Steinbock und Adler: ELTeC Ausgabe Carnot, Maurus (1865-1935) ELTeC conversion Automatic Script 132 37551

2021-12-14

Transcription UB Basel Scan UB Basel Steinbock und Adler Carnot, Maurus Druck der Haller'schen Buchdruckerei Bern 1906

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Rern Druck der Haller'schen Buchdruckerei 1906 i Der Weg, der aus Tirol in das kleine Bündnertal Samnaun hineinführt, mit all seinen Nebenweglein und Steglein,ist mir besser bekannt als die Furchen und Linien meiner rechten Hand. Wie oft bin ich durch jene Landschaft gegangen und habe die Wälder, Berge und Gletscher, soweit das Auge reichte, angeschaut, als wäre dort mein Königreich!

Es war ein heiterer Sommerabend, als ich, zehnjährig,mit der lieben Mutter einmal ins Tirolerland hinausging.Die Tannen und Lärchen, die Halden und Berge von Samnaun waren schon eine gute Stunde hinter uns, und vor uns ragten die grauen Berge Tirols in den tiefblauen Abendhimmel hinein.

„Mutter, seht dort drunten den blauen Bach! Das ist wohl unser Samnauner Bach?“

„Ja; aber dort drunten heißt er Schergenbach.“

„Schaut, Mutter, dort drunten ist ein Haus in den Wiesen.“„Ja, das ist der SchalklHof.“

„O Mutter, ich habe Durst. Ist im Wald gar nirgends ein Wässerlein? Schaut, ja, dort draußen rinnt durch den Wald ein Bächlein herunter!“

„Ja, ein Bächlein wohl; aber von diesem Wasser trinken die Samnauner nie.“

„Warum nicht? Das ist gewiß ein kaltes Wasser.“

„Du mußt wissen, das ist das Totenwasser.“

„Totenwasser? Das ist ein trauriger Name. Aber wie weit ist's noch bis Pfunds? Sieht man nicht bald einmal den Turm?“

„Wohl bald. Jetzt kommen wir dann hinunter zum Mörderbrücklein, und dann ist es nicht mehr weit. Wollen wir nicht einige Vaterunser beten ?“

„Ja für wen denn, Mutter?“

„Für alle, die durch diesen Wald und auf diesen Wegen gegangen sind.“

Und die Mutter nahm mich beim Händchen, und wir beteten laut, bis ich nach der Bitte „Erlöse uns vom Uebel,Amen“ endlich fragen konnte, was mir das Herzlein schwer machte: „Aber Mutter, wer ist denn beim Mörderbrücklein getötet worden ?“„Das kann ich dir nicht sagen. Mein Großvater hat einmal etwas darüber erzählt, aber auch nur, was man in Samnaun seit langer Zeit erzählt hat. Aber fürchten mußt du dich nicht! Was beim Mörderbrücklein geschehen ist, das ist schon vor vielen hundert Jahren geschehen.“

Die Mutter und ich gingen weiter, beteten und plauderten noch viel an jenem heitern Sommerabend.

Jahre sind vergangen. Die liebe Mutter, die mir so traurige Namen genannt hat, wo ich schöne erwartete, ruht in einem waldumrauschten Friedhof in Tirol. Sie kann ich nie vergessen, aber auch jene düstern Namen nicht, die sich nach und nach zu einer düstern Geschichte ausbildeten. In alten Büchern und Schriften suchte ich eine Erklärung der Namen,fand aber nicht viel. Nur den Namen Schalkl-Hof konnte ich als Student mir später erklären, indem ich es war in einer mittelhochdeutschen Stunde auf das Wort „schalc“stieß; sogleich stand der Schalkl-Hof wieder vor meinen Augen, und in jener Stunde gab ich auf den Anterricht nicht mehr acht, ich legte mir den Namen zurecht: Der Schalkl-Hof auf der Grenze zwischen Engadin und Tirol; Schalk heißt Knecht, roher Mensch wohl auch Scharfrichter, gut; der Scharfrichter durfte ja nicht im Dorfe wohnen, daher ist der Hof eine Meile von Pfunds entfernt gut. Und wieder tauchten die andern düstern Namen auf und verbanden sich

Und im letztvergangenen Herbst es war ein frischer Septembertag machte ich wieder den Weg wie damals vor dreißig Jahren jetzt allein. Müde, wie ich war, ruhte ich aus beim Holzkreuz im finstern Wald: draußen die grauen Tirolerberge; gegen Süden die Riesenspitzen des Piz Mondin,die ich als Knabe so oft betrachtete, wenn ich auf einen Hügel meines lieben Samnaunertales hinaufstieg; dort drunten in der Wiese, von Föhren umgeben, durch eine Waldlichtung sichtbar, der SchalklHof; einen Steinwurf weiter im Wald das Totenwasser, das durch die Tannen hinabrinnt, und weiter draußen, wo der Samnaunerweg in die Landstraße mündet,das Mörderbrücklein. Und wieder hatte ich schwer auf mir wie vor dreißig Jahren, und ich betete: Allen Wanderern,die da durchgegangen sind, vielleicht zu einem traurigen Tod,o Herr, gib ihnen die ewige Ruhe!

Ich legte mich nieder in das dürre Heidekraut, der Wind klagte durch die Tannengipfel, und das alte Gras zitterte.Haben Seelen aus längstvergangenen Tagen meine Seele besucht? Aufwachend blickte ich rings umher: Wo ist der Jüngling von Samnaun mit den schwarzen Haaren, den feurigen Augen und dem zerrissenen Herzen? wo ist die blasse Mutter mit tränennassen Wangen, die schöne, bleiche Schwester? wo die jammernde Tiroler Braut? Zieht nicht dort, jenseits des Schergenbachs, Kaiser Max mit einer Reitertruppe hinauf nach Nauders? Ist der harte und doch weiche Henker vom Schalkl schon fort? Alles still, kein Vogel im Wald, nur der klagende Wind.

Und heute ist ein stürmischer Novemberabend. Am Zellenfenster sitze ich auf dem Tischlein liegen alte Bücher und Schriften, und ich höre wieder die düstern Namen, den düstern Traum schaue ich wieder. Was ich las, hörte, trãumte, das möchte ich jetzt zusammenbinden. Kennst du die Alpenblume, die im Gebiete des Piz Mondin blüht? die großblumige, tiefblaue Gentiane im Schatten der rauschenden Bergföhre? Ihr gleicht meine Erzählung: einfach und ernst umrauscht von vergangenen Zeiten. Höre!

Es war der erste Mai des Jahres 1499, ein frischer Tag.Ein graublauer Himmel wölbte sich über das kleine Bündnertal Samnaun. Ein kalter Wind jagte von den Tiroler Bergen her graue Nebel ins Tal; die Bergwiesen und das Waidgebirge waren noch nicht schneefrei.

Am Saum der kleinen Ebene, wo auf den Aedcern das junge Getreide grünte und außer den Schneeglöcklein wenige andere Blumen blühten, steht die Pfarrkirche, dem Apostel Jakobus dem Aelteren geweiht. Auf dem Friedhof, der die Kirche umzingelt, ist's selten still; denn ganz in der Nähe rauschen die Lärchen des Urezza-Berges, wo der Tirolerwind und der West vom Hohen Spitz schon tausendjährige Kriege führen.An jenem Maitag war das Volk des ganzen Tales auf dem kleinen Friedhof schon bei Sonnenaufgang versammelt.Neben einem eben zugedeckten Grab, auf dem ein Holzkreuz stand, stand der ehrwürdige Pfarrer. Seine Hände waren braunrot; es war ein kalter und ein trauriger Tag für den alten Seelenhirten; er fuhr mit der breiten Hand über die feuchten Augen. Dann sprach er mit weicher Stimme:

„Andächtige in Christo dem Herrn! Es hat dem Allmachtigen gefallen, unsern lieben und hochverdienten Mitbürger,Jan von Laret, aus diesem Tale und diesem Elende abzuberufen. Die Familie hat einen guten Ehemann und Vater verloren und unser liebes Tal Samnaun seinen besten Bürger,seinen Vater. Das wissen wir alle, nicht wahr? Und wir werden es noch mehr erfahren in diesen schweren Zeiten. Es ist mir, dem alten Pfarrer, als habe ich heute unser Haupt und unser Herz begraben müssen.“

Der Pfarrer unterbrach sein Wort, neue Tränen füllten die dunkeln Augen, und ein kalter Wind fuhr durch des Pfarrers lange, weiße Haare.

Auch die Augen der Männer wurden feucht, und der breitschultrige Schmied Mathis Jenal, dem die Samnauner nachsagten, das Feuer der Esse habe ihm alle Tränen versengt,hob die braune, breite Hand zu den grauen Büschen der Augen empor.

Am Grabe aber schluchzte, das Antlitz auf die halbgefrorenen Schollen gelehnt, die Witwe und neben ihr die Tochter,die feinen, weißen Hände vor das bleiche Gesicht haltend; an der nahen Friedhofmauer kniete und weinte der Sohn, ein schöner, stämmiger Jüngling.

Während die Glocken am Austönen waren, nahm der Pfarrer das Wort wieder auf, indem er auf das Grab hinschaute:

„Vergelte dir Gott alles! So rufen wir dir in das stille Haus nach, wo deine Asche ruht bis zum Tag der Posaunen.Du bist zu früh von uns gegangen. Deine beiden Kinder sind erwachsen, es ist wahr; deine Geschäfte sind geregelt, es ist wahr; deinen guten Rat werden wir im Herzen bewahren wie die kostbarste Urkunde unserer Gemeinde Samnaun; das alles ist wahr und trostreich Aber und die Augen des Pfarrers flogen wie zwei Raben über das Volk hin aber für uns ist Jan von Laret zu früh gestorben! Nicht er, aber wir werden die Verwirrung des Krieges sehen. Das Kriegs-horn wird bald lärmen, an der Grenze sammeln sich Scharen der Krieger. Und wir werden leiden! O ja, Samnaun, wenn du treu bleibst dem Gotteshausbunde, wirst du die eiserne Geißel fühlen. Und doch, bleibt treu dem Gotteshausbunde!Das hat uns Jan von Laret noch gesagt in seinen letzten Erdentagen, er hat es mir oft gesagt, vor dem Sterben gesagt und diese Hand mir fest gedrückt, der treue Bündner bis zum Tode!“

Nach einer Weile tiefer Stille fuhr er fort: Sollte seine Seele vor der göttlichen Gerechtigkeit noch etwas zu entgelten haben, so lasset uns mit gebogenen Knien beten, daß Gott ihm und seinen Vorfahren und allen hier ruhenden Christgläubigen die ewige Ruhe schenke!“

Ein De profundis * von tiefen Männerstimmen und hellen Knabenstimmen. Oberhalb des Friedhofes rauschten die Lärchen lauter als früher. Und nach und nach ward es stiller auf dem stillen Platze.

Droben in der Friedhofsecke, an einem Grabe, kniete noch eine Jungfrau. Sie mußte viel geweint haben; denn ihr schönes Antlitz war rot. Zuweilen blickten ihre Augen, wie zwei tiefblaue Alpenveilchen nach dem Regen, hinunter aufs frische Grab, wo noch die Trauerfamilie kniete.

Der Pfarrer ging bald zum Friedhofpförtchen hinaus, hätte die Jungfrau nicht bemerkt, wenn sie nicht aufgestanden und bescheiden näher gekommen wäre.

„Rosa, du betest für die Toten, das ist recht; bete auch für die Lebenden!“

„Ich tu's, aber schlecht. Herr Pfarrer, mit meinem Bruder, dem kleinen Max, wird wohl nichts werden? Die Kleider hätte ich zwar bald alle hergerüstet.“

„Ja, gute Rosa, freilich, wenn man den Krieg nicht so fürchten müßte! Der Herr Abt von Marienberg hat mir wohl berichtet, Max dürfe im Herbst in die Klosterschule eintreten.Aber bei diesen Zeitläuften! Gerade unter dem Kloster Marienberg werde eine Schanze gebaut. Ich meine immer, dort gibt's einen schrecklichen Kampf. Ja, Rosa, bete nur! Der Krieg ist etwas Ernstes. Vor der Pest, der Hungersnot, dem Krieg erlöse uns, o Herr!“

Und der Pfarrer hatte die Hände gefaltet und schaute hinaus in die Tiroler Berge, auf denen Sonnenglanz und Wolkenschatten kämpften.

„O dieser Krieg! Max kann schon noch ein Jahr warten,wenn nur der Krieg unsere Häuser und uns alle, alle, o alle verschont!“ Tränen rollten über Rosas Wangen.Aus den Tiefen. (Anfang eines Kirchenliedes.)

4 )

„Gott wolle es! Geh bald heim, Rosa!“ Und der Pfarrer schritt durch das Pförtchen hinaus und hinauf zum einfachen hölzernen Haus, das dicht am Lärchenwald des UrezzaBerges steht.

Rosa kniete wieder nieder, betete und schaute zuweilen hinunter auf das frische Grab, wo noch immer die drei knieten;auch sie betete für den guten Herrn Jan von Laret, und dann fügte sie noch hinzu: „O tröste die Witwe Pauline! o tröste auch meine beste Freundin Philomene und leite und führe den lieben Korsinus!“ Noch röter werden die verweinten Wangen, als sei der Schluß ihres Gebetes nicht rein gewesen wie ihre Seele!

Drunten am frischen Grabe bei der Friedhofsmauer erhob sich nun Korsinus, wischte sich die Tränen ab und strich sein rabenschwarzes, weiches Haar rückwärts. Es war ein schöner Jüngling, nun Stammhalter der Familie von Laret: groß-gewachsen, breitschultrig, das Gesicht gebräunt und edel gebildet, schwarz und scharf und feurig die Augen. Er war Bauer; aber wenn er sich aufrichtete, sagte sein Blick und seine Haltung: Wäre ich da draußen geboren unter dem Adler Oesterreichs, statt im entlegenen Bündnertälchen, ich könnte kein schlechter Ritter des Kaisers Max werden! Jetzt aber sprach er leise zur Mutter: „Mutter, kommt, wir wollen gehen!“

Langsam erhob sich Witfrau Pauline: „Ja, Kinder ohne Vater, wir wollen gehen! Noch ein De profundis! Nun,Jan, lebe wohl und schau herüber in dieses Jammertal auf uns!“

Auch Philomene stand auf; die Wehmut hatte ihrem zarten, fast träumerischen Antlitz etwas Engelhaftes verliehen,und Philomene schien zu fragen, als sie ihre dunkeln Augen über den Friedhof und das Tal gleiten ließ: „Wie passe ich in dieses rauhe Tal und wie wird es mir jetzt gehen!“ Da traf ihr Blick Rosa, die noch immer droben am Grabe kniete.

„Mutter, ich hole noch Rosa zu uns herab und dann gehen wir heim!“„Ja, kommt bald nach! Ich gehe unterdessen mit dem Korsin voran.“ Und nach einer Weile war's ganz still, nur die Lärchen rauschten.

Zwischen Feldern und Aeckern führt von der Pfarrkirche ein schmaler Weg taleinwärts und zum Dörfchen Laret hinauf,das auf der Sonnenseite einen Hügel des Tales krönt. Dorthin zogen die vier, Mutter und Sohn und einen Steinwurf weiter rückwärts, Arm in Arm, die beiden Freundinnen Philomene und Rosa.

„Laret!“ ein liebliches Bündner Dörflein: breite, weißgetünchte Steinhäuser mit unregelmäßigen, schmalen Fenstern;Scheunen und Ställe aus wettergeschwärztem Lärchenholz,zwischen den Häusern und in des Dorfes Mitte das Josephikirchlein. Zuoberst im Dorfe stand das Haus der angesehensten Familie, neben dem stattlichen Hause noch drei hohe, alte Lärchen. Jan von Laret hat oft behauptet, seine Familie habe den Namen vom Lärchenwald, und die Familie von Laret habe dem Dörflein selbst den Namen gegeben.

Jan von Laret hatte das wissen können! Er hatte in der Jugend im Kloster Marienberg zwei Jahre studiert, verstand Latein, und zeitlebens hatte er in alten Schriften geforscht und alte Ueberlieferungen aufgezeichnet. Und oberhalb der Haustüre hatte er noch in seinem letzten Lebensjahre auf einer Steinplatte das Familienwappen meißeln lassen: eine Lärche samt Wurzeln und darüber einen Stern. Und als er im letzten Herbst den Seinigen das Wappen erklärte, sagte er: „Korsinus, die Familie Laret soll in diesem Tal glänzen wie ein Stern; trage Sorge dafür!“

Als jetzt Mutter, Sohn und Tochter nach dem Begräbnis vor der Haustüre standen, schaute Mutter Pauline empor und sagte: „Ach ja, der Stern ist untergegangen, heute!“Dann aber schaute sie auf ihren Korsin und fügte lieblich unter Tränen lächelnd hinzu: „Korsinus, nun mußt du sorgen,daß der Stern wieder aufgeht!“

Und langsam verging der erste Tag im vaterlosen Hause.Nur der alte, grauhaarige und graubärtige Knecht Viktor unterbrach zuweilen die Stille, indem er bald im Hause, bald in der nahen Scheune allerlei wegzuräumen, allerlei herzurichten hatte und laut dachte.

Es kam der Abend. Sonst saß Jan von Laret auf der Holzbank vor dem Hause, selten allein; denn der eine oder andere Lareter kam zu ihm, um sich Rats zu holen oder um dem angesehensten Bürger des Tales die Ehre zu geben.Neben dem Pfarrer genoß nur Jan von Laret das Vorrecht,daß die Männer ihn mit der Kappe in der Hand grüßten.

In der großen, getäfelten Stube war es an jenem ersten Maiabend anno 1499 gar still. An einem Fenster, das gegen Abend schaute, saß die Witwe Pauline, in schwarzem Kleide,das schwarze Kopftuch lag auf dem Fenstergesimse. Die harten Samnauner Winter und Sorgen und auch die letzten tränenreichen Tage hatten es nicht vermocht, dem Antlitz die Spuren der Schönheit zu nehmen; nur das aschfarbene Haar war grauer geworden.

Die „fremde Frau“! So wurde sie in Samnaun genannt,weil in ihren Zügen und ihrem Benehmen etwas Adeliges lag und weil sie nicht von Samnaun stammte, sondern aus dem Tale Münster herübergekommen war.

Sie hielt in jener Abendstunde ein großes Buch in der Hand und betete halblaut lateinisch die Totenvesper. Sie hielt inne; war das Licht, das durch das schmale Fenster eindrang,zu schwach? betete sie stille das Paternoster? oder ging ihre Seele von den lateinischen Psalmen hinweg über die Berge hinũber und zurück in jene Jugendjahre, wo sie im breiteren und fruchtbareren Münster als Jungfrau lebte? wo sie, nachdem sie bei den frommen Frauen des Stiftes Münster alles gelernt hatte, was ein adeliges Fräulein lernen mußte, vom Jüngling aus Samnaun, Jan von Laret, sich leicht überreden ließ, mit ihm als Braut über die Malserhaide nach Pfunds und dann in das enge Tal Samnaun zu ziehen? Sie stützte die hohe Stirne auf ihre schmale Hand, und Tränen fielen hinab auf die Totenvesper.

„Mutter, ihr weint wieder? O wie dieser Abend lang ist und traurig!“

Die Mutter legte das Buch auf das schwarze Tuch auf dem Fenstergesimse, stand auf und ging zum andern Fenster hinüber, wo Philomene saß, träumerisch, die gefalteten Hände auf dem Schoß.

„Philomene, was würde der Vater zu uns sagen, wenn er jetzt zu uns kommen könnte?“

„ Guten Abend! so mild und gut, wie er es immer sagte,“ entgegnete Philomene, während ihre schönen Augen,die gewöhnlich halb geschlossen waren, sich jetzt weit öffneten und groß und glänzend zur Türe hinblickten, als käme bald der Vater wieder.

„Und er würde beifügen: Tröstet euch!“ sagte mild die Mutter.

Philomene stand auf, zwang die Mutter sanft auf den Stuhl nieder, während sie selbst mit der Schulter an den Fensterstock lehnte.

„Ja, Philomene, wir sollen uns trösten! Wer so mit Trost und fast mit Stolz an einem Grabe stehen kann wie wir heute, der soll dem lieben Toten die Ruhe gönnen und sie nicht stören. Und für dich wird auch gesorgt sein. Weißt du, was mir bei der Totenvesper in die Seele gekommen ist?“

„Was denn, Mutter?“

„Wenn ich bald dem Vater nachgehe man weiß nicht und wenn du nicht in Samnaun bleiben wolltest, wenn Korsin heiratet und wenn du nicht allein bleiben wolltest, und mit jedem oder mit jeder könntest du nicht bleiben “

„O denkt nicht daran!“

„Dann kannst du in mein liebes Heimattal gehen; dort wird es dir auch gefallen, Philomene.“

„Mutter, ich bleibe bei euch, lange, immer!“

„Wenn das „Immer“ nicht lange dauern sollte, dann findest du eine zweite und gute Mutter in Münster. Die Aebtissin Angelina von Planta ist meine Freundin aus den Mädchenjahren her.“

„Nein, Mutter, denkt nicht daran!“

„Ich meine nur, sie würde dich dann trösten und lieben wie ihre Tochter, auch wenn du nicht in ihr Kloster eintrittst.“

„Das Kloster ist ja geplündert und die Aebtissin ist geflohen.“

„Das wird in kurzem sich ändern. Das Kloster Münster wird nicht aufhören zu leben, das ist eine alte Prophezeiung in Münster.“

„Mutter, ich bleibe in diesem Hause, ich gehe nicht eine Meile fort von den drei Lärchen vor dem Hause.“

„Und wenn Korsin heiratet?“

„Zuerst soll er warten, bis dieser Nelkenstock hier, den ich morgen in die frische Graberde pflanze, Wurzeln schlägt und wenigstens zweimal blüht!“

„Und wenn dann eine ins Haus kommt, die nicht Rosa heißt ?“

„Ein Kämmerlein gehört doch mir auch! Aber, Mutter,ich bleibe bei euch, lange und immer“ und bei diesen Worten neigte sich Philomene auf die Schulter der Mutter herab,und Pauline drückte der lieben Tochter einen Kuß auf die Stirne, die vom schwarzen, weichen, vollen Haar beschattet war.

„Aber, Philomene, jetzt müssen wir an das Totenmahl denken, damit die Leute nicht warten müssen und wir zur Ruhe kommen.“

Bald brannte in der Küche ein knisterndes Feuer, der Wohlduft einer Mehlspeise erfüllte den Raum, in dem Philomene schaltete, während die Mutter Pauline aus dem Keller und der Fleischkammer holte, was einem Samnauner als köstlichste Labung galt: Wein, geräuchertes Fleisch und braunes Roggenbrot.

Vor der Scheune aber saß auf einem Holzblod ganz allein Korsin und schaute bald hinaus in die Tiroler Berge, bald legte er die Stirne auf die Fläche der rechten Hand und schaute finster auf die jungen Gräslein zu seinen Füßen.„Korsin, hoi, Korsin,“ ließ sich die Stimme des Knechtes Viktor aus dem dunkeln Stalle heraus hören.

Er stand auf, ging in den Stall und kam bald mit fünf großen, fetten Kühen, die er hinunter zum Dorfbrunnen trieb. Früher tat das der Vater und nicht ohne Stolz, heute Korsin und fast gleichgültig.

An der Brunnenröhre standen vier erwachsene Mädchen,um Wasser zu holen. Korsin wünschte ihnen einen guten Abend, hörte aber kaum den vierfachen Gegengruß; denn die große gelbe Kuh hatte Lust, durch die untere Dorfgasse zu rennen.

Aber eine mutige Maid mit dem Wassereimer versperrte ihr den Weg; es war Rosa.„Rosa, ich danke dir,“ sagte Korsin und strich die ihm in die Stirne fallende schwarze Haarlocke zurück. „Und du kommst heute abend auch zum Totenmahl, nicht wahr? Du kommst!“„Ich habe sonst im Sinne gehabt, im Kirchlein noch die Totenvesper zu beten.“

„Dort ist zu dunkel.“

„Ich habe eine Kerze.“

„Nein, komm zu uns! Du machst der Philomene Freude und Trost.“ Rosa blickte schweigend vor sich zur Erde.

„Ihr, nicht ihm bringst du Freude und Trost“ das bedeutete die rote Welle, die hastiger als sonst durch die blaue Stirnader Rosas rollte, während die vollen Lippen geschlossen blieben.

„Wir erwarten dich, Rosa.“

„Es schickt sich vielleicht nicht?“ fragte sie, indem sie aufblickte „Haben wir dich beleidigt ?“

„O nein, Korsin, niemand hat mir wehe getan.“ Und sie blictte hinüber zum Waldgebirge, über welches gerade der Mond aufging; sie hatte eine Wunde ihres Herzens mit einer kleinen Lüge zudecken wollen und fühlte nun, daß das Blut aus dieser Wunde ihr schon an der heißen Stirue stand.Korsin mußte eilen, die Kühe gingen schon durch die Dorfgasse hinauf. Ein „Auf Wiedersehen“ für Rosa, „Gute Nacht“für die drei andern am Brunnen und Korfin ging, ohne umzublicken, seinen Kühen nach und verschwand.

Rosa kehrte mit dem Eimer wieder zum Brunnen zurück.Genoveva, die größte, und, wie sie fest glaubte, schönste Jungfrau des Tales, stellte den vollen Eimer auf den Boden;ihre schwarzen Augen konnten stechen; auch ihre Zunge konnte es, wenn die dunnen, sich scharfschließenden Lippen es erlaubten. Ihr Blick ruhte forschend auf Rosa, die den Rest des Wassers über den Weg hinabgoß, um sich wegwenden zu können.

„Was doch Junker Korsin hat? Mir schien es auch, als habe er heute an der Friedhofmauer nicht gerade die aufrichtigsten Tränen geweint. Was meinst du, Rosa?“

„Daß eine Lareter Jungfrau gar nicht so reden soll,“entgegnete Rosa gereizt. „Was haben wir die Trãnen zu prũfen, die aus den Augen Korsins auf das Grab eines Vaters fallen 7“

„Als ob nicht gerade du das getan hättest und am längsten! Bist nicht gerade du am längsten in der Friedhofecke geblieben? Natürlich, um für deine Urgroßeltern zu beten!“

„Bist du heute eine Brennessel, Genoveva!“

IIch habe dich nicht gebrannt. obwohl du rot bist

„So redet man nicht am Begräbnistag! Wir alle haben an Jan von Laret viel verloren Korsin am meisten, und seine Tränen sind aufrichtig gewesen wie die meinigen und wie die Tränen des Pfarrers.“

„Gewiß, Jan ist der beste Mann des Tales gewesen, und jetzt ist es Korsin! Du siehst, rotes Röslein, ich bin nicht eine so böse Brennessel, wie du meinst.“

Da war es für Martha, das hellrote Distelköpfchen unter den Blumen Samnauns, hohe Zeit, sich zwischen die Brennnessel und Rosa zu stellen: „Ihr müßt nicht so spitzig reden!Das kommt daher, weil ihr beide nicht aufrichtig seid und doch wäret ihr beide froh, wenn du um den linken Schuh und du um den rechten des Junkers Korsin blühen könntet.O, ich weiß schon“ und lächelnd zeigte sie die weißen Zähne.

„Du Schwätzerin!“ sagte Rosa lächelnd.

„Du Giftblume!“ sagte Genoveva zornig.

„O, ihr einfältigen Plaudermäuler! Gut, daß euch niemand hört als Sankt Nepomuk auf dem Brunnenkopf! Und der wird rot über euer Plaudern,“ warf Cyrilla hin, die Dotterblume, die fünfundzwanzigjährige, blonde, heitere Tochter des Tirolers Peter, dem das kleine Haus am Ostende des Dorfes gehörte.

Alle schwiegen eine Weile, und die rauschende Brunnenröhre kam wieder zur Geltung. Nicht lange; denn Genoveva wollte heute der Rosa aus irgend einem Grunde die wasserhelle Wahrheit und das Steinchen auf dem Grund zeigen.

„Rosa, im Ernst! Meinst du, ich habe etwas gegen Korsin?“

„Das kann mir ja gleich sein,“ entgegnete Rosa verlegen.

„Natürlich, wenn Genoveva nur nichts für Korsin hat,das wäre der Rosa zuwider,“ lachte die Dotterblume.

„Schweig, du Giftblume!“ befahl Genoveva. „Du mußt es wissen, Rosa: Junker Korsin ist doch nicht der erste in Samnaun; denn ich weiß und ich könnte fast drei Finger aufhalten, daß er vom Tale fort will. Und ist das recht?“

„Das muß er, er wissen, nicht wir.“

„Ja, er sollte es wissen! Jetzt wo der Krieg zwischen Tirol und Graubünden ärger ist als je, jetzt sucht er eine Heimat und eine “

„Ja, das wäre schlimm,“ beteuerte Martha; „jetzt sei Krieg zwischen dem Adler und Steinbock. sagt mein Vater bei jeder Suppe.“

„Adler und Steinbock!“ lachte Rosa, während ihr wieder das heiße Blut zur Stirne stieg wie eine Feuersäule. „Was geht das die Samnauner Jungfrauen an? Die sollen nachher die Federn des Adlers sammeln gehen “

„Und wenn der Junker Korsin auch eine solche Feder des Kaiseradlers wäre, gelt, die würdest du gern aufnehmen?“

„Du bist böse, Genoveva,“ erwiderte Rosa und hob den vollen Eimer vom Brunnen.

„Böse? Ich bin jetzt Samnaunerin! Und wenn du willst,will ich dir den Namen der Braut unseres Junkers Korsin von Laret nennen “

„Schweig, Genoveva!“

„Es ist eine Tirolerin! Und weißt du, wo das Herz ist, da ist auch der Fuß und der Arm! Jetzt in diesen Zeiten!Ist das nicht Verrat?“

„Als ob die Tirolerinnen nicht auch brav wären und als ob“ aber Peters Cyrilla konnte nicht ausreden; denn Martha,das Distelköpfchen, schüttelte sich und sprach laut: „Das wäre ein Verrat, ein Judas!“

Rosas Eimer war nicht so voll wie ihr Herz. Rasch wollte sie beides heimtragen; denn sie fühlte wieder das Blut in den Wangen. Und Genoveva sollte sich nicht darüber freuen, im Herzen Rosas eine Wunde entdeckt zu haben, wie sie selbst in ihrem Herzen eine hatte, freilich eine fast vernarbte; denn es war schon lange her, daß Korsin in der Fastnacht mit ihr, der stolzen, schönen Genoveva, zum letzten Male getanzt hatte.

„Gute Nacht, allen miteinander,“ sagte Rosa und ging.

„Gute Nacht!“ entgegneten die drei, und Genoveva fügte bei, daß Rosa es noch hören konnte: „Du verstoßne, blinde Braut!“„Verstoßzne, blinde Braut!“ Das harte Wort sah Rosa auf jeder Staffel der Steintreppe. Sie stellte den Eimer in die Küche und ging in ihre Kammer und lehnte ans Fenster und sah hinaus in die monderhellten Tiroler Berge. Sah sie den Adler und Steinbock im Kampfe? Sah sie Korsin und eine Tirolerin als Braut? Sie weinte.

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2.

Der gelbe Mond, der vom dunkeln Waldgebirge auf das Dörflein Laret herüberschien, sah nicht bloß die Tränen Rosas der verlassenen, blinden Braut, wie sie es hören mußte und nicht glauben wollte er war auch der stille Zeuge der Tränen, die von vier Augen im obersten Hause des Dorfes auf die harten Küchenbodenplatten und die tannenen Treppentritte fielen.

In der Stube wartete dort auf zwei zusammengestoßenen Tischen im Mondglanz, den noch zwei Talgkerzen nach Kräften unterstützten, das zerschnittene, rote Fleisch auf den weißen Tellern gehäuft, das braune Roggenbrot und gefüllte Weinkrüge das alles wartete auf das übliche Totenmahl.Witwe Pauline zählte die Plätze; sie wußte, daß aus jedem Hause ein Gast kommen werde. Alles war geordnet zur Mahlzeit, der traurigsten seit dem frohen Hochzeitsmahle vor achtundzwanzig Jahren bis jetzt. Auch die köstliche Mehlspeise war soeben von Philomenens zarter Hand mit Rosinen bestreut worden.In der großen Wiese oberhalb des Hauses, der schönsten des Tales, Foppa genannt, lehnte Korsin an die Scheunentüre. Im Stalle war es ihm zu dunkel und schwül geworden.Er schaute in die Tiroler Berge hinaus. Dann schritt er ein Stück in die Wiese hinein, die erst zu grünen anfing. Der späte, kalte Frühling machte ihm nicht Sorge, und doch blickte sein dunkles Auge so unheimlich finster. Er war allein und doch nicht; er sprach leise und doch erregt: „Johanna, du sollst nicht sagen und klagen, ich sei ein eidbrüchiger Samnauner! Kaiser Max, du willst den verfluchten Krieg sei nun selbst verflucht! Und wenn der Churer Bischof den Steinbock vom Kampf mit dem Adler da draußen zurückhalten könnte und doch nicht zurückhalten will, dann sei auch er verflucht!“

Rasch wendete er sich und kehrte zu den drei Lärchen zurück und ließ sich auf das hölzerne Bänklein nieder, müder,als wenn er den ganzen Tag gepflügt hätte. Er lehnte die Stirne auf die Handfläche, und die schwarze Locke hing über die Hand. Da sprang der weiß- und braungefleckte Hund Hektor aus dem Stall auf ihn zu und legte schmeichelnd die Vordertatzen auf das Knie seines Herrn; aber ein unfreundlicher Schlag mit der Hand belehrte ihn, daß sein Herr in einer jener Stimmungen war, die der kluge, treue Hektor an demselben wahrzunehmen pflegte etwa nach einer beutelosen Jagd oder einer langweiligen Arbeit. Hektor streckte sich zu den Füßen seines Herrn nieder und hütete sich wohl, ihn mit dem langhaarigen Schwanz zu berühren.

Korsin ging ernsten Gedanken nach, und im Widerschein des Mondes zeigten sich abwechselnd auf seinem schönen Antlitz jene beiden so verschiedenen Eigenschaften, die so oft in der Brust der abgeschlossenen Bergbewohner heimen wie ein ungleiches Geschwisterpaar: milde Wehmut und wilder Trotz.

Da kamen schon die Gasse herauf einige Nachbarn zum Totenmahl. Es war der Dorfrat, vier Männer, alle in grauem Loden und mehr oder weniger grauen Haaren: Nikolaus, der Brunnenmeister, Mathis Jenal, der Schmied, dann Jannut,der kleinste, mit klugen Augen und spitzigem Bart. Auf ihn hatten schon vor Jahren der Pfarrer und Jan von Laret,die beiden Studierten des Tales, den Zunamen „Odysseus“geprägt; der Name war aber nicht volkstümlich; beim Volke hieß Jannut, wenn er es nicht hörte, der Fuchs von Vallverda,weil die Wiese Vallverda (Grüntal) ihm gehörte und weil niemand so wie Jannut es verstand, einem bischöflichen oder kaiserlichen Beamten, der sich zuweilen nach Samnaun verirrte,mit kieselglatten Worten auf anständige Weise zu sagen:„Mach, daß du bald aus unserm Tale fortkommst, wir regieren uns selbst vortrefflich!“ Der vierte war eben der Vater der Cyrilla, der Peter aus Tirol, der eine Samnaunerin geheiratet und so ein Häuschen am Ostende des Dorfes erworben hatte. Er war in den Dorfrat gewählt worden, weil er dem Tale gute Dienste leistete bei den vielen Grenzstreitigkeiten,wenn gegenseitig Schafe gepfändet oder bei der Bergwiesenmahd die Marken überschritten wurden. Und Peter war halb bündnerisch geworden; seine Frau Jakoba hatte es ihm ja zur Genüge eingeschärft: „Wenn du nicht eine Samnaunerin und gerade mich bekommen hättest, wärest du schon lang als Soldat irgendwo verfault oder wärest der ärmste Schafskopf auf dem Rund der Erde!“

Die vier Männer hatten es stillschweigend auf dem Wege zum Laretschen Hause bei sich ausgemacht: Was der alte Jan von Laret für uns war, das soll der junge Korsin nun auch ankamen, dem dort sitzenden neuen Stammhalter die nämliche Ehre, die sie seit Jahr und Tag dem alten erwiesen hatten:sie hoben mit der rauhen Hand ihre Kappen, während sie Korsin einen guten Abend wünschten.

Korsin stand auf, entbot den Männern Gegengruß und man sprach vom eben verflossenen Trauertag. Nikolaus, der Brunnenmeister, gedachte des am Morgen Begrabenen und wie ein Unglück zum andern komme: der kalte Mai, der drohende Krieg.Schmied Mathis meinte, es sei recht, wenn nichts wachse auf Feld und Acker; denn besser sei's, die kaiserlichen Söldnen stampfen auf dem leeren Grunde als auf reifenden Kornfeldern, und besser seiss, wenn kein Heu und Stroh in den Scheunen liege, verbrennen werde doch alles.

Jannut aber ging drei Schritte vorwärts, streichelte seinen spitzen Bart und sprach: „Das ist eine eitle Furcht, sage ich euch. Der Krieg geht an unserm Tal vorbei wie im verstrichenen März. Nur müssen wir nicht selbst auf die Landstraße hinausgehen und rufen: He, da drinnen ist auch ein Bündnertal, kommt herein und rauft einige Stunden bei uns!“

„Das ist auch meine Meinung, unterstützt!“ sprach Peter mit Eifer; „von uns weiß man ja nicht bestimmt, ob wir österreichisch oder bündnerisch sind. Ich meine, wir stehen bei der verflucht bösen Rauferei am besten etwas seitwärts und zerreißen so weder Hut noch Haut.“

Die andern lächelten, aber es war kein Beifallslächeln,sondern es bedeutete: vierzig Jahre in Samnaun und noch immer ein Tiroler!

Jannut aber sprach: „Das werde ich deiner Jakoba sagen;sie wird dir schon wieder das Blut mehr bündnerisch färben!“

Ein halblautes Lachen der Nachbarn zeigte, daß man Peter wegen seiner etwas zweideutigen vaterländischen Gesinnung durchaus nicht steinigen wollte. Aber da hatte gerade der alte Knecht Viktor den vollen Milcheimer neben der Gruppe niedergestellt und Peters Meinung gehört. Er schaute auf Korsin hin, dieser schwieg; damit hielt sich Viktor für verpflichtet,dem Tiroler scharf auf die Füße zu treten:

„Was! Ob wir österreichisch oder bündnerisch sind, das weiß man nicht? Mit dem letzten Fetzen unseres Herzens bündnerisch! Ich bin der älteste von euch und kenne die Geschichte. Ich kenne sie nicht so genau, wie sie unser Herr Jan Gott habe ihn heute schon und immerdar selig gekannt hat. Aber ich weiß, wie er tausendmal und tausendmal gesagt hat: „Samnaun ist ein Bündnertal und ist ein Glied des Gotteshausbundes!“ Wenn die Oesterreicher hineinregiert haben, so ist's die Schuld der Bischöfe von Chur gewesen,die uns und ihre und unsere Rechte nicht recht verteidigt haben und wofür ihnen der Gerechte ein langes Fegefeuer geben möge!“ „Der jetzige arme Bischof hat Fegefeuer genug,“ erwiderte Korsin. „Der gute Herr weiß sich nicht zu helfen:hinter ihm stehen die Bündner wie die Apostel hinter dem Judas, und vor ihm stehen die Herren aus Tirol und bezahlen ihm seine Mühen, Frieden zu stiften, wie der hohe Rat dem Judas die dreißig Silberlinge hohnlachend auszahlte. Und doch ist der Bischof Henricus ein ehrlicher und braver Mann, der nur den verfluchten Krieg vom Land fernhalten will. Ja, der Krieg vergiftet die Herzen und verblendet die Augen! Ich weiß noch gut, wie der gute Pater im Kloster Marienberg uns einmal aus einem lateinischen Dich ter vorgelesen hat, wie es zuerst auf Erden schön war und wie nach und nach das eiserne Zeitalter kam und wie Brüder die Brüder würgten und wie zuletzt die Gerechtigkeit die Erde verlassen hat.“

So sprach Korsin mit seiner festen, klangvollen Stimme,und die warmen Worte kamen aus dem warmen Herzen. Die Nachbarn freuten sich, daß der Sohn und Erbe des Jan von Laret auch so gut reden konnte, ja besser und feuriger als der Vater. Alle gaben ihre Zustimmung zu erkennen, nur Viktor, der alte Knecht, nicht. Nach einer kurzen Stille nahm er das Wort: „Der Churer Bischof trägt selbst die Schuld. Soviel sollte er wissen, daß der Kaiser Max nicht nur die kleinen Grenzstreitigkeiten ordnen will. Ja wohl, ordnen will er sie, indem er die Grenze aufhebt und unser Ländchen unter die Schweiffedern seines unersättlichen Adlers stellt. Das ist's,das ist's, nicht weniger, nicht mehr aber es ist eben alles!“

„Das kann man von vorneherein vom Kaiser Max nicht sagen,“ wagte Peter zu entgegnen, da ihm das alte Tirolerblut im Herzen klopfte. „Max, der Kaiser“ da rückte ihm der Knecht Viktor wieder näher:

„Freilich unser Bischof und Herr seine Bischofsmütze rühre ich nicht an aber er ist so einfältig, daß er meint,der Kaiser komme an die Grenze, um mit einem Kuhmelker zu verhandeln! Das ist Unsinn! Und der Bischof gibt da seinen Hirtenstab her, um zu vermitteln! Ich, ich wäre nie so kurzsichtig, um so etwas zu tun.“

„Es ist Pflicht, den Krieg aufzuhalten, so lang man kann,“warf Korsin dazwischen. „Krieg ist Krieg, und wenn auch nur ein Acker zerstampft wird und wenn auch nur ein Herz zerrissen wird!“ Korsins Augen schienen zu brennen.

„Freilich, aufhalten, wenn man kann; sonst aber treiben,damit das Elend einmal vorbeigeht! Und der Bischof mit seinem Hirtenstab! Man hat ihm jetzt den Stab schon gehörig zerbrochen! Der Oesterreicher nimmt ein Trumm und der Bündner nimmt eines und beide schlagen nun dem Ver mittler auf die Bischofsmütze. Ja, ja, zwei Herren kann man nicht treu dienen!“ So sprach laut und hastig der alte Viktor,nahm den Eimer und schritt dem Hause zu.

„Ich meine, wir gehen auch in die Stube, da wird's kalt,“ sagte Korsin. „Die andern werden auch bald kommen.“

„Sie kommen schon die Gasse herauf,“ bemerkte Jannut.Es waren noch etwa ein Dutzend Männer und Jünglinge, die zum Totenmahl einer aus jedem Hause des Dorfes Laret kamen.Bald waren alle in der Stube versammelt, wo die zwei Talgkerzen brannten. Am Ehrenplatz mußte Korsin sitzen, neben ihm die Mutter, während die Schwester Philomene die Bedienung der Gäste besorgen wollte. Alle Plätze, bis auf einen,waren besetzt, und die duftende Mehlspeise mit Milch stand schon auf dem Tisch.

„Es fehlt noch das Haus Denot; aber der alte Denot wird schon kommen, er kommt gern ein wenig zu spät,“ bemerkte die Mutter und bat die lieben Nachbarn sie tat's mit feuchten Augen mit dem einfachen Mahl vorlieb zu nehmen, es sei eben ein Totenmahl.

Jannut strich den spitzen Bart, und dennoch kam ihm diesmal ein unkluges Wort aus dem Mund, als er, den leeren Platz beachtend, eine Anspielung machen wollte: „Ja, es fehlt noch eine Vertretung des Denotschen Hauses; wie man sich doch täuscht im Leben! Ich habe sonst gemeint, zwischen den beiden Häusern sei just keine Feindschaft; oder etwa, Herr Korsin ?“Korsin zeigte sich ruhig und erklärte, er habe die Einladung zum Totenmahl gemacht, Denot sei vielleicht nicht wohl,und im Döorflein seien überhaupt keine Feindschaften.

Da klang eine Knabenstimme aus dem Hausgang herein;es klopfte schüchtern. Philomene öffnete, und an der Schwelle stand der neunjährige Max und hinter ihm seine Schwester Rosa.

„O das ist recht, Rosa, daß du, gerade du kommst und das Brüderlein mit dir!“ rief Philomene den Ankommenden entgegen und führte sie in die Stube an den Platz, wo Mutter Pauline und Korsin saßen. Die beiden wurden von der Mutter besonders herzlich begrüßt, und dort war auch Rosas Platz für den Abend.

Sogleich das fühlte sie wieder an der Stirne hund an den Wangen hatte sie ihren Vorsatz gebrochen, den ganzen Abend hindurch so hart und kalt und weiß zu bleiben wie der stubengroße Gipsstein, der in ihrer Wiese innerhalb des Dorfes steht; sie vergaß, daß auch der Stein im Abendrot warm und purpurn wird..

Aber wo sollte Max sitßen? Die Schwester Rosa ihatte in ihrer Aufregung ihn einfach stehen lassen. Er meldete durch Husten seine Anwesenheit, und im nächsten Augenblick hatte ihn Philomene in ihre Arme genommen. Das unschuldige,frische Bürschlein war ihr so lieb, als wär' es ihr Brüderlein.Der alte Knecht Viktor rückte nach links und rief: „Her da!Kleiner, komm du zu mir! Die Philomene hat sonst genug zu tun und zu sorgen! Komm nur!“

Max glitt aus den Armen der guten Philomene, indem er ihr zuflüsterte: „Du gleichst aber dem Engel im Kirchlein,weißt du, dem, der beim heiligen Sankt Joseph steht und einen Blumenkranz so drüber hält!“

„Max, rede nicht so!“ Jlächelte Philomene und führte den Kleinen an den Platz, an Rosa vorbei, die sich bei Korsin und der Mutter entschuldigte: „Wir sind ungeschickt. Wir kommen gar zu zweien! Aber der Vater ist heute gar so schrecklich müde und hat lieber mich geschickt als “

Die kluge Mutter Pauline wußte wohl, warum Rosa neuerdings rot wurde, entschuldigte die kleine Lüge und wollte sie durch ein kluges Gespräch zudecken; aber die heimlich aus dem Herzen kommende kleine Lüge hatte schon ihre Spuren auf Rosas Stirne zurückgelassen.

Linde und leise wurde nun an den beiden Tischen des guten Hausvaters gedacht, manche liebe Worte und Werke aus seinem Leben wurden erzählt während seine irdische Hülle den ersten Abend auf dem Friedhofe zubrachte, zu dem die Lärchen herniederrauschten.

Als es einige Augenblicke stille geworden, strich Jannut den Bart und wandte sich an den Schmied Mathis mit der Frage, welch hohen Besuch er denn vor drei Tagen eigentlich in der Schmiede gehabt habe, ob ein Bote wom Kaiser oder einer vom Churer Bischof ihn heimgesucht habe.

Diese Frage war dem Schmied erwünscht, und als auch andere, die von der Sache zwar schon wußten, ihn fragten,tat er einen kräftigen Schluck, trocknete den grauen Bart und sagte:

„Nun ja, ich mußte ihm eigentlich nur die Schuhe nageln, damit er schnell zum Tal hinaus konnte.“ F

„Dummheit, erzähle alles genau! Es ist gar so unwichtig nicht!“ forderte Jannut und pochte mit der rechten Hand auf den Tisch.

„Nun denn, die Geschichte ist einfach und einfältig. Ich habe gerade eine Axt in der Esse. Da kommt so ein Schreiber mit einem Milchgesicht in die Schmiede, fragt nach meinem Namen, zieht dann einen langen Fetzen Papier aus dem engen Rock und hält mir das Geschreibsel vors Gesicht. Ich habe große Augen gemacht, aber kein Wort gelesen.“

„Auf die Unterschrift hättest du schauen sollen, das ist das Wichtigste! Und war Wachs oder Blei daran 72“ warf Jannut dazwischen, obwohl er wußte, daß Schmied Mathis nur jene Buchstaben kannte, die er seinen Arbeiten einbrannte.

„Was wollte ich mir den alten Kopf zerbrechen! Ich habe mich gegen die Feueresse gekehrt und dem Fremden gesagt ich muß bemerken, er war ein Gerichtsdiener won Nauders.“„Oha, also einer vom Maltitz geschickt! Ja vom Pfleger von Nauders, von Maltitz heißt er, Kaspar von Maltitz,“bemerkte Jannut.

„Der Hemnenfresser!“ warf der alte Viktor grimmig lachend dazwischen, und Mathis fuhr weiter:„Ich habe ihm gesagt, ohne mich umzukehren: Seid so gut und lest mir das Zeug vor, ich shabe heute viel Arbeit!Da nimmt der Kerl das Papier vor die Nase und liest so ungefähr: Schmied Mathis Jenal von Samnaun ist beschuldigt, Waren, insonderheit Eisen, aus Tirol bezogen zu haben,ohne Zoll zu zahlen. Er hat sich in vierundzwanzig Stunden in Nauders zu stellen. von Maltitz. So hat der Kerl gelesen und mich dann am Aermel gepackt und gefragt: Ist das wahr? Ich habe gelacht und gesagt: Frag das Eisen!Dann ist er aufgefahren, als hätte ich ihm den großen Hammer auf die Zehen geschleudert, und hat geschrien: Upverschämter Mensch! Ja, ihr, grobe Samnauner, kehrt seuch nichts an Kaiser und Gesetz! Drauf ich: Ueber uns richtet Gott und der Herr von Chur. Und er: So? weißt du micht, daß der Kaiser im Unterengadin und dahero auch in diesem Loch Samnaun über Leben und Tod zu richten hat? Ich habe dann mit meinem Eisen im Feuer gewühlt und gesagt: Das weiß ich, der Kaiser hat das Recht nach einem dreimal verfluchten üund dreimal unrechten Recht, das ihm der Churer Bischof abgetreten hat. Darauf wurde der Gerichtsbote frech und befahl kurzweg, ich solle Rock und Hut holen und ihm folgen. Ich habe das Eisen in die Esse geschleudert, daß die Funken stoben, habe den frechen Schreiber angeschaut und ihm den Fetzen Papier aus der Hand gerissen und zerrissen und dann gesagt, mag sein, etwas grob und laut: Jezzt ist Zeit! Sonst brenne ich dir mein Schmiedzeichen auf den Buckel, und das kannst du dem Nauderer Vogt melden, ich lasse ihn grüßen. Es ist Zeit, fort, sonst Und der Kerl ist ohne Gruß aus der Schmiede, und ich möchte nun meine lieben Nachbarn hier fragen, ob ihn jemand seit jener Stunde noch im Tale gesehen hat.“

So schloß der Schmied, nahm einen Schluck, und seine Augen funkelten unter dem grauen Gebüsch hervor. Man gab ihm recht, nur Jannut meinte, er hätte dem Gerichtsboten klipp und klar erklären sollen, der Vogt von Nauders sei im Irrtum; denn der Kaiser habe durchaus nicht die niedere Gerichtsbarkeit, sondern nur

„Nichts, gar nichts!“ rief der alte Knecht Viktor. „Wenn der Ädler die Kralle überhaupt aufs Lamm legen darf, dann kann ihm der Schäfer lang zurufen: Halt, du darfst nur ein Stück nehmen, das andere mußt du da lassen, das ist heiliges Recht! Der Adler schlägt doch die Flügel und trägt das ganze Lamm in die Felsen hinauf. Und der Tölpel von einem Schäfer mag seinen Hirtenstock lang in die Luft heben und Einsprache erheben und den Adler nach irgend einem osterreichischen Städtchen zu Friedensverhandlungen einladen.“

Alle merkten, daß der sonst so kindisch fromme Viktor wieder den Churer Bischof meinte. Da wagte Rosa die Frage an Korsin, ob der Bischof wirklich abgefallen und ein Verräter am Lande geworden sei.

Korsin antwortete ihr, aber so, daß es alle hören konnten: „Der Bischof hat die Seelen zu hüten, und die Kriegstage sind für die Seelen nicht Tage des Heiles. Wenn der Krieg kommen muß, nun so komme er, dann wissen wir schon,wo wir zu stehen haben. Aber bis dahin wollen wir nicht ohne Not die Herzen trennen. Wir sind Nachbarn der Tiroler, und sie kommen auf unsern Kirchtag herein und wir gehen auf ihren Kirchtag. Und unser Nachbar Peter hier und seine Jakoba haben gezeigt, daß Samnauer Herzen und Tiroler Herzen nicht sind wie das Herz des Hundes und das Herz der Katze. So weit soll die Feindschaft nicht gehen!“

Die meisten zollten den Worten Korsins Beifall. Aber über Rosas Stirne ging etwas, wie ein Wolkenschatten an der Stirne des „Hohen Spitzes“ vorübergeht; sie hörte aus den Worten Korsins etwas heraus, was sie an das harte Wort erinnerte, das sie am Brunnen hören mußte: Verlaßne,blinde Braut!

Der Mond stieg höher, die Kerzen brannten tiefer.

Max saß vergnügt bei seinem grauen Nachbar Viltor,und beide plauderten und lenkten die Augen der anderen auf sich. Max wollte vorgestern einen Geier bemerkt haben; Viktor belehrte ihn, es sei nur ein Hennenhabicht gewesen.

„So groß? Nein, das ist ein Geier oder Adler gewesen!“ AUnd es bestand der Kleine auf seiner Meinung.

„Du bist doch ein kleiner Alleswisser,“ lachte Viktor gutmütig; „ich weiß nicht, was du im Kloster Marienberg noch lernen könntest! Aber wenn du meinst, ein Hennenhabicht sei ein Geier, bist du trotzdem ein kleiner Dummkopf, ein hübscher zwar“ und Viltor legte seine schwere Hand auf Maxens blonde Locken; dieser schaute ihn mit unzufriedenen Aeuglein, aber doch lächelnd an: „Ich bin kein kleiner Dummkopf,ich heiße Max wie der Kaiser!““

„Leider, leider!“ sprach Viktor und schüttelte den Kopf.„Wäre ich dein Taufpate gewesen, du hättest einen anderen Namen! Ich hätte mit dem Pfarrer lateinisch gesprochen.“

„Ihr könnt ja nicht lateinisch, das kann nur der Pfarrer und der Korsin,“ lachte Max und warf mit dem Ellbogen sein Täßchen Wein um, so daß er erschreckt aufsprang.

„Aber, Max,“ tönte es aus dem schwesterlichen Munde zu ihm herüber; „so geht's, wenn man dumm schwatzt und dumm tut!“

„Das macht gar nichts, Maxerl,“ beschwichtigte die gute Philomene, eilte mit einem Tuche zur Unglücksstätte und trocknete jedes Tröpflein vom Tisch und vom Wams ihres lieben Freundchens. Dann lehnte sie dessen Köpfchen an die Stuhllehne zurück, daß ihr Max ins lächelnde Antlitz schaute, wie zwei Alpenveilchen am heitern Morgen in den Alpsee schauen,und sie fragte lächelnd: „Aber wer hat dir gesagt, daß Korsin auch lateinisch versteht 2“

„Das hat mir meine Rosa gesagt, und er sei immer der beste Student im Kloster Marienberg gewesen.“

„Bist du ein Schwätzer!“ klang's wieder aus dem schwesterlichen Mund herüber, während Korsin, die Röte an Rosas Stirne bemerkend, hinzufügte: „Der beste Student war ich nicht,sonst wäre ich wohl im Kloster geblieben, was auch das Beste gewesen wäre.“„Nein, das habe ich nicht so gemeint“ und Rosa zerbrach in der Verlegenheit ein Stückchen Roggenbrot, daß man auch ihre Finger knacken hörte. Da suchte Viktor wieder zu Wort zu kommen; denn wenn er seinen Wein trank, konnte er nicht leicht schweigen. Er ließ seine Rechte auf die Tischplatte fallen: „Ja, gut lateinisch hätte ich bei deiner Taufe gesprochen!“

„So sagt einmal, wie!“ bat Max schelmisch.

„Reveérende Domine!“* so hätte ich gesagt, reverendé Do-mine, laßt den fremden Namen beiseite!“

„Das ist ja nicht lateinisch,“ lachte Max.

„Du kleiner Schelm, schweig! Reverende Domine, Max soll der Samnauner Bube nicht heißen! Gibt's keine Heiligen, die wir in unserem Tale verehren, so nennt ihn gleich Magnus! Von ihm kommt der Name unseres Tales Samnaun, Sankt Magnus. Nennt den Buben, wie Ihr wollt,nur nicht Max und, reverende Domnine, fragt nicht warum,nur nicht Max, reverende Domine! so hätte ich mit dem Pfarrer lateinisch gesprochen“‘ und seine Hand fiel wieder auf den Tisch, daß Max erschreckt aufsprang.

„Der Tiroler Pate hat den Namen gewünscht,“ bemerkte Korsin, „und der Name ist Nebensache.“

„Nicht einmal,“ erwiderte Viktor; „mich macht der Name jedesmal zornig. Ich nenne dich Magnus, hörst du, Kleiner!Und jetzt, Philomene, noch einmal ein wenig Wein in meine leere Tasse!“

Rosa war froh, daß die Talgkerze schon tief heruntergebrannt war; denn sie wußte heute nicht, was sie reden sollte,so blöde kam sie sich selber vor. Und doch wäre sie nicht gern heimgegangen, wo sie in der Kammer über jenes harte Wort, das sie vor einer Stunde am Brunnen gehört hatte,so bitter weinen mußte.

Die Tasse Viktors war wieder halb geleert; aber seine Gedanken erhitzten sich und er wandte sich an den kleinen Max,wünschte aber, daß alle auf seine Worte achten sollten.dochehrwürdiger Herr!„Ja, du kleiner Magnus, du hast also gemeint, ein Hennenhabicht sei ein Adler?“

„Das habe ich nicht gemeint, aber ein Adler ist's gewesen, den ich “

„Ich ill dir einmal den Unterschied sagen zwischen beiden: er ist so groß, wie der Unterschied zwischen dem Vogt von Nauders, der früher ein Hennenhabicht gewesen ist, und dem Kaiser Max.

Viktor und der kleine Max schauten einander mit großen Augen an.

Jannut stieß sachte seinen Nebenmann mit dem Ellbogen und flüsterte: „Ich wette meinen Kopf, er kommt wieder mit dem Hennenkrieg.“

„Laß ihn erzählen, er wird jung dabei, und schön ist's doch gewesen,“ gab der Brunnenmeister Nikolaus zurück.

Viktor nahm einen Schluck und sprach: „Höre, Kleiner,der Hennenkrieg “

„Der Hennenkrieg?“ fragte Max, stand auf, stützte den Ellbogen auf den Tisch und sein Lockenköpfchen auf die Handfläche; wie ein Füchslein wollte er lauschen.

„Ja, der Hennenkrieg, aber nicht wie du einen gesehen hast. Es sind fast dreißig Jahre seither. Da mußten die Unterengadiner und auch wir Samnauner dem Vogt von Nauders in jeder Fastnacht eine Henne bringen.“

„Ja, sind in Nauders keine?“

„Du kleiner Dummkopf ich wollte sagen: mein lieber,kleiner Magnus! Freilich gab es Hennen dort; aber der Vogt wollte gerade unsere Hennen, und doch haben wir ihm nicht die feistesten gebracht.“

„Warum auch eine Henne?“

„Kannst du nicht schweigen? Schau, wir haben dem Vogte, der in Nauders im Namen des Kaisers sitzt und Hennen ißt, in der Fastnacht eine Henne aus jedem Dorf gebracht,gerade als wollten wir sagen: Kaiserlicher Hennenesser! Eigentlich solltest du uns dumme Gotteshausleute, nachdem du uns gerupft hast, ins heiße Wasser werfen wie so eine Henne.Aber damit wir übers Jahr doch auch wieder kommen können, begnüge dich mit den Hennen deiner Knechte und der Knechte des Kaisers!“

„Aber “

„Aber sei doch still! Aber im Jahre des Heiles,anno 1475, hat's aufgehört. Da haben wir bei uns gedacht:Ja, das wird zu dumm, das Hennentragen! Unsere Weibsleute lachen uns aus. Selbige Fastnacht mußte der Hemnenesser von Nauders fasten oder seinen Hühnerstall angreifen. Wir haben ihm keine Federn mehr gebracht. Da hat der Vogt er war noch jung, der gleiche, der jetzt noch zu Nauders sitzt da hat er seinen Zorn springen lassen, hat das Unterengadin überfallen und Remüs angezündet. Ich bin dabei gewesen. He,Magnus, gib dein Händchen, greif her! da unter dem Haar an der Stirne, merkst du etwas?“

„Ja, ein Loch, wie von einem Stein “

„Von einer Lanze! Ich habe gegen das Raubgesindel des Vogtes dreingeschlagen, bis meine Hellebarde zerbrochen war.Da habe ich einen Mordbrenner mit dem Arm zu Boden geschleudert und ihn gewürgt, daß er mich groß genug angeschaut hat, mit Augen groß wie zwei Gulden. Im Mu merke ich eine Lanze an meiner Stirne ein Griff, ich habe sie, ich kehre sie um und ich fange an zu mähen, daß “

„Mähen?“„Ja, in das Raubgesindel habe ich tiefe Mahden gemäht,wahrscheinlich nicht alle für die Scheunen des Herrn. Ich bin ganz wütend gewesen und habe meine Arbeit getan, so gut wie der Held Gebhard Wilhelm von Remüs. Am Abend hat man uns beiden den ersten Ehrentrunk gegeben. Aber der Vogt ist mit dem Rest des Raubgesindels zurück und nach Nauders hinauf. Und so oft er eine Henne gackern hört, schüttelt er den Kopf und tut einen Fluch. Und ich, gelt, Philomene? ich habe die Hennen seither immer lieber gehabt und behandle sie mit Ehrfurcht “„Mit dem besten Korn!“ lachte Philomene. Darauf Viktor: „And so oft ich eine Henne gackern höre, schüttle ich auch den Kopf und lache. Jetzt weißt du, Magnus, was der Hennenkrieg ist, und jetzt meine ich, du solltest heim gehen, ich gehe jetzt auch schlafen.“

Rosa erschrak; der Abend war also vorüber, und sie war noch in Zweifeln und trüben Gedanken, wie sie gekommen war.

Man plauderte noch ein Weilchen, man stand auf und betete ein De profundis für den lieben Verstorbenen, Jan von Laret, man wünschte sich herzlich eine gute Nacht, und Rosa war die letzte, die mit Max aus der Stube ging. Philomene begleitete sie bis zur Haustüre, und dort plauderten sie noch ein Weilchen.

Ein Weilchen nur; aber Mutter Pauline benutzte die kurze Zeit, da sie mit Korsin allein war, um ihm etwas zu sagen, das sie ihm sagen mußte, ehe die Nacht kam, die erste,in der ihr lieber Jan nicht mehr im Hause war.

„Korsin, so muß es so gehen, auch ohne den Vater.“

„Wir wollen es tragen und wir wollen hoffen.“

„Was die Hand des Vaters angerührt hat, das ist freilich geordnet. Aber Eines hat er nicht mehr ordnen können. Davon hat er auf dem Sterbebette mit mir gesprochen.“

Korsin blickte zu Boden und schwieg.

„Das hat er in deine Hand gelegt, Korsin.“

„Was denn, Mutter ?“

„Du weißt es es betrifft dich und uns. Es hat dem sterbenden Vater Kummer gemacht, daß du eine Braut in Tirol “

„Und mir hat er nie etwas davon gesagt!“

„Er wollte dich nicht betrüben und meinte, mit der Zeit “„Und ist die Johanna etwa deswegen schlecht, weil sie eine Tirolerin ist und macht sie auch mich schlecht?“ Korsin stand erregt auf, und erst als die Mutter ihn mit den feuchten,milden Augen anschaute, setzte er sich wieder.„Sieh, Korsin, es ist für uns ein Trauerjahr, doppelt traurig der Tod des Vaters und der Krieg! O ich weiß nicht, warum aber es ist mir so schwer. Ich meine, es komme ein Ungück, wenn du ich weiß es nicht, es ist mir so bang.“

„Mutter, hört! Ich gehe morgen nach Pfunds hinaus,und es wird alles geordnet, so oder so.“

„Nach Tirol hinaus? in dieser bösen Zeit? Und, Korsin,weißt du, du bist nicht so ruhig wie der Vater J

„Es muß geordnet werden! Nein, so mag ich nicht leben und Sommer und Herbst arbeiten, so nicht!“

„Die Wochen des Sommers und Herbstes werden das alles besser ordnen als du morgen.“

„Nein ich gehe; Mutter, habt doch keinen Kummer! Ich bin morgen abend wieder hier. Aber sagt niemand, wo ich hingegangen bin!“

„Korsin, du machst mir Kummer “

„Er soll eben aufhören, Mutter, laßt mich gehen!“

Da knackte die Türfalle, und Mutter Pauline konnte nur noch leise sagen: „Tue wie du willst!“ Philomene war zurückgekehrt, und sie durfte vom Gespräch nichts wissen; ihr gutes Herz hatte ja ohnehin genug zu tragen.

Die Talgkerzen waren am Verlöschen.

Pauline wünschte ihren beiden Kindern eine gute Nacht,während ihre Augen in Tränen glänzten. Philomene ging und weinte noch lange in ihrer Kammer und schaute in die mondhelle Nacht hinaus, zum hohen Spitz, der wie ein Kirchturm sich zu den Sternen erhob.

Korsin aber rüstete sich in seiner Kammer zur Reise;denn bald nach Mitternacht wollte er aufbrechen. Er legte ein graues Lodenkleid auf den Stuhl, und in das Wams steckte er in einer Lederscheide einen Dolch und flüsterte: „Es sind böse Zeiten, und sollte mich jemand angreifen, dann erfahre er, wie teuer der Letzte vom Stamme Laret sein Leben hergibt!“ Dann ging er zum Schrank, nahm eine silberne Halsdeft 62. 3 34 kette hervor und ließ sie auf der Hand ruhend im Monde glänzen: „Diese habe ich für Philomene gekauft, aber Philomene ist ein Jahr in Trauer; ich könnte sie der Rosa geben;“ er ging ans Fenster und schaute nachdenkend hinaus „aber ich binde mich nicht; der Johanna? morgen soll es sich zeigen, ob sie derselben würdig ist! Und morgen abend,da will ich ruhiger schlafen.“

Korsin schaute über die Dächer des Dörfleins hinweg,hinaus in die Tirolerberge. Und vor dem Hause rauschten im Winde die drei Lärchen.

2 0 Das war für Korsin eine Nacht so ruhelos, daß er froh war über ihre Kürze. Ehe es dämmerte, stand er auf, rüstete sich leise um die Schwester in der Nebenkammer nicht zu wecken, ging sachte die Holztreppe hinab; aber da ging geräuschlos die Stubentüre auf, und die Mutter Pauline trat,eine Talgkerze in der Rechten, in die Hausflur.

„Habt Ihr wieder nicht geschlafen, Mutter, und warum steht Ihr schon auf?“

„O du wirst wohl auch wenig geschlafen haben? Und willst du doch gehen, Korsinus ?“

„Ja, Mutter, ich muß und ich gehe sogleich. Zugleich kann ich mich nach einem Zuhirten für die Alp umsehen.Wenn jemand fragen sollte, wohin ich gegangen sei, sagt nur,ich sei fort, um einen Hirten zu dingen.“

„O wenn es nur das wäre! Geh in die Stube, ich will dir Milch sieden.“

„Nein, Mutter, jetzt mag ich nit essen. Ich gehe lieber bald.“„So nimm doch ein Brot mit, der Weg ist drei Stunden.“ Mutter Pauline kam bald aus der Stube mit einem scheibenförmigen Roggenbrötchen, das sie Korsin in die innere

Wamstasche schob mit den Worten: „Wenn es sein muß, dann gehe in Gottes Namen, und der heilige Engel soll dich begleiten!“

Schweigend reichte Korsin der Mutter die Hand, öffnete die Haustüre, und da schlug der Hund an, der im Stalle übernachtete.

„Korsin, laß den Hektor mit, so bist du nicht allein,“riet die Mutter.

„Gut, ich nehme ihn mit. Mutter, geht noch ein Stündlein schlafen und seid ohne Sorgen; lebt wohl!“ Und die Haustüre ging zu.

Kein Mensch war noch auf dem Wege im Dorfe, da Korsin und der treue Hektor, drei Schritte vor ihm, die Dorfgasse hinabgingen, am Brunnen vorbei. Korsin blickte hinüber durch die untere Dorfgasse und sah eine Kerze hinter einem Fenster brennen. Er wußte, daß Rosa eine Frühaufsteherin war und daß sie oft in aller Morgenfrühe ins Josephkirchlein ging. Er wandte die Augen vom gelbstrahlenden Fenster weg;es war ihm, als brenne dort ein Leichenlicht und als sei er schuld, daß es brenne.

Vorbei an der Mühle, vorbei an der Säge, talauswärts!Er blickte zurück und sah die Pfarrkirche, in deren Schatten das frische Grab des Vaters die erste Morgensonne erwartete und auch den frischen Nelkenstock erwartete, den Philomene schon am Abend zum Einpflanzen gerüstet hatte.

Bald kamen die beiden Wanderer an die Grenze, an den Bach, der aus dem nördlichen Seitental in den Samnaunerbach fließt und die Ostgrenze des Tales bildet. Korsin stand still, als wollte er überlegen, als wollte er zurück. Aber Hektor hatte schon bellend die Brücke überschritten, und Korsin verscheuchte seine wehmütige Stimmung, indem er sich selber zurief: „Vorwärts! Cäsar hat den Rubiko überschritten, ich überschreite den Zanderserbach und sage mit Cäsar: der Würfel ist gefallen!“ Er lächelte vor sich hin, als ihm Cäsar und das lateinische Wort: „jacta alea est“ gerade jetzt in den Sinn kam, eine Erinnerung aus jener schönen Knabenzeit, da er als Klosterschüler in Marienberg war, auf jenem waldumschlungenen Hügel im Vintschgau. Eine liebe Erinnerung verknüpfte sich mit der andern, und Korsin staunte, daß er schon so bald auf dem Hügel stand, draußen im Tirol, wo ein Marienkirchlein steht und wo jeder Wanderer das Bild der Mutter der Schmerzen grüßt. Auch Korsin tat es, und er betete länger als sonst. Denn während er in der Morgenstille im kleinen Heiligtum kniete, kam ihm ein Wort in den Sinn, das der väterliche Abt von Marienberg vor Jahren ihm beim Abschied gesagt hatte: „Korsin von Laret, du hast alles, um recht glücklich, aber auch alles, um recht unglücklich zu werden. Aber sei nie gottvergessen, und dann kannst du nie gar alles verlieren.“ Das Wort fiel ihm heute wieder aufs Herz, und er betete mit Andacht.

Die Morgensonne lag auf den Bergen, als er die Kapelle verließ und weiter auswärts schritt. Er kam in den Wald,stand eine Weile still, während Hektor vorauslief, um am Bächlein, das durch den Wald herunter in den Samnaunerbach eilte, die Zunge zu netzen. Schon war drunten am Waldes-saum der Einödhof sichtbar, wo der Scharfrichter wohnte, und bald überschritt Korsin das Brücklein und stand auf der Straße,und der Kirchturm von Pfunds ragte eine halbe Meile vor ihm. Langsam ging er vorwärts, und einmal sprach er leise:„Ja, wäre es vielleicht nicht besser gewesen, der Mutter zu folgen? Vielleicht erlaufen meine Schritte heute das nicht, was die Wochen des Sommers und Herbstes von selbst gebracht hätten. Doch heute geschehe, was geschehen muß! Ich will nicht arbeiten, solange Eines nicht geordnet ist.“

Schon ging er an den ersten Häusern des Dorfes vorüber,und Hektor, das kluge Tier, jetzt drei Schritte hinter ihm.

Es läutete zur ersten Messe. Korsin lenkte langsam seine Schritte zur Kirche auf dem andern Innufer, während die letzten Kirchgänger an ihm vorübergingen.

„Korsin!“Er schaute um sich, er kannte die weiche Stimme, die den Namen rief, er erkannte Johanna und erschrak.

Er blieb stehen, und eine Jungfrau eilte ihm entgegen.Sie trug ein graublaues Kleid und hatte ein braunes Wolltuch über die Schultern geworfen; das lächelnde, schöne Antlitz mit den blauen Augen war unbedeckt; denn das üppige, flachsfarbene Haar hielt warm genug; wenigstens schienen die Wangen zu brennen, sei's vom raschen Gehen, sei's von der unerwarteten Begegnung.

„Grüß Gott, Korsin!“

„Grüß Gott, Johanna!“ entgegnete Korsin, die Hand darreichend. „Gehst schon so früh in die Kirche?“

„So früh? Und du bist gewiß schon von Samnaun herausgekommen? Fehlt etwas im Tale?“

„Ja, der Vater fehlt mir. Wir haben ihn gestern begraben.“„Dein Vater gestorben? Korsin und du hast es mir nicht angezeigt! Ich wäre zur Leiche gekommen und hätte euch am traurigen Tage nicht allein gelassen!“

Johanna weinte. Sie war ja bekannt im Tal, war am letzten Kirchtag im Hause der Familie Laret gewesen und hatte den alten Jan und die ganze Familie so lieb, und Korsin hat ihr keine Botschaft geschickt!

„Der Herr gebe ihm die ewige Ruhe, und das ewige Lichte leuchte ihm!“ betete sie, während Tränen ihr Antlitz noch lieblicher machten. „Korsin, du hättest es mir anzeigen sollen. Aber wenn so ein Unglück hereinbricht, vergißt man Kleinigkeiten; gelt?“

„Nein, Johanna, vergessen habe ich es nicht; aber aber, die Mutter meinte, es passe nicht und der Weg nach Samnaun sei in diesen unruhigen Zeiten nicht ohne Gefahr.“

„Und doch bist du herausgekommen!“

„Ja, deinetwegen, Johanna, zum Zeichen, daß ich an dich gedacht habe.“

Johanna wurde rot und schaute forschend in Korsins glänzende Augen. „Meinetwegen?“ fragte sie und schlug dann die Augen zu Boden.

Ein Weilchen schwiegen beide. Korsin sah, wie ein Mann auf dem Kirchweg daher kam; auch Johanna blickte auf und sagte erschrocken und mißmutig: „Der geht mir doch immer nach, selbst auf dem Kirchweg; sonst ginge er wohl nicht in die Frühmesse.“

„Wer ist's?“ fragte Korsin, den Kommenden scharf ins Auge fassend.

„Leopold, einer aus Innsbruch, kaiserlicher Beamter und“ doch sie mußte schweigen; denn er war nahe, und sie schaute seitwärts zur Kirche hinüber.

Leopold war ein Dreißiger, hager und auf zwei Dinge stolz: auf seine Adlernase, die ihn ja dem Kaiser Max in einem wichtigen Punkte ähnlich machte, und stolz war er auch auf den blechernen Adler, der auf dem großen, grünen Stülphute angeheftet war, zum Zeichen, daß er in Kaisers Namen in Pfunds war, um zu untersuchen, wie viele brauchbare Pferde und Waffen Pfunds mit seinen Höfen im Kriegsfalle stellen könnte.

„Guten Morgen, Fräulein Johanna gut geschlafen?und schon wieder so früh und so fromm?“ grüßte er mit einer Verneigung und nicht sehr frommen Augen, die er prüfend zwischen Johanna und Korsin hin und her gleiten ließ. Aus Johannas Mund kam ein kalter Gruß, während Korsin seinen Hektor rief, der einer grauen Katze entgegenrannte, die des Weges kam.

Der Beamte sah ein, daß er den Kirchweg allein machen mußte, strich den spitzen Schnurrbart und sagte: „Fräulein Johanna, ist der Vater schon auf ?“

„Ich glaube wohl,“ kam's kalt zurück.

„Dann muß ich ihn sprechen; es sind aus Innsbruck Papiere gekommen, und ich weiß nicht, wie ich alles bewãältigen kann. Empfehle mich, Fräulein Johanna! Richtig, Fräulein Johanna kann mir heute vielleicht etwas behilflich sein? Ich denke, die Messe ist doch bald aus; darf ich vielleicht bitten,mich zum Herrn Vater zu führen?“

„Ich muß noch in die Kirche und heute habe ich einen strengen Tag,“ kam es wieder kalt aus Johannas Mund zurück.Sie nahm das braune Wolltuch und warf es sich über den Kopf.

Leopold kehrte sich weg; denn Korsins scharfe Augen waren ihm zur Last; ein gemurmeltes „Auf Wiedersehen“, und Leopold ging langsam ins Dorf zurück, zuweilen zurückschauend,während Korsin und Johanna weiter bis zur nächsten Wegkrümmung gingen.

Johanna fragte, wie der Vater erkrankt und gestorben sei; Korsin erzählte es kurz; denn er wollte nun fragen: „Was hat dieser Mensch mit dir zu schaffen ?“

„Er ist mir lästig und will mein Schatten sein!“

„Johanna, hast du einen Strohhalm als Arm? gib ihm einen Schlag ins lederne Gesicht und “

„O Korsin, hundert wollte ich ihm geben; aber er ist vom Kaiser, und wer ihn schlägt, schlägt dem Kaiser ins Gesicht!“

„Ach, mit eurem Kaiser! Was hat der Kaiser mit solchen Krähen zu tun! Ich hätte Lust gehabt, diesen Kaiserlichen über den Rain hinunterzustoßen!“

„O Korsin, es macht mir Sorge! Ich kann es nicht sagen “„Johanna, wenn unser Versprechen von einem solchen Menschen entzweigebrochen werden kann, ja dann lebe wohl!dann sind wir geschieden; geh zur Kirche, ich gehe sogleich ins Tal zurück!“

Johanna zitterte und schaute ängstlich auf Korsin.

„Was willst du sagen?“ fragte dieser, während es von der Kirche herüber mahnte, daß bereits das Evangelium begann.

„Korsin, wir kommen zu spät in die Kirche; jetzt sind wir allein, und ich muß dir alles sagen, was ich Tag und Nacht denke. Aber gelt, wenn ich alles so kurz und ungeschickt sage, so nimmst du es gut auf? Ich bin ja ein Kind “„Sei aufrichtig wie ein Kind und sage, was dich drückt!“„So höre, Korsin! Mein Vater und der Pfleger von Nauders, der Maltitz, o sie wollen ich darf es nicht sagen “„Sie wollen das Samnaunertal überfallen? Ich rate es ihnen ab “

„Nicht das, nicht das! Sie handeln um mich, der Vater will mich verkaufen, und der alte Maltitz will mich kaufen für seinen Sohn “

Korsins Augen flammten, er kehrte sich hinüber zur Kirche,und der rechte Fuß mit dem eisenbeschlagenen Schuh wühlte Sand und Steinchen des Weges auf, wie die Tatze eines Löwen, der plötzlich einen Tiger heranschleichen sieht.

Johanna nahte sich ihm und berührte seinen Arm, indem ihr Tränen an den Wangen hingen: „Du glaubst, ich sei damit zufrieden? Korsin, wenn du das glaubst, ja dann sage ich auch:Ich gehe sogleich in die Kirche, und du geh sogleich ins Tal hinein!“

Noch nie hatte Korsin ihr so tief in die blauen Augen geschaut; er mußte hinunter geschaut haben bis auf den Grund des Herzens; denn er drückte ihr die Hand und sprach mit fester Stimme: „Wenn es so ist, Johanna, dann bleibe ich dir treu bis zum Tode, ja bis zum Tode, und wenn es sein sollte, bis zum Tode dort drinnen beim Hof, wo der Scharfrichter wohnt.“

Johanna erschrak über den festen Druck der nervigen Hand, über das Leuchten der dunkeln Augen und fügte schnell hinzu: „Nein, bis zum Tod in Glück und Freude, dort drinnen in deiner schönen Heimat, im Dörflein auf dem Hügel, im Hause bei den drei Lärchen, wenn deine Mutter mich als Tochter und deine Schwester mich als Schwester annimmt.“

Korsin griff in die Tasche und nahm die silberne Halskette heraus: „Da, Johanna, nimm sie! Ich bin heute, am ersten Tage nach der Beerdigung des Vaters, herausgekommen, um zu sehen, ob ich dir die Kette geben solle. Willst du sie tragen ?“

„O Korsin, du weißt, was ich will “

„Und hast du den Mut, sie zu tragen und zu bekennen,sie komme von einem Samnauner ?“

„Ja, Korsin, wenn du mich schützest! Aber sie paßt nicht zum schwarzen Kleide, das ich jetzt tragen will ich trauere mit dir um den Vater.“

„So bewahre sie auf, es kommen wieder bessere Tage und dann der Hochzeitstag!“

„Ach, der Krieg“ seufzte Johanna und blickte voll Ahnung und Angst hinüber auf das große, festgemauerte Haus,das mit Wimpeln und Kränzen geschmückt war. „Ach, der R

„Nun ja, Kaiser Max hat es bauen lassen gegen uns vom Gotteshausbund. Aber der Krieg geht bald vorüber,und dann, Johanna, im Herbst, wenn die drei Lärchen vor meinem Hause gelb werden, dann fängt unser Leben an zu grünen!“

„Aber, Korsin, noch eines!“

Da läutete drüben die kleine Glocke, es war Wandlung.Beide khnieten am Wegrand nieder und beteten leise. Korsin stand auf und fragte: „Und warum ist das. Haus so geschmückt ?“„Ach, es muß heute gejubelt sein, und ist doch das Haus gebaut zur Trauer!“

„Man will die Gefängnisse der Graubündner bekränzen “lachte Korsin.

„O lache nicht! Geh jetzt lieber heim, sogleich heim, ich bitte dich!“ *

Nein, ich will das Fest sehen!“

„O geh heim! Du weißt es nicht es kommen auch die Herren von Nauders Maltitz “

„Ich fürchte sie nicht! Oder hast du es lieber, wenn du mit dem jungen Maltitz allein sprechen kannst? Bringt er dir vielleicht eine schönere Kette mit?“ 42 Da warf Johanna die Halskette, die sie in der Hand gehalten hatte, über den Kopf, daß ihr das goldene Kreuzchen auf die Brust herabhing, und sprach mit leuchtenden Augen:„Schau, das Kreuz Unseres Herrn lasse ich mir nicht rauben und auch deine Liebe nicht! Aber du weißt, es ist heute gewiß kein guter Tag und du bist kein Lamm, und wer weiß, was alles kommt! Tu es mir zulieb, geh heim!“,

„Und gerade deshalb bleibe ich bis zum Abend, weil der Vogt “

„O dieser Maltitz o geh heim!“ flehte Johanna mit gefalteten Händen.

„Und wenn Kaiser Max käme, meinst du, ich habe mich zu fürchten? Habe keine Angst! Geh jetzt zur Kirche hinüber!Ich aber muß nöch über die Weiler hinuntergehen, ich brauche einen Hirten. Ich komme wieder und sehe dich heute noch.Lebe wohl!“

Johanna legte die zitternde Hand wie eine Braut in die Hand des Verlobten: „Auf Wiedersehen!“

Sie ging in die Kirche, während Korsin auf einem Waldweglein zur Landstraße einbog.

Als er auf die Straße gelangte, sprang Hektor gegen das Samnaunertal; aber der Herr wollte dem klugen Tier nicht folgen, sondern schritt rasch durch das Dorf abwärts, blickte freudestrahlend in die wonnige Maienlandschaft, als ob er singen wollte, und dann glitt wieder über sein schönes Gesicht jener Zug der Wehmut, der schon seine Knabenstirne manchmal beschattet hatte mitten in lauter Freude. Und wieder fiel das Abschiedswort des guten Abtes von Marienberg ihm auf die Seele: „Alles, um glücklich zu werden alles, um unglücdlich zu werden!“ Er brach stillestehend von der Straßenhece eine khospende Wildrose, um sie auf seinen grauen Hut zu stecken. „Nein, gestern war Beerdigung des Vaters, fort mit Blumen!“ sprach er vor sich hin und warf die Rose in den Staub. „Ist das die Rose von meinem Dörfchen Laret, die ich wegwerfe, um “

Er schwieg, fuhr mit der Rechten durch die schwarzen Locken, setzte den Hut wieder auf und wanderte weiter, um bald im nächsten Weiler einen Hirten zu finden.

Zur gleichen Stunde ging Rosa mit ihrer Freundin Philomene Arm in Arm zur Pfarrkirche und aufs frische Grab.Philomene hatte der Freundin berichtet, Korsin suche im Tirol einen Hirten; Rosa aber schwieg und kniete weinend am Grabe neben Philomene, die den Nelkenstock einpflanzte.

Johanna kam noch etwas vor dem letzten Segen des Priesters in die Kirche und kniete im hintersten Stuhle noch eine Weile, als schon alle wieder fort waren. Dann trat sie hin zum Marienaltar, wohin sie als Mädchen die ersten Veilchen getragen hatte, und dort betete sie inbrünstig für Korsin und daß alles Unheil fern bleiben möge. Sie hatte jetzt keine Veilchen auf den Altar zu legen; aber das Veilchenpaar ihrer Augen blickte so lieblich hinauf zum Bilde, wenn sie betete: O bitte für uns arme Sünder, jetzt, jetzt o jetzt,und in der Stunde unseres Absterbens!

Sie mußte die Kirche verlassen und nach Hause eilen;denn ein arbeitsvoller Tag wartete ihrer, der Wirtstochter des Gasthauses „Zum Habsburger Adler“. Als sie den Hausgang durchschritt, hörte sie in der Stube die Stimme ihres Vaters und Leopolds. Rasch ging sie in ihre Kammer hinauf, „Johanna, kommst du nicht bald!“ rief nach einer Weile der Vater mit barscher Stimme hinauf.

„Im Augenblick“ und im nächsten Augenblick stand Johanna oben auf der langen Steintreppe in schwarzem Kleide!„Bist du von Sinnen? Was willst du mit dem schwarzen Kleid?“„Vater, sobald wir allein sind, will ich Euch alles sagen.“Es war nämlich auch Leopold in den Hausgang herausgekommen, weshalb Johanna noch oben stehen blieb. 44 „Also, Herr Kommissarius, Ihr könnt ruhig sein! Alle Pferde von Pfunds und den Höfen will ich zur Verfügung stellen; zwei brauche ich, falls der Herr Kaiser Max kommen sollte.“„Ich danke; ja wenn alle so patriotisch wären, dann hätten wir die verfluchten Engadiner bald am Bratspieß!Also, ich komme, sobald Herr von Maltitz von Nauders herunterkommt. Ich sehe nach, ob alles bereit ist zum Fest.Nichts soll fehlen, kein eiserner Fensterladen, keine Kette in den Kellerlöchern! Es ist ein prächtiges Haus!“ Während Leopold sich so erhitzte und seine dürren Arme schlenkerte,ließ er seine grauen Augen zuweilen auf Johanna hinauf schielen. Er wußte, warum sie schwarz gekleidet war; denn er kannte Korsin, und auch die Todesnachricht war aus Samnaun zu seinen Spürohren gedrungen.

Mit kurzem Gruß, der vom Wirt höflich, von Johanna gar nicht erwidert wurde, verschwand er über die steinerne Haustreppe hinab, und Johanna durfte jetzt in die Hausflur herabkommen.

Der Vater schaute sie finster an; freundlich war er auch früher nie gewesen, und jetzt war sein Gesicht kupfern, Haare und Bart grau wie Sand.

„Vater, o denkt nur! Jan von Laret ist gestern begraben worden,“ und Johanna sah schüchtern zum Vater hin, als ahnte sie ein hartes Wort.

„Der Samnauner? Und deswegen das schwarze Kleid?Hinauf! fort sogleich mit dem schwarzen Gewand! oder folgst du nur, wenn du willst, he?“

„Aber Vater, er ist oft hier gewesen bei uns und wir bei ihm im Tale drinnen “

„Ja früher, vor dem Kriege! Hätte der Querkopf im verfluchten Tale drinnen nur ein Wörtlein für den Kaiser gesprochen, statt gegen ihn, dann wären die Samnauner auch kaiserlich. Verstehst du mich? Einfältiges Ding, fort mit dem Trauerkleid!“

Johanna wandte sich ab und verbarg das silberne Kettchen unter dem Halstuch.

„Wie oft muß ich dir etwas befehlen, bis du “

Da trat Johanna näher und blickte den Vater ernst und doch kindlich an. Umsonst; er streckte den Arm gegen die Stiege aus und kehrte sich finster um. Johanna trat wieder vor sein Antlitz und ihre Augen glänzten.

„Das habe ich nicht gewußt, daß die Männer nur so treu sind, nur so,“ sprach sie scharf und schaute dann finster vor sich hin. Ihr Mund konnte nicht nur lächeln, sondern auch Entschlossenheit, ja Trotz auf die festgeschlossenen Lippen legen.

Der Vater befahl ihr, ihm in die Stube zu folgen.

„Hanna, du hast gehört! sonst zerreiße ich dir den schwarzen Plunder “

„Das Trauerkleid, das ich auch für die Mutter getragen habe?“

„Und das du jetzt entweihst, weil du es trägst für die Feinde unseres Kaisers! Willst du mich heute zornig sehen,heute, wo ich sonst so viel und viel Wichtiges zu tun habe! Fort,folge!“„Ich folge. Das Kleid kann man weglegen oder wegreißen, es ist außen an einem “

„So, und das Herz hängst du an die Feinde unseres Kaisers?“„Ich weiß, wo das Herz hingehört, Vater.“

„Wohin? Wohl gar ins Samnaunertal?“

„Das Herz gehört dem Himmel und gehört auch dem Kaiser; aber Gott und der Kaiser verbieten mir nicht, treu zu sein.“

„Weiberschwatz! Fort einmal mit dem schwarzen Kleid,das andere dann an zweiter Stelle!“

Johanna wandte sich zum Gehen. Noch nie im Leben hatte sie es gewagt, dem rauhen Vater zu widersprechen.Hatte Korsinus ihr mit seiner Hand auch Mut und Kraft gegeben? Sie kehrte sich wieder um und rief mit einer so lauten Stimme, so entschieden und so feurig, daß der Vater sie nur mit großen Augen anschauen konnte: „Vater, das Kleid ist von Euch, ich hänge es gehorsam in den Kasten. Aber mein Herz habe ich von der seligen Mutter! Ich lege mein Herz lieber in den Totenschrein, als daß es undankbar und treulos werden soll.“

Rasch ging sie hinaus und hörte nicht mehr den halblauten Fluch des Vaters.

An jenem Vormittag des 2. Mai war in Pfunds auf den Gassen, besonders in der Nähe des neuen Turmes, reges Leben. Auf der Wiese neben dem Turm wurde ein Schießstand hergerichtet, im Obstanger des Adlerwirts wurden Tische und Stühle aufgestellt, die Hauptgasse wurde sogar gekehrt,und überall machte sich der dünne Kommissarius aus Innsbruck wichtig, sogar im Adlerwirtshaus, obwohl dort Johanna für alles bestens sorgte. Sie tat es, um ihren Kummer zu vergessen, den sie nicht vergessen konnte; um die Tränen zurückzuhalten, die doch immer auf die beiden Veilchen tauen wollten. Dabei machte sie manchen Umweg, um ihrem lästigen Schatten, dem Kommissär Leopold, entfliehen zu können, ging sehr oft in die Küche zur alten Köchin Therese, der sie ihr Leid halb offenbaren durfte. Als Leopold immer wieder zur Küchentüre hereinschaute, warf ihm die Alte am Feuer einen unwilligen Blick zu und sagte leise zu Johanna: „Da hättest du einen besorgten Bräutigam!“

„O wenn der Kaiser Max nur solche Männer schicken kann, armer Kaiser!“ gab Johanna leise zurück und warf Holz in das Herdfeuer; Leopold verschwand wieder.

„Sage nichts gegen den Kaiser! Du weißt, er will selber nach Pfunds kommen, und du wirst ihn bedienen müssen. Und wie würdest du feuerrot werden und zittern, wenn du einmal ein Wörtlein gegen unsern Kaiser Max gesagt hättest!“

Es war Mittag vorüber. In der Hauptgasse von Pfunds war Lärm und Gedränge; das Volk aus den Weilern und nahen

Dörfern war auch herbeigekommen. Schon wiederholt war der Kommissär Leopold durchs Dorf geritten, hinaus zur Nauderser Straße und wieder zurück. Noch immer kam Maltitz nicht.Leopold saß auf dem Gaul, so lose, daß bald das rechte, bald das linke Bein beinahe bis auf den Boden herabging; auf das halblaute Gekicher von links und rechts gab er dem ehrlichen Gaul jedesmal einen Schlag mit der Schreiberhand, den Schlag,den er selbst auf das schwarzsamtene Koller verdient hätte.

Nun galt es Ernst! Leopold sprengte durchs Dorf herein und rief: „Auf! auf! der kaiserliche Vogt kommt!“

Vor dem Wirtshause zum Habsburger Adler rief er besonders laut und blickte zur hohen Steintreppe hinüber, wo Johanna stand. Laut jubelte das Volk, besonders die Buben schrien unbändig und rannten um den Gaul, der seine Ruhe verlor, sich rasch umdrehte und großäugig auf seinen Reiter hinabschaute, der bei der unvorbereiteten Wendung in den Staub zu liegen kam. Erneuter Jubel! Der Gaul ahnte nichts Süßes und riß aus, dem kaiserlichen Vogt entgegen, während der Reiter fluchend sein Wams reinigte, bis zu seinem Schrecken Blutstropfen auf die Hand fielen. „Zum Teufel!“ rief er;denn erst jetzt merkte er, daß seine stolze Adlernase geritzt war.

„Herr Kommissär!“ kicherte die alte Magd von der Treppe X

„Zum Teufel!“

Die Magd und Johanna gingen in die Küche zurück, der Platz war menschenleer geworden um den gefallenen Leopold herum. Dieser lief nun dem Volke nach; die dummen Bauern hätten ja nach seinem Plan den kaiserlichen Vogt erst drunten beim Turm erwarten und empfangen sollen; er selbst wollte ihn empfangen und vorreitend zum Turme führen. „Der verruchte Gaul, gewiß stammt der aus dem verfluchten Engadin,“murrte er und kam keuchend an das Dorfende, wo das Vollk Stellung genommen hatte. Auf seine Aufforderung, zum Turme zurückzukehren, rührte sich kein Fuß. Daher ging er durchs Volk hindurch, dem kaiserlichen Vogt entgegen, der schon nahe war. Der Gaul aber stand weit drunten in einer Wiese am Inn.

Der Schar voran ritt auf einem stolzen Schimmel der Vogt von Nauders, Kaspar von Maltitz, ein Mann dem Greisenalter nahe, aber noch stolz emporgerichtet. Sein schwarzes Sammetkleid hob die glänzende Brustkette hervor, und an der Kette taumelte ein kleiner bronzener Adler. Graue Brauen beschatteten die grauen Augen des Vogtes; das fleischige, gerötete Antlitz war bartlos, und auf dem breitkrämpigen grünen Hute glänzten und nickten zwei mächtige Pfauenfedern.

Zur Linken des Vogtes ritt dessen Sohn Ferdinand, ein hochgewachsener Jüngling in hellgrünem Sammetkleid; sein Antlitz mit der zartweißen Farbe und die wohlgepflegten blonden Locken verrieten, daß er wohl manchen Tanz am Hofe,aber noch keinen Streifzug in das rauhe Engadin zu den harten Männern mitgemacht hatte. Das rote Banner mit dem Kaiseradler in Seide gestickt, die roten Federn auf dem Hute flatterten im Winde, die blauen, feurigen Augen überschauten die Volksmenge.

Ein Dutzend Reiter folgten.

Kommissär Leopold trat vor; die Reiter hielten an, das Volk murmelte, und von der Wiese herauf wieherte der treulose Gaul.

Kaspar von Maltitz reichte vom Pferde herab dem Kommissär die Hand, dem das Blut in den Kopf gestiegen war,so daß die verfluchte Ritze an der Adlernase nicht aufhörte zu bluten.„Kaiserlicher Pfleger, Kaspar von Maltitz, geruhen bis zum Kaiserturm weiter zu reiten! dort soll der Empfang ex officio stattfinden,“ brachte Leopold mit Mühe hervor.

„Gut!“ und der Vogt winkte, das Volk teilte sich, die Reiter trabten hindurch, das Volk strömte nach, und bald war man vor dem Turm.

Die Reiter sprangen vom Roß, nur Maltitz saß auf dem stolzen Schimmel und winkte mit der Hand; die Volksmenge schwieg.„Tiroler!“ begann er mit seiner durchdringenden Stimme,„es ist heute ein wichtiger Tag, so wichtig, als dieser feste Turm ist, den unser Kaiser Max hat bauen lassen!“

Bei diesen Worten nahm er den Hut ab, und alle Männer entblößzten das Haupt; unter dem grauen Haar des Vogtes wurde eine lange Narbe sichtbar, eine Erinnerung an den bösen Hennenkrieg.

„Tiroler, unser Land war nicht genug geschützt gegen die treulosen Nachbarn dort drüben in den Bergen. Deswegen steht hier der Turm. Haben die Engadiner harte Köpfe, diese Quadersteine sind noch härter! Wollen die harten Köpfe trotzen, da drinnen sind Keller und Ketten! Lang genug hat unser bester Kaiser Max den Trotz geduldet und die Gänsefeder statt des Schwertes kratzen lassen.“ Bei diesen Worten hob der Kommissär die rechte Schulter und schielte über dieselbe hinaus auf den Sprecher.

„Diese Zeit sei vorbei! Entweder oder! Tiroler, versteht ihr mich?“ Maltitz setzte seinen Hut auf.

Ein Gemurmel ging durch die Menge. Da trat der Kommissär vor und sprach: „Jawohl, wir verstehen, was der kaiserliche Pfleger sagt und was der Turm sagt. Nieder mit dem Trotz! Hoch der Pfleger von Nauders!“

Schon erhoben sich einzelne Hochrufe; doch der Vogt nahm wieder den Hut ab, schwang ihn mit der Rechten und rief:„Es lebe unser Kaiser Max!“

Ein ungeheurer Jubel erfüllte den Platz.

Junker Ferdinand von Maltitz schwang das Banner, der alte Maltitz sprang vom Pferde und rief: „Nun unterhaltet euch beim Scheibenschießen! Versorgt die Tiere in der Nähe!Den ersten Schuß trete ich meinem Sohne ab! Frisch! Der Kommissär und der Vorstand kommen mit mir in den Kaiserturm.“Während die Herren den gewaltigen Turm vom tiefsten Keller bis hinauf zur Spitze des Wachturms besichtigten, rüstete man sich auf der großen Wiese neben dem Turm zum Scheibenschießen. In der Mitte der Scheiben wurde ein gewaltiger

Heft 62.Steinbock aus Brettern aufgestellt, auf den Hinterfüßen stehend, mit Hörnern, die in weitem Bogen den Boden berührten.Das Volk jubelte, nur einige Männer sagten leise zueinander:„Es ist halt doch das Wappen des Bischofs, das sollte man bleiben lassen!“

Auf einem Wiesenpfad nahte sich Korsin von Laret. Noch war kein Pfeil von keiner Armbrust abgeschickt; aber man rüstete sich, man prüfte die Stränge, man bildete Gruppen,man verteilte die Pfeile.

Da befahl der junge Maltitz, eine Stange zu holen; sie wurde gebracht und an derselben das Banner mit dem kaiserlichen Adler befestigt; der junge Maltitz selbst trug das Panier durch die Wiese hindurch und stieß die Stange in die Erde, daß das Tuch hoch über dem Steinbock flatterte.

Eine Weile und Maltitz ergriff die Armbrust, zielte und ein Pfeil schwirrte und blieb mitten in der Brust des Steinbocks stecken.

Ein Hallo erhob sich.

Korsin drängte sich durch die Menge und kam den Schützen näher. Neue Pfeile schwirrten, und der Steinbock war mit Pfeilen gespickt.

Einige Pfundscher Schützen erkannten Korsin und wußten von früher, daß er ein ausgezeichneter Schütze war; man drang in ihn, auch einen Schuß zu tun.

Er zögerte, und von ferne waren zwei blaue Augen auf ihn gerichtet, und ein Herz klopfte erregt Johanna schaute von ferne zu und zitterte.

„Ich mag nicht schießen, es ist nicht Kirchtag heute,“ erwiderte Korsin, indem er die Armbrust von sich wies.

„Nur ein Schuß, Samnauner! Du bist ja ein guter Schütze!“ drängten mehrere.

„Seiss!“ Korsin nahm eine Armbrust, prüfte sie und den Pfeil. „Auf welche Scheibe 7

„Auf den Kopf des Steinbods!“ riefen mehrere.

Korsin legte die Armbrust auf den Boden: „Das ist ein blöder Scherz! Ja, auf den hölzernen Steinbod könnt ihr schießen; versucht's auf den Graubündner Steinbock!“Der junge Maltitz war in der Nähe, aber auch Johanna hatte sich durchs Volk gedrängt.

„Ist das kein Tiroler, kein Kaiserlicher?“ rief Maltitz.

„Ich bin aus dem Tale Samnaun und stehe unterm Steinbock des Gotteshausbundes,“ entgegnete Korsin fest.

„Ein Samnauner? Dann, dann mußt du schießen! Von euch weiß man nicht, wohin ihr gehört. Frisch, ein Pfeil auf den Steinbock!“ drängte der junge Maltitz und hob die Armbrust vom Boden.

Im gleichen Augenblick trat Johanna herzu und legte die Hand auf Korsins Arm: „Korsin, du sollst schnell ins Dorf hinauf, schnell komm!“

„Ah, Fräulein Johanna vom Kaiseradler! Ein wenig Geduld, es ist gleich geschehen,“ flüsterte Maltitz und reichte Johanna die Hand. Johanna wurde rot und streckte in der Verwirrung dem Junker ihre Hand hin.

Korsins Augen funkelten, er stand groß und schön da,auf seiner Stirn schwoll die Ader, ein Gedanke fuhr ihm durch den Kopf in die Hand. Im nächsten Augenblick hatte er die Armbrust ergriffen und sprach laut: „Gut, ich wage einen Schuß!“

Ringsum ward es stille.

Korsin zielte nicht lange, der Pfeil flog und flog in das Banner und blieb im Adler stecken.

Im gleichen Augenblick warf er die Armbrust auf den Boden, daß sie klirrte und er rief: „Ihr habt's gewollt!So schießt der vom Gotteshausbund!“

„Er hat in den Kaiseradler geschossen!“ rief Maltitz, und das Wort verdoppelte sich, verhundertfachte sich in der Menge.

In diesem Augenblicke trat der alte Maltitz aus dem Turm und näherte sich der Gruppe, die sich um den Schützen Korsin gebildet hatte; hundert Stimmen verklagten den kühnen Schützen, der stolz und stumm dastand.

Der dünne Kommissär sprang über den Zaun hinüber,um das Banner zu holen, in dem noch der Pfeil mitten in der Brust des Adlers stak.„Ruchlos, ruchlos,“ keuchte er, indem er das Banner dem Vogte vorhielt; „da sollte man Tränen des Zornes und der Trauer weinen!“ Und der Falsche frohlockte im Herzen;denn nun konnte er Rache nehmen am Nebenbuhler ihn verderben.

Der Vogt gebot Stille, befahl sein Roß vorzuführen und stieg auf.

„Wer bist du?“

„Korsin von Laret.“

„Woher ?“

„Aus Samnaun.“

„Also dem Hause Habsburg untertänig!“

„Ein Mann des Gotteshausbundes.“

„Schweig, Frevler! Du hast aus Versehen den Adler getroffen 7“

„Nein, ich habe gezielt!“

„Knechte, Ketten her!“

Und einige eilten in den Turm, um die Ketten zu holen.Da sprang Johanna vor und warf sich dem jungen Maltitz zu Füßen: „O bittet Euren Vater, daß er nicht grausam wird!“bat sie mit gefalteten Händen.

„Ich kann da nichts tun, liebes Fräulein; steht auf!“sagte Maltitz zärtlich und wollte mit beiden Händen Johannas Handgelenke fassen. Aber Johanna sprang auf, schritt vor das Roß des Vogtes hin und ergriff den Zügel: „Vogt,o seid nicht grausam, er ist ohne Schuld, man hat ihn gereizt.“

Schon waren die Knechte mit den Ketten da. Johanna entriß dem ersten die Kette und warf sie auf den Boden und rief laut: „Fort! Er ist kein Verbrecher, er ist kein Mörder!“

Da streckte der Vogt den Arm aus und rief:

„Ich bin der Pfleger! Es ist ein Verbrechen gegen den Kaiser. Pfui über jeden, der da von Barmherzigkeit spricht! He, stolzer Engadiner, du kehrst mir den Rüden! Schau mich an, schau den Turm an!“

Johanna eilte zu Korsin hin und bat ihn leise: „Korsin,trotze nicht! Ich rette dich!“ Und sie legte ihm ihre zitternde Hand auf seine Arme, die er vor der Brust verschränkt hielt.Leise erwiderte Korsin: „Hanna, grüße Mutter und Schwester!“ Er kehrte sich um und schaute dem Vogte finster ins Angesicht.

„Du stolzer Engadiner! den Hut ab!“

Korsin folgte und strich mit der Rechten die schwarzen Locken aus der Stirne.

„Du hast mit Absicht auf den Adler geschossen?“

„Wie Euer Sohn auf den Steinbock schoß,“ gab Korsin mit fester, hart klingender Stimme zurück.

„Aber die Erde, auf der du stehst, ist Tirolererde.“

„Die Scholle entscheidet nicht; ob Tirolererde, ob Bündnererde, ich habe das Recht gehabt, ein Unrecht abzuwehren!“

„Ein Unrecht? Dann hattest du dich an mich zu wenden,nicht auf eigene Faust “

„Ein- Mann kann seine Ehre selber schützen!“

„Deine Bauernehre, hoho! Um ssie zu schützen, hast du den Kaiser entehrt.“

„Nein, was Ihr, Ihr getan habt, das hat den Kaiser entehrt!“„Genug! Fort in den Turm mit ihm!“ schrie der Vogt ergrimmt. Die Knechte nahten sich, doch Korsin stieß einen auf die Brust, daß dieser zu Boden fiel. Aber er sah ein,daß jeder Widerstand nutzlos war, und rief: „Vogt von Nauders, denkt an den Hennenkrieg, er kann wieder kommen!“Dem Vogte schoß es dunkelrot über Wangen und Stirne,ein Gemurmel ging durchs Volk, und bald knarrte die Türe des Turmes zu: Korsin von Laret war sein erster Bewohner.

4.Finster blickte der alte Maltitz auf das eiserne Tor hin,das hinter dem Rücken des schönen, stolzen Samnauners rasselnd ins Schloß fiel.

Das Volk schwieg, und der alte Vogt hatte doch ein Jubeln erwartet. Zornig riß er sein Roß am Zügel herum und rief ins Volk: „Ihr habt die Sprache des Trotzes gehört. Es war Zeit, den Turm zu bauen. Hoch Habsburg,hoch Kaiser Max!“

Das war das rechte Wort, um die Menge in Begeisterung zu bringen, und ein tausendfaches „Hoch Kaiser Max!“dröhnte an die Mauern, hinter denen Korsin saß. Er hörte den Ruf nicht; denn das Loch, in dem er angekettet wurde,lag tief unter der Erde.

„Nun fort, der Turm ist eingeweiht, da braucht's kein Weihwasser und keinen Segen mehr!“ rief der aufgeregte Vogt.„Fort ins Dorf hinein! Die Schützen haben eine halbe Maß Freitrunk, der Kaiser wird es bezahlen der Kaiser Max kommt bald zu uns. Vorwärts!“ Und neuer Jubel erhob sich, die Menge setzte sich in Bewegung, dem Dorfe zu. Im Gasthaus zum Kaiseradler stieg Kaspar von Maltitz ab, dort blieb sein Gefolge und die Männerwelt. In der großen Wirtsstube war der Herrentisch, in den Gängen und im Anger standen Tische für die jungen Schützen und die Männer. Johanna mußte bedienen, ob ihr auch das Auge mehr als einmal überging; sie mußte das Schwerste tun: am Herrentisch dienen, wo der alte und der junge Maltitz saßen.

Der große Steinkrug war zwar noch halbvoll; aber Johanna ergriff ihn, um aus der Stube zu kommen, stellte den Krug in die Küche hinein und eilte hinauf in ihr Kämmerlein,schob den Riegel vor und warf sich nieder am Fenstergesimse,von wo aus sie hinüber sah auf den schrecklichen Turm. Sie weinte und weinte; denn denken oder beten konnte sie nicht.Dann sprang sie auf und nahm die silberne Kette mit dem Kreuzlein aus der Truhe des Schrankes, warf sich wieder nieder, als wären ihre Kniee gebrochen und schluchzte: „O · Korsin, o Korsin, so hat's geendet!“ Dann küßte sie das Kreuzlein und weinte, bis sie plötzlich aufsprang: „Und ich will dich befreien, ich will's heute noch! Du mußt heute noch heim zur Mutter! O Herrgott, hilf!“

„He, Hanna, wo bleibst du?“ rief eine Stimme herauf es war die rauhe Stimme des Vaters.Sie legte das Kreuzlein in die Truhe zurück, nahm Weihwasser und schritt, indem sie ein weißes Tüchlein in die Hand nahm, aus der Kammer, die Treppe hinab. Jetzt konnte sie wieder lächeln; ein Gedanke, ein Plan heiterte ihre Stirne auf und heiter schritt sie dem Vater entgegen: „Vater, ich bin gar müde, ich mußte ausruhen. Jetzt geht's wieder. Es soll sich niemand über die Johanna vom Kaiseradler beklagen!“ sagte sie lachend zum Vater.

„Man will dich in der Herrenstube haben,“ sprach vergnügt der Vater, der seine Johanna mürrisch und weinend glaubte.

„Ach, nicht mich, man will wohl den Weinkrug, gleich bringe ich ihn voll zurück“ und Johanna schritt in die Küche.„Dich und ihn will man, mach vorwärts!“ gebot der Wirt, in die Herrenstube zurückkehrend, wohin Johanna ihm bald mit dem gefüllten Kruge folgte.

Alle, im Anger, in den Gängen und in der Herrenstube schienen vergnügt zu sein; nur nicht der dünne Kommissär mit der Ritze an der Adlernase, der seinen Nebenbuhler im Turm wußte, aber im jungen Maltitz einen noch gefährlicheren erblickte; er war zerstreut, er mußte den Spott wegen des durchgegangenen Gauls ertragen und dazu all die freundlichen Worte und Blicke, die vom jungen Maltitz zu Johanna gingen und, wie ihm schien, ebenso freundlich von dort zurückkehrten.Auf seiner Nase stand geschrieben: „Abgeworfen!“ auf seiner Stirne: „Weggeworfen!“

Und noch einer war nicht vergnügt: es war ein junger,schöner Bursche aus Pfunds, der Hauptmann am Kirchweihfest; er saß im Gang bei den Kameraden, er war zerstreut und versuchte zuweilen zu scherzen. Aber so oft Johanna vorbeiging, fast ohne ihn anzublicken, war es ihm, als stürze wieder ein Stück seines Hauses zusammen, eines Schlosses, das sich der arme schöne Bursche zu bauen angefangen hatte damals,als ihm Johanna einen Nellkenstrauß auf den Hauptmannshut heftete, am Kirchweihfeste vor einem Jahr.Um Korsin, der im finstern Turm saß, drehte sich das Gespräch aller, der Herren und Bauern. Der alte Maltitz hätte schließlich alles, was Korsin von Laret getan und gesagt hatte, verzeihen können; nur das Wörtlein „Hennenkrieg“bohrte sich tiefer in sein Herz, und dort tauchte, erst dunkel,dann immer deutlicher der Entschluß auf: den Verbrecher gegen die Majestät des Kaisers kurzerhand hinrichten zu lassen. Doch Johanna, die im hellen Kleide und auffallend heiter, flink wie immer bald da bald dort, aber meistens in der Herrenstube, bediente, hatte in ihrem Herzen einen anderen Plan,der gelingen mußte: ehe die Sonne vom Piz Mondin scheidet,muß Korsin, ja er muß in sein liebes Heimattal hineingehen zu Mutter und Schwester!

Da stand der alte Maltitz auf und forderte seinen Sohn Ferdinand, sowie den Kommissär und den Adlerwirt auf, mit ihm in die Kammer hinaufzugehen.

Dort wurde über das Los des Gefangenen beraten. Zuerst sollte der dünne Kommissär seine Meinung sagen; er tat es kurz:

„Großgünstiger Herr Pfleger von Nauders! Ich würde selbsteigen an meiner Kaisertreue zweifeln, wenn ich einen Augenblick zweifeln würde, was mit dem elenden, rebellischen,frechen, stolzen, gefährlichen, verbrecherischen Samnauner zu tun sei! Sein Platz ist der Schalklhof, dort soll er sein Verbrechen sühnen, soll dort begraben sein, bald, bald, bald! Sonst ist's zu spät. Dixi!“

Dann sprach der Wirt, indem er mit den dicken Fingern seiner bläulichen Rechten auf den Tisch klopfte: „Sein Vater war ehedem hier Hausfreund; aber der Krieg hat uns getrennt. Der Alte ist gestern begraben worden, der junge von Laret ist noch gefährlicher. Der würde auch ins Herz des Kaisers, nicht bloß in den Adler des Kaisers schießen. Da kenne ich keinen Pardon!“

„Ich auch nicht! Ich habe ihn beobachtet, den unheimlichen Burschen!“ rief der alte Maltitz. „Er ist imstande, wenn er wieder frei wird, mit einem Trupp Engadiner den Turm zu stürmen und ganz Pfunds an allen vier Ecken in Brand zu stecken. Ich kenne diese Leute, es sind im Kriege wahre Bestien.“ „Vater, o im Krieg wird auch der milde Bauer ein Tigertier,“ erlaubte sich der junge Maltitz zu bemerken. „Ich hätte den armseligen Samnauner mit Verachtung heimgeschickt. Sonst gibt's aus dem Spaß noch ein langweiliges Trauerspiel.“

„Du unerfahrener Mensch, der nichts versteht von Krieg und Strafe!“ brauste der alte Vogt auf. „Herr Kommissär,geht und sorgt, daß der Turm bewacht wird, stark bewacht,es ist ein gefährlicher Bär drinnen!“

„Zu Befehl, großgünstiger kaiserlicher Pfleger!“ Ein linkischer Kratzfuß und der Dünne entfernte sich, um einen Befehl auszuführen, dem er gewachsen war. „Der Samnauner ist jedenfalls gut angekettet,“ fuhr's durch seine mutige Seele „und mein Nebenbuhler ist gefallen und mein Fall gerächt.“

„Lieber Wirt, wir sind allein, zum Familienrat,“ hob der alte Maltitz lächelnd an. „Aber Johanna sollte auch da sein, sonst gibt es einen doppelten Schwatz über eine Sache,die uns, den beiden Vätern, schon fertig und ausgemacht ist.Am besten ist, man holt die Braut gleich herauf!“

„Das will ich selber tun,“ rief der junge Maltitz freudig,stand auf und war fort.

Er traf Johanna, wie sie, mit der Schulter ans Fenster gelehnt, im Herrenstüblein etwas ausruhte. Er trat hinzu,grüßte zärtlich und bat sie, zu den beiden Vätern hinauf in die Kammer zu kommen.

„Gern, Herr Junker!“ war die lächelnde Antwort.

Beide schritten durch den Gang; der Kirchweihhauptmann hatte nun für sein gemartertes Herz genug, stand auf, ging auch durch den Gang hinaus und warf noch einen langen, wehmütigen Blick auf Johanna. Dann schritt er eilig hinaus und die Haustreppe hinab fort aus dem Gedränge, wie ein verwundetes Wild.

Während Ferdinand von Maltitz und Johanna langsam die Treppe hinanstiegen, galt es für Johanna, ihren Plan auszuführen. „Herr Junker, guter Herr Maltitz, ich habe ein Anliegen.“

„Zu Diensten, holdes Fräulein.“ Und sie standen still.

„Ich habe in Samnaun eine Freundin, es ist die Schwester des kühnen Burschen, der jetzt im Turm sitzt. O wie wird sie jammern! Und die arme Mutter, die seit vier Tagen Witwe ist, wie wird sie weinen um den verlorenen Sohn, den einzigen!“

„Der Mensch hat es verdient.“

„O ich weiß wohl; aber was tut man in der Hitze!Und auf den Steinbock des Bischofs o es wäre vielleicht besser gewesen, wenn man nicht auf ihn aber ich bin ein dummes Ding es wird wohl recht gewesen sein, auf den Steinbock zu schießen. Man hat nicht gerade den Bischof gemeint “

„Natürlich nicht, sonst hätte man eine Bischofsmütze aufgesteckt; aber auf den Kaiseradler schießen, das ist ein Verbrechen.“

„Gewiß; aber er hat es getan, ohne zu denken.“

„Ja, dann hätte er um Verzeihung bitten sollen, statt zu trotzen.“

„Ich weiß von seiner Schwester, daß er oft so stürmisch ist.“

„Aber das geht uns nichts mehr an, Johanna. Wir haben eine andere, lieblichere Sache zu besprechen, zu sprechen, wie Braut und Bräutigam miteinander reden.“

Johanna schlug die Augen nieder und wurde rot; Maltitz hielt dies für die Morgenröte seines Glückes und legte seine Hand auf Johannas Schulter.

„Ich, eine Wirtstochter, und Ihr der erste Jüngling des Gerichtes Nauders! O das ist nur ein Scherz“ sagte Johanna unbefangen es galt ja nur, ihren Plan auszuführen.

Sie schritten weiter hinauf und bogen in den Gang ein,der zur Kammer der Väter führte, die bereits in trockenen

Ziffern die Aussteuer der Brautleute auf ein Blatt Papier geworfen hatten.

Johanna zitterte und schien doch glückselig zu sein. Zum ersten Male in ihrem reinen, harmlosen Leben mußte sie sich verstellen, vielleicht heucheln, aber alles nur um ihres Planes willen. Und jetzt zum ersten Male glaubte sie ein Wort zu verslehen, das sie schon so oft gehört hatte: „Seid einfältig wie die Tauben aber klug wie die Schlangen!“ Sie wollte des Sieges gewiß sein, ehe sie vor die beiden Väter traten;sie hielt den Junker Maltitz zurück und sagte leise: „Die Schwester des Samnauners ist meine Freundin, o es wäre gut,wenn der arme Bruder noch heute heimkäme! Der kommt dann gewiß nicht mehr nach Pfunds heraus und schießt keinen Pfeil mehr in den Adler und es war doch nur ein Tuch auf einer Stange! O Junker Maltitz, Ihr allein könnt ihn retten und eine arme Mutter und Schwester retten. O dut's!“ und sie faltete die Hände und blickte den schönen Junker so bezaubernd an, daß er ihre Hände faßte und flüsterte: „Johanna, meine Braut, ja, aus Liebe zu dir.“

„O dann danke ich dir, solange ich lebe, o guter Junker.“

„Sag Bräutigam, Johanna!“

„O wenn es sein soll, ja Bräutigam!“ Und ihre Wangen brannten.

Die beiden Väter waren erstaunt und erfreut, als die beiden ins Zimmer traten, allem Anscheine nach schon verlobt.Und nun war ja alles in Ordnung, auch die Zahlen auf dem Papier; es war nur noch der Hochzeitstag zu bestimmen.

„Kommt ihr, Kinder?“ begann der alte, sonst so rauhe Vogt von Nauders. „Um was es sich handelt, wißt ihr.Wir Väter sind alt. Der Krieg ist im Land, zwar zum Hochzeithalten just keine gute Zeit. Und doch! Wer weiß, wie's den Alten geht? Wir sorgen für die Zukunft. Ihr beide tragt unsere Zukunft! Wollt ihr?“

Ferdinand blickte auf Johanna; diese schaute vor sich auf den Boden, starr und lang, als hätte sie dort die kleinsten Linien eines Planes zu prüfen.„Ihr dürft euch besinnen, Kinder, ob ihr euer und „unser Glück weiterbauen wollt oder niederreißen,“ sagte der alte Maltitz sanft.

„Da gibt es kein Besinnen!“ fuhr der Wirt dazwischen,und sein Antlitz rötete sich noch mehr, als Johanna noch länger schwieg. Sie mußte nun handeln, sonst war ihr Plan und ihr Leben in Fetzen zerrissen. Langsam richtete sie die Augen vom Boden auf, sah zum alten Maltitz hinũüber und sprach: „Wenn es der Wille des Herrn ist und wenn kein Hindernis, das jetzt noch im Finstern ist, über den Weg kommt,dann sage ich ja!“

Sie atmete erleichtert auf, senkte aber sogleich die errötende Stirne, damit kein Auge an derselben lesen konnte: „Klug wie die Schlange o es wird wohl keine Sünde sein, kein meineidiges Versprechen das Hindernis ist ja im Finstern,im finstern Turm es wird in den Weg treten dann bin ich frei Korsins Braut!“

Es zitterte ihre Hand, als sie dieselbe in die Rechte des jungen, schönen, glücklichen Maltitz legte.

„Jetzt sitzt endlich, Kinder, die Sache ist in Ordnung!Unterschreiben wir noch!“ rief der Vogt erfreut.

Der Wirt, der gerührt seine Johanna anschaute, erhob sich und holte aus dem Schranke das Tintenfäßchen und den Gänsekiel.„Da, wollt ihr es auch lesen, ihr, junge, glückliche Leutchen ?* lachte der Vogt, indem er den Verlobten ein Papier hinhielt „Aber ich meine, das Glück der Brautleute überläßt die Zahlen den alten, kalten Vätern!“

„Unterschreibt nur! Nicht wahr, Johanna, wir haben zu leben und kümmern uns nicht um die Aussteuer! Im Kaiserreich gibt's schon ein Oertchen für uns, auch wenn wir nicht im Oberinntal bleiben wollen!“

„Gewiß, es ist besser, wir denken jetzt nicht an diese Dinge,“entgegnete Johanna ihrem Bräutigame, der vor Glück strahlte und den Hut mit den glänzenden Federn von seinen plonden Loden hob und aufs nächste Tischlein warf. Johanna drückte ihre Rechte geballt auf die Brust, zog aber die Band rasch zurück, als ob sie ein zartes Geheimnis berührt und verraten hätte.

Bald standen die vier Namen auf dem Papier, und der Vogt erhob sich, reichte Johanna seine nervige Hand und lächelte. „Ich will ein guter Schwiegervater sein!“

Johanna aber blickte bittend auf den jungen Maltitz.Dieser verstand den Blick und sagte: „Johanna, sei nur unbesorgt!“

„Gehen wir hinunter zum Volk! Die Leute dürfen es wissen, daß Nauders heute sich mit Pfunds verlobt hat.“ Mit diesen Worten wandte Maltitz, der Vogt, sich rasch der Türe zu. Es war nicht möglich, in diesem Augenblick ihm noch etwas zu sagen; Ferdinand kannte seinen Vater und zog Johanna an der Hand sanft nach.

Als die vier durch den Gang in die Herrenstube schritten,erhob sich im Rücken derselben eine frohe Stimme; es war die Stimme des allzeit lustigen Fähndrichs der Knabenschaft:„Da gehen Verlobte vorüber, sie leben lang und glücklich!“

Erfreut blickte Ferdinand Maltitz um, erschrocken Johanna. Da erhob sich im Gang und bald auch draußen im Anger der hundertfache Ruf: „Die Verlobten leben lang und glücklich!“ Und leise sagte der Nachbar zum Nachbar: „Heute kostet der Wein keinen Kreuzer mehr, heute wollen wir fröhlich sein!“

Johanna hatte Mühe, ihre Ruhe zu bewahren. O wie gern wäre sie hinauf in ihr Kämmerlein, um dort vor dem Bilde der Schmerzenmutter zu weinen und es sich selber recht klar zu sagen, daß sie nicht meineidig sei, daß sie alles nur aus Liebe zu demjenigen getan habe, dem sie ewige Treue vor Gott geschworen hatte, alles getan, um ihn und seine Mutter und Schwester und die arme Johanna glücklich zu machen!Aber sie mußte bleiben; es konnte bald der Augenblick kommen. wo der Plan gelingen oder mißlingen konnte.

Der Augenblick kam, als der Vogt Maltiz sich erhob,um durchs Fenster nach dem Stand der Sonne auszuschauen.Er kehrte sich um und sprach: „Es ist Zeit zu satteln. Bis 62 wir in Nauders sind, ist's Abend. Und ich muß noch nach Mals reiten, um zu sehen, wie die Festungsarbeiten gegen die grauen Bauern fortschreiten.“

Und wieder fiel Johannas Blick so bittend auf den jun

Maltitz.

Dieser wollte nicht von Pfunds scheiden, ohne seiner Braut eine Freude zu hinterlassen. Er stand auf und sprach, und seine Sprache war nicht so rauh wie die der übrigen; denn er hatte am Hofe edle Sitte und feine Sprache gelernt. Er klopfte mit dem goldenen Fingerring an seinen Becher, und aus dem Hausgang eilten die Leute unter die Türe und einige hinein in die Herrenstube.

„Bevor wir vom trauten Pfunds scheiden, das mir nun besonders traut geworden ist, erlaubt mir ein Wörtchen!“

Alles schwieg, und aller Augen blickten mit Wohlgefallen auf den jungen schönen Maltitz.

„Es ist ein schöner Tag gewesen. Wir haben den Kaiserturm eingeweiht, er sei ein dauerndes Denkmal der Kaisertreue Tirols! Es jubelt mein Herz, daß mein Vater, der so viele böse Tage des Krieges und Streites erleben mußte,diesen Tag erlebt hat. Er und wir alle hoffen, einen noch schöneren Tag zu begrüßen, den Tag, an dem Kaiser Max zu uns kommt. Und der Tag ist nahe!“

Freudige Bewegung ging durch die Reihen der Umstehenden. Johanna aber betete still.

Der junge Maltitz wandte sein lockiges Haupt nach rechts und links, ließ sein Auge auf Johanna ruhen, dann wie verklärt in eine schöne Zukunft schweifen und sprach, gegen seinen erfreuten Vater sich wendend:

„Man sagt mit Recht, ein Tag ohne Wölklein sei ein seltener Tag. So ist auch unser Tag nicht ohne Wölklein gewesen. Es ist ein Pfeil auf den kaiserlichen Adler geflogen;aber ich habe alles genau untersucht und gefunden, daß es nicht so böse ist. Ein plötzlicher Zorn hat den Pfeil geschossen,und die Reue ist ihm nachgegangen, aber hat den Pfeil nicht mehr erreicht. Dann hat der Schütze trotzig ausgerufen: „Er gen 63 soll nur stecken bleiben!“ Wir Schützen sind so, ein bißchen stolz nicht wahr? Aber der arme Schütze hat schon Buße getan. Heia, vergessen wir das Wölklein, es trägt leinen Donner und keinen Blitz. Es soll wieder in die weltfernen Samnaunerberge hinüberfahren, und dann, dann ist unser Tag ein wolkenloser Tag gewesen, ein Kaisertag!“

Da klang wieder die helle Stimme des allzeit lustigen Fähndrichs der Knabenschaft: „Brav gesprochen. Es lebe der Kaiser, es lebe Maltitz, es lebe Bräutigam und Braut!“

Und das glückliche Wort ward zum sieghaft frohen Wort,das sich fortpflanzte von Mund zu Mund. Johanna gab sich Mühe, auch jetzt ruhig zu bleiben, wo sie hätte jubeln mögen und weinen.

Drer alte Maltitz schaute finster zum Fenster hinaus. Als der Jubel sich steigerte, kehrte er sich um und gebot mit der Hand Stille.

„Um dir und euch zu willfahren meinetwegen, laßt den stolzen Samnauner aus dem Turm und schickt ihn heim!Verdient hätte er den Tod beim Schalklhof. Aber er sei begnadigt! Wir Tiroler wollen den Engadinern zeigen, daß der Kaiseradler dennoch siegen wird. Der wilde Steinbock mag mit dem Fuße Steinchen aufwühlen, der Adler wird fiegen!“So sprach der alte Maltitz und leerte seinen Becher.

Neuer Jubel erfüllte die Räume. Ferdinand schritt auf Johanna zu, drückte ihre Hand und fragte leise: „Habe ich es recht gemacht ?“Sie schaute ihn an und lächelte; sie war nun glücklich und doch wieder nicht; sie blickte wieder hin in Ferdinand von Maltitz jugendschönes, heiteres Antlitz und wurde rot und erXVV rasch und sprach: „Lebe wohl!“ Dann verschwand sie aus der Herrenstube, drängte sich durch den Gang hindurch und stieg rasch hinauf in ihr Kämmerlein. Dort warf sie sich nieder vor dem Bilde und weinte: „Korsin ist frei!“ Doch ihre Freude war getrübt; sie hatte gelogen betrogen ein falsches Gelöbnis und Ferdinand von Maltitz war doch so gut,so harmlos, so schön, ein Oesterreicher sie eine Tirolerin

Das alles zog durch ihr bebendes Herz. Rasch stand sie auf, eilte zum Schrank, nahm Korsins Kette heraus und küßte sie: „Nein, treulos möchte ich nicht werden o ich arme Johanna!“

Da besann sie sich, ihre plötzliche Entfernung könnte zur Verräterin ihres Planes werden. Rasch verließ sie die Kammer und ging in den Hausgang hinunter. Sie sah noch,wie der junge Maltitz zur Haustüre hinausschritt, mit ihm zwei aus der Begleitung von Nauders. Johanna ahnte, daß er selber dem Gefangenen die Botschaft der Befreiung bringen wollte.

Und so war es. Ferdinand Maltitz hatte mit den beiden Begleitern bald den Turm erreicht, vor dem der Kommissär eben eine Ablösung der Wache aufstellte und wichtig tat, als sähe das ganze Engadin hinter den Quadern angekettet. Wie erstaunte der Geschäftige, als Maltitz ihm kurzhin mitteilte,der Gefangene sei freizugeben. Die vielen „Aber“ reizten den Sohn des Vogtes, und der Kommissär überreichte endlich den Schlüssel mit den feierlichen Worten: „Auf mein Haupt falle keine Schuld! Nie und nimmer sollte mir der Rebelle und reus laesae maiestatis*s aus dem Loch! Man befiehlt's im Namen des Vogtes und Pflegers, item fiat!** Wenn es nur niemand zu bereuen hat, Herr von Maltitz! Dixil***

Und er gab unsanft den Befehl: „Wache, tritt ab!“Dann überreichte er den Schlüssel und ging schnurstracks ins Dorf.

Maltitz trat mit den Begleitern in den Turm, stieg die Treppe hinunter und öffnete das erste Verließ. Dort saß Korsin, an die Mauer gelehnt; er schlummerte. Auf den Ruf:„Korsin von Laret!“ stand er auf und erkannte den jungen Maltitz.„Du bist frei! Macht ihm die Kette los! Du staunst?Es ist mein Werk, Samnauner!“

„Es war Euer Werk, daß ich hierher gekommen bin.“„Mein Werk?“*Maiestätsbeleidiger. ** Also geschehe es! *** Ich habe gesprochen.„Ihr habt auf den Steinbock geschossen, das hat mich gezwungen zu tun, was ich getan habe.“

„Es sei vergessen!“

„Vergessen, aber nicht vorüber; man hat mich mit Schmach bedeckt, die wehe tun wird, noch lange.“

„Keine Stunde mehr! In drei Stunden bist du wieder daheim, und hier hat das Volk gejubelt, daß gerade ich, ich dir die Freiheit erwirkt habe.“

„Ein Maltitz einem Samnauner!“

„Ja, und wenn du die ganze Wahrheit wissen willst,ein Maltitz auf die Bitte seiner Braut. Die Tochter vom Kaiseradler hat das Recht gehabt, für den Frevler am Kaiseradler Verzeihung zu erlangen, an ihrem Verlobungstage.“

Korsin wurde blaß, dann schoß ihm das Blut in die Stirne, er richtete sich in seiner Größe und Schönheit hoch auf, als hätte er fragen wollen: „Also so hat die Tirolerin Johanna gewählt? Mich hat sie verworfen!“ Er schwieg stolz.

Die Ketten waren von Hand und Fuß gefallen, aber dem Erlösten legte sich etwas wie ein Berg auf die Brust.

„Gute Heimreise!“ unterbrach Maltitz das Schweigen.

Korsin ergriff den Hut und sagte stolz: „Auf Wiedersehen vielleicht ein anderes Mal, wo ich nicht mehr so ehrlos bin.“

Er schritt hinaus, dankte nicht für die Befreiung, sie schien ihm ja teuer verkauft zu sein. Rasch schritt er durch die Felder den Inn entlang, vorwärts, ohne auf Pfunds zurückzusehen.Er kam zum Brücklein am Wege, netzte mit der Hand die Stirne und trank aus der hohlen Hand. Dann blickte er auf zur Sonne; es war ihm noch zu früh zur Heimreise, er wollte erst zur Nachtzeit in sein Dörfchen kommen. Deswegen beschloß er, zum Hof des Scharfrichters hineinzugehen und dort noch ein Stündchen zu warten; dort war es ja still, den Scharfrichter hatte er in Pfunds gesehen, und vom Schalklhof konnte er ja auf einem selten betretenen Fußsteig durch den Wald.

So kam er zu diesem einsamen Hof in der Waldwiese,setzte sich unter einem Fichtenbaum auf eine Rasenbank nieder,

Heft 62.nahm das Brot hervor, das ihm die Mutter mitgegeben hatte,und brach sich ein Stücklein ab. Unter dem Hause sah er zwei kleine Mädchen am Brunnen, die scheu zu lihm hinaufblickten und dann ins Haus gingen. Bald kam eine freundliche Frau aus der Haustüre und blickte zum Fremden hinauf.Korsm fühlte Hunger und rief: „Guten Abend; könnt Ihr mir nicht ein Krüglein Milch bringen?“

„Guten Abend. O freilich, gern.“

Bald stand die Frau des Scharfrichters vor ihm, ein Krüglein Milch in der Hand; die beiden Mädchen hielten sich an ihrem Rock. Die Milch mundete dem Müden; er reichte dem größeren Mädchen das leere Krüglein, konnte wieder lächeln und sagte, er sei ein Samnauner, jetzt könne und wolle er heim, aber vorerst noch ein Stündchen ruhen. In das Haus wollte er nicht gehen; nicht als ob er sich vor dem Anblick des Scharfrichterschwertes gefürchtet hätte, er wollte allein sein und gab der Frau eine Silbermünze und jedem Mädchen eine Kupfermünze und bat sie, ins Haus zu gehen, er wolle ein wenig auf der Bank schlafen. Mit herzlichem Vergelt's Gott entfernten sich die drei, und Korsinus war allein.

Allein mit seinen traurigen Gedanken! „An eine Ungetreue hast du die silberne Kette gehängt! Das Samnauner Röslein hast du vom Hut gerissen und in den Tirolerstaub geworfen! Geh heim, zum Grab des Vaters, zum Dörflein im Bündnertal, ihm gehört dein Herz! Du hast dein Herz hinausgetragen in fremdes Land! Und jetzt hat der zarte Junker dich verdrängt! Recht so, ach, recht so! Er hat dich so zu deiner Pflicht zurückgestoßen. Armer Korsinus!“

Nicht lange flogen diese Gedanken über seine müde Seele hin; er schlummerte, das Haupt an den Fichtenstamm gelehnt,den vechten Fuß auf einen abgebrochenen dürren Ast gestemmt.Ein schwerer Traum muß über ihn dahingegangen sein; denn plötzlich schlug er die Augen auf und schaute stier vor sich hin; „Geträumt, das ist ja kein Friedhof, ich lebe noch!“

Da erinnerte er sich, daß er auf dem Friedhof der Hingerichteten geschlafen hatte, und stand auf. Wie er auf den Waldweg jenseits des Innes hinblickte, sah er eine kleine Reiterschar auf dem Wege nach Nauders, die Maltitz und ihre Begleitung. Dort flatterte das Banner mit dem Adler; eine kleine Wunde, von einem flüchtigen Pfeile gerissen, vielleicht von Johannas Hand wieder zugenäht, daß keine Spur mehr blieb! Aber eine tiefere Wunde trug Korsin in der Brust;er kehrte sich rasch um, verließ den unheimlichen Platz und verschwand im Walde.Bald war er beim Wässerlein, das durch den Wald hinunterrauschte, bald im freien Platz im Walde, wo eine Bank stand und wo die Wanderer gern ruhten. Dort ruhte auch Korsin; eben glänzte die letzte Abendsonne auf den Gletschern des Piz Mondin, während weiter unten die Dämmerung lag.Müde wie noch nie in seinem Leben, lehnte sich Korsin, auf der Bank sitzend, an den gewaltigen Stamm der Tanne, die den ganzen freien Platz beherrschte. Er schlief ein und schlief lange und ruhig; war ihm doch, als sei eine lange Unruhe aus der Seele von hinnen gezogen, wenn auch das arme Herz noch Blutete.Plötzlich drang durch den Wald der Schrei der Toteneule; Korsin erwachte und fuhr mit der Hand über die Stirne.Er schaute hinunter in den Wald und sah etwas, was ihm das Blut in den Adern staute. Aufspringend hielt er die Rechte über die weit offenen Augen und starrte hinunter auf den Waldweg. Er sah alles genau: eine Laterne in der Hand eines alten Mames erhellte den Weg; auf dem Weg lag ein Sarg, aus rohen Brettern gezimmert; rechts eine Jungfrau in schwarzem Kleide, auch links eine beide mit tief gesenktem Haupt, und beide reichten einander über den Sarg hin die Hand, und hinter dem Sarge ehrwürdig eine Mutter, beide Hände ans Gesicht drückend, und neben ihr eine Jungfrau,schwarz gekleidet; sie erhob, wie seufzend, ihr Antlitz, und da erkannte er sie Philomene, seine Schwester! Auf einmal erlosch die Kerze in der Laterne, es war dunkel, die Gestalten waren verschwunden. 2*

Wieder drang der Schrei der Nachteule durch den stillen Wald. Korsin aber zitterte, machte das Kreuzzeichen und kehrte sich um. Rasch ging er taleinwärts, vorbei an den Tannen,die nicht rauschten; kein Vöglein ließ sich hören, zuweilen krachte ein dürrer Ast unter dem Fuß des Wanderers. Er kam an die Grenze, überschritt den Bach von Zanders und war nun auf heimatlichem Boden. Ein kalter Wind streifte durch die schweißnassen Haare. Endlich sah Korsin die Häuser seines Dörfchens, einzelne Fenster waren lichterhellt. „Dem Herrn sei gedankt, daß ich wieder daheim bin!“ hauchte er müde, als er, ohne jemanden begegnet zu sein, über die Wiese zu seinem Hause hinschritt.

Es war Nacht, der alte, müde Knecht Viktor schlief. Aber in der von einer Talgkerze erhellten Stube warteten noch Mutter Pauline und Schwester Philomene.

Hektor, der ruhelose Hund, lauschte; er hatte Schritte gehört und sprang bellend gegen die Stubentüre. Bald ging die Fragen der Mutter gab er Antworten, die er selbst nicht verstand; auf die Frage der Schwester, warum der Hund schon vor einigen Stunden heimgekommen sei, kehrte er sich weg,nahm beide Vorderpfoten des zitternden Tieres in seine Hand:„Warte, Hektor, du bist mir davongelaufen!“

Hektors Auge aber schien zu sagen: „Als du in den Turm geführt wurdest, trieben mich die Buben mit Steinen durchs Dorf; ich habe es den Laretern melden wollen, man solle dich befreien, aber sie haben mich schlecht verstanden!“

„Strafe den armen Kerl nicht,“ bat Philomene, „er hat jetzt stundenlang mit den Pfoten an die Türe und den Boden gekratzt und gewimmert. O wir haben gemeint, es sei dir etwas Schlimmes zugestoßen!“

„Ja, wir haben gebetet und geweint und hart gewartet,“fügte die Mutter bei; „aber jetzt bist du hier, Gott Lob und Dankl“

„Und müde bin ich, ich gehe bald schlafen; es ist mir fast nicht möglich gewesen, einen Hirten zu bekommen; ich gehe bald schlafen.“„Ich koche dir eine Suppe und hole dir Wein.“

„Nein, Mutter; ich habe schon gegessen.“

Da nahm Philomene ihr dunkles Kopftuch: „Ich gehe noch schnell zu Rosa hinunter; weil der Hund allein gekommen ist, hat sie so viel Kummer gehabt um dich, Korsin. Ich will zu ihr, und dann kann sie jetzt ruhig schlafen.“ Und sie ging.

Korsin warf sich müde auf die Ofenbank nieder und stützte das Haupt auf beide Hände.

„Bist du krank, Korsin?“ Pauline legte ihre zitternde Hand auf Korfins Schulter. „Gewiß bist du zu schnell gegangen. Oder ist dir etwas “

„Mutter, fragt nicht lange! Es ist Müdigkeit, und die vergeht.“

„Nur müde? Nein, Korsin, deswegen wirst du nicht bleich.Was ist geschehen? Darfst du es der Mutter nicht sagen?“

„Nein, Mutter, Ihr sollt meinetwegen keinen Verdruß haben!“

„Und habe doppelten, wenn ich ihn nicht kenne.“

„ Johanna ist eine Schlange und doch kann ich es nicht glauben!“

Korsin erzählte alles, was in Pfunds vorgefallen war;das Antlitz der Mutter wurde bald traurig, bald heiter, und als er von seiner Befreiung erzählte, nickte sie mit dem ehrwürdigen Haupte und faltete ihre zarten Hände. Und als er geendet hatte, sagte sie: „O Gott Lob und Dank, du bist von einer doppelten Kette befreit! Tröste dich und sei jetzt wieder ruhig! Jetzt bist du mehr Korsin von Laret, als du es gestern abend warst!“

„Das weiß Gott! Murtter, ich habe nicht alles erzählt.“

„Was noch? O sprich, Korsin!“

„Ich werde bald dem Vater nachgehen!“ Und er weinte.

Die Mutter sank auf den Stuhl neben ihm, ergriff seine Hände und weinte mit ihm. Dann aber sagte sie:

„Nein, Korsin, gewiß nicht! Das sind nur Gedanken, die vom Schrecken und von der Trauer kommen; ich habe auch in meiner Jugend gemeint, ich müsse bald sterben, und sieh, ich bin grau geworden.“ 70 „Aber, Mutter, ich weiß es! Ich hätte es aber auch nicht sagen sollen.“

„Bist du krank?“

„Nein.“

„Fürchtest du, daß man dich etwa abholt und vor Gericht stellt und hinrichtet ?

„Nein.“

„O dann sei ruhig und schlage die Todesgedanken aus dem Sinne!“

„Ich will es versuchen, nicht mir zu lieb, sondern Euch zu lieb. Aber ich habe es gesehen, klar gesehen “

„Was ?“

„Das kann ich nicht sagen; ich habe es gesehen, und was ich gesehen habe, das trügt nicht. Aber ich will arbeiten,ich will nun ganz Korsin von Laret sein. Vielleicht steht noch eine Weile still, was schon auf dem Wege ist. Aber Mutter,sprecht nie davon, o fragt nie nach!“

„Ich verspreche es dir, Korsin. Und du wirst sehen, daß alles gewiß ein gutes Ende nimmt. Jetzt geh in die Kammer und schlafe. Und morgen gehst du zum Pfarrer. O, sein Wort und sein Segen vermögen viel.“

„Was Gottes Wille ist, Mutter! Gebt mir heute Weihwasser!“

Korsin weinte, während die Mutter ihm das Kreuzzeichen auf die Stirne machte.

„Gute Nacht, Mutter; vergelt's Gott, alles!“

„Gute Nacht, schlafe wohl, Korsin!“

Und Korsin schlief, wie er einst als Knabe schlafen konnte;der Tag hatte ihn müde gemacht, und die Mutterhand hatte ihn gesegnet. Als Philomena zurückkehrend die Türe öffnete,beicte die Mutter soeben halblaut aus der lateinischen TotenVesper: Oustodiat animam tuam Dominus!*5.Es kam der neunte Mai, der Himmelfahrtstag, der erste schöne Maitag des traurigen Jahres. Und doch war es den * Der Herr behüte deine Seele!

Samnaunern, als hange eine düstere Wolke unter dem blauen Himmel.

Die Glocken der Pfarrkirche waren verklungen, und der greise Pfarrer bestieg die Kanzel. Sein Antliz strahlte, seine Augen waren tränenfeucht. Wohl sprach er von den Freuden der Himmelfahrt des Herrn; aber bald leitete er über auf den greisen Helden des alten Bundes, Matathias, der sterbend seine Brüder beschwor, festzuhalten am heiligen Gesetze des Bundes. Mächtiger schwoll die Stimme, als er den Gotteshausbund den heiligen Bund nannte und als er sein liebes Samnaun beschwor, trotz des Kaiseradlers, trotz der Nähe der feindlichen Lanzen und Kanonen diesem Bunde treu zu bleiben bis zum letzten Abendrot. Die Frauen weinten, und besonders Philomena und Rosa, die nebeneinander im Stuhle waren, weinten bitter und beachteten nicht das beabsichtigte Husten der großen Genoveva, die hinter ihnen saß. Die Männer auf der Emporkirche wurden unruhig bei den Worten ihres verehrten Pfarrers. Der Schmied Mathis Jenal stand sogar auf, faßte die dünne Bank, daß sie krachte, und ließ zuweilen seine rollenden Augen schräg über seine Nachbarn hinstreifen.Während des Amtes wurde an jenem Festtag schlechter gesungen,aber besser gebetet als gewöhnlich.

Nach dem Amte war in der geräumigen Pfarrstube Gemeindeversammlung, seit einem Menschenalter die erste, die nicht vom klugen Jan von Laret geleitet wurde. Einstimmig wurde dessen Sohn Korsin zum Talammann ernannt. Sein Weigern half nichts, er mußte die Wahl annehmen, obwohl er beteuerte,er könne ja nicht einmal sich selbst verwalten. Der Pfarrer trat zu ihm hin, legte die Hand auf seine Schulter und sprach:„Korsin. dir fehlt das Alter, ich gebe es dir; gib mir dein Feuer, und dann können wir einander helfen und unserer Heimat dienen.“ Dann setzte er sich in den bequemen Lehnsessel am Fenster. Die wichtige Verhandlung begann. Es waren zwei Schreiben eingelaufen; das erste kam vom Kriegsschauplatz Glurns im Vintschgau, war unterzeichnet vom Befehlshaber der kaiserlichen Truppen, Ulrich von Habsberg, und forderte die Samnauner auf, unverzüglich zwanzig Mann mit Schaufeln und Hacken zu senden, um die Wege für die Züge und das große Geschütz gangbar zu machen. Das zweite Schreiben kam aus Zuoz; es war eine ernste Mahnung an alle Amtsleute, Räte und Gemeinden der drei Bünde, den Landsturm aufzubieten, mit allem, was Stab und Stangen tragen mag.

Tiefe Stille herrschte eine Weile, als Korsin die beiden Schreiben verlesen und in die innere Rocktasche gesteckt hatte.Dann sprach er: „Es sollten die Alten vor mir reden ; sie schweigen, weil da überhaupt nichts zu sagen ist. Es handelt fich jezt nur darum: Steinbock oder Adler? Und da kann kein Samnauner im Zweifel sein. Steinbock!“

Ein lauter Beifall folgte und diesem ein lautes, bewegtes Reden zwischen Nachbar und Nachbar. Dem Antrag des eingebürgerten Tirolers Peter, dem Befehl des kaiserlichen Feldhauptmanns doch etwas nachzukommen und einige aus dem Tale mit Schaufeln und Hacken zum kaiserlichen Heere zu senden, folgte ein allgemeines Murren, keine Abstimmung. Und da der alte Knecht Viktor dem Antragsteller dicht vor den Leib rückte und heftig von Verrat redete, zog Peter allsogleich seinen Antrag zurück und sprach zitternd: „Es fällt mir schwer,gegen den Kaiseradler zu kämpfen, da ich halt unter dem Adler zur Welt gekommen bin. Doch, wenn's sein muß, ziehe ich mit euch nach Zuoz.“

„Nichts, nein, du bist doch noch kein ganzer Bündner,du könntest nicht recht freudig dreinschlagen. Du bleibst im Tale und fütterst und besorgst unterdessen unser Vieh,“ entgegnete Viktor, wieder etwas versöhnt.

Dann wurde hin- und hergesprochen, welche Waffen man habe, welchen Weg man einschlagen sollte, wer uitziehen könnte.

„Ich gehe mit euch,“ rief der alte Pfarrer, erhob sich vom Lehnsessel und richtete sich hoch auf: „Ich bin grau,aber nicht alt!“

„Nein, Ihr müßt uns hier bleiben!“ „Nein, der Vater muß im Tale bleiben!“ „Nein, wir ordnen unsere Seele,bevor wir gehen ,“ so scholl es von allen Seiten.„Und Korsin soll dann gehen?“ fragte der Pfarrer, ergriff dessen Hand und weinte. „Du hast da drunten ein frisches Grab, du bist der einzige der Familie von Laret, du hast eine trauernde Mutter und Schwester o Korsin, ich meine, du sollst hier bleiben, obwohl, ach, obwohl ich dich immer bedauern muß, wenn du an diesem heiligen Kampf nicht teilgenommen hast.“

„Und ich würde mich selbst verachten und keinen Tag mehr auf Bündnererde bleiben, wenn ich daheim bliebe, wo graue Männer ausziehen. Nein, ehrwürdiger Pfarrer, ich gehe mit, nicht als Hauptmann, aber ich gehe mit!“ rief Korsin,und die Bauern riefen: „Als unser Hauptmann!“

Es war ein unruhiger Nachmittag, sogar die Vesper der Himmelfahrt des Herrn wurde unterlassen. Die Männer muß-ten sich rüsten für Seele und Leib; denn schon am Abend sollte der Zug der Samnauner aufbrechen. Aexte wurden geschlifsen, Hellebarden wurden von den Dachbalken heruntergeholt; der Schmied Mathis hämmerte schweißtriefend und grimmig in der Schmiede. Gedörrtes Fleisch, Roggenbrot wurde in Säcke gepackt, und es hatte schon der Tag sich geneigt, als der Schmied Jenal heimging und seine Bokdslederhosen anzog. Beten, Weinen, Abschiednehmen vor jeder Haustüre.Der alte Pfarrer selbst läutete die große Glocke, als der Zug, sechsundvierzig Mann stark, unter dem Dorfe Compatsch hinausschritt gegen die Tirolergrenze und im Walde verschwand.

Rosa war auf einem Pfad durch Wald und Bergwiesen vorausgeeilt; auf einem Hügel an der Grenze stand sie unter einer Föhrc und wartete weinend, bis drunten im Tal der Zug vorüberging; sie fiel auf die Kniee und betete für die Scheidenden, besonders für „den lieben Vater und den lieben Bräutigam Korsin“.

Während Rosa wieder auf dem stillen Pfade heimging,zog das Fähnlein der Samnauner weiter. Es war Nacht,als sie in Martinsbruck anlangten; an eine Nachtruhe war nicht zu denken, sie standen zu nahe an der Grenze. In einer Waldwiese ließen sie sich nieder, aßen ihr Roggenbrot und gedörrtes Fleisch, sprachen von der Heimat, und Heimweh legte sich auf manches Herz. Da war es der alte Knecht Viktor, der alle aufheiterte; etwas wie Feuer flog über sein Gesicht. „Ich sehe Samnaun nimmermehr; Korsin, du mußt einen anderen Knecht dingen! Sei nur still ich weiß es, ich kehre nicht mehr zurück. Aber diesmal ist's kein Hennenkrieg mehr, es ist ein Adlerkrieg. Das wohl: ein Kreuz steckt mir auf in einer Ecke des Friedhofes daheim im kleinen lieben Tal! Aber sterben werde ich nicht drinnen, das ist gleich. Man muß nicht traurig sein! Der Pfarrer hat in der Himmelfahrtspredigt etwas gesagt von einem Mathias oder wie er hieß; das gleiche sage ich auch: Bleibt dem Gotteshausbunde treu und dann ist alles gut. Hallohe“ ein leiser Jauchzer entrang sich seiner Brust. „Du, Schmied, mit deinen Bockslederhosen, jetzt wollen wir einmal hämmern auf die Schädel der Kaiserlichen,daß keiner mehr in deiner Schmiede schnoppert!“

„Ich bin dabei,“ rief der Schmied und schlug mit der breiten Rechten auf die Bockslederhose.

Und sie aßen weiter und plauderten weiter von ihrem Samnaun.Ihr Hauptmann aber, Korsin von Laret, saß nachdenkend an einen Baum gelehnt; sein graues Lodenkleid, der graue Hut, seine träumerischen Augen verrieten nicht den Kriegsmann;die schöne eisenbeschlagene Armbrust, die auf seinen Knien lag,schien seine Gedanken zu fesseln; er schwieg, bis Viktor auf ihn hinüberschaute und sagte: „In Schuls muß unser Hauptmann eine andere Rüstung bekommen; ich wette, man sindet dann im ganzen Engadin keinen schöneren Hauptmann. Und,Korsin, wenn du heimkehrst nach dem Krieg, dann kommt dir die Mutter und die Schwester, der alte Pfarrer und die liebe schöne Rose entgegen, und dann wohl, hellohe, dann bist du glücklich!“

„Meinst du, Viktor, ich kehre wieder heim? Ich will im Kampf nicht hinter einem Stein sitzen; ob ich falle, das ist gleich!“ Bei diesen Worten stand Korsin erregt auf, daß die Armbrust klirrend auf einen Stein fiel. Und er trat in den Kreis der Samnauner hinein und sprach: „Hört! Wenn ich Hauptmann sein soll, so will ich es gleich jetzt sein. Wir kommen von der Grenze, und die Oberengadiner werden uns fragen: Ist kein Einfall der Kaiserlichen ins Unterengadin zu fürchten? Wir können nichts antworten. Deswegen gehe ich nach Pfunds und forsche nach “

„Nichts davon!“ entgegnete Viktor. „Du allein? Du überhaupt nicht! Ich gehe; werde ich ertappt, nun dann wehre ich mich und sterbe nahe bei der Heimat.“

„Viktor, nein, ich gehe. Ich bin schnell und sehe scharf;ich meine, kein Samnauner ist ein besserer Jäger als ich. Ich gehe also. Will jemand mit, ein jüngerer, meinetwegen! Ihr geht langsam vorwärts nach Schuls, und dort finden wir uns.Es ist mein Befehl!“

Da half keine Widerrede. Korsin wurde leidenschaftlich,er handelte rasch. Bald zog er mit einem jungen Begleiter gegen Martinsbruck und weiter hinaus.

„Du bleibst jetzt hier und beobachtest den Weg nach Nauders! Ich gehe allein gegen Pfunds; sobald die Sonne dort an den Berg anschlägt, bin ich hier; verstehst du? Ich muß genau forschen.“

„Aber“ „Sei ruhig, ich habe einen Dolch im Wams!“ Korsins Augeit blitzten unheimlich. Bald war er auf dem Pfad verschwunden.

Er ging weiter und näherte sich dem Schalklhof. Das Mädchen, das er vor neun Tagen hier gesehen hatte, trieb gerade zwei Ziegen vom Hof herab. Korsin wartete, redeta dann das Mädchen freundlich an und drückte ihm ein Silberstück in die Hand mit den Worten: „Aber du mußt mir einen Dienst erweisen. Willst du?“

„Ja, gern, wenn “

„Aber willst du schweigen? Kennst du die Johanna vom Adler“

„Gut, du sagst ihr, aber nur ihr und sonst keiner Seele und keinem Steine, sie soll daher kommen.“ 76 „Aber wenn ich sie nicht allein “

„Sie ist wahrscheinlich in der Kirche du triffst sie gewiß allein. Und wenn du sie hierher bringst, schau, ich habe noch eine Silbermünze für dich “

„Aber zu wem soll sie kommen?“

„Zu sage nur: das silberne Kettchen!“

„Das silberne Kettchen?“

Das Mädchen eilte davon, und Korsin warf sich auf den Rain nieder; er war müde und so aufgeregt, daß er zitterte.Nach einer Weile stand er auf; er hatte gehört, wie droben im Schalklhof eine Türe zugeschlagen wurde. Rasch ging er weiter abwärts, und hinter einer Hecke stehend, sah er den Scharfrichter aus dem Hause schreiten, einen kräftigen Mann,der auf den Acker zuschritt, wo Korsin wußte es die Armen lagen, die hier unter dem Schwerte sterben mußten.Korsin sah dem Manne zu, wie er zuerst das Kreuzzeichen machte und dann die Erde umgrub.

Wieder eine Weile und Korsins Adlerauge hatte an der Landstraße zwei Gestalten bemerkt. Ungesehen ging er ihnen entgegen und verbarg sich beim Brücklein im Wald: es war das Mädchen mit Johanna. Die beiden wollten eilig weitergehen. Da rief Korsin aus seinem Versteck: „Johanna“ und schritt auf das Brücklein herunter. Freudig erschrocken blickte ihn Johanna an, reichte ihm die Hand, und zwei Tränen hingen an ihren Wimpern. Korsin gab dem Mädchen des Schalklhofes die zweite Silbermünze und hieß sie heimgehen. „Aber wenn du einem Menschen etwas sagst, höre,Kind. dann nehme ich dir beide Münzen wieder und “

„Keiner Seele sage ich ein Sterbenswörtchen,“ beteuerte das Töchterchen des Scharfrichters, „ich weiß, man darf nicht falsch schwören.“

Als die Kleine fort war, begann Korsin: „Johanna, es ist Krieg, und ich bin der Hauptmann der Samnauner, die schon im Engadin sind.“

„O Gott ich weiß, Krieg! Mein Vater ist auch fort,er ist in Glurns. Und du gegen die Tiroler!“„Für den Steinbock, für die Heimat, gegen den Adler!“

„Und du bist von der Fahne fort?“

„Nur um noch mit dir zu reden, bevor es in den Kampf geht. Johanna, darfst du mich anschauen? Johanna, soll alles ungesprochen sein, was wir miteinander gesprochen haben ?“

„Korsin!“

„Und alles gebrochen? Dann gib mir das silberne Kettchen wieder, daß ich es auch zerbreche wie unsere Eide!“

„O Korsin!“

„Du bist ja die Braut des jungen Maltitz, gib mir das Kettchen!“

Da richtete sich Johanna auf und stand in wilder, bezaubernder Schönheit vor Korsin und sprach, indem sie mit krampfhafter Hand das silberne Kettchen aus der Tasche griff und es hinhielt: „Du hast es gegeben, du kannst es nehmen. Ja,nimm's, wenn du mich für treulos hältst, nimm's! Weißt du,so schlecht bin ich nicht, daß ich meinen Eid breche, du magst ihn brechen, du!“

„Welchen Eid? Du hast zwei Eide geschworen: einen mir und dem jungen Vogt einen!“

„Der letzte ist kein Eid gewesen! Ach, Herr im Himmel,ich habe es getan, um dich zu retten, und ich habe es gebeichtet und “„So willst du auch jetzt noch die Braut des Bündner Hauptmanns bleiben? Es ist Krieg, und ich muß und will gegen dein Land kämpfen; reichst du mir dennoch die Hand?“

Johannas Augen flammten, sie streckte ihm die Hand entgegen und sagte zitternd: „Ja, wenn's sein muß, über die Ruinen meines Dorfes und selbst über die Leiche meines o so weit wird es nicht kommen. gelt. Korsin, so weit kommt es nicht ?“

Korsin ergriff ihre Hand: „Johanna, dann bleibe auch ich dir treu! Weißt du, da drinnen im Tale weint eine Jungfrau um mich, eine liebe, schöne; aber ich werfe sie weg, dir zuliebe. Opfere auch du! Wir sind unglückliche Brautleute,im Kriege verlobt, und wer weiß, wie alles endet? Aber, 73 Hanna, jetzt sind wir verlobt vor dem Himmel“ und er drückte einen Kuß auf ihre brennende Stirne.

„Johanna, das ist der erste Kuß und wenn es der letzte sein sollte, wir gehören nun einander!“

„Für jetzt und ewig! vor Himmel und Erde!“ Johanna zitterte.„Auf dem Mörderbrücklein haben wir dann Hochzeit gehalten, ein trauriger Altar; aber vielleicht können wir doch einmal glücklicher werden, vielleicht “

„Gott gebe es, mein Korsin! Wie hätten wir es verdient, unglücklich zu werden? Unser Brautstand ist rein und klar gewesen wie das Bächlein da.“

„Wir könnten wohl glücklich werden; aber der Krieg!Johanna, sind in Pfunds jetzt viele Krieger, oder im Inntal?“

„Keine.“Korsin schwieg eine Weile und schaute finster auf den Boden. Dann sprach er erregt: „Aber eines noch! Wenn der junge Maltitz kommt, dann “

„Dann, o Gott, wenn man Gewalt brauchen würde und du wärest fern aber, ich kann ja sterben, sterben,lieber als dir untreu werden.“

„Du sterben? Nein, niemand wird es wagen, dich mir zu rauben. Einen Monat halte mir die Treue noch, und dann,ich schwöre, ist niemand mehr, der uns im Wege steht.“ Seine Augen flammten unheimlich, sie schauten empor zum Berge,an den die aufgehende Sonne anschlug. „Ich muß fort, Johanna. lebe wohl!“

„Korsin, lebe wohl!“ Sie barg ihr Antlitz weinend am grauen Wams des Hauptmanns der Samnauner.

Dieser machte sie sanft los: „Johanna, lebe wohl und vergiß nicht, was hier auf dem Mörderbrücklein geschehen ist!“

Noch einmal sahen Korsin und Johanna einander aus der Ferne, blieben eine Weile stehen wie zwei Steinbilder,.die einander stumme Grüße senden. Korsin beeilte sich und war bald bei seinem jüngeren Kameraden, der beteuerte, er habe keinen Menschen auf dem Wege nach Nauders erspähen können.

„Auch in Pfunds sind keine kaiserlichen Soldaten,“ sprach Korsin; „es ist klar, daß das arme Münstertal der Kampfplatz sein wird; unser Samnaun hat nichts zu fürchten. Aber alle Samnauner werden wohl nicht heimkehren!“

Rasch schritten die beiden den Inn entlang, kamen nach Martinsbruck und waren in Schuls, noch ehe es zu Mittag läutete.

Das Fähnlein der Samnauner wurde dort noch besser ausgerüstet, der Hauptmann Korsin von Laret erhielt einen leichten Panzer und Helm; die Samnauner waren stolz auf Korsin, als die vereinten Truppen der Engadiner dem schönen jungen Hauptmann der treuen Samnauner das Lob spendeten:er sei so schön, als ginge er zu Hochzeit.

„Das wird am Ende so sein, es kann eine blutige Hochzeit geben,“ meinte der alte Knecht Viktor und ließ seine funkelnden Augen über die Truppen gleiten, während er seine Rechte auf Korsins Schulter legte: „Korsin, mich freut es,daß der Sohn meines seligen Herrn unserem Tal solche Ehre macht!“Neun langweilige Tage waren vorüber, als die Engadiner und mit ihnen die Samnauner am Pfingstmontag den waldigen, tobelreichen Ofenberg überschritten und bei der Abenddämmerung vor dem Frauenstifte Münster Halt machten. Es war wieder grimmig kalt geworden. Wachtfeuer brannten auf den Feldern und vor den Häusern. Im Kloster ging es bald laut her. Die stillen Frauen zwar mit ihrer Aebtissin Angela von Planta hatten schon längst ihr Heiligtum verlassen müssen.In der Kirche war das ewige Licht erloschen, der zarte Psalmengesang verstummt; dennoch füllte sich die Kirche ab und zu mit Kriegern, die sie dann wieder verließen, um in den Klostergängen einen Becher Wein zu erhalten oder im Klosterhof ein Stücklein Fleisch; Klosterkeller und Klosterstall lieferten den letzten Tropfen Wein und Blut an die grauen Männer ab, die ja bald zur Schlacht ziehen mußten.Denn eine Stunde weiter draußen, in der Talenge, erhob sich von einem Bergabhang zum anderen eine gewaltige hölzerne Verschanzung mit Türmen, Geschütz und Truppen. Alte Bündner, die in fremden Ländern Kriegsdienste getan hatten,schworen, sie hätten dergleichen lang nie gesehen; man hatte Kunde, daß der kaiserliche Feldhauptmann, Ulrich von Habsberg, über 165,000 Mamn verfügte.

Am Pfingstdienstag um die Mittagszeit war vor dem Kloster Kriegsrat der Bündner; auch Korsin von Laret durfte als Hauptmann in den Kreis jener Helden treten, deren Namen ihm bekannt waren: Da waren die Brüder Planta, mit dem jüngsten hatte er einst im Kloster Marienberg ein Jahr auf der nämlichen Schulbank gesessen; es waren da die Hauptleute des Grauen Bundes, der gewaltige Capaul, der breitschultrige Lumarin von Lumarins; Rink, bekannt als Bärenjäger; Jakob von Mont mit den Lugnezern, deren Banner der schlanke, schöne Ragett von Mont trug; in der Mitte stand der bischöfliche Vogt von Reams, Benedikt von Fontana, der früher oft in Münster war, um seine Schwägerin,die Frau Aebtissin Angela, zu besuchen; dieser und die anderen Führer standen im Kreise, stützten sich auf ihre Hellebarden und auf die langen Schwerter, und ringsum standen und saßen die Leute der drei Bünde, wohl ihrer 6000 Mann, in der buntesten Waffenrüstung. Pläne wurden gemacht; einige schlugen vor,auf die Ankunft der Schweizer zu warten; aber Benedikt Fontana sprach: „Schon recht; aber dann warten wir zugleich auf die Ankunft des Kaisers Max! Ich meine, jetzt ist die Zeit da, unsere Bünde zu retten, jetzt oder nimmermehr!“

Ein fast allgemeiner Beifall.

„Haben wir vielleicht vom Engadin her einen Einfall zu fürchten?“ fragte Fontana, indem er sich an die Unterengadiner wandte; „ist auch jemand hier vom äußersten Wacht-posten, von Samnaun?“

Da trat Korsin von Laret hervor und sprach: „Alles,was Stab und Stangen tragen mag!“Ein lauter Beifall folgte; als er sich legte, fuhr Korsin fort: „Ich habe noch heimlich einen Gang ins Tirol gemacht und erfahren, daß alle Männer, selbst die von Pfunds, da draußen bei Glurns sind; ich meine, ein Einfall ins Engadin ist nicht zu fürchten; da draußen bei der Schanze wird der Tanz sein!“„Brav, du junger Hauptmann, du gefällst mir!“ sprach Fontana und drückte ihm fest die Hand. Korsin wurde rot und senkte das schöne Haupt, als schämte er sich über eines: daß er jenen Gang ins Tirolerland gemacht hatte, nicht eigentlich für das Vaterland, sondern wegen seiner Braut einer Tirolerin.

Noch sprach man hin und her über die Zeit des Angriffes;da trat ein Mönch vor im schwarzen Benediktinerkleid, der Feldpater der Oberländer, Pater Ulrich Willi aus dem Kloster Disentis, und sprach mit feierlicher Stimme: „An den Pfingstfeiertagen, an den heiligen Tagen, ist das Volk des Oberlandes, aufwärts von Valendas und Flims, zu den Schutzheiligen des Landes, Plazidus und Sigisbert, gepilgert; sie haben um Sieg für diese Waffen gefleht. Wir siegen, und wenn wir vertrauensvoll angreifen, siegen wir schneller und leichter!“ Aus den Scharen der Oberländer erscholl lauter Zuruf.

Lange hatte der Kriegsrat gedauert. Es neigte sich die Sonne, als mehr denn 2000 Bündner hinter der Festung Rotund den Schlingenberg hinanstiegen, unter der Führung von Rink und Lumarin. Auch Korsin von Laret war unter ihnen; er kannte ja den Weg, den er als Student von Marienberg oft gemacht hatte. Sie stiegen hinauf durch das Rüfental. Es war dunkel, denn der Mond hielt keine lange Nacht-wache. Es dämmerte der Morgen des Schlachttages, als die Mannschaft ausruhte. Korsin lehnte sich an eine Tanne und sah auf das Kloster Marienberg hinunter. Dort hatte ihm einst der gute Abt gesagt: „Du hast alles, um recht glücklich oder unglücklich zu werden!“ Das Wort machte ihn traurig.Während die anderen Krieger selbst im Angesicht des blutigen Kampfes fröhlichen Mutes waren,. war Korsin finster; er fürch

Heft 62.tete nicht die Gefahr und den Tod. Aber eine Leidenschaft brannte in seinem Herzen neben der Flamme der Vaterlandsliebe; das erschreckte ihn, das betrübte ihn und doch es mußte sein. Er war abseits von den anderen, blickte nordwärts in der Richtung von Nauders und murmelte leise vor sich hin. „Maltitz, wenn ich aus der Schlacht da drunten mit dem Leben herauskomme, dann komme ich nach Nauders,und dann machen wir es aus, wem die Braut gehört, mir oder dir!“

Er kehrte sich rasch und gesellte sich zu den anderen Kriegern; von den Samnaunern waren nur einige der jüngern dort. Viktor, Mathis mit den Bockslederhosen und die anderen standen bei dem Gewalthaufen vor der Schanze. Korsin war froh, daß der blutige Kampf bald beginnen sollte. Schon brannte ein Stall, zum Zeichen, daß der Angriff auf die Schanze von beiden Seiten erfolgen sollte. Die Bündner, die über den Berg gezogen waren, standen schon kämpfend an der Marengerbrücke.

Der fromme Lumarin von Lumarins erhob sein großes Schwert und rief: „Brüder, auf und dran! Maria, du reine Magd, erbitte uns Gnade und barmherzige Hilfe!“

Der Kampf wurde wild und blutig, als am Nachmittag der Gewalthaufe von vorn die Schanze angriff. Das Geschütz donnerte, Kriegsgeschrei erfüllte die Talenge es war der entscheidende, furchtbare Streit zwischen Steinbock und Adler.

Korsin von Laret focht in wilder Todesverachtung, bis eine Hellebarde mit solcher Wucht an seine Brust schlug, daß er rückwärts taumelte. Die Wunde war nicht tief, aber Blut floß aus derselben und aus dem Munde. Bewußtlos lag er an einem Steine.

Der Kampf zog sich südwärts, die Brücken über den Rambach und über die Etsch krachten zusammen, und Tausende fanden den Tod in den nassen Fluten, und Ungezählte auf der weiten, blutnassen Ebene. Habsbergs Heer war geschlagen,die Bündner verfolgten in wilder Wut die Reste desselben und jubelten als Sieger.

Abend war's, als Korsin erwachte und um sich schaute:Leichen ringsum und Leichen, kein lebender Feind, kein lebender Freund. Er richtete sich empor und flüsterte: „Nach Marienberg hinauf!“ Er hatte Kraft, sich den Hügel hinaufzuschleppen auf einem Seitenpfade, den er aus früherer Zeit kannte. Das Kloster war wie ausgestorben.

Er richtete die nassen, müden Augen auf die eisenbeschlagene Pforte, die sich ihm vor Jahren so oft erschlossen hatte,dem fröhlichen Scholaren, wenn er von den Büchern des Pater Anselm zu den Amseln der Buchen heruntersprang. „Sind die guten Leute fort? Der Pförtner Gottschalk? Wird man mich wegstoßeen, wenn noch jemand da drinnen wohnt?“

Er läutete und lehnte sich erschöpft an den granitnen Türpfosten. Bald kam der alte Bruder Pförtner, sprach sein Deo gratias, erkannte aber den Fremdling nicht; weil er Gefahr vermutete, sagte er: „Ich muß den Vater Abt rufen,“ und schloß die Türe wieder.

Nach einer Weile kam der Vater Abt, in Silberhaaren und grauem Bart; die Türe öffnete sich. Korsin hatte sich auf die Stufe gesetzt und war in einen leichten Schlummer gesunken. Der Abt hob mit seiner weichen Hand das blasse Haupt des jungen Mannes: „Ein Verwundeter aus dieser traurigen Schlacht? Wer bist du?“

Korsin erwachte, hob müde das Haupt und schaute in das liebevolle Antlitz des Abtes; er erkannte es wieder: „O Vater Abt, ich bin ein früherer Klosterschüler, Korsin von Laret, und verwundet!“

Der Abt strich mit der hageren Hand über die gefurchte Stirne:„Korsin von Laret? O mein armer, lieber Korsin!“

Abt und Bruder führten den Verwundeten durch den stillen Klostergang.

„Hinauf in mein eigenes Schlafzimmer! Bruder Gottschalk, geht voraus und rüstet ein ganz frisches Bett!

„O Ihr seid zu gut ich habe ja gegen den Adler gekämpft “

„Laß das, Korsin! Wir gehören ja eigentlich auch zum Gotteshausbund. Aber bist du schwer verwundet? Stütze dich besser auf meinen Arm!“

„Ich weiß es nicht, ich bin zum Sterben müde!“

Nach einem Stündchen lag Korsin in den frischen, weißen Linnen im zugeriegelten äbtlichen Schlafzimmer, und ein tiefer Schlummer überfiel ihn. Der Abt selbst saß am Tisch in der Nähe des Bettes und beobachtete jeden Atemzug seines ehemaligen Lieblings Korsin.

Eine trübe Nacht. Zuweilen tönte vom nahen Burgeis etwas wie verlornes Kriegsgeschrei empor zum stillen Kloster. Der Abt überdachte all das Elend, das auf dem Schlachtfelde ausgebreitet war, und trat dann wieder an das Bett des Schlummernden.

Korsins Wangen wurden röter, sein Schlaf unruhig. „Johanna bist du treu? Wenn er nicht tot ist, ich werde ihn töten“ das war alles, was der besorgte Abt aus den wirren Reden des Fiebernden verstehen konnte.

„Er bewahrt im Herzen ein Geheimnis, niemand, auch Bruder Gottschalk nicht, darf die Kammer betreten! Der arme Korsin! Heilige Maria, bitte für uns!“ sprach der Abt leise, schlug sein Brevier auf und betete die Totenvesper für alle, die am Schlachttag, am Tag des Zornes, vor den ewigen Richter getreten waren.

Es wurde Morgen. Korsin erwachte, und der Abt selbst holte ihm ein Krüglein Milch und sprach mit ihm wie eine Mutter und richtete ihm die Kissen und verband die Wunde.Dann drückte er seine kalten Lippen auf Korsins glühende Lippen und flüsterte: „Korsin, morgen wollen wir weiter reden;jetzt schlafe, dann wirst du wieder gesund!“

Wohl wurde es ab und zu im Kloster unruhig, die Bündner holten Wein und Fleisch. Drei Tage blieben die siegreichen grauen Bauern auf dem Schlachtfelde, und das Kloster Marienberg wurde ausgeraubt, aber in des Abtes Schlafzimmer wurde niemand eingelassen.

Bruder Gottschalk war auch dabei, als die Bündner ihre Toten bei der St. Cäsarikapelle begruben. Er wußte nachher dem Abte vieles zu erzählen, aber er durfte nicht zum Kranken in des Abtes Schlafzimmer. Der Abt selber erzählte dann Korsin dies und jenes von der Schlacht.

„Korsin, hast du auch einen Verwandten gehabt in der bösen Schlacht dort drunten?“

„Nein, Vater Abt, keinen. O wißt Ihr etwas von den braven Samnaunern?“

„Es könnte dich aufregen, meinst du nicht ?“

„O nein, Vater Abt, es wird mich ruhiger machen.“

„So höre: Es hat ein Samnauner noch einen Gruß an dich aufgegeben. Aber lege dich auf das Kissen nieder, und ich will es erzählen. O es ist ein schöner Tod gewesen, pretiosa in conspeotu Domini. Ein alter Mann habe sich wie rasend auf ein Adlerbanner gestürzt, den Bannerträger erwürgt und einem Oesterreicher die Hellebarde entrissen und gemäht, wie man Korn mäht. Dann sei er gefallen, im Rücken von einem Schwerte durchbohrt. Sterbend habe er den seidenen Adler zerrissen und gehaucht: „Ich bin ein Samnauner und sterbe als Gotteshausmann! Korsin, wo bist du? Grüßt ihn mir! Ich gehe zu Gott.“

„O das ist mein Knecht Viktor gewesen, Gott habe ihn selig!“

Korsin preßte beide Hände an das Gesicht und weinte.

Und weiter erzählte der Abt vom Helden Benedikt Fontana in seinem Heldentod. Er habe den Sieg, als dieser schwankte, sterbend und niederfallend den grauen Bauern zugewandt.„Und dieser Held hat mir am Abend des Pfingstdienstages die Hand gedrückt!“ rief Korsin und richtete sich auf. „O wie glücklich ist er! Von ihm spricht man, solange unsere Berge stehen! Und ich? O Vater Abt, morgen stehe ich auf, ich muß fort, ich muß, ich muß!“

„Wir wollen sehen, Korsin! Dann gibt's einen schönen Heimgang.“„Wer weiß, wer weiß!“ In der Nacht sprach Korsin in seinen Fieberträumen wieder von „Johanna“, von einem „Morde“. Der Abt ließ sich müde an die Stuhllehne zurück und betete: „Deine Engel sollen bei uns wohnen und sollen im Frieden uns bewachen!“

Auf den blutigen Tag, den vierten der Pfingstwoche, folgten andere düstere, blutige Tage. Die siegreichen Bündner sagten, es sei bei den frommen Altvordern allweg Brauch gewesen, keine Gefangenen zu machen: wer vor ihre Hellebarden kam, sank tot zu Boden; Dörfer rauchten auf, Bräute und Witwen, Schwestern und Mütter wehklagten, Tirol war in Trauer. Auf dem Schlachtfelde war es stille geworden, Geier kreisten ob den unbegrabenen Kaiserlichen, und nach vier Tagen waren die letzten Bündner heimgezogen, stolz. auf ihren Sieg.

Und mancher Krieger, der heimkehrend sein friedliches Heim begrüßte, dem alten Vater die Hand reichte, das freudestrahlende Gesicht seines Knaben an die bärtige Wange drückte, erzählte wohl von der glorreichen Schlacht; aber daß er nach der Schlacht in bösem Zorn einen zitternden Greis und einen harmlosen Waisenknaben im Tirolerlande erschlug, darüber schwieg er und konnte es selbst kaum glauben.

Korsin aber weilte noch immer im Kloster Marienberg;seine Kräfte kehrten allmählich wieder, doch seine Nächte waren unruhig. Der Vater Abt war in Sorgen; die Wörtlein:„Johanna Mord“ machten ihm schwere Stunden. Mild und klug wie eine Mutter forschte er nach; aber auf alle leisen Fragen antwortete Korsin: „Ach, das sind Träume, mein Blut ist noch wild wie der Samnaunerbach.“ Am Sonntagabend war Korsin aufgestanden und saß im grauen Kleid am Fensterbogen der Panzer war im Kasten eingeschlossen. Der Abt war in die Kirche gegangen.

Korsin lehnte sein müdes Haupt auf die Hand, den Arm auf das Gesimse und schaute hinunter auf das öde Schlachtfeld. Die Sonne ging eben zur Rüste; die strahlenden Berge erinnerten ihn an die Berge der fernen Heimat, an sein Dörf lein, an seine Mutter und Schwester, und auch Rosas Bild kam ihm vor die Seele.

Aber sein Auge glänzte unheimlicher, wilder: „Rosa, ich habe dich weggeworfen, ich kann und will dich nicht mehr aufheben. Auf dem Mörderbrücklein habe ich einer anderen Braut Treue geschworen. War es recht? Ich weiß es nicht,es mußte so sein. Und jetzt muß ich den zweiten Schwur halten: alles wegzuräumen, was uns auf dem Wege zum Traualtar entgegensteht.“

Er stand auf und schritt in der Zelle auf und ab; plötzlich blieb er vor einem dunkelfarbigen Oelgemälde stehen: düstere Gebirgsgegend, ein Dornenfeld und in den Dornen liegt ein Jüngling Blut glänzt an den Zweiglein, und in der Luft flattert ein Vogel. Korsin trat näher und las auf einem Spruchbande: Der junge Benediktus blutet in den Dörnern,um eine unreine Glut auszulöschen. Und darunter: Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber Schaden leidet an seiner Seele?

Er fuhr mit der Hand über die Augen, trat ans Fenster und setzte sich: „Um eine unreine Glut auszulöschen? O meine Liebe ist auch Glut. Eine unreine? Ja, hätte ich meine Heimat ganz geliebt, ich hätte nicht mein Herz nach Tirol getragen, ich hätte nicht während der heiligen Zeit des Krieges an die Liebe meines Herzens gedacht! Ach, ich hätte jetzt nach dem Kriege keine Mordgedanken!“

Er schwieg und lehnte das müde Haupt auf das Gesimse und atmete schwer. Und als er das Auge wieder auf das Gemälde richtete, sagte er zitternd: „Es ist doch nichts Unreines! Und wenn ich den jungen Maltitz von meinem Wege stoße, es ist kein Mord, nein, kein Mord! Der Krieg ist noch nicht vollendet, und im Kriege töten, das ist keine Sünde. Nein, es ist kein Mord! Und es muß sein!

Ich durfte für meine Heimat töten, ich darf es auch für die Heimat meiner Liebe, für Johanna!“

Bald klopfte es dreimal, zum Zeichen, daß der Abt vor der Türe stand. Korsin öffnete, und der Abt staunte, daß sein Kranker so frisch war, seine Augen so glänzend, sein Gesicht heiterer als sonst. Er fragte wieder zart nach der Ursache und erhielt zur Antwort: „O jetzt weiß ich, was ich tun muß! Und wenn man einmal das klar weiß, dann wird auch das Schwerste leicht.“

In der folgenden Nacht konnte der Abt in einer Nebenzelle schlafen. Und als er am Morgen zu Korsin hereintrat,war dieser schon im grauen Kleide am Fenster und sagte, er müsse heute fort; er gehe über Nauders heim, er kenne Seitenwege.

„Ueber Nauders? Nein, Korsin! Heute kommen Reiter von Nauders her, das andere brauchst du nicht zu wissen aber Furcht mußt du keine haben, in meiner Zelle bist du sicher.“„Vater Abt, ich will alles wissen! Was ich nicht weiß,das zehrt mir am Herzen!“

„Gut also: der junge Maltitz hat gestern berichtet, er komme mit einem Trupp Reiter.“

Warum?“

„In meine Zelle darf kein Maltitz und selbst kein Kaiser kommen.“„So kommt der Kaiser Max? Das weiß ich, daß er kommen wird; wir Bündner haben es auch gewußt, sonst hätten wir nicht so bei der Schanze gekämpft. Aber jetzt kommt er ?“

„Ja, in den nächsten Tagen. O der arme Kaiser! Was sieht er da drunten! Ach, nicht einmal die Toten sind begraben, es ist niemand mehr, der Gräber schaufeln könnte;armer Kaiser Max! Er will in meinem Kloster bleiben und o Gott!“

Abt und Korsin setzten sich ans Fenster und redeten lange über den Kaiser Max.

Plötzlich ein Hornruf!

Beide sprangen auf: „Das ist der junge Maltitz!“

Er war es; mit einem Dutzend Reiter war er vor dem Tore und begehrte Einlaß.

Der Abt schloß seine Zelle und ging in den Hof, wo Bruder Gottschalk die Pferde besorgen mußte, während der Abt die Gäste in den Konventssaal führte, um ihnen den Rest des Weines und Brotes anzubieten, der sich im Kloster noch vorfand.

In der geschlossenen Abtszelle hatte Korsin seinen Plan nochmals überdacht. Ach, die Leidenschaft ließ ihn nicht mehr ruhig denken: „Es muß sein! O könnte es bald geschehen!“

Er trat zum Abtstische, suchte Papier und Stift und schrieb:

Guter Vater Abt! Ich danke für alles Gute. Ich muß mich gegen den Räuber meines Glückes wehren. Sollte es fehlen, so sorget für meine Mutter und Schwester! Betet für Euren Korsin, er wird entweder sehr glücklich dder sehr unglücklich werden!Korsin von Laret.

Das Blatt legte er in das messingbeschlagene Brevier des Abtes. Nochmals fielen seine Augen auf das Oelgemälde,sie senkten sich rasch. Er öffnete leise die Türe. Alles still.Er nahm seinen Dolch, den der Abt auf das Büchergestell gelegt hatte, und verbarg ihn an der Brust, nahe an der Wunde, die er für sein Vaterland erhalten hatte.

„Barhaupt muß ich gehen? Die Hand des Herrn sei über mir!“ Wohl schoß ihm das Blut durch die Adern aber er ging, ging leise die steinerne Treppe hinab, hinaus in den belaubten Garten und verbarg sich dort hinter einem blühenden, großen Rosenstrauch.

Eine Weile.

Da trat der junge Maltitz mit seiner Begleitung aus der Klosterpforte. Korsin hörte, wie er zum Abte sprach, er möge durch den Bruder einige Zimmer für den Kaiser Max herrüsten lassen; er hörte, wie Maltitz zu seinen Begleitern sprach, sie sollten nach Glurns und in die Dörfer reiten und die Ankunft des Kaisers melden, er reite nach Meran.

Korsin zitterte wie einer, der nur einen Augenblick hat,um einen Plan auszuführen, an dem ein langes Leben hängt.Maltitz ging mit den Begleitern hinter das Kloster in den Hof. Bald ritten zwei Reiter hervor und den schmalen Weg hinab, nach einer Weile vier andere, nach einer Weile noch zwei. Korsin rechnete, die Begleiter seien alle fort; er krampfte die Hand an die Brust: der eine Augenblick mußte kommen.

Maltitz ritt vor, ganz allein.

Korsin trat auch hervor, nahe an den Weg, auf welchem der Reiter vorbei mußte. Das Roß stutzte, Maltitz spornte es,ein Sprung und es stand vor Korsin. Dieser ergriff die Zügel und rief in wildem Zorn mit erhobenem Dolch: „Räuber meiner Braut Johanna!“

Maltitz wurde leichenblaß, griff nach dem Degen. Das Roß bäumte sich hoch, Maltitz schwankte. Das war der eine Augenblick, in dem Korsin rasend seinen Dolch in die Brust des Nebenbuhlers bohrte.

Ein Schrei des Sinkenden ein Schrei des Sterbenden.Korsin stürzte fort, den Abhang hinunter, südwärts, er wollte ins Münstertal. Seine Wunde an der Brust fing an zu bluten, Schweiß sprang ihm aus der Stirne.

Da tkönte es hinter ihm: „Mörder, Mörder!“

Er sah zurück. Zwei Reitknechte, die noch zurückgeblieben waren, stürzten ihm nach; Korsin sprang weiter und weiter.

Ein greller Pfiff.

Die übrigen Begleiter hörten ihn, und bald sah sich der Verfolgte von allen Seiten umringt.

„Verloren! O arme Mutter!“

Es wurde dunkel vor seinen Augen, sein Arm wurde schlaff, der Dolch entfiel der Hand.

Die Verfolger stürmten auf ihn ein, und die beiden, die Maltitz' Leiche gesehen hatten, wollten in wilder Wut den Wehrlosen durchbohren. Aber der Aelteste schob ihre Speere weg und rief: „Halt!“

„Er hat den Maltitz ermordet, schlagt den Mörder nieder!“schrien die beiden.

„Halt! wenn er ein Mörder ist, dann muß Gericht sein,und dann hat er auf dem Anger in Pfunds zu sterben!“

Da schnellte Korsin empor: „Nein, hier tötet mich, wenn ihr nicht feige Hunde eines toten Herren seid! Tötet mich!“

Doch der Anführer hielt die Rasenden zurück und befahl:„Bindet ihn! Was er verdient, soll er erhalten!“

Korsin war kraftlos geworden, er sank zusammen.

Gebunden, die Hände auf dem Rücken, wurde er nach Burgeis hinuntergeschleppt; zwei Knechte gingen hinauf, um die Leiche ihres Herrn zu besorgen. Dort fanden sie den Abt kniend und laut weinend, an die granitnen Pfosten der Klosterpforte gelehnt.

Der arme Abt war nämlich, als er in seine Zelle ging und diese leer fand, erschrocken auf den Stuhl gesunken; sein Auge starrte auf das offene Brevier und las das furchtbare Blatt, von Korsins Hand geschrieben. Dann hörte er den Schrei, sprang in den Hof, und an der Leiche des jungen Maltitz war ihm alles klar, wie von einem Blitze erhellt:die Träume Korsins, „Johanna Mord“, die Abschieds-worte.

Und als nun die beiden Knechte meldeten: „Wir haben den Mörder,“ da stand er zitternd auf und bat weinend: „O führt mich zu ihm, zu ihnen!“

„Ha, um den Mörder gar noch zu befreien!“ schrien roh die beiden. „Hinein ins Haus!“

Gewaltsam führten sie den Abt ins Kloster, und der bestürzte Bruder Gottschalk mußte von außen die Pforte schließen.

Dann luden sie die Leiche auf ihre Schultern und trugen sie in die Klosterkirche.

Korsinus war gebrochen an Leib und Seele. Er weinte wie ein Knabe, und so oft der edle Anführer der Reitknechte ihn vor Beschimpfung und Mißhandlung schützte, schaute er ihn schweigend und weinend an. Kein Zug der Verzweiflung verzerrte sein schönes Antlitz; sein Elend lag wie ein Berg auf seiner Seele; aber es war ihm, er habe schon die Hälfte seiner großen Schuld abbezahlt durch die männliche Ergebung in das furchtbare Los, das ihm bevorstand.

Es war der traurigste Abend seines Lebens, als er gefesselt auf einem Leiterwagen über die Malserheide hinauffuhr, gebeugt, auf beiden Seiten von drei Reitern begleitet.Ein einziges Mal schaute er noch zurück, hinüber auf das Kloster Marienberg, wo der Abt seinen Abschiedsbrief mit Tränen benetzte, und hinab auf das Schlachtfeld, wo er eine Wunde an der Brust empfangen hatte, wo Benedikt Fontana,wo der alte Knecht Viktor bei der Cäsarikapelle begraben lagen die Glücklichen!

Der alte Maltitz war nicht in Nauders, er war dem Kaiser Max nach Landeck entgegengeritten.

Es war finstere Nacht, als der traurige Zug am Schalklhof vorbeiging, in Pfunds einbog. Einige Neugierige traten an die Fenster, im Dorf war Totenstille. Ein einziges Mal erhob Korsin wieder das müde Haupt, als man am Hause der Johanna vorbeizog. Er preßte die trockenen Lippen zusammen, senkte das Haupt und betete leise „Heilige Maria,Mutter Gottes, bitte für uns arme Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Absterbens, Amen!“

Bald öffnete sich dem Armen das eiserne Tor des Kaiserturmes.

Korsin wurde in einen finstern Raum geführt; der Anführer zündete eine Kerze an; bald fühlte der Gefangene die schwere Eisenkette an seinen Füßen.

„Vergelt's Gott!“ sagte er weich und weinend, als ihm

Anführer aus der Feldflasche einen Schluck Wein gab.

Dann wurde die Kerze gelöscht, die Eisentüre geschlossen und verriegelt.

„O wäre ich schon im Grabe!“ tönte es zitternd durch den finstern Kerkerraum.

Korsinus von Laret warf sich vor dem Strohlager nieder und konnte das Nachtgebet beten, das er noch von seiner armen Mutter gelernt und mit Philomene so oft und an so glücklichen Abenden gebetet hatte. Er betete es zu Ende und fügte hinzu:

„O wäre alles vorbei, o wäre ich schon im Grabe!“der

7.„O wäre alles vorbei, o wäre ich schon im Grabe!“

Als wollten die Reiter, ihrer sieben, dieses Gebet des Angeketteten der Erhörung entgegentragen, sprengten sie, ohne im Kaiseradler zu Pfunds einzukehren, zurück gegen Nauders.Dort riefen sie, obwohl es schon Mitternacht war, die Dorfvorsteher und die Gerichtspersonen in das nun öde Haus des kaiserlichen Vogtes: Kaspar von Maltitz weilte ahnungslos beim Heerlager des Kaisers Max und freute sich über die Ankunft des Kaisers, der an den rasenden „Grauen Bauern“Rache nehmen werde; Ferdinand von Maltitz lag als Leiche in einer Seitenkapelle der Klosterkirche zu Marienberg, und Bruder Gottschalk hatte ein Oellämpchen neben die durchbohrte Brust des schönen, blassen Jünglings gestellt.

Bruder Gottschalk selbst mußte beim Abte wachen, der,von den Nachtwachen erschöpft und vom Mord im Klostergarten erschüttert und verwirrt, bald ein Weilchen schlummerte,bald wieder seufzte: „O armer Korsin, o unglücdlicher Korsin!O wärest du als Knabe gestorben!“

Beim Kerzenlichte wurde in der Vogtei zu Nauders beraten. Die Reiter berichteten alles, soweit sie es gesehen hatten. Der alte Dorfvorsteher, Kassian Federspiel, schüttelte den grauen Kopf und ließ zuerst die andern lang und breit reden. Dann sprach er: „Liebe Leute, es ist ein trauriger Fall! Ist der Samnauner Korsin von Laret des Mordes schuldig, dann ist es besser, wenn er seine Sünde sühnt, noch ehe der arme Vater, der Vogt, zurückkehrt; es ist besser für beide. Aber auch dem Feinde werde Gerechtigkeit zuteil! Es ist möglich, daß Korsin nicht ein eigentlicher Mörder ist.“

Widerspruch zeigte sich in Mienen und Worten; doch der alte Kassian fuhr fort: „Hat Ferdinand von Maltitz zuerst angegriffen oder der Samnauner?“

„Ferdinand kann nicht mehr antworten; der Samnauner ist schuldig, ich schwöre drauf!“ rief ein Reiter.„Aber der Samnauner kann antworten,“ entgegnete der Vorsteher, „und ihn muß man fragen!“

„Der wälzt die Schuld auf Ferdinand! Der Mörder kann und wird lügen!“ tönten mehrere Stimmen.

„Es muß Gericht sein! Der Samnauner schwöre beim Kreuz vor den brennenden Kerzen! Wir wollen ihn sehen und hören! Am frühen Morgen gehen wir nach Pfunds zum Gericht, und dabei bleibt's!“

Am frühen Morgen ritt der Vorsteher mit vier Begleitern nach Pfunds hinunter. Beim Schalklhof hielten sie an,und der Scharfrichter wurde aus dem Hause gerufen. Als er vernahm, warum die Richter nach Pfunds ritten, senkte er das Haupt, und seine Augen wurden feucht; aufblickend sprach er dann: „Gestern habe ich meinem Weib und meinen Kindern gesagt, ich wolle Amt und Schwert niederlegen und den Hof verlassen. Ich habe es geahnt, ja, geahnt. Jetzt gibt es noch eine traurige Arbeit für mich, ich hab's geahnt.“

„Und wenn es sein muß aber es ist noch nicht ausgemacht wenn es sein muß, dann muß es sein, noch bevor die Sonne untergeht!“ entgegnete Kassian Federspiel. „Seid gefaßt! Der Kaiser kommt, der Vogt Maltitz kommt, es droht Gefahr aus dem Engadin; ist der Samnauner schuldig, dann heute abend!“„In Gottes Namen denn! Aber bedenkt: es ist Kriegszeit, und der Samnauner kann einen erstochen haben und ist doch kein Mörder.“ Der Scharfrichter sprach's und ging gesenkten Hauptes in seine Stube zurück.

Als die Richter dem Dorfe Pfunds sich näherten und die schwarzen Ruinen einiger Häuser sahen, sagte der junge Hans Mark, ein Spielfreund des toten Maltitz: „Da schaut einmal die Spuren dieser Bündner! Wie Tiger haben sie im Land gehaust nach der verfluchten, unglücklichen Schlacht. Und der im Kerker, der Mörder unseres jungen Ferdinand Maltitz, ist auch einer aus der Räuberbande.“

„Krieg ist Krieg!“ betonte der alte Federspiel.„Und das Unglück tragen wir Tiroler und die Schande noch obendrauf! Unglück und Schande jedem dieser Räuber,auch dem im Turme,“ gab gereizt Hans Mark zurück.

„Krieg ist Krieg Gericht sei Gericht!“ erwiderte der alte Vorsteher und schob seinen schwarzen Mantel zurecht. Bereits waren sie im Dorfe, und Neugierige traten aus den Häusern.

Als sie am Gasthaus zum Kaiseradler vorbeiritten, schritt Johanna die Steintreppe hinunter, im schwarzen Kleide und blaß; ihr Vater war aus der Kalvenschlacht nicht mehr zurückgekehrt. Und zur Trauer kam nun die Sorge um das große Haus und die düstere Zukunft.

Da hörte sie aus der Menge: „Maltitz ist ermordet!“Sie lauschte, dann sprach sie leise zur alten Magd, die ihr nachgekommen war: „O wenn er nur gut gestorben ist! Er ist oft ein harter Vogt gewesen; Gott sei ihm barmherziger,als er es gewesen ist!“

„Du hast nicht recht gehört, es ist der junge Maltitz,dein “

„Das kann wohl nicht sein!“ Johanna senkte ihr Gesicht, als fürchtete sie, man könnte auf demselben lesen: „Dann bin ich frei!“

Aber in diesem Augenblicke ging ein Murmeln durchs Volk; Johanna lauschte, als ob sie nicht recht verstanden hätte:„Ein Samnauner!“

Sie wurde totenblaß, stieg die Steinstiege hinauf, eilte in ihre Kammer und brach vor dem Tischchen zusammen und stöhnte: „O Korsin, o Korsin! Bist's du gewesen? O mein armer Korsin!“

Die Richter, vom Volk umgeben und gedrängt, standen vor dem Turm. Der alte Kassian Federspiel ließ sich vom Pferde herab und gebot mit der Hand Schweigen: „Wählt aus euch noch vier ältere Männer aus als Richter!“

Durch Zuruf wurden vier gewählt, unter ihnen auch der Kommissär, der sich während der Kalvenschlacht still in Pfunds verhalten hatte.20 Dann sprach Federspiel mit ernster Stimme zum Volke:„Verhaltet euch ruhig! Der Vogt darf in diesem Falle nicht richten. Wir richten an seiner Statt nach Recht und Gerechtigkeit!“

Das Eisentor tat sich auf, die neun Richter traten ein, und das Tor fiel wieder zu. Das Volk aber lagerte sich auf der Wiese.

Wie in den Tagen der schönen Kindheit andächtig die Hände faltend, hatte Korsin von Laret schon längst sein Morgengebet verrichtet; er erwartete nun seinen letzten Erdenabend.Er weinte nicht mehr, als habe der vorige Tag und die letzte Nacht seine letzte Träne aus den müden Augen gepreßt. Nur fünf Namen nannte er oft: „Samnaun, Mutter, Schwester,Johanna und Rosa!“ „Rosa, ja ich hätte vielleicht dir treu bleiben sollen, dann wäre ich der Heimat treu geblieben!“ „Johanna, auf dem Mörderbrücklein mir angetraut! Das Hindernis ist aus dem Weg geräumt ; aber zum Hochzeitsaltar o ich muß einen anderen Weg gehen.“

Er saß auf dem Strohlager, als der Schlüssel in die eiserne Türe gestoßen wurde; aufstehend hob er die schwere Kette an die Stirne und sprach leise: „Bald ist es vorbei, bald bin ich im Grabe.“ Dann warf er die Kette wieder auf die Steinplatten, daß sie rasselte, während die Türe sich öffnete und der Gefängniswärter hereintrat: „Droben ist das Gericht versammelt. Vorwärts in Gottes und Kaisers Namen!“

Droben in einem großen Saale saßen die neun Richter an einem Tische mit schwarzer Decke; in der Mitte des Tisches stand ein Kruzifix. Als Korsin, gekettet und vom Turmwãchter geführt, in den Saal trat, waren die Richter in lebhaftem Gespräche, und er hörte von verschiedener Seite das harte Wort „Mörder“.

Es wurde stille. Der Vorsitzende, Kassian Federspiel, eröffnete in Gottes und Kaisers Namen das Gericht, forderte den Angeklagten auf, Platz zu nehmen auf dem Armensünderstuhl. Korsin war müde, setzte sich und bat, ihm wenigstens von den Händen die Kette zu lösen. Trotz der Einsprache des Kommissärs geschah es.Der Vorsitzende erzählte den traurigen Vorfall im Klostergarten zu Marienberg, während Korsin den müden Kopf auf die rechte Hand stützte und die linke auf die Wunde seiner Brust legte; sichtbar schlug sein Herz, als habe es den letzten Kampf zu bestehen.

„Korsin von Laret!“ schloß Kassian Federspiel, indem er sich erhob, „ich frage Euch: habt Ihr den hochgeachteten Herrn Ferdinand von Maltitz, unseres gnädigen Herrn Vogtes Sohn, getötet?“

„Ja!“ antwortete Korsin mit fester Stimme.

„In diesem Tone sagt er sein trotziges Ja! Ha, es reut ihn nicht! So würde er jeden von uns töten!“ schrie der Kommissär, der aufgesprungen war, um seinen Triumph zu feiern.Auch Korsin stand auf, richtete sich empor und schaute stolz über die Schulter auf den höhnenden Rivalen hin: „Dich,dich würde ich nicht töten, vielleicht in den Inn werfen eine feige, falsche Katze!“

Der Kommissär wurde rot, und seine Ohren schienen zu brennen. Er schlug auf den Tisch, trat einen Schritt rückwärts und der eichene Stuhl polterte auf den Boden zurück.

„Feige, falsche Katze!“ schrie er. „Ich kenne die Katze,die auf den ahnungslosen jungen Maltitz gesprungen ist aus dem Gebüsch des Marienberger Klostergartens! Herren Richter, schaut ihn an!“ Es trat lautlose Stille ein, Korsinus schaute finster zu Boden. Dann hub der Kommissär wieder an: „Seht den finstern Blick dieser Engadiner! Ha, unser bemitleidenswerter Vogt hatte recht, als er sagte, er fürchte noch mehr diesen finstern gesenkten Blick als den Schlag des erhobenen Armes. Da steht der gleiche Verbrecher, der vor dem Krieg hier in Pfunds auf den kaiserlichen Adler geschossen hat. Der übergute Vogt hat ihn damals freigelassen. Und zur Belohnung hat der freche Samnauner dem kaiserlichen Vogt den Sohn ermordet. Braucht's da ein langes Gericht, ein Geschwätz hin und her und das Kreuz da auf dem Tisch mit

Heft 62. 7 den Kerzen? Nichts braucht es mehr als den Scharfrichter drinnen auf dem Schalklhof!“

Korsin von Laret preßte die Lippen aufeinander, erhob etwas sein blasses Haupt, und seine Hände krampften sich ineinander. Als der Kommissär zornig polternd den Stuhl zurecht gesetzt und sich auf denselben niedergeworfen hatte, war es ein Weilchen wieder stille im Saale. Dann befahl Kassian Federspiel dem Turmwächter, die zwei Kerzen neben dem Kreuze anzuzünden und sprach mit weicher Stimme: „Korsin von Laret, ich frage Euch zum zweiten Male: habt Ihr den Junker Ferdinand von Maltitz getötet?“

„Ja.“

„Warum habt Ihr ihn getötet?“

Wieder schnellte der Kommissär in die Höhe: „Warum?Einfältige Frage! Er ist wohl aus Frömmigkeit ein Mörder!“

Korsin schwieg und senkte die Augen, während Kassian Federspiel mit flacher Hand auf den Tisch schlug: „Herr Kommissär, ich verlange Ruhe. Wenn Euch der Sessel zu warm ist, bleibt meinetwegen stehen. Aber Ruhe will ich. Es handelt sich um ein Menschenleben. Korsin von Laret, schaut auf! Ihr seht die brennenden Kerzen. Ihr werdet einen Eid schwören, ob Ihr “

„Einen Eid? Will man Spott treiben und den Mörder zwingen zu lügen “

Wieder fiel Federspiels flache Hand auf den Tisch: „Herr Kommissär, ich verlange Ruhe. Korsin von Laret, habt Ihr aus Notwehr gehandelt? Hat Ferdinand von Maltitz Euch zuerst angegriffen im Klostergarten zu Marienberg?“

Korsin richtete seine Augen auf das Kreuz und die brennenden Kerzen, dann faltete er die Hände und sprach ein lautes, zitterndes Nein ließ sich wie gebrochen auf den Stuhl nieder und weinte. Es war ihm, als habe er selbst sein Todesurteil gesprochen.

Kassian Federspiel erhob sich: „Dann, dann, braucht er keinen Eid!“

Hans Mark sprang auf und löschte die Kerzen: „Er hat bekannt, das Gericht ist aus!“

Federspiel blickte mit feuchten Augen auf Korsin, der sein müdes Haupt auf die Handfläche stützte. Dann gebot Federspiel den Richtern, die sich laut redend bereits erhoben, Stille und sprach: „Es braucht keinen Eid, es braucht keine Abstimmung. Aber ein Wort muß ich sagen: Korsin von Laret, Ihr habt keinen falschen Eid schwören wollen, Ihr wollt lieber sterben, als das Leben mit einem falschen Eide erkaufen. Das ist edel. Wenn der menschliche Richter strenge richten muß,der Richter dort oben wird milder sein! Habt Ihr einen Wunsch vor dem Gang zum ewigen Richter?“

Korsin erhob sich, wischte sich die Tränen aus den Augen und stand aufrecht und stolz da, wie vor wenigen Tagen, als er Führer seiner kleinen Schar Samnauner an der Kalven war.Dann sprach er mit fester Stimme: „Gebt mir noch einen Priester, und was geschehen muß, geschehe bald, noch heute!“

Die Richter schwiegen; selbst der Kommissär wagte kein giftiges Wort mehr, sondern stand, den Schnurrbart drehend,in einer Fensternische und schaute hinunter auf die Wiese, wo sich allmählich das Volk zu entfernen begann.

„Ein Priester soll Euch beistehen, Korsin von Laret, und soll Euch trösten!“ sprach Federspiel mit weicher Stimme. „Und habt Ihr sonst keinen Wunsch?“

„Für mich nicht! Und den anderen Wunsch kann niemand,o niemand auf Erden erfüllen. Niemand kann meine arme Mutter und Schwester trösten, niemand!“

Korsin wandte sich ab, und Tränen rannen über seine Wangen. Kassian Federspiel nahte sich dem Weinenden, nahm ihn bei der Hand und sprach: „Euer Pfarrer ist ein Mann Gottes;soll ich ihn aus Samnaun rufen lassen?“

„Nein! Er soll die traurige Stunde nicht durchleben müssen; aber meine Mutter soll er trösten, bis sie stirbt. Und sie wird diesen Tag nicht lange überleben!“

„Korsin“ und Kassians Stimme wurde leiser und weicher „wir mußten unsere Pflicht erfüllen, ehe der Vogt von Nauders kommt. Euer Los ist schwer, aber ein erzürnter Vater hätte dasselbe noch grausamer machen können.“

Die anderen Richter näherten sich den beiden, auch der Kommissär. Stolz richtete Korsinus sich wieder empor und rief mit fester Stimme gegen die Gruppe des Kommissärs:„Fort, ich will keinen Hohn ertragen, und Mitleid verdiene ich nicht; ich will hinunter in den Kerker!“ Dann ergriff er die Hand des greisen Federspiel und sagte leise: „Euer Pfarrer ist ein guter Mann, er ist früher auch zu uns ins Tal hineingekommen, ein Hausfreund meines seligen Vaters gewesen. O er wird dem unglücklichen Sohn den letzten Liebesdienst erweisen!Macht vorwärts, laßt mich nicht in die Hände des Vogtes fallen!“

„Es soll geschehen; Gott tröste Euch! Das Gericht ist beendigt!“ sprach Kassian Federspiel.

Korsinus war kaum wieder im dunkeln Kerker, als der Kommissär, den übrigen Richtern voran, durchs Turmtor trat und in die Volksmenge rief: „Er ist verurteilt, der Mörder des jungen Maltitz!“

„Wer? Wer?“ tönte es von allen Seiten.

Da erhob der Kommissär seine langen Arme und schrie:„Der Gleiche, der vor wenigen Wochen auf den Kaiseradler geschossen hat!“ Er wollte noch weiter reden, aber ein lautes Gemurmel ging durch die Menge. Und im nämlichen Augenblicke stand Kassian Federspiel hinter dem Kommissär, schob ihn unsanft beiseite und gebot Schweigen:

„Ich bin der Vorsitzende des Gerichtes, ich! Den Spruch habe ich zu verkünden, kein anderer! Schweigt, Kommissär,schweigt! Korsin von Laret hat bekannt, daß er des Mordes schuldig ist. Er will heute noch sterben.“

Da erhob sich von neuem das Gemurmel es glich dem Sturm auf einem See, wo zwei entgegengesetzte Winde die Wellen gegeneinander schleudern. Manche wollten den jungen, schönen Samnauner um so lieber frei lassen, als der Vogt von Nauders auch im eigenen Land unbeliebt war und durch seinen Hennenkrieg auch über die Pfundser Schande und in manches Haus Trauer gebracht hatte. Aber manche, und sie hatten die Ueberzahl, erinnerten sich der unglüchlichen Kalvenschlacht und der grausamen Rache der „Grauen Bauern“.

Da rief eine zornige Stimme: „Laßt den Samnauner nur frei, er kommt bald mit einer Schar, und dann ist ganz Pfunds bald ein verbranntes Dorf.“ Alle kehrten sich nach dem Rufenden; es war der unglückliche Jüngling, der früher geträumt hatte, Johanna, die Tochter vom „Kaiseradler“, müsse seine Braut werden und nicht die Braut des Samnauners.

Kassian Federspiel sah, daß das Volk, durch den unglücklichen Krieg aufgebracht, die sofortige Vollstreckung des Todesurteils fordern werde. Er gebot wieder Schweigen und fuhr dann fort: „Hört! der Verurteilte hat eine arme Seele wie wir. Er verlangt einen Priester, um sich auf den Tod vorzubereiten. Ich verlange zwei Dinge als Stellvertreter des kaiserlichen Vogtes:

Erstens darf heute niemand nach Samnaun gehen!

Zweitens, der Verurteilte wird bei eintretender Nacht zum Schaltlhof geführt. Dabei bleibt es. Geht ruhig heim!“

Nach einer Weile hatte sich das Volk zerstreut. Es war einsam geworden um den Turm, als ein Priester, ein alter,freundlicher Herr in Silberhaaren, durch das Turmtor trat,um dem armen Verurteilten den letzten Trost zu bringen.

Eben läutete die Mittagsglocke, und die Gassen waren fast menschenleer. Da ritten acht geharnischte Reiter ins Dorf,sie kamen von Ried. Bald- füllte sich die Hauptgasse mit Neugierigen, es erschollen Rufe: „Kaiser Max kommt, Kaiser Marx kommt!“ Die acht Reiter hielten vor dem Gasthofe zum „Kaiseradler“ und verlangten, ohne abzusteigen, Wein.

Johanna war nirgends zu finden, ihre Kammer war verriegelt. Dort weinte sie, auf den Boden hingekauert, das rotgeweinte Antlitz an die kalte Mauer gepreßt; in der einen Hand hielt sie krampfhaft das silberne Kettchen mit goldenem Kreuze. Lange hatte sie dort gekniet; erst der Ruf: „Kaiser Max kommt!“ weckte sie wie aus einem Fiebertraum. Sie zitterte, es war ihr, als sei ein schwerer Stein ihr aufs Haupt gefallen. Erst als das Volk vor dem Hause weiter jubelte 102 und immer freudiger jubelte: „Kaiser Max kommt!“ da stand sie mühsam auf, schwankte ans Fenster und sah die Reiter.Und als hätte der Anblick der Reiter, unter denen sie den Kaiser Max glaubte, ihr neues Leben gegeben, richtete sie sich auf, wischte die Tränen ab, streckte die Arme empor und faltete hoch die zitternden Hände: „Kaiser Max kommt! O jetzt ist Hoffnung gekommen er wird meinen Korsin begnadigen, o der gute Kaiser Max!“

Rasch stieß sie den Riegel zurück, öffnete und schritt die Treppe hinab und auf den Söller hinaus. Dort hörte sie,wie die Reiter, die in gewaltigen Schlücken den Wein in die Kehlen schütteten, zwischenhinein dem freudig erregten Volk zuriefen: „Ja, unser Kaiser kommt!“ „Er wird den Grauen Bauern die Kuhmäuler mit unseren Hellebarden schließen!“ „Er ist in Ried und kommt morgen nach Pfunds und marschiert an die Kalven!“ Für Johanna hatte nur das eine Wort einen Wert: „der Kaiser ist in Riedi“ Rasch floh sie in die Kammer zurück, raffte ihr schwarzes Kopftuch aus dem Kasten und warf es um. Leise und umherspähend ging sie über den Gang, und da niemand im Hause war, gelangte sie ungesehen an das hintere Pförtchen und in den Obstanger hinaus.

„Es muß fein!“ sprach sie mit leiser, zitternder Stimme,während sie das goldene Kreuzchen an die Lippen preßte.„Kaiser Max ist in Ried o der gute Kaiser Mas muß meinen Bräutigam retten! Nein, die Sonne darf nicht untergehen zu früh o wenn ich zu spät käme! O gguter Kaiser Max o lieber Korsin “, Und während sie diese Worte oft vor sich hinhauchte, war sie auf einem Umwege an das menschenleere Ende des Dorfes gekommen, auf die Straße, die sie nach Ried führen sollte zum guten Kaiser Max.

8.Johanna war früher oft in Ried gewesen; aber an jenem Nachmittage hätte sie das Dorf fast nicht mehr erkannt. Vom Schloßturm wehte eine große gelbe Fahne mit dem schwarzen Adler ihr schon von ferne entgegen. Auf den Feldern ringsum Kriegsfahnen und strahlende Waffen; Johanna stand erschrocken still: „Ach, wie soll ich zum Kaiser Max kommen!“ Sie wollte zurück, um auf einem Umwege zum Schloß zu gelangen.Da trabte schon eine Reiterschar heran, ihr voran auf einem gepanzerten Rosse ein glänzend bewaffneter Reiter mit einem weißen Federbusch auf dem goldstrahlenden Helm.

„Das muß Kaiser Max sein! Ja er ist's, ich bleibe!“Sie stellte sich zitternd auf den Rasen am Wegrand, und als die Reiterschar näher kam, warf sie sich auf die Kniee nieder und streckte die Arme gegen den glänzenden Reiter aus.

Dieser hielt sein Roß an und winkte seiner Schar mit erhobenem Arm, vorbei zu reiten: „Macht Halt in der Nähe, ich komme bald!“ Als die Staubwolfe sich verzogen hatte, lenkte der Reiter sein Roß nahe an die noch immer kniende Johanna:„Fräulein, steht auf!“

„O laßt mich knien! O wenn Ihr wuüßtet, Herr Kaiser Maxi O laßt mich knien, o helfet mir!“ Tränen benetzten die geröteten Wangen und stürzten in den Staub.

„Schönes Fräulein, ich sage, steht auf! Ich bin nicht Kaiser Max.“

„Nicht?“ hauchte Johanna und richtete sich zitternd empor.

„Aber ich will Euch zum Kaiser führen!“

„Wer seid Ihr?“

„Ich bin Willibald Pirkheimer von Nürnberg. Der Kaiser kennt mich gut.“

„O dann führt mich zu ihm und helfet mir! Ich bin die unglücklichste Tirolerin.“

„Schöne, unglückliche Tirolerin, Euch wird der gute Kaiser Max keine Bitte abschlagen.“ Bei diesem Wort schwang sich Willibald Pirkheimer von seinem gepanzerten Rosse und reichte Johanna die Hand: „Legt nur die zarte Hand in meine Eisenhand und fürchtet nichts!“

„O guter Ritter!“„Fräulein, ich begleite Euch zum Kaiser. Schreitet nur mutig neben mir! Euch zu lieb gehe ich zu Fuß! Heda,Landsknecht!“

Ein Landsknecht sprang herbei.

„Da halte mir den Gaul, bis ich komme!“

Zur Rechten des herrlichen, guten Ritters schritt Johanna dem Dorfe zu; ein Lächeln ging über ihr verweintes Antlitz;der Ritter war so freundlich, und wie gern hätte sie ihm ihr ganzes Leid geklagt! Aber sie durfte es nicht tun; denn die Straße war voll von neugierigen Landsknechten; hier stand ein Trüppchen, und Johanna hörte im Vorübergehen: „Ein schönes Kind, aber in Trauer!“ dort sang eine Schar ein lustiges Reiterlied. Und als die beiden auf den Hauptplatz kamen, sahen sie ein lärmendes Gedränge: ein Bauer hatte ein großes Weinfaß auf einem Wagen herbeigeführt, die Landsknechte bohrten daran mit ihren Spießen, es gab zwischen mehreren eine Rauferei, so daß Willibald Pirkheimer hinzuschritt und einen der Raufenden am Koller faßte: „Spart Eure Fäuste für die grauen Bauern!“

Weiter ging's, und bald schritten der Ritter und Johanna zum Schloß empor. Johannas Herz schlug stürmisch, als sie durch das Tor schritten, wo alle Wachen salutierten. Da wagte Johanna die Bitte: „Ihr seid einer von den Hohen, Herr Ritter, alle grüßen Euch; o so legt ein gutes Wort ein für “

„Für ꝰ

„ Meinen Bräutigam er ist ein Graubündner und zu Pfunds im Kerker und soll hingerichtet werden, wenn die Nacht kommt! O ich ärmste Tirolerin!“

„Da kann der Kaiser helfen, und weil er ein Ritter ist,wird er der Braut helfen. Jetzt geht da hinein!“

Bei diesen Worten öffnete Willibald Pirkheimer die Türe eines gemauerten Gemaches: „Ihr werdet mich bald wieder sehen.“Johanna trat in das Gemach, faßte mit beiden Händen das Schloß, um die Türe geräuschlos zu schließen, blickte dann in die Ecke des Gemaches, wo, den Rücken ihr zugekehrt, ein Mann in buntstrahlenden Kleidern saß und Papiere auf dem Tische hin und her warf. Sie wagte, leise näher zu treten,stand aber plötzlich still; denn vom Tisch herüber klang es,erst lustig, dann wehmütig:

„Bin lieber auf sonnigem Hügel

Ein Finke viellustig und laut,

Als hoch mit zerbrochenem Flügel

Der Aar, der den Steinbock zerhaut.“

Johanna horchte und hielt den Atem an; sollte sie den Kaiser singen hören? Sie faltete die Hände und schaute regungslos auf das buntglänzende Kleid und das grauhaarige Haupt des Sängers, als wollte sie sagen: „O wenn er nur aufhörte! Ich muß meinen Korsin retten o es könnte zu spät werden!“

Der Sänger aber pfiff leise die Melodie des Liedchens,warf wieder die Papiere hin und her, stand dann rasch auf und kehrte sich um: „Ah, Publikum! Man lauscht!“

Johanna starrte in das freundliche Gesicht: da war alles weinrot, außer den grauen Haaren und den blinzelnden Aeuglein; sie trat einen Schritt vor und warf sich auf die Knie,brachte aber kein Wort hervor.

„Schönes, einfältiges Ding, wie kniest du vor einem Narren?“

„Einem Narren “

„Dem ersten Narren des römisch-deutschen Reiches! Steh doch auf! Soll ich auch niederknien ?“

„Wer seid Ihr? O könnt Ihr mir nicht helfen?“

„Freilich, ich muß sogar dem Kaiser helfen! So steh doch auf!“ und er sprang hinzu, ergriff Johanna an beiden Händen und richtete sie auf.

„O ich muß schnell zum Kaiser Max, schnell!“

„Uha, ist der Bräutigam in Gefahr?“

„O Herr, Ihr könnt ins Herz hinunterschauen bis auf den Grund! Ja, ja, es ist so! Wer seid Ihr denn?“

„Nun, Kunz von den Rosen. Also schnell zum Kaiser!Hab keine Angst! Tirolerin, ich weiß Rat, wo jeglicher Verstand stille steht.“„O ich glaub's gern,“ entgegnete Johanna, indem sie,noch unter Tränen lächelnd, ihre Augen wie fragend auf der scharlachroten Stirne des guten Alten ruhen ließ. Dieser aber klatschte mit den feisten Händen und sprach feierlich: „Zweifle nicht! So ist's! Du schaust auf meine Stirne da ist ein Vögelein drinnen, ein kluges, frohes; aber die meisten, Mannsvolk und Weibsvolk, haben eine Schlange im Kopf. Das verstehst du nicht. Doch ich will dir helfen. Vorwärts, ei, du schüchternes Ding!“

Mit neuem' Mute folgte Johanna dem kaiserlichen Narren durch zwei Gemächer, bis er stille stand: „Da ist der Kaiser drinnen; ich darf eintreten. Warte hier!“

Kunz von den Rosen öffnete und trat ein. Johanna wagte es, einen Blick hineinzuwerfen und jetzt hatte sie den Kaiser gesehen!

Ein Weilchen stand sie zitternd an der angelehnten Türe,zog rasch das goldene Kreuzchen am Silberkettchen hervor und preßte es an ihre Lippen. Da stand der kaiserliche Narr wieder an der Türe und rief: „Tirolerin, herein!“

Johanna trat über die Schwelle mit jener Ehrfurcht, mit der sie über die geweihte Kirchenschwelle zu treten gewohnt war. Wohl sah sie den freundlichen Ritter, der sie durch das Dorf geführt hatte, und das gab ihr Mut. Aber ihre Augen,die blauer glänzten als sonst, und ihre ganze Seele hingen an der erhabenen Gestalt, in der sie den Kaiser erkannte.

Kaiser Max stand an einem Tischchen, und seine Rechte hielt eine pergamentene Landkarte. Hoch gewachsen, gekleidet wie ein Ritter mit Beinschienen und einem goldstrahlenden Panzer, auf dem vorn an schwerer, goldener Kette ein Adler glänzte! Ein dunkelroter Mantel hing um die Schultern, auf welche das Haar in goldgelben Locken herabwallte.

Johanna stürzte ohne Berechnung zum Tischlein hin, ergriff die freie Hand des Kaisers und drückte ihre heiße Stirne an dieselbe, ohne ein Wörtlein hervorzubringen.

Kaiser Max legte die Karte auf den Tisch, hob sanft Johannas Haupt, schaute ihr lächelnd in die Augen und dann auf den Ritter Willibald Pirkheimer: „Das soll die unglücklichste Tirolerin sein, Herr Ritter? Nun, zwei Kleinode hat sie noch: Unschuld und Schönheit. Steh auf, mein Kind,und sage dem Kaiser, was du willst!“

Johanna stand auf, trat einen Schritt zurück und, wie zum Gebete die Hände faltend, brachte sie mit zitternder Stimme die Worte hervor: „O bester Herr Kaiser, mein Bräutigam wird heute zum Tode geführt, wenn oh “

„Ist er ein Verräter gewesen? Ist er auch aus der Kalvenschlacht geflohen? Ha, dann soll er sterben, dann hat er Schande auf das Haupt seines Kaisers gewälzt.“

.O mein Bräutigam ist kein Verräter aber er ist ein Graubündner ja, wie hat er gesagt? vom Gotteshausbund.“„Ich cichte diese rohen Bauern, obwohl . Nun, jetzt ist Kaiser Max an der Grenze, und ihr letzter Sieg sei gewesen!Aber du, Tirolerin, willst einen Ausländer heiraten ?“

Johanna schwieg und zitterte. Da kam ihr der gute Kunz von den Rosen zu Hilfe: Eia, warum nicht? Der schönste und edelste Habsburger du Tirolerin, schau, da steht er! der hat vor Jahren drunten in Gent mit der schönen Maria von Burgund Hochzeit gehalten ich bin dabei gewesen, und ein Legat* vom Papste auch. Man darf wohl über die Grenzen heiraten!“

Johanna blickte dankbar in das strahlende Gesicht des kaiserlichen Narren, aber dann senkte sie die Augen, warf sich wieder auf den Boden und ergriff die Hand des Kaisers:„O Kaiser ach, man hat meinen Bräutigam gezwungen,ein Mörder zu werden!“

„Ein Mörder! Und du willst seine Braut bleiben? Fort!“Erzürnt zog der Kaiser die Hand zurück und schritt in kräftigen Schritten ans Fenster.

Wie verzweifelnd schaute Johanna dem Kaiser nach und richtete dann die großen, starren Augen auf den Ritter, der sie so freundlich zum Kaiser geführt hatte. Willibald Pirkheimer näherte sich dem Kaiser und sagte: „Majestät, er ist ein Mör«Gesandter.der, aber vielleicht kein schlechter Mensch. Ach, der Krieg macht die Menschen roh.“

Der Kaiser wandte sich wieder zu Johanna: „Warum ist dein Bräutigam ein Mörder geworden?“

„O guter Herr Kaiser, ich darf es nicht sagen und vielleicht trage ich selbst die Schuld.“

„Du? Kannst du schuldig sein? Lügen deine blauen Augen?“ Näher tretend sprach der Kaiser mit sanfter Stimme:„Bekenne offen, und ich will sehen!“

„Korsin von Laret ist mein Bräutigam, er hat mir dieses goldene Kreuzchen gegeben, und ich habe ihm mein Herz gegeben, aber in Ehren. Er ist brav und rein wie ein Engel.Aber ein anderer wollte mich zur Braut, ein Hochgestellter o das darf ich nicht sagen “

„Aufrichtig!“ ermunterte Max.

„Der junge Maltitz “

„Ah, ist doch Maltitz, der Vogt von Nauders, jetzt an meinem Hoflager?“ Pirkheimer nickte. „Und was ist mit dem jungen Maltitz? Doch nicht ermordet?“

„Im Klostergarten zu Marienberg. O armer Korsin,und er ist verurteilt und soll heute sterben, und aus Liebe zu mir hat er es getan! O ich Aermste in ganz Tirol! Und selbst der gute Kaiser will mir und ihm nicht helfen.“ Sie fiel auf die Knie, lehnte den Kopf auf das Tischchen und weinte laut.Kaiser Max schwieg.

Da trippelte Kunz von den Rosen zu Johanna und legte seine Hand auf ihre Schulter: „Nanu, du treue Tirolerin,Liebe muß Leid bringen! Aber ich meine fast, du hättest jetzt genug gelitten.“ Dann wandte er sich an den finster blickenden Kaiser: „Es war einmal “

„Schweig, die Sache ist zu ernst,“ gebot der Kaiser.

„Aber doch war es einmal“ fuhr der kaiserliche Narr fort „es war genau zu Lichtmeß drunten in Brügge, daß Max von Habsburg im Kerker saß. War das angenehm?So von allen Lieben getrennt! So nahe dem Tode!“Da schritt der Kaiser rasch auf Johanna zu, nahm sie bei der Hand und richtete sie auf: „Tirolerin, für heute ist dein Bräutigam gerettet und morgen bin ich in Pfunds.Ist er deiner würdig, dann sollst du ihn haben, und euer erstes Büblein muß Max heißen! Pirkheimer, sorgt, daß diese treue Braut nach Pfunds kommt! Nun geht alle, ich will allein sein! Ach, die verlorene Kalvenschlacht! Doch der Adler muß siegen!“

9.Friedvoll und wärmer als bis anhin im Jahre des Krieges 1499 glänzte an jenem Maitage die Nachmittagssonne über das Tal Samnaun hin. Und doch kein hurtiges Arbeiten auf den Feldern, kein fröhliches Plaudern in den kleinen Dörfern!

Am stillsten war es im Dörflein Laret; denn dort waren drei nicht mehr heimgekehrt, die doch zum Dörflein gehörten wie die Glocken zum Sonntag.

Es war der alte Knecht Viktor, dessen letzter Wunsch aber erfüllt wurde, indem ein Kreuz mit seinem Namen auf dem Friedhof eingepflanzt wurde und zwar neben dem Grabkreuz des Jan von Laret selig, auf ausdrücklichen Wunsch der milden Witwe Pauline.

Der zweite, um den man in Laret und im ganzen Tale besonders trauerte, war Korsin. Seit zwei Tagen stand ein Kreuz mit seinem Namen auf dem Grabe des Vaters neben dem Blumenstock, den Philomene eingepflanzt hatte. Und an den beiden Abenden, wenn droben im Pfarrhof und drunten im Dorfe Kompatsch kein Licht mehr brannte und nur das ewige Licht der St. Jakobs-Pfarrkirche seinen milden Glanz durch das Chorfenster auf den Friedhof hinaussandte, dann kniete dort noch lange am Grabe eine Jungfrau und weinte.Hatte man früher an den Festen in Samnaun und selbst am Kirchtag in Pfunds geflüstert: „Sie ist doch die schönste der Blumen“ jetzt hatte ihr die Trauer jene geheimnisvolle Schönheit verliehen, die auf einer Rose an einem gebrochenen 110 Stiele ruht. Und die Lärchen oberhalb des Friedhofes schienen in die nächtliche Stille hinauszuflüstern: Rosa, verlassene Braut.

Und der dritte, um den die Trauer allgemein war, der wackere Schmied Mathis Jenal! Die Lareter Knaben wagten es nicht mehr, ihren Lieblingsort vor der Schmiede aufzusuchen, seitdem Jannut von Valverda behauptet hatte, man höre in der Schmiede des Nachts dann und wann einige dumpfe Schläge des großen Hammers.

An jenem warmen Maiennaqchmittag also hatte der kleine Max die eigenen Schafe und auch die der Witwe Pauline in den Wald getrieben. Er stieg immer höher gegen das Waldjoch hinauf, seine kleine Herde vor sich hertreibend. Endlich war er droben, zum erstenmal in seinem Leben; endlich sah er einmal so nahe und so klar den Piz Mondin mit den schwarzen Felswänden, mit den schneebedeckten Zacken. Er staunte eine Weile, setzte sich damm auf einen Stein und aß das Stücklein Brot, das ihm Rosa mitgegeben hatte. Doch als er wieder in das Felsenrevier hinüberschaute, da sprang er auf: hoch droben auf einem Plätzchen unter dem Schneegebiet ein Tier er glaubte die gewaltigen Hörner zu erspähen und darüber ein Adler, Kreise ziehend, immer engere Kreise.

„Steinbock und Adler!“ rief er, „gerade wie's mir der Knecht Viktor gesagt hat!“

Da erinnerte er sich, daß ihm Viktor auch den schrillen Pfiff, den Pfiff mit dem Finger im Mund, gezeigt hatte!Max pfiff. Ob wegen des Pfiffes, ob bloß nach dem Pfiff:der Adler erweiterte seine Kreise und flog immer höher, bis er hinter dem Piz Mondin verschwand.

„Ob dort drüben die Kalvenschlacht gewesen ist? Liegt dort der Knecht Viktor und der Schmied und der liebe Korsin begraben? Ich will für sie drei Vaterunser beten. Aber dann auch ein Vaterunser für meine Rosa. Der Pfarrer hat es mir ja gesagt, ich soll für meine Schwester beten, sie sei so viel traurig und Trauer schneide ein Stück Leben ab. Ja,im Herbst will ich nach Marienberg studieren gehen, dort lerne ich viel und bete viel und werde der geistliche Herr von Sam naun. Dann helfe ich allen, und dann soll es aber in Samnaun so schön werden wie im Himmel.“

Max kniete auf den Boden nieder, wo spärliches Grün aus dem vorjährigen, rötlichen Grase hervorlugte; er faltete die Hände und betete. Da wurde es ihm so schwer, daß er weinen mußte; er erschrak, stand auf und sammelte seine Schafe zum Heimgehen.Zur gleichen Stunde kniete auf dem kalten Kerkerboden zu Pfunds Korsin von Laret, auch mit feuchten Augen, mit ineinander geschlungenen Händen.

Der Priester war bei ihm gewesen, und Korsin hatte ihm zum Abschied die Hand geküßt und weinend gebeten: „O kommt wieder, bevor ich hinausgeführt werde! Ich will nicht, daß Ihr mich begleitet, der Gang ist zu hart; aber meiner Mutter sagt, ich sei gern und gut gestorben. Und das ist alles, was sie trösten kann.“ Der greise Priester ging weinend aus dem Kerler und versprach, vor dem letzten Gang zu kommen. Im Herzen hatte er den Vorsatz gefaßt, den Rest seiner Kräfte aufzubieten, um der armen Mutter den armen Sohn wiederzugeben. Aber wie? Er ahnte nicht, daß die Liebe der Braut bereits Siegerin über den Tod war.

Nachdenkend ging der Priester vom Turm gegen das Dorf,um dort Johanna zu trösten, die ihm, ihrem Seelenhirten,schon früher alles anvertraut hatte. Als er vor dem „Kaiseradler“ stand, liefen die Dienstboten hin und her und riefen dem Pfarrer zu: „Johanna ist verschwunden!“

„Johanna verschwunden? Wohin?“

„Wenn sie nicht in den Inn gesprungen ist in der Verzweiflung tut man “

„Schweig, du gottloser Mensch!“ rief erzürnt der Pfarrer dem Knecht entgegen und sah mit den feuchten Augen auf den Boden.

„Herr Pfarrer,“ bat die alte Küchenmagd, „o habt die Güte und geht in den Saal hinauf! Dort, dort geht es gottlos zu! Helft, wenn Ihr könnt! O dann kann der Johanna noch geholfen werden, wenn man sie noch findet!“

„Gottlos!“ rief der Pfarrer, und wie Feuer ging es über sein blasses Antlitz, während er sich zur Steintreppe wandte,das Geländer ergriff und rasch emporstieg. Er öffnete die Türe des Saales und schob mit der Türe einige Männer des dicht gefüllten Saales beiseite.

„Hier geh' es gottlos zu?“ rief er mit starker Stimme in den Saal, in dem Augenblicke, als von allen Seiten laute Stimmen ertönten, so daß der Pfarrer kein Wort verstand.

Da wurde der Lärm schwächer, verzog sich in die letzte Ecke und starb, als nochmals der Ruf durch den Saal dröhnte:„Hier geh' es gottlos zu?“

Kein Wort, aber über hundert erhitzte Köpfe richteten sich gegen den Pfarrer, der bis in die Mitte des Saales vorgedrungen war. Dort schaute er mit festem Blicke den Männern und jungen Burschen in die Augen.

Dann ersah er im Hintergrund des Saales den fremden Kommissär, der ihm nie gefallen hatte; er drang noch weiter vor und rief: „Ich will wissen, was hier Gottloses verhandelt wird. Ich bin der Hirt, ich fürchte auch den Wolf nicht.“

Blaß wie gelöschter Kalk schrie der Kommissär: „Bin ich der Wolf? Ich der kaiserliche Beamte! Wer wagt es “

„Ich wage es, es ist kein Wagnis; aber wissen will ich,was hier geschieht.“

„Kümmert Euch um die Seele, das andere laßt unberührt!“ rief der Kommissär, dem der Mut wuchs.

„Schweigt! Ich rede nicht mit Euch, ich rede mit meinen Leuten. Du, Ferdinand Dangl, sag es deinem Pfarrer, was hier Gottloses ausgebrütet wird. Schweigt, Kommissär,und redet, wo Ihr zu reden habt! Dangl, was ist?“

Ein Jüngling nahm den braunen Hut in die Hand und stammelte: „Ja, ob man den Mörder, den Samnauner, nicht soll hinrichten “

„Das ist keine Frage, die Richter haben gesprochen,“ schrie der Kommissär.

„Schweigt!“ rief der Pfarrer mit noch lauterer Stimme.

„Ferdinand, ist das alles? Sprich?“

„Ja, ob man nicht gerade jetzt der Sach' soll ein Ende machen, das haben wir so gemeint. Der Kaiser komme und “

Da mußte der Kommissär einsetzen, wenn sein Plan nicht mißlingen sollte. Er sprang auf den Stuhl und schrie: „Der Kaiser kommt und die Engadiner kommen und werden den Mörder befreien und Pfunds niederbrennen bis auf den letzten Halm und bis auf das letzte Scheit, und dann werden sie den letzten Pfundser an den Baum hängen.“

Da erhob sich das zornige Gemurmel, das nur scheintot war, und aus dem Hintergrunde, von einer Wand zur anderen erscholl ein Geschrei durcheinander: „Sogleich hinrichten! Die Engadiner kommen! Der Mörder soll sterben, nicht wir!“Die Stimme des Pfarrers sank unter, erhob sich und sank wie ein Lamm in der donnernden Schlaglawine. Das Geschrei der vom Krieg noch aufgeregten Männer, die sonst ihrem Pfarrer wie Kinder gehorchten, wurde zorniger; der Pfarrer hielt die magern Hände an das mit Tränen benetzte Antlitz, kehrte sich zur Türe, ging hinaus, und noch im Gang tönte ihm der lärmende Saal nach.

Er seufzte: „Es ist etwas Gottloses geschehen, und ich kann es nicht mehr aufhalten, ich kann es nur noch gottloser machen!“

Er schritt durch die Gasse hinaus und wollte zum Turm abbiegen, als er Huftritte hörte und eine Staubwolke bemerkte.„O Herr im Himmel, kommt noch einmal die blutige Geißel!“ Schon sah er die ersten Reiter, glänzende Helme, eine bunte Kriegsfahne. Es ertönte die Signaltrompete, mehr und mehr füllte sich die Gasse mit Neugierigen, auch die Männer waren aus dem Adlerwirtshause herbeigeeilt. Die Reiter sie hatten keine Tiroler Gesichter winkten von ihren Rossen herab, und da und dort erhob sich aus dem Lärm und Gewieher der frohe Ruf: „Der Kaiser kommt! Kaiser Max kommt!“

Heft 62. 114 Eine freudige Erregung erfaßte das Volk auch der greise Pfarrer zeigte eine verklärte Stirne: konnte er ja vor dem Sterben noch den ruhmvollen Kaiser Max schauen und vielleicht den armen Gefangenen im Turm leichter retten. Er trat zum Anführer der Reitergruppe hinzu und fragte: „Kommt er jetzt, unser glorreicher, geliebter Herr Kaiser ?“

„Vielleicht heute, sicher aber dann morgen!“

Bei dieser Nachricht dachte keiner von allen Pfundsern mehr an den Samnauner im Kaiserturm und an sein Los;ihr Herz war voll von Kaiserfreude.

Da drängte sich Leopold, der Kommissär, zum Führer der Truppe hindurch. Der Pfarrer erschrak und schaute ihm fest in die unheimlich blitzenden Augen, während die Reiter einen hohen kaiserlichen Beamten zu sehen glaubten; slolz stand Leopoldus, der Kommissär, da und sprach:

„Wir begrüßen das kaiserliche Heer! Der Adler kommt und siegt! Wir folgen ihm!“

Kein Jubelruf! Das Volk fühlte, wie unschicklich der Maulheld sich an die Spitze stellte.

Der Reiteranführer, ein fester, ergrauter, sonnverbrannter Böhme, ein Feind aller Reden, sprach mit rauher Stimme:

„Danke“ riß seinen unruhigen Rappen an den Rand der Straße, daß der Kommissär scheu und feuerrot zurückwich dann kommandierte er: „Ein Stund Rascht abg'essen!“

Im Augenblick standen gut hundert Reiter in bunter Rüstung neben den müden Rossen, und es begann ein lauter Lärm.

Da näherte sich der Pfarrer wieder dem Anführer und sprach mit ernster Stimme: „Kaiserlicher Hauptmann! Was wir haben in unserem geplünderten Dorf, das gehört den Soldaten unseres Kaisers. Aber ich flehe, als Vater dieses armen Dorfes: O sorgt, daß nichts Trauriges geschieht!“

Während der Reiterführer dem Pfarrer die Hand reichte,drängte der Kommissär sich wieder vor, streckte den langen Arm aus und gab jedem seiner Worte Gewicht: „Kaiserlicher Kommandant, ehevor der Kaiser kommt, muß hier noch etwas geschehen, muß!“

„Teufel, was muß? Dursch löschen!“ gab der Böhme zurück und klopfte den Staub vom bunten Wams.

„Auch! Aber ein Feind des Kaisers, der Mörder eines kaiserlichen Beamten muß hingerichtet werden, jetzt jetzt,bevor der Kaiser kommt und “

Dem greisen Pfarrer schoß das Blut zur Stirne er vergaß sich, rief im Zorn: „Pfui, Bluthund!“ und trat dicht vor den Kommissär, der scheu zwei Schritte zurückwich.

„Das ist Euer Sach, wir sein Soldaten, nix andres!“sprach der böhmische Führer zornig. „Wo ist Wein?“

„Wein?“ lachte der Kommissär. „Warum seid ihr nicht vor acht Tagen gekommen? Die Bündner Bauern haben ihn getrunken, und bezahlt haben sie mit den Kohlen unserer verbrannten Häuser und mit dem Blut der kaiserlichen Untertanen.Haha, Wein!“

„Ja, Wein! Teufel, die dummen Bauern aus den Bergen, die sollen zahlen mit Kopf!“ rief der böhmische Rittmeister mit erhobenem Arm.

„Und einer ist im Turm dort, so einer der Schlimmsten der hat manchen Soldaten des Kaisers erschlagen und “

„Es ist Krieg gewesen und seid Ihr auch dabei gewesen, he?“ sprach der Pfarrer laut und scharf, während das umstehende Volk lachte und murmelte.

Wie eine Schlange beim Rauschen der Sense aus dem Grase emporschießt, so schoß der Kommissär in die Höhe und erhob den Arm: „O ich kenne Euch und was Ihr wollt,Pfaff!“„Ich kenne Euch auch, aber ich weiß nicht, warum Ihr in unser armes Dorf gekommen seid.“

„Im Namen des Kaisers!“

„Aber nicht zur Ehre des Kaisers!“

„Ihr wollt den Mörder, den Samnauner, retten.“

„Ihr wollt aus Haß ihn töten.“

Der Kommissär rang nach Atem, das Volk schwieg, und der böhmische Reiterführer riß ungeduldig am Zaum seines jcharrenden Rosses. Der Pfarrer fuhr fort: 116 „Es ist Gericht gewesen, es ist wahr; aber der arme Sünder soll Zeit haben “

„Ha, zu entfliehen oder vielleicht kommen die Engadiner, und dann wehe uns!“

„Schweigt! soll Zeit haben. sich zum Tode zu bereiten.“

„O ich kenne Euch, den Beichtvater der Buhlerin Johanna!Ja, das Hannchen soll den Bräutigam nicht verlieren, haha,da muß der Pfarrer den Kuppler machen, pfui!“

Da floß dem greisen Pfarrer in seinem edeln Herzen ein heiliger Zorn über, er vergaß sich wieder und faßte den Kommissär mit kräftiger Hand am Wams: „Euch Schande und des Herrgotts Strafe!“

Dann wandte er sich an seine Pfarrkinder:

„Hört! Ich verehre unseren Kaiser, aber diesen Beamten muß ich verachten! Schweigt, Ihr steht nicht im Dienst des Kaisers, Ihr seid ein Landstreicher! Was der arme Samnauner gefehlt hat, möge ihm der Herr verzeihen! Und wenn er zum Tode geführt wird, liebe Pfundser, keiner von euch stehe auf der Gasse, keiner gehe neugierig mit hinaus auf den Richtplatz, jeder bete in der Stube um eine gute letzte Stunde für ihn! Kinder, wollt ihr mir folgen?“

„Ja, ja,“ ertönte es von allen Seiten.

„Vorwärts!“ erscholl das Kommando, die Reiter führten ihre kleinen Pferde an der Halfter und zogen durch das Volk hindurch und machten vor dem Adlerwirtshause Halt.Die Pferde wurden in den Anger getrieben, und der Rest des Weines wurde aus den Kellern geholt.

Der Pfarrer eilte wieder in den Turm zum Gefangenen,das Volk stand in Gruppen vor dem Wirtshause. Der Kommissär aber machte sich wieder an den Reiterführer, schilderte ihm und den Kameraden die grauenvolle Schlacht an der Kalven, die Greueltaten der Bündner Bauern nach der traurigen Schlacht und bewies den Soldaten, wie sie schuldig seien, den Tod des jungen Maltitz blutig zu bestrafen; der arme Vater des Ermordeten, der oberste Beamte in der Gegend, komme mit dem Kaiser, und wenn der Mörder noch lebe das sei schrecklich für den Vater. Es sei gefährlich für alle, weil die Engadiner den Mörder befreien werden, sobald es bekannt werde. einer von den Ihrigen sei im Turm gefangen.

So erschöpfte der Kommissär sein galliges Herz, und die böhmischen Reitertruppen das letzte Fäßchen.

Da kam durch die Dorfgasse eine hohe Gestalt in langem schwarzem Mantel. Ein Schaudern ging durch das Volk: es war der Scharfrichter vom Schalklhof man sah unter dem Mantel das lange, breite Schwert blinken.

Eingedenk der Worte des Pfarrers zog das Volk sich in die Häuser zurück, und still und öde wurde es in allen Dorfgassen.

Der Scharfrichter staunte und schritt die Steintreppe des Adlerwirtshauses empor, hörte den Lärm, trat ein, erschrak beim Anblick der fremden Kriegsknechte und wollte sich entfernen.

„He, im Namen des Kaisers, hier bleiben!“ schrie der Kommissär.

„Hier habe ich nichts zu schaffen, ich gehe.“

„Ich werde Euch sagen, was Ihr zu schaffen habt, im Namen des Kaisers! Ist der Samnauner in einer Stunde noch am Leben, dann werdet Ihr es büßen!“

„Das ist Euer Amt nicht, dafür zu sorgen.“

„Mein Amt ist's! Sollte heute noch der Kaiser kommen und der arme Vogt Kaspar von Maltitz, Herrgott im Himmel “„Laßt den Herrgott aus dem Spiel!“

„Gut! Lassen wir den Mörder leben! Aber wenn der arme Vater Maltitz rasend wird und den Mörder in Stücke zerschneidet man muß es ihm verzeihen; aber wir tragen die Schuld, und Ihr vor allem, Scharfrichter!“

Da stieß der Scharfrichter zornig das lange, breite Schwert auf die Diele: „Ich habe mein trauriges Amt noch immer erfüllt, und weil die Richter den Samnauner verurteilt haben,tue ich, was meines Amtes ist. Aber nur deswegen. Ob der Kaiser kommt, ob der Vogt von Nauders kommt, ob Ihr kreischt wie der Leichengeier, das hat mit meinem Amte nichts zu schaffen, verstanden!“

„Aber wir alle wollen, daß die Sache abgetan sei, ehe der kaiserliche Zug durch Pfunds zieht! Hier muß zuerst alles in Ordnung sein! Gerechtigkeit über alles!“

Der Reiterführer wurde ungeduldig und rief: „Dumme Sach! Macht das fertig! Kaiser schaut nicht gern solche Sach.“

„Gut“ rief der Kommissär triumphierend „ersparen wir dem Kaiser und dem Vogt die traurige Stunde! Jetzt soll es sein und dann sind wir ruhig! Vorwärts! Kaiserlicher Hauptmann, gebt uns ein Dutzend Reiter, es muß sein!Vorwärts, Scharfrichter, sogleich in den Turm, holt den Mörder! Sonst habt Ihr's mit dem Vogt von Nauders zu tun!Und noch heute könnte Euer eigener Kopf fallen! Vorwärts!“

Schweigend, ernst und traurig schaute der Scharfrichter zu Boden; seine Augen schienen auf den Dielen zu lesen: „Besser fällt er unter deinem sichern Schwerte als unter den Hieben dieser fremden, rohen Kriegsknechte.“

„Vorwärts!“ rief der böhmische Kommandant. Dann bestimmte er zwölf Reiter mit einem Rottmeister zur Begleitung des Scharfrichters. Bald bewegte sich der traurige Zug gegen den Kaiserturm durch die menschenleere Gasse.

Korsin von Laret war auf sein letztes Stündchen vorbereitet. Alles, alles hatte er dem greisen Pfarrer anvertraut,seine letzten Grüße, seine letzten Wünsche. Eben betete er mit dem Priester, als die Eisentüre sich öffnete; er fuhr empor und erblaßte, als er den Scharfrichter im schwarzen Mantel sah und hinter demselben blitzende Helme und bunte Kleider von Soldaten. Auch der Pfarrer war aufgesprungen, schritt rasch zur Türe und rief: „Zurück! Heute nicht!“

Der Kommissär und dann die Kriegsknechte schrien: „Jetzt!Sogleich!“

Der Priester wiederholte vergebens sein Wort: „Zurück!“Vergebens setzte er seinen Fuß auf die Schwelle. Drohend drangen die Soldaten vorwärts. Da rief Korsin mit fester Stimme: „Ja jetzt, sogleich! Aber den Priester rührt nicht an!“Der Kerkerraum füllte sich mit den lärmenden Kriegern.Der Pfarrer ergriff Korsins Hand: „Korsin, lieber Korsin,für dich ist's besser, in die Hand Gottes zu fallen als in die Hände der Menschen! All deine Lieben siehst du wieder, dort,wo keine Träne rinnt!“

„Vergelt's Euch Gott im Himmel droben!“

Schon löste der Kerkermeister von Korsins Fuß die schwere Kette und fragte: „Die Handketten auch?“

„Keine Ketten!“ „Er soll uns nicht entfliehen!“ „Vorwärts!“ schrien die ungeduldigen Krieger.

„Es ist also wieder Krieg?“ fragte erstaunt Korsin den Pfarrer.

„Ja, leider! Und der Kaiser selbst kommt!“

„Gut! So sterbe ich im Kriege, als Soldat, nicht als armer Verbrecher“ und Korsins Antlitz glänzte, während die Kette rasselnd auf den Boden fiel. Er schaute auf seine freien Hände, seine Augen blitzten. Dann reichte er dem Priester die Rechte: „Guter Pfarrer, ich lasse Euch nicht mit!“

„Ich verlasse dich nicht!“

„Bleibt hier! Vielleicht braucht eine Euren Trost. O bleibt hier! Es ist mein letzter Wunsch “

„Nein, Korsin!“

„Ich beschwöre Euch! Lebt wohl!“

Dem Priester stürzten Tränen auf die blassen Wangen:

„Dann lebe wohl auf Wiedersehen bei Gott!“

Korsin drückte nochmals dem weinenden Priester die Hand und rief dann: „Vorwärts zum Tode!“

Eine Weile und schon ging der traurige Zug durch die Hauptgasse des Dorfes: voran der Scharfrichter; in der Mitte der Krieger, die mit Hellebarden bewaffnet waren, schritt Korsin von Laret, erstaunt, die Gasse so öde zu sehen. Den Schluß bildete der Kommissär.

Bald waren sie außerhalb des Dorfes. Korsin betete und senkte das schöne, blasse Haupt, als ob er etwas nicht anzuschauen wagte. Da erhob er langsam das Haupt und sah von ferne die Berge seiner Heimat, die Zacken des Piz Mondin! Rasch blickte er wieder auf den grauen Weg vor sich hin und seufzte; zwei Tränen hingen an den Wangen und wollten sagen:

„So nahe der Heimat so nahe dem Tode.“

Schon näherte sich unter dem Lärm der Kriegsknechte der Zug dem Brücklein, bei dem ein schmaler Weg in das Samnauner Tal führte.

Korsin hob wieder seine Augen sah die Berge der Heimat, im Abendrot.

Da wurde das Lamm zum Löwen!

Korsin stand mitten auf dem Brücklein, wo er vor so kurzer Zeit seine Verlobung mit Johanna gefeiert hatte; rechts der Weg zur Heimat, links der Weg zum Henkersplatz; er, ein Krieger des siegreichen Gotteshausbundes, die Kriegsknechte zur Linken, und zur Rechten Soldaten des Kaiseradlers Krieg!

Ein kraftvoller, wilder Stoß, und ein Kriegsknecht stürzte über das schmale Brücklein.

Ein rascher Griff, ein kurzes Ringen, und Korsin hielt krampfhaft in seinen Händen die Hellebarde eines anderen Kriegsknechtes.

Geschrei und Verwirrung Hellebarden prallten aneinander, zwei Kriegsknechte stürzten dröhnend auf die Bretter.

Ein Sprung wie der Löwensprung.

Korsin war frei! Drei Knechte wälzten sich betäubt, halbtot, die anderen standen noch einen Augenblick wie auf den Kopf geschlagen; der Kommissär wich fluchend zurück, der Scharfrichter staunte.

Dann begann die wilde Jagd. Korsin rannte in Verzweiflung durch den Wald, Aeste verwundeten ihm Antlitz und Hände.Rasend verfolgten ihn die Kriegsknechte; der Scharfrichter stieß das Schwert beim Brücklein in den Boden und lief auf dem schmalen Weg, so schnell er konnte. „Nicht um den Armen zu fangen nein, um ihn vor den Hunden zu schützen“ keuchte er, als er schon ein Stück im Walde war.Laute Rufe erschollen durch den Wald.

Korsin war schon beim Bächlein, aber die Verfolger dicht hinter ihm. Sein Atem brannte, die Wunde an der Brust blutete wieder, sein Schritt wurde langsamer, der Verfolgte mußte stehen.

Er kehrte sich um, die Hände krampfhaft um den Schaft der eroberten Hellebarde: die fluchenden, tobenden Verfolger ganz nahe, hinter denselben der schwarze Mantel des Scharfrichters. Noch einmal durchzuckte der Rest der Kräfte die Glieder des dem Tod Geweihten, und er rief:

„'s ist Krieg! Ich falle im Krieg!“

Die Kriegsknechte umzingelten ihn, wieder prallten die Hellebarden aneinander; einer stürzte, von Korsin getroffen,rücklings über den Wegrand.

Da ein hallender Schlag auf die Brust Korsin stöhnte und sank auf den Rasen neben dem Bächlein nieder.

Der Scharfrichter sprang herbei, hielt die Hellebarde zurück,die auf Korsin niedersausen wollte, und rief:

„Haltet ein! Er stirbt!“

Blutwellen rannen über das graue Wams Korsins. Die Krieger senkten die Waffen vor der Todesnot des Kühnen,der noch mit der zuckenden Rechten den Hellebardenschaft umfaßt hielt.„Er stirbt! Seid still!“ flüsterte der Scharfrichter, kniete auf den Rasen nieder und hob Korsin etwas in die Höhe;sein Auge brach, es schaute noch einmal groß empor, hinüber zum Piz Mondin und über denselben, höher, höher dann senkte er das müde Haupt, schaute dem Scharfrichter ins Antlitz und hauchte:

„Sagt in Samnaun im Kriege gefallen Gotteshausbund grüßt Gott sei mir gnädig “

Da lehnte sich das bleiche Antlitz auf den schwarzen Mantel zurück die Augen schlossen sich, ein letztes Zucken, ein letkztes Röcheln!Dem Scharfrichter traten Tränen in die Augen, als er den Leichnam auf den blutgefärbten Rasen niedergleiten ließ,und dann faltete er die breiten Hände: „Herr, gib ihm die ewige Ruhe, und das ewige Licht leuchte ihm!“

„Amen“ sagten versöhnt die staunenden Krieger und entfernten sich, um nach ihren verwundeten Kameraden zu sehen.

Der Scharfrichter löste das Kragenschloß seines schwarzen Mantels und breitete diesen über die Leiche aus.

Dann wurde es stille im Wald beim Toten; nur das Bächlein rauschte neben der Leiche vorüber.

Der Scharfrichter und die Krieger schritten das Waldweglein hinab, schleppten den Verwundeten mit und eilten zum Brücklein, um nach den anderen Verwundeten zu sehen. Aber noch lagen zwei auf den Brettern des Brückleins, starr sie waren tot. Der dritte wusch am Bach seine Wunden, und als die Kameraden kamen, ging er zitternd dem Rottmeister entgegen: „Es ist nicht meine Schuld, daß er fort ist!“

„Du bist in den Bach geflogen wie ein Strohhalm.“

„Es ist aber ein Stoß gewesen! Das sind Wilde, diese Bündner!“

„Wasch das Loch am Kopf! He, verbindet! Teufel, wer reitet dort auf der Straße?“

„Ein weißes Tuch! Wer ist's?“ riefen die Krieger.

„Der kommt zu spät!“ sprach mit dumpfer Stimme der Scharfrichter und riß zornig das Schwert aus der Erde.

Bald war der Reiter bei dem Brücklein. Es war ein Pirkheimerscher Reiter; er musterte die Schar und rief:

„Im Namen des Kaisers! Wo ist der junge Bündner,der Bräutigam der Tirolerin Johanna?“

Alle schwiegen.

„Kaiser Max schenkt ihm für heute das Leben morgen will er ihn sehen.“

Der Scharfrichter war dicht an den Pirkheimerschen Reiter herangetreten: „Zu spät! Droben im Wald liegt er tot.“

„Das wird unserem guten Kaiser keine liebe Botschaft sein.“

Die Kriegsknechte schauten einander bestürzt an, und der Rottmeister trat vor: „Man hat Kommando 'geben “

„Sind die Soldaten des Kaisers Henkersknechte ?“

„Er hat Krieg wollen, Krieg, wir haben den Tod geben müssen,“ entgegnete der Rottmeister und schaute finster umher, als ob er jemanden suchte.

„So ist's,“ fiel der Scharfrichter ins Wort. „Der Bündner ist im Krieg gefallen. Und er hat sich gewehrt wie der Bär bei der Hatz.“ Dann ballte er die Faust und rief mit furchtbarer Stimme: „Ich und die armen Krieger da, wir sind unschuldig; auch der Samnauner hat getan, was ein Mann tut. Aber einer! O dieser Verfluchte, dieser Verfluchte!“

„Wer?“

„Dieser Verfluchte! Ich würde ihm den Schädel spalten und das gallige Herz!“

„Wer?“

„Dazu noch ein Beamter unseres Kaisers! Der Verfluchte!“Der Pirkheimersche Reiter schwang sich vom Roß, ließ sich alles erzählen, schwang sich wieder aufs Roß: „Ein kaiser zu tun haben. Auf nach Pfunds, sucht den Schurken!“

Die Gassen von Pfunds waren nicht mehr öde wie vor einer Stunde. Der Wunsch des edlen Pfarrers war erfüllt;als aber der Pirkheimersche Reiter mit dem weißen Fähnlein die Botschaft gebracht hatte, der Kaiser habe die Fürbitte der Braut Johanna gnädigst angenommen und wolle morgen selbst entscheiden, da hatten die guten Pfundser eine doppelte Freude: daß sie bald den Kaiser sehen dürften, und daß der junge, schöne Samnauner, der Bräutigam der schönen, guten Johanna vom Kaiseradler, nicht so traurig sterben müsse.

So fanden die zurückkehrenden Krieger, der Reiter und der Scharfrichter das Volk vor dem Adlerwirtshaus. Es erhob sich ein stürmischer Jubel, man drängte sich um den Reiter, man fragte, ob man den Samnauner wieder in das Tal habe heimgehen lassen, man dankte dem Ritter, man lobte den Kaiser. Da zerriß der Reiter das weiße Tuch und rief über das Volk hin: „Zu spät, gute Leute, zu spät!“Staunend und zornig vernahm das Volk den traurigen und doch schönen Tod des Samnauners; immer lauter und lauter wurde das Murren, bis ein alter Mann rief:

„In den Turm mit ihm!“

„Wer?“ rief der Ritter.

„Der Falsche! Der Fremde! Der solche Eil gehabt hat!“

„In den Turm!“ ertönte es von allen Seiten.

Da schritt eben der böhmische Reiterkommandant aus dem Anger heraus; er hatte sich mit seiner Schar marschbereit gemacht, um noch Nauders zu erreichen als Vorhut des kaiserlichen Heeres. Als er aber hörte, wie der Zorn des Volkes sich gegen denjenigen erhob, der von ihm die Reiter gefordert hatte, und als er die zwei Verwundeten anschaute und vernahm, daß zwei andere tot neben dem Brücklein drinnen seien,da stieß er einen ehrlichen Fluch aus und befahl seiner Truppe,allsogleich Jagd auf den Kommissär zu machen; einige Burschen schlossen sich an.

Da rief ein altes Weiblein: „Wen sucht man denn?“

„Den Kommissär“ antworteten zehn.

„Den Gelben, den Galligen? Ich habe ihn gesehen.“

„Wo?“

„Zum Fenster habe ich gerade herausschauen müssen, da ist er zum Dorf hinaus, nach Raute dem haben die Sohlen gebrannt.“„Aufg'sessen! Teufel! Marsch!“ befahl zornglühend der Kommandant.

Der Rottmeister sprengte mit einer Truppe durch die Dorfgasse hinaus, dem Flüchtigen nach.

Kaum waren sie verschwunden, da erschien ein Wagen,rechts und links ein Pirkheimerscher Reiter.

„Der Kaiser kommt, Kaiser Max kommt,“ rief freudig das Volk und wollte ihm jubelnd entgegenziehen.

„Halt!“ rief der Reiter, der noch das zerrissene, weiße Tuch in der Hand hielt.

„Halt! Das ist nicht der Kaiser es ist die arme Braut die “

„Johanna, Johanna“ ging es dumpf durch das Volk.

Es war Johanna.

Sie flehte die Reiter an, aussteigen zu dürfen, sie wolle nicht vor dem Volk in einer kaiserlichen Kutsche fahren.

Sie stieg aus, und dunkle Röte ergoß sich über ihr Antlitz;sie schämte sich, weil das Volk auf sie wartete, und sie freute sich ihren Korsin gerettet zu haben!

Das Volk schwieg; da und dort flüsterte man: „Ruft den Pfarrer! die arme Johanna!“

Als Johanna das Schweigen und das Flüstern nicht begreifen konnte, verlor sie die Schüchternheit, streckte die Arme aus und rief ins Volk hinein: „So wißt, der gute Kaiser ist dem Korsin gnädig! Schweigt nur! Ich schäme mich nicht,ich hab' ihn gerettet.“

Sie hatte sich erzurnt an den Leuten vorbeigedrängt und wollte den Fuß auf die erste Stufe der Steintreppe setzen, als das Wort an ihr Ohr drang: „Zu spät!“

„Zu spät?“ schrie sie laut auf, ihre Hände krampften sich an das Geländer, und auf die Hände preßte sie die glühende Stirne.

Dem Volke war's, als läge eine ungeheure, schwere Sünde auf ihm. Da trat ein Bursch, der sonst allzeit fröhliche Fähndrich der Knabenschaft, an die Steinstiege und sagte, während seine Augen schwammen: „Arme Hanna, uns mußt du nicht böse sein! Frag nur den Pfarrer, wie's gegangen ist! Hanna!“

Johanna raffte sich auf, ihre Augen schauten starr und groß ins Volk hinaus und fielen auf das zerrissene weiße Tuch. „Zu spät, zu spät“ wiederholte sie dumpf, und mitleidige Frauen traten herbei und hielten sie sanft an den zitternden Armen.

„Laßt mich! Zu spät, o zu spät! Und bin doch todmüde! Zu spät! Laßt mich!“

Sie wand sich los und schritt, die Hände an die Stirne drückend, laut weinend durchs Volk. „Laßt sie nicht allein, sie könnte sich ein Leid antun!“

„Laßt sie, sie geht in die Kirche!“

Und Johanna eilte hinüber in die Kirche, von ferne folgten ihr einige Frauen. Sie ging weinend zum Altar, warf sich nieder, berührte mit der heißen Stirne die Stufe die Frauen blieben still bei der Türe. Da hörte sie auf zu weinen.Leise traten die Frauen näher, warteten, wollten sie aufheben.Schwer wie Blei waren die Arme, die Hand kalt ihr Herz war gebrochen.

Die Sonne ging zur Rüste: sie grüßte friedlich den toten Bräutigam Korsin, der am Bächlein im Wald unter dem schwarzen Mantel lag; sie grüßte das goldene Kreuzchen an der silbernen Kette auf Johannas Brust, als vier Männer die schöne Leiche der Braut auf der schwarzen Totenbahre aus der Kirche trugen.

Und als die Nacht anbrach, war es still geworden in Pfunds. Die böhmischen Reiter waren weiter geritten gegen Nauders hinauf. Nachdem sie den eingefangenen Kommissär mit Mühe vor dem Zorn des Volkes geschützt und in den finstern Kerker geworfen hatten, wo Korsin von Laret seine letzte Erdennacht zugebracht hatte, verließen sie gern das Dorf,in dem sie eine traurige Rast gehalten hatten und begruben bei dem Brücklein ihre beiden Toten.

10.In der nämlichen Nacht machte ein einsamer Wanderer den weiten Weg durch den Pfundser und Samnauner Wald.Es war Mitternacht, als er am Pfarrhaus in Samnaun an die Türe pochte. Der greise Pfarrer stand bald an der Schwelle,schaute dem späten Wanderer ins Gesicht und rief erschrocken:„Ihr seid der Scharfrichter vom Schalklhof! Herr im Himmel, was “

„Laßt mich eintreten! Ich komme nicht als Scharfrichter,ich bin da als Bote.“

„Von wem geschickt?“

„Von einem Sterbenden!“ 127 „Wo ist der Sterbende? Schnell, ich muß zu ihm!“

„Draußen im Wald. Bleibt nur hier!“

„Ihr wollt mich aufhalten! Vorwärts!“

„Bleibt! Er ist tot!“

„Wer?“

„Korsin von Laret.“

„Ihr lügt! Er ist als Held in der glorreichen Schlacht an der Kalven gefallen, er, sein Knecht, der Schmied Mathis Jenal und vier Jünglinge: sieben Helden, Gott kröne sie!Aber. Scharfrichter, Ihr lügt!“

„Gehen wir in die Stube! Ich habe vieles zu erzählen!“

Vieles, mehr als für den alten Pfarrer gut war, hatte der Scharfrichter in jener Mitternachtsstunde zu erzählen.

Die beiden Männer weinten. Und als der Scharfrichter alles und zum andernmal alles erzählt hatte, stand der Pfarrer vom Sessel auf, trocknete die Tränen und sprach weich:

„Die traurigste Nacht in meinem Leben! Und doch nicht ohne Stern! Mein lieber Korsin ist als Krieger des Gotteshausbundes gestorben, ist tapfer gestorben, ist gut gestorben.Aber arme Mutter und Schwester! Nach dieser traurigsten Nacht kommt mein traurigster Morgen. Das sind Wunden,die ich morgen öffnen muß, aber nicht mehr schließen kann!“

„Guter Pfarrer, glücklich, wer in diesen bösen Zeiten sterben kann! Der Krieg beginnt aufs neue.“

„Beginnt aufs neue, ich weiß es. Aber, lieber Mann,glaubt mir, der Kaiser Max wird es bereuen. Ich ehre ihn,er ist ein Kaiser, groß und edel. Aber“ und die Stirne des Pfarrers glänzte wie die Stirne eines Propheten beim Kusse des Herrn der Heerscharen „aber Kaiser Max wird es bereuen. Der Herr der Heerscharen soll unseren Bund schützen!“

Dann erhob er seine Augen, faltete die Hände und betete mit Inbrunst: „Deus meus, pone illos ut rotam et sicut stipnlam ante faciem venti.“

Lächelnd erwiderte der Scharfrichter: „Ich verstehe kein Latein, aber so viel weiß ich schon, daß ich nicht Amen sagen darf. Es ist ein Gebet gegen den Adler für den Steinbock,ich dürfte schwören. Was heißt es?“

„Das dürft Ihr wissen. Als Gotteshausbundsmann muß ich ja so beten: Gott, mein Gott, lege die Feinde wie ein rollendes Rad auf die Straße und wie Spreu vor dem Antlitz des Sturmes! Aber Euch bin ich Dank schuldig für die Botschaft, so traurig sie war. Nehmt mein letztes Silberstück,und morgen holen wir den lieben Korsin ab, ich und vier Totengräber.“ Aufs neue stürzten Tränen aus seinen Augen.

Des Samnauner-Pfarrers traurigster Morgen brach an.Der Scharfrichter war talauswärts gegangen, der Pfarrer aber ging hinunter auf den Friedhof zum Grab seines Jan von Laret, betete lange, weinte bitterlich.

„Also hier, hier wird auch das Grab des Sohnes sein,des unglücklichen und doch glücklichen Korsinus! In Gottes Namen, armes Haus der Laret, du stirbst aus. O wäre das Grab schon zugedeckt! Es muß sein! Freund Jan von Laret, komm im Geiste mit mir auf den schweren Gang zu deiner Pauline und deiner Tochter! Procedamus in pacel“*

Langsam schritt der Pfarrer den Weg hin zwischen den grünenden Wiesen. Er schaute hinauf zur Schmiede sie war nicht mehr, wie sonst am frühen Morgen, mit einem Rauchwölklein gekrönt: „Ja, guter Mathis Jenal, bist du auch nur in Bocsfellhosen zur Schlacht an der Kalven ausgezogen, du verdienst ein Angedenken wie der Held Benedikt Fontana!“

Die Lareter sahen staunend den Pfarrer kommen, und Jannut, der von Valverda, trat lächelnd zu ihm: „Herr Pfarrer, Ihr habt einen Tag übersprungen.“

„O hätte ich diese Nacht und diesen Tag überspringen können!“„Aber wir haben erst morgen die Messe in unserem JosephiKirchlein.“»Ganz genau. Aber heute habe ich etwas Trauriges und doch wieder etwas Glorreiches. Ich bin alt und schwach geworden. und ich weiß nicht, wie “

*Gehen wir im Frieden!

„O unser Pfarrer könnte Bischof von Chur werden, der würde “

„Jannut, wenn der heutige Tag gut vorübergeht, so gut ein Trauertag vorübergehen kann, dann lege ich mich lieber nieder bei den rauschenden Lärchen neben der Jakobi-Kirche,als daß ich den Stuhl Ouriae Rhaetorum“? besteige.“

Nachdenkend blickte der Pfarrer zu Boden, während sich die Leute immer mehr wie um den geliebten Vater sammelten.

Dann blickte er auf und sprach mit weicher Stimme:

„Hört, meine Kinder! Der beste Ort im Dorfe ist das Kirchiein. Im Haus des Herrn muß ich euch alle haben.Läutet das Glöcklein, ruft alle herbei! So wird es am besten sein. Der Herr kann Wunden schlagen und heilen.“

Bald füllte sich das liebliche Kirchlein. Der Pfarrer kniete am Altare und sprach: „Laßt uns beten zu den heiligen fünf Wunden unseres Erlösers!“ Nach dem Gebete stand er auf,trat auf die Evangelienseite, stützte sich mit der Hand auf den Altar und begann, wie ein Vater im Familienkreise, von Freuden und Leiden der letzten Zeit zu reden. Tränen und Tröstung begleiteten wie zwei Engel seine Worte. Er sprach so schön von den Samnaunern, die in der Schlacht für den Gotteshausbund zum Frieden im Hause des Herrn hinübergegangen seien.Dann tröstete er die Zurückgebliebenen, die das Grab der Gefallenen nicht besuchen könnten. Und klug und milde goß er dann Trauer und Trost in ein Mutterherz, in Paulinens Herz:Korsins Leiche komme nach der Heimat er sei in der Schlacht so ehrenvoll verwundet worden, ihm seien noch nach der Schlacht schwere Kämpfe aufbewahrt geblieben, er sei als ein Mann des Gotteshausbundes so nahe bei der Heimat gefallen,sein Herz werde neben dem Grabe des unvergeßlichen Vaters ruhen Weinen, gottergebenes Weinen drang empor zum Altarbilde, zum Engel mit dem Kranz über dem sterbenden hl.Josephus.* Den graubündnerischen Bischofsstuhl.Hheft 62.Und als die schwere Stunde vorüber war, kniete der Pfarrer wieder nieder und betete mit seinen geliebten Laretern.

Mutter Pauline war wohl älter geworden; seit Korsin fort war, hatte sie oft zu Philomene gesagt: „Philomene,hole mir Wasser vom unteren Brunnen, es ist besser ich habe so Durst, als ob das Blut brennte!“

Philomenens Augen waren noch träumerischer geworden;wohl war Rosa oft mit dem Liebling Max zu ihr gekommen;aber Rosa kam, um mit ihr zu weinen die verlassene Braut.

Am Nachmittage ging der tiefgebeugte Pfarrer von Samnaun mit vier Männern, die einen leeren Sarg trugen, hinaus über die Grenze in den Pfundser Wald.

Beim Kreuz im Wald saß der Scharfrichter vom Schalklhof, und dort blieben und redeten die Samnauner eine Weile mit ihm, als ob sie sich scheuten, noch weiter zu gehen zur Leiche ihres Talammannes Korsin. Unter Tränen erzählte der Mann mit der harten Hand und dem guten Gemüt, was am Abend in Pfunds sich Trauriges ereignet habe: Johannas Tod.

Dann schaute der Pfarrer zur Sonne, die sich neigte:„Kinder, kommt! Was wollen wir reden und raten? Es ist vorbei. Unerforschlich sind des Herrn Wege. Jetzt laßt uns beten und die liebe Leiche in die Heimat bringen! Kommt!“

Sie gingen weiter durch den Wald bis zum Wässerlein.Als dann der Scharfrichter den schwarzen Mantel von der Leiche hinweghob, als Korsin im grauen, blutbefleckten Kleid,mit dem schönen Antlitz, dem selbst die Leichenfarbe den Zauber nicht geraubt hatte, tot vor den Augen des alten Pfarrers und seiner Mitbürger dalag: da verstummte das Gebet und sank unter in den stillen, tiefen Schmerz der grauen Männer.Die traurige Arbeit des Einsargens war vorüber. Der Pfarrer kniete am zugenagelten Sarge seines Lieblings und betete leise und lange. Dann richtete er sich mühsam empor und sprach: „Hinein in die liebe Heimat! Das Wasser aber,das eine traurige Nacht hier Totenwache gehalten hat, soll die Samnauner immer an die traurigen Zeiten erinnern; es heiße bei den Enkeln und bei den Kindern der Enkel: das Totenwasser!“

Auch trübe Tage gehen vorüber.

Als aber am Abend die Leiche Korsins auf den Friedhof getragen wurde, wo das ganze Tal versammelt war, wo kein Auge trocken blieb, wo der Pfarrer nur das eine Wort aus dem gepreßten Herzen brachte: „Korsinus von Laret, lebe wohl! Was du aus menschlicher Schwäche gefehlt hast fidem non negasti, den Glauben und die Treue gegen Gott und die Heimat hast du nicht verleugnet; lebe wohl, lebe wohl!“ da sagten graue Männer: „Das ist der längste Tag und der traurigste Tag gewesen in Samnaun!“

Und der lange Sommer! Fremde Leute arbeiteten auf den Gütern der Familie Laret; Philomene hatte ihre kränkelnde Mutter zu verpflegen; Viktor, der treue Knecht, schlief im Riesengrab bei der Cäsarikapelle, wo die Bündner ihre Toten begraben hatten.

Philomene lächelte nur dann, wenn der kleine Max in ihrer Nähe war. Sie machte ihm ein Kleid aus dem grauen Tuch, dem feinsten, das sie für den Bruder Korsin zurückgelegt hatte. Max aber leistete der guten Philomene und der Mutter, die immer blasser wurde, tausend kleine Dienste.

Einmal, an einem stillen Augustnachmittage, während Pauline in der Stube am Fenster im Lehnstuhl saß und schlummerte, waren die beiden allein vor dem Hause und saßen auf dem Bänklein.

„Max, geh nach Marienberg und werde glücklicher als unser Korsin!“

„Und du, Philomene?“

„O wenn der Winter kommt dann wird's still in unserem Hause o drei Gräber in einem Jahre. drei o die Mutter “Sie preßte ihre weißen, hageren Hände auf das schöne,blasse Gesicht und weinte.

Max stand auf, löste ihr sanft die Hände vom verweinten Antlitz und bat: „Philomene, weine nicht wieder!“

Philomene konnte lächeln; dann berührte sie mit ihren unschuldigen Lippen Maxrens reine Stirne und sagte lind und leise: „Geh nach Marienberg und lerne gut, und dann wirst du, was unser guter Pfarrer ist, der Engel von Samnaun!“

„Und du, Philomene ?“

„O ich wenn meine liebe Mutter ich gehe dann nach Münster zu den stillen Frauen. Das Glück auf Erden ist so falsch!“

Es war der letzte Sonntag im September, als der Pfarrer von Samnaun von der Kanzel herab verkündete, der Kampf zwischen Steinbock und Adler sei geendigt, der Friede sei abgeschlossen. Der Friede! Aber die drei Lärchen bei dem Laretschen stillen Hause färbten ihre Nadeln gelb, und noch war Korsinus mit der Braut aus Tirol nicht zurückgekehrt.Die drei Lärchen schüttelten im kalten Wind die Zweige, als wollten sie klagen: „Friede zwischen Steinbock und Adler irdischer Friede, er kommt zu spät zu spät!“Ende. * x·teinboek und /