, der Schwedenkönig, und Hemming, der Dänenfürst, wurden von den Vandalen zu Hilfe gerufen. Die Helfer kamen und zerstörten die Stadt 796). Im Anfang des elften Jahrhunderts jedoch stand sie wieder da an den Ufern der Ostsee, größer und mãchtiger denn zuvor. Da aber kam ein anderer Feind, gewaltiger noch im Zerstören als Könige und Fürsten: der Sturm. In seiner ganzen Macht brach er los. Himmelauf thürmten sich die Wasser, und hrausten laut und brausten hohl. Schwarze Nacht senkte sich über den Erdrund. Und, als der Morgen strahlte, als die Sonne aufstieg über den Wassern, da war Vineta untergegangen in der Meeresfluth, verschwunden vom Erdboden, spurlos dahin.

Führt heute dich der Weg am Strackelberg vorbei, hinab zur See, o Wanderer, dann sieh hinein in ihren blauen Spiegel,hinunter auf den tiefen Grund! Siehst du die Thürme dort, die Mauern und die Zinnen? Das ist Vineta, die versunkene Stadt. Ob du sie sehen wirst, weiß ich nicht; aber gestanden hat sie am Meeresstrand, das ist gewiß.

Aber die Zeit enteilt, und drüben in Swinemünde harrt man unser. Auf der weißen Straße durch's dunkle Moor fuhren wir ein in die Seestadt, diesen weitbekannten Hafen, wo Schiffe, so verschiedenen Weltgegenden zutreibend, hinausfahren in die offene See. Hier sah ich sie denn, diese mächtigen Dreimaster, diese Riesen der Meere, geschaffen, eine Riesenmacht zu bewältigen. Es ist ein ergreifender Anblick solch ein Schiff. Ruhig lagen sie zwar da vor Anker, mit eingezogenen Segeln, an diesem Tage,und nur ahnen ließ ihr Bau, was erst sie sein möchten, wenn in ihrer vollständig enthüllten Pracht sie trieben auf den Wogen der See. Ich konnte sie sattsam betrachten, denn sie lagen da vor den Fenstern des Hauses, das sein gastliches Dach über uns schätzten Rectorfamilie von Swinemünde; sie lagen da in den Wassern des Flusses, die sie hinaustragen sollten nach der unendlichen See.Auch uns trugen die Wasser der Swine hinaus nach der See. Es war im Laufe des Nachmittags, als wir, eine kleine, muntere Gesellschaft, den Nachen bestiegen. Wer Swinemünde nicht kennt, dem bietet die kleine Seestadt, 8000 Einwohner, einen großartigen Anblick von der Seite des Hafens aus. Stark befestigt, zieht sie an beiden Ufern der breiten, tiefen Swine sich hin. Roth schimmern ihre Mauern, ihre Festungs- und Lootsenthürme mit den Zinnen und runden Fenstern hinab nach der blauen Fluth und hinaus nach den grünen Gestaden, wo Schanzen und Wälle sich dehnen bis weiter und weiter hinaus nach dem Meere. Und wenn wir sie betrachten, die Stadt, wie so kühn und o trotzig sie daliegt vor unsern Blicken, dann dürfen wir denken und hoffen, daß Swinemünde so leicht wohl nicht einzunehmen sei. Und die Kriegsschiffe dort draußen im Hafen, wo die jungen Seesoldaten gebildet werden, sagen sie uns nicht eben so beredt,wie diese Festungswerke, daß an der See man allzeit sich bereite,um jedem Sturme zu begegnen allzeit! Und der Leuchtthurm hier rechts! Wie ragt er empor mit seinem schlanken Baue,empor über allen Thürmen und Häusern und über dem grauen Gesteine der Molen! Die Molen aber! Zwei Riesendämme!Sieh, wie sie zu beiden Seiten der immer breiter werdenden Swine sich erheben über dem Wasserspiegel und weit hinaus sich erstrecken! Zwei felsenfeste Mauern in der tobenden Fluth! Ihr Ausgang, ihr breiter, führt in die offene See!

Anders fühlt jetzt sich das Schwanken des Kahnes: das leichte, unbestimmte Schaukeln wird zum festen, gleichmäßigen Wiegen, ein Auf- und Niedergleiten; in der Bewegung liegt schon der Ernst des Elementes, das jetzt den Nachen trägt, er treibt auf offener See!

Die offene See! Blick hinaus, so weit-das Auge reicht:Wasser und Wasser! Blick hinüber bis nach dem fernsten Horizonte: die unendliche Meeresfluth! Blick zurück: die entschwindenden Dämme, die in den Fluthen verschwimmende Stadt!

Die offene See! O Meeresfluth, o du endlose Fluth! Wer vermag dich zu malen? wer dich zu schildern? wer in Worte ihn zu fassen, den Zauber, den du ausübst auf jedes Gemüth? Immer 32 bewegt, wie du bist, wirst du immer bewegen die Seele! Ja,wenn wir dich tausend Mal sehen, wird es tausend Mal uns ergreifen, und doch ui e mehr, wie zur Stunde, wo das Auge zum ersten Mal dich erblickt.

Zu dieser Stunde konnte nicht ich sagen: „das Meer erglänzte weit hinaus“; dunkle Wolken hatten den Himmel umzogen; es donnerte in der Ferne; es donnerte bald näher, bald ferner, und das Meer gab das Bild des Gewitterhimmels zurück: schwarzgrau lag sie da vor unsern Blicken, die endlose Wasserfläche. Und die Wogen, die von fern her immer näher und näher sich wälzten, um am Ufer zu zerschellen, sie waren weiß beschäumt, weiß wie die Flügel der Möven, die mit lautem Geschrei unruhig hin und her flogen, bald in den nassen Lüften die langen Schwingen badend, bald untertauchend in die salzige Fluth. Denn die Wasser des Himmels mischten sich jetzt mit den Wassern der See: in Strömen goß der Regen herab.

Am ünken Ufer prangte aber der zierliche Bau von Wilhelmsbad, dieses neuerrichteten Seebades. Seine Räume sollten uns Schutz bieten gegen das Unwetter. Der Nachen trieb dem Lande zu. Man stieg aus. Ich aber, o, wie gerne wäre ich zurückgekehrt mit dem einsamen Schiffer, zurück in die wogende See! Der Zauber ihrer ernsten, wilden Schönheit hielt mich umstrickt; wie mit Riesenarmen zog es mich zu ihr hin, unaufhaltsam, unwiderstehlich. Die kleine Gesellschaft war inzwischen in den schützenden Mauern des Baues geborgen. Da bat mich der besorgte Verwalter, der allein bei mir zurückgeblieben am Strande, bat mich, Gott nicht zu versuchen und ihm zu folgen an's Ufer. Er aber wußte, wie mir zu Muthe war in diesem Augenblick: nicht zum ersten Mal sah er den Eindruck der See auf ein empfänglich Gemüth; er hatte Aehnliches schon bei Andern erfahren. Und ihm, dem ich diesen Eindruck zunächst verdankte, folgte ich denn, wenn auch ungern, nach.

Aber aus den Fenstern von Wilhelmsbad sah ich noch lange,lange hinaus auf die See, sah in weiter Ferne die Schiffe schwanken auf der schäumenden Fluth, sah sehnsüchtig dem Nachen nach, der, jetzt auf und nieder gleitend, bald nur noch wie ein winziger dunkler Punkt auf den weißen Wellen erschien. Und das Brechen der Wogen am Strande, dieses gleichmäßig tosende Branden, schlug den ernsten Takt zu der ernsten Weise, die da meine Seele durchzog.

Das Gewitter hatte ausgetobt und ein reiner Abendhimmel glänzte über unserm Heimwege nach Swinemünde. Wir legten zu Fuß die nicht weite Strecke zurück. Der herrliche Park von Wilhelmsbad führt bis dicht an die schöne, breite Straße der Stadt,wo eine Menge großer und kleiner Häuser mit Gärten und blumenumrankten Veranden, die alle die Inschrift: „zu vermiethen“ tragen, Swinemünde als viel besuchten Badeort zu erkennen geben.

Durch den tiefen Sand auf dem großen Platze dicht am Hafen an, wo die stattlichen Gasthöfe stehen, arbeiteten wir uns durch bis zu der freundlichen Wohnung des Rektors. Und wir können mit Recht sagen, daß wir „den Fuß nicht an einen Stein gestoßen; Engel haben uns zwar nicht auf den Händen getragen“,wohl aber uns begleitet im Gewande der Herzlichkeit und ächt deutscher Gemüthlichkeit, die uns umgab.

Ein genußreicher Abend in geistanregender Gesellschaft, welcher die liebliche Rektorsfrau, als Gastgeberin, in sinnigster Weise vorstand, krönte diesen schönen Tag.

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Ein ernstes Volk, ernst wie die tiefen Wälder Der Heimath; fest und unentwegt, dem Fels Im Sturme gleich am meerumbrausten Strand Der nord'schen Küste, ist dies Volk des Nordens.Nicht leicht entglüht's in jener leichten Gluth,Die nur des Wesens äußern Theil ergreift;Fällt aber von des ächten Feuers Schein,

Des göttlichen, ein Strahl in's Herz hinein,Wird nordisch Blut dies heil'ge Feuer wahren,Und mit dem Herzen nur die Gluth erstarren.

Der folgende Tag golden strahlte die Sonne herab auf die Thürme von Swinemünde. Es war Sonntag, und wie ein ächter Feiertag, lag er da, still und heilig, über der Seestadt, der frühe SonntagMorgen. In seinem frischen Hauche flatterten die Wimpel der Schiffe im Hafen, und über der blauen Fluth rauschte es dahin, wie ein Säuseln, und verklang im Winde: „Das ist der Tag des Herrn!Sechs Tage sollst du arbeiten, am siebenten aber“ .. Geschlossen waren die Kaufladen am Strande, geschlossen die Schulen und die Häuser alle, wo Fleiß und Pflichttreue die Woche über die Menschenkinder an's Tagewerk fesselt; geöffnet aber die Gotteshäuser, die kleinen in der Stadt, erbaut von Menschenhand, und das große draußen vor der Stadt, erbaut von Gotteshand.

Wir fuhren hinaus in die weite, herrliche Schöpfung. Und daß unserer Freude nichts fehle, hatten sich zu uns gesellt all die, die wir am heutigen Tage nur ungern vermißt hätten. Das war eine prächtige Fahrt! Unsere Wagen glitten längs dem Strande leicht und geräuschlos dahin; ja, längs dem Meeresstrand, im tiefen, weichen Sande, fuhren wir dicht an der See,dem Ziel unserer Reise, dem reizenden Seebade Heringsdorf, zu.

*

Das Meer! heute war es blau, tiefblau, wie der Himmel über uns. Weiße Schäumchen aber umrandeten, wie silberne Bänder, seine Wellen, die so lieblich daher rollten, daß man nur ungern der Lust widerstand, auf ihrem zierlichen Naß sich zu wiegen. Ueber Muscheln und Seetang fuhren wir weg.

Da, o des wundersamen Anblicks! Was ist's, das da schwimmt auf dem Wasser? Wie ein ausgespanntes Netzchen von feinster Gaze sieht es aus, so nebelhaft-duftig, so zart;bläulich-weiß von Farbe und in seiner Mitte ein blutrother Stern, der sich regt und bewegt voll Lebens. Ich konnte einen Ausbruch der Verwunderung nicht unterdrücken, und eh ich mich's versah, zitterten diese kleinen Wunder als eine durchsichtige, weiße Masse (eine Gallerte) in meiner Hand: es waren die so viel beschriebenen Quallen, mit denen ich Bekanntschaft machte, eine Bekanntschaft, die ich Dem stets verdanken werde dem jüngsten Bruder des Rektors der, mir selbst da noch unbekannt, mit den Reiterstiefeln in die See stieg und mir die Quallen vorstellte, ehe er mir noch vorgestellt worden.

Von ferne schimmerten jetzt mit ihren bewimpelten Brücken am sonnigen Strande die Badehäuser des auf waldiger Anhöhe liegenden Heringsdorf, das, noch verborgen im Schatten seiner Bäume, nur hie und da als einzelnes Haus aus dem Dickicht guckte, als wollt es den Wanderer necken, geizend mit dem Liebreiz seiner völligen Enthüllung.

Aber durch den schattigen Buchenwald gieng's nun bergan,und da, bald in dessen Dunkel verstreut, bald auf sonniger Anhöhe glänzend, zeigten sich die stolzen Villen und die niedlichen Landhäuser und -Häuschen dieses so beliebten und eleganten Badeortes der Ostsee.

Wir erfrischten uns unter den laubumrankten Säulen eines der zierlichen Gasthäuser, das von seiner Veranda aus, durch die hohen Bäume der Parkanlagen hindurch, einen Blick auf die See gewährt. Und nie hab ich wohl in meinem Leben zwischen einem frischeren Grün ein schöneres Blau je schimmern seh'n, als das Blau der Ostsee durch die Buchen von Heringsdorf an diesem klaren Septembermorgen.

Und heiter, wie Himmel und Meer, war auch unsere Stimmung. Unter munterm Scherzen gieng's nun zu Fuß noch weiter bergan, hinauf durch den herrlichen Buchenwald, in dessen Schatten,wie das Allerheiligste in einem Riesendome, die hübsche, kleine Kirche verborgen liegt; ihre bunten Fenster strahlten das Bild der lispelnden Bäume zurück. Es gieng hinauf nach dem Höhepunkt des Berges, dem sogenannten Kulm, wo von einer dort angebrachten Estrade aus der Blick die weite See beherrscht.

So sollt ich denn heute sie einmal noch sehen die See, und zwar in ihrem schönsten Glanze; sie sehen mit den vielen Fahrzeugen, die, nah und fern, auf ihrer endlosen Fläche trieben. Die blaue Fluth wogt ruhig, sanft im Winde, der, ein sanfter Hauch,uns auf des Berges Höhe die heiße Stirne kühlt. Wir lassen ihn spielen mit den Halmen zu unsern Füßen und blicken hinaus und hinab. Tief unten am sandbedeckten, weißen Uferrand stößt ein niedliches Seegelboot lustig vom Strande, Musik erschallt zu uns herauf: eine muntere Gesellschaft hält Sonntagsfeier auf der See. Und hier ein Kahn und dort ein Nachen: ein emsiger Fischer breitet die Netze aus; für ihn ist nicht Feiertag: die Fische treiben vorbei, heute wie gestern; ihm blüht das Glück im Fange. Aber dort drüben, inmitten der blauen Fluth, dort zieht hinaus in die endlose Ferne, stolz wie der Held zum Kampf, ein stolzer Dreimaster. Sieh, wie er eilet! Weithin trägt ihn die Fluth auf dem Rücken, als wär er ein Spielzeug, und wiegt ihn so lieblich und fein, als gieng's zum heitersten Tanze. Glück zu!Glück zu, du herrliches Fahrzeug! und möge sie nie anders dich schaukeln als heute, die herrliche, mächtige See! Aber dort, wo der Himmel sich ihm vereint, dem Meere, wo sie verfließen in Eins, die beiden endlosen. Größen, was ist's, das so spitz dort empor ragt auf der letzten äußersten Grenze? Sind es Bäume,die so schlank und so fein sich zeichnen am Horizonte? und ist Land dort drüben vielleicht? Es ist kein Land, es sind keine 37 Bäume dort drüben: die Masten sind es der Schiffe, die, dem Dreimaster gleich, dort hinausgesegelt in's Unendliche. Ein Augenblick noch, und sie sind entschwunden! weit und weiter fort zwischen Wasser und Himmel! Oder sieh dort: sie kommen näher und näher, Schiffe, die Swinemünde zutreiben, Swinemünde, dessen Leuchtthurm dort unten im Westen ihnen winkt, dessen Molen den Einzug ihnen ebnen. Jetzt rauscht ein stattlicher Dampfer daher;er nimmt jenes müde Fahrzeug in's Schlepptau, und leicht und lustig wird bald der Hafen erreicht sein. „Land“, aber, „Land“,grüßt da manch ein dankbar Gemüth.

O Meer! und ich habe bloß dich begrüßt, so muß ich scheiden von Dir, wer weiß auf wie lange! Die Stunde war da, die nicht nur vom Meere, sondern auch von den werthen Reisegefährten uns trennen sollte: sie kehrten nach Swinemünde zurück, wir nach Carlsburg. Noch ein Mal sahen wir hinaus nach der See:die blaue Fluth wogt ruhig, sanft im Winde; noch einmal hinab nach der Stadt: dort unten liegt sie im Mittagsonnenschein, weit,weit dort unten liegt Swinemünde: aber der Leuchtthurm glänzt,wie ein brennender Stern, zu uns herauf. Und drüben die Insel Wollin mit Misdroy, dem freundlichen Badeort! Und ferne, im Aether verschwimmend, nach Norden die Umrisse von Rügen. Und Berg und Wald, und Feld und Flur, sie grünten und blauten so heiter! Freude lachte überall und bot ihren Trank uns zur Labe. Aber in den Labetrank fiel ein Tropfen Wermuth, eine Scheidethräne. Ach, wer ist des Wiedersehens jemals gewiß!

Weniger Stunden bedarf es oft, um Menschen einander zu verbinden, indeß Jahre des Verkehrs andere einander fremd lassen.Jene Stunden werden, um mit dem geschätzten Manne zu reden,der die Worte aussprach „als grüner, duftender Strauß in der Erinnerung ewig fortleben.“

Als das Rollen des Wagens, das die Befreundeten davon trug, verschallt war, fühlten wir uns etwas vereinsamt unter der Schaar von Fremden, die den Badeort zu dieser schönen Herbstzeit noch belebten. Doch bald fesselte die nächste Umgebung unsere Aufmerksamkeit: es war die Bude des Händlers, der die feinen Bernsteinwaaren dort zur Schau und zum Kaufe bot. Im Schatten der Buchen steht das kleine Haus, und von seinem erhöhten Plane schweift der Blick nach dem in nicht weiter Entfernung brandenden Meer.

Das Tosen der See verschmolz mit dem Anblick der gelben,glänzenden Waare, und eine Sprache entstand, der das Ohr an dieser Stätte willig lauschte. Sie erzählte uns von den dunkeln Wäldern, den tiefen, die vor langer, langer Frist mit ihren Nadelholzbäumen untergegangen im Strömen der ewig schaffenden und ewig zerstörenden Kraft, untergegangen wie so Manches vor ihnen und wie so Manches nach ihnen noch untergehen wird, nach ewig wandellosen Gesetzen. Sind sie tief unten auf dem Meeresgrunde,diese versunkenen Wälder? Wer vermag es zu sagen! Aber die See, gepeitscht von den tobenden Stürmen, wirft aus den BernD000 mit Muscheln und Seetang; dieser Stein liegt da in verschiedenen Formen, in rundlichen, abgestumpften Stücken, bald größer, bald kleiner; liegt da auch, fern von der Küste, als thonige Sandschicht gestaltet, oder auch im Herzen des Sandsteins verborgen.

Die kleine Mücke dort aber im Steine der künstlich verfertigten Nadel, die könnt' uns erzählen von dem Tage, wo sie lebend und munter, sich freuend im Sonnenglanz, von der harzigen Fluth überrascht und davon getragen, plötzlich erstarrte. Und wie die Fluth selber erstarrt, das Harz zu Stein geworden! Wie der Baum davongetragen und der Wald, und wie dieser spurlos versind darüber hin! Prange fort in deiner Bernsteingruft, du niedlich kleines Wesen! Tausend und, tausend Jahre werden wieder vergehen, und dort, wo die See braust und das versteinerte Harz der versunkenen Wälder an ihren Strand spühlt: was wird dann sich weisen dort drüben?

Und am Strande wandelten wir noch auf und nieder, suchten nach Bernstein, fanden aber nur Muscheln, die wir indeß auch 39 als werthe Erinnerung mitnahmen. Die“ Küste bei Heringsdorf ist bis weit an's Land hinauf mit jenem tiefen, weißen Sande bedeckt, der im Sonnenschein wie ein Schneefeld schimmert. Der Sand am Meer, unzählbar wie die Sterne des Himmels, und ... und unbeschreiblich schön!

Es fiel uns schwer, das Meer und den Sand am Meere zu verlassen.

Wir hatten aber noch einen weiten Heimweg vor uns. Es galt, an diesem einen Tage über 9 Meilen zurückzulegen, was nur in diesen endlosen Ebenen und nur mit den Rossen möglich;immer in eilendem Trabe geht's fort und fort, oft auf schier ungebahnten Wegen, oft schier grausig, wenn man ängstlich wäre.

Bei dieser Rückfahrt sah ich noch ein Mal das Meer, Dank unserm Reisebegleiter. Wir waren auf einer Anhöhe; er bat mich zurückzusehen. Welch ein Anblick! Die See, jetzt ein schwarzblauer Streifen, verschwimmend im schwarzblauen Luftmeer, das war der ernste letzte Grund auf diesem wundervollen Bilde; zwischen dem Ocean und uns weite Kornfelder, Stoppelfelder, über die der Wind dahin zog und in unserer nächsten Nähe die Mühlen trieb, deren dunkle Arme im Abendsonnengold sich langsam bewegten. Von links herüber schimmerten hell die Dünen, der Strandhafer allein bewächst ihren losen Grund; aber über den weißen Hügeln ragten dunkel die Kiefern empor. Und über den Kiefern und Dünen glänzte schmuck von seiner Anhöhe herab noch einmal das zierliche Heringsdorf mit seinen Villen und Gärten,mit seinem grünen, herrlichen Park. Ein Blick noch, und Meer und Dünen, und Dorf und Park lagen hinter dem Hügel verborgen und vor uns erstreckte sich die Ebene, die vor nicht sehr langer Zeit noch ein weiter, weiter See, ein sumpfiger, trauriger Erdstrich, jetzt meilenweit grünt und gelbt, als Wiesen und Felder,bis nach dem fernen Usedom hinüber, ein frohes, gesegnetes Land heut.In Usedom ward nochmals gerastet, dies Mal freilich nur kurze Zeit, denn wir wollten vor Mitternacht zurück sein in Carls 40 burg. Wohlverwahrt gegen die Frische der Herbstluft, von ärztlicher Hand selbst eingehüllt in die warme Bedeckung, gieng's nun hinaus in die Stille des Abends, und bald hinaus in die Kühle der Nacht.

Diese nächtliche Fahrt, nie werd ich sie vergessen. Wie ernst,wie düster sogar, scheint hier die Landschaft zur Nachtzeit! Gluthroth gieng wieder die Sonne unter, ein feuriger Ball, dort im Westen; gluthroth schimmerten die Wasser des Stromes, ein blutiges Meer, uns zur Rechten. Je mehr und mehr verschwammen jetzt Wiesen und Felder. Und wenn durch dünne, flüchtige Wolken des Mondes Scheibe, groß und voll, sich Bahn brach,bestrahlte das blasse Licht auch wieder die langen Arme der Windmühlen. Und fort gieng's in eilendem Trabe, fort durch die schweigsame Nacht.

Ist es ein Wunder, daß das nordische Volk so ernst, oft auch so geneigt zum Aberglauben? Huscht der Wind über die Haide,so rauschen die dürren Halme; braust er durch den Wald, so knistern die welken Blätter, und scheint das Mondlicht über die Triften, wirft lange Schatten jeder Baum, jeder Strauch. Und Schatten und Knistern und Rauschen das Geisterreich, welch duftig, neblicht Reich! Und das Unerhörte, das Unmögliche, welchen Reiz hat es nicht allenthalben für ein menschlich Gemüth.

8

Horch! was will der Wind mir sagen,Wenn er durch die Wipfel zieht?Singt er mir von alten Tagen,Singt er mir ein altes Lied?

Ich will hören, ich will lauschen!Laß mich still und einsam hier!

Und was mir erzählt sein Rauschen,Will ich dann erzählen Dir!

Hat es der Wind mir erzählt? hat es der Park mir gesagt?Eine Geschichte hab ich vernommen aus alter, grauer Zeit: die Geschichte vom Schlosse Carlsburg.

Still war's und ruhig in seinen Hallen: über seinem Dache,wie über den weiten Gefilden, lag die Nacht, die große Ruhespenderin. In ihrem schwarzen Mantel birgt sie den Labetrank,den Schlaf, und gießt ihn aus über alle Müden: gießt ihn aus über den von der Arbeit erschöpften Tagelöhner, gießt ihn aus über den Denker, den Mann der Wissenschaft; ja, auch an's Lager des Leidenden tritt sie hin und schenkt ihm doch wenigstens eine Stunde der Erquickung, indeß, bei der einsam brennenden Leuchte,treue Liebe sorgend wacht über dem Schlummernden.

Schwarz war sie, die Nacht, und ernst wie das Grab; kein Sternlein am Himmel, nicht eines, zu sagen, daß über der Leuchte irdischer Nachtwache die ewige, himmmiische Liebe wacht.Doch wer wollt' es bezweifeln, auch wenn Nacht und Grauen ihre leuchtenden Sterne umhüllen?

Still war's und ruhig. Da pocht es an's Fenster. Horch!horch! · Ich öffne: „Komm mit! komm mit!“ lockt's herüber zu mir aus den Zweigen. Es ist der Ruf des Käutzchens, dieses allnächtlichen Gastes im Parke. Mein Licht hatte das kleine Thier angezogen; sein Flügelschlag mich an's Fenster gelockt. Nun aber stand ich da und schaute hinaus in die Nacht.Wie es rauscht in den Wipfeln der Bäume! Sagt an, ihr hohen Häupter wir kennten uns doch, meine ich, nun lange genug schon! Hebt an, mir zu erzählen! Sagt, habt ihr immer wie heute dagestanden und hinüber geschaut nach diesen Fenstern?Ich seh, wie sie sich bewegen, die Häupter, seh auch durch's Dunkel der Nacht, sie winken: „Nein!“ Und ein Säuseln beginnt jetzt und ein Flüstern, erst leise, ja kaum vernehmbar, nun lauter und deutlicher aber, und ich höre genau ihre Sprache, höre, was sie mir erzählen, die Bäume des Parks:

„Vor langer, langer Zeit stand da, wo wir jetzt grünen, ein tiefer, schwarzer Wald. Und in dem Walde drinnen stand, alt und grau, ein Schloß. Dies Schloß aber hieß Gnatzkow,was ein slavischer Name und in unserer Sprache will sagen „Ort der Nacht“. Es war eben Nacht um das Schloß herum und in ihm drinnen. Dies finstere Haus nun aber kam im Laufe der Jahre, wie die Menschenkinder zu rechnen pflegen, in Mitte des 16. Jahrhunderts, als Besitzthum an die Herren von Normann.Und in den schwarzen Wäldern von Gnatzkow blühte jetzt eine weiße Rose: Maria Lucretia, des Hauses liebliche Tochter. Eines Tages aber zog des Weges daher ein edler Recke: Herr Christoph Olaf von Bohlen. Er sah die Rose. Und nicht zu schwarz erschienen ihm die Wälder von Gnatzkow; die Rose verbreitete solch hellen Glanz: er blieb dort haften. Die Rose wurde sein Ehgemahl. Und Gnatzkow gehörte von nun an den Reichsgrafen von Bohlen.

„Aber die Zeit gieng darüber hin. Die schwarzen Wälder von Gnatzkow lichteten sich allmählig, wie noch Manches sich zu lichten begann. Es grünte die Saat, es grünte das Gras herum um den „Ort der Nacht!“ Es grünten auch Hügel dazwischen: ein jung Geschlecht legte Kränze auf die Gräber der Ahnen. Aber auf den Feldern reifte die Saat; der Ackerbau blühte empor mit dem jungen Geschlechte und von Jahr zu Jahr füllte reicherer Segen die Scheunen. Da es war am 24. August des Jahres 1732 “ 43 Doch, was ist denn mit den Bäumen des Parks? Wie tief sie das Haupt jetzt neigen, als weinten sie, wie Menschen weinen!Und es seufzen die Pappeln und Weiden, und klagend rauscht's über die Flur. Horch! horch! sie erzählen jetzt weiter, die Bäume:

„Die Sturmglocke hallt im Schlosse! Feuer! Feuer! in Gnatzkow! Der ganze Hof steht in Flammen! Das Schloß, eine flammende Säule, ragte blutroth zum Himmel empor! Der Wind facht die Gluth an, Korn und Heu nährt sie! Wer soll hier retten, wer helfen? Es war am 24. August 1732, am 25. wehte der Wind über Schutt und Asche: Gnatzkow war niedergebrannt bis auf den Grund.

Aber die Zeit, die zerstört, baut auch wieder auf, oder vielmehr: Graf Carl Berend von Bohlen ließ das Schloß wieder aufbauen. Und im Jahre 1739 stand es da, wie es heutzutage noch dafteht. Nur da, wo wir jetzt grünen, da prangte ein zierlicher Blumenflor: des Morgenlands stolze Tulpen, seine Kaiserkronen und Hyazinthen, wie Italiens wohlriechende Nelken, wie seine Rosen und seine Lilien, alles blühte und duftete hier im nordischen Garten, ein ächt französischer Schmuck.

„Und der Name „Ort der Nacht“ wollte je länger je weniger mehr passen für das Schloß.

Wer aber ist der fremde Rittersmann, der an jenem Abend,es war im Jahre 1771, um Einlaß bittet im Schlosse? Carl Julius von Bohlen, der gastliche Besitzer des Hauses, bewirthet ihn auf's Beste. Der jugendliche Fremde, hier will er rasten die Nacht, die er ste auf schwedischem Boden wieder, denn pommer'sche Erde war dazumal schwedisches Land. Er kommt von weit her gezogen, ein lauter Ruf treibt ihn zurück nach der Heimath: der Ruf seines Volkes, das ihn zum Könige ernannt. Denn der fremde Rittersmann ist Gustav, der Sohn Adolf Friedrichs, und nunmehriger König von Schweden, Gustav III.

„Und sie sitzen beisammen, die Männer, bis tief in die Nacht.Gustav ist ein geistreicher, liebenswürdiger Gesellschafter. Und sie reden und reden von so Manchem. Und der hohe Gast bittet den Herrn des Hauses, einen Wunsch auszusprechen, dessen Gewährung ihm eine frohe Erinnerung wäre an diese freudig verlebte Nacht.Da wäünscht denn Carl Julius von Bohlen, daß der künftige Schwedenkönig seinem Hause einen frohmüthigern Namen gebe zum Andenken an diese frohe Stunde, vielleicht seinen eigenen Namen.Gustav aber, in feiner Rittersitte, nennt Gnatzkow, den Ort der Nacht: Carlsburg, nach dem Namen seines edeln Wirths und Besitzers des Schlosses.“

Und unter Carlsburgs Dache schloß der künftige König von Schweden die Augen. Sohn Adolfs, ruhe sanft in den gastlichen Hallen des Schlosses, bevor der Hermelin noch Deine Schultern beschwert und die Krone Deine junge Stirn' drückt! Gustav von Schweden! hat kein fröstelnder Hauch, wie eine Ahnung ferner Tage, in jener Nacht Dich umsäuselt? Und ist der Name Ankarström, der Name Deines Mörders, Deinem Ohr nicht erklungen im Traume mit den Klängen einer rauschenden Tanzmusik?

Gewiß nicht! Sanft schläft sich's unter Carlsburgs Dache.

Auch ich schlief ein. Denn: leiser und leiser flüsterten jetzt die Bäume, und ferner und ferner erschien mir ihr Lispeln; ein Säuseln nur noch umrauschte mich, ein Wehen. War es die Erinnerung an Gustav III., den unglücklichen König der Schweden? Nicht weiß ich's. Aber als ich erwachte, wußt ich die Geschichte von Carlsburg und daß das Schloß durch die Vermählung der Gräfin Caroline von Bohlen seit 1828 das Besitzthum der Grafen von Bismark-Bohlen nun ist.

X.

O Meer!Wer nie dich sah, mag wünschen dich zu seh'n;Doch, wer dich sah, der möge nimmer wähnen,Gestillt zu haben seines Wünschens Drang!Denn, wie ein Liebekranker, sehnsuchtsbang,Wird er, nachdem er ein Mal, hochbeglückt,Dir tief in's tiefe blaue Aug' geblickt,Nach dir zurück, o Meer, sich ewig sehnen.

So ergieng es auch mir: seit meiner Reise nach dem Meere war ich seekrank, das heißt: krank von Sehnsucht nach der See,und meine Krankheit fand so viel Theilnahme, daß bald ein zweiter Reiseplan entworfen wurde. Dies Mal aber war das Ziel Rügen, Räügen, das Land der Sagen, der Träume, das allseits besungene Land, Rügen mit seiner Küste, der Stubbenkammer.

.Und wenn Sie ein Sonntagskind sfind, werden Sie sie seh'n,wie sie im Mondschein das blutige Tuch wascht in der Meerfluth,die wundersame Frau, „an Schönheit sondergleichen,““ sagte der Mann zu mir, der durch sein tiefes, gründliches Wissen ein verehrter Lehrer längst mir geworden, der über die gegenwärtigen Zustände seines Landes, wie über die der Vergangenheit, über die Beschaffenheit von dessen Boden, wie überhaupt über Alles, was in's Bereich der Naturwissenschaften oder der Geschichte einschlug,mich so freundlich unterrichtete; Er, dem in den Schreckenstagen des letzten Krieges sogar der erbitterte Feind die Anerkennung seines hohen Menschenwerthes nicht versagen konnte. In dankbarer Erinnerung werde ich stets dieser Belehrung gedenken, wie auch der Sorgfalt, womit er den kleinen Reiseplan entworfen, mit welchem ausgerüstet ich tgetrost und wohlgemuth nach dem Lande meiner Sehnsucht ziehen konnte. Freundliche Wünsche begleiteten mich.

Dies Mal gieng es mit der Eisenbahn nach Stralsund, 46 das von Züssow aus in Zeit einer Stunde zu erreichen ist. (Stralsund zählt heut 30,000 Einwohner). Leider war der erst noch so wolkenlose Himmel jetzt trüb und grau, und in seinem düsteren Lichte erschien sie ernst, wie ihre große, ernste Vergangenheit, die alte, deutsche Stadt mit ihren hohen Häusern, deren Giebel und spitze Thürme ihr einen so imposanten Charakter verleihn. Von Carlsburg aus sorgsam empfohlen an werthe Bekannte in Stralsund, fühlte ich mich auch da nicht ganz fremd.

Die Fenster meiner Zimmer boten die Aussicht auf den großen Platz vor dem Rathhause, den sogenannten „alten Markt“;gegenüber denn das Rathshaus. Wie erhaben sein Anblick in jener Nacht! Durch schwarze, zerrissene Wolken brach das Mondlicht und beleuchtete die Fenster des alten, grauen Baues. Diese gothischen Thürme, diese zierlich gearbeiteten Fenster, die magische Mondbeleuchtung: das Rathhaus von Stralsund erschien dem Beschauer wie ein großes, herrliches Lichtbild, mit dessen Abbild er gerne in der Heimath seine eigenen Fenster geziert hätte. Aber dieser Anblick und die ernste Stille der Nacht, von Zeit zu Zeit nur unterbrochen vom Wirbeln der Trommeln der in der Festung weilenden Besatzung, beschworen noch andere Bilder aus ihren Gräbern herauf: ein ganzes Stück alter Geschichte entrollte sich dem geistigen Blick Stralsund's große Vergangenheit.

Aus dem Nebel der Tage von 1209 steigt sie empor, die Stadt, zur Zeit, wo Jaromar J. noch Fürst war auf Rügen;Stralow hieß sie bei ihrem Entstehen man nimmt an, nach der alten Insel Strela (später Dänholm). Aber der wendische Name wandelte sich bald in den deutschen Stralsund (Sund: Meerbusen oder Meerenge). Begünstigt durch die Rügen'schen Fürsten,durch ihre Lage und manch andere glückliche Verumständung, blühte sie rasch empor, die junge Stadt, und bald stand sie da, als eine der bedeutendsten Handelsstädte der nordischen Küste. Doch wer hat jemals die Gunst des Glückes genossen, ohne Neid zu erwecken? Es war Lübeck, die, den Glanz der Rivalin beneidend,im Jahre 1249, ermuthigt durch ihre Erfolge gegen die Dänen. 47 Stralsund den Untergang schwur. Verderbenbringend rückte die feindliche Flotte heran, und Stralsund, kaum seines jungen Lebens sich freuend, wurde vernichtet, um jedoch größer und zierlicher denn zuvor nach kurzer Frist von Neuem aufgebaut zu werden. 1256 stand die Stadt wieder da und blickte heiter nach den Fluthen hinab, die das pommerische Land von Rügen trennen (Meerenge Gellen). Doch im Jahre 1271 nahte sich ihm ein anderer Feind:eine schreckliche Feuersbrunst brach aus. Erbarmungslos wütheten die Flammen, und bald war die meist aus Holz erbaute Stadt niedergebrannt ganz und gar. Aber fester und blühender erhob sie sich, ein Phönix aus der Asche, auch dies Mal wieder und strebte jetzt bis in die Wolken empor: himmelwärts ragten die Spitzen ihrer zierlichen Kirchen, der Nicolai-, der Jacobi und der Marienkirche.

Von jetzt an begann Stralsund zu gedeihen, je mehr und mehr. Allen Anfechtungen trotzend, den Kriegen mit Dänemark,den Fehden mit den Fürsten von Rügen, wie dem Zwiespalt im eigenen Innern, bewahrte es seine rühmliche Selbstständigkeit ein und ein halbes Jahrhundert hindurch und wurde mit den Hansestädten eine Macht, deren Arm, wirkend und bestimmend, in Vieles hineingriff.

Aber die Sonne des Glücks stand für Stralsund jetzt im Zenith; sie begann zu sinken, bevor noch das 15. Jahrhundert zu Ende. Fortwährende Kriege nach Außen und leider auch öftere Wirren im Innern nagten am Marke des Wohlstandes der Stadt,wie an ihrer Geltung nach Außen. Und der Verfall der Hansa zog auch den Verfall von Stralsunds Bedeutung nach sich.

Und nun zieht noch ein neues Gewitter über dem Haupte der Stadt zusammen: Wallenstein mit seiner gefürchteten Macht naht ihren Thoren: „Und wäre sie mit Ketten an den Himmel geschmiedet, ich nehme die Stadt,“ hatte der Held geschworen. Noch ein Mal loderte die alte Tapferkeit der Bürger von Stralsund wieder empor, und, wie ein Stern in dunkler Nacht, glänzte ihr Muth und ihre Hingebung, die, verbunden mit Schwedens Hülfe, 48 den stolzen Friedländer besiegten. Alljährlich noch wird am 24. Juli die Aufhebung der Belagerung von Stralsund durch ein großes Vollksfest gefeiert. Und im „Hainholz“, eine Viertelstunde von der Stadt, vor dem Kriegerthore standen vor wenigen Jahren noch Tisch und Bank, wo, wie man erzählt, Wallenstein der Becher vom Munde soll weggeschossen worden sein.

Im Jahre 1648 fiel Stralsund im Westphälischen Frieden den Schweden zu. Und nun begannen neue Drangsale durch die schwedischen Kriege. Die Jahre 1678 und 1715 waren Schreckenszeiten für die unglückliche Veste, der beide Mal gänzliche Zerstörung drohte und die erst gegen Ende des vorigen Jahrhunderts von all ihren Leiden sich zu erholen begann.

Der große Kaiser aber, dessen Fährte Rauch und dessen Fußstapfen Blut, brachte auch den Festungswerken Stralsunds Vernichtung (18007). Wer kennt sie nicht, die Napoleonische Schreckenszeit ? I

Diese Bilder alle zogen, eines nach dem andern, an mir vorüber. Wieder ertönte jetzt Trommelschlag in den Straßen, und von den Giebelhäusern der einen schweiften die Blicke nach der andern Straße hinüber und die Gedanken nach der Vergangenheit zurück: Ferdinand Schill! ist es Dein Sterberöcheln, das mit dem Wirbeln der Trommel zu mir herüberdringt? Dort unten die Erde Dein edles Blut trank und das Deiner Kampfgenossen.(1809). Ein Denkstein steht da, wo Du für Deutschlands Freiheit den Opfertod starbst, ein Denkstein in jedem deutschen Herzen und auf ihm der Name Ferdinand Schill. Ich aber will nach Stralsunds Friedhof hinauspilgern und mir ein ewig grünes Tannenreis brechen an jenem Grabe, das eben diesen Namen trägt.zur ewig grünen Erinnerung an Ferdinand Schill.

XI

„Der Schimmel trabt, die Peitsche schwirrt,„Laut schmettert Posthornton.“Wie schön ist der Hafen von Stralsund mit seinen unzählbaren Schiffen, den großen und den kleinen, mit seinen Teichen und Brücken, diesen Prachtwerken der Baukunst, welche die Stadt,rings von Wasser umgeben, mit dem Festlande verbinden. Wie schön ist die Stadt selbst, wenn sie im Morgendufte zurückbleibt,indeß wir mit dem kleinen Dampfer hinüber steuern nach der „Alten Fähre“, dem nächsten Landungspunkte auf Rügen. Golden flimmern im Sonnenstrahl die Spitzen der Kirchthürme. Aber rings auf den Wassern liegt Nebel, wie auf den Bauten der Stadt.Und so scheint sie, halb verborgen, halb sichtbar, aufzutauchen aus den Fluthen, und, wie erschreckend ob ihrer eigenen Schöne,sich einzuhüllen in den Mantel, den, aus Wolken gewoben, der Himmel ihr reicht. Aber Hiddensee und Ummanz und Zingst und Darß, die Inseln im Norden, und Dänholm, die Insel, die befestigte, nach Süden als lichtblaue Streifen winken sie ihr über die Fluth herüber, die wogend sie trennt. Und Rügen, das erst noch, gleich jenen, ein lichtblauer Streifen, wird sichtbar je mehr und mehr. Die kurze Fahrt über die Meerenge (Gellen) ist bald zurückgelegt. Noch wenige Minuten, und die weißschäumenden Wogen bespülen ein braunes Küstenland: das Gestade von Rügen ˖

Die breite Fahrstraße führt vom Strande nach den Häusern von „Alte Fähre“ hinauf. Dort steht denn auch der Postwagen bereit, die Reisenden nach dem Innern der Insel, der größten der deuschen Inseln, zu bringen. (Rügen, der nördlichste Streifen des deutschen Nordens, mißt 28 Quadratmeilen Flächenraumes und zählt 45,000 Einwohner). Am freundlichen Posthause werden die Karten verabfolgt, und lustig geht's jetzt mit klingelnden Rossen, mit „schwirrender Peitsche“ und „schmetterndem Horn“die leichte Anhöhe hinan, vorbei an Häusern und Gäarten, geht's mmer weiter und weiter, vorbei an den Dörfern Rambin und Samtens, auf ebener Straße durch Rügens weite Kornfelder,der Kreis und Hauptstadt Bergen zu.

Meilenweit fährt sich's von dieser Seite aber dahin, ohne daß irgend etwas Beachtenswerthes die Einförmigkeit der Landschaft unterbräche. Wohl durchschneidet das glänzende Eisen des Pfluges, vor den die zierlichen vier Pferde gespannt, die braune Erde; wohl steigt der Dampf des Locomobils, der dort im Feld die Dreschmaschine treibt, schwarzgrau in die Lüfte, und über die Stoppeln fliegen Schwärme von Krähen, welche mit lautem Geschrei nach ergiebigeren Futterstätten ausziehn: aber die kahlen Flächen, auf deren gesegneten Kornfeldern der Reichthum des dandes emporsprießt, ermüden darum nicht minder das Auge, und der Geist, durch nichts Wesentliches an die Gegenwart gefesselt,VVD0 langsame Drehen der Windmühlen im Felde, noch das gleichmäßige Schaukeln des Postwagens zu zerstreuen vermag. Und wenn nicht der Pferdewechsel bei der saubern Schenke am Wege und der muntere Ton des Posthorns ihn jetzt aufweckten, so verfiele der Leib bald in jenen Zustand, wo der Uebergang von Träumerei in wirklichen Traum ein so unbemerklicher, daß, ehe man sich's versieht, das ermüdete Auge sich schließt und kein Bild mehr von Außen her,sich darin abspiegelnd, nach der Seele zurück strahlt, dort bleibend zu haften.

Erndlich, endlich wechselte das ewige Gelb der Stoppelfelder:über den Sümpfen rechts am Wege erhoben sich Hügel und über den Hügeln blauten ferne Berge über fernen Wasserfluthen. Aber der Wagen lenkte jetzt ein in den Wald, und als dieser zurück blieb, grünten Busch und Wiese, und in nicht weiter Ferne zeigte sich von ihrer Anhöhe aus die Kirche von Bergen, deren Thurm auf ganz Rügen, ja sogar von den dänischen Inseln aus, sichtbar sein soll; roth schimmerten die Häuser der Stadt, die von der Ebene her nach der Anhöhe hinauf sich ziehend, den Namen „Bergen“ wohl begründen. Leider goß jetzt „unendlicher Regen herab“, so daß an einen Spaziergang nach dem Raddas, dem hübschen Gehölze, der Parkanlage in nächster Nähe der Stadt, nicht zu denken war, noch weniger an einen dem Berge Rugard längst zugedachten Besuch, obschon dieser nur eine Viertelstunde von derselben entfernt liegt.

Und doch, wie gern hhätte ich von seiner Höhe aus der so Fuß über dem Meere) der letzte Ueberrest des einst so stark befestigten Schlosses der alten Rügen-Fürsten, er hätte mir erzählt von Jaromar L.,erzählt von den Tagen, wo 1190 die Festungswerke, durch diesen Fürsten angelegt, stolz und kühn in die Lande hinausschauten und bis 1631 allen Stürmen trotzten. Heute grünt Strauch und Busch auf dem Rugard und wuchert so üppig aus seiner Erde empor, daß die Fernsicht nur in vereinzelten Bildern sich dem Blicke entrollt. Diese Bilder aber, wie herrlich ein jedes!Bis nach dem fernsten Norden, bis nach Arkona hinauf, reicht das Auge, und wieder hinab, bis wo fern im Süden die Thürme von Stralsund sich erheben. Und was alles dazwischen, all' die Buchten und Seen, die Inseln, die Halbinseln und Landzungen,deren das vielfach vom Wasser zerrissene Land so viele aufzuweisen hat! Und die Wälder und Felsen, die Schlösser und Kirchen! Dies Alles zeigt sich auf dem Rugard dem Auge,und glücklich wer des Anblicks genießen kann!

In Bergen selbst mocht ich nicht weilen; was sollte in Bergen mich fesseln? Ein schönes Altarblatt im Innern der Kirche, die Glasmalerei eines Fensters, Erinnerungen an das einstige Nonnenkloster, z. B. das Grab der Prinzessin Elisabeth von Pommern,der Schwester Bogislaw X., die im 15. Jahrhundert Aebtissin des Klosters zu Bergen war, oder das jetzige adelige Jungfrauenstift vielleicht gar auch in der Kirche die verdorrte Hand, hervorgewachsen aus dem Grabe eines Vatermörders! Das ist freilich des Beschauens werth für den, dem ein längerer Aufenthalt in Bergen gestattet. Doch nimmer scheide der Wanderer von dem Hauptorte der Insel Rügen, ohne eine Stätte aufgesucht zu haben: den „Wendenfriedhof“ bei Krakow, am Wege nach Casnewitz.

Das ist eine weite Grabstätte, ein Friedhof, wie selten einer,denn er mißt nach Morgen Landes, deren mehrere zu seinem Bereiche zählen. Diese Hünengräber sanft wölbt sich der Hügel über der Erde, unter welcher sie ruhen, die Gebeine Derer, die hier wandelten vor Zeiten; oder es erheben sich riesige Steine über den „Steinbetten“, wo sie schlafen den Schlaf, den kein Traum je mehr stört. Diese Hünengräber zahlreicher sind sie auf Rügen als sonst irgendwo im Norden; an 200 reicht ihre HZahl. Welcher Zeit gehören sie an, diese Grabstätten? Trafen die Wenden sie schon, als sie in's Land kamen, und reichen sie hinauf bis in die graue Zeit des Alt-Germanischen Stammes?Laßt Streitaxt erzählen und Messer, und Pfeilspitze und Aschenkrug! Laßt Spangen berichten, und Ketten und Ringe, wie sie liegen bei den Gebeinen im schweigenden Hünengrab: dem Forscher wird Manches kund. Doch, ob wendisch, ob germanisch ihre Herkunft: sie gehörten, wie die Gerippe, die Schädel, bei denen sie ruhen, einem Geschlecht an, das da gewünscht und begehrt, geliebt und gehaßt, gelitten und gestritten, das da gekämpft den Kampf des Lebens und das abgetreten vom Schauplatz, um einem andern die Stätte einzuräumen zu eben demselben Kampfe, wenn auch unter anderer Form.

Bergen bleibt zurück, und mit dem Postwagen geht es jetzt Sagard entgegen, Sagard, dem Marktflecken und Hauptorte der Halbinsel Jasmund. Die Halbinsel Jasmund aber ist der von der Natur so zierlich ausgestattete Landstreifen, denn auf seinem östlichen Theile trägt er die herrliche Küste, die vom Meere bespülte Stubbenkammer mit ihren Kreidefelsen und die Buchwaldungen der Stubbnitz. Jasmund ist an die Insel Rügen durch die Lietzower Fähre, dies Werk neuester Zeit, gekettet, die,eine künstlich hergestellte Verbindungsbrücke, Wagen und Fußgänger über den Jasmunder Bodden (Meerbusen) trägt. Von Bergen bis Sagard ist das Land hügelig, das Einerlei der Kornfelder stets unterbrochen durch waldbewachsene Anhöhn, durch an der Fahrstraße liegende Höfe, durch Teiche und kleine Seen, bis zuletzt denn der Jasmunder Bodden je mehr und mehr sichtbar wird und die blaue Kette der Banzelwitzer Berge der Landschaft einen Reiz verleiht, den sie bis dahin entbehrt. Die weite Wasserfläche aber des Meerbusens, die hinauf und hinab sich dehnend,wie ein ruhiges Meer daliegt, das braune Küstenland, das sie umgiebt, und drüber hin ein grauer Himmel, durch dessen Wolkenflor die Sonne hie und da sich Bahn bricht und über den dunkeln Wasserspiegel goldene Streifen zieht: es ist ein düster Bild, das ich nicht weiter ausmalen will. Der Wagen rollt jetzt über die Lietzower Fähre dahin, und bald ist der Strand von Jasmund erreicht. An seine grünen Hügel lehnt sich das ‚ Fährhaus“, ein willkommenes Wirthschaftsgebäude für müde Wanderer. Aber der Postwagen fährt rastlos die leichte Anhöhe hinan und durch das Gehölze hindurch, immer eiliger dem nicht mehr fernen Sagard entgegen. Und bald liegt denn auch der saubere Marktflecken vor uns; aus dem Grün seiner Bäume ragt Kirchthurm und Hausfirst hervor. Hier in Sagard endet die Postverbindung. Der trabende Schimmel wird nach dem Stalle geführt; die schwirrende Peitsche und das schmetternde Horn ruhen dort auf dem Tische in dem freundlichen Haus mit der steinernen Treppe vor der Thür:

„O Zeit des Paßgangs und des Trabs,Des Trinkgelds und des Trunks,Des Pferdestalls“ ......und der muntere Postillon läßt das Bier sich schmecken, indeß der Reisende nach einem Wagen sich umsieht, ihn von Sagard aus weiter. nach dem Ziel seiner Wünsche, zu bringen.

Hast Du, o Wanderer, gehört von dem Hügel, dem großen runden, der eine kurze Strecke von Sagard entfernt, an der Straße nach Putbus liegt? Es ist der Dubberworth, wohl das größte der Hünengräber auf Rügen. Und willst Du wissen, wie er entstanden, dieser Hügel, frage die Leute in Sagard und auf ganz Jasmund, sie werden Dir die Geschichte erzählen vom Dubberworth, freilich etwas verschieden von dem, was die Jahrbücher darüber berichten, nach welchen eine Riesin darunter begraben liege.Auf Jasmund wird aber erzählt:Es lebt' vor alten Zeiten auf Jasmund's grünen Au'n Ein Riesenweib, gar mächtig, gar trotzig anzuschau'n,

Und Jasmund's Au'n und Triften, der ganze weite Plan,Fr war mit Land und Leuten dem Weibe unterthan.Wie groß auch ihre Stärke, wie groß auch ihre Macht,So hat noch größ're Stärke in Banden sie gebracht:Die hohe Riesenherrin, sie schleppt, gebunden, schwach,Wie kleine Menschenkinder, der Liebe Ketten nach.Es war ein Fürst auf Rügen, gar herrlich von Gestalt.Die Riesin sieht den Fürsten und sendet alsobald Hinüber ihm den Boten, thut kund ihm ihre Wahl,Trägt sich mit Land und Leuten ihm an als Ehgemahl.Der Fürst von Rügen aber verschmäht der Riesin Hand.

O Schmach und Hohn! Die Riefin, sie hört es wuthentbrannt,Und ihre Mannen alle ruft sie heran zur Wehr,

Zu tilgen ihre Schande, zu rächen ihre Ehr'.

Doch zwischen Jasmund's Triften und zwischen Rügen's Au'n Sah man, gleich einem Gürtel, die tiefe Meerfluth blau'n.Das war für Ross' und Mannen ein unbequemer Weg;

Wer baut uns da die Brücke, wer zimmert uns den Steg?Und zu der Stubbnitz eilt' sie, wo Erde, Sand und Stein,Die hohe Riesenherrin, und lud sich da allein

Die ungeheure Schürze voll Erde, Stein und Sand

Und lief damit behende hinüber nach dem Strand.Die Tiefe aufzufüllen, tritt sie beschwert heran,

Sieht freudig schon sich dehnen für Mann und Roß die Bahn,Schon sieht den Strand sie schimmern, bald ist sie, bald dabei:Da reißt die Wucht, die schwere, die Schürze ihr entzwei.

Und von den Steinen allen, von Sand und Erde schnell,Erhebt ein mächt'ger Hügel, ein runder, sich zur Stell'.

Noch ragt er heut zu Tage empor an selbem Ort,

Erzählt Dir von der Riesin und heißt der Dubberworth.

Was weiter mit der Riesin und ihrem Groll gescheh'n,Verschollen und verklungen ist's längst im Windesweh'n;Heut aber trägt behende von Jasmund's grünem Strand Dich die Lietzower-Fähre nach Rügen's Küstensand.Wer der Gunst des Himmels sich erfreuend, bei seinem heitern Lichte von Sagard aus, ob zu Wagen, ob zu Fuß, nach Stubbenkammer hinüber oder nach dem Fischerdorfe Saßnitz hinab lenkt, der wird oben auf der Anhöhe einer Fernsicht genießen,deren Schönheit sich seinem Gemüthe tief einprägen mag. Dort oben entfaltet vor dem erstaunten Blicke sich die See; es ist die Bucht des Prorer Wyk (Wyk: Meerbusen), welche die Küste der „schmalen Haide“ bespült. Wie glänzen aber dort rechts die Buchten des großen und kleinen Jasmunder Boddens aus dem Dunkel der Wälder hervor! Dann in weitester Ferne das Jagdschloß und die blaue Küste von Mönchgut, der Insel; in nächster Nähe die Häuser des Dorfes Mucran und die Waldungen von Lanken, dem zierlichen Gute.

Leider genoß ich dieser Gunst des Himmels nicht; der Regen dauerte fort. Trüb und grau lag jetzt, als der Wagen statt links hin nach Stubbenkammer, nun rechts gegen Saßnitz einbog, vor mir die offene See, trüb und grau, als wäre sie selbst eine endlos sich dehnende Regenwolke! Ach! sollt' ich so dich wieder finden,du Heißersehnte, du einst so Reine, so Blaue? Und willst du mir sagen, daß nicht leicht ein Glück sich Glück, das ungetrübt heiter, e in Mal sich uns bot? Ich gedachte eines Wortes, das ich in Carlsburg vernommen: „Besteht der Zauber der Freude nicht gerade darin, daß sie eben durch ihre kurze Dauer eine lange Sehnsucht im Herzen zurückläßt 2“ Leise bewegte sich die unendliche Wasserfläche; leise Winde zogen schwarze Furchen über dem düstern Plan. In den Bäumen im Felde regte sich kein Blatt; lautlos war's ringsum. Das Herniederträufeln des Regens in den Sand am Wege und der heisere Schrei der Raben, die vom nahen Acker aufflogen, unterbrach allein die öde Stille. Dunkel blickten die Forste der Stubbnitz

* *von links herüber; sie luden nicht ein, in ihre Schatten sich zu vertiefen zur Stunde. So düster auch der Anblick der See, ich zog es vor, in dem an ihrem Strande liegenden Saßnitz eine geeignetere Zeit abzuwarten, um den Kreidefelsen von Stubbenkammer meinen Besuch zu weihen. Bald lenkte der Wagen nach dem Fischerdorfe ein, wo das schirmende Dach des Gasthauses Schutz bot gegen den immer stärker herabströmenden Regen.

Saßnitz und Crampas, zwei bescheidene Fischerdörfer am Fuße der Stubbnitzer Forste, wie verschieden ist ihr Charakter von dem des zierlichen Heringsdorf! Dort Villen und Parke, Eleganz und Comfort, dort das glänzendere, raffinirtere Badeleben; hier einfache Gasthäuser, bescheidene Wohnungen, ein ungezwungenes, gemüthliches Strandleben, das aber gewiß, je nach den Anforderungen, dem Bedarf manches Badegastes wollständig entspricht und um der Mäßigkeit der Preise willen auch von manchem vorgezogen werden wird. Und so verschieden Wohnungen und Badeleben, so verschieden sind auch die Strandbilder.

Vergebens sucht das Auge hier nach den breiten Strecken Sandes mit ihren Bretterhütten und Bänken, wie es am Strande von Heringsdorf sie trifft. Hier führt ein schmaler Fußpfad bald dicht dem Meere entlang, oder es stehen Fischerhäuschen am Ufer;die ausgespannten Netze liegen zum Trocknen in der Sonne, und der Wind spielt mit den Astern und Reseden, welche hie und da ein einfaches Gemüsegärtchen zieren. Es ist ein reizender Weg,dieser Strandweg; er führt bis weit hinauf am Fuße der waldigen Stubbnitz. Schattige Bänkchen dienen dem Wanderer als Ruheplätze: rechts die See und links der Buchwald. Aber bevor noch dessen hohe Stämme Grund und Boden finden, um tiefe Wurzeln zu schlagen, grünt am abschüssigen Uferrand der niedrige Buchenschlag, der Haselstrauch und die Weide und neigen die Zweige herab auf das Haidekraut, das mit ihnen dies sandige Erdreich theilt. Und zwischen den Büschen und Reisern, welch zierlicher Strauch steht da oben! Graugrün und dicht sind die schmalen, spitzauslaufenden Blättchen; sie gleichen an Farbe und Gestalt schier den Blättern des Rosmarin. Jetzt aber, vom Winde gehoben, wie schimmert silbern ihre Rückseite: ein feines, seidenes Haar bedeckt sie zum Schutz und zur Zierde. Und sieh! gefährlich schier droht dort am Zweig der schwarzbraune Dorn jetzt. Doch glänzend hell entwächst dem Holze die Beere, die kleine, und bildet,Beere an Beeren sich reihend, die zierliche sattgelbe Traube, die von weit her das Auge des Wanderers entzückt: dieser Strauch ist der Sanddorn (yppophæ rhamnoides). Du hast ihn schon geseh'n, ich denke, bald am Meeresstrand, bald auf einsamer sandiger Trift im Innern des Landes; auch im botanischen Garten gedeiht er. Doch kümmerlich und sparsam entwindet dort die Frucht sich dem Holze; warum? Die Hand des Gärtners, sie hegt ihn und pflegt ihn in üppig genährter Erde: der Kampf um das Dasein hat aufgehört für den Strauch und mit dem Kampf auch die schaffende Kraft.

J

„Ich trank in schnellen Zügen „Das Leben und den Tod

„Beim Königsstuhl auf Rügen „Am Strand im Morgenroth.“O, meine weisen Rathgeber in Carlsburg, was würden Sie sagen, wenn Sie mich hier eingeregnet wüßten in Saßnitz, so nah dem Ziele und doch so fern! Diese unberufene Haft war freilich nicht angemerkt auf dem Programme, dem wohldurchdachten Reiseplan.Da saß ich denn in den wohnlichen Räumen des „Fahrenbergs“, des gemüthlichen Gasthauses, das, erbaut am Waldessaum, von seiner Anhöhe herab den weiten Blick auf das Meer hinaus gewährt; da saß ich und sah dem Regen zu, der ungestüm an's Fenster schlug, und lauschte dem gleichmäßigen Träufeln der Dachrinnen und dem Plätschern der Tropfen auf die Ziegel des über mir sich wölbenden Firstes, nicht eben sonderlich erbaut von den einförmigen Lauten, noch von dem Anblicke des endlosen Graues, in das Himmel und Meer gehüllt war. So viel aber stand fest, daß ich nicht zurück kehren würde nach Carlsburg, ohne die Stätte gesehn zu haben, um deretwillen ich hergereist kam, und von der nur drei Stunden Weges mich trennten.

Und der Tag war nicht ferne, dessen heiteres Licht mich begleiten sollte nach den ernsten Gefilden, nach der ersehnten Küste hinauf. Er kündigte sich an durch die Mondnacht. Ihr heller Glanz trieb den Schlummer vom Lager der Ruhenden und lockte an's Fenster.

„Leuchtend strahlte die See von dem Bild des sich spiegelnden Mondes,„Und in der schweigenden Nacht war es so hell wie des Tags;„Und zu den Ohren drang kein Laut, nirgends ein Rauschen,„Außer jenem der Fluth...“

Zwar kein dicht erblickt' ich von fern, „darin meine Flamme“,und kein Gestade, wo „mein Licht ich ersah“. Aber die lieblich fich kräuselnden Wogen, welche im Mondlicht glänzten, wie langes,gold'nes, gekräuseltes Haar, das auf den Fluthen zu schwimmen schien; die weite Fläche, wo der Blick sich verlor, wie der Gedanke im Reiche der Unendlichkeit; die Ruhe, die dabei die Seele überthaute, daß jedes Sehnen schwieg: ich grüßte sie, wie weiland der troische Schwimmer des Thurmes Leuchte begrüßte, als ein Zeichen naher Erfüllung sehnsüchtig gehegter Wünsche.

Der kommende Morgen sah uns auf dem Wege nach Stubbenkammer. Ich hatte mich einer kleinen Gesellschaft angeschlossen,die es vorzog, statt im Nachen auf etwas bewegter See den drei Stunden weiten Weg zu Fuß zurück zu legen. Er führte über Feld und Acker allmälig bergan. Bald lag Saßnitz weit unten im Thale. Aber der Blick haftete noch ein Mal auf dem stillen Dorfe, bevor der Fuß in des Waldes Dunkel sich verlor. Höher und tiefer lagen die Häuser auf dem kleinen Plane zerstreut, die einen satt am Strande, die andern weiter davon entfernt. Zwischen ihren friedlichen Dächern erhoben sich grüne Hügel, an denen die Kühe graseten. Aus den Schornsteinen stieg Rauch auf. In die See hinaus stießen Fischerbote zum Heringsfang; sie wogten auf und nieder auf der bewegten Fluth. Ein Blick noch zurück nach dem Thale und hinaus auf die See: jetzt nimmt uns der X führt; erst das Tannengehölze und nun der Buchwald.

Ist es ein Heiligthum, in das wir hier eintreten, und weht ein Gotteshanch uns an in diesen weiten, ernsten Hallen? Das Wort erstirbt auf den Lippen, und wie ein Gebet entquillt es der Seele. Diese Riesenstämme, einer dem andern gleich, sie stehen da wie mächtige Säulen, fest genug, das Gewölbe des Himmels zu stützen. Weiß schimmert die Rinde und glänzend unterm Dunkel ihres Blätterdaches und kleidet herrlich den hohen zierlichen Baum.

Still ist's, wie in einem Gotteshause, in dem der Gesang verklungen, dem die Menge entströmt. Der Sommer ist vorbei,die tausend Stimmen in den Zweigen hoch oben und die tausend Stimmchen tief unten im Moose sind verstummt; schon fällt hie und da ein welkes Blatt zur Erde: es naht der Herbst, wo alle Blätter fallen. Aber das Rauschen des Windes in den Wipfeln und das Tosen des brandenden Meeres beleben die heil'ge Stille;es durchzieht sie ein Säuseln, wie der Flügelschlag der ewig erschaffenden und ewig zerstörenden Kraft. Und durch die grünen Aeste schimmert hier die blaue See, indeß dort zur Linken unabsehbar weit, sich Stamm an Stämme reihet und der Blick sich verliert in tiefer Waldesnacht.

So geht es fort, bald bergan, bald bergab, immer tiefer hinein in diese endlosen Forste; jetzt weiter vom Ufer hinweg: des Meeres Rauschen verhallt in der Ferne; jetzt wieder mehr der Lichtung der Bäume zu: blau schimmert Himmel und Fluth durch das zierliche Grün. Und nun bergab auf schmalem, schlüpfrigem Pfade, hinab in eine tiefe Schlucht! Da rauscht in lautloser Waldeinsamkeit der Bach, der klare, rieselnde Quell, und benetzt mit seinem Schaume die Schachtelhalme, die dem feuchten Grunde entwachsend, ihre schlanken Stängel erheben über den Moosen und Pilzen; der Morgenhauch spielt mit den langen, haarfeinen Blättern und mit den Binsen und Gräsern am Quellenrand. Und ein zweiter Bach vereint sich jetzt lispelnd dem ersten;beide aber, ihre Wasser mischend, zieh'n rauschend über Gestrüpp und Gestein dem Meere zu, um in die große unendliche Fluth das kleine Sein zu ergießen. Und da, wo die Bäche dem Meere sich vereinen, da steht der Wanderer still und wendet rückwärts den Blick. Ein Ausruf des Erstaunens und der Bewunderung entfährt unwillkürlich den Lippen: die Kreidefelsen von Stubbenkammer! Eine mächtige Felswand, kahl und schroff und vielfach zerklüftet, ziehn sie da sich hinauf längs dem Meeresstrand; ihr wundersames Gefüge, blendend weiß und stellenweise durchzogen vom schwarzen Feuerstein, thürmt hoch sich empor über den Fluthen; zwischen den Zerklüftungen und auf den Höhen hoch oben grünt der Buchwald in herrlicher Pracht.

Aber wir kehren jetzt wieder zurück nach dem Walde, denn das Ziel ist noch nicht erreicht: unser Besuch gilt dem „Kbnigsstuhl“, der höchsten Spitze von, GroßStubbenkammer“. Und „die Pfeiler“, und „die zerklüftete Felswand“, und „KleinStubbenkammer“, und wie sie alle heißen, die schönsten Punkte des Vorgebirgs: sie müssen all' noch aufgesucht und bewundert werden an diesem Tage. Und über rieselnde Bäche und über moosbewachsenes Gestein, wieder bergan und bergab, geht's noch eine Weile fort; warm glühen der Sonne Strahlen. Jetzt aber weht ein frischer Hauch dem Wanderer entgegen; ein Augenblick noch hinauf auf schattigem Pfade und er ist oben auf der waldigen Höhe von KleinStubbenkammer. Weich breitet die Rasenbank ihren grünen Teppich vor ihm aus und ladet ihn ein, die müden Glieder auszuruhn. Und er läßt sich nieder, und er schaut hinaus und umher: vor ihm die See, ihm zur Seite der Wald. Aber wie heißt der Fels hier zur Linken, dieser mächtige Riese der Felsen, 61 der in seiner ganzen Schöne den Fluthen des Meeres zu entsteigen scheint? Es ist der Königsstuhl.

O, Königsstuhl, du wundersamer Fels, du König unter den Felsen auf Rügen! Einsam stehest du da, getrennt von deinen Genossen, die du alle überragest an Pracht und Größe! Weiß glänzt und schimmert deine Gewandung, aber die Scheitel schmückt dir der Kranz von dunkelm Laube. Stolz und kühn ragt dein Haupt empor in die Lüfte, und zu deinen Füßen brauset das Meer, auf das du, wie ein Gebieter, hinabschaust! O Königsstuhl, du einsamer Fels, bist du das Bild eines Tyrannen, den die Genossen fliehn; groß aber schrecklich im Herrschen? Oder bist du einer jener Großen, jener Herrscher im Reiche des Geistes,die, ihre Genossen überragend, unverstanden, unbegriffen, einsam dastehn im Leben; einsam, aber fest wie der Fels im Meere?

Doch von Klein-Stubbenkammer geht's jetzt, immer auf schattigem Waldweg, hinüber nach Groß-Stubbenkammer und somit nach dem Königsstuhle selbst. Hier oben auf der höchsten Spitze des Vorgebirges (409“ über dem Meer) steht unter schattiger Buche die Bank von Granit. Hier laß uns rasten und ruhen,hier, wo es so heimlich rauscht im Blätterdache der hohen Bäume,wenn tief unter der Felswand die See ihre schäumenden Wellen am Strande bricht; hinter uns die dunkeln Forste der Stubbnitz,die stillen, heiligen Haine; vor uns die glänzende See, die ewig bewegliche Fläche, bis weit in unabsehbare Ferne hinaus. Und das Säuseln des Windes, und das Branden der Wogen zum Schlummerlied wird es, zum süßen: die Wirklichkeit sinkt dabei in Schlaf mit all' ihren Sorgen und Freuden. Und an die Ruhende hin tritt jetzt aus dem Reiche der Träume die Sage.Hier auf dem Königsstuhl, welche Bilder entrollt sie dem Blicke!Bilder aus alter ferner Zeit. Dort unten am Meere der Waschstein! Hast Du gehört die Sage von „der Jungfrau am Wasch-stein bei Stubbenkammer“:

Es geht von Mund zu Munde, es geht von Jahr zu Jahr Von Störtebeck die Kunde und seiner schwarzen Schaar,Von Stöortebeck, dem frechen, dem wilden Räubersmann,Den Jeder noch auf Rügen allnächtlich schauen kann.Am Strand der Stubbenkammer, da stehen, hoch und hehr,Die Felsen, weiß und glänzend, und starren in das Meer,Und tief in ihrem Schooße, tief unter Sand und Kies,diegt eine dunkle Höhle, ein tiefgeheim Verließ.

Da hausete vor Zeiten ein Räuber weltbekannt,

Mit seinen Raubgenossen, der Störtebeck genannt;

Der schloß in diefer Höhle, versteckt von Busch und Stein,Zu den geraubten Schätzen die schönste Jungfrau ein.Es hat der böse Räuber zu langem Herzeleid

Weit her aus fernem Lande gebracht die holde Maid;Und als er sie verborgen in Höhlennacht und Graus,Da stieß zu neuem Raube er in die See hinaus.

Von diesem Zuge aber kehrt er nicht mehr zurück;Verlassen hat ihn endlich sein langes Räuberglück:

In Hamburgs fernen Mauern bereit die Richtstatt war Für Störtebeck, den Räuber, und seine Räuberschaar.Wohl trieb stets Well' um Welle nach Rügens Küst' das Meer:Bringt keine denn zur Stelle den Retter ihr daher,

Der holden Maid, der Jungfrau, in tiefem Bergesschacht?

Soll zu des Grabes Dunkel ihr grau'n die Todesnacht?

Und Jahre sind vergangen, gekommen zu entflieh'n,Entfloh'n und neu gekommen: die Zeit, sie rauscht dahin.Ein Schiffer, nah dem Strande, zieht seine Netze ein;Es glänzen Meer und Lande im hellen Mondenschein.

Da neigt, so sieht's der Fischer, zur Meerfluth sich am Strand Ein Frauenbild, gar herrlich, wie er noch keines fand,Und taucht mit leisem Weinen tief in die Wasserfluth Ein schneeweiß Tuch, beflecket von dunkelrothem Blut,

Und wascht, und wascht: der Flecken, er ist und er bleibt roth.

Der Fischer faßt ein Herz sich, spricht grüßend: „Helf Dir Gott,Du schöne Maid! Was treibst Du beim blassen Mondenschein Am grausen Meeresstrande um Mitternacht allein ?“

Und nach den Kreidefelsen die Jungfrau schwebt hinauf Und winket mild dem Fischer zu folgen ihrem Lauf:„Weil Du Gott helf gesprochen, so ist gelöst der Bann;Du aber sei zur Stunde ein reichbelohnter Mann!“Und nach dem Höhlendunkel zieht fie ihn mit sich fort,Den Fischer, und mit Schätzen füllt sie den Krug ihm dort;Doch wie er dankend fasset nach ihrer weißen Hand,

Hört Ruderschlag er tönen vom nahen Meeresstrand:Ein Schiff mit schwarzen Wimpeln, ein schwarzes Todtenschiff,Kommt rauschend hergezogen zum weißen Felsenriff;

Des Schiffes Mannschaft aber, ein grausig dunkler Schwarm,Trägt, schwarz umhüllt, ein Jeder sein eigen Haupt im Arm;

Und ohne Wort und Laute allnächtlich zu der Stund'A Denn Störtebeck der Räuber, zu steter Straf' und Plag',Mit seiner Schaar muß zählen bis an den jüngsten Tag.

Die Jungfrau aber führt jetzt zum Kahne still zurück Den reichbeschenkten Fischer. Und wie sein scheuer Blick Noch einmal nach ihr spähet, sieht er im Mondlicht mild In Glanz und Duft zerfließen ein duftig Nebelbild.

Stundenlang ließe sich's weilen hier oben auf dem Königsstuhl, und jede Tageszeit böte neuen und verschiedenen Reiz; denn herrlich sind die Beleuchtungen von hier aus betrachtet, und ob im Glanze der Mittagssonne, ob im Abendglühen, ob beim blassen Lichte des Mondes, oder in dämmernder Morgenfrühe, bevor noch die Sonne emporsteigt über den Wassern: schön ist sie immer, die See, schön sind die Kreidefelsen, und ein Hauch weht hier oben durch die ganze Schöpfung, heilig wie ein Gebet, minniglich wie ein Liebeslied, und süßklingend wie ein Gedicht.

Doch wenn wir so dasteh'n und über die Brüstung hinab seh'n,tief hinab nach dem Meeresufer; wenn die Menschen, die dort unten wandeln, uns erscheinen wie Kinder, und die Granitblöcke im Wasser wie unbedeutende Steine: dann faßt uns ein Verlangen, selbst dort unten zu weilen und hinauf zu schau'n nach den Felsen, auf deren Häuptern wir wandeln. So zog denn auch meine Reisebegleitung hinab nach dem Strande. Ich folgte von ferne, denn das niedliche ‚ Schweizerhaus“, das Gasthaus auf Stubbenkammer,inmitten seiner dunkeln Bäume, die hübschen Parkanlagen, so ernst und geheimnißvoll mit ihren verborgenen Lauben, ihren schattigen Ruheplätzen, sie fesselten mich länger, und später erst folgte ich nach.

Ein zierlicher Pfad, theils auf Stufen, theils auf festgetretenem Sand und Kies, führt nach dem Strande hinab. Ich verfehlte ihn aber und gerieth in's Dickicht, in die tiefe Buchwaldung hinein, welche hier auch auf abschüssigem Grunde die hohen Stämme gen Himmel treibt. Unter den Füßen rauschten die dürren Blätter,die den Boden bedeckten, indeß das grüne Laub der Wipfel die Sonnenstrahlen nur spärlich durchließ: es war still und dunkel im Walde und ich allein. Da erklang eine liebliche Stimme und rief mich nach der Quelle hin, die ich jetzt deutlich rauschen hörte,und wo auch der von mir verlassene Pfad. Ich folgte, und vor mir stand eine schöne Frau. Die hohe, schlanke Gestalt, das blonde, zierliche Haar, das, mit weißen Blumen geschmückt, in breiten Zöpfen die weißen Schläfe umfieng, indeß der Locken Fülle wie eitel Gold darüber hinab wallte, der Glanz der blauen Augen,der Schmelz der rosigen Wangen, dazu die Gewandung, die der Formen Reinheit in ihrer ganzen Schöne zeigte: im Land der Sagen und der Dichtung, in Rügens Buchenhainen, am Quellenrande diese Erscheinung ist es ein Wunder, daß ich wähnte,eine jener nordischen Gottheiten zu erblicken, vielleicht Hertha selbst, die Göttin der Erde? Und doch war es ein Menschenkind,das zu mir sich gesellte, aber darum nicht minder eine holde Erscheinung und mein guter Genius zugleich, denn die schöne Frau führte mich zurück auf den richtigen Weg. Am Quellenrand, der Golchaquelle, reichten wir uns die Hand zum Abschied und „auf Wiedersehen“: sie stieg vom Meeresufer nach den Wohnungen hinauf; ich stieg von denselben hinab nach dem Strande.

Der Strand willst Du ruhen, o Wanderer, an herrlicher Stätte, so wähle den Strand bei Stubbenkammer. Dort setze Dich 65 auf einen der Granitsteine, die das schäumende Meerwasser bespult; winde einen Kranz Dir von Seetang, vom Geäste der Meereiche, einen dunkel- und hellbraunen Kranz, ja, auch das rothe Gezweige ist zierlich; betrachte den laubartig ausgebreiteten Stamm mit seinen wundersamen Luftbläschen, und lege den Kranz zu dem ebenso wundersam geformten Kreide- oder Feuerstein, den Du zur Erinnerung Dir mitnimmst; dann aber laß Stein und Seetang und blicke noch einmal hinauf nach den Kreidefelsen, noch einmalkhinaus auf die See! Ruhig wogen dort in der Ferne die mächtigen Segler, die Dreimaster, und thürmen ihr stolzes Gebäude hoch in die Luft; ruhig treiben die Wellen an's Ufer und wieder zurück in die Weite; ruhig zieh'n die schneeweißen Wölkchen über den Wald hin: ruhig Himmel und Erde und auch das oft so stürmisch bewegte Menschengemüth. Jetzt ertönt der schrille Laut eines Seevogels; er fliegt auf dort und taucht unter. Hat er die Beute erhascht? Du grausamer Würger, warum erinnerst du den ruhigen, glücklichen Beschauer daran, daß überall Kampf und Vernichtung!

Aber von freundlicher Seite wurde ich nun erinnert, daß von den Wallfahrern nach der Stätte der Sagen und der Mythen dem Herthasee und seiner Umgebung noch ein Besuch zugedacht sei. Und die Sonne, immer mehr und mehr dem Westen zuneigend, ließ diese neue Pilgerfahrt freilich nicht länger aufschieben. Wer wollte auch Stubbenkammer besucht haben, ohne den Herthasee, die Herthaburg, die Opfersteine gesehn zu haben,Stätten, an die so wundersame Sagen sich knüpfen? Und wenn auch Tacitus in seiner Germania freilich nur erzählt, daß auf einer Insel der Ostsee in einem heiligen Haine die Göttin Hertha leigentlich Nerthus) von den Germanischen Völkerschaften verehrt werde: wer wollte nicht, und wäre es nur auf Augenblicke, indem er die Stätte besucht, die ihm als die geweihte bezeichnet wird,wer wollte nicht gerne annehmen, daß sie es wirklich sei, und dem Zauber ihres Einflusses auf das Gemüth sich hingeben, da,wo das Traditionelle so schön in den Rahmen der Wullihteit paßt?So gieng es denn wieder strandaufwärts und den Wirthschaftsgebäuden zu. Dort schloß sich der kleinen Gesellschaft auch die schöne Frau von der GolchaQuelle an mit ihrer Begleitung.Und nun zogen wir aus, die Opfersteine aufzusuchen, an denen vorbei der Weg nach dem Herthasee führt, wieder ein zierlicher Pfad durch die weiten, ernsten Forste.

Und da, im Dunkel des Waldes, liegt der eine dieser steinernen Altäre, wo das rauchende Menschenblut als ein der Gottheit wohlgefälliger Opferrauch galt, und das Sterberöcheln des Geschlachteten, die göttlichen Ohren zu ergötzen, nach den Wipfeln der heiligen Buchen stieg. In diesen Stein ist eine Rinne eingegraben; an seinem Fuß steht eine Schaale, in die das Blut des Opfers floß. Heute schmückt Moos mit seinem grünen Teppich den Stein, und Epheu rankt lebensfrisch an ihm empor. Wenige Schritte von diesem ersten liegt der zweite Stein. Eine größere und eine kleinere Vertiefung sind darin sichtbar: die Abdrücke eines Mädchenfußes und eines Kinderfüßchens. Sinnend stehen wir da an dem Steine und hängen der Sage nach von Wunna, der Herthapriesterin, die das Gelübde gebrochen und irdischer Liebe Raum gab im Herzen, das sie, gezwungen durch des Vaters Willkühr, nur göttlicher Liebe zu weihen gelobt. Und wir sehen im Geist, wie der zürnende Priester, der wohl von? dem Verbrechen wußte, nicht aber den Namen der Schuldigen auskundschaften konnte, alle Herthajungfrauen aus dem Tempel in den Wald hinaus führt, und, die Schuldige zu entdecken, eine Jede nackten Fußes den Opferstein betreten läßt; sehen, wie der Stein aber makellos bleibt, bis Wunna, die jüngste und schönste von Allen,ihn zitternd betritt: von jener Stunde an trägt der Stein diese Fußspuren! Und Wunna, dem Tode geweiht, steht vor uns die blasse Priesterin mit dem dunkeln Blätterkranz im Haare. Wir lauschen, lauschen am Opferftein ... ein klagender Laut zieht durch die alten Buchen. Ist es der Windhauch? Zwei Raben fliegen jetzt krächzend auf aus dem Dickicht und der Lichtung des Waldes zu. Dort liegt der Herthasee; sein stilles, dunkles Gewässer,bestrahlt von der sinkenden Sonne, schimmert bbutxoth durxch die Zweige. J Aber die Herthaburg ladet uns ein zum Besuche, bepor wir den Hain noch verlassen: mitten in dessen heiligen Schatten ein mächtiger Erdwall, der mit seinen Wänden einen runden Platz umschließt, zu dem ein schmaler Eingang führt. Wir wandeln still herum auf den Wällen; ein Tempel, eine Burg scheint uns wirklich dieser weite, stille Raum, dessen Wölbung die hohen Wipfel der alten rauschenden Buchen bilden. Geheimnißvoll, schier grauenhaft aber weht es uns an an dieser einsamen Stätte, und aus dem Dunkel hinaus treten wir jetzt an den See. *

Ueber seine ruhige Fläche säuselt der Abendwind und bewegt leise das dunkle Gewässer; weiß schimmern, von seinem Hauche berührt, die Blätter der Pappeln und Weiden, die rings den See umkränzen und das schwankende Haupt in den gekräuselten Fluthen jpiegeln. Im Schilfrohr taucht das Wasserhuhn unter, erschreckt vom Fuße des Wanderers, aber nach dem Wipfel der Erlen fliegt kreischend der Reiher auf und wiegt im Abendroth die silbernen Schwingeu.

Lange Schatten schweben jetzt über den Wassern, und in des Waldes Hallen herrscht dunkle Nacht, die je mehr und mehr über die Gefilde sich verbreitet. Doch sieh! welch' seltsame Flamme dort drüben am andern Gestade des Sees! Erst eine, dann zwei,jetzt drei und viere und noch mehr! Siehl wie sich neckend in toller Jagd, huscht eine der andern nach, bald über den Wassern schwebend, bald wieder längs dem Gestade. Bläulich-weiß ist ihr Schein; er gleicht schier dem Glanze des Mondes: Irrlich ter sind es, „die Seelen Derer, die ohne die christliche Taufe gestorben;sie müssen bis zum jüngsten Tage am Wasser herumirren.“ Ach,wie viele Seelen sind vielleicht hier unten begraben auf des Sees Grund, Seelen Derer, die ohne christliche Taufe aus dem Leben schieden!Arme Sklaven, die ihr genöthigt wart, den Wagen der Göttin der Erde, nachdem sie auf demselben durch's Land gefahren, gezogen von den zwei jungen Kühen, gefolgt von den Priestern, dem Volk zu 68 Lust und Friede die ihr genöthigt wart, diesen Götterwagen hier in des Sees Fluthen zu waschen! Ihm entstieg Hertha, die Mutter aller Dinge, zu neuem Leben und Schaffen; euch aber verschlang der See, euch wurde zum Lohne der Tod in seiner bodenlosen Tiefe. Sind es eure Seelen, die am Wasser dort herumirren?

Und von den irrenden Seelen und von den Wassern hinweg,in die hinein wir im Geiste den Götterwagen begleitet, wandten wir uns ab und suchten die eigenen Wagen auf, die zurück uns nach Saßnitz bringen sollten. Durch Nacht und Grauen, durch des Waldes schwarze Tiefen gieng's nun dahin mit den eilenden Rossetn, oft steil und schaurig bergab auf steiniger, unwegsamer Bahn. Wir waren schweigsam: die Eindrücke des Tages, die Schatten der Nacht stimmten uns ernst, nachdenklich. Oft aber,wenn an Stein und Baumstrunk die Räder zu zerschellen drohten,fühlte ich eine weiche, weiße Hand die meinige erfassen und wie ängstlich drücken: es war die Hand der schönen Frau, die an meiner Seite saß und Namen und Wohnort mir jetzt nannte: wenn denn auch keine nordische Gottheit, doch immerhin ein Kind des Nordens.

XIII.

Es wechseln mit den Zeiten die Begriffe

Was gestern einer Welt als Wahrheit galt,Belächelt heute eine Welt als Wahn.

Der Götter Tempel liegen dort in Trümmern,Und sieh! auf den geborst'nen Stein gebaut,

Ein Kirchlein nach der blauen Meerfluth schaut.Die Glocken läuten, und nach seinen Hallen

Die frommen Christenbeter gläubig wallen. Es rauscht die Zeit daher, dahin; ihr Hauch,Wer weiß, wie bald, zerstört dies Kirchlein auch. Doch über Schutt und Moder ewig kreist

Der ewig wandellose Gottesgeist,

Und reiner wird aus der Vernichtung Wehen

Und größer stets sein Tempel auferstehen.

Wie heißt der Thurm dort am äußersten Ende der deutschen Erde? Leitend und warnend strahlt sein Licht hinaus in die See.Einsam steht er da auf der zerklüfteten Felswand, dem Kreidegestein der nördlichsten Küste Rügens, und blickt herab auf das tobende Meer zu seinen Füßen und hinaus in die Ferne. Kein Baum, kein Strauch stört diesen Blick; kahl und öde ist ringsum der Erdkreis: auf Wittow's sandigem Grund grünt der Wald nicht mehr. Dieser Thurm ist der Leuchttthurm von Arcona,dem Vorgebirge der Halbinsel Wittow, die mit Rügen nur verbunden durch die schmale Landzunge, die Schaabe genannt, ein 2ru/, Stunden langer Erdstrich, gebildet aus Meersand, öd und kahl, wie Wittow selbst. Und doch ist dieser unwohnliche Landstreifen, diese schmucklose Halbinsel, dies Land der Dünen und der Sandflächen, das von dem Pfade dicht am Ufer des Meeres aus hetrachtet, dem einsamen Wanderer wie eine Wüste erscheint, „der Kornboden Rügens“, dessen Waizen berühmt ist.

Und der Leuchtthurm, du siehst ihn von weit her, siehst ihn von der dänischen Küste drüben, siehst ihn vom fernen Süden der Insel Rügen, wie von Hiddensee aus. Und wie er dem Schiffer als Wegweiser dient auf der pfadlosen Fläche, so winkt er dem Wanderer zu und ladet ihn ein in seiner Nähe zu weilen und sich erzählen zu lassen von Arcona, der alten Heidenveste, die bis gegen Ende des 12. Jahrhunderts eine so bedeutende Rolle gespielt in der Geschichte, deren Einnahme so oft vergebens versucht worden in den blutigen Kämpfen der wendischen Rügianer gegen die sie bekriegenden Danen, bis es endlich der eisernen Willenskraft König Wal demar's J. und seines ebenso ausdauernden Feldherrn,Bischof Absalon von Roes kilde, gelang, diese tapfere Veste zu bezwingen (1168). Die feindlichen Anstrengungen begünstigte eine in der Veste ausgebrochene Feuersbrunst.

Und der Burgwall, dessen Reste unweit des Leuchtthurms noch sichtbar! such' ihn auf, diesen alten Wall, bevor noch das hier zerstörende, dort aufbauende Meer, bevor Regenguß und Erdsturz seine Spuren gänzlich vertilgt, Spuren, die diesem Wühlen der Elemente Jahrhunderte schon trotzen, wie einst die Veste dem Anprall der feindlichen Menschengewalt fortdauernden Trotz bot.

Dieser Wall trug mit der Veste Arcona auch den berühmten Tempel des Swantewit (heiliger Streiter), des weithin gefürchteten Gottes der Wenden, des Lichtgottes, von dem alle Seelen ausglengen und zu deu sie durch stufenweises Aufsteigen wieder zurückkehrten. Sein Tempel, inmitten der Veste, war, wie das Bild des Gottes selbst, aus Holz gebaut. Er ruhte auf vier Säulen und hatte sein Allerheiligstes, das eine Vorhalle umgab. Diesen geweihten Raum betrat allein der Hohepriester. Dort stand die riesige Bildsäule des Gottes mit Schwert, Sattel und HZaum:auf vier Halsen saßen vier Köpfe; vier Gesichter blickten nach vier verschiedenen Richtungen hin, die Allgegeuwart und Allwissenheit des Gottes bezeichnend. In der Rechten hielt er ein großes, metallnes Horn; die Linke war gekrümmt gegen die Hüfte gestemmt.Auf einem hohen Thurme neben dem Tempel flatterte die Stanniza,das Banner des Gottes, das bei Kriegszügen dem Heere vorangetragen wurde. Bei wichtigen Entscheidungen diente das dem Gott geweihte heilige weiße Roß als Orakel: vom Hohenpriester geführt, war, je nachdem es den rechten oder den linken Fuß zuerst vorsetzte, die Bedeutung Glück oder Unglück. Den Glanzpunkt aber des Swantewitcultus bildete das alljährliche Erntefest. Aus weiter Ferne strömte die Menge herbei, um dem Gotte zu huldigen;selbst benachbarte Christenfürsten suchten durch Opfer die Gunst des gefürchteten Heidengottes zu erkaufen.

Und Gott und Tempel wurden ein Raub der Flammen, als Arcona in der Feinde Hand fiel. Und wie die Rügianer ihren Gott brennen sah'n, von dem sie so zuversichtlich erwartet, daß er fie retten würde, da wankte ihr Glaube und mit ihm ihr Muth;ihre Macht war gebrochen: ohne Widerstand fiel auch die alte und mit ihr zugleich giengen auch die übrigen Götzenbilder zu Grunde. Und die Bewohner von Rügen wurden endlich Christen.

Sinnend stehst Du da auf den Trümmern des Burgwalls von Arcona, o Wanderer, sinnend zurück nach alter Zeit und hinaus nach kommenden Tagen. Und vom Thurm her schlägt die Uhr, dumpf und tief: die Stimme der scheidenden Minuten,die dem Einen das Leben, dem Andern den Tod bringen in unaufhaltsamem Lauf.

Auch für uns trieb die Zeit dahin, „unaufhaltsam, unablässig“,und brachte zu den andern Stunden auch meine Scheidestunde.Wohl bot Rügen des Sehenswerthen noch Manches, von Arcona an bis hinab nach Putbus und hinüber nach Mönchguth, der Halbinsel, wo die Sitten so eigen, die Trachten so fremdartig und das Wesen der Einwohner so ernst ach, stets der Willkühr des Elementes ausgesetzt, das sie zu bewältigen haben, Fischer und Lootsen, und abgeschlossen von der übrigen Welt, wie sollte der Sinun da nicht ernst, das Wesen nicht eigenthümlich werden? wohl winkte von seinem Tempelberge“ herab nach Saßnitz hinuber das Ja gdschloß (des Fürsten von Putbus), dieser herrliche Bau mit Thürmen und Wartthum, umgeben von den dunkeln Waäldern der Granitz, mit seiner weitberühmten Fernsicht, seinen kunstvollen Gärten, seinem Wildpark mit allꝰ den zierlichen Ruhe 72 plätzen, von denen ein Jeder die Landschaft in schönem Bilde vor dem Beschauer, bis in die blauesten Fernen ausgebreitet zeigt, Land und Meer, den ganzen, weiten Plan; wohl lud es ein, zu gemeinsamen Ausflügen, zu Wasser, zu Wagen und zu Fuße. Aber mich trieb es nach bekannteren, mir lieb gewordenen Räumen zurück:alle Jagdschlösser und Schlösser, alle Häuser überhaupt, sind eben nur kalte Steinmassen für den Fremden, die fremd ihn anstarren,wenn er, an ihnen emporblickend, sich vereinsamt fühlt in der weiten Welt. Denn nicht die Räume, aber die Menschen machen das Haus, ob hoch, ob niedrig, duns zur Heimath.

Wehmüthig nahm ich freilich den Abschiedsstrauß in Empfang,den liebe Hand mir so sinnig gewunden, den Strauß von weißen Rosen, dem dunkeln Laube des Coleus und den silbergrauen Blättern der Centaurea, wie sie in letzter Stunde mir ihn bot, die schöne nordische Frau.

Allein fuhr ich nun von Saßnitz aus den weiten Weg nach Putbus hinüber. Es war an einem Herbstnachmittage, wo der Sommer noch einmal versuchte, sein Recht geltend zu machen:schwarze Gewitterwolken standen am Himmel, und ferner Donner rollte dumpf und hohl zu dem Rollen des Wagens; im Westen am Horizonte theilten die Blitze, als glühende Schlangen, die Wolken, indeß die Sonne noch mit hellem Schein die nächste Umgebung beleuchtete: die Häuser von. Crampas, die Lankener Waldungen und weiter hin, bei Mucran, dem einsamen Dorfe,die Hünengräber. Jetzt aber zieht eine Wolke an der Sonne vorüber; ein dunkler Schatten fällt über die Grabstätten ein Flor über die Begrabenen.

Wie öd und traurig wird nun die Landschaft hier drüben!Immer näher dem Meere zu führt die Straße an den Häuseru von NeuMucran vorbei: das kleine Fischerdorf liegt schier hart an der See. Seine wenigen, unscheinbaren Dächer lassen es kaum den Namen eines Dorfes beanspruchen. Und nun weilt der Blick lange, lange auf der See, denn die Straße führt meilenweit der Küste entlang; ihr Branden mischt seinen dumpfen Ton mit dem des fernen Donners. Noch glänzen, vom Sonnenscheine bestrahlt,die grünen Gestade der Granitz, der waldbewachsenen Küste, und der Thurm des Jagdschlosses und die Inseln und Halbinseln bis weit in unabsahbare Ferne. Aber die Wogen der See sind tiefblau, ja schwarz oft, als drohte das grause Element mit nahem Verderben, und der weiße Schaum, der sie umrandet, mildert nicht ihr ernstes Aussehn. Was soll ich noch lange reden von dem drohenden Antlitz des Meeres, von den drohenden Gewitterwolken,von Feld und Acker, die einförmig längs der Küste meilenweit sich hinziehn? Es war eine ernste, freudlose Fahrt.

Jetzt führt der Weg wieder in den Wald, und jetzt lenkt er ein in die schmale Haide, diese Landzunge, welche die Halbinsel Jasmund mit Rügen verbindet, und, ein schmaler, weißer Gürtel,zwischen dem Prorer Wiek und dem kleinen Jasmunder Bodden sich hinzieht; niederes Strauchwerk, Ginster und Strandhafer entwachsen dem sandigen Grunde.

Das Gewitter hatte sich indeß verzogen; goldumsäumte Wolken trieben vom Westen her nach dem tiefblauen, dunkelnden Osten hinüber und spiegelten auf ihrer luftigen Fahrt die geisterhaften Formen in den Wassern der kleinen Bucht, die, ein regungsloser See, zur Rechten sich dehnte, indeß zur Linken Well um Well der großen Wasserfläche brandend an's Ufer schlug.

Aber die schmale Haide läuft aus in die weiten Forste von Putbus, die stundenlang sich erstrecken, bald als stolzer Hochwald,bald als niederes Gestrüppe. Unerschrocken grasen hier zwei Rehe am Wegesrand, indeß ein Rudel dort mit flinkem Sprunge über die Koppeln setzt und aus den Büschen ein Schwarm wilder Enten auffliegt;der heisere Ruf des Zugführers dringt zu mir herab aus den Lüften.

Immer dunkler wurde es auf den Fluren, immer undeutlicher erschienen die Gegenstände, die sie belebten oder schmückten.Eines aber war deutlich und klar: die Straße führte jetzt durch lange Baumalleen, und wenn der Mond durch die Zweige drang,konnte man das zierliche Laubwerk und die schönen Formen der Aeste betrachten. Jetzt aber glänzten die Lichter von Putbus in der Ferne, glänzten auch bald näher und näher, und endlich hielt der Wagen vor dem Hause, das, Dank der freundlichen Worte,die mich dort einführten, mich auf's freundlichste aufnahm.

Ein wolkenloser Himmel wölbte sich über Putbus bei meinem Erwachen; ein Morgen stieg empor über der Meerfluth, ganz geeignet, der kleinen Fürstenstadt als Leuchte zu dienen, um ihren Glanz und Schimmer zu enthüllen. Es war alles harmonisch,alles stimmte und paßte, und man wußte nicht, war es der helle Morgenschein, der die Stadt so verklärte, oder war es die glänzende Stadt, die dem Morgen diesen Glanz lieh. Putbus ist schön, ist zierlich. Es ist die Residenz des Fürstenthums Putbus,das seine Besitzthümer auf Rügen weit ausdehnt. Schloß und Park stammen aus alter Zeit her; die Geschichte des Fürstenhauses reicht hinauf bis in's 13. Jahrhundert. Die Stadt aber trat erst im Jahre 1810 in's Leben. Sie verdankt ihr Entstehn dem Fürften Malte zu Putbus, der die ersten Häuser für Colonisten erbauen und acht Jahre später auch das Bad daselbst errichten ließ. Die kleine Stadt zählt kaum 2000 Einwohner,zeichnet sich aber durch besondere Zierlichkeit aus: die Häuser sind hoch und breit, in gewähltem Style erbaut, nach Vorschrift alle weiß ausgeputzt; es zieren sie Terrassen und Gärten. Die wenigen breiten Straßen führen alle nach dem großen fürstlichen Parke hinaus, der, ein Schmuck der Stadt und Landschaft, seine dunkeln Kastanien und Lindenalleen weithin erstreckt. Ein reges Leben herrscht zur Sommerszeit in der kleinen Stadt: Putbus ist ein vielbesuchter Badeort und eben so sehr besucht von Reisenden aller Weltgegenden, die von da ausziehn,, die schönsten Punkte der Insel Rügen aufzusuchen.

Nicht will ich sie alle näher beschreiben, all' die Sehenswürdigkeiten von Putbus; der Besucher wird sie leicht auffinden:das neuerbaute Schloß, das über den Trümmern des im Jahre 1865 niedergebrannten alten Schlosses seinen stolzen Bau erhebt,sein Marstall, seine Orangerie, sein Park mit den langen, schattigen Laubgängen, der Küchengarten mit den Springbrunnen und der Terrasse, deren Fernsicht auf das Meer so wundervoll, der Wildpark und die Fasanerie; dann der Circus mit seinem schönen,runden Platze, den der Obelisk ziert; das Pädagogium, dieser weite, stattliche Bau, das Schauspielhaus, und all' die großen und kleineren Gasthäuser, und wie sie alle heißen die Häuser und Plätze, deren Gesammteindruck Putbus wirklich als zierliche kleine Stadt erscheinen läßt leicht findet der Besucher sie auf. Und hat er sie sattsam beschaut, die Stadt, und ist er lange genug herumgewandelt in den breiten Straßen, den schattigen Gängen, den duftenden Gärten und auf den großen Plätzen, dann wandle oder fahre er, ihr ein letztes Lebewohl zuzuwinken, auf der zierlichen Straße nach Lauterbach, dem Landungsplatze von Putbus,hinab, der eine halbe Stunde von der Stadt entfernt liegt.

Schon wimmelt es dort unten von Menschen aller Art:Reisende, die des Dampfers harren, der sie hinab tragen soll nach Greifswald, das auf diesem Wege in 3 Stunden zu erreichen;Kurgäste, die den linkshin von der Landungsbrücke liegenden Badehäusern zuwandern; Wagen und Pferde, Nachen und Kähne,Kutscher und Schiffer, ein bewegtes Leben am Strande, das Lauterbach als vielbesuchten Landungsplatz bezeichnet. Und zu dem Laufen und Rennen, dem Rasseln der Wagen, dem Klirren der Ketten der Bote, zu dem Rufen der Männer und dem Plaudern der Frauen noch das Tosen des Meeres; denn ziemlich bewegt wogt heute die See.

Und der Dampfer nimmt sie jetzt alle auf, die Passagiere,die von der großen Landungsbrücke aus seinem Verdecke zueilen,die einen hastig, die andern voll Ruhe, je nach ihrem Wesen. Und Gepäcke und Waaren und Alles, was mit soll, wird hinüber geschafft ein reges Treiben am Strande. Ein Augenblick noch,und es pustet der Dampf,“es dreh'n sich die Räder und theilen mit starken Armen die Fluth, die weißschäumend aufspritzt an die Flanken des Schiffs.

Schön erscheint Putbus dem Wanderer, wenn er an seinen glänzenden Häusern vorbeizieht; schön aber auch vom Kiele des Schiffes aus betrachtet, wenn von grüner, stolzer Anhöhe herab die den, wenn hinter dem Städtchen der Wald grünt und vor ihm die See blaut, wenn links am Strande seine Badehäuser den zierlichen Bau im Wasser spiegeln, rechts jetzt Sand und Dünen,jetzt Feld und Acker, und Höhen und Ebenen, und Kirchen und Schlösser, das ganze weite Rügen'sche Land, in wechselnden Bildern an dem Beschauer vorüberzieht, bis Putbus, die lachende Stadt auf der Höhe, und hoch oben im Norden die ernste Kreideküste je mehr und mehr in den Fluthen verschwimmen, indeß das grüne Vilm, die Insel mit dem Urwald, und das blaue Mönschguth noch vor ihm sich dehnen, bis zuletzt auch sie entschwinden,und nur noch die unendliche See, vom Winde bewegt, jetzt immer höher und höher treibt, der Blick aber, durch nichts mehr gegefesselt, allein an ihrem Bilde noch haftet. Und welch' ein Bild!

Erst wenn das Land ganz entschwunden, erst wenn nach allen Seiten hin mnur Wasser und Himmel, oben das unendliche Luftmeer, unten die endlose Wassertiefe, erst dann zeigt das Meer jene Farbe, die so oft gemalt, so kviel besungen und beschrieben, und doch nie wiedergegeben wird, ganz wie sie ist jenes dichte und wieder so lichte Grün, das von seinem glänzendsten Hell bis in's dunkelste Grau, ja, bis in's Schwarze übergeht, womit die weiß beschäumten Wogen gefärbt sind, die jetzt, eine über die andere sich thürmend, als brausende Fluth daher rollen, um da, wo Widerstand ihnen entgegentritt, zu zerschellen. Ich stand an der Spitze des Schiffes und blickte hinaus und hinab auf diese rollenden Hügel; der Wind blies scharf und jagte den einen über den andern hinaus, ein prächtiges Jagen und ein so gewaltiges Sausen, daß man nur mit Müůhe sich festhielt am schützenden Holze. Da zerschellt am Kiel eine Welle;ihr weißer Gischt schlägt, ein Regenguß, auf's Verdeck und benetzt,was darauf ist. Ich nahm ihn heiter entgegen, diesen nassen Gruß des nassen Elementes, und gedachte freudig erregt im Hinblick auf die wogende See, beistimmend der Worte Dessen, der, 77 seinen Reiseplan mir überreichend, gesagt hatte: „Behalten Sie diese Fahrt auf der See für zuletzt. Das Ende muß immer das Ganze krönen, und ich glaube, Sie können kein schöneres Ende wählen als diese Meerfahrt.“

Er hatte Recht: sie war das Letzte, aber auch das Schönste dieser Tage; doch, wie alles Schönste,“ von kurzer Dauer nur.Rasch flog die Zeit dahin! Schon stiegen die fernen Umrisse einer Küste aus den Wassern; schon zeichneten sich grüne und weiße Streifen auf ihrem Grunde, Wald und Dünen, und aus dem blauen Duft glänzte golden die Spitze eines Kirchthurms und jetzt noch eines: Greif swald ist's, das dort unten im Süden aus den Fluthen empor taucht; seine Kirchen glänzen im Mittagssonnengold. Noch eine kurze Weile durchschneidet der Kiel die mählig auch farblos. Jetzt nähert das Schiff sich dem Hafen von Greifswald, dem Dorfe Wieck; der alte Wartthurm und die Spitzen der Windmühlen ragen über den rothen Dächern der Häuser empor. Dort drüben aber am andern Ufer des RysckFlussses, der bei Wieck in die See sich ergießt, steht ernst und grau die Ruine im Sonnenschein, die Ruine von El dena, dem einstigen Kloster, wo jetzt die. landwirthschaftliche Hochschule zu Greifswald. Im Jahre 1207 gegründet, war Eldena ein reiches,mächtiges Kloster, dessen Abt Greifswald erst im Jahre 1233 errichten ließ, als Marktplatz für die Erzeugnisse der weiten Besitzungen des Klosters. Die Stadt, nachdem sie sich von der klösterlichen Herrschaft frei gemacht (1250) blühte empor als bedeutende Hanssestadt. Ihre Kirchen wurden gegen Ende des 13. Jahrhunderts erbaut; ihre Universität 1456 gegründet.

Jetzt fährt das Schiff aber ein in den Hafen, und, den RyckFluß hinab, auf den stillen, tiefen Wassergraben nach der eine Stunde vom Meere entfernten Stadt Greifswald. Und wiederum eine kurze Weile, und der Fuß betritt Pommer'sche Erde.

Dort, in Greifswald, tritt denn auch wieder Carlsburger Freundlichkeit mir in wohlbekannten Zugen entgegen: Doctor W.nimmt mich daselbst in Empfang. Eine Stunde Eisenbahnfahrt noch, eine halbe in dem auf uns haxrenden Wagen, und Carlsburgs schützendes Dach wölbt sich über dem Wanderer, der, reich an vielfachen Eindrücken und schönen Erinnerungen, zurückkehrt,vergnügt die Herzlichkeit erwiedernd, mit der er allseits begrüßt wird.

Da gab es viel zu erzählen, viel zu fragen und zu beantworten, Vieles zu schildern. Und wenn es dem Wanderer nicht gelingt, die Schönheit von Stubbenkammer würdig zu zeichnen,so weist er auf ein Blatt hin im Schlosse Carlsburg. Dort ist sie gezeichnet, die Küste ohne Farbenschmuck; schwarz auf weißem Grunde bloß. Aber was dem Beschauer entgegen weht von dem Bilde, von den kahlen Riffen, den dunkeln Buchen, der unendlichen Meerfluth, über die die Möve kreist: es ist der Geist der Landschaft, der große, ernste Geist, wie er den Wanderer ergreift an jener Stätte; wie er auch Die ergriffen haben mag, die dies Bild entwarf, die reichbegabte, künstlerische Frau. Sollte ihm jedoch gelungen sein, Manches richtig zu erzählen und genaun zu berichten, so dankt er es zumächst seinem hochverehrten Lehrer in Carlsburg, der in ffreundlicher Vorsorge ihm aus dem Gebiete des Thatsächlichen und Oertlichen Das an die Hand gab, wessen er bedurfte, um seiner Erinnerung nachzuhelfen. Das Gemüth nimmt die Eindrücke auf, je nach seiner Beschaffenheit, und strahlt,dem Spiegel gleich, ohne Weiteres sie zurück, wie es sie empfangen; das Gedächtniß aber bedarf oft der Nachhülfe, soll dem vom Bemüthe Aufgenommenen der richtige Ausdruck verliehen werden.

Es sei mir gestattet, hier am Schlusse meiner Reisebilder diese Nachhülfe Ihm zu verdanken, der sie mir in so wohlwollender Weise angedeihen ließ!

2

Anszug aus Carlsburger Kriefen.

November 1872...... „Welche Schreckenstage sind seither hereingebrochen über unser ruhiges, einförmig-glückliches Land! Ach, Graus und Braus tobten, und unsere See Sie lernten nur ihre bewegte Ruhe kennen schleuderte in ihrer Schreckensgestalt Berge von Wasser über sonst so friedliche Fluren und vernichtete das, woran sie selbst unter menschlicher Hülfe Jahrhunderte gebaut. Welche Gefühle würden Sie wohl bewegt haben, wenn Sie am Morgen des 13. auf dem Kulm bei Heringsdorf gestanden und, von Schaum und Gischt bespritzt, ein Stück Ufer nach dem sandern einstürzen und vom wüthenden Elemente hätten verschlingen seh'n!Wie anders das Bild, die Scene als damals: der prachtvolle Park ist größtentheils verwüstet, die Bäume dahingestreckt am Boden, gleich überwundenen, leblosen Riesen; das Ufer zerrissen;zerklüftet die Stätte, wo der schöne Sand, der einstz Ihre Freude war; die harmlosen Fischerdörfer theilweise verschwunden und ach,statt friedlicher Bewohner, händeringende Bettler, Jammergestalten,nackt und blos, die noch wenige Stunden zuvor glückliche Menschen waren; statt ihrer sie ernährenden Werkzeuge, ihrer Bote und Netze, der leere, schaurige Strand, an den das Meer noch immer Trümmer spült, als Zeugen, daß auch in weiterer Ferne das tückische Element seine Lust am Zerstören übte. Und wo noch ein Haus steht, ist eingesunken das Dach, und die Stätte, wo die Bewohner ihr bescheidenes Leben fristeten, ein Trümmerhaufen, wirr durcheinander geworfen und von Meergras bedeckt; statt der Brunnen, verschlammte,sandgefüllte Lachen; und endlich statt der Lieben, die mit ihnen die friedliche Wohnung theilten, blafse, am Strande zerschellte Leichen!Und vor den traurigen Blicken das weite, tobende Meer, und vor den bangenden Seelen der grausige, lange Winter! Zu beschreiben ist das Elend nicht, namentlich nicht auf den Inseln Darß und Zingst mit 4500 Bewohnern, deren Land etwa 6 bis 8 Fuß über dem mittleren Seestande, jetzt bis 20 Fuß hoch theilweise überfluthet und der Wuth der See, welche die 20 Fuß hohen Dünen durchbrochen, unmittelbar ausgesetzt war. Nichts, gar nichts ist gerettet, als der Ueberbliebenen nacktes Leben! Glücklich Alle, die den Tod fanden! Sie können sich keinen Begriff machen von den Zerstörungen! Güter, die fast eine Meile von der See entfernt liegen, sind von ihr erreicht worden. Große Seeschiffe stehen auf den Höfen und Aeckern; ja, bei Lißnowitz steht eine mit Waizen beladene Barke (ein dreimastiges Schiff von circa 200 Lasten) mitten im Walde! Zu Rambin, nahe der Alten Fähre auf Rügen ist ein Schiff quer über die Landstraße gesegelt und auf einem Bauernhofe zu Anker gegangen! Zu Ladebon (ein Gut bei Greifswalde) sind sämmtliche Schafe, 1050 Stück,und alles Rindvieh ertrunken, ebenso zu Mehlkenhagen, s/. Meile von der See, sämmtliches Vieh, die Gebäude fortgespült, weit und breit die Ernte verwüstet, die Saaten mit Seesand übertrieben,die Aecker auf lange Zeit unfruchtbar gemacht! Bei Greifswald ist der von Stralsund kommende Zug versunken und vom Wasser, sammt dem Bahndamme, fortgerissen worden. Unter höchster Lebensgefahr gelang es da der Hingebung dreier opferwilliger Menschen die 32 unglücklichen Passagiere aus den Wassern zu retten. Und bei Swinemündel Ach, drei Mal durchbrochen ist dort die Moole, dieser gewaltige Damm, dessen Felsenfestigkeit Sie so sehr bewundert; die vordere Spitze ist vollständig zerstört! Der Lootsenthurm verschwunden; der Leuchtthurm steht noch da; er hat der Wuth der Elemente getrotzt. In Swinemünde hat das Wasser bis 10 Fuß in einigen Straßen gestanden und die Communication per Boot war unmittelbar auf die zweiten Stockwerke der Häuser angewiesen. Bei Usedom ist die Chaussee durchbrochen und die Insel bei Wohlzow ist jetzt in zwei Theile getheilt.

Doch ich will inhalten mit Klagen, würden ja ganze Bogen nicht hinreichen, all' das Elend zu schildern, und Zeitungen und sonstige Berichte werden Ihnen besser wie ich bereits davon Kunde gegeben haben. Nach Millionen zählt der Verlust von Hab und Gut, nicht zu reden von all' Dem, was nicht nach Zahlen berechnet werden kann.“ ......

November 1872..... „„Also brachten Ihre Schweizerblätter Ihnen schon die Kunde von dem furchtbaren Orkan, der auf der Ostsee wüthete,der ihren Wasserstand um 20 Fuß erhöhte, und Swinemünde derart unter Wasser setzte, daß, hätte dieser Stand noch fünf Stunden gedauert, unsere liebe Seestadt vielleicht versunken wäre wie einst Vineta. Die Molen wurden durchbrochen;mit den größten Steinen spielten die Wellen. Der Lootsenthurm ist weggerissen. Die Schiffe im Hafen giengen unter; keine menschDV mannschaft 1000 Thaler geboten wurden. Was vermag Menschenwerk und Kraft gegen der Elemente Wuth!„Wehe, wenn sie losgelassen,Wächsend ohne Widerstand!“Der blühende Küstenstrich ist unfruchtbar geworden auf Jahre hinaus; die Aecker und Saaten sind mit Seeschlamm und Sand 6 82 überzogen, die Brunnen mit Salzwasser gefüllt. Und wie furchtbar haben erst die einzelnen Ortschaften und Städte Stralsund, Greifswald, Anklam gelitten und die Inseln Darß und Zingst!

„Auch wir waren Tagelang ohne jede Verbindung: bei Greifswald lag der Stralsunderzug in Flusse Ryck, und nur nach und nach drangen die Unglücksbotschaften zu uns herüber. Selbst hier in dem friedlichen Carlsburg tobte der Sturm fürchterlich, und konnte in jener Nacht kein Mensch die Augen schließen;es war anzuhören wie ferner Donner, mit Heulen und Brausen verbunden. Von den uralten Bäumen des Hofes und des Parks sind viele entwurzelt. Im Forst liegen sie zu Hunderten, die schlanken Kiefern des Nordens, theils entwurzelt, theils geknickt, liegen sie da auf der Erde; ihre Häupter ineinander verschlungen, als suchten sie im letzten Kampfe noch Schutz sich zu verleihen, nach nordischer Weise noch fester zusammen haltend zur Zeit der Gefahr, und treu bis in den Tod.

„Wir freuen uns, daß Sie einen milden, friedlichen Eindruck mitgenommen aus unserm Norden; aber mitempfinden werden Sie unser Leid um die unglücklichen Brüder. Gott schütze Ihr Heimathland, die schöne Schweiz!““ ......