Zwölf Schweizer-Märchen: ELTeC Ausgabe Liechti, Samuel (1825-1877) ELTeC conversion Automatic Script 173 35343

2021-12-14

Transcription UB Basel Scan UB Basel Zwölf Schweizer-Märchen Liechti, Samuel Druck und Verlag von J. Huber Frauenfeld 1865

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gewidmet. Die Spindel der Rönigin Vertha.

Es sind nun bald tausend Jahre her, seitdem die Geschichte passirt ist, die ich erzählen will. Damals war eine wildbewegte Zeit, in welcher heute Niemand wußte, wer morgen das Schwert erheben würde, um Krieg und Verderben über Menschen und Länder zu bringen.

Und doch stieg damals wie heute des Morgens die Sonne hinter den Bergen auf und blickte des Nachts der Mond nieder auf die schlafende Welt.Das that er nun eben auch nach einem recht schwülen Sommertage. Er sah neugierig auf ein kleines Häuschen nieder und auf die Bank davor, auf der zwei Frauen saßen. Sie waren in einfache, hellblaue Gewänder gehüllt, und die Eine hatte silberweiße Haare, während über den schönen Nacken der Andern reiche blonde Locken fielen, die nebst einem Paar himmelblauen Augen von ächt burgundischem Blute zeugten.

Das Häuschen lag nämlich im Königreich Burgund, zu dem damals auch Westhelvetien gehörte, und zwar am lieblichen Murtensee, dessen mondbeglänzter Spiegel aus dem reichen und fruchtbaren Gelände gleich einem Edelstein aus dunkler Einfassung hervorschaute. Denn am hellen Tage gleicht die Gegend ringsum einem Garten, und zumal im Hochsommer prangt sie mit ihrem Aehrengold und Dunkelgrün in voller Herrlichkeit. Dem westlichen Ufer des See's entlang dehnt sich in behaglicher Breite der Wistenlacherberg aus mit Reben und Wiesen. Von seiner Spitze schweift der Blick nach Westen und Norden über die Spiegel der Jurasee'n bis an die blaue Jurakette und nach Osten über die gesegneten Fluren des Uechtlandes bis an die schimmernde Alpenwand. Nach Süden aber öffnet sich ein fruchtbares Thal, in dem einst die alte Hauptstadt der Helvetier,Aventicum, gelegen war, von der heute nur noch weniger Ueberreste zu sehen sind. Und weiterhin liegt Payerne, zu deutsch Peterlingen, unter dem Burgunderkönig Rudolf II.ebenfalls eine blühende Stadt mit Abtei. Wer aber einmal hier oben gestanden, wird den Ausblick nie vergessen können und gerne wiederkehren mögen.

Das Häuschen, vor welchem die beiden Frauen saßen, lag nun gerade am Abhange des östlichen Seeufers und gewährte den Ausblick auf den See und Wistenlacherberg, deren Hintergrund der Jura bildete. Die Beiden hatten lange in die friedenvolle Landschaft hinausgeschaut und Auge und Herz daran erfreut, als die Jüngere,Alvina, ihren Rosenmund aufthat und sagte:

„Meinst du nicht auch, Großmütterchen, es könnten auf dem Grunde des See's allerlei seltsame Dinge zu finden sein, da man schon am Ufer Armringe und Vasen gefunden hat, die ganz anders aussehen, als die, so wir gebrauchen?“

„Freilich, liebes Kind,“ erwiderte Großmütterchen Euphrosyne. „Als noch die Römer Herren dieses Landes waren, führte hier die Hauptstraße vorbei, von der Hauptstadt Aventicum nach Raurachien am Rhein. Rings um den See herum aber lagen die Wohnungen von Helvetiern und Römern, als eine Vorstadt zum Schutze der Heerstraße.Da mag wohl gar manche Kostbarkeit während der Kriegsnoth in den See versenkt worden sein. Aber was wären alle diese Schätze, verglichen mit der Spindel der Königin Bertha?“„Bitte, Großmütterchen,“ bat das holde Mädchen,„erzähle mir nun einmal die Geschichte von der Spindel,wie du mir schon längst versprochen hast?“

„Schälkin,“ meinte Jene, „ich muß dir einmal willfahren,damit du auch die Gefahren kennen lernst, die sich an den Besitz der Spindel knüpfen.“

Und sie begann hierauf:

„Vor langer Zeit, als ich noch jung war, regierte über Burgund der ritterliche König Rudolf II., dessen Vater das Königreich gegründet. Ihr Stammschloß Strättligen liegt drüben am Fuße der Alpen, nahe dem romantischen Thunersee, in dessen Fluthen sich die schimmernden Berge spiegeln.Nachdem Vater und Sohn gemeinsam das allemanische Helvetien erobert und so ein starkes Reich gegründet hatten,starb Jener und der Sohn mußte nun allein dasselbe verwalten. Das machte sich sein Gegner, der Herzog Burkard von Schwaben, zu Nutze und bekriegte ihn. Nun war aber die Königin Bertha, des Herzogs Tochter, eine überaus fromme, tugendhafte und verständige Gemahlin, der es gelang, den Vater mit dem Gemahl zu versöhnen, so daß das Reich von da an des schönsten Friedens genoß. Die Königin war während dieser Zeit nicht nur die treueste Gemahlin und Hausmutter, sondern auch eine wahre Mutter des Volkes. Der König besaß viele Höfe, deren Wirthschaft sie allein leitete; sie gründete Kirchen und Klöster,damit das Volk aus der Finsterniß zum Lichte gelange,und stiftete gar viele Spenden für die Armen, die nie mit ihren Bitten von ihr abgewiesen wurden. Und daneben fand sie doch noch Zeit zu allerlei häuslicher Arbeit. Sie besaß eine gar seltene Spindel, welche der König aus dem fernen Spanien mitgebracht hatte. Es waren daran gar wunderliche Figuren geschnitzt, von denen Viele sagten, daß es heidnische Götter wären, welche aber den Christen dienen müßten. Mit dieser Spindel spann die fromme Königin selbst des Königs Kleid, so daß von dieser Zeit an im ganzen Lande alle Frauen zu spinnen begannen und damit Wohlstand und Glück überall einzogen. Ja, es war eine Zeit des Friedens und des Glückes, die gute alte Zeit,da Königin Bertha spann.“

Die Matrone hielt bei der Erinnerung an jene goldene Zeit inne und fuhr dann erst nach einer Pause fort:

„Die Königin weilte am liebsten in Peterlingen, an welchem Orte sie auch ihr segenreiches Leben beschloß. Ihr Hinscheid versetzte das ganze Land in Trauer und ihr Andenken lebt noch heute in Aller Mund und Herzen.Die Hofleute drängten sich herbei, um irgend einen Gegenstand, wenn auch nur ein kleines Stück Zeug, als Erinnerung an die edle Gebieterin zu erhalten. Der König,der seine tiefe Trauer nur mit Gewalt bemeistern konnte,glaubte dem Willen der seligen Gemahlin gemäß zu handeln,indem er fast die ganze Habe derselben unter seine Hofleute vertheilte, die sich durch diese Gaben hochgeehrt fühlten.Er entsprach gerne den Wünschen seiner nächsten Freunde,wenn sie diesen oder jenen Gegenstand als ihnen besonders theuer bezeichneten. Nur einen Gegenstand konnte er nicht verschenken, den gar viele Hofdamen wünschten, und dies war die Spindel der Königin, welche nirgends gefunden werden konnte. Man durchsuchte alle Gemächer des königlichen Schlosses, selbst Keller und Küche umsonst. Der König ließ zudem überall im Lande kund thun, wer ihm die Spindel bringen oder nur Nachricht davon geben könne,solle eine große Belohnung empfangen, aber auch dieses Mittel half nicht; Niemand vermochte das Geringste von der Spindel zu berichten. Die Hofdamen mußten deßhalb zu ihrer eigenen und des Königs Betrübniß auf dieses theure Vermächtniß verzichten und sich mit andern Gaben aus der Nachlassenschaft der seligen Königin begnügen.Der Verlust der Spindel betrübte aber den König manchmal gar sehr, besonders in einsamen Stunden, wenn er der schönen Vergangenheit gedachte, da noch die tugendliche Gemahlin an seiner Seite auf dem Throne saß.Eines Tages nun, als er auf die Jagd geritten war und eben seine trübe Stunde hatte, sah er am Waldpfade ein altes Mütterlein sitzen, das an einem langen Stück Holz schnitzte. Der König war begierig zu wissen, was wohl das Mütterlein mit demselben anfangen möchte, und that deßhalb eine Frage. Das Mütterlein antwortete: „Ich schnitze eine Spindel, die ich dem König zum Geschenke machen will, da er so gar betrübt sein soll über den Verlust der seinen.“ Ob dieser Antwort verwunderte sich der König sehr und sagte: „Mütterlein, deine Spindel ist aber gar grob und gewöhnlich, während die meiner seligen Frau Gemahlin gar künstlich und schön gearbeitet war und geheime Tugenden hatte.“ Darauf antwortete die Alte:„Das weiß ich gar wohl, Herr König, warum sucht Ihr denn die Spindel nicht?“ „Ei, ich habe sie lange gesucht, Mütterlein, konnte sie aber nicht finden.“ Da sagte sie: „Das glaub' ich wohl, Herr König, die könnt Ihr auch nicht finden, weil Ihr ein Mann seid.“ Der König erstaunte und sagte dann: „Nun, wer kann sie finden?“Da erhob sich das Mütterlein und sagte: „Nur eine reine,tugendhafte und fromme Jungfrau, wie die felige Frau Königin auch einst gewesen ist, kann sie finden. Fraget nur droben im Walde bei der Hütte.“ Nach diesen Worten kehrte sich die Alte um und humpelte mit ihrem Stück Holz davon. Auch der König ritt hierauf von dannen.

Kaum war er im Schlosse angelangt, als er die Hofdamen vor sich beschied und ihnen sein Erlebniß mittheilte.Die Erzählung kam ihnen aber höchst spaßhaft vor und Einige rümpften sogar ganz despektirlich in Gegenwart des Königs ihr Näschen oder schüttelten das Köpfchen, ohne Zweifel, weil ihnen die Trauben zu hoch hingen. Nur Wenige schenkten den Worten der Alten Glauben und bedachten im Stillen, ob sie wohl zur Auffindung der Spindel sich anschicken sollten. Der König bemerkte den Eindruck seiner Rede und befahl denjenigen Damen, welche Lust hätten, die Spindel zu suchen, in seinem Saale zu bleiben.Es blieben ihrer nur zwei, die andern aber machten ganze Wendung und eilten zur Thüre hinaus. Da nun nicht beide Fräulein mit einander sich auf den Weg begeben konnten, so ließ der König sie das Loos ziehen und es entschied zu Gunsten der Aeltern, welche Hildegunde hieß.Der König verhieß ihr, wenn sie ihm die Spindel brächte, so sollte sie zu den höchsten Ehren gelangen. Er schenkte ihr auch ein kostbares Pferd sammt Zubehör und gab ihr einen Diener mit, Namens Cajus, damit sie im Walde sich nicht verirren möchte. Mit den besten Glückwünschen verabschiedete er ste und ging dann in sein Gemach.

Hildegunde stieg alsobald zu Pferde und ritt den ihr vom König bezeichneten Waldpfad entlang. Ihre schöne Gestalt wiegte sich zierlich guf dem stolzen Pferde und ihr schwärmerisches Auge schweifte über die Gipfel der Tannen in den blauen Aether. Sie sah sich im Geiste schon mit der Spindel nach dem Hofe zurückkehren, dort mit Jubel empfangen und geehrt und beneidet. Ihre Phantasie malte ihr eine Zukunft voll Ehre und Glück, in der selbst ein Thronsessel nicht fehlte und eine Krone auf dem Haupte.Bei dem Gedanken an solche Herrlichkeit öffnete sie ihre kußlichen Lippen zu einem bezaubernden Lächeln und zeigte eine Reihe kleiner Zähne, weiß wie Elfenbein. Sie gedachte dabei der übrigen Hofdamen, denen alsdann die Rolle der Gehorchenden beschieden wäre, sowie der übrigen Hofleute, denen sie ihre Gunst schenken oder entziehen könnte.

Unter solchen Gedanken oder vielmehr Träumereien war sie unbemerkt tief in den Wald hineingerathen. Vor ihr lag auf einem kleinen grünen Platze eine Hütte, an die sich ein steinernes Druidenbild lehnte. Sie stieg mit Hülfe des Dieners vom Pferde und trat in die Hütte, in der sie einen alten heidnischen Priester fand, der sich Servius nannte und vor ihr verneigte mit den Worten: „Schöne Christin, was ist dein Begehren?“ Und als sie ihm von ihrem Wunsche Kenntniß gegeben hatte, die Spindel der Königin Bertha zu besitzen, antwortete er: „Jungfrau, euer Vorhaben ist wohl recht und gut, aber gar schwer auszuführen. Die Spindel befindet sich wieder im Besitze der vormaligen Eigenthümerin, nämlich der Fee Murciane in Spanien. Ein christlicher Ritter gewann sie im Kampfe gegen die Mauren und schenkte sie seinem König, durch welchen sie in den Besitz der Königin gelangte. Der Ritter gewann die Spindel jedoch nur unter der Bedingung, daß sie einer frommen und tugendhaften Christin zukomme, nach deren Tode sie wieder in den Besitz der Fee Murciane fullen solle. Nach, den Stipulationen des zwischen dem Ritter und der Fee geschlossenen Vertrages oder vielmehr einer Wette kann die Spindel nur dann wieder von einer Christin gewonnen werden, wenn diese durch hohe Frömmigkeit und Tugend sich des Besitzes in vollem Maße werth zeigt. Wenn sie aber den Versuch wagt und die ihr auferlegten Proben nicht bestehen kann, so muß sie eine Dienerin der heidnischen Fee werden. Könnt Ihr diese Bedingung eingehen, Jungfrau, so will ich Euch den Weg weisen;bedenkt es aber ja recht wohl.“

Als der heidnische Priester dieses gesagt hatte, sah er Hildegunde fragend an. Sie fühlte sich als auserwählte

Nachfolgerin der Königin und deßhalb tugendhaft und stark genug, die Proben zu bestehen. Kaum hatte Servius geendet, als sie ihr Haupt erhob und mit königlicher Miene antwortete: „Zweifelt Ihr an meiner Frömmigkeit? Wohlan,so werde ich beweisen, daß mir keine Probe zu schwer sein wird. Theilt mir nur mit, welche Proben ich zu bestehen habe.“ Servius lächelte: „Schöne Jungfrau, das kann ich selbst nicht sagen, aber es wird Euch unterwegs kund werden. Reitet nur getrost immer denselben Pfad weiter und gedenket stets der Frömmigkeit und Tugend der edlen Königin Bertha.“ Er verbeugte sich nach diesen Worten und zog sich in ein anderes Gemach zurück.

Hildegunde ritt hierauf wieder von dannen, wenig befriedigt von der Antwort des Heiden. „Was mögen denn das wohl für Proben sein,“ sagte sie zu sich selbst, „vnmn denen ich erst Kenntniß erhalten soll? Wohl habe ich schon gehört, daß tapfere Ritter verzauberte Prinzessinnen befreiten und zu Gemahlinnen bekamen, nachdem sie Löwen und Schlangen besiegt; einer Jungfrau aber kann man solche Kraftstücke nicht zumuthen. Der Heide hätte mir doch einen Fingerzeig geben dürfen, wenn er nicht ein ungeschlachter Gesell wäre. Oder sollte die Probe vielleicht darin bestehen, einen ganzen Tag lang zu beten?“ Und so grübelte sie noch lange nach dem Geheimniß, bis sie endlich mißmuthig wurde und dem Pferde die Peitsche gab, daß es rasenden Laufes mitten in's Dickicht des Waldes rannte durch

Gebüsch und Dornen, an denen die Kleider der Jungfrau fetzenweise hängen blieben. Endlich hielt das Pferd stille und sie stieg ab mit Hülfe des treuen Dieners, der seiner Herrin in vollem Laufe gefolgt war. Sie sah kläglich aus und konnte mit den Resten ihrer kostbaren Kleidung kaum ihre Blöße bedecken. „Weh' mir,“ rief sie, „sollte dieß wohl eine der Proben sein, welche die heidnische Fee mir auferlegt? Dann wäre ich lieber am Hofe geblieben und hätte mit meinen Freundinnen mich gefreut. Und was soll nun aus mir werden in diesem dunkeln Walde?“

So klagte sie, während die Dämmerung anbrach und der Nachtwind durch die hohen Tannen strich. Der treue Diener Cajus rieth ihr, hier ein Nachtlager aufzuschlagen und erst am folgenden Morgen den Weg fortzusetzen, welchem Rathe sie auch gerne Folge leistete, da die immer stärker werdende Finsterniß ihr Grausen einflößte. Das stolze Selbstgefühl war für den Augenblick von ihr gewichen und sie bat Gott auf den Knieen um seinen Schutz für diese Nacht. Nachdem der treue Diener ihr aus Moos und einigen Decken ein Lager zurecht gemacht hatten, legte sie sich nieder und fiel vor Ermüdung alsobald in einen festen und erquickenden Schlaf. Cajus band inzwischen das Pferd an einen Baum und bereitete sich dann ebenfalls ein Lager zu Füßen der schönen Gebieterin. Von wilden Thieren hatten sie Gottlob nichts zu fürchten, da der König dieselben alle ausgerottet hatte.Die Wipfel der höchsten Bäume rötheten sich kaum,als Cajus erwachte und seine Herrin weckte. Sie rieb sich den Schlaf gus den Augen und sah erstaunt auf die ungewohnte Umgebung, während sie wähnte, in einem Federbette am Hofe geschlafen zu haben. Nach vielen Anstrengungen gelang es ihnen, aus dem Dickicht in den lichtern Wald zu gelangen; aber nun begann eine neue Mühseligkeit. Bald führte der Pfad steil abwärts, bald aufwärts über Schluchten und Bäche, und endlich schwand jede Spur eines solchen, so daß sie genöthigt waren, auf das Gerathewohl ihren Weg fortzusetzen. Hildegunde hatte ohne ein Wort der Klage den beschwerlichen Weg zurückgelegt; nun sie aber wieder befürchten nußte, wie gestern im tiefsten Dunkel des Waldes ihr Nachtlager aufschlagen zu müssen, begann sie ungeduldig zu werden und stieß bittere Worte aus. Cajus munterte sie umsonst auf; sie wurde immer übellauniger und achtete nicht mehr auf die Umgebung, weder auf den Gesang der Vögel, noch auf die schöne Aussicht, die sich ihnen jetzt auf der Höhe des Waldes aufthat.

Hier oben stund nämlich auch auf einem freien Platze ein großes hölzernes Kreuz zum Andenken an den Zweikampf, den der edle König Rudolf als Jüngling mit einem riesigen Heiden, Namens Donatir, einst siegreich bestanden.Dieser Heide war der Schrecken der ganzen Gegend gewesen,und viele tapfere Ritter hatten im Kampfe mit ihm ihr

Leben eingebüßt. Seitdem die gute Königin Bertha zur Erinnerung an die That ihres Ehegemahls ein Kreuz aufrichten ließ, verrichteten die Leute der Gegend, wenn sie einmal da vorbei kamen, stets zu Füßen des Kreuzes ein Dankgebet und schätzten sich glücklich, nun sicher ihres Weges ziehen zu können. Hildegunde kannte aus den Erzählungen der Hofleute das Kreuz gar wohl; in ihrem Unmuthe beachtete sie es jedoch nicht und ritt weiter und weiter wiederum in die wüsten Wälder und Sümpfe des Uecht-landes hinein. Inzwischen verfinsterte sich der Himmel und eine unheimliche Stille lagerte sich auf den Wald. Nur krächzende Vögel ließen sich hören und bald darauf der ferne Wiederhall des Donners vom Juragebirge her. Ein feuchtkalter, scharfer Wind heulte durch das Dunkel und die Wipfel der Tannen seufzten und stöhnten kläglich und bogen sich vor seiner Gewalt. Hildegunde hüllte sich so gut es ging in ihre Kleider: denn Ermüdung und Frost hatten sie sehr angegriffen und sie brach inmitten der Dunkelheit, des heulenden Windes und zürnenden Himmels in eine Fluth von Klagen aus.

Als sie so klagend immer tiefer in's Dunkel und Dickicht hineinritt, stund plötzlich eine große braune Frau vor ihr,deren Leib nothdurftig mit einem Lappen bedeckt war und die einen fast ebenso nothdürftig bedeckten Säugling auf den Armen trug.

„Schönstes Fräulein,“ hob die Arme flehend an und

Thränen strömten aus ihren großen schwarzen Augen, „habt Erbarmen und schenkt mir doch nur ein Stückchen Zeug, damit ich mein kleines Töchterlein vor dem Froste schützen kann.Wenn es krank würde und sterben müͤßte, so könnte ich.mein Lebenlang nie mehr froh werden.“

Während die Frau dieß sagte, hatte Hildegunde in ihre dunkeln großen Augen geblickt und da sie noch nie so schöne gesehen, ward sie neidisch, daß ein Bettelweib schönere Augen haben sollte, als eine Hofdame. Sie rümpfte deßhalb ihr Näschen und sprach gereizt: „Welche Unverschämtheit! Eine so große, gesunde und starke Person kann nicht einmal ihr Kind bedecken. Da sieht man's ja recht, wie faul und verderbt die armen Leute sind, die eigentlich gar keine Kinder haben sollten.“Die Frau antwortete nicht auf diese harten Worte,sondern weinte und bat und flehte um Mitleid. Und je inniger und wärmer sie flehte, desto schöner wurde sie und desto neidischer Hildegunde, die endlich voll Zorn schrie:„Pack' dich fort, Bettelweib, und bedecke deinen Leib und den deines Kindes mit Nadeln und Blättern von den Bäumen. Paock' dich fort, Bettelweib!“Kaum hatte sie diese Worte ausgestoßen, als ein Blitzstrahl durch das Dunkel fuhr und ein schrecklicher Donnerschlag demselben folgte, wie wenn die Natur selbst den frevlen Worten Hildegundens zürnte. Auf dem Platze je

17 doch, wo die arme Frau gestanden, stund jetzt vom Lichtglanze umflossen eine Frauengestalt in herrlichem Gewande,aber ganz mit denselben Augen wie die arme Frau, doch mit triumphirendernster Miene. Und sie hob an und sagte:

„Thörichtes Mädchen, du hast deine. Probe schlecht beR Fee Murciane, Dienerin.O wie wenig gleichst du der edlen Königin Bertha, der ich mit Vergnügen meine köstliche Spindel überließ, da sie einen so weisen Gebrauch davon machte. Du aber verdienst nicht, sie zu besitzen; denn in deinem Herzen wuchert Unkraut: Ungeduld, Hochmuth, Härte und Neid. Und weil du mich mit meinem Töchterlein in meiner Verkleidung mit Nadeln und Blättern mich bedecken hießest, so sollst du in meinem Dienste auch ein solches Kleid tragen.“

Als Fee Murciane so geredet hatte, verschwanden plötzlich Cajus und das Pferd, die Pelze und Seidenkleider fielen von Hildegundens schönem Leib und sie stund da in einem Kleide von grünen Blättern und Nadeln und war gar merkwürdig anzusehen. Und sie schämte sich sehr ihrer Fehler und ihrer Bußkleidung, aber man konnte ihre schamrothen Wangen nicht sehen wegen der grünen Nadeln und Blätter, von denen sie über und über bedeckt war.Sie war jetzt eine Waldjungfer geworden und hieß fortan Tannenbabeli. Sie mußte nämlich den ganzen Tag Reisig und Tannzapfen im Walde sammeln und vor einem Götzenbilde, Namens Baldur, das im Walde stund, tagtäglich ein Feuer anmachen. Die Fee Murciane aber kam jeden Monat einmal aus Spanien durch die Lüfte hergeflogen,um Inspektion zu halten.Am Hofe des Königs steckten die Hofleute die Köpfe zusammen, als eines Abends ein heidnischer Ritter angeritten kam und dem König ein versiegeltes Packet überbrachte. Am andern Tage wurde jedoch ihre Neugier befriedigt: der König ließ nämlich den ganzen Hof vor sich bescheiden und las ihm einen Brief der Fee Murciane vor,in welchem Mittheilung gemacht war von dem seltsamen Schicksal Hildegundens.Nun kam die Reihe an die zweite durch das Loos bestimmte Hofdame, die Spindel der guten Königin Bertha aufzusuchen. Diese Dame hieß Theudelinde, war noch sehr jung und überaus schön, so daß ihr Bild schon einmal von einem jungen Maler und Liebhaber in die Illustrirte Zeitung von Peterlingen gesetzt worden war. Theudelinde meldete sich beim König zur Audienz, und er ließ ein kostbares Erlenbacher Pferd, das er von seinem Stammschlosse Strätligen mitgebracht, für sie satteln und gab ihr einen Diener mit, Namens Hilarius. Auch gab er ihr manchen guten Rath mit auf den Weg, damit sie nicht wie Hildegunde eine Dienerin der heidnischen Fee werde.

Theudelinde schlug denselben Pfad ein, welchen Hildegunde verfolgt hatte, und gelangte auch bald zu der Hütte des Servius. Auf dem Gesichte des Priesters malte sich das größte Erstaunen bei dem Anblicke der schönen Jungfrau, welche sich durch den Eindruck ihrer Reize höchlich geschmeichelt fühlte. Sie hörte bei dem Gedanken an ihre Schönheit und ihre Siege nur halb auf die Ermahnungen des Heiden, der ihr den Rath gab, auf ihrer Reise stets vor Tagesanbruch aufzustehen, damit sie schneller zum Ziele gelange. Desto eifriger begann sie jedoch nachher Fragen an ihn zu stellen. Sie wünschte zu wissen, welche Schwierigkeiten im Wege lägen, welche Proben sie zu bestehen und welche Mittel anzuwenden habe, um die Spindel zu gewinnen. Der., Heide zuckte die Achsel zum Zeichen, daß er auf ihre Fragen keine Antwort zu geben im Stande sei; sie aber drang wiederholt in ihn, ihr Aufschlüsse zu geben und brach nach seiner bestimmten Ablehnung in die Worte aus: „Wie, Ihr wüßtet nichts von alledem und seid doch der Wächter dieses Waldes? Ich glaube beinahe,die Geschichte mit der Spindel sei ein Märchen und Ihr wollt uns nun in's Verderben führen!“ Der Heide wandte sich bei diesen Worten um, ohne ihr eine Antwort zu geben,und verschwand in der Hütte. Sie setzte darauf schmollend ihren Weg fort und begann mit dem Diener ein Gespräch anzuknüpfen, in welches sie bald alle Hofgeschichten vergangener Tage verflocht, so daß ihr süßes Mäulchen stetsfort klapperte wie eine Mühle.

So gelangten sie in das Dickicht das Waldes. Theude linde erschrack ob der Dunkelheit, die immer größer wurde,wie nicht minder ob dem hohen dornigten Gebüsche, in dem sie ihre Kleidung zu zerreißen fürchtete. Da fiel ihr plötzlich ein, sie könne wohl auf einem andern und minder beschwerlichen Wege zum Ziele gelangen, und sie befahl deßhalb Hilario, das Gebüsche zu vermeiden und zu umgehen.Der treue Diener erlaubte sich die bescheidene Einrede, sie möchten dann wohl die jetzt schon kaum mehr erkennbare Spur des Waldpfades verlieren und nicht wieder finden.Theudelinde beharrte jedoch auf ihrer Ansicht und meinte,wenn sie nach Umgehung des Gebüsches wieder in der eingeschlagenen Richtung zurückkehrten, werde sich die Spur des Pfades schon wieder finden lassen. Nach wiederholter vergeblicher Einrede schwieg endlich der Diener und fügte sich der Laune seiner Herrin. Die Dunkelheit nahm jedoch so rasch zu und der Wald wurde dichter und dichter, daß sie nur mit größter Mühe Schritt vor Schritt weiter gelangen konnten. Zudem raschelte es im Laube und in den Aesten der Bäume ließen sich sonderbare Laute vernehmen; auch glaubte Theudelinde, mehrmals ein Paar glänzende Augen gesehen zu haben, welche sich auf sie richteten. Angst und Furcht bemächtigte sich in der schreckhaften Umgebung immer mehr ihrer Seele, bis sie endlich in Thränen ausbrach und schluchzte und heulte, wie ein kleines Kind. Hilarius fuchte sie zwar zu trösten und sprach ihr Muth zu; allein er predigte tauben Ohren.n

Die schöne Theudelinde war untröstlich und weinte sich die Aeuglein roth.

Nachdem sie die thränenreiche Wanderung noch etwa eine halbe Stunde fortgesetzt hatten, rief Hilarius fröhlich:„Schönes Fräulein, ich sehe Licht, ja wahrhaftig Licht!“Die weinende Schöne erhob bei diesen Worten ihr Köpfchen und blickte um sich; doch konnte sie kein Licht entdecken, so sehr trübe waren ihre Aeuglein geworden vom DDDDDD0 und zieh ihn der Unwahrheit, trotzdem er fort und fort betheuerte, sie rückten dem Lichte immer näher. Endlich waren ihre Aeuglein wieder heller geworden und sie konnte ganz nahe ein Lichtlein durch die Tannen schimmern sehen,darob sie hoch erfreut war und Hilario Abbitte that, um der ihm gemachten Vorwürfe willen. In wenigen Augenblicken hatten sie hierauf eine Waldhütte erreicht, in welcher das Lichtlein brannte, und Hilarius klopfte dreimal an die Thüre, worauf dieselbe von innen geöffnet wurde.

Theudelinde war bei'm ersten Anblick der Waldhütte wieder ängstlich geworden. Sie wußte aus den Erzählungen und Märchen vom Hofe, daß in solchen Hütten Hexen wohnen mit langen Nasen, rothen triefenden Augen, zahnlosen Mäulern oder langen spitzen Zähnen und anderthalb Zoll tiefen Runzeln in einer lederfarbenen, schmutzigen Haut. Aber ihre Angst schwand und freudiges Erstaunen malte sich in ihren Zügen, als ein munteres rothbackiges

Mädchengesicht unter der Thüre erschien und eine freundliche Stimme die Angekommenen mit den Worten begrüßte:„Willkommen, ihr Verirrten unter unserem Dache!“ Und als Theudelinde vom Pferde gestiegen war, führte das muntere Mägdlein sie in die Stube, in welcher ein lustiges Feuer brannte, ob dem ein Kessel hing, gefüllt mit duftendem Wildpretbraten. Das Mägdlein, welches Regina hieß,räumte dem Fräulein den besten Platz am Heerde ein,damit sie vom langen Ritte ausruhen und sich wärmen könne. Sie brachte Milch und Brod zur Erquickung und als das Wildpret gebraten war, stellte sie ihr die besten Bissen auf. Theudelinde vernahm auch auf ihre Frage von dem Mädchen, daß sie auf dem Gebiete des Grafen von Romont sich befänden, dessen Burg aber noch weit entfernt läge. Dieser Graf war lange in Spanien gewesen und hatte gegen die Mauren gekämpft, und Theudelinde dachte sogleich, als sie dieses vernahm, der könnte ihr wohl Auskunft geben, wo die Spindel verborgen sei. Von dieser Hoffnung erfüllt, legte sie sich nach der Mahlzeit bald auf ihr Lager und Regina versprach ihr, sie frühzeitig wach zu rufen.

Sie erwachte bald. Hilarius stund vor ihrem Lager und mahnte sie rasch zu Pferde zu steigen, da schon der junge Tag an den Himmel stieß. Durch den dunkeln Wald gelangten sie bald in ein hügelreiches Wiesenland,hinter dem wieder Tannenwälder und eine Kette blauer Gebirge sich erheben. Von einem fernen Hügel winkte ihr im Morgenglanze eine weiße Burg entgegen, an deren Fuße angelangt, ein junger schöner Ritter sie empfing und hinauf geleitete. Er führte sie durch herrliche Gemächer und Sääle und endlich in ein kleines Gemach, in welchem eine junge Dame auf dem Sopha saß und spann. Die Dame schien ihr bekannt zu sein, sie hatte diese Züge schon gesehen, aber sie konnte im Augenblicke sich ihren Namen nicht in's Gedächtniß zurückrufen. Die Dame dagegen rief ihren Namen und grüßte sie freundlich, bot ihr einen Platz auf dem Sopha an und sagte alsdann: „Schöne Theudelinde, Ihr suchet die Spindel der Königin Bertha.Hier sehet Ihr dieselbe; aber Ihr habet noch verschiedene Proben zu bestehen. Vor allem merket genau auf,was Euch gerathen wird und folget ja nicht eurer Laune. Endlich zäumet recht sehr euer Zünglein, damit Ihr nicht zu viel redet oder sogar klaget, wenn Euch ein kleines Hinderniß im Wege liegt.“ Die Dame rief nach diesen Worten nochmals mit süßer Stimme ihren Namen. Theudelinde schlug die Augen auf; sie hatte geträumt und Regina stund vor ihr und sagte: „Fräulein,wacht auf, schon vor einer halben Stunde wollte ich Euch wecken, doch hörtet Ihr nicht. Die Sonne bricht schon durch das Waldesdunkel und das Morgensüpplein steht bereit.“

Theudelinde gedachte in diesem Augenblicke der Mahnung des Heiden Servius, stets vor Tagesanbruch aufzustehen, und wurde mißmuthig. „Warum hast du mich denn nicht geweckt,“ sagte sie zu dem Mägdkein, „damit ich noch vor Sonnenaufgang meine Reise fortsetze?“ Das Mägdlein aber erwiderte: „Entschuldiget, schönes Fräulein, ich habe recht laut und wiederholt gerufen.“

„So hättest du mich rütteln und schütteln können,“meinte jene, sah dabei Regina scharf in die Augen und erkannte das Gesicht, das sie im Traume gesehen.

„Man darf doch eine vornehme Hofdame nicht rütteln und schütteln, wie einen Sack voll Türkenstroh,“ entschuldigte das Mägdlein.

„Was Türkenstroh?“ rief Theudelinde erzürnt, da sie argwöhnte, das Mägdlein möchte ihre Feindin sein und sie deßhalb nicht früh genug geweckt haben, „was Türkenstroh?Wenn du nur in Türkenstroh stecktest, du Türkin du! Du hast mich wohl hieher gelockt, um mich zu verderben?“

Bei diesen Zornesworten Theudelindens erbebte die Waldhütte. Die Fugen krachten und die Bretter stöhnten und im Nu war die Hütte sammt Allem verschwunden.Vor der erschreckten Hofdame aber stund eine lichte Frauengestalt, mit den Augen und Zügen des Mägdleins, aber zürnend, und sagte: „Undankbares, launisches, eitles und unaufmerksames Mädchen, du hast deine Probe schlecht bestanden. Nun bist du meine, der Fee Murciane, Dienerin.Und weil du mich in Türkenstroh stecken wolltest, so sollst du fortan in meinem Dienste ein Kleid von Türkenstroh tragen und Türkentrudeli heißen.“

Als Fee Murciane dieß gesagt hatte, fielen die kostbaren Gewänder von Theudelindens schöner Gestalt, sie stund da in einem Kleide von Türkenstroh und mit einem hohen aus gleichem Stroh zusammengesetzten Turban. Und Türkentrudeli war sehr merkwürdig anzusehen und schämte sich, obgleich man es nicht sehen konnte, da ihre rothen Wangen ebenfalls mit Türkenstroh besetzt waren. Sie mußte nun den ganzen Tag lang Türkenkörner zählen,welche jede Woche von einem Diener abgeholt und auf den Markt nach Wiflisburg gebracht wurden, allwo die Juden sie kauften. Und jeden Monat einmal kam die Fee aus Spanien hergeflogen, um Inspektion zu halten.

Am Hofe des Königs steckten die Hofleute wieder die Köpfe zusammen, als eines Abends ein heidnischer Ritter hergeritten kam und dem König einen Brief brachte, in welchem die Fee dem Könige Mittheilung machte von dem Schickssale Theudelindens. Zugleich hatte die Fee dem König die Photographie Türkentrudeli's beigelegt, welche derselbe seinem Album einverleibte.

Hiemit schloß Großmutter Euphrosine ihre Erzählung.Der Mond war längst hinter den Freiburger Bergen hinabgesunken und die Sternlein spiegelten sich nur noch in mattem Glanze im klaren Wasser des See's. Die Frauen traten in's Haus und begaben sich zur Ruhe.4*

Aber in Alwina's Augen kam kein Schlaf. Die Erzählung der Großmutter beschäftigte ihren Geist und das Schicksal Hildegundens und Theudelindens ihr Herz. Sie fühlte Mitleid mit den Büßerinnen und als am Morgen Großmutter Euphrosyne sie aus einem leichten Schlummer weckte, war ihr Entschluß längst gefaßt. Sie wollte sich aufmachen, die Spindel aufzusuchen und die Mädchen zu erlösen. Die Großmutter mahnte zwar zu ernstlicher Ueberlegung und sagte: „Hab' ich mir's doch gedacht, wenn ich die Geschichte erzähle, so werde es so kommen.“ Als sie jedoch den festen Entschluß der Enkelin sah, den sie im Stillen billigte, und als sie bedachte, daß sie ihre alten Tage doch bald beschließen werde ohne Noth und Kummer,segnete sie das Mädchen und ließ es ziehen.

Alwina reiste zu Fuß nach Peterlingen, wo König Konrad, Rudolf's Sohn, eben ein Heer gegen die Araber rüstete, welche von Westen her gegen sein Reich anrückten,während ihm von Osten her ein Einfall der Ungarn drohte.Der König empfing das schöne Burgunderkind gar freundlich, gab ihm gute Räthe und schenkte ihm ebenfalls ein Pferd, welches Geschenk Alwina indessen höflich ablehnte,da sie des Reitens nicht gewohnt war. Sie machte sich danach auf, nur mit einem Stabe und einer Tasche versehen, in welche sie Brod, Früchte und Milch zu ihrer Nahrung gepackt hatte. Auch trug sie gar wenige und nur geringe Kleidungsstücke bei sich nebst einer Decke zum

Nachtlager. Ehe sie aber abreisste, trat sie noch in die Kirche zu Unserer lieben Frauen und bat Gott um Hülfe und Segen zu ihrem Vorhaben.

Die Wipfel der Bäume warfen schon lange Schatten im Walde, als sie bei der Hütte des heidnischen Priesters Servius anlangte. Sie klopfte an und als der Heide ihr aufgethan, bat sie um freundlichen Rath, den ihr jener auch gerne ertheilte. Nachdem sie dafür gedankt, wollte sie ihren Weg fortsetzen; doch Servius sagte: „Gutes Töchterlein, es ist nun zu spät in den Wald zu gehen,denn du könntest dich leicht verirren. Bleibe diese Nacht hier und sammle neue Kräfte für den folgenden Tag.Dort in jenem Gemache steht ein Nachtlager für dich hereit.“Alwina zauderte einen Augenblick. Sie hätte gerne ihre Wanderung fortgesetzt, um recht bald die beiden Büßerinnen befreien zu können; aber sie fand doch den Rath des Heiden besser und folgte demselben. Sie schlummerte nur süß;denn ihre Seele war so sehr beschäftigt, daß sie nicht zu schlafen vermochte. Doch kaum fiel der erste Tagesstrahl in ihr Gemach, als sie vom Lager aufstund, ihr Gebet verrichtete und mit herzlichen Worten des Dankes von Servius Abschied nahm. Die frische Waldesluft, die sie jetzt einsog, stärkte ihren Leib und ihre Seele und der helle Chor der gefiederten Sänger stimmte sie heiter, so daß sie fröhlich und dankerfüllt das tiefste Dickicht des Waldes durchac schritt, ohne sich an den Dornbüschen zu verletzen, die sie sorgfältig bei Seite bog.

Im tiefsten Dunkel und Dickicht des Waldes hörte sie plötzlich einen klagenden Ton in der Nähe. Mühsam arbeitete sie sich durch das dornige Gebüsch nach der Seite,woher sie den Ton zu hören glaubte, und fand endlich mitten in den Dornen einen Krieger, der vergeblich bemüht war, mit seinen schweren Waffen sich von den Dornen frei zu machen. Er bat das Mädchen um Hülfe und erzählte ihr, daß er schon seit zwei Tagen ohne einen Bissen Nahrung in dieser peinlichen Lage sich befinde. Alwina erlöste ihn vorsichtig von den Dornen, zog dann ihre Tasche hervor und erquickte den Hungrigen mit Brod,Milch und Früchten. „Holde Jungfrau,“ sagte dieser,nachdem er sich gestärkt hatte, „wie sehr bin ich dir zu Danke verpflichtet für meine Rettung. Denn wisse, ich sollte zum Heere des Königs stoßen und gerieth hier in die Gewalt meiner Feindin, der Fee Murciane, von der ich einst in Spanien im Kriege gegen die Araber einen Zaubergurt erbeutete, welcher die Kraft besitzt, der keuschen und frommen Jungfrau, welche ihn trägt, alle Geheimnisse zu verrathen. Da der Gurt von keinem Werthe für mich ist, du dagegen, wie ich wohl sehe, eine tugendsame und keusche Jungfrau bist, so nimm ihn aus meinen Händen zum Angedenken an meine Rettung.“

Er zog bei diesen Worten einen glänzenden Gurt aus dem Busen und reichte ihn seiner Retterin. Dann nahm er Abschied und eilte ungehindert von dannen. Mit dem Gurte hatte nämlich auch die Feindschaft der Fee gegen ihn ein Ende genommen und weder Dornen noch Dunkelheit hinderten ihn ferner, zum Heere des Königs zu stoßen.

Alwina legte indessen den Zaubergurt um ihre schlanke Hüfte und sah nun mit einem Male die Spindel der guten Königin Bertha im Besitze einer Dame auf einem hohen Schlosse, die eben damit spann. Auch der Weg dahin lag ganz klar vor ihren Augen und sie beeilte sich nunmehr, recht bald an das Ziel zu gelangen.

Die Dunkelheit des Waldes verschwand nun mit jedem ihrer Schritte immer mehr und die Sonnenstrahlen brachen sich funkelnd durch das Gezweige Bahn, die Vögel, die das Dickicht des Waldes flohen, ließen hier bei'm fröhlichen Glanz des Himmelslichtes ihre schmetternden Chöre wieder hören und warme Windeswellen verkündeten die Nähe sonnerwärmter Wiesen und Thäler. Im grünen Moosteppich des Waldes aber wiegten sich freundliche Blumen und grüßten die holdselige Jungfrau, die leicht über sie hinschwebte. Sie strahlte voll Heiterkeit und Freude und sog mit Lust den stärkenden Waldesduft in ihren schwellenden Busen. So gelangte sie nach einer geraumen Zeit an den Rand des Waldes und mit einem Male lag ein lachendes sonniges Thal zu ihren Füßen,in dessen Hintergrunde sie das Schloß erblickte, das sie mittelst des Zaubergürtels bereits im Geiste gesehen hatte. Weit hinter Hügeln und blauen Bergen ragten die weißen Häupter in den unendlichen Himmelsraum.Sie betrachtete einige Augenblicke dieses friedliche und erquickende Bild. und eilte dann weiter dem fernen Schlosse zu.

Bald sah sie in einiger Entfernung vor sich eine kleine alte Frau mit einer schweren Last auf dem Kopfe mühsam ihres Weges gehen. Sie beflügelte ihre Schritte und erreichte in wenigen Minuten die Alte, welche unter ihrer Bürde keuchte und beinahe einzusinken drohte. „Mütterchen,“ sagte sie zu der Altey, „Ihr habt eine zu schwere Last auf dem Kopfe. Gebt mir das Bündel, damit ich es trage und Ihr unterdessen etwas ruhen könnt.“ „Gott danke dir, gutes Jungferchen,“ erwiderte die Alte, „du kömmst wie gerufen; denn ich glaubte jeden Augenblick zusammensinken zu müssen. Aber es ist noch weit bis zum Schlosse, wohin ich das Bündel bringen soll.“ Bei diesen Worten hielt sie stille und Alwina hob die Last auf ihr Köpfchen. Und obschon das Bündel sehr schwer war,so schritt sie doch leicht von dannen und das Mütterchen nebenher. Während sie dem Schlosse stets näher rückten,erzählte die Alte dem Mädchen, wie sie Tag und Nacht Hanf gesponnen habe, um das bestellte Gespinnst wie versprochen auf den heutigen Tag in das Schloß des Grafen von Romont zu bringen, dessen Herrin nach dem Beispiele der guten Königin Bertha den Armen ringsum Arbeit und Verdienst verschaffe.Die Sonne sank bereits gegen die blauen Berge des Waadtlandes und überzitterte noch mit ihren letzten Strahlen das Thal von Romont. In der Mitte desselben erhoben sich auf einem grünen, schön geformten runden Hügel die grauen Thürme des Schlosses von Romont, umgeben von einer hohen Ringmauer, zur Rechten und Linken des Thales aber die dunkeln und breiten Massen der Wälder des Uechtlandes.

In furzem hatten sie den Hügel erklommen; die Zugbrücke fiel und sie schritten in den Hofraum hinein.Die Alte stieg voran die Treppen hinauf in einen großen Saal, in welchem angelangt sie Alwina ihrer Bürde entledigte. Kaum war dieß geschehen, als die Thüre sich öffnete und der Graf von Romont im Silberhaar nebst seiner holdseligen Gemahlin und seinem Sohne in den Saal trat. Sie grüßten die Alte und auch Alwina freundlich und schienen hoch erfreut über ihre Ankunft zu sein.Die Gräfin befahl sofort ein reichliches Mahl zu bereiten und ließ inzwischen Erfrischungen bringen. Die Alte aber erzählte ihr, wie sehr sie unter ihrer Bürde gelitten habe,bis Alwina sie von derselben befreite. Die Jungfrau schlug bei dem Lobe der Alten die Augen nieder und erröthete,was dem Grafen und seiner Gemahlin gar wohl gefiel und auch der junge Graf richtete sein feuriges Augenpaar auf das schöne Mädchen.

Endlich war das Mahl bereitet, die Tafel gedeckt und man setzte sich zu Tische. Wie sehr sich Alwinag auch sträubte, so mußte sie doch den Wünschen der gräflichen Familie nachgeben und den Ehrenplatz oben am Tische einnehmen. Während des Mahles ergriff der Graf seinen Becher und trank auf das Wohl des holden Mägdleins,das ihm der Himmel unter sein Dach geführt. Sodann wagte er noch die bescheidene Frage nach dem Reiseziel der Jungfrau und ihrer Herkunft, worauf Alwina alles erzählte und kein Wörtchen verschwieg. Und als sie geendet hatte, sah sie plötzlich die ihr gegenübersitzende Alte sich in eine lichte Gestalt verwandeln und erkannte in derselben die Fee Murciane, wie sie dieselbe erblickt hatte, als sie den Gürtel um ihren schlanken Leib gelegt hatte. Die Fee erhob sich und ihre freundlichen braunen Augen ruhten auf der Jungfrau, indem sie sagt::

„Freundliches, dienstfertiges und liebes Mädchen! Du hast deine Probe gut bestanden. So wisse denn, die Spindel der guten Königin Bertha, welche du suchst, befindet sich in den Händen meiner lieben Freundin, welche neben mir sitzt, der ich dieselbe in Verwahr gegeben.Sie ist von jetzt an dein Eigenthum und wird dir Glück und Segen bringen. Bleibe fromm, bescheiden, dienstfertig und wohlthätig und es wird dir wohl ergehen.“

Alwina stammelte Worte des Dankes und blickte die Fee voll Verehrung an. Dann aber sagte sie: „Mächtige und wohlthätige Fee, wollt Ihr mir nicht' auch sagen, wo meine unglücklichen Schwestern weilen, die vor mir die Spindel aufzusuchen gingen?“

„Hier hast du die Spindel,“ erwiderte die Fee, indem sie ihr eine kostbare Schachtel überreichte. „Berühre damit die beiden Mädchen, welche, seitdem sie meine Dienerinnen geworden, ihre Untugenden und Fehler ablegten.“

Kaum hatte die Fee dieses gesagt, als sie durch das offene Fenster verschwand.

In demselben Augenblicke aber öffnete sich die Thüre und herein traten gesenkten Hauptes Tannenbabeli und Türkentrudeli. Alwina eilte ihnen entgegen, nahm die Spindel aus der Schachtel und berührte die Waldjungfern damit. Da fielen die Blätter und Nadeln von Tannenbabeli und das Türkenstroh von Türkentrudeli und Hildegunde und Theudelinde stunden da, in ihren Hofkleidern.Sie wollteü vor Alwina auf die Knie sinken, um ihr zu danken, aber sie ließ es nicht zu und begehrte nur einen schwesterlichen Kuß von ihnen. Denn setzte sich die ganze Gesellschaft wieder zu Tische und freute sich, bis der Mond sein mildes Licht über die dunkeln Wälder hinein in den Saal goß.

Aber nach drei Wochen ward am Hofe König Konrad's,der inzwischen klugerweise beide feindliche Heere zum Kampfe unter sich selbst zu bringen gewußt hatte, ein großes Fest gefeiert. Der junge Graf von Romont hielt nämlich an diesem Tage Hochzeit mit Alwina. Der König hatte vor Freude über die wiedergefundene Spindel dem glücklichen Paare diese Feier bereitet und Großmutter Euphrosyne, sowie Hildegunde und Theudelinde befanden sich mit unter den Eingeladenen. Und es herrschte an diesem Tage große Freude und lauter Jubel am Hofe.

Alwina und ihr Gemahl lebten glücklich bis an ihr seliges Ende. Die Spindel brachte ihnen Glück und Segen und erbte sich von Kind zu Kind. Sie ist noch heute in Peterlingen, Romont oder am Murtensee zu finden, wenn sie nicht seither verloren gegangen ist.Berenice.

Es war einmal eine sehr schöne Jungfrau und die hieß Berenice. Sie hatte goldene Haare und blaue Augen,ihre Haut war weiß wie Schnee, ihr Mündchen roth wie eine Kirsche und ihre Zähne glänzten wie Elfenbein. Und ihre Gestalt war so fein, daß alle Schneider sich über die Ehre stritten, ihr ein Kleid nähen zu dürfen. Sie war das einzige Kind ihrer Eltern und diese liebten sie mehr denn ihren Augapfel und gewährten ihr jeden Wunsch.Aber diese Schwäche verursachte ihnen auch gar manchen Verdruß, wie dieß noch am heutigen Tage vielen schwachen Eltern geschieht. Das Tochterlein wurde bald recht eigensinnig und muthwillig und wenn man ihr nicht jede Bitte sogleich gewähren wollte, stampfte sie mit dem kleinen niedlichen Füßchen auf die Diele und ihre schönen Aeuglein füllten sich mit Thränen. Das dauerte dann die guten Eltern und sie bewilligten dem Trotzköpfchen sofort jede Bitte.

Sie wohnten hoch auf einem sonnigen Berge am schönen Lemanersee. Und wenn am frühen Morgen die Sonne hinter den Gebirgen im Osten auftauchte und mit ihrem Golde die dunkeln hohen Berge anhauchte und den See, dann eilte Berenice fröhlich von ihrem Lager und freute sich der schimmernden majestätischen Landschaft,deren Bild ihr aus dem klaren Spiegel des See's entgegenschaute. Und wenn sich die Winde erhoben und den blauen See aus seiner Ruhe schreckten, daß er vor Zorn schäumte und häuserhohe Wellen warf, welche die kalten felsigen Ufer des Savoyerlandes peitschten, dann blickte sie voll Erstaunen diesem wilden Campfe der Elemente zu und freute sich, ihn hoch oben vom Berge betrachten zu können. Oder wenn am Abend das weinbekränzte Ufer der schönen Waadt mit seinen weißen Mauern erst glühte und dann in blauen Duft versank, dann wünschte sie wohl, einmal durch dieses Land zu wandern bis dahin,wo die Sonne allabendlich niedersinkt zur Ruhe. Wenn sie so den Eindrücken der großen Natur ihrer Heimat sich hingab, dann wurde sie récht mild und weich gestimmt und jede Spur von Eigensinn und Trotz war aus ihrem Herzen verschwunden. Denn sie hatte ein zartes Gemüth und nur die Nachgiebigkeit der guten Eltern hatte in demselben Unkraut aufkommen lassen.

Gar oft wandelte sie auch zur Sommerszeit durch die grünenden Reben hinab an das milde Ufer des See's zu ihrer Pathin, der Fee Clarence. Die besaß ein sehr glänzendes Haus und einen Garten, in dem Citronen,Feigen und andere süße Früchte wuchsen. Von diesen Früchten durfte Berenice nach Herzenslust pflücken und genießen oder ihren Eltern nach Hause bringen. Hinten im Garten aber befand sich ein von einer hohen Mauer eingeschlossener Raum und in der Mauer waren drei eiserne Thüren angebracht. Die Schlüssel zu den drei Thüren bewahrte die Fee in einer fest geschlossenen, eisernen Truhe auf und Niemand außer ihr hatte je den Raum betreten, und wußte was darin zu sehen war.

Fee Clarence besaß auch einen Sohn sehr unansehnlicher Gestalt und er hieß deßhalb Modestus. Er war um einige Jahre älter als Berenice und da er das Mägdlein zur Jungfrau aufblühen sah, keimte in ihm allmälig eine süße Neigung. Bald aber war das Fünklein zur hellen Flamme angefacht und wenn Berenice dem Verliebten nur ein freundliches Wörtlein gönnte, so hätte er vor Freude Purzelbäume schlagen mögen. Er war jedoch sehr schüchtern und wagte kein Sterbenswörtchen von seinem Herzenszustande zu sagen, weder zu dem Gegenstande seiner Flammen noch zu seiner Mutter. Diese erkannte denselben erst nach längerer Zeit, als bereits die blassen Wangen und schmachtenden Augen ihres Söhnleins ihn verriethen. Sie drang hierauf so lange in ihren Sohn, bis er beichtete und dadurch seinem Herzen Erleichterung verschaffte, sowie einige 324*

Hoffnungstropfen einflößte. Die Fee aber fühlte großes Mitleid mit dem kranken Herzen ihres Sohnes und gelobte sich, dasselbe zu heilen. Sie wählte hiezu den einfachsten Weg und spürte auf feine Weise nach, ob nicht in dem Herzen der Jungfrau eine entfernte Neigung zu ihrem Sohne zu entdecken sei. Aber sie vermochte nicht das geringste Fünklein zu finden und entwarf deßhalb einen oft schon von Müttern und Pathen zu Eroberung eines Herzens ausgeführten Feldzugsplan und führte ihn auch aus. Wenn die schöne Berenice auf Besuch kam, so wußte die Fee es nämlich so einzurichten, daß sie stets unter irgend einem Vorwande sich entfernen mußte und die Beiden allein blieben. Auch beschenkte sie ihr Päthchen öfter mit allerlei kostbaren Dingen, veranstaltete Lustfahrten auf dem See bei sanftem Mondenscheine oder Bergfahrten in die hohen Thäler und auf die aussichtreichen Spitzen rings herum. Kurz, sie gab sich alle Mühe, wie eine Mutter es nur vermag, welche um das Glück ihres Kindes besorgt ist. Aber alle ihre Mittel fruchteten nichts; das muthwillige und eigensinnige Trotzköpfchen Berenice schien ihrer Anstrengungen zu spotten und weder die mütterlichen Zureden, noch die schmachtenden Blicke des Sohnes zu beachten. Sie freute sich zwar der freien Bewegung und ihr Gesichtchen strahlte vor Lust, wenn sie bei den Seefahrten in den klaren Spiegel des See's blicken konnte oder von der Höhe des Jaman in das Gewirre der eis bedeckten Alpenspitzen und fernhin in die blauen Hügel Frankreichs; doch kam kein anderes Gefühl in ihr Herz als das der Bewunderung und Liebe für ihre schöne Heimat.

Darob erzürnte Fee Clarence und vermeinte in ihrer blinden Mutterliebe, Päthchen Berenice verschließe ihr Herz absichtlich vor den Pfeilen Amors. Sie beschloß, das Päthchen für seine Kälte zu bestrafen, und schwur feierlich sie in keines andern Mannes Armen zu sehen, als in denen ihres Sohnes, den sie seiner Liebesleiden wegen jetzt noch um so zärtlicher liebte. Sie sagte also eines schönen Tages, als sie auf Besuch kam, zu ihr: „Liebe Pathe, du bist eben recht gekommen. Ich wünsche endlich einmal der Einladung meiner Freundin, Fee Schwarzkopf, Folge zu leisten und ihr meinen Sohn vorzustellen,dessen Pathin sie ist. Mittlerweile wirst du meine Wirthschaft führen, zu welchem Zwecke ich dir hiemit alle meine Schlüssel übergebe. Schalte und walte nach Belieben;öffne auch jeden Morgen die Wohngemächer, um frische Luft hereinzulassen, doch öffne ja nicht die eiserne Truhe in meinem Schlafzimmer, denn das würde dir zum Unglücke gereichen.“Pathchen Berenice versprach alles wohl zu besorgen und niemals die Truhe zu öffnen, worauf die Fee sich mit ihrem Sohne in einen Wagen setzte, der von zwölf xosenrothen Mauleseln gezogen wurde. Dann fuhr sie 26 wie der Blitz von dannen und war im Augenblicke den Augen des Pathchen entschwunden.

Das Pathchen empfand anfangs große Langweile; im Hause befand sich nämlich kein lebendes Wesen außer einer lahmen schwarzen Katze, welche den ganzen Tag auf dem Dache lag und umherspähte, und einem blinden weißen Hunde, der sich vor der Thüre sonnte oder umherspürte,wenn sich Jemand dem Hause näherte. Doch bald kehrte ihre Fröhlichkeit zurück und sie begann sich die Zeit auf angenehme Weise zu vertreiben, indem sie die Wohnzimmer lüftete und dann im Garten spazierte und die Blumen betrachtete. So näherte sie sich unbemerkt den drei eisernen Thüren. Bis jetzt hatte sie niemals die geringste Neugier geplagt, zu wissen, was hinter diesen Thüren verborgen sei, nun aber in der Einsamkeit erwachte der Gedanke in ihr das Geheimniß zu erforschen. Sie erinnerte sich jedoch,daß sie keinen Schlüssel zu diesen Thüren besitze, und wendete sich um zu den Blumen, bis es Abend ward und sie zur Ruhe sich legte.

Am folgenden Tage empfand sie wieder Langweile.Da fiel ihr ein, einmal auch die übrigen Räume des Hauses genau zu untersuchen, da sie dieselben nur zum kleinsten Theil gesehen hatte. Sie nahm demnach die Schlüssel und schloß ein Zimmer nach dem andern auf.Alle aber waren leer und das verdroß das Pathchen so sehr, daß sie die Schlüssel im Wohnzimmer der Fee in eine Ecke warf. Sie fielen gerade klirrend auf die eiserne Truhe und Berenice erblickte dieselbe erst jetzt. Plötzlich erwachte die Neugier in ihr, zu wissen, was wohl in der Truhe verschlossen sein möchte; doch erinnerte sie sich rechtzeitig des Verbotes der Pathin und eilte aus dem Zimmer in den Garten bis es Abend ward und sie zur Ruhe sich legte.

Doch als sie des folgenden Tages wieder Langeweile empfand und in das Zimmer der Fee kam, da konnte sie dem brennenden Verlangen nicht mehr widerstehen. Sie versuchte mit einem Schlüssel nach dem andern die Truhe zu öffnen, bis es ihr gelang. Da lagen denn in der Truhe drei goldene Schlüssel und es fiel der schönen Berenice sofort ein, es möchten dieselben zu Oeffnung der verschlossenen Thüren im Garten bestimmt sein. Sie eilte hinunter in den Garten und öffnete wie sie erwartet eine Thüre nach der andern. Als sie aber den letzten Schlüssel drehte, begann die lahme Katze auf dem Dache entsetzlich zu miauen und der blinde Hund heulte so schredlich,daß es in den Bergen wiederhallte. Denn Katze und Hund waren die Wächter des Gartens, welche scharf auf Alles Acht gaben. Kaum hatten sie ihre Stimmen erhoben, so sauste und schwirrte es in den Lüften und die Fee mit ihrem rosenrothen Zwölfgespann senkte sich herab und stieg vor der Thüre ihres Hauses aus der Kutsche.Berenice stund erschrocken vor den geöffneten Pforten und wagte wie einst Eva im Paradiese nicht die Augen aufzuschlagen, so sehr erfüllten sie Scham und Reue.

Fee Clarence schien höchst erzurnt, im Geheimen aber war sie höchst erfreut, das widerspenstige Vögelchen im eigenen Garne gefangen zu haben. „Böses, trotziges Kind,“ sagte sie und ihre Augen blitzten wie Demanten,„du hast dich meiner Liebe unwerth gemacht. Du hast den Garten meiner Freundin Schwarzkopf geöffnet, den sie nur alle drei Monate besucht, und bist deßhalb in ihre Gewalt gefallen. Sieh', da kommt sie auch schon, um dich abzuholen auf ihren schwarzen Berg, auf dem du nun Zeit hast über deine Vergangenheit und Zukunft nachzudenken.“Eben hielt Fee Schwarzkopf vor dem Hause mit ihrem Wagen, welcher von zwölf Lämmergeiern gezogen wurde.Sie war schrecklich anzuschauen, so daß Berenice bei ihrem Anblicke vor Entsetzen in Ohnmacht sank. Ihr Kopf sah gerade aus wie eine mit Tannen halb bewachsene Felspartie und ihr Haar glich einem Brombeergebüsch. „Süßes Täubchen,“ sagte sie mit einer tiefen Baßstimme, die wie ferner Lawinendonner klang, zu der wieder erwachten Jungfrau, „süßes Täubchen, freue dich mit mir in mein Besitzthum zu kommen, welches sich nach meinem Namen Schwarzkopf nennt oder Tôte noire und zunächst den höchsten Gebirgen unseres Welttheiles liegt. Es ist freilich einsam da oben und man sieht nichts als dunkle Felsen, Schluch ten und Wälder, hört auch keine Vöglein singen, aber man hat dabei Zeit, sich religiösen Betrachtungen zu widmen. Ich zweisle auch durchaus nicht daran, es werde dir bei mir recht sehr gefallen, so daß du bald keinen liebern Aufenthalt wählen wirst.“

Der Kutscher der Fee, ein zottiger schwarzer Bär,öffnete bei diesen Worten den Kutschenschlag und winkte Berenicen einzusteigen, welchem Winke sie auch unter Beben und Zittern gehorchte. Fee Schwarzkopf aber wandte sich gegen ihre Freundin, grinste freundlich und verneigte sich:„Liebe Freundin, ich werde mich bestreben, Ihrem sfüßen Pathchen recht viel Vergnügen zu verschaffen und nach vollbrachter Lehr und Prüfungszeit sie wohlgebildet wieder aus meiner Pension in Ihre Arme zu geleiten.“ Darauf zwinkerte sie bedeutungsvoll mit den Augen, setzte sich alsdann in die Kutsche, die Lämmergeier breiteten ihre gewaltigen Flügel aus und das Gespann flog durch die Lüfte davon.Von ihrem Sitze blickte Berenice sehnsüchtig aus nach dem Hause ihrer lieben Eltern, das sie bald, hinter Obstbäumen geborgen, entdeckte. Sie sah auch hinunter in das fruchtreiche Rhonethal mit seinen Reben und Kastanienwäldern und auf die schnee- und eisbedeckten Gebirge zur Rechten und Linken. Sie flogen dem rauschenden Avençon entgegen über die einsamen Höhen des Möveran und der Dent de Morcles, bis sie endlich das noch einsamere Be sitzthum der Fee Schwarzkopf erreichten. Berenice vergoß Thränen bei'm Anblicke der trostlosen Einöde, in der nur kahle Felsen, dunkle Abgründe und eisige Bergspitzen zu schauen waren. O wie gerne wäre sie jetzt zu ihren Eltern oder zu ihrer Pathin zurückgekehrt und wie sehr bereute sie nun erst recht, die eiserne Truhe geöffnet zu haben!Aber die Klagen und die Reue waren jetzt umsonst. Ein ganz neues Leben begann nunmehr für die Büßerin. Fee Schwarzkopf hatte einen ganz eigenthümlichen Erziehungsplan für Berenice entworfen, dessen Vorschriften streng nachgelebt werden sollte. Statt Arien zu singen, mußte das Pathchen nun Mehlsuppe kochen; statt Astronomie zu lernen, Strümpfe stricken und ausbessern, statt Metrik und Literaturgeschichte auswendig zu lernen und über Racine und Göthe abzusprechen, die Lämmergeier, Bären,Dohlen und andere Thiere der Fee füttern und statt in die Tanzstunde oder in's Theater zu gehen, mußte sie die Oefen heizen, denn es war grimmig kalt da oben. Bei dieser neuen praktischen Lebensweise blieb sie gesund, bescheiden und heiter zufrieden und gewann auch recht bald das Zutrauen und die Zufriedenheit der Fee Schwarzkopf.

Die Fee sah mit Befriedigung das gute Resultat ihrer Methode und gab ihrer Freundin recht bald davon Kenntniß. Clarence freute sich zu vernehmen, das Köpfchen ihres Pathchen beginne von romantischen Ideen gesäubert zu werden. Sie beschloß einen neuen Angriff auf ihr Herz zu machen in der Hoffnung, dasselbe werde bei der Ueberlegenheit des Kopfes nun nicht wieder davonlaufen.Sie verwandelte demnach durch einen einfachen Zauberspruch ihr Söhnchen in einen reichen und wohlgestalteten Seiden- und Baumwollspinner und ließ ihn in dieser Gestalt einen Besuch bei Freundin Schwarzkopf machen. Anfangs gelang es ihm auch bei Fräulein Berenice, wie es ihm schien, einigen Eindruck zu machen; in der weitern Unterhaltung glaubte er jedoch vom gemeinen Volke etwas verächtlich reden zu müssen und zog sich gerade dadurch die Verachtung des Fräuleins zu, die als Verehrerin Rousseau's und Eugen Sue's stets für die Gleichheit und Volkssouveränität geschwärmt hatte. Er sah sich dann nach einigen fernern kleinen Wortscharmützeln in Kurzem genöthigt, den Rückzug anzutreten, doch nicht ohne die feste Absicht, bald mit einem wohlüberlegten Schlachtplan wieder in's Feld zu rücken.Fee Clarence ward höchst mißmuthig bei der Kunde dieser verfehlten Attaque und machte ihrem Söhnchen bittere Vorwürfe über die Unbedachtsamkeit, einem jungen Frauenzimmer gegenüber aristokratische Gesinnungen zu äußern.Sie kombinirte nun einen neuen Plan, zufolge welchem Herr Modestus als demokratischer Wühlhuber das jungfräuliche Herz zu belagern bestimmt war. Er machte sich auch bald auf den Weg mit allen Attributen und Accesso rien eines solchen ausgestattet und langte wohlbehalten im Hauptquartier der Fee Schwarzkopf an, welche ihn außerordentlich zuvorkommend empfing. Sein Aeußeres sowohl wie nicht minder seine freien und etwas derben geselligen Formen und seine Gesinnung verfehlten nicht auf Berenice den besten Eindruck zu machen und der Wühlhuber Modestus sah sich bereits am Ziele seiner Anstrengungen. In dieser halben Siegesfreude glaubte er, noch einen letzten Trumpf ausspielen zu müssen und brach gelegentlich eines politischen Gespräches über die Savoyerfrage in so heftigen Ausdrücken gegen die Baumwollspinner los und verlangte gleich Marat die Vertilgung dieser Vaterlandsfeinde und Verräther, daß Berenice durch solche Heftigkeit und solchen Blutdurst erschreckt aufftund und dem baumwollendürstenden Anbeter entfloh. Modestus sah sofort ein, wie schlecht er seine Rolle gespielt und sich durch Uebertreibung geschadet habe,und da ihm keine Aussicht blieb in der Gestalt eines Jakobiners irgend welchen Erfolg zu erringen, so schnürte er sein Bündel und verließ das unwirthliche Quartier der Fee, nicht ohne einige Furcht vor dem Unwillen seiner geliebten Mutter.

In der That konnte Fee Clarence ihren Zorn über die Ungeschicklichkeit ihres Sohnes kaum bemeistern. Sie schalt ihn zwar nicht, aber sie ertheilte ihm weise Räthe,wie man stets Maß halten und überall die richtige Mitte zu treffen suchen müsse, und andere vortreffliche Lehren mehr. Da sie als feine Menschenkennerin die Nutzlosigkeit ihres bisherigen Angriffsplanes wohl einsah und nicht von neuem die Stärke des operirenden Theiles überschätzen mochte, so änderte sie ihren Plan, um ganz sicher zu dem gewünschten Ziele zu gelangen. Sie verwandelte ihren Sohn in einen modernen Minnesänger, indem sie auf die Macht des Liedes vertraute, das schon von Anfang der Welt Triumphe über zarte Frauenherzen feierte. Auch äußerlich stattete sie ihn mit allen Reizen eines ritterlichen Sängers aus, wie sie vormals namentlich in unserm schönen Vaterlande von Schloß zu Schloß zogen, um süße Minne zu gewinnen. So trefflich ausgerüstet begab sich Modestus als fahrender Liebhaber auf den Weg und langte nach zwei Tagen glücklich auf Této noire an.

Die Fee, seine Mutter, hatte nicht unterlassen, ihm ganz besondere Verhaltungsmaßregeln zu ertheilen. In Beobachtung derselben bat er nach seiner Ankunft als liebenswürdiger fahrender Sänger die Fee und Berenice auf einige Tage um ein stilles Plätzchen, damit er von seinen langen Fahrten und erlittenem schwerem Herzeleid sich zu erholen vermöge. Die Bitte wurde mit Vergnügen gewährt und in Berenicens Busen regte sich bereits tiefes Mitgefühl für den blassen und schwergeprüften Sänger.Dieses Mitgefühl steigerte sich im Laufe der Unterhaltung immer mehr und als Modestus gar auf Andringen der

Fee seine harten Schicksale erzählte, eine Erfindung seiner Mutter, da ward Berenice bis zu Thränen gerührt und selbst die Fee zerdrückte mehrere dicke Tropfen auf ihren gelben Wangen. Modestus benutzte diesen glücklichen Augenblick und lud das Fräulein ein, sich mit ihm auf die Bank vor dem Hause zu setzen, um an den bald hinter den Bergen aufsteigenden Mond ein zartes Lied zu singen.Sie folgte willig der Einladung und während Fee Schwarzkopf eine Erbssuppe kochte und Käse zum Braten bereit machte, hörte sie draußen den schmachtenden Lauten der Mandoline und des fahrenden Sängers zu, welche tiefe Sehnsucht nach dem milden Lichte des lieben Mondes athmeten. Berenice ward tief gerührt und von einer unbekannten Empfindung ergriffen, die mehr als Mitgefühl war. Und als nun gar der liebe Mond hinter den finstern Gebirgswänden emportauchte, da kam eine so weiche Empfindung über sie, daß sie wünschte, in Mondschein zerfließen zu können. Gleichzeitig stimmte Modestus ein noch viel zarteres und schmachtenderes Lied an, durch dessen Eindruck sie gänzlich überwältigt wurde. Modestus fürchtete bereits, sie wirklich in Mondschein zerfließen zu sehen, legte deßhalb seine Mandoline bei Seite und hielt das Fräulein fest in seinen Armen, bis die Gefahr vorüber war.Der geneigte Leser wird leicht begreifen, daß hierauf Fräulein Bexenice ihr Jawort gab und das glückliche Paar wieder wohlbehalten auf dem Landgute der Mutter und Pathin anlangte, welche über ihre Kenntniß des Werthes der Kunst sich höchst befriedigt füuhlte. Das Paar gründete sodann gestützt auf die gemachten Erfahrungen eine Pension für Töchter des gebildeten Mittelstandes und machte sehr gute Geschäfte. Und wenn Beide nicht seither gestorben sind, so leben sie noch.UÜlrich von Pltigen.

Es war einmal ein sehr reicher und mächtiger Graf,der hieß Kuno und wohnte auf der Burg Oltigen. Die Burg aber lag auf einem hohen und steilen Felsabhange im Uechtlande und unten am Fuße desselben wälzte die Aare ihre Fluthen landab dem Rheine zu. Die Burg schaute gen Süden und ihr gegenüber öffnete sich auf dem linken Ufer der Aare ein einsames und wildromantisches Thal. Man konnte dasselbe vom Felsen aus beinahe fünf Stunden in der Länge überblicken. Mitten durch das Thal floß und fließt noch heute ein Fluß, bei trockener Witterung kleiner als die Aare, bei regnerischer aber größer und wilder,ein ungestümes Gebirgskind. An hellen Tagen glänzt die Saane, so heißt der Fluß, von Weitem wie ein Silberband,das weit hinten aus dem blauen Duft der Berge sich hervor schlängelt zu den grünen, sanften Abhängen und zerrissenen,waldbewachsenen Felsen. Gerade gegenüber der Burg stürzt sich die Saane in die Aare, wie eine ungestüm liebende Braut in die Arme des Bräutigams.

Aber das Brautgemach ist öde und traurig, ja schauerlich und das Brautbett mit Felsgestein und Gebüsch weithin bewachsen. Kein anderer Ausblick ist dem Menschen hier vergönnt, als der auf das Saanethal,so enge schließen die rauhen Felsen diesen Winkel zusammen.Die Geschichte der Oltiger verliert sich weit hinauf in das Dunkel der Vorzeit und man weiß aus früherer Zeit nur von ihren großen Besitzungen an der Saane, Aare und den Juraseen. Auch ist durchaus unbekannt, aus welchem Grunde der Stammherr seine Burg gerade in dem ödesten und unbevölkertsten Winkel seiner Lande erbaute.Soviel aber auch die Geschichtsklitterer über die Feststellung des Stammbaums der Oltiger sich noch bemühen mögen,so bleibt die Existenz unseres Grafen Kuno im zehnten Säkulum unserer Zeitrechnung sicher. Auch scheinen die Oltiger sich auf ihrem Stammsitze gar wohl befunden zu haben, da sie fort und fort an Macht und Ansehen wuchsen und die Burg stets bewohnt war, bis der Zahn der Zeit sie ebenfalls heimsuchte, das heißt, bis nach dem Beispiele anderer Unterthanen die Herrschaftsleute von Oltigen im Anfange des fünfzehnten Jahrhunderts die Burg belagerten,verbrannten und zerstörten und ihren Herrn, Hugo von Mömpelgard, sogar todtschlugen.

Graf Kuno von Oltigen hatte zwei Söhne, von welchen der ältere Buko hieß, der jüngere Ulrich. Beide waren sehr verschieden in ihren Anlagen und Neigungen. Buko liebte zu Hause zu bleiben und Tage lang zu beten oder dem Wellenspiel zu Füßen des Schlosses zuzusehen. Ulrich schweifte dagegen gerne im Freien herum, erstieg den Felskegel und freute sich, weit hinaus über die dunkeln Wälder und Berge noch höhere zu erblicken. Sein muthiges und frisches Herz sehnte sich weg von der öden väterlichen Burg. Dabei übte er sich fleißig in den Waffen und hörte gerne Abenteuer und Heldenthaten erzählen.

Nun geschah es, wie es oft zu geschehen pflegt, wenn ein unerfüllter Wunsch uns schmerzt. Es kam nach Schloß Oltigen die Kunde von einem greulichen Lindwurm und von den Verwüstungen und dem vielen durch ihn angerichteten Unglücke. Dieser Lindwurm hauste nicht weit von der Burg am jenseitigen Ufer der Saane. Ulrich hörte von der Noth der Leute und sein mitleidiges Herz flößte ihm den Gedanken ein, ihr Retter zu werden. Und da er seinem Vater, Herrn Kuno, seinen Entschluß mittheilte, segnete ihn dieser um seines löblichen Vorsatzes willen und schenkte ihm ein gutes Schwert sammt Lanze und Schild zum Kampfe mit dem Lindwurm. Beim Abschiede gab er ihm noch manchen guten Rath und erbat den Segen des Himmels auf sein Haupt.

So zog denn der junge Ulrich wohlgemuth aus zur Bekämpfung des Lindwurms, während Buko in seinem I

Kämmerlein für ihn betete und weinte. Ulrich's blaue Augen strahlten vor Erwartung und Freude, sein blondes Haar flatterte im Winde und sein um die schlanken Hüften gegürtetes Schwert klirrte in der Scheide. Er trug auf dem Kopfe eine große Pelzmütze, ein grobes wollenes Wamms und wollene Hosen und seine Beine stacken in dicken schweren Stiefeln. Er mußte einen ziemlich weiten Weg zurücklegen,bis er zu einer Fähre gelangte, um über den Fluß setzen zu können. Vom Fährmann aber erfuhr er genau den Aufenthalt des greulichen Lindwurms und eilte sofort ihn dort aufzusuchen. In einer Waldschlucht angekommen, hörte er das Zischen und Speien des Ungethüms, das bei seiner Annäherung sich wuthentbrannt gegen ihn wendete, um ihn zu verschlingen. Ulrich streckte ihm jedoch unerschrockenen Sinnes und festen Armes seine starke Lanze entgegen und bohrte ihm dieselbe fest in den Unterkiefer. Und während er noch mit der Linken den Schaft der Lanze festhielt trotz den verzweifelten Windungen des Wurms, riß er mit der Rechten sein gutes Schwert aus der Scheide und hieb ihm mit einem kräftigen Schlage den Kopf ab. Da lag denn das Ungethüm besiegt am Boden und sein Blut röthete das grüne Moos des Waldes. Ulrich reinigte aber Schwert und Lanze vom Blute und eilte sodann fürbas.

Er war noch nicht am Ausgange der Schlucht angelangt,als plötzlich eine hochgewachsene Frau vor ihm stund und ihn freundlichen Blickes also anredete:

„Tapferer Jüngling! Du hast mich und meine Leute von einer großen Angst befreit. Denn wisse, der Wurm,den du getödtet hast, ist von der Fee Nugerol, die drüben im Moorland herrscht und unsere Feindin ist, hergesandt worden, uns zu beunruhigen und zu schaden. Empfange denn meinen herzlichsten Dank für deine kühne That und nimm hier ein kleines Angedenken, das dir zum Vergnügen und zum Nutzen gereichen wird.“

Bei diesen Worten überreichte sie ihm einen kleinen goldenen Becher und ein kleines irdenes Krüglein und fügte dann folgende Worte bei:

„In diesem Krüglein befindet sich der edle Saft von Trauben, die ich auf meinem Weiler nahe eurer Burg Oltigen selbst gepflanzt und gepflegt habe. Der Wein ist freilich nicht so suß und feurig, wie der drüben von den blauen Kalkbergen des Jura; er ist so gut, wie er eben in unserer Wildniß gedeihen mag. Er besitzt aber dafür drei besondere Eigenschaften, die ihn jedem Menschenkinde werth zu machen geeignet sind. Solange nämlich noch ein Tröpflein im Krüglein übrig bleibt, so füllt sich dasselbe von selbst wieder zu und du wirst in diesem Falle dann stets ein volles Krüglein zu deiner Erquickung bei dir finden. Sodann besitzt er die Tugend der Heilkraft für jedes Uebel und selbst für dasjenige der Verzauberung durch die böse Macht der Fee Nugerol, der Herrscherin über das Wassergebiet. Endlich verleiht die Kraft dieses Weines Jedem, der mit der Fee in Kampf geräth, besondern Muth und besondere Stärke und hilft ihm jedes Ungemach leichter ertragen. Doch darfst du den Wein nie aus einem andern Gefäße trinken, als aus dem goldenen Becherlein, so du sorgfältig aufbewahren und hüten mußt, da mit ihm auch die Kraft des Weines verloren ginge. Nun aber behüte dich Gott, mein edler Jüngling, und gedenke oft der Frau Marfela.“

Mit diesen Worten war die dankbare Frau Marfela im Dickicht der Waldschlucht verschwunden und Ulrich befand sich allein. Und da er ordentlich Durst verspürte, dieweil die Tödtung des Lindwurms kein leichtes Stück Arbeit gewesen war, so öffnete er das Krüglein und schenkte sich ein Becherlein Traubensaft ein und trank es aus. Er mußte ihm auch wohl geschmeckt haben, denn er sagte zu sich selbst: „Dieser Wein vom Weiler zu Oltigen ist gar nicht zu verachten.“Auch schenkte er sich noch ein zweites Becherlein ein und da er noch immer Durst verspürte, sogar ein drittes, bis der Wein fast alle war. Da erinnerte er sich aber der Mahnung der Frau Marfela, stets ein Tröpflein im Krüglein übrig zu lassen, schlug den Stöpsel in's Krüglein und verbarg dasselbe sammt dem Becherlein in seinem Wamms. Sodann machte er sich wieder auf den Weg nach der Fähre, allwo er nach einem stundenlangen Marsche wieder anlangte und während der Ueberfahrt den Fährmann über das Moorland und die Fee Nugerol befragte. Der Fährmann gab ihm auch bereitwillige Auskunft, schilderte ihm aber die Gefahren und die Schrecknisse im Moorland mit so grellen Farben, sowie die namentlich zut Sommerszeit böse und heimtückische Gesinnung der Fee Nugerol, daß Ulrich dadurch und durch die Kraft · des genossenen Weines ordentlich Muth und Lust bekam zu Bestehung weiterer Gefahren und Abenteuer. Und obwohl ihm der Fährmann beim Abschiede die eindringlichsten Vorstellungen machte und ihn ernstlich warnte vor der Reise in's Moorland, so blieb doch alles Zureden unnütz und Ulrich stieg muthigen Blickes bergauf gegen das Moorland.Der Fährmann aber beklagte den unglücklichen schönen Jüungling, der nach seiner Meinung dem Unglücke wie man sagt geradezu in den Rachen rannte.

Ulrich wanderte den Rest des Tages durch Wald und DD den Aarstrom erblickte und bald darauf einen zweiten, der seine trübe Flut in jenen stürzte. Auf der Landspitze zwischen beiden aber erblickte er ein kleines Häuschen, umgeben von prächtigen Maiblumen und umkreisst von schmetternden Lerchen. Ihn dünkte dieser kleine blumige Winkel inmitten der öden und sumpfigen Gegend das Paradies zu sein und die Hoffnung auf ein kühles Lager auf diesem Plätzchen stieg in ihm auf. Er war auch kaum am Ufer des Flusses angekommen, als am jenseitigen ein heiner dicker Fährmann einen Nachen losband und den Jüngling nach dem maiigen Winkel geleitete, allwo er nach einem leckern

Fischmahle sich auf sein Lager warf und von den Anstrengungen und Beschwerden des Tages ausruhte.

Als der junge Tag an den Himmel stieß, stund er bereits wieder reisefertig da, konnte aber zu seinem Schrecken das goldene Becherlein nicht sinden. Er sann hin und her, ob er es wohl möchte verloren haben, und erinnerte sich endlich beim Aussteigen aus dem Nachen mit einem starken Sprunge an's Land gelangt zu sein, bei welchem Sprunge das Becherlein vielleicht aus dem Wamms gefallen sein dürfte.So ergriff er denn die Thürklinke, um hinaus an das Ufer zu gehen und das verlorne Kleinod zu suchen. Doch umsonst,er vermochte die Thüre nicht zu öffnen; denn ein schwerer Körper stemmte sich von außen gegen dieselbe. Er war deßhalb genöthigt, zu einem kleinen Fensterlein hinaus zu kriechen und draußen angekommen, erblickte er zu seiner größten Verwunderung einen ungeheuren Frosch, größer denn eine Kuh, welcher sich mit seinem Hintertheil gegen die Thüre stemmte. Er war kaum desselben ansichtig geworden, D den Leib rannte. Der Frosch stieß ein herzzerreißendes Gequacke aus und gab hierauf sofort seinen Geist auf.Ulrich bemühte sich dann seine Lanze wieder aus dem Leibe des besiegten Gesellen herauszuziehen; da er jedoch bei diesem Bemühen mit der Lanzenspitze auf einen harten Gegenstand stieß, so zog er sein Schwert, schlitzte mit demselben den schneeweißen Bauch des Frosches auf und fand zu seinem größten Vergnügen darin wohlverwahrt sein goldenes Becherlein. Nachdem er dasselbe sorgfältig gereinigt, dann einen Morgentrunk daraus genommen und sich auch im Garten ein Sträußchen gepflückt hatte, setzte er seine Wanderung durch Moorland fort.

Er wanderte dem Laufe des trüben Flusses Ziehl entlang seinem Ziele zu und kam gegen Mittag an einen See, in welchen sich der Fluß stürzte. Nahe der Einmündung sah er mehrere Hütten stehen, welche beinahe einer Stadt glichen und offenbar Fischern angehören mußten, da verschiedene Fischköpfe ob den Thüren der Hütten sich angenagelt befanden.Doch war all' sein Klopfen an den Thüren vergebens, bis endlich beim letzten Hause ein altes Mütterchen öffnete und den Fremdling in das Haus treten hieß. Von ihr vernahm er, der See heiße Nugerol und sei sehr fischreich, worauf er um ein Gericht Fische bat, das ihm auch bald entgegen lachte. Sodann legte er sich zu einem Mittagsschläfchen auf ein hartes Lager von Moos und träumte von allerlei Abenteuern, von einer Schlacht mit Riesenfröschen und andern Ungeheuern und dergleichen seltsamen Dingen mehr. Als er erwachte, war es schon spät am Nachmittage und er rüstete sich deßhalb eiligst, seinen Fuß weiter zu setzen. Zu seinem nochmaligen Schrecken an diesem Tage fehlte ihm jedoch das irdene Krüglein und ob er sich auch lange besann,auf welche Weise er dasselbe verloren haben möchte, so konnte er doch auf keine richtige Spur gerathen und dachte schon daran, freilich mit schmerzlichen Gefühlen, dieses kostbare Geschenk der Frau Marfela verlieren zu müssen. Doch während er noch betrübten Sinnes dastund, ward mit einem Male die Thüre geöffnet und eine kalbsgroße Gans stolzirte herein. Ihren Schnabel konnte sie jedoch nicht zu ihrem gewohnten lieblichen Gesange gebrauchen, da er in dem irdenen Krüglein Ulrichs stack und fest eingeklemmt war.Ohne Zweifel hatte die Edle auch gleich Ulrich Durst verspürt und in der Hitze ihres Verlangens nicht vor Entkorkung des Krügleins den Durchmesser der Oeffnung desselben gemessen und war so beim hastigen Niedertauchen ihres Schnabels in die Tiefe in diese fatale Lage gekommen.Aus derselben sowie zugleich aus ihrem zeitlichen Dasein erlöste sie nun Ulrich durch einen kräftigen Streich mit seinem Schwerte, durch welchen das Krüglein sammt ihrem Kopf und Hals vom Rumpfe fiel. Doch konnte er nur mit größter Mühe das Instrument ihrer Neugier aus dem Krüglein ziehen, worauf er dasselbe verschloß, den Rumpf der Gans auf seinen Rücken lud als Vorrath zum Abendessen und sodann dem Ufer des Sees entlang wanderte.

Fee Nugerol schien jedoch nicht gewillt unsern Helden so leichten Kaufes auf ihrem Gebiete weiter gelangen zu lassen. Sie versammelte über ihrem Wasserreiche ein großes Wolkenheer, das den Tag in Nacht verwandelte, und sandte einen strömenden Regen über das Ufer des See's. Ulrich ward dadurch bis auf die Haut durchnäßt und sah sich genöthigt, oftmals bis an die Knie im Wasser zu waten.Es bedurfte all' seines Muthes und all' seiner Begierde nach Abenteuern, um nicht vor den entsetzlichen Wasserströmen zurückzuweichen und den Rückzug anzutreten. Er blieb indessen standhaft und hatte die Genugthuung, seine Ausdauer endlich belohnt zu sehen. Der Himmel klärte sich wieder auf, seine Kleider begannen zu trocknen und gegen Abend erblickte er im Sonnenscheine den Thurm einer Burg. Da gewöhnlich in solchen Fällen, wenn uns ein lange ersehnter Gegenstand oder ein erwünschtes Ziel plötzlich vor Augen tritt, der Muth und die Kraft zu Erreichung desselben wachsen und auch Ulrich bei'm Anblicke des Thurmes nun Springfedern in seinen Gliedern zu spüren vermeinte, so gelangte er auch bald in die Nähe der Burg, welche auf einem Hügel am See Nugerol erbaut war. Kaum näherte er sich dem Eingange, als eine riesige Schlange mit einer goldenen Krone auf dem Kopfe auf ihn zueilte und ihre funkelnden Blicke auf seine Gestalt heftete. Im ersten Augenblicke überlief ein eisiger Schauer unsern Helden, als er die glühenden Augen des farbenschillernden schönen Thieres sah, aber im Nu stund er wieder gefaßt da und warf den Rumpf der Gans der Schlange entgegen; diese schien bei dem Anblicke des vor ihr liegenden kopflosen Körpers dermaßen erschrocken, daß sie eine halbe Wendung nach rechts machte, um auf einem Umwege ihr Opfer zu packen. Ulrich hatte nicht sobald diese Direktionsveränderung erblickt, als seine Geistesgegenwart ihn rasch sein Schwert aus der Scheide ziehen ließ, das er sofort mit aller Wucht schwang und glücklich die Schlange mitten entzwei schnitt. Im selben Momente aber erzitterte die Burg und der See Nugerol erhob gewaltige Wellen und schäumte und brüllte vor Zorn; auch zitterte der Boden so sehr unter Ulrich's Füßen, daß er umzusinken fürchtete. Bald aber erholte er sich, und nachdem er die goldene Krone der Schlange in sein Wamms gesteckt, näherte er sich dem Thore der Burg und stieg die Treppe hinauf in die Gemächer. Die waren prächtig anzuschauen und strotzten von Gold und Seide und feine Wohlgerüche dufteten ihm entgegen, wie er von solchen auf seines Vaters Burg nie Kenntniß gehabt hatte. Seine Verwunderung und sein Entzücken wuchsen mit jedem Schritte und er war bereits im Begriffe, seine Wanderung durch die Burg auf den folgenden Tag zu verschieben, als er an der nächsten Thüre ein lautes Kratzen hörte. Er öffnete deßhalb dieselbe in der Hoffnung, irgend einem menschlichen Wesen zu begegnen, erblickte jedoch in dem aufgeschlossenen Gemache nicht weniger als zwölf Hasen von verschiedenen Farben, von welchen der eine ganz besonders schlank und zierlich gebaut war und ein beinahe menschliches Gesicht hatte. Die Hasen stellten sich sofort flehentlichen Blickes um ihn herum und schienen um irgend eine Gunst bitten zu wollen, stießen auch ganz merkwürdige

Töne und ganze Silben aus, um sich verständlich zu machen.Da er jedoch die Thier- und insbesondere die Hasensprache nicht verstund, zumal die Theorie des Herrn Professor Karl Vogt in Genf von der Verwandtschaft des Menschen mit dem Thiere, respektive zunächst mit dem Affen, noch nicht die gelehrten Streithähne aller Zungen in Harnisch gebracht hatte, so konnte er bei'm besten Willen nichts für die armen Thiere thun. Er tröstete sich, des folgenden Tages Aufschlüsse zu erhalten über die merkwürdigen Bewohner dieser Burg, und begab sich sodann in eines der Gemächer, entkleidete sich und schlief einen langen und gerechten Schlaf,doch nicht ohne einen seltsamen Traum zu haben.

Er sah sich nämlich selbst als Besitzer der schönen Burg mit der Grafenkrone auf dem Haupte und ihm zur Seite saß seine wunderschöne Gemahlin und bat ihn, ihr aus dem Krüglein ein Becherlein Wein einzuschenken, was er auch that. Darauf sah er zwei muntere Knaben an seiner Seite, die wuchsen zu kräftigen und tapfern Rittern heran und beide trugen auf dem Haupte die Inful und in der Hand den Stab. Sodann erschien ihm wieder die väterliche Burg und sein Bruder Buko, umgeben von einer großen Zahl schöner Männer und Jünglinge in kriegerischer Rüstung und alle mit Grafenkronen auf den Häuptern oder auch mit der Inful und mit dem Stab in der Hand.

Die Sonne stund schon hoch am Himmel, als er endlich aus seinen Träumen erwachte. Er öffnete das Fenster D34 und es entfuhr ihm ein lauter Ausruf der Bewunderung,da er hinausblickte. Vor ihm lag nämlich der glitzernde Spiegel des See's Nugerol und mitten drin eine schöne grüne Insel; jenseits des See's aber erhob sich ein hohes Gebirge, dessen weiße Felsen im Sonnenschein glänzten.Rings um die Burg herum lagen grüne Matten und Wälder und fröhlicher Vögelsang scholl ihm entgegen. Wie ganz anders sah' es hier aus als daheim auf der väterlichen Burg im einsamen Aar- und Saanethale! Und wie ganz anders war ihm heute zu Muthe, denn gestern bei schwarz bedecktem Himmel und wogendem See! Jetzt lag der blaue Spiegel so glatt und glänzend vor ihm und drüber spannte sich das blaue Himmelszelt, daß ihm ordentlich das Herz im Leibe lachte ob diesem Anblicke und die helle Freude aus seinen Augen strahlte. Jetzt hätte er auch nimmer wieder heimkehren mögen und es däuchte ihn, er möchte ewig hier bleiben.

Nachdem er den Glanz der Landschaft genugsam bewundert, schritt er durch die Gemächer, um den zwölf Hasen einen Besuch abzustatten. Sobald er die Thüre ihres Gemaches geöffnet hatte, sprangen ihm die flinken Thiere freudig entgegen, und da er sich auf eine Bank gesetzt, kletterten sie an ihm hinauf und leckten ihm Hände und Gesicht. Nur die zierliche Häsin blieb mitten im Gemache scheu sitzen und blickte mit ihren großen Augen den Jüngling betrübt an. Ulrich zog inzwischen sein irdenes Krüg lein und sein goldenes Becherlein aus dem Wamms hervor, um sich durch einen Morgentrunk zu stärken. Er stellte das Becherlein auf den nahen Tisch und schenkte es voll. Wie das aber die Häsin gewahr wurde, verlor sie mit einem Male ihre Scheu, sprang in einem Satze auf den Tisch, nippte von dem Weine und jähen Satzes wieder auf den Boden. Ulrich hatte ihrem Gebahren mit Verwunderung zugesehen, doch nun stund er sprachlos da,als statt der Häsin plötzlich eine wunderliebliche Jungfrau ihren Platz einnahm und ihn mit freundlichen Worten und dankenden Blicken also anredete:

„Edler Jüngling, habe Dank für meine Erlösung;wenn du aber dein gutes Werk vollenden willst, so gib auch meinen Gespielinnen und Dienerinnen, die noch unter dem Zauber der feindseligen Fee Nugerol stehen, aus deinem Becherlein zu trinken, damit auch sie wiedex ihre natürliche Gestalt annehmen und von dem Zauber erlöst werden.“Ulrich hatte kaum diese Bitte von süßen Lippen vernommen, als er eiligst sein Becherlein von neuem füllte und der Reihe nach eine Häsin nach der andern tränkte,worauf sie sämmtlich sich in hübsche Jungfern verwandelten.Die einen, welche die Gespielinnen der bittenden Jungfrau waren, trugen kostbare Gewänder von Sammet und Seide,die andern, die Dienerinnen, waren in himmelblaue Reifröcke gekleidet. Alle aber verbeugten sich auf's Gra ziöseste vor Ulrich und ihre Blicke und Lippen ergossen sich in nicht enden wollenden Dankesbezeugungen, bis endlich Ulrich sich an die herrliche Jungfrau wandte, die der Hebe glich, und sie einlud, mitsammt ihren Begleiterinnen sich an den Tisch zu setzen, welcher Einladung sowohl die Jungfrau als auch ihre Begleiterinnen Folge leisteten. Sodann bat der Jüngling sie um Auskunft über den Namen des Schlosses und die Ursache ihrer Verzauberung, worauf die Jungfrau sich gegen ihre Dienerinnen wandte und ihnen befahl, das Beste in Küche und Keller aufzusuchen und herzuschaffen, da sie seit einem Jahre nur schlechtes Hasenfutter bekommen habe und große Sehnsucht trage nach Cotelettes oder Beefsteak. Als die Dienerinnen dem Befehle ihrer Herrin gemäß sich wegbegeben hatten, hob diese also an, indem sie ihre zärtlichen und dankenden Blicke verschämt auf Ulrich richtete:

„Edler Retter! Wisse, dieses Schloß gehörte meinem Vater, dessen einzige Tochter ich bin. Er liebte mich zärtlich und verschaffte mir jedes Vergnügen, das nur mein Herz wünschen mochte. Da jedoch meine Mutter früh gestorben war und mein Vater zu wenig Zeit hatte, wohl auch nicht sich alle wünschbaren Fähigkeiten zutraute, so legte er meine Erziehung in die Hände eines weisen Lehrers,welcher drüben auf der Insel im See einsam und zurückgezogen in einem kleinen Stübchen lebte. Dieser mir unvergeßliche Lehrer, der Jean Jacques Rousseau hieß, unter richtete mich in allen nützlichen Dingen, namentlich aber in der Philosophie und Musik, und lehrte mich vor allem die Natur liebgewinnen und beobachten und die Menschen, besonders aber die Armen und Unterdrückten lieben. Da er jedoch offen redete und selbst die Mächtigen nicht schonte,so zog er sich deren Feindschaft zu und vor allem die Feindschaft der Fee Nugerol, welche Herrin dieses Seegebietes ist. Sie verbannte ihn darauf aus ihrem Gebiete,worauf er auf meine Verwendung bei meiner Pathin, der Fee Cortaillod, Zuflucht fand. Da indessen die Fee Nugerol eine heftige Feindin meiner Pathin ist, weil diese Freiheit und Fröhlichkeit und gute Menschen liebt, so warf die böse Fee ihren Zorn auch auf mich das Pathchen und die Schülerin des Verbannten. Obschon mich meine Pathin warnte vor den Fallstricken ihrer Feindin und mir die besten Rathschläge gab, so gelang es doch der letztern, bei dem plötzlichen Tode meines Vaters verkleidet in unsere Burg zu gelangen und uns statt des Weines, den wir einzig trinken dürfen, gefärbtes Wasser unterzuschieben,durch dessen Genuß wir sofort in Hasen verwandelt wurden,weil die Burg die Hasenburg genannt wird. Meine gute Pathin hatte zwar diesen Unglücksfall vorgesehen und mir den Trost gegeben, wenn ein edler und muthiger Jüngling nach einem Jahre, nach welcher Zeit die Macht des Zaubers schwächer wird, den Kampf mit der Fee Nugerol aufzunehmen wage, so würden wir durch ihn und mittelst ihres Beistandes erlöst werden, wie dieß nun, Gott sei Lob und Dank, geschehen ist.“

Ulrich hörte diese Erzählung mit großer Spannung an und als die Erzählerin geendigt hatte, fragte er sie nach dem Aufenthaltsorte der Fee Nugerol, worauf jene antwortete: „Sie wohnt nie länger als drei Tage an einem Orte und stets in anderer Gestalt, bald als Frosch, bald als Gans, bald als Schlange.“ „Da habe ich sie ja schon dreimal getödtet,“ rief Ulrich bei diesen Worten aus.„Verzeiht, edler Retter,“ warf indessen die schöne Jungfrau ein, „Ihr habt stets vergessen, sie gänzlich zu vernichten; denn so lange noch ein Stück Fleisch ihres Körpers auf der Oberfläche der Erde übrig bleibt, gewinnt dasselbe stets neue Zauberkraft und tritt als neues Wesen auf.“Und als nun Ulrich seinen Kampf mit der Schlange erzählte, so meinte sie, die Fee werde in Kurzem in anderer Gestalt wieder vor dem Thore der Burg erscheinen und Unheil anzustiften suchen. Da zog Ulrich sein Schwert und gelobte hoch und theuer, die Jungfrau nicht zu verlassen, bis die Fee unschädlich gemacht sei, welches Gelübde der Schönen so tief zu Herzen ging, daß sie lautere Thränen vergoß und mit bewegter Stimme sagte: „Habt nochmal tausend Dank, tapferer Ritter, daß Ihr die arme Fenis nicht verlassen wollt. Meine Pathin, die Fee Cortaillod,wird Euch aber gewiß einst für euer muthiges Herz und eure That belohnen, da ich die Macht dazu nicht besitze.“

5

Worauf der Jüngling sagte: „Schönste Fenis, das stünde wohl in eurer Macht, wenn Ihr mir also zugethan wäret, wie ich Euch.“

Als die schöne Fenis diese Worte hörte, schlug sie die Augen zu Boden und seufzte vernehmlich. Ulrich nahm dieß als gutes Zeichen auf, ergriff ihre feine Hand und steckte ein goldenes Ringlein an ihr kleinstes Fingerlein,was sie ohne Widerrede geschehen ließ. Er wollte ihr sodann noch Mehreres sagen, allein in diesem Augenblicke ging die Thüre auf und die Dienerinnen trugen ein köstliches Mahl in das Gemach und bereiteten die Tafel, worauf sich Alle zu Tische setzten und nach Herzenslust aßen und tranken, da die Damen des Hasenfutters sehr überdrüssig geworden. Als sie endlich sich satt gegessen, ergriff die schöne Fenis eine versiegelte Flasche, befahl dieselbe zu öffnen und schenkte Ulrich von dem perlenden Traubenblut ein, indem sie züchtiglich sagte: „Geliebter, siehe da den edlen Wein, den meine Pathin selbst gepflanzt und gepreßt hat. Es ist ein Trank des Himmels, der Leib und Seele gesund macht und ewige Jugend verleiht. Trinke darum und stoße mit mir an auf das Wohlsein meiner lieben Pat hin.“ Dieser Aufforderung folgte Alrich bereitwillig und sagte dann: „Auch ich besitze einen kostbaren Wein, der freilich nicht so angenehm und fein schmeckt,wie dieser, der mir aber als Geschenk theuer ist.“ Er stund bei diesen Worten auf und holte sein Krüglein; aber wie erschrack er, als er dasselbe gänzlich leer fand! Im Eifer seines Erlösungswerkes hatte er den Hasen oder Häsinnen den letzten Tropfen eingeschenkt und nicht daran gedacht, welchen mächtigen Talisman er damit aufopfere um Anderer willen. Diese Wahrnehmung betrübte ihn sehr und die schöne Fenis bemühte sich, ihn zu trösten,indem sie noch ein Glas von dem köstlichen Weine ihrer Pathin einschenkte und ihm versprach, bei derselben Fürbitte einzulegen, damit sie ihm andern Wein mit besondern Kräften für sein Krüglein verschaffe.

Wäahrend sie noch sprach, ward die Thüre des Gemachs geöffnet und eine Lichtgestalt schwebte herein, mit blutrothen Wangen und Lippen und in grünem Kleide, das aus lauter Rebenblättern geformt zu sein schien. Fenis erhob sich und umarmte die Angekommene unter Freudenthränen;denn es war Niemand geringeres als eben ihre Pathin,die Fee Cortaillod. Die Fee begrüßte auch Ulrich mit freundlichen Worten und ließ sich seine Abenteuer von ihm erzählen, wobei sie am Schlusse nicht umhin konnte, ihre Freude über die Rettung des Pathchens zu äußern. Dabei lächelte sie schallhaft und indem sie auf das Ringlein am Fingerlein des Mägdleins blickte, meinte sie: „Liebes Pathchen, ich sehe schon, ich werde für ein schönes Hochzeitsgeschenk sorgen müssen, hoffe aber auch zu der Feier eingeladen zu werden.“ Während sie so sprach, hatte Ulrich das irdene Krüglein und das goldene Becherlein sammt der goldenen Krone aus seinem Wamms hervorgeholt und auf den Tisch gestellt. Sobald die Fee nun diese Raritäten exblickte, glänzte ihr Auge vor Entzücken und Ulrich mußte ihr sodann genauern Bericht geben, wie er in den Besitz derselben gekommen sei. Nachdem er geendigt, bat sie ihn,ihr diese Schätze bis zur Vermählung in Verwahr zu geben,welchem Wunsche er gerne entsprach. Alsdann verabschiedete sich die Fee, um würdige Vorbereitungen für die Vermählunosfeier zu treffen; Ulrich aber blieb im Schlosse Hasenburg, um allfällige neue Anschläge der Fee Nugerol vereiteln zu können.

Am Tage der Vermählung erschien die Fee Cortaillod im glänzendsten Schmucke auf der Hasenburg und brachte kostbare Geschenke für das Paar mit. Auch Graf Kuno von Oltigen und sein Sohn Buko, Ulrich's Bruder, erschienen mit zahlreichem Gefolge und es ward eine Hochzeit gefeiert, wie man lange keine mehr im Lande gesehen hatte. Nach Tische aber, als die Gäste recht froh und freudig gestimmt waren, erhob die Fee Cortaillod ihren Becher voll Traubenblut und trank auf die Gesundheit und das Glück des hochzeitlichen Paares und sodann fügte sie bei, indem sie das irdene Krüglein, das goldene Becherlein und die goldene Grafenkrone vor sich auf den Tisch legte:

„Graf Ulrich, durch euern Muth bin ich wieder in den Besitz meiner frühern Macht gekommen und kraft dieser Macht verbanne ich meine und eure Feindin, die Fee Nugerol,so lange in den Berg dort drüben, bis das Moorland rings um den See Nugerol und weiter hin trocken gelegt und fruchtbar gemacht ist. Zum Zweiten übergebe ich Euch hier wieder die güldene Krone, welche Ihr erkämpft, und damit den neuen Thurm, den ich Mitte Weges zwischen meinem und eurem Wohnsitze an meinem See habe erbauen lassen. Die Krone aber sollt Ihr selbst nicht tragen,um meine Macht nicht zu schwächen, sondern erst eure Enkel, und sie sollen sich dann auch nach dem neuen Thurme Grafen von Neuenburg nennen. Zum Dritten endlich habe ich Euch das Krüglein mit dem edelsten Traubenblut gefüllt, das in meinen Bergen gedeiht, und sollt Ihr dieses herrliche Gewächs fortan nach meinem Namen benennen und es hegen und pflegen, damit es den Menschen zum Segen und zur steten Freude diene.“

Und so geschah es. Die Fee Nugerol sitzt noch heute im Berge gefangen und Niemand weiß noch, wann ihr Erlösung kommen wird. Die Enkel Ulrich's, die Grafen von Neuenburg und ihre Nachkommen, die Grafen von Nidau, Straßberg und Aarberg wurden mächtig im Lande,bis auch ihre Stunde geschlagen hatte. Der edle Wein endlich, der nach der wohlthätigen Fee Cortaillod benannt wird und das ist schließlich das Beste wächst noch heute am Neuenburgersee und ist eine Freude der Jungen,ein Labsal für die Alten und in allewege eine edle Gabe Gottes.Thüring von Tützelflüh.

Tief hinten im grünen Emmenthal stund vor alten Zeiten mitten im Walde eine unansehnliche Hütte, deren vormalige Bewohner längst das Zeitliche gesegnet hatten.Damals war jene Gegend noch gar wenig bevölkert und keine Nothwendigkeit vorhanden für die Leute, wie dieß heutzutage der Fall gewesen und noch ist, draußen in der Welt ihr Stück Brod zu suchen. Die wenigen Bewohner der Gegend nun scheuten sich, in die Nähe jener Hütte zu gelangen, weil oft ein seltsames Klingen und Singen aus dem Innern derselben zu ihren Ohren dringe. Auch behaupteten sie, manchmal im Zwielicht ein verschleiertes Wesen gesehen zu haben, das den Weg durch den Wald nach der Hütte gegangen sei. Und doch konnte sich Niemand erinnern, irgendwo in der Nachbarschaft je ein weibliches Wesen gesehen oder gekannt zu haben, das mit jenem die entfernteste Aehnlichkeit besäße.

Diese Kunde drang bald das Thal hinab und weiterhin zu den Ohren der Edlen auf den Burgen und Schlössern des Landes. Gar manch' ein junges Blut,das nach Abenteuern gelüstete, ward dadurch neugierig gemacht und überlegte, ob nicht irgend ein besonderes Geheimniß hinter der seltsamen Erscheinung in der Hütte stecken dürfte.Es vergingen auch kaum drei Wochen seit der ersten Kunde,als schon die Leichname zweier Ritter im Walde gefunden wurden und neben ihnen die Splitter ihrer Lanzen und die Stücke ihrer Schwerter.

Das Erstaunen und die Neugierde der Bewohner der Gegend wuchsen durch diese wenig Frieden verheißende Entdeckung nur noch mehr und hinwieder verminderte sich bei den Edlen die Lust zu weiteren Versuchen, das Geheimniß zu ergründen. Nur ein einziger Ritter des Thales ließ sich durch das schreckhafte Schicksal seiner Standesgenossen nicht außer Fassung bringen und beschloß, das Abenteuer zu bestehen.

Thüring von Lützelflüh, der Sohn eines tapfern und angesehenen Ritters im untern Emmenthale, war einer der schönsten und besten Kämpen des Landes und der Ruf seiner Tapferkeit und Herzensgüte drang über die Grenzen Burgunds hinaus. Er kannte in Wahrheit keine Furcht und Gefahren reizten nur seine Kampflust und Ruhmbegierde. Er ließ demnach eines schönen Morgens sein Pferd satteln, das er aus den Kämpfen in Frankenland mitge*bracht, waffnete sich von Haupt zu Füßen und ritt das Thal hinauf, ohne nach seinem sonnigen Schlosse umzublicken. Sein gelbbraunes Auge blickte träumerisch in die trübe Fluth der Emme oder über die waldigen Hügel und Berge zur Seiten zu den fernen Eismauern der Alpen.Was mochte wohl Grund dieser veränderten, weichen Stimmung des sonst so thatenfrischen und lustigen Ritters sein? Er konnte sich ebensowenig Rechenschaft geben als wir es zu thun im Stande sind, wenn wir an einem schönen Sommermorgen durch Wald und Feld wandeln,laue Lüfte uns umfächeln, Vöglein singen und Himmels-freude von allen Zweigen und Gräsern blinkt. Und je weiter er ritt, desto wunderbarer ward ihm in seinem Herzen zu Muthe; ganz wunderbar aber, als er ein buntgefiedertes Vögelein auf einem Baume erblickte, das also sang:

Am hellen Tag, bei Sonnenschein

Da singen alle Schwesterlein.Und gleich auf dem nächsten Baume sang ein anderes:

Im Sonnenschein, bei Mondesglanz

Dann eilen wir zum Elfentanz.Und auf dem folgenden Baume sang ein drittes:

Die Königin dann kannst du schau'n,

Die schönste aller schönen Frau'n!Unserem Ritter gefiel dieser Gesang so wohl, daß er vom Pferde stieg und sich unter einen der Bäume setzte,bis die Sonne sank. Er dachte nämlich in seinem Herzen, hier dürfte wohl der geeignetste Platz für einen Zuschauer des lieblichen Schauspiels sein, das ihm durch den Text des Liedes der kleinen Sänger in Aussicht gestellt worden.Und je mehr die Vögelein ihre Weise wiederholten, desto gespannter ward seine Neugierde und desto größer sein Verlangen nach dem Abend, gleich demjenigen eines Jünglings unserer Tage, der sehnsüchtig auf den Abend harrt,an welchem ihm zum ersten Male der Genuß eines Ballets bevorsteht.

Die Physiologen und Psychologen haben uns bis heute noch keinen genügenden Aufschluß geben können über die geheimnißvolle Art und Weise, auf welche der Liebesgott Amor, dieser kleine Zauberer, sich in die Herzen der Jünglinge und Jungfrauen einzuschleichen vermag, oder vielmehr,wie er seine Pfeile so sicher an's Ziel sendet. Wir kennen nur die Wirkungen derselben, die sich bei den Einen durch Blässe der Wangen und des Gesichts oder durch glühendes Roth, durch Zittern, Sprachlosigkeit oder im Culminationspunkte durch Ohnmacht kundgeben. Bei einem so tapfern Ritter, wie Thüring einer war, konnte natürlicher Weise die letztgenannte Art von Wirkung nicht vorausgesetzt werden und man durfte höchstens die Bezeichnung sprachloses Erstaunen für den Fall annehmen, daß er wirklich von einem Pfeile des Liebesgottes getroffen würde, was bis dahin noch nicht geschehen.

Doch würde es schwer sein, seinen Zustand zu schildern in dem Augenblicke, als er sich im Abenddunkel endlich dem geheimnißvollen Orte näherte, von welchem her er nun auch das seltsame Singen und Klingen ertönen hörte,und als gleich darauf die wunderlieblichste weibliche Gestalt vor sein Auge trat. Er blieb wie festgewurzelt stehen,während sein Auge auf der Erscheinung haftete, die aus Luft und Licht gewoben schien und deren leichtes Gazekleid die herrlichsten Reize nur halb verbarg. Nie in seinem Leben hatte er so viel Anmuth und Schönheit vereinigt gesehen und nie ihn ein solch zaubervoller Blick getroffen, als den jetzt die Schöne auf ihn warf. Erst nach Verlauf einiger Minuten vermochte er so viel Fassung zu erringen, seine Schritte weiter zu lenken und sich ehrfurchtsvoll der Zaubergestalt zu nähern, die ihn immer freundlicher anlächelte und ihm mit Mund und Auge zu winken schien. Nachdem er sich ihr auf einige Schritte Entfernung genähert hatte, beugte er sich nach Ritterart auf ein Knie nieder und wagte seinen Mund aufzuthun,indem er sagte:

„Holdseligstes Wesen! Jungfrau oder Göttin oder was du auch sein mögest, gestatte mir, dich in unserem wilden Thale zu begrüßen und meine Dienste dir anzubieten. Mein Arm und mein gutes Schwert sollen stets zu deinem Schutze bereit sein und wenn du etwas bedarfst, so gebiete deinem Diener, damit er deine Wünsche befriedige.“Er streckte nach diesen Worten seine Rechte nach der ihren aus, die sie ihm auch willig überließ, und drückte einen Kuß auf die kleine, feine und sammetweiche Hand.Doch schien es ihm, als sei sie ganz kalt wie die Hand eines Marmorbildes. Aber die glänzenden klaren Augen,welche auf seiner Gestalt ruhten, überzeugten ihn, daß die schöne Besitzerin derselben doch ein Wesen sei von Fleisch und Blut, und sein Auge hing liebevoll an dem ihren,als sie nun sprach:„Edler Jüngling, ich nehme deine Dienste an, da ich von meiner Mutter bestimmt wurde, in diesem Thale meinen Wohnsitz aufzuschlagen, und schon zweimal unberufene Degen sich in meine Nähe wagten, für welche Zudringlichkeit ihnen die Strafe auf dem Fuße folgte. Du bist, wie ich nun weiß, ein Freund der Menschen wie der Thiere, da dich die Vögelein gewarnt haben über Tag dich diesem Orte zu nähern; denn ohne ihre Warnung hättest du das Schicksal deiner Vorgänger getheilt und lägen deine Gebeine nun im Walde, den Thieren zur Speise. Ich gestatte dir nunmehr, mich und meine Gefährtinnen allnächtlich zu besuchen und an unsern Unterhaltungen und Freuden Theil zu nehmen. Hüte dich jedoch, des Tages in unsere Nähe zu kommen, indem wir einen grimmigen Bären zum Wächter dieser Hütte bestellt haben, der keine Waffen scheut, da er die Sch wingkunst aus dem Fundamente versteht und Jeden, der sich ihm nahet, bei den Hosen lüpft und auf den Rücken wirft, daß er Zeitlebens das Aufstehen vergißt.“

Sie winkte ihm nach diesen Worten ihr zu folgen und geleitete ihn tiefer hinein in den Wald. Je weiter sie aber gelangten, desto heller klang die Musik an Thüring's Ohr, die er vorher nur aus der Ferne gehört hatte, und desto lichter wurde der Wald, bis sie endlich sich einer mondbeglänzten Waldgrotte näherten, in welcher zwölf Jungfrauen von herrlicher Gestalt bei den wunderbaren Klängen einer unsichtbaren Musik einen Tanz aufführten.Aber ihre Füßchen schienen hiebei kaum das Moos des Waldes zu berühren und all' ihre Bewegungen waren so leicht und zierlich, wie Thüring nie etwas so gesehen hatte auf Turnieren und Bällen der Ritter und Ritterfräulein.Auch seine Führerin mischte sich nun unter die Tanzenden und all' die Schönen folgten ihren Bewegungen, die noch ungleich zierlicher und leichter waren als die ihren, und dazu spielte die unsichtbare Musik die zartesten und bezauberndsten Melodien, so daß unser Ritter zum zweiten Male vor Erstaunen sprachlos dastund. Seine Schöne war offenbar die Herrscherin der andern; denn als jetzt der Tanz auf einen Wink von ihr beendigt war, verschwanden sie alle im Dunkel der Grotte und die Schöne blieb mit Thüring allein. Sie erzählte ihm vom Waldleben und von der Waldeslust, bis die Sterne erbleichten und es Zeit war für ihn aufzubrechen, ehe der Bär sein

Wächteramt antrat. Er küßte der Holden nochmals das kalte feine Händchen und eilte sodann nach Hause.Nachdem er sich hier mit Speise und Trank gestärkt,legte er sich zur Ruhe und fiel bald in einen erquickenden Schlaf, der süße Bilder in seiner Seele wachrief. Er hörte wieder aus weiter Ferne die wunderbaren Klänge jener Musik in der Grotte tönen, sah den Tanz der schönen Jungfrauen und vor allem lebendig ihre herrliche Gebieterin mit den klaren bittenden Augen und dem bezaubernden Lächeln. Kaum war er erwacht, als er auch sofort Vorbereitungen traf, um rechtzeitig bei beginnendem Abenddunkel wieder in der Nähe der Hütte zu sein. Heute aber ritt er fröhlichen Muthes das Thal hinauf, seine Augen schweiften nicht mehr träumerisch über Wald und Gebirg, sie leuchteten von Sehnsucht und Hoffnung und sein Kopf hob sich stolz in die Höhe. Und als er wieder den drei Bäumen sich nahete, sangen auch die drei Vögelein wiederum ihre Liedlein und wie am vorigen Abend erblickte er im Abenddunkel seine Schöne wieder, fiel vor ihr auf ein Knie, küßte ihre feine kalte Hand und folgte ihr in die Waldgrotte zum Tanze und plauderte mit ihr, bis der Morgen an den Himmel stieß. Nur waren heute ihre Augen nicht so klar wie gestern und mischte sich in ihr Lächeln ein Ausdruck schmerzlicher Empfindung,welche Veränderung unserem Ritter auf dem Heimritte viel zu denken und überlegen gab, doch ohne daß er

über den Grund derselben zu einem sichern Resultat gelängt wäre.

Wie es andern Menschenkindern noch heute passirt, so hatte Thüring allzutief in die Augen seiner Schönen geblickt,um sie vergessen zu können, und die neue reizende Bekanntschaft beschäftigte seine Phantasie den ganzen Tag über, mochte er schlafen oder wachen. Und wie es sich auch von selbst versteht, so vernachlässigte er dieselbe in keiner Weise, sondern blieb der allnächtliche Besucher der Grotte und ihrer Bewohner.Leider wuchs dabei aber auch sein Kummer von Tag zu Tage über die stets auffallender werdende Traurigkeit seiner Schönen, nach deren Ursache zu fragen ihm Unbescheidenheit und Zudringlichkeit schien. Eines Abends jedoch war die Traurigkeit seiner Schönen dermaßen groß, daß er sein ganzes Herz in beide Hände nahm, um mit einem deutlichen Bilde zu reden, und die Schöne nach dem Grunde ihrer Betrübniß fragte, welche ihm schon so viel Herzeleid und Kummer verursacht habe. Nach wiederholtem Bitten gestand sie ihm hierauf, daß sie eine Elfenprinzessin, Namens Ilfis,sei und nach wenigen Tagen auf Befehl ihrer Mutter wieder in das Reich derselben zurückkehren müsse, das weit weg am Wandelsee liege. Thüring erschrack bei dieser Nachricht nicht wenig und vermeinte einen Streich auf den Backen bekommen zu haben; doch faßte er sich alsgemach und wagte die Frage an die Schöne zu richten, ob denn kein Ausweg möglich sei, diesem verzweifelten Befehle nicht Gehorsam )leisten zu müssen? Die schöne Ilfis schlug ob dieser Frage beschämt die Augen nieder und gestund ihm endlich auf seine wiederholte eindringliche Frage, es sei in der That ein solcher möglich und derselbe bestehe in Erfüllung der Bedingung, daß ein Menschenkind sie als eheliches Gemahl heimführe. Die Elfenkönigin, ihre Mutter, habe ihre Liebe zu den Menschenkindern nicht gerne gesehen und ihr nur unter dieser Bedingung einen längern und bleibenden Aufenthalt bei denselben gestattet.

Diese Enthüllung erfüllte den liebedurstenden Thüring mit frohem Entzücken und er fiel trunkenen Blickes vor der Angebeteten nieder und bot ihr Hand und Herz an, sofern sie ein Fünklein Gegenliebe in ihrem Herzen verspüre.Schön Ilfis legte auch nach einigem jungfräulichen Zögern ihr weißes Händchen in seine dargebotene Rechte und sagte:„Wohlan, geliebter Thüring, ich lege meine Hand in die eure zum Zeichen meiner Einwilligung; doch hört noch eine Bedingung, welche sich an unsere Verbindung knüpft,und falls deren Erfüllung Euch zu schwer dünken sollte,so möget Ihr eures Wortes entlastet sein. Euer Herz darf nämlich sein Lebenlang niemals einer Andern mehr angehören und sollte ich auch binnen kurzer Zeit vom Tode heimgesucht werden. Würdet Ihr dem Gebote zuwiderhandeln, so wäre strenge Strafe euer und eurer Nachkommen Loos.“

Der von Seligkeit trunkene Ritter glaubte diese Bedingung mit vollster Ueberzeugung und bestem Gewissen eingehen zu können, da die Töchter von Menschen niemals sein Herz gerührt hatten und er den Verlust seiner schönen Ilfis in diesem Augenblicke für unmöglich hielt. Er schwur demnach dem Elfenkinde ewige Treue und steckte ihr den Brautring an das weiße Fingerlein, worauf sie wieder ihr bezauberndes Lächeln annahm und ihr klares Auge selig auf seiner ritterlichen Gestalt ruhte. Sie kosten sodann die ganze Nacht hindurch, bis sich im Osten die hohen Gebirge mit Gold säumten und er von dem unerbittlichen Begleiter und Wärter seiner Braut, der das Amt von ihrer Mutter übernommen hatte, sich durch einen raschen Aufbruch in Sicherheit brachte..In der nächstfolgenden Nacht nahm die schöne Ilfis unter Thränen und Schluchzen Abschied von ihren Gespielinnen,denen sie tausend Grüße an die Mutter Elfenkönigin auftrug, und ritt des Morgens mit ihrem Auserkornen nach dem Schlosse Lützelflüuh, während jene unter Führung des mütterlichen Hofmeisters in Bärengestalt ebenfalls den einsamen Wald verließen. Und als Thüring mit Schön Ilfis an den drei Bäumen vorbeiritt, da sangen alle Vögelein:

Wir preisen dich mit lautem Schall Schön Ilfis hier im Emmenthal!Hierauf ritten die Beiden froh vergnügt weiter, bis sie endlich auf Schloß Lützelflüh anlangten, allwo Thüring ein köstliches Gastmahl anrichten ließ zum Empfange seiner viellieben Braut, welcher es gar wohl gefiel auf dem Schlosse inmitten blühender Matten, schöner Hügel und quellenreicher Berge. Und als bald darauf die Beiden Hochzeit feierten,da fing erst eine selige Zeit für sie an und sie gewannen einander je länger je lieber.

Als im Spätherbste die Blätter von den Bäumen fielen und bald darauf der erste Schnee, da genas Schön Ilfis eines Töchterleins so lieblich und zugleich so ähnlich der Mutter, daß Vater Thüring vor Freuden einen Luftsprung that und keinen Augenblick das Schloß verließ. Er überlegte auch schon im Stillen, welch' glänzendes Taufmahl er anrichten wolle, bei dem kein Edler des Thales fehlen dürfe, und sandte überall hin Boten, um seine Freudenbotschaft zu verkunden. Auch sammelten sich am bestimmten Tage so viele Eingeladene im Schlosse, daß der Saal sie kaum zu fassen vermochte, und ward ein so glänzendes Taufmahl gehalten, wie man im ganzen Emmenthal seither keines mehr gesehen hat, obschon es die Leute dort bei solchen Gelegenheiten weder an Speise noch Trank fehlen lassen,wie männiglich bekannt. Aber auf die Freude folgte große Betrübniß. Schön Ilfis hatte beim ersten Ausgange aus dem Schlosse die kalte Winterluft eingesogen und ward von einer Lungenentzündung befallen, der sie am folgenden Morgen erlag. Vor ihrem Hinscheide sprach sie noch den Wunsch aus, hinten im Thale, wo

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»s SOT ihre Hütte gestanden, begraben zu werden, welchem Wunsche der ttief betrühte Ehegemahl auch bereitwillig willfahrte. I Für Thüring begann nun aber auf Schloß Lützelfluh ein gar einsames Leben und er hätte manchmal fast verzweifeln mögen, wenn er der schönen Tage gedachte, die er an der Seite von Schön Ilfis verlebte. Auch zehrte er zusehends ab und sah bald nur einem Gerippe ähnlich, so sehr nagte das Leid um die Verlorene an ihm. Seine Freunde und Ergebenen suchten ihn zwar auf mannigfache Weise zu zerstreuen, doch vergebens; sie sahen ihre Bemühungen scheitern und bereiteten sich schon vor, die Nachricht seines Hinscheides in Bälde zu empfangen.Ein unerwartetes Ereigniß kam indessen ihren Wünschen zu Hülfe. Graf Reinold von Macon und Chalons, ein mächtiger Herr, glaubte sich als Erbe Burgunds zufolge seiner Macht und seines Glückes fähig genug, der Oberherrschaft des deutschen Kaisers sich entziehen zu können.Der Kaiser erklärte ihn jedoch in die Acht und sein getreuer Vasall, Herzog Konrad von Zahringen, eröffnete mit kaiserlicher Hülfe einen Feldzug gegen den Rebellen, an dem der Adel von ganz Burgund und fast ganz Schwaben Theil nahm. Auch Thüring machte diesen Feldzug mit und vergaß ob den langen Märschen und Kämpfen allmälig sein Leid, blühte wieder auf und kehrte nach der Besiegung

und Gefangennahme Reinolds wieder rothwangig wie vor seiner Vermählung in die Heimat zurück.

Sein schönes Töchterlein, dem er in der Taufe zu Ehren der Mutter ebenfalls den Namen Ilfis gegeben hatte, war unter der Zeit zu einer blühenden Jungfrau herangewachsen,da bekanntlich Elfenkinder sich noch heutigen Tages weit schneller entwickeln, als Kinder ordinärer Menschen. Sie war eben so schön wie ihre Mutter und von zarten Formen;aber durch ihre Adern strömte warmes Blut, röthete ihre Wangen und elektrisirte Diejenigen, welche ihre feine Hand ergriffen. Mit einem Worte, sie war das vollendete Bild eines menschlichen Weibes, während ihre Mutter dasjenige eines feenhaften Wesens, einer Elfe gewesen war, von welcher Gattung Wesen auch offenbar ihr Name abgeleitet wurde. Was Wunder also, daß Thüring bei seiner Nachhausekunft und beim Anblicke seines Töchterleins in noch größeres Erstaunen gerieth, als beim ersten Anblicke seiner selig verstorbenen Ehegemahlin? Die Herrlichkeit ihrer Gestalt fesselte seine Sinne in solchem Maße, daß er des der Mutter abgelegten Gelübdes vergaß und in der Tochter sie verjüngt und schöner wieder zu sehen vermeinte. Es bemächtigte sich seiner eine immer zunehmende Leidenschaft,die sich in so heftiger Weise äußerte, daß Jung Ilfis darob höchlich erschrack und vor dem Ungestüm des Vaters ihr KRämmerlein suchte. Thüring sah in Kurzem in lichten

Augenblicken gar wohl das Verwerfliche seiner Leidenschaft ein und gelobte sich im Stillen, dieselbe zu bekämpfen, damit nicht der Mutter Fluch über sein Haus hereinbreche. Auch begann er sogleich mit Ausführung seines Vorsatzes, indem er seinen Rappen satteln ließ, um das Grab seiner Chegemahlin VEr ritt denn auch gefaßter von dannen und seine gute Stimmung und sein Vorsatz wurden noch kräftiger, als er zu den drei Bäumen kam und die Vögelein sangen:

O weh' dir ungetreuer Mann,

Der sein Gelüͤbd' vergessen kann!Diese Vögelein waren nämlich verwandelte Elfen, welche die Elfenkönigin hieher gesandt hatte, damit sie ihr stets Nachricht geben möchten von dem Schichsale ihrer Tochter,der Prinzessin Ilfis.Er kniete lange am Grabe seiner vielgeliebten Ilfis und kehrte als ein demüthiger und bußfertiger Sünder heim.Durch Gebet und Fasten stärkte er sich bis seine Wangen wieder blaßten und der Glanz seiner Augen allmälig erlosch.Noch öfter ritt er jetzt zum Grabe seiner seligen Gemahlin und hatte die Genugthuung, nicht mehr den vorwurfsvollen Gesang der Vögel zu hören, was ihn im Glauben bestärkte,er habe nun den Kampf bestanden und könne jeder Anfechtung Trotz bieten. Er stellte in Folge dessen das Fasten und Beten ein und richtete den Kopf wieder nach Rittersitte in die gr

Höhe zum Zeichen, daß er auch innerliche und nicht nur äußerliche Feinde zu besiegen im Stande seie.Bekanntlich steht jedoch in der heiligen Schrift zu lesen:Der Teufel geht umher wie ein brüllender Löwe und suchet,wen er verschlinge, und ein Sprichwort sagt: Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert. Unserm Helden erging es eines schönen Tages auch nicht besser, als manchem seines Geschlechtes vor und nach ihm; der Teufel erwischte ihn und verschlang ihn, das heißt, nicht buchstöblich,sondern er ertappte ihn über der mächtig wieder aufgeloderten Leidenschaft und nun brach auch das von Schön Ilfis verheißene Gericht über ihn herein. Der Himmel verfinsterte sich augenblicklich, der Donner rollte, Blitze leuchteten und Ströme ergossen sich vom Himmel, daß das ganze Thal bald in ein Meer verwandelt war. Thüring sammt Ilfis und allen Schloßbewohnern konnte sich mit Mühe auf den nahen Berg flüchten, um dem sichern Tode zu entgehen.Das schreckliche Gericht, das über ihn hereingebrochen war, zerknirschte ihn bis in's Innerste. Nun begann für ihn erst die Zeit aufrichtiger Buße und Bekehrung. Auf derselben Stelle, wo seine Gemahlin ruhte, ließ er ein Kloster erbauen, das bald zu großem Ansehen und Reichthum gelangte und Trub geheißen wurde, und den wilden Thalfluß nannte er eingedenk der durch seine Gemahlin prophezeiten Strafe seiner Untreue Ilfis, welchen Namen er bis auf den heutigen Tag getragen hat. Auch scheint ihm Gott

35 seine Uutreue endlich verziehen zu haben, denn seine Nachfolger,die Herren von Brandis, blühten noch lange nachher als ein mächtiges und tapferes Geschlecht. Von dem Bär aber,dem einstigen Hofmeister der schönen Ilfis, hätten die Thalbewohner, so sagt man, die Schwingkunst gelernt und seien dadurch berühmte Schwinger geworden bis auf unsere Tage.Das Kanderfräulein.

Es war einmal ein liebliches Mädchen, das hieß Mathilde und wohnte bei ihren Eltern auf dem schönen Hofe Windemis.Dieser Hof aber lag am Fuße des hohen Berges Niesen im Aufgau. Rings um den Hof herum lag Wald und Weide und nahe demselben stürzte die wilde Kander mit Getose durch ihr Felsenbett. Ueber die hohen Wipfel der Bäume herein schauten die weißen Hörner der Hochalpen in blendender Majestät. Und aus den nahen Thälern hörte man im Frühling und Sommer das Donnern der Lawinen und das Tosen der Wildbäche.

Mathilde freute sich gar sehr des grünen Waldes und der silbernen Berge und ihre dunkelbraunen Augen konnten sich oft nicht satt sehen an dem durch die Sonnenstrahlen erzeugten Farbenspiele. Ihr frisches ovales Gesichtchen strahlte vor Vergnügen, wenn die Sonne des Morgens zuerst die Bergspitzen röthete; aber noch mehr entzückte sie ihre Rosen glut nach Sonnenuntergang. Eine besondere Freude gewährte ihr auch ein Gang durch den dichten Wald und über den Flußsteg. Da blieb sie gar zu gerne mitten auf demselben stehen und hörte gespannten Ohres dem Tosen und Toben der Kander zu. Und wenn ihr einmal die Eltern erlaubten weiter zu gehen bis an das Ufer des schimmernden Wandelsees, da kannte ihr Jubel keine Gränzen.

Hart am Ufer des Sees stund nämlich ein Kirchlein,„zum Paradies“ genannt, weil die Gegend ringsum gar fruchtbar und lieblich zu schauen war. Dorthin ging das fromme Mägdlein nun öfter, um zu beten und den heiligen Beatus predigen zu hören, der jenseits des Sees in einer Felsengrotte wohnte. So fromm sie aber war, so konnte sie doch nicht umhin hie und da im Kirchlein die Augen aufzuschlagen und um sich zu blicken. Nun begegnete sie eines Tages beim Aufblicken einem andern schönen Augenpaare und ward ob dieser unerwarteten Entdeckung bis unter die Ohren roth. Und es däuchte ihr von diesem Augenblicke an, sie möchte ewig in jenes blaue Augenpaar schauen. Um dieß wenigstens recht oft thun zu können,ging sie von dem Tage an jeden Sonntag zum Kirchlein und ward stets frömmer und frömmer.

Hinwieder hatten dem Besitzer des blauen Augenpaares,einem blonden Jüngling, das Augenpaar Mathildens und ihr schwarzes, volles Haar ebenfalls wohl gefallen. Auch kam er deßhalb von diesem Tage an öfter zum Kirchlein,um seine Andacht zu verrichten. Daneben suchte er nach beendigter Predigt möglichst gleichzeitig mit Mathilden dasselbe zu verlassen und noch einen Strahl des Feuers ihrer Augen in den seinigen aufzufangen. So geschah es auch eines Tages; aber der Strahl war von großer Wärme gewesen und der Jüngling that demzufolge seinen Mund auf und begann mit Mathilden ein Gespräch. Der Inhalt desselben ist bis zur heutigen Stunde unbekannt geblieben; dagegen nicht das Resultat. Dasselbe bestund nämlich, wie wohl zu errathen ist, in einer förmlichen Verlobung.

Kuno, so hieß der Verlobte, und Mathilde besuchten im Vorgefühle künftigen Glückes von ihrer Verlobung an regelmäßig das Kirchlein ,zum Paradies.“ Schon der Name desselben schien ihnen von der günstigsten Vorbedeutung für ihre Zukunft zu sein, und sie wünschten nichts sehnlicher,als ihrer Ehe dereinst denselben Namen als Attribut beigesellen zu können. Und wenn sie nach beendigtem Gottesdienste noch im kühlen Walde spazieren giengen und plauderten,gedachten sie mit Vergnügen der Zeit, da nichts mehr ihr stetes Beisammensein zu stören vermöge, und waren in diesem Gefühle das glücklichste Paar.

Wenn dann Kuno zum Abschiede drängte, so geschah es nur mit schwerem Herzen. Er wohnte nämlich auf dem schönen Hofe Oedendorf weit unten im Aufgau und mußte sich stets beeilen, rechtzeitig dort wieder einzutreffen. Denn er konnte nur auf einem Umwege und über einen gefährlichen

Steg hingelangen. Auch hatte er selten Gesellschaft, obschon das Kirchlein das einzige im ganzen Berglande war.Mathilden aber kam der Abschied stets zu früh und sie wandelte dann fast betrübten Herzens durch den Wald nach Windemis.

Als sie eines Tages also heimkehrte, gesellte sich plötzlich eine schöne Jungfrau ihr bei mit goldenen Haaren und einem Kranze von Wald- und Bergblumen auf dem Kopfe und in einem leichten Kleide von weißem feinem Gewebe. „Du bist betrübt,“ sagte sie zu Mathilden, „komm laß' uns lieber lustig sein und tanzen.“ Bei diesen Worten ergriff sie Mathilden und drehte sich so leicht im Kreise herum mit ihr, als dürfe sie den Boden kaum berühren. Auch kam aus dem Walde ein so herrlicher Gesang dazu, wie Mathilde nie einen schönern gehört hatte. Ihr wurde darob so wonniglich zu Muthe, daß sie der Trennung von Kuno vergaß und ganz selig zu Hause anlangte. Und als sie am darauffolgenden Sonntage wieder vom Kirchlein und von Kuno betrübten Herzens heimkehrte, gesellte sich auch die goldlockige Jungfrau ihr bei und lud sie zum Tanze ein.Das Gleiche geschah am drittfolgenden Sonntage und als der Tanz vorbei war, fragte die Goldlockige Mathilden, wer sie sei und was sie in ihrem Herzen wünsche. Da erzählte ihr das Mägdlein Alles und verschwieg ihr nicht ihren Brautstand und daß sie am nächstfolgenden Sonntage getraut werde. Darauf sagte die Goldlockige: „So nimm denn hier meinen schönen Kranz zum Brautkranz und gedenke meiner auch im Ehestande.“ Bei diesen Worten drückte sie ihr den Kranz von Wald- und Bergblumen leicht auf das Haupt und verschwand.

Als das Bräutlein aber auf Windemis bei den Eltern ankam, da schlugen die ihre Hände ob dem Kopfe zusammen vor Erstaunen. Der Blumenkranz hatte sich nämlich in einen Kranz von goldenen Blättern und Blumen verwandelt.Und als die Eltern sie fragten, wer ihr den Kranz gegeben,und sie Alles haarklein erzählte, da sagten jene: „Das ist das Kanderfräulein gewesen, das um Mittag und Mitternacht aus seiner Grotte am Kanderflusse hervorkömmt und sein Spiel mit den Menschen treibt. Wohl dir, daß du ein Mägdlein bist, denen sie gerne Gutes erweist; wärst du ein Jüngling, so hätte sie dich zu Tode geküßt und gedrückt.“

Mathilde und Vater und Mutter freuten sich sehr über das schöne Brautgeschenk des Kanderfräuleins und das Mägdlein schmückte sich am Trauungsmorgen damit, so daß sie aussah wie eine Königin mit einer Krone auf dem Haupte. Dann harrte sie ihres holden Bräutigams, der sie nach Bräutigamsart auf Windemis abzuholen kam. Die Eltern aber hatten ein köstliches Frühmahl bestellt von Milch,Honig, Butter und Semmel.

Kuno hatte sich schon am Samstag Abend bereit gemacht,des Sonntag Morgens früh das liebe Bräutlein auf Windemis abzuholen und zum Paradies zu geleiten zur Trauung.uq

Und da er der Stunde vor Wonne und Verlangen kaum erwarten mochte, legte er sich kaum eine Stunde lang zur Ruhe und trat sodann den wohlbekannten Weg an. Die Sterne glänzten am Himmelszelt und tiefes Schweigen lag auf Wald und Bergen. Unter diesem tiefen Schweigen wanderte er durch Feld und Wald und gedachte mit Freuden des kommenden Tages und künftigen Glückes ohne Furcht vor bösen Thieren und Gespenstern. Da sah er nach einer Weile eine goldlockige Jungfrau neben sich einhergehen mit einem Kranze glühender Johanniswürmer auf dem Haupte und in weißem luftigem Gewande. Sie blickte ihn mit wonnigen Augen an und sprach mit einschmeichelndem Worte:„Schöner Jüngling, fürchtest du nicht, dich zu verirren?Laß mich dir den Weg weisen und uns unterwegs zusammen plaudern.“ Kuno staunte die fremde Erscheinung mit verwunderten Augen an und wollte sie anfangs von sich abwehren; doch hielten ihr zauberisch-lieblicher Blick und holdseliges Wort ihn davon ab und er hörte mit Vergnügen ihrem Geplauder zu. Und als sie ihm erst erzählte von ihrer schönen Wohnung, ihrem schönen Schifflein und andern Dingen mehr, ward seine Neugier nicht wenig erregt, da er bis dahin nichts von einer solchen Bewohnerin des Kanderthales gehört hatte.

Mittlerweile waren sie durch den Wald dem Ufer der Kander näher gerückt. Das Fräulein ergriff Kunos Hand,die von ihrer zauberischen Berührung in der ihrigen zitterte,

492 und fragte ihn im süßesten Tone: „Liebster, willst du nicht einmal meine Wohnung sehen?“ Und während sie das sagte, begann sie ihn am Leibe zu kitzeln, bis er laut auf gelangt, der über den Fluß führte und nur Mannesbreite hatte. Da schaute sie ihm recht liebevoll in die Augen,kitzelte ihn sanft und sagte: „Nun küsse mich zum Abschiede.“Nach diesen Worten umschlang sie ihn mit ihren Armen,küßte seine Lippen und stürzte sich dann mit ihm in die grause Tiefe. Die wilden Wogen der Kander aber schlugen über ihren Leibern zusammen.

Die arme Mathilde aber harrte umsonst ihres Bräutigams und weinte sich die Aeugelein roth und starb bald darauf vor Gram und Kummer. Auch die Eltern warteten vergebens mit ihrem Frühstück auf den Bräutigam und mußten es selbst genießen. Und überall hin verbreitete sich darauf die Sage von der Braut, die ihren Bräutigam durch das Kanderfräulein verloren. Sie soll noch gar mancher süßen Braut den Bräutigam verlockt und verführt haben und viele Thränen sollen um ihrer Schuld willen vergossen worden sein. Das Fräulein selbst ist später verschwunden, aber noch ist ihre Grotte zu sehen auf dem Kandergrunde zwischen Thun und Amsoldingen, wo ehemals die Kander ihre wilden Gewässer durch die Ebene in die Aare stürzte.Der Teufel im Thurgau.

Einmal ging der Teufel auf der Erde spazieren. Es war gerade Frühling und überall sprangen die Brünnlein,dufteten die Blumen und sangen die Vögelein. Da kam der Teufel auf einen hohen Berg und erblickte zu seinen Füßen einen großen See, umkränzt von Städten und Dörfern,von Wald, Wiesen und Weinbergen. Der Anblick gefiel ihm über alle Maßen und er entschloß sich, einige Zeit in der Nähe dieses Sees Niederlassung zu nehmen. Er wählte zu seinem Aufenthalte den lieblichen Garten im Süden des Sees, welcher Thurgau heißt. Und da weder die Verfassung des Kantons Thurgau, noch die Bundesverfassung dem Fürsten der Unterwelt die Niederlassung auf eidgenössischem Gebiete untersagen, derselbe vielmehr früher einen Vorzug vor den Söhnen Abrahams genoß, so war es ihm ein Leichtes, sich in kürzester Frist bei der Ortspolizei eines Dorfes zu legitimiren.n

Nachdem er sich niedergelassen, begann er eifrig, die Bekanntschaft der Bewohner des Dorfes zu suchen. Er fand auch sehr bald dieselben weit gescheidter, als er geglaubt hatte, und wunderte sich nicht wenig über ihre List und ihre Kunst, ein X für ein U zu machen. Diese Beobachtung weckte in ihm die Lust, mit einem derselben eine Wette einzugehen, wer den Andern zu überlisten vermöge. Er ging also eines Tages zu einem benachbarten Bauer, welcher gar nicht als ein besonders listiger und heimtückischer Geselle bekannt war, und der Bannwart hieß, um mit diesem vorläufig eine Probe vorzunehmen. Er machte ihn mit seinem Vorhaben bekannt und der Bauer schlug ohne Zögern ein.Es war gerade zur Herbstzeit, in welcher in dem äͤpfelund birnenreichen Thurgau der Most bereitet wird, ein Getränk, nach welchem das Land auch Mostindien geheißen wird. Dem Teufel war dasselbe durchaus unbekannt und nachdem ihn der Bauer über dessen Bereitung belkhrt hatte,begehrte er ein Glas davon zur Probe. „Sehr gerne,“sagte Jener, „aber ich habe kein Glas hier stehen; indessen kannst du ja aus dem Fasse trinken, ich werde dir dabei behülflich sen.“ Das Faß war aber kaum halb gefüllt mit Most und der Bauer legte es deßhalb dergestalt gegen einen groben Holzpflock, daß der Teufel sich bücken mußte, um bequem aus dem Fasse trinken zu können. Während er jedoch eifrig das süße Getränk in sich sog, denn es däuchte ihn **

über die Maßen gut und er wünschte, solch Getränke auch in der Hölle zu haben, pumps, da stieß ihn der schlaue Mostindier von hinten in das Faß hinein, legte den Deckel darauf und vernagelte das Faß. Da fing der Teufel im Fasse entsetzlich zu jammern an und bat und flehte ihn zu erlösen, bis endlich der Bauer nachgab und ihn heraus ließ, doch nicht, bevor der Teufel die Wette verloren gegeben und Zahlung versprochen hatte.

Nachdem dieselbe in klingenden neuen Fünffrankenstücken geleistet war, wanderte der Teufel fürbas und ließ sich an einem neuen Orte nieder. „Denn,“ sagte er, „vielleicht sind die Leute in einem andern Dorfe weniger schlau und pfiffig und es gelingt mir doch, eine Wette zu gewinnen.“Es dauerte denn auch gar nicht lange, bis ihn die Lust kitzelte, mit seinem Nachbar Müller eine neue Wette einzugehen. Dieser lächelte nur ein ganz klein wenig und schlug dann seine Rechte in die des Teufels. „Topp,“ sagte er,„aber was muß ich dir geben, wenn ich verliere?“ Der Teufel war hoch erfreut über diesen Bescheid und antwortete:„Ich verlange nichts als deine Tochter zur Frau.“ Nachbar Müller, welcher nicht wußte, mit welchem bedenklichen Gesellen er gewettet, indem derselbe ganz fein und säuberlich wie ein Menschenkind gekleidet war, sagte hierauf sogleich. „Meinetwegen, wenn meine Tochter damit zufrieden ist. Was gibst du mir aber, wenn ich gewinne?“ Das hielt der Teufel für unmöglich und antwortete deßhalb: „Nun, dann baue ich dir und deiner Tochter das schönste Schloß im ganzen Lande.“ Und bei dieser Abrede blieb es nun.

Eva, so nannte sich das liebliche Töchterlein, hatte jedoch diese Abrede hinter einer Wand belauscht, wie dieß allen Evchen auf Erden gerne passirt. Und da ihr der Nachbar Teufel keineswegs am Herzen lag, um so mehr aber das Schloß, so beschloß sie, im Geheimen ihrem Vater allen möglichen Vorschub zu Ueberlistung des Teufels zu leisten.Dabei ward sie auch noch von einem andern Gefühle geleitet.

In ihres Vaters Hause befand sich nämlich ein junger lustiger, aber armer Knecht, dessen Nähe sie stets gerne suchte. An eine Verbindung mit demselben hatte sie freilich nicht denken dürfen, da sie den stolzen Sinn ihres Vaters gar wohl kannte. Dagegen tauchte jetzt die Hoffnung in ihr auf, nach Ueberlistung des Teufels diesen stolzen Sinn erweichen zu können, und sie zog in ihrer Siegesgewißheit den jungen Knecht, welcher Bartli hieß, in's Vertrauen.Denn sie wußte wohl, wo Bartli den Most holte.

Sie benahm sich von diesem Augenblicke an auch ganz besonders freundlich gegen den Teufel, so daß dieser, seines Triumphes gewiß, ihr allerlei Anträge stellte, auf welche sie bereitwillig einging. Sie hielten im Versteckten Zusammenkünfte, bei welchen er ihr die lebendigsten Schilderungen von dem Glanze seiner Heimat machte, während sie die höchste Begierde zeigte, ihm dorthin zu folgen. Beim Abschiede verhieß sie ihm auf den folgenden Tag ein neues Stelldichein, fügte jedoch hinzu, er möge Vorsichtshalber, ehe er in ihr Gemach komme, sich im Ziegenstalle verbergen, bis sie ihn von dort abhole, nachdem keine Späheraugen mehr zu befürchten seien.

Der schwarze Höllenritter fand sich am folgenden Tage zur festgesetzten Zeit richtig im Ziegenstalle ein, um seiner erkornen Braut zu harren. Allein kaum hatte er sich in dem neuen dunkeln Appartement nach Möglichkeit umgesehen,als er von hinten einen gewaltigen Stoß erhielt, der ihn an die Wand schleuderte. Der Stoß erneuerte sich jeden Augenblick, so daß der arme Teufel mit Mühe die Thüre finden konnte, die er jedoch zu seinem nicht geringen Schrecken verschlossen fand. Er schrie nach Hülfe „, aber je mehr er schrie, desto gewaltigere Stöße empfing er in seine Rippen und desto lahmer wurde sein Widerstand. Endlich öffnete sich die Thüre und er stürzte gegen die Oeffnung zu; im selben Augenblicke aber fühlte er sich von hinten gepackt und kaum hatte er die Oeffnung passirt, als er sich am Tageslichte auf den Rücken eines gewaltigen Ziegenbockes versetzt fand, der mit ihm in kühnen Sprüngen das Weite suchte, während Nachbar Müller, Evchen und Bartli neben der Stallthüre seinen Auszug aus dem Stalle mit lauten Vivats applaudirten.

Nun hatte der Teufel die Thurgauer satt bekommen.War es schon ein gefährlich Ding, mit den Bauern anzubinden, wie hätte das erst ein Ende nehmen sollen, wenn er sich hinter Advokaten und Geistliche gewagt? Er bestellte deßhalb einen Baumeister, der dem Nachbar Müller das in der Wette gewonnene Schloß baute, schnürte sein Bündel und fuhr wieder zur Hölle. Und seitdem sind die Thurgauer weit und breit ihrer Pfiffigkeit wegen bekannt und berühmt geworden, und der Teufel hat ihnen niemals mehr einen Besuch abgestattet. Das Schloß aber, in welchem nachmals Bartli und Evchen Haus hielten, steht noch heute, wenn es der Teufel nicht seither verbrannt hat.Rabinusa.

Vor bald tausend Jahren ritt eines schönen Tages ein Ritter durch einen Wald von großen und blätterreichen Bäumen. Da sah er eine Jungfrau schlafend im Grase liegen, bei deren Anblick Bewunderung und Erstaunen sich in seinem Gesichte spiegelten. Ihre schlanke Gestalt lehnte sich auf eine Böschung, die wohl ehemals den heidnischen Vätern bei'm Opferdienste im heiligen Haine gedient haben mochte, und ihr von einer Fülle glänzend schwarzer Haare bedecktes Haupt von brauner Hautfarbe in einem Kissen von weichem Moose und dunkelgrünen Blättern. Der Ritter stieg eilends vom Pferde, band dasselbe an einen nahestehenden Baum und setzte sich dann unweit der Schlafenden auf den weichen Waldboden, sie unverwandten Blickes betrachend. Der Hain lag in dem herrlichen Domletschgerthale in Rhätien, in welchem auch der Ritter lebte, der Rudolf von Rothenbrunn hieß. Der Ritter wohnte in einem festen Schlosse hoch auf einem Felsen, zu dessen Füßen der frische Rhein schon seit ewigen Zeiten seine Weisen murmelte. Rings auf den Bergen reckten noch viele andere Burgen trotzig ihre Mauern in die Höhe und drüberhin schauten die Silberkronen der Alpen nach Alt-Rhätien, das zu jener Zeit weit über den Bodensee und den Rhein nach Deutschland und Tyrol hinein sich erstreckte.

Der Rothenbrunner war ein rauher und trotziger Ritter.Von seiner hohen Burg aus unternahm er Streifzüge in die benachbarten Thäler und überfiel unversehens seine Nachbaren mit Fehde und Raub oder plünderte reiche Kaufleute,welche nach Welschland zogen oder von dorther kamen.Und wenn sich ein Angegriffener zur Wehre setzte, schlug oder stach er ihn zu Tode. Deßhalb ward er auch im ganzen Lande und ringsherum gefürchtet und man mied es mit ihm in Bexührung zu kommen oder ihn sogar zu reizen.

Zu jener Zeit war aber schon längst aus dem Morgenlande das Licht des Christenthums auch in die dunkeln Thäler an den Rheinquellen gedrungen. Durch die fränkischen Könige veranlaßt, hatten sich schon vor Jahrhunderten fromme Männer und Ritter für die Verbreitung der göttlichen Lehre schwere Entsagungen und Prüfungen auferlegt und in wilden Gegenden Kirchen und Klöster gestiftet, welche in jenen Zeiten die einzigen Mittelpunkte und Pflanzstätten der christlichen Kultut waren. Und wo früher kein Menschenfuß sich hingewagt, war nun der finstere Wald gelichte und ein sicherer Zufluchtsort erbaut. In der uralten Stadt Chur sorgte jetzt ein Bischof für das leibliche und geistige Wohl der Thalleute ringsherum und schützte sie nach Kräften vor den Angriffen des räuberischen Adels. Solches gefiel aber dem Rothenbrunner übel, denn er war seinem Wesen nach ein Heide, verachtete das Christenthum und die einfachen Gebräuche der Lehrer desselben und spottete ihrer beider, der christlichen Lehre und ihrer Diener.

Desto mehr hing er den Freuden des Lebens an und liebte vornämlich die Gesellschaft von jungen Damen. Aber noch niemals hatte eine Dame solchen Eindruck auf seine Sinne gemacht, wie jetzt die Schlafende. Nachdem er sie lange Zeit betrachtet und schon bei sich überlegt hatte, wie es wohl zu bewerkstelligen wäre, sie aus dem sanften Schlafe zu wecken, schlug sie endlich langsam die dunkeln Augen auf und schaute um sich. Der Ritter grüßte sie hierauf freundlich, stund auf und bat sie mit ihm auf sein Schloß zu kommen, da er Wohlgefallen an ihr finde. Sie aber sagte zu ihm: „Ich kann dir nicht folgen, ehe meine Feindin besiegt ist, welche in einem Thale jenseits dieser Berge wohnt und auf meine Schönheit und mein heiteres Wesen böse zu sprechen ist.“ Als der Ritter diese Worte hörte, erklärte er sich sofort bereit, die verhaßte Nebenbuhlerin der Schönen gefangen zu nehmen und her zu führen. Die dunkeläugige Waldestochter aber sagte: „Bedenke es wohl; denn es ist schwer zu ihr zu gelangen.

Sie hat Gewalt selbst über die Thiere der Berge und es bewachen ihrer drei ihre Wohnung. Wenn du jedoch Muth hast, den Kampf mit ihnen zu bestehen, so gebe ich dir drei Mittel dazu. Ich heiße Hulda und falls du in dringender Gefahr meine Hülfe nöthig findest, so rufe mich bei meinem Namen.“

Bei diesen Worten überreichte sie dem Ritter drei vergoldete Pfeile und hieß ihn noch eine Weile sich zur Ruhe legen. Während er nun im dichten Waldgrase neben seinem ungeduldigen Pferde schlief, nahm sie einen grünen Frosch und legte ihm denselben auf die Stirne. Sie verstund nämlich auch Zauberkünste, und der Frosch bewirkte, daß der Ritter nur an sie denken mußte und alle Verführungskünste Anderer bei ihm fruchtlos blieben. Sodann weckte sie den Schläfer und sagte zu ihm: „Eile dich nun, damit du nach längstens neun Monaten zurückkehrest; denn im zehnten Monat muß ich wieder meinen Besuch auf dem Julberge abstatten zur Feier des Julfestes.

Der Ritter verabschiedete sich hierauf und ritt viele Tage lang dem schönen Rheinstrome entlang, um den Eingaug in das Thal zu finden, in welchem Rabiusa, die Gegnerin seiner Hulda, wohnen sollte. Oftmals war er schon dem Laufe der frischen Bergströme gefolgt, die sich rechts und links in den Rheinstrom ergießen, und immer fand er sich plötzlich rechts und links von Felsen und Wäldern eingeschlossen, so daß er nothgedrungen umkehren mußte. Er verzweifelte endlich beinahe an der Möglichkeit das Thal zu finden und vermeinte im Ueberdrusse, seine Angebetete habe ihn verschmäht und ihm einen Possen spielen wollen.Er gedachte leider nicht des so wahren Spruches: „Liebe macht blind“ und war bereits im Begriffe, nach seiner Burg zurückzukehren, als ihm einfiel, doch einmal den Namen seiner Schönen zu rufen, um die Wahrheit ihres Versprechens zu erproben. Und siehe da, kaum hatte er denselben gerufen, so kam auch ein kleiner geflügelter Drache durch die Luft geflogen und wies ihm den Weg zum Thale.Aus der Ferne erblickte er nun die hohen Häupter der Berge, welche das Thal umschlossen, und es schien, als leuchte aus dem violetten Dufte, in dem sie schwammen,deutlich die Gestalt eines Kreuzes hervor. Mit Worten der Verwünschung auf den Lippen setzte er den Weg fort, bis er spät Abends am Eingange des Thales anlangte. Er stieg vom Pferde und setzte sich zu Füßen eines gewaltigen Ahornbaumes, der wohl seit Anfang der Welt hier gestanden haben mußte. Von der anstrengenden Reise höchst müde geworden, fielen ihm die Augen sogleich zu und er schlief den festesten Schlaf.

Der junge Tag säumte kaum die Spitzen der Berge mit seinem Golde, als der Ritter sich anschickte in das Thal zu dringen. Aber ein fürchterliches Gebrumme schreckte sein Pferd dermaßen, daß es sich hoch auf bäumte und ihn sehr unsanft in das hohe Gras warf. Wie er wieder aufstand, war das Pferd verschwunden und einige Schritte vor ihm stand ein mächtiger Bär, der in tiefstem Baß ihm entgegenbrummte. Rasch besonnen, ergriff er seine Armbrust und einen der vergoldeten Pfeile und schoß diesen auf das Ungethüm ab. Ein Hohnlachen erscholl jedoch als Antwort auf diese That und da der Bär verschwunden war,konnte der Ritter nach wenigen Augenblicken seinen Pfeil in dem Stamme eines Ahorns stecken sehen. Aber er vermochte nicht ihn herauszuziehen und mußte seine Wanderung um einen Pfeil und sein Pferd ärmer zu Fuße fortsetzen.Der Weg führte ihn jetzt allmälig bergan durch Matten voll herrlich duftender Alpenkräuter und murmelnder Quellen,die sich unten im Thale in den tosenden Bergstrom ergossen.Das üppige grüne Bergland im Morgenthauglanze lag indessen nach wenigen Stunden hinter ihm und nun begann die schwere Arbeit des Steigens über kahles Felsgestein und Gerölle. Die Sonne brannte ihm so heiß auf den Rücken,daß er jetzt gerne viel Geld für einen Trunk aus den klaren Quellen gegeben hätte, deren Rauschen er noch von Zeit zu Zeit aus der Tiefe vernehmen konnte. Während er noch nach einem Trunke lechzte, zeigte sich ihm plötzlich oben auf dem Berggrate ein schlankes Gemsthier, das ihn mit seinen klugen Augen unverwandt anschaute und eben in Position schien, sich auf ihn zu stürzen. Wieder griff er zu Bogen und Köcher und drückte seinen zweiten Pfeil ab; doch das edle Thier setzte in kühnen und zierlichen

Sprüngen über den Grat und entlang desselben, bis es in dämmriger Ferne verschwand. Der Ritter befand sich in halber Verzweiflung ob des doppelten Verlustes; denn nun blieb ihm nur noch ein Pfeil und die flinke Gemse war über alle Berge davon. Allein er konnte doch nicht anders,als ebenfalls dem Wege folgen, den die Gemse in wenigen Minuten zurückgelegt und den er jetzt mühsam bewältigen mußte. Nach Langem erreichte er endlich das Ende desselben, wo sich der Weg nach einer dunkeln Felsschlucht wendete, die er aber nur mit unangenehmen Gefühlen und Verwünschungsworten betrat.

Da stund er plötzlich an einer steilen, hohen Felsenwand. Von hier führte kein Weg weiter, kein Laut war vernehmbar und er schaute lange,vergebens die Felsenwand hinan. Endlich regte sich etwas Lebendiges oben auf dem Gipfel der Wand: ein prächtiger Bergadler erhob seine stolzen Schwingen und senkte sich langsam gegen die Tiefe.Von oben aber schrieen die Jungen Wehe über den unwillkommenen Störer ihrer Ruhe, der drunten stund. In halber Verzweiflung drückte der Ritter seinen letzten Pfeil ab, aber er blieb im Fels stecken und der Adler wiegte drohend seine Schwingen und spreizte seine Krallen aus, den Frevler zu packen. In Todesangst rief der Ritter den Namen Hulda aus; da öffnete sich die Felsenwand und er sah in einem hohen Alpenthale eine einfache Hütte aus Stein gebaut mit einem Kreuze davor; der Adler aber war verschwunden.

Er starrte noch verwundert auf die Verwandlung, als eine wunderliebliche Gestalt aus der Thüre der Hütte trat.Blaue Augen voll Engelmilde blickten aus einem feipen Gesichte und blondes Haar fiel von den Schultern. Die Herrliche erhob ihre Stimme und sprach:

„Du rufst umsonst, frevler Ritter, nach deiner Zauberin;denn bald hat ihre Macht ein Ende. Nicht bloße Sinnenlust, nicht Zauberkünste, nicht frevles Wesen sollen hier oben in unserem freien Thale herrschen, sondern Glaube,Liebe, Hoffnung, christlicher Glaube, dessen Sinnbild, das du hier siehst, so oft von dir geschmäht wurde. Von diesen heiligen Drei prallen alle Künste der Welt ab, wie deine Pfeile von meinen Thieren.“

Als Rabiusa mit sanft mahnender Stimme diese Worte gesprochen hatte, fühlte er, daß die Erinnerung an Hulda von ihm wich und sanfte Stimmen aus dem Gebirge ihn einwiegten in eine weiche, nie geahnte Empfindung. Die Jungfrau in ihrem einfachen Kleide erschien ihm als ein Engel des Himmels, der ihn nach einem wüsten Traume,in welchem er den rechten Weg verloren, auf denselben wies. Es däuchte ihn, ihr Haupt sei von einem Strahlenkranze umgeben und als der Bär, die Gemse und der Adler sich nun traulich ihr näherten, reute ihn auf diese ihre Diener seine Pfeile abgedrückt zu haben. Rabiusa bemerkte seine Regungen und sagte: „Ich wußte es wohl,Ritter, daß du noch zu etwas Besserem erkoren bist, als zu Unglauben und bösem Thun. Und da nun dein Herz umgewandelt ist, so bin ich überzeugt, wirst du auch gutem Rathe Gehör geben.“ Als der Ritter dies mit Kopfnicken bejahte, fuhr sie fort: „Zieh' denn hin an das heilige Grab des Erlösers, thue dort Buße und flehe um Vergebung deiner Sünden. Und kehrst du alsdann zurück, so wirst du in diesem Thale ein neues Leben beginnen. Thue also und Gott sei mit dir.“

Die Felsenwand schloß sich auf diese Worte und Alles war wie zuvor. Der Ritter aber ging mit andern Gedanken wieder von dannen nach seiner Burg und rüstete sich zur Abreise nach dem gelobten Lande. Auch gewann er einige seiner Gesellen dafür, die sich ebenfalls entschlossen,von ihrem bisherigen Leben abzustehen und ein neues zu beginnen. Sie blieben lange im heiligen Lande und kämpften mit Glück gegen die Sarazenen; darauf kehrten sie zurück und begaben sich nach dem Thale, in welchem Rabiusa wohnte. Die Jungfrau war inzwischen gestorben; aber ihr Andenken lebte in dem Munde Aller, welche rings um das Thal herum wohnten. Nicht nur hatte sie durch ihr frommes Beispiel und ihren Rath gar viele Menschen auf den rechten Pfad geleitet, sondern auch milde Stiftungen nach Kräften unterstützt. Der Rothenbrunner und seine Gesellen gingen demnach in die Wildniß, siedelten sich dort an und errichteten eine Kapelle. Sie arbeiteten Tag für Tag, um die Wildniß zu lichten, und schützten mit ihren guten Schwertern die Reisenden, welche die Straße nach Italien zogen, und die Hirten und Heerden vor Räubern und Raubthieren.Den frischen Bergstrom aber, der das Thal nieder stürzte,nannten sie zum Andenken an die edle Jungfrau Rabiusa und gruben in die Felsenwand, da wo einst ihre Wohnung gestanden, ihren und ihre Namen ein.

Aus der Wildniß, in der Rabiusa gewohnt, blühte dann nach Jahren ein Dorf nach dem andern und das ganze Thal ward nach und nach ein Wohnsizz gesegneter Menschen.Alpenroöschen.

Die Nebel wogten im Thale gespenstig hin und her.Bald dehnten sie sich aus zu lichten seltsamen Gestalten,bald drängten sie sich wieder in schwarze drohende Massen.Ein frischer Nordwind jagte sie endlich über die Häupter der Berge hinweg in die Ferne.

Sie flohen über einen hohen Felsenkamm, als die Sonne hinter der äußersten Gletscherwand im Osten auftauchte.Gleichzeitig erhob sich der Ostwind und stritt nun mit seinem Bruder; die durch den Kampf aufgelösten Nebelschichten aber spielten golddurchwirkt und glänzend um den Kamm.Eine Gestalt stund auf demselben mitten im Nebelmeere und wenn die hellern Schichten sie umspielten, sah ein Menschenantlitz in den Kampf der phantastischen Gebilde hinaus. Endlich fegte die Bise das ganze Kampfesheer hinweg und die volle Morgensonne fiel auf den Mann auf dem Felsenkamme. Die Bergluft hate seine Wangen geröthet und die großen blauen Augen schauten vergnügt auf das Leuchten und Glitzern in den Bergen.

Die Luft ward jetzt mehr und mehr von der Sonne erwärmt und er setzte sich auf das Gestein. Sein Auge schweifte über die vielen wunderlich geformten Felsstücke und die Alpenkräuter, die nur lose an jene angeheftet schienen. Da fiel sein Blick auf eine dunkelrothe Blume mit glänzenden grünen Blättern und er rief entzückt aus:„O herrliche Blume!“ und bewunderte die frischen Farben und den kräftigen Bau derselben. In diesem Augenblicke jagte ein dunkler Nebelstreif vor seinem Auge vorüber, aus dem ein Mädchenkopf sich hervorhob. Und nun stund eine in Bergblumen und Alpenduft gekleidete Jungfrau vor ihm,mit Wangen wie Milch und Blut, mit Augen wie Glut und goldenem Haar und öffnete das feine Mündchen mit elfenbeinweißen Zähnchen und sprach:

„Was ficht dich an, Fremdling, meine Blume zu brechen?Weißt du nicht, daß sie nur hier oben gedeiht und drunten im Thale verdirbt?“

„Verzeihe, holde Schöne,“ sagte der Fremdling und beugte sich vor dem strahlenden Kinde, „das habe ich nicht gewußt. Wenn du aber nicht zürnst, so möchte ich gerne von dir Nachrichten von dieser Blume hören?“

Sie sah ihm forschend in die Augen und sagte dann:„Wohlan, so magst du es denn wissen; doch gelobe mir,es keinem Menschen zu sagen.“

Nachdem er das Gelübde abgelegt, begann sie:

„Vor langen, langen Jahren lebte in diesen Bergen ein Mädchen, von seinen Eltern Röschen genannt, weil es gar frisch und blühend war, wie eine eben aufgebrochene Rose. Sie war auch muntern und fröhlichen Sinnes und jauchzte und sang den ganzen Tag. In der Mußezeit stieg sie auf die Berge, um Flühblumen zu holen oder nach den Schmetterlingen zu haschen. Oder sie kletterte auf die höchsten Flühen und rief und sang in die Felsen hinein, um dem Echo zu lauschen. Dann ersann sie wohl auch allerhand neckische Fragen und freute sich um so herzlicher,je sonderbarer das. Echo aus den Flühen tönte. Wenn sie ihrem Hüterbuben rief: „Wo bist du Hans?“ und das Echo antwortete „Gans,“ oder: Chunst nit zu mir es chliseli“ und es tönte zurück „liseli,“ dann klatschte sie in die Hände und lachte hell auf. Aber bei aller Fröhlichkeit und bei allem Muthwillen that sie doch keinem Menschen etwas zu Leide. Vielmehr ward sie von Allen ihres freundlichen Sinnes wegen gerne gesehen und geschätzt. Die jungen Bursche im Thale und auf den Nachbarbergen DDD jeder meinte der Bevorzugte zu sein, wenn er von ihr freundlich angeschaut oder herzlich begrüßt wurde. Und doch lag in dieser Freundlichkeit nicht die mindeste Bevorzugung;sie war nur der natürliche Ausdruck ihres Herzens, das mit voller Liebe und innigem Glauben an seiner Umgebung hing.

Ihre Eltern, deren einziges Kind sie war, hatten zwar längst gehofft, sie möchte zu einem jungen Manne ernstliche Neigung fassen. Sie liebten sie jedoch zu sehr, um ihr Zwang anthun zu können, und ließen sie gewähren. Wenn sie den geheimen Wunsch der Eltern gekannt hätte, so würde sie ihn vielleicht aus kindlicher Liebe erfüllt haben.Aber die Welt lag noch in rosigem Dämmerschein vor ihrem unbefangenen Sinne und der Ernst des Lebens in weiter Ferne.Doch es steht in den Sternen geschrieben, wie ein altes Sprichwort sagt, daß jedem jungen Herzen sein Stündchen schlägt. Röschen sollte die Wahrheit dieses Wortes endlich auch an sich selbst erfahren.

Sie hatte mit den Eltern den Winter über in einem Dorfe zugebracht und wenn in dieser Zeit ein Wunsch in ihr aufstieg, so war es der nach den grünen Bergen, frischen Quellen und blauen Flühen. Jetzt war der klare Schnee von den Bergen geschmolzen und neue Lust strömte durch ihre Adern. Sie wandelte wieder durch die mit Blumen besäeten Matten und hörte wieder die Lerchen schmettern.Und als erst der Tag des Aufzugs auf die Alpe kam, das Alphorn und die Heerdenglocken klangen, die Sennenbuben jauchzten, da jubelte auch Röschen in voller Frühlingsfreude.An einem heißen Nachmittage langte von der nächsten Alphütte her ein ermüdeter junger Fremdling am Berge an. Er war leidend, wie er sagte, und man hätte dieß schon seinem blassen Aussehen entnehmen können. Dabei sahen ein Paar freundliche Augen aus seinem Antlitz und seine Sprache klang wenn auch fremdartig, doch treuherzig.Er bat, man möge ihm gestatten, hier zu bleiben, damit die frische Bergluft und Molken ihm Heilung brächten.Er begleitete diese Worte mit einem bittenden Blicke, dem die Eltern nicht widerstehen konnten; Röschen aber senkte getroffen ihr Auge zu Boden und ward feuerroth. Der Fremde, der sich Theodor nannte, blieb und gewann rasch das volle Zutrauen der Eltern.

Er gewann aber auch, was vor ihm Keinem gelungen war: das Herz Röschens. In dem blassen freundlichen Fremden öffnete sich ihr die unbekannte Welt, die neben dem Reize der Neuheit auch durch den der gefälligen äußeren Formen bestach. Aber Theodor war auch leidend und deßhalb interessant und das Mitleid schlug in Röschen für deu Leidenden. Unwillkürlich empfand sie die Kluft zwischen ihm und ihrer Umgebung,die ihr jetzt in ganz anderem Lichte erschien als früher. Sie sah mit seinen Augen, wenn ihr auch manches noch fremd vorkam, was er über diesen oder jenen Gegenstand äußerte. Sie mochte jetzt auch nicht mehr singyi und jauchzen und nicht mehr allein auf die Höhen steigen. Erst wenn Theodor es wünschte, um die Bergluft mit vollen Zügen zu genießen und die Alpenwelt zu betrachten, fand sie auch Zeit dazu. Dann führte sie ihn zu ihrem Lieblingsplätzchen und nannte ihm die Namen der Gebirgsblumen und der milchreichen Alpenkräuter.Und wenn sein Auge bewundernd auf den seltsamen Formen der Berge, oder auf den Eisflächen ruhte, die zu den höchsten Bergkronen hinaufführen, und er seinen Empfindungen Worte lieh, empfand sie mit ihm die Größe und Herrlichkeit der Alpennatur und es stieg erst in ihr der Gedanke auf, es sei hier schöner als anderswo in der Welt. Als sie eines Tages den Donner einer fallenden Lawine vernahmen und er sie bat, das Echo zu wecken, da erhob sie endlich auch ihre helle Stimme und jauchzte und rief mit frischer Kraft in die Felsen hinein. Oft auch stiegen sie höher auf die Fluhspitzen und schauten das reiche Hügelland nach Norden mit Wald, Fluß und See, mit Städten und Dörfern, wie sie aus dem üppigen Grün auftauchten.

Aber auch Theodor fühlte sich von seiner neuen Umgebung magnetisch angezogen. Der Anblick der Majestät der Natur kräftigte seine Seele und die reine Luft seinen Körper. Röschens Einfachheit und Natürlichkeit gewannen seinen Verstand und sein Herz und ließen ihn den Zwang und die glatte Höflichkeit der städtischen Gesellschaft richtig schäteen. Er gewann den Berg und seine Bewohner von Tag zu Tage lieber.

Es war ein heller Sonntagsmorgen. Theodor und Röschen saßen schweigend oben auf der höchsten Fluhspitze und hörten, wie ringsum aus den Thöälern das feierliche

Sonntagsgeläute zur einsamen Alp herauf klang. Der frische grüne Teppich der weiten Landschaft tief unten glänzte in Sommersonnenglut; laue Windeswellen wogten hinan zur Höhe und die ganze glitzernde Alpenwelt schien festlich angethan. Hier oben aber war's so still und einsam. Nur seltene Schmetterlinge oder Vögel segelten vorbei. All' die Pracht und Glut erfüllte Theodor mit Entzücken und seine Augen wurden feucht. Er lehnte sein Haupt an Röschens Schulter und fiel in ein träumerisches Sinnen. Er sah sich wieder zu Hause, von allem umgeben, was sein Herz begehrte, und doch fehlte ihm etwas, das er dort nicht zu finden vermochte. Röschen betrachtete den Träumenden mit seltsamen Gefühlen; die lachende und blitzende Alpenwelt hatte auf sie stets nur einen fröhlichen Eindruck gemacht und sie konnte die Erregung Theodor's nun kaum fassen.

Endlich erhob sich der Träumer. Sie sah ihm fragend in die Augen, als wolle sie sich überzeugen, ob er wirklich wach sei.„Gefällt dir's heute so sehr?“ fragte sie.

Er nickte mit dem Kopfe. „Wem wollte es hier oben nicht gefallen? Wer möchte nicht auf diesem Berge Hütten bauen?“„Du darfst ja nicht dableiben und dir eine bauen,“meinte sie.

Er lächelte bei diesen Worten freundlich und sagte dann: „Ich wohne fern in einem Lande, wo es keine

Berge giebt, nur große Städte und Schiffe. Doch sieht man das Meer, das sich endlos hinausstreckt. Auch herrliche Gärten haben wir mit tausenderlei Blumen, Rosen und Tulpen der schönsten Art.“

„Das muß herrlich sein,“ sagte sie verwundert.

„Möchtest du nicht in jenes Land ziehen?“ fragte er,sie lange und bewegt anblickend.

Sie schlug die Augen nieder und fragte: „Mit dir?“

„Ei ja wohl,“ und er zog sie an sich und legte seine Hände in die ihren. Dann erzählte er ihr mehr von seinem Lande und entwarf ein reizendes Gemälde ihres künftigen Beisammenseins in dem fremden Lande, bis die hochstehende Sonne sie zur Rückkehr mahnte. Die Alten schmollten über die lange Abwesenheit, doch versöhnte sie das nach langer Zeit wieder wie vordem freudestrahlende Gesicht Röschens.

Als dann Theodor mit Röschen an der Hand sie um ihre Einwilligung bat, sagte der Alte: „Kind, bleib' im Lande, du wirst nicht gedeihen draußen in der Fremde.“

Sie brach in Thränen aus und stürzte an den Hals der Mutter.„Wenn es nicht anders sein kann,“ sagte diese, bewegt vom eigenen Schmerze und dem des Kindes, so laß sie in Gottes Namen ziehen. Er wacht überall über den Seinen.“

Und sie zogen, nachdem sie im Dorfe unten Hochzeit gehalten, fort in's fremde Land. Aber der Abschied brach den Alten das Herz nnd sie sanken eins ums andere innert Jahresfrist in's Grab.

Röschen war indessen mit ihrem geliebten Theodor im fremden Lande angekommen. Dort lag hart an einem großen Strome sein unvergleichliches Besitzthum Rosenhain,das alle Pracht und Bequemlichkeit in sich vereinigte,was nur Sinne und Herz erfreuen mochte. In den Gemächern glänzte und blitzte es von Kostbarkeiten und Gewänder von Sammet und Seide lagen darin für Röschen bereit. Rings um das Schloß herum aber prangte ein großer Garten mit Bäumen, Gesträuchen und Blumen aller Arten, zierlichen Springbrunnen, Käfigen voll seltener Thiere und mit schattigen Laubengängen. Es schien Röschen, im Paradiese könne es kaum schöner sein als hier, und sie wußte bei'm ersten Anblicke sich vor Entzücken fast nicht zu fassen und nicht zu begreifen, wie Menschenhände dieß Alles hinzuzaubern vermocht hätten. Sie fühlte sich selig und glücklich an der Seite ihres Gemahls, der ihr auch mit der größten Liebe jeden Wunsch abzulauschen suchte und von Morgen bis Abend bemüht war, ihr Vergnügen zu bereiten. Landpartien, See und Stromfahrten und Feste folgten sich in angenehmem Wechsel.

Röschen empfand eine kindliche Freude ob dieser Herrlichkeit, von der sie nie etwas sich hätte träumen lassen'J

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Nur der Wunsch stieg oftmals in ihrem Herzen auf: „O,könnten doch meine guten Eltern meine Freude mitgenießen!“Doch sie tröstete sich dann mit der Aussicht, ihnen bei ihrem DDDDDD lichkeiten alle schildern zu können.

So verfloß die schöne Jahreszeit. Die Bäume begannen kahl zu werden und die kalten Winde bliesen. Das Paar sehnte sich nach Ruhe und Erholung von den vielen Festlichkeiten und zog sich in die Gemächer zurück, in denen künstliche Blumen und eine wohlthuende Wärme die Annehmlichkeiten des Sommers zu ersetzen bestimmt waren.Und der Winter brachte auch wieder seine Zerstreuungen;an den langen Abenden musikalische Aufführungen und Tanz und Spiel oder an hellen Tagen Schlittenfahrten.Zu Anfang desselben hatte Röschen sich recht sehr dieses neuen Zeitvertreibes gefreut und besonders gefiel ihr die Musik aus der nahen Stadt. Je mehr aber die kurzen Tage schwanden und die langen allmälig anrückten und laue Lüfte wehten, desto einsilbiger wurde sie. Sie staunte oft lange Zeit vor sich hin und gab auf viele Fragen ihres Gemahls keinen oder verkehrten Bescheid, so daß er kopfschüttelnd und traurig sie betrachtete. Das frische Roth ihrer Wangen schwand, die hellen Augen wurden trübe und ihre Gestalt fiel sichtlich zusammen. Theodor ließ die berühmtesten Aerzte aus der ganzen weiten Umgegend kommen, um die Ursache ihres veränderten Zustandes zu entdecken; aber keiner war im Stande, dieselbe anzugeben und alle erklärten, sie befinde sich körperlich vollkommen gesund. Endlich ließ er auch seine Mutter Rosalinde aus der Ferne rufen; aber auch sie, die doch eine Fee war,vermochte nicht den Grund von Röschens Veränderung zu erforschen und wurde mißmuthig, da der Sohn wiederholt sie mit Aufträgen und Fragen belästigte, denen sie nicht zu begegnen vermochte. Röschen aber schwieg beharrlich, wenn Theodor sie in vertraulichen Stunden liebreich fragte, woran sie leide; nur einmal entschlüpfte ihr ein Wort von den Bergen der Heimat. Der besorgte Gemahl gedachte ihr eine Freude zu bereiten und sie aufzuheitern, als er nach der Stadt schrieb und bei'm OberMusikus eine ExtraComposition bestellte. Er lachelte schon im Stillen in der Annahme des sichern Erfolges und traf Vorbereitungen zu einem glänzenden Abend. Zahlreiche Gäste von nah und fern waren geladen und fanden sich auch ein.

Die Musik begann mit einer heitern Weise und ging dann allmälig über in eine ernstere. Theodor beobachtete mit möglichster Sorgfalt seine geliebte Gemahlin und verwandte keinen Blick von ihr. Allein die Wirkung war nicht die erwartete; statt daß Röschen heiter gestimmt wurde, fiel sie in noch trüberes Sinnen. Wie auf fast alle fein gestimmte Seelen, so übte auch auf sie der jähe Wechsel der Melodien und Instrumente einen die Harmonie der Seele störenden Eindruck und sie gerieth in eine aufgeregte

Stimmung, die Theodor deutlich- in ihren Zügen, lesen konnte. Er bat den Kapellmeister um Aufführung des Liedes, das er bei ihm für diesen Anlaß bestellte, und wartete gespannt der Wirkung, die seiner Absicht gemäß besänftigend und mildernd sein mußte.

Ein Adagio in Moll auf der Flöte spannte die Aufmerksamkeit der Anwesenden. Dann erhob sich eine jugendliche Sängerin und sang folgende Weise:

O Alp, ich seh' dich grünen, blühen,Und deiner frischen Blumen Kranz,

Er lacht mir von den hohen Flühen Auf's neu im hellen Farbenglanz.Wie um dein Haupt die Düfte weben Und liebe Bilder rufen wach,

So weckt in mir wohl neues Leben Die Sehnsucht nach der Heimat Dach!

Vollkommene Stille herrschte im Saale, während die Sängerin die meisterhafte, die tiefste Sehnsucht athmende Composition vortrug. Als sie geendet, schwieg noch die ganze Versammlung, so mächtig war der Eindruck gewesen und man hörte kaum athmen. Nach einigen Sekunden aber erhob sich ein wahrer Beifallssturm, der den Saal erdröhnen machte. Die Künstlerin ward von allen Seiten warm beglückwünscht.

Mit Spannung hatte auch jetzt Theodor Röschen im Auge behalten. Er hoffte, die Weise des Alpenreihens und die Sehnsuchtsklänge nach der Heimat möchten eine heilende

Wirkung auf ihren Gemüthszustand ausüben, und glaubte hiebei als guter Seelenkenner verfahren zu sein. Er forschte ängstlich in ihren Zügen, während ringsum Alle Aug' und Ohr auf die Künstlerin gerichtet hatten. Sie hatte die Augen halb geschlossen und schien zu träumen bei den schmelzenden Tönen der Flöte. Und als das Lied begann, zuckte sie leise, die Thränen flossen still; als aber die Gesellschaft in lauten Beifall ausbrach, schluchzte sie überlaut und sank zusammen.

Theodor hoffte, diese erschütternde Wirkung werde von den wohlthätigsten Folgen sein und ihrem Gemüthe Erleichterung verschaffen. Leider war seine Hoffnung vergebens; Röschen verfiel von Tage zu Tage mehr dem verzehrenden Verlangen nach den Bergen der Heimat und alle Zerstreuungsversuche und Trostgründe Theodor's vermochten nichts über diese stille Leidenschaft, die in seinen Augen ein unglücklicher Wahn war. Er wandte sich endlich wieder an die Mutter um Hülfe und Rosalinde erschien sogleich.

Die Fee zürnte Röschen, weil sie sich an der Seite ihres Gemahls nicht glücklich füuhlte. Sie argwöhnte, eine alte Liebschaft in den Bergen sei die Ursache ihrer Betrübniß.„So möge sie denn wieder in ihre Berge zurückkehren,nach denen sie sich so sehr sehnt,“ sagte Rosalinde, „aber in anderer Gestalt. Da sie nicht als Röschen in unserm Garten bleiben mag, so soll sie hoch auf dem Berge als wilde Rose blühen, bis ein Fremdling sich entschließt, mit ihr in jener öden Gegend zu leben.“

Der Fremdling brach bei dieser Erzählung des Mädchens erstaunt in die Worte aus: „Wäre dieß möglich?“

„Freilich, und nun weißt du auch, warum mir die Alpenrose so lieb is.. Wo meine guten Kinder auch in der Ferne weilen mögen, immer und überall erwacht in ihnen einmal die unbezwingbare Sehnsucht nach den Bergen dieses schönen Landes, tönt in ihren Ohren das Geläute der Herdenglocken und des Alphorns Klang. Und so unwiderstehlich ist diese Sehnsucht nach der Heimat, daß die Nichterfüllung Gram und Tod zur Folge hat. Meine Söhne, die in fernen Landen unter den Waffen stehen,werden traurig, wenn sie des Alphorns oder der Herdenglocken Klang in der Heimat gedenken oder ihn hören, und sie scheuen weder Strafe noch Tod, um das Ziel ihrer Sehnsucht zu erreichen.“

„Sonderbar, sollte eine solche Leidenschaft möglich sein, die doch nicht Liebe zu einem bestimmten menschlichen Wesen ist?“

„Gewiß, und gerade Röschen hat die Macht des Heim weh , so sehr erfahren; denn wisse, so heißt die Leidenschaft, wenn du den schönen und unwiderstehlichen Zug des Herzens nach der Heimat so nennen willst.“

Ein Strahl der Freude zuckte über des Fremdlings Gesicht. „O, so ist es also nicht geheime Liebe und Un treue gewesen, die mein Röschen von meiner Seite riß,so war es denn einzig dieser eigenthümliche und unbegreifliche Zug nach den Bergen der Heimat. Wohl mir, daß ich hieher gekommen bin, um meines Verlustes und meines Gewinnes sicher zu werden. Aber sage mir, schöne Fee des Gebirges, kaun ich mein Röschen wieder schauen?“

„Sofern du die Bedingung Rosalindens erfüllst, die deine Mutter ist, wie ich höre.“

„Ob ich sie erfüllen will?“ fragte Theodor. Tag und Nacht ist das Bild meines geliebten Röschens nicht von mir gewichen und hat mich wieder in diese Berge geführt.“

„So eile denn hinunter in jene Hütte,“ sagte die Fee Alpina, denn sie war es selbst, die Herrscherin des Gebirges, „dort wirst du Röschen wiederfinden.“

Ein dicker Nebelstreif jagte eben vorüber und hüllte die Fee ein; sie war verschwunden.

Theodor aber fand Röschen unten, wie ihm die Fee gesagt hatte. Sie lebten bis an ihr Lebensende glücklich,und nannten die Fluh, auf der sie sich einst zuerst gefunden und jetzt wieder vereinigt, die Rosenfluh. Der Leser findet sie leicht, wenn er den Eingang des herrlichen Berner Oberlandes betritt.Die sieben Schwestern.

Es war einmal eine schöne, reiche Königin, die wohnte am Wandelsee und hieß Wendelinde. Sie hatte ein goldenes Schloß, das hieß die goldene Lust und lag an einer Bucht gegen Sonnenaufgang, und ringsherum stiegen majestätische Berge zum Himmel empor und spiegelten sich in dem blauen Wasser des See's. Von den Bergen trugen viele weißschimmernde Kronen auf ihren Häuptern und die sahen im Spiegel des See's aus, wie wenn sie von lauter Silber wären. Und kam die Sonne am Morgen hinter den Bergen hervor, so schimmerte der See und Alles darum herum von lauter Gold und in der Tiefe des See's schüttelten die spitzen Berge ihre glänzenden Kronen.

Die Königin hatte einen großen Hofstaat und darunter sieben Jungfrauen. Die sieben Jungfrauen aber waren aus dem Morgenlande gekommen und Schwestern. Ihre Haut war braun, fast wie eine Kastanie, ihre Zähne waren weiß, wie Elfenbein, ihre dunklen Augen glänzten, wie Edelsteine, ihre Haare waren rabenschwarz und ihre Füße so klein und niedlich, wie wenn man sie aus Rosenblättern geformt hätte. Und die Schwestern hießen: Chlorinde,Bäbelette, Züselinde, Vreneleie, Mädelinde und Käthelette.Die älteste aber war gerade um sieben Jahre älter als die jüngste und befahl den andern.

Die Königin war gut und erlaubte ihnen, im Garten spazieren zu gehen, o viel sie wollten, und zu essen und zu trinken, was ihre Zungen gut däuchte. Sie sollten aber nicht an den See gehen oder gar in die Schiffe der Koöͤnigin steigen, die von Cederholz gebaut und mit silbernen Rudern und seidenen Segeln geziert waren.

Als die Königin eines schönen Tages, wie gewöhnlich,schlief, weil sie zu viel Kolibripastete gegessen und zu viel Cyperwein getrunken hatte, welche Dinge sie über die Maßen liebte, da sagte Chlorinde zu ihren Schwestern:„Sehet doch, wie blau der Himmel ist, und wie herrlich der See glänzt! O könnten wir nur einmal auf seinem Spiegel uns wiegen und die goldenen Fischlein und Bergkronen in der Tiefe schauen!“ Diese Worte hörte der Gärtner, der ein grünes Kleid und graue Aeuglein hatte.Und er ging zu Chlorinde und sagte: „Jungfrau, euer Wunsch kann erfüllt werden. Drüben über'm See auf hohem Berge wohnt in einer Grotte die Fee Merlinge,welche Macht hat über alle bösen Elemente und Euch guten Rath geben kann, um die Fischlein und die Kronen sehen zu können.“

Als der Gärtner so geredet hatte, da riefen alle Schwestern wie aus einem Munde: „Ei, ei, wie hübsch!“Nur Käthelette, die jüngste, sagte kein Wörtchen. Chlorinde aber fragte den Gärtner: „Wie fangen wir es an, um die Fee zu sprechen? Könntest du nicht hinüber und sie einladen, eines Mittags zu uns in den Garten zu kommen?“Der Gärtner blinzelte mit seinen grauen Aeuglein und lächelte und sagte: „Das geht nicht; die Fee Merlinge verläßt ihre Wohnung nur um Mitternacht bei wildem Wetter, wenn die Sturmwinde um die Häupter der Berge heulen und die Berggeister ihre Grotte mit glühenden Besen kehren. Da Ihr aber liebe Jungfrauen seid, so will ich Euch gerne rathen. Wenn es zu dunkeln beginnt,so will ich eine der Jungfrauen über den See führen und ihr den Weg zur Grotte weisen, damit sie die Fee befragen kann.“

Da klatschten Chlorinde und ihre Schwestern vor Freuden in die Hände. Nur Käthelette klatschte nicht und sagte: „Wir wollen lieber im Garten bleiben, der schönen Blumen warten und die Vögelein singen hören.“ Die andern Schwestern aber lachten: „Ei, seht doch das fürwitzige Kind, das gescheidter sein will als wir!“ Und sie lachten die Schwester aus, bis sie versprach, ihnen zu folgen und Niemanden ein Sterbenswörtchen zu sagen von dem, was sie gehört.

Derweil war Königin Wendelinde erwacht und kam aus der glänzenden Pforte ihres goldenen Hofes in den Garten gegangen. Wie sie sich den sieben Schwestern näherte und diese stiller waren als gewöhnlich, da sagte sie: „Kinder,Ihr seid, wie es mir scheint, eben so müde als ich gewesen.Geht denn und ruhet aus, bis ich Euch rufe.“ Da gingen die Schwestern und lachten heimlich; nur Käthelette lachte nicht und war roth im Gesichte. Und als die Sonne zu sinken begann, da ging Chlorinde an den See und fuhr mit dem Gärtner im Zwielichte hinüber nach den Bergen der Fee Merlinge. Es war schon dunkel, als sie am Ufer landeten. Der Gärtner band das Schiffchen an einen hohlen Baum, reichte mit seinem rechten Arme in die Höhlung und zog einen großen Feuerbrandhervor, der hell den Pfad erleuchtete und auf das Gestein und Gestruppe zu beiden Seiten bald einen blauen, bald einen rothen Schein warf, daß die Vögel unruhig aufflogen und schrieen. So ging es lange bergauf und dann durch ein wüstes Thal und aus diesem wieder eine steile felsige Höhe hinan bis zu einem grausigen Felskopfe, von dem herab ein bläulichrothes Lichtlein schimmerte.

„Hier wohnt die Fee Merlinge,“ sagte der Grüne,und warf seinen Feuerbrand gegen die Felsenwand. Da flogen die Raben und Bergdohlen aus ihren Felsennestern ängstlich in die dunkle Nacht hinaus und erhoben ein schreckliches Krächzen und Schreien, darob Chlorinde so erschrack, daß sie den Gärtner bat, wieder umzukehren. Der aber war verschwunden und eine lange Frau in dunklem Gewande und mit rothen Augen stund vor ihr und sagte:„Willkommen, mein Töchterlein, in meinem Palaste. Fürchte dich nicht. Siehst du dort meine Schafe, wie sie friedlich in der Grotte schlafen?“ Und sie führte Chlorinde zwischen den schlafenden Schafen hindurch bis zur Hauptpforte.Die Pfosten der Pforte waren hohe und dicke Säulen von lauter Silber und von ihnen herab rannen zahllose Tropfen in einen silbernen Bach, dessen Schaum an die Decke hinaufspritzte. Wo aber der Bach herkam und wohin er floß,das konnte Chlorinde nicht sehen.

Da fragte die Fee Merlinge, was ihr Wunsch wäre,und Chlorinde erzählte ihr Alles, was ihr der Gärtner gesagt hatte. Die Fee lächelte ob der Erzählung und sagte dann: „Ist es nichts weiter als das? Ei, du gutes O sie lange und sagte ihr, was sie zu thun habe. Auf einmal aber rief sie erschrocken: „Eile, eile, daß du jetzt heimkömmst!“ Wie sie aber diese Worte gerufen hatte,da schlug es tief unten im Felsen in raschen Schlägen zwölf. Die Grotte glühte in einem Feuermeer und die Schafe verwandelten sich in Schlangen und Drachen, die an den Wänden und an der Decke herumkrochen, und auf ihrem Rücken saßen schwarze Reiter mit glühenden Zungen.

Fee Merlinge hatte bei'm ersten Stundenschlage ein Fläschchen ergriffen und goß daraus schnell einige Tropfen

1 auf Chlorindens Stirne, daß die Jungfrau hinausgelangte und meinte, nur Schafe gesehen zu haben. Draußen aber war Alles wieder still und nur der Gärtner da, der in einen Felsenspalt griff und einen Feuerbrand daraus hervor holte,um damit zu zünden. Und die beiden wanderten wieder den gleichen Pfad bis zum See, wo der Grüne den Feuerbrand in's Wasser warf, damit Niemand am Tage etwas davon sähe. Dann fuhren sie über den See und kamen noch lange vor der Sonne in der goldenen Lust an, so daß Niemand wußte, wie weit sie fort gewesen.

Und als die Königin Wendelinde zu Mittag wieder viel Kolibripastete gegessen hatte, sagte sie zu Chlorinden:„Mein liebes Kind, geh' und hole mir doch meinen Cyperwein; denn ich habe Magendrücken.“ Da ging Chlorinde hinaus, eine Flasche zu holen, und zog aus ihrem Busen ein Fläschchen, daraus sie viele Tropfen in den Wein goß.Und als die Königin Wendelinde von dem Wein getrunken hatte, bekam sie Schlaf und ging zu Bette. Da rief Chlorinde alle ihre Schwestern zusammen und ging mit ihnen an den See und befahl ihnen, in eines der schönen Schiffe der Königin zu steigen. Und alle stiegen fröhlich ein; nür Käthelette machte kein fröhliches Gesicht. Dann fuhren sie hinaus auf den See und wiegten sich auf dem klaren Wasser und schauten in der Tiefe die goldenen Fischlein und die silbernen Kronen der Berge.

Und als sie um den felsigen und waldbewachsenen

Berg herumgefahren waren, hinter dem die goldene Lust stund, da fielen alle vor Entzücken auf die Knie. Es lag nämlich vor ihnen das Paradies. Da grünte und blühte und duftete es ringsum und die herrlichsten Früchte und andere Sachen hingen an Bäumen und Zäunen, und zahllose Vögel mit herrlichem Gefieder sangen liebliche Melodien und hüpften den sieben Schwestern schmeichelnd entgegen,die sich vor Glück und Wonne um den Hals fielen und drückten. Dann setzten sie sich auf den blumigen Boden des Paradieses, an dessen liebliches Ufer der Wandelsee seine weißesten und schäumendsten Küsse sandte, und naschten von den süßen Früchten, die ihnen entgegenlachten.

Sa thaten sie nun alle Tage. Alle Mittage spürte Königin Wendelinde Magendrücken und holte Chlorinde den Cyperwein für die Königin, und alle Tage goß Chlorinde aus ihrem unversieglichen Fläschchen viele Tropfen in den Wein, darauf die Königin gähnte und schlafen ging und die Schwestern zu Schiffe stiegen und in's Paradies fuhren.Käthelette hatte zuletzt auch ihre Freude daran, weil sie nicht allein zu Hause bleiben mochte.

Eines schönen Tages aber gingen Chlorinde und Vreneleie von den andern Schwestern weg und stiegen vom Ufer die Anhöhe hinan, um zu oberst in's Paradies zu gelangen. Da hörten sie liebliche Musik erschallen und gingen darauf zu, und bald kamen sie zu einem blumenbekränzten prächtigen Hause, dessen Thor weit aufgethan war. Aber man konnte keinen Menschen sehen und hörte nichts als Musik. Da sagte Chlorinde zu Vreneleie: „Laß uns doch hineingehen und sehen, woher diese schöne Musik kömmt.“ Und Vreneleie folgte ihrer Schwester und beide stiegen die Stiege hinauf und kamen in einen wunderherrlich geschmückten Saal, der von den herrlichsten Wohlgerüchen duftete. Sie setzten sich auf zwei Stühle und horchten der Musik zu, die jetzt in ihrer Nähe sich hören ließ.

Doch wie erstaunten sie, als plötzlich zwei junge Münner zur Thüre hereintraten und sie freundlich willkommen hießen!Dann wurden sie zu Tische geladen und als die Jünglinge vernahmen, daß sie noch fünf Schwestern hätten, sandten sie sofort fünf herrlich gesattelte kostbare Pferde hin, um die Fünfe zu holen. Alsdann begann ein fröhliches Leben bei Musik und Tanz. Und nachdem sie genug getanzt,führten die Jünglinge die sieben Jungfrauen in ihren Garten, der noch viel schöner war, als was sie ringsum im Paradies geschaut hatten. Dann setzten sie sich zusammen auf den grünen Rasen und die Jünglinge trugen große Zuckerstöcke herbei, denen sie mit scharfen Schwertern die Köpfe abschlugen. Die Jungfrauen nahmen die Köpfe,höhlten sie mit silbernen Messern aus und füullten die Höhlung mit süßem Weine und tranken ihn. Und Alle lachten und scherzten und waren guter Dinge.

Und als sie so fröhlich und guter Dinge waren, kam wie im Fluge in einem goldbeschlagenen Wagen, den vier arabische Schimmel zogen, Königin Wendelinde angefahren und hielt vor dem Hause. Denn es war derweil spät geworden und als die Königin erwachte und die sieben Hoffräulein nirgends fand, befragte sie den Gärtner, wo sie wohl hingegangen sein möchten. Der Grüne aber war neidisch, daß die Sieben ihn vergessen, und verrieth der Königin Alles. Da ließ sie im Zorne anspannen und sprengte schnurstracks in das Paradies.

Die Sieben aber fielen vor der Königin auf die Knie und flehten und jammerten um Verzeihung; denn sie fürchteten den Zorn ihrer Gebieterin. Königin Wendelinde hörte das Gejammer und wurde noch zorniger und rief:„Weh' Euch, Ihr Ungetreuen und Bösen, die Ihr nicht verdient, an meinem Hofe zu sein! Ihr sollt für euren Ungehorsam und Frevel büßen.“ Und wie sie das gesagt hatte, donnerte und bebte die Erde und ward der Himmel finster; das Paradies aber war verschwunden und nur noch der Name geblieben. In demselben Augenblicke saßen die sieben Schwestern weit von da weg in einem finstern Schlosse gefangen, das in einem wilden Bergthale lag. Das Schloß war mit sieben Schlössern verriegelt und es konnte kein Bein hineinkommen und kein Auge hineinsehen. Und die sieben Gefangenen heulten und wehklagten den ganzen Tag; denn sie bekamen nichts zu essen als Habergrütze und Hirsebrei und nichts zu trinken als Wasser.

Königin Wendelinde aber starb bald darauf am Magen drucke und seitdem gab es keine Königin mehr in der goldenen Lust. Auch die Fee Merlinge lebte kaum mehr fünfzig Jahre; dann begrub sie ihr Knecht, der Grüne, in der Grotte, in welcher sie gelebt hatte und welche noch heutigen Tages zu sehen ist, zum Beweise, daß diese Geschichte wahr ist.Aber nach langer, langer Zeit, als beinahe hundert Jahre verflossen waren, erinnerte sich ein edler Jüngling in einer schönen Stadt, wie ihm in seiner Jugend Vater und Mutter erzählt hatten von den gefangenen Jungfrauen,die nach hundert Jahren befreit werden könnten. Und er sagte zu sich selbst: „Was soll ich mich noch länger in diesen Mauern plagen, deren Bewohner ich nicht leiden mag? Besser ist es, ich gehe hinaus und helfe den Bedrückten und Gefangenen zur Freiheit.“ Und. er machte sich auf und ging zu seinem Lehrer, dem weisen Friedrich,der ihm einst viel erzählt hatte von edlen und großen Helden und Rittern. Dem legte er sein Anliegen an's Herz und bat ihn um Rath. Der weise Friedrich aber sagte: „Mein Sohn, ich kenne das Mittel selbst nicht,durch das die sieben Schwestern befreit werden können;ich kann dir aber guten Rath und Lehr' geben? In ein Thal kommt mit jedem jungen Jahre, wenn die ersten Lerchen schwirren, ein wunderbares und schönes Mädchen.Sie ist nicht in dem Thale geboren, und man weiß nicht,woher sie kommt; auch ist ihre Spur schnell verloren, so bald sie Abschied genommen hat. Zu diesem wunderbaren Mädchen gehe und sie wird dir das Mittel geben.“

Als der weise Friedrich so geredet hatte, dankte ihm Ottilius, so hieß der Jungling, und machte sich auf den Weg nach dem Thale. Er fand es bald und auch das Mädchen, das ihm einen Stab gab mit den Worten:„Mein Freund, trage Sorge zu diesem Stabe; denn mit ihm kannst du alle Hindernisse, Leiden und Kummer überwinden, und wenn du ihn treu bewahrst, so wird er dir dazu dienen, Vieles zu sehen und zu thun, das andere Menschenkinder nicht zu sehen und zu thun im Stande sind. Dieser Stab vermag die stärksten Ketten und Schlösser zu sprengen und Wildnisse in Paradiese zu verwandeln.Nun lebe wohl und denke meiner Worte.“ Und mit diesen Worten war sie verschwunden.

Ottilius war ganz erstaunt über diese Rede und konnte sie zuerst nicht verstehen. Dann aber setzte er seine Reise fort und wanderte nach dem wüsten Thale, in welchem das Zauberschloß lag. Es sah greulich finster aus und gewitterschwangere Wolken lagerten über ihm; Raubpögel aller Art schwebten um seine Mauern und Bären und Wölfe hausten in den Felsen und Klüften ringsherum.Ottilius zweifelte aber keineswegs an dem Gelingen seines Vorhabens; denn die Worte des wunderbaren Mädchens hatten in ihm eine solche Zuversicht erweckt, daß er sich fähig däuchte, selbst Berge versetzen zu können.

*

So gelangte der denn bald zu dem Schlosse und erblickte schon von weitem die sieben Schlösser, die so groß waren wie kleine Häuser und hinter denen die sieben Schwestern gefangen saßen. Da erhob er seinen Wunderstab, den ihm das Mädchen gegeben, und berührte damit ein Schloß nach dem andern. Alle Schlösser sprangen in Stücke und es öffnete sich ein ungeheures schwarzes Thor.Drinnen aber sah er die sieben Schwestern sitzen, die noch eben so schön waren, wie vor hundert Jahren. Und er berührte mit seinem Stocke auch das schwarze Thor: da verschwand mit einem Male das finstere Schloß und eine liebliche Gebirgslandschaft lag vor ihm ausgebreitet, in deren Hintergrunde ein Gletscher sein schimmerndes Weiß sehen ließ. Da aber wo die sieben Schlösser vorher gewesen, quollen jetzt sieben frische Brunnen aus dem Berge hervor und vereinigten sich zu einem klaren und herrlichen Bache, der durch das grüne Thal plätscherte und das Land befruchtete. Ottilius nannte von da an das Thal,in dem die sieben Brunnen aus dem Berge quollen, das Siebenthal.

Als Chlorinde und ihre Schwestern mit einem Male sich aus dem finstern Schlosse befreit und in das grüne Gebirgsthal unter Blumen und frische Quellen versetzt sahen,da jubelten sie laut vor Freude und fielen ihrem Befreier um den Hals, so daß er von ihren Dankesbezeugungen fast erdrückkt wurde. Die Herzen der sieben Schwestern waren aber durch den Wunderstab ebenfalls umgewandelt worden, wie das finstere Schloß, und sannen nicht mehr auf Ungehorsam und bloße Lust. Sechs der Schwestern nahmen sich kluge Männer und bauten Hütten im grünen Thale für sich und ihre Kinder und Kindeskinder, so daß nach vielen Jahren daraus schöne Dörfer erwuchsen. Und ihre Nachkommen wurden fleißige und kluge Leute.

Die siebente der Schwestern aber, Mädelinde, nahm Ottilius mit sich in die Stadt; und den Wunderstab hielt er sein Lebenlang hoch in Ehren.Die exlösten Alpenclubisten.

Sie saßen im Halbkreis um das knisternde Herdfeuer in der Sennhütte und rauchten eine duftende Havannah,deren blaue Ringlein sich in einander schlangen und oben im dunklen Raume verloren. Ob dem Feuer hing der kleine Kessel, halb gefüllt mit Milch duftiger Alpenkräuter.Kaspar, der Führer, bog sich von fünf zu fünf Sekunden darüber und schaute, ob das frische Getränk nicht bald sich ungeduldig geberden möchte. Jetzt zischte es vernehmlich und er drehte mit kräftigem Ruck die Thure so heißt in den Bergen mancherorts das Tourniquet, an dessen Querholz der Milchkessel gehängt wird gegen sich und leerte das einladende Getränk in die bereit gehaltene hölzerne Schüssel, in die denn auch bald vier runde blecherne Löffel tauchten.Die leuchtende Feuerzunge, zu der sich in diesem Augenblicke die Flammen ungehindert vereinigten, beschien nun auch besser die Umrisse der heimeligen Inhaber und auch Besitzer der besagten blechernen Löffel. Zur Rechten saß ein Herr mit vollem weißem Haupthaar und ernstfreundlichen Zügen, aus denen unverkennbare Menschengüte sprach.Neben ihm hatte eine kräftige Gestalt in den besten Jahren,mit vollem Kopf und breiter Stirne Posto gefaßt. Der ernste Ausdruck des Gesichts wird noch durch einen sorgfältig gepflegten blonden Schnurrbart erhöht und berechtigt zu dem Schlusse, die Gedanken des Herrn dürften in diesem Augenblicke ohne Zweifel von der über 6000 Fuß über Meer gelegenen Sennhütte hinabschweifen in die Niederungen,in denen die Menschenwelt sich mit Sorgen und Kummer quält, mit Unbeholfenheit und allerlei Zweifeln. „Wäre es Jedem vergönnt so denkt er wohl ja wäre es Jedem vergönnt, hier oben in frischer Alpenluft seine Befangenheit und seine Vorurtheile abzustreifen und neue Frische, neue Thatkraft zu schöpfen, fürwahr, dann stände es um Vieles besser unten in der Welt.“

Dem sinnenden Herrn zur Linken sitzt etwas zurück ein jüngerer, dessen Physiognomie jedoch nicht erkennbar ist, da eben der Schatten eines breiten Führers sich darauf lagert.So viel ist indessen gewiß, daß er das jüngste Glied der Gesellschaft ist.

Dagegen fällt der Schein der jetzt absterbenden Flammen noch voll auf die jugendkräftige Gestalt zur Linken des Benjamin. Ein hübsches Gesicht mit blauen Augen und großem rothem Barte schaut unter einem schönen Wald von Haupthaar hervor. Er ist offenbar der Redseligste der Gesellschaft, ein echter Abdallah, da sich im Verlaufe des später beginnenden Gespräches seine Lippen fast stetsfort bewegen und beinahe nur dann schließen, wenn er im Begriffe ist,eine frische Cigarre anzuzünden.

Das Mahl war eben beendet, wieder dampfte die Havannah, der Veteran kreuzte die Arme auf der Brust,der Journalist reckte behaglich seine Glieder, der Benjamin zog eine Zeichnung aus dem Busen und der Doktor so nannten ihn die Anderen strich wohlgefällig seinen D0schien. Der matte Glanz des Feuers fiel bei ihrem Eintritte auf einen Mann mit langen Gliedmaßen, dessen Gesicht unter einem breitrandigen Strohhut hervorguckte und mit einer spitzen Nase, so wie mit einem Backenbarte geziert war. Aus der Beschaffenheit des letztern, wie nicht minder aus der etwas sonderbaren Kleidung erkannte die Gesellschaft sofort ihren Mann, der, sich langsam dem Kreise nähernd, demselben nun auch seinen Gruß entbot,den das Kleeblatt gebührend erwiderte. Man bot dem Fremden Platz und die Unterhaltung begann von Neuem,bis der Fremde, eine Pause benutzend, um das Wort bat und sagte:

„Gentlemen! Die Kunde von Ihren kühnen Fahrten in die Gletscherregionen und weiter hinauf zu den höchsten

Spitzen der Alpen ist bis nach Indien gedrungen. Ich komme soeben vom Fuße des Himalaja, den ich zu besteigen gedachte, um Sie zu bitten, mich als Mitglied Ihrer ehrenwerthen Gesellschaft. aufnehmen zu wollen, damit ich die Hindernisse einer so gefährlichen Gletscherfahrt kennen und überwinden lerne. J beg you!“

Der Club konnte natürlich die originelle Bitte des noch originelleren Fremden, der extra aus Indien hergereist kam,nicht von der Hand weisen und rechnete sich vielmehr die Gewährung derselben zur hohen Ehre an. Im Stillen aber dachte jeder der Vier: „Gott, welcher verrückte Narr! Reist extra aus Indien her, wo es doch noch viel höhere Berge gibt, zu uns, statt dort seine Tour zu machen und von des Himalaja Höhe auf das himmlische Land am Ganges hinabzublicken! Echt englische Ueberspanntheit!“ Sie ahnten nicht, welche hohe Person in so unscheinbarer Gestalt und mit wirklich häßlichem Gesichte unter ihnen weilte, und plauderten deßhalb auch auf das Unbefangenste fort. Der Fremde schien hiedurch, so wie durch die Gewährung seiner Bitte auf's Höchste erfreut zu sein und mischte sich recht lebhaft in's Gespräch, bis Einem nach dem Andern die Augenlider sanken und Morpheus die Gesellschaft in seine Arme schloß.

Nur Kaspar war noch wach. Während die Gesellschaft über die Natur und Beschaffenheit der Moränen, über verbesserte Alpenwirthschaft und andere derartige höchst nütz liche Dinge diskutirte, hatte er den Kopf des Engländers zum Gegenstande seines physiognomischen Studiums gemacht.Und obwohl er Lavater's Physiognomik nie gelesen hatte,so schloß er doch sehr richtig aus dem übermäßig hervorspringenden Hinterhaupte, den wulstigen Lippen und aus dem Barte, der ganz Schlangen ähnlich sah, so wie aus den glänzenden Augen des Engländers auf dessen feurige und sinnliche Natur.

„Alle Wetter!“ sagte er jetzt laut und stampfte mit dem rechten Fuße auf dem Boden, „dieses Gesicht muß ich schon mehrmals gesehen haben. Ist das nicht der Kerl,der mir am Wetterhorn den Weg wies, als ich wie ein Wahnwitziger in der Irre herumlief?“

Ueber diese Entdeckung vorläufig zufrieden gestellt, legte sich nun auch Kaspar auf's Ohr und schlief einen kurzen,aber gerechten Schlaf. Und einen sehr kurzen freilich;denn kaum stieß der junge Tag an den Himmel, so stand er auf, weckte die schlafenden Clubisten und zuletzt auch den Engländer. Nach kurzem Frühstück brach die Gesellschaft auf und schritt trotz des beißendsten Gletscherwindes rüstig einer Schneehalde zu, die sich anfangs sanft, dann aber immer steiler und steiler bis zu einem Bergsattel hinauf erstreckte. Ohne Beschwerde gelangten sie über den untern Theil der Halde, denn der Schnee war fest gefroren und die gute Nachtruhe hatte den erschöpften Kräften neuen Ersatz gebracht. Nun aber begann ein härteres Stück

Arbeit. Auf dem steilen Theil der Halde konnte der Fuß bald nicht fest genug mehr auftreten und die Gesellschaft sah sich genöthigt, das Beispiel der Bewohner der Wälder nachzuahmen und zur Noth auch eine Art vierhändiger Operation vorzunehmen. Einzig der Engländer bedurfte der Anwendung dieses Mittels nicht; er schritt fest und aufrecht über die steilsten Stellen, als läge die schönste Landstraße zu seinen Füßen. Aber gleich allen ächten Gentlemen konnte er nicht unterlassen, wenn auch selten, doch hie und da den Anstrengungen seiner Gefährten einige Aufmerksamkeit zu schenken, und wehe dem, den er etwa in einer komischen Stellung erblickte. Ein schallendes Gelächter und unverhehlte Schadenfreude folgten dann der Entdeckung,so daß endlich die Clubisten in einen gelinden Zorn über den Langbeinigen geriethen.

Nach vielen Beschwerden war der Sattel erreicht. Die Sonne brach eben hinter einem Felsrücken hervor und goß ein Meer von schimmerndem Gold über die weißen Firnen und Felder der Alpenwelt. Gewaltige Gebirgsstöcke hatten sich vor den Augen der Gesellschaft wie mit einem Schlage hingepflanzt und hinter ihnen ragten feine weiße Spitzen weit in den Himmel hinein. Der mächtige und glänzende Anblick setzte die Beschauer in Bewunderung und wonnevolles Entzücken und gerne hätten sie noch länger verweilt,doch Kaspar mahnte zum Aufbruche; denn erst jetzt begann die eigentliche schwere Arbeit. Sie betraten ein Firnfeld, auf dem sie Stunden lang im Zickzack marschiren mußten.Zudem begann die Sonne ihre Rücken immer unangenehmer zu wärmen, während der Widerglanz des Firnschnees die Augen blendete und die Anstrengung des Marsches alle ihre Kräfte aufzusaugen drohte. Zu guter Letzt geriethen sie noch auf ein weiches Schneefeld, in das sie bis an die Hüften hineinsanken und das sie nur mit der unsäglichsten Mühe Schritt vor Schritt bewältigen konnten. Der letzte Schweißtropfen ward ihnen ausgepreßt und ihre Haut war so trocken geworden, wie ein ausgedörrtes Ackerfeld. Eine bedenkliche Müdigkeit bemächtigte sich des Kleeblattes; die furchtbare Anstrengung hatte ihre Kräfte in einem solchen Grade erschöpft, daß es ihnen schien, eine Zentnerlast hänge sich an ihre Beine. Nur die größte Entschlossenheit vermochte hier den Sieg davonzutragen.

Wie bei'm Beginne des Steigens, so war auch bei allen spätern Mühseligkeiten der Engländer mit der größten Leichtigkeit über alle Hindernisse hinweggeschritten. Die Wanderungen im Zickzack hatten noch eine Zeit lang seine Lachlust rege erhalten, doch äußerte sie sich immer seltener, je mehr er seine Gefährten unter der riesigen Anstrengung und den äußern verderblichen Einflüssen leiden sah. Als er der Letzte im weichen Schneefelde die verzweifelten Knieübungen seiner Vorgänger ansah, begann er ernster zu werden und lachte nie mehr, sondern beobachtete aufmerksam den Zustand jedes einzelnen Gefährten. Dagegen hatte er kein

Auge für die ihn umgebende großartige Natur und kein einziger Laut der Bewunderung flog über seine Lippen.Sein sonderbares Benehmen erregte in Kaspar nicht geringen Verdacht; doch beschwichtigte er denselben mit der Bemerkung,die Engländer seien allzumal kuriose Käuze.

Es war schon hoch am Vormittag, als die Gesellschaft den Bergsattel erreichte, von dem aus die Spitze des stolzen Bergriesen nicht tausend Fuß hoch mehr entfernt war. Hier machten die Ermüdeten Halt und nahmen eine herzhafte Stärkung zu sich. Auch der Engländer entkorkte zwei Flaschen und wandte sich dann an die Gesellschaft:

„Gentlemen! Verzeihen Sie mir, wenn ich Anfangs über Ihre komische Art, Berge zu steigen, mich etwas lustig gemacht habe; allein es ist nun so meine Art. Erlaubt mir dagegen, der Gesellschaft einen Tropfen Wein aus Schiwa's Garten anzubieten, ein Getränke, das ganz besonders zum Bergsteigen dient, weil es die gelähmten Kräfte wieder erfrischt.“Er schenkte bei diesen Worten einen purpurnen Saft ein und bot ihn der Reihe nach seinen Gefährten. Alle fühlten sich unmittelbar nach dem Genusse wunderbar gestärkt und leicht und drückten ihre Verwunderung über die schnelle Wirkung und die Feinheit und Güte des Getränkes in lauten Worten aus.

„„Wie sagen Sie,““ fragte der Doktor, „„dieser Wein käme aus dem Garten Schiwa's? Wir haben wohl

19 aus Hafis und aus Platen und Immermann's literarischer Fehde von einem Garten von Schiras gehört, aber nimmermehr von jenem?““

„Und doch ist es so! Sie wissen ja, Gentlemen,“wandte er sich lächelnd an seine Zuhörer, „daß die Indier vormals den Schiwa als ihren höchsten Gott verehrten und ihn höher stellten, als Brahma und Wischnu, die beiden andern Hauptgötter, welche drei zusammen die Dreieinigkeit oder Trimurti bildeten. Schiwa oder Mahadewa, der große Gott, ward von dem Volke so hoch verehrt, weil man ihn unter dem Feuer vorstellte, dem, belebenden und zerstörenden Element. Er war somit als Herr der freien Naturkraft in ihrem steten Wechsel der gefürchtetste Gott, obgleich er selbst nicht böse war, sondern sogar gegen die den Göttern feindlichen Dämonen stritt. Nun besaß der häßliche Gott bekanntlich eine reizende Gemahlin, die Göttin der Fruchtbarkeit, Gesundheit und Freiheit, die Beglückerin der Menschen.Wenn nun das Götterpaar von seinem Sitze, dem Himalaya, niederstieg in die blühenden Länder im Süden, so weilte es gewöhnlich, unerkannt von den Menschen, in einem wundervollen Garten, in dem die edelsten Früchte und die feinsten Weine wuchsen. Durch besondere Güte des Verwalters ist es mir gelungen, von diesen Weinen zu erhalten,und hier ist denn eine Probe davon.“

Das Kleeblatt schaute den Erzähler höchst verwundert an, wie wenn er einen schlechten Spaß mit ihm getrieben oder in der Narrheit Fortschritte gemacht hätte, und alle schüttelten den Kopf.

„„Meiner Treu,““ sagte endlich der mit dem blonden Schnurrbart, „„ich begreife von dieser Geschichte nichts.Dieser Gott Schiwa ist eine Antiquität, die mit unserm Eisenbahnzeitalter nichts zu thun hat und schon vor Christi Geburt begraben wurde.““

„Bitte um Verzeihung!“ warf der Engländer mit ernster Miene ein, „die Götter existiren noch immer, aber die Menschen unseres materiellen Zeitalters haben die Fähigkeit eingebüßt, sie zu sehen. Wer aber mit unbefangenem Sinne und redlichem Willen Welt und Natur betrachtet,wird ihre Spuren auch heute noch entdecken können.“

Der Veteran schüttelte ungläubig den Kopf ob dieser Behauptung des Gentleman. Benjamin aber meinte:

„„Glauben Sie denn, daß auch hier in unsern Alpen Götter thronten oder noch thronen?““

„Warum sollte dies nicht möglich sein? Vielleicht hat selbst vor Zeiten das indische Götterpaar hier seinen Sitz einmal aufgeschlagen, als es durch den Buddhaismus des Thrones verlustig erklärt wurde. Ein schweizerischer Geschichtsforscher versetzt ja das erste Menschenpaar in die rhätischen Alpen; könnte nicht hier auch das erste Götterpaar gewohnt haben?

„„Nun, wir lassen es gelten. Wenn es Berggeister und Dämonen gibt, so darf es wohl auch Götter geben.

Und daß es Berggeister gibt, behaupten noch alte Leute in den Bergen. Erst vor Kurzem erzählte mir ein Alter eine Sage aus dieser Gegend.““

„Erzählt, erzählt,“ baten die Andern, und der Jüngling begann:

„„Vor bald hundert Jahren lebten unten im Grindelwaldthale vier kühne Jäger, denen keine Fluh zu steil, kein Grat zu schmal und kein Wetter zu wüst war. Sie galten auch im ganzen Oberlande als die größten Waghälse und man füürchtete sich vor ihnen so sehr, daß die Mütter ihre weinenden Kinder schweigen machten durch die Drohung, „die Jäger kommen“, wie dies einst die französischen Mütter mit dem Worte, „Marlborough kömmt,“ auch prakticirten. Gut,diese Jäger hatten es ganz besonders auf die Steinböcke abgesehen, die zu jener Zeit noch recht zahlreich in diesen einsamen Eisregionen ihre Turnübungen über Fels und Firn anstellten. Es mochte diese Bevorzugung der Steinböcke wohl ihren Grund in der verhältnißmäßig leichten Jagd der Ersteren haben, obgleich eine Steinbockjagd kein Spaß ist und manch ein Jäger Tage lang in den wildesten Regionen der Berge seinen Spuren folgte, ohne zum Ziele zu gelangen. Unsere Jäger betrieben die Steinbockjagd jedoch dermaßen eifrig, daß man das flinke Thier der Alpen immer seltener fand, und nach Verlauf von mehr denn zehn Jahren hieß es überall, es sei nur noch ein einziges Paar vorhanden. Nun gab es zwar sehr viele Leute, welche die

Jäger ihrer Leidenschaft wegen, eine Zierde der Alpen auszurotten, oft und bitter tadelten, aber ohne Erfolg. Sie strichen neuerdings Tage und Wochen lang den „Letzten des Stammes“ nach und waren auch eines Tages so glüclich,ihre Fährte zu gewinnen. Bevor sie indessen ihrem Ziele näher gelangten, begegnete ihnen ein alter Mann in silberweißem Barte, der sie ermahnte, von ihrem Vorhaben abzustehen, indem sonst der Geist der Berge die Ausrottung eines seiner Lieblingsthiere bitter rächen würde. Der wohl-meinende Rath fand kein Gehör, die letzten edlen Thiere wurden erlegt. Aber auch die Strafe folgte auf dem Fuße nach. Man sagte, der Geist habe die Vier verdammt, so lange in den unwirthlichsten Regionen der Alpen umherzuirren, bis ihnen wieder einmal ein Steinbock erscheine.““

Der Erzähler hatte kaum geendet, als der Wind die Nebelkappe, die seit kurzer Zeit über der höchsten Spitze sich gelagert, mit einem Male weghob und Kaspar, der dem Fremden mit immer steigender Aufmerksamkeit gefolgt war,rief: „Tausend Millionen! Seht einmal, dort oben steht ja ein Steinbock!“

Aller Augen kehrten sich bei diesem Ausruf gegen die Spitze, auf der wirklich und wahrhaftig ein prächtiges Eremplar von Steinbock stand und stolz seinen Hörnerschmuck erhob, während die glänzenden Augen sich auf die Menschengruppe am Fuße der Eispyramide richteten.

„„Wohlan,““ sagte der Doktor, „„wenn wir jetzt die vier verdammten Jäger wären, so würden wir von unserer Qual erlöst sein. Die Zeit der Erlösung scheint für sie noch nicht gekommen zu sein, wohl aber uns der Berggeist seine Gunst zugewendet zu haben.“

„Ja doch, die Zeit ist gekommen,“ rief der Engländer,„denn die vier verdammten Steinbochäger seid Ihr, Gentlemen, und Niemand anderes.“

„„Wie? was? unmöglich, närrisch!“ riefen die Clubisten wie aus einem Munde.

„Und doch wahr,“ bemerkte der Andere. Auf Verwenden der Gemahlin des Berggeistes denn der war jener Alte ward den Jägern vergönnt, die Ursache ihrer Strafe zu vergessen bis zum einstigen Erscheinen des Geistes.“

„„Unglaublich!““ tönte es wieder im Chor. „„Sie treiben Ihre Narrenpossen mit uns.““

„Keineswegs. Und damit Sie, Gentlemen, noch weitere Aufklärung erhalten, füge ich bei: jener aus Indien vertriebene Gott Schiwa flüchtete sich mit seiner Gemahlin Parwati in's Alpengebirge, nur unter anderer Gestalt und anderem Namen, da er jetzt sich Alpin nennt. Er hoffte,wie so manche unglückliche Sterbliche, hier ein Asyl zu finden, und hat es auch gefunden.“

„„Unsinn!““ brummte der naturwissenschaftliche Doktor in seinen Bart. „„Jetzt sollen am Ende noch die Götter in unser Asylrecht hereingeschmuggelt werden!““löl

„Verzeihen Sie,“ fiel der Jüngste ein, indem er das Göttergetränk in der stechenden Sonne blitzen ließ und sich an den Engländer wandte, „was wäre denn eigentlich Ursache, weßhalb der Berggeist oder wie er früher hieß,den Bann aufzuheben gedenkt?“

„Nun, die Zeit der Verbannung oder, wenn Sie wollen,Verdammung, wurde aus einem ganz guten Grunde abgekürzt. Der Berggeist verdammte die Jäger, weil sie in blinder Leidenschaft sich feindlich der Natur gegenüberstellten,und er verzieh ihnen, sobald er sah, wie die Liebe zur Natur in ihnen wieder erwachte und sie antrieb, ihre Wunder zu erforschen, ihre ewige Kraft im Dienste der Menschheit nutzbar zu machen. Denn die Rückkehr zur Natur heilt und versöhnt; sie ist die Bedingung eines harmonischen Lebens. Der Berggeist hat auch die vielen Muhsale in Betracht gezogen, die Sie heute erlitten, und verkündet Ihnen somit durch meinen Mund Befreiung von dem Banne, der auf Ihnen gelastet!“

Noch schüttelten die Clubisten ungläubig lächelnd ihre Häupter, als der prophetische Begleiter sich erhob und auf einen nahen Vorsprung stellte, um dem Wogen der aus der Tiefe dringenden Nebelschichten zuzusehen. Vom Sonnengold besäumt, dampften sie den höchsten Firnen zu und hüllten die Gesellschaft für einige Sekunden in ihre halbdurchsichtige Masse. Und wie sie wieder verschwanden, so stand der Begleiter nicht mehr da, doch an seiner Stelle der alte Berggeist im grauen Bart und an seiner Seite seine holdselige und schöne Gemahlin Alpina, vormals genannt Parwati. Beide winkten mit der Hand der Gesellschaft ihren Gruß zu und verschwanden wieder in der Wolkenschicht. Die Clubisten aber erkannten bei'm Anblicke des Paares die Wahrheit der Worte ihres verschwundenen Begleiters und freuten sich, wenigstens für heute, der Besteigung des Hornes enthoben worden zu sein, um sich unten in der Hütte über die seltsamen Erlebnisse des Tages zu unterhalten.Während das edle Vierblatt über Götter und Geister sprach und zumal über Alpengeister, rief sich Kaspar die Erscheinung des Fremden wieder in's Gedächtniß und bemerkte schließlich, es müsse doch jedem lebenden Wesen lieb sein, sich von schützenden Geistern umgeben zu wissen.

„Und welche Strafen aussprechen fügte ein Anderer hinzu, deren Erfüllung uns großen Nutzen und Genuß gewährt.“Was früher, ihnen unbewußt und unbekannt, eine Nothwendigkeit gewesen war, das thaten sie fortan mit voller Freiheit des Willens und noch größerer Freude und erstiegen die höchsten Gebirge der Alpen zum Nutzen und Frommen der Mit- und Nachwelt.Switer und Irmengard.

Ein kühler Nachtwind strich durch die dunkeln Urwälder und die Wipfel der Bäume rauschten geheimnißvoll, als ob sie Geschichten aus der Schöpfungszeit der Erde sich erzählten. Ueber den Wäldern aber stunden die friedlichen Sterne und sandten ihren Nachtgruß hinunter in die Thäler Helvetiens. Kein Laut ließ sich hören, als von Zeit zu Zeit der ferne Ruf eines Nachtvogels. Mitten auf einem freien Platze im größten Waldesdickicht loderte ein Feuer und beleuchtete acht Gestalten, die sich im Kreise gelagert hatten. Sie saßen in Thierfelle gehüllt schweigend auf dem Rasen und ihre bärtigen Gesichter schauten in die prasselnden Flammen.

Sie mochten schon lange so schweigend da gesessen haben, wohl vertieft in Erinnerungen an vergangene gute und böse Tage, als sich Einer von seinem Sitze erhob und seinem Gefährten zur Linken mit der Hand winkte, ihm zu folgen. Jetzt ließ sich auch seine Gestalt im Flammenscheine deutlich erkennen. Groß und stark waren seine Glieder, nur bedeckt von einem Gurt um die Lenden und einem über die Schultern geworfenen Bärenfelle, das beinahe bis an den Boden reichte. Sein Lockenhaar fiel auf die Achseln und Kühnheit und Muth blitzten aus seinen blauen Augen. Der Gefährte, der sich nun auch von seinem Sitze erhoben, war jünger und von leichterem Gliederbaue und seine Züge leuchteten von Güte und Freundlichkeit.

„Gefährten,“ sprach der Starke zu den noch am Feuer Sitzenden in halb befehlendem Tone, der den Führer der kleinen Schaar verrieth: Ruhet aus bis ich Euch wecke.Ihr seid nach so langer Anstrengung und so mancher Entbehrung auf unseren langen Wanderungen des Schlafes bedürftig.“ Dann schritt er mit seinem jüngeren Gefährten gegen den Waldesrand und lehnte sich dort mit dem Rücken an einen gewaltigen Baumstamm.

„Bruder Swen,“ begann er nun mit milderer Stimme,deren Klang von seiner inneren Bewegung Zeugniß gab,„glaubst du nicht auch, daß Restius gefangen oder auf dem Wege verunglückt sei?“

„Befürchte nichts, Theurer,“ erwiderte der Jüngere,und schaute seinem Freunde theilnahmsvoll in's Angesicht,„wenn auch Merovich ihn gefangen halten sollte, so wird der Tapfere ihn geschickt auf falsche Fährte zu führen wissen.Doch sollte ihm ein Unfall begegnet sein im Walde, so laß uns ihm nachforschen. Laß' mich, eh' des Tages Leuchte erscheint, als Kundschafter nach Merovich's Burg ziehen.“„Du treues Herz,“ sagte der Aeltere hierauf bewegt,„wie danke ich dir für deine Freundschaft, die mir schon zweimal im Kampfe das Leben gerettet und neidlos meiner Liebe Vorschub leistet!“„Stille, Bruder Switer,“ mahnte Swen, „wer sollte dir, unserem Führer aus dem fernen Heimatlande im Norden, nicht mit Freuden dienstbar sein? Hast du nicht,seitdem Elend und Hunger uns aus der Heimat trieben,für uns gesorgt wie ein Vater und uns durch alle Hindernisse geführt bis in dieses Land, dessen Wälder, Berge und Thäler uns an unsere Heimat gemahnen? Und hast du nicht uns getröstet und gerathen, hier zu weilen, um ein neues Vaterland zu finden?“Switer winkte Swen, mit seinem Lobe inne zu halten,und sagte dann, indem er sich vom Stamme aufrichtete und mit seiner Rechten auf die Schläfer am verglimmenden Feuer hinwies:

„Wie gerne würde ich das Blut dieser Tapfern und unser eigenes sparen, um an den frischen Quellen dieser Berge unsere Hütten aufzuschlagen. Doch der stolze Merovich will es nicht,“ setzte er ernsteren Tones hinzu, „wir müssen uns mit Gewalt ein Stück Boden erkämpfen.“

„Und dir ein trautes Weib,“ fügte Swen hinzu, indem er des Freundes Rechte erfaßte. „Doch ruhe nun aus und ich bringe dir morgen Botschaft von der holden Irmengard.“

Darauf schritten die Beiden wieder schweigend gegen das Feuer, warfen Reisig und Holzblöcke hinein, damit es brenne bis zum Anbruch des Tages, und hüllten sich dann in ihre Felle.

Während Swen von Morpheus Armen fest umschlungen war, kam in Switer's Augen kein Schlaf. Sein Geist weilte im fernen Schwedenlande und vor sein Auge trat eine goldgelockte Jungfrau, die ihre Blicke sehnsüchtig auf ihn heftete und ihre Arme gegen ihn ausbreitete. Dann schwand sie zu einem Marterbilde und der Hunger blickte aus ihren verzerrten Zügen. Endlich erbleichte ihr Bild und an seine Stelle trat das Bild einer bräunlich gelockten Jungfrau mit dunklen feurigen Blicken und schwellenden Lippen. Er streckte die Hand nach ihr aus und rief:„Irmengard,“ aber im gleichen Augenblicke durchbohrte ihn ein Pfeil und er sank leblos nieder.

Er erwachte in diesem Augenblicke von dem lieblichschreckhaften Traume und sah seine Gefährten um sich versammelt und ihre Blicke hingen fragend an seinem Munde,als harrten sie der Deutung seines im Traume ihm entschlüpften Ausrufes. Der schönste Frühlingsmorgen war angebrochen; über die Wipfel der riesigen Waldbäume her ein glänzten die Berge im Morgengold und die Vögel schmetterten ein hundertstimmiges Morgenlied.

„Wo ist Swen?“ fragte er und erhielt zur Antwort,daß der Jüngling schon vor Tagesanbruch sich erhoben und im Walde verschwunden sei.

„Treue Seele,“ sprach er halblaut vor sich, „nicht Hitze, nicht Kälte, weder Hunger noch Feindschaft vermögen seinen Freundschaftseifer zu schwächen. Daß er ewig an meiner Seite bliebe!“

Die Gefährten brachten ihm hierauf wilde Baumfrüchte,Käse und Milch zur Erquickung. Nachdem er sich daran erlabt, stund er auf, nahm Schwert und Lanze, befestigte seinen kostbaren Schild am Arme und rief die Kampfgenossen zusammen. Aber ihre Blicke hingen nun nicht mehr fragend an ihm, sondern voll Lust; denn sein Antlitz leuchtete wieder voll Muth und seine mächtigen Glieder dehnten sich voll Kraft, gestärkt durch die Ruhe, als gälte es eine Eiche zu entwurzeln. Dann verlor sich das Häuflein der Kämpfer im Waldesdunkel.

Die Sonne sandte ihre Strahlen bereits senkrecht in das Waldesdickicht und scheuchte daraus die letzten feuchten Nebel, als Switer mit seinen Kampfgenossen am Rande des Alpenwaldes anlangte. Vor den erstaunten Blicken der Männer lag plötzlich ein lachendes Thal ausgebreitet,durch dessen blühende Matten ein munterer Fluß hüpfte,und in einiger Entfernung von ihrem Standorte erhob sich ein gewaltiger Bergkegel mit zwei hohen Spitzen. Am Fuße des Kegels aber erblickten sie die aus Baumstämmen und Felsstücken erbaute Burg, innert deren Mauer einige Hütten lagen. Switer hieß seine Gefährten im Walde harren und das auf dem Marsche erlegte Wild zubereiten,während er selbst scharfen Auges nach der Burg spähte und deren Umgebung. Seine Züge drückten die höchste Erwartung aus; doch ob er auch lange in seiner beobachtenden Stellung verharrte, wollte sich keine Veränderung auf seinem Gesichte zeigen und er wandte sich endlich wieder dem Walde zu und setzte sich zum Wildpretmahl, das seine Gefährten inzwischen bereitet hatten.

„Fredogar,“ rief er nach beendetem Mahle zu einem graubärtigen Gefährten gewendet, „waffne dich und geh'dem Saume des Waldes entlang, ob du keine Spur von Swen oder Restius zu entdecken vermagst.“ Der Angeredete ergriff sogleich Bogen, Schild und Speer und schlich mit der Vorsicht des Alters dem Walde entlang. Es mochte eine halbe Stunde verstrichen sein, als die Zurückgebliebenen einen durchdringenden Pfiff hörten und nach einer geraumen Weile traf auch Fredogar, begleitet von Swen, wieder bei ihnen ein.

Vor Allem erfreut war Switer über die Rückkehr seines geliebten Freundes. „Willkommen, Herz,“ rief er ihm zu,und bohrte seine Lanze mit einem Stoße tief in die Erde,„bringst du gute Kundschaft?“

Swen ergriff des Freundes Arm und sie wandelten miteinander in den Wald hinein und Swen erzählte von seiner Morgenfahrt nach der Burg. Und als er den Namen der holden Irmengard erwähnte und einen Pfeil nebst einem Metallringe unter seinem Fell hervorzog, da färbten sich Switer's Wangen roth und er drückte dem Freunde warm die Hand. „Aber sage, Lieber, sollen wir länger harren oder sogleich aufbrechen?“

„Laß uns rasten,“ erwiderte Swen, „bis die Sonne gegen jene hohen, weißen Gebirge im Westen sinkt, dann ist es Zeit, zu Schild und Schwert zu greifen.“

Während sie rasten, laßt uns auf die Burg Merovich's eilen. Der Alte im Silberhaar, auf dem eine Eisenkappe sitzt, und in ein Hirschfell gehüllt, richtete eben vom Nordende des Walles sein graues, von dichten Brauen beschattetes Auge nach dem Thale und seine Lippen preßten sich zusammen vor Grimm. Er sah recht wild aus und erst nach einigen Augenblicken wandte er sich zu seinem etwas jüngern Begleiter, der mit verschränkten Armen und gleichgültiger Miene in einem glänzenden Hirschfell und vergoldetem Helm dastund. „Was sagst du, Ermogast, du hättest ihn vor der Mauer hier gesehen, wie er Zeichen gegeben? Sollte wirklich noch Einer so frech gewesen sein,sich in die Nähe der Burg zu wagen?“

„So ist es,“ antwortete Ermogast, der jüngere Häuptling, „und ich sah ihn schnell wie einen Hirsch nach dem

Walde eilen, wo er sich nun verborgen halten wird. Gewiß ist es ein neuer Abgesandter Switer's, der sucht den Aufenthalt der Tochter Merovich's zu erspähen.“

Der Alte kniff seine Lippen vor Zorn heftig zusammen und stieß dann die Worte aus: „Tod dem Fremdling, der es gewagt hat, die Hand meiner Tochter uud die Hälfte meines Gebietes zu verlangen, um mit seiner Horde unsere Thäler zu gewinnen. Eile, unsere Leute zu sammeln, um den Flüchtigen zu verfolgen und vielleicht die Spur seiner Genossen zu finden.“

Ermogast aber lächelte bitter: „Wenn Irmengard den Fremdling liebt, so wirst du sie nicht zwingen, mein Weib zu werden. Ich gleiche bald dem dorrenden Baum im Walde; jener dagegen der jungen Eiche. Laß ihr die Wahl.“

„Schweige von der Undankbaren,“ sprach Merovich zornerfüllt, „sie muß meinem Willen gehorchen und sollt'ich selbst das Härteste ihr auferlegen müssen. Was ich will und befehle, muß geschehen. Ich gehe selbst, sie zum Gehorsam zu bringen; sorge unterdessen, daß wir zu jedem Kampfe gerüstet sind.“

Der Alte stieg hierauf düsteren Blickes vom Walle nieder und verschwand in einer der Hütten der Burg.Ermogast sah ihm ernsten Blickes nach und sagte: „Alter Thor, warum willst du die Jugend Irmengard's dem Alter vermählen und nicht das junge kräftige Reis in deinen Garten verpflanzen! Wie vorsichtig hat der Fremdling sich den besten Platz im Walde ausgewählt, um unentdedkt sein Kleinod zu erobern, das ich ihm nur streitig machen muß, weil mich mein gegebenes Wort verpflichtet. Doch sei's, ich werde meine Pflicht erfüllen.“

Die schöne Irmengard saß inzwischen in einem düstern Gemache eingeschlossen und weinte bittere Thränen. Merovich, obschon einer der mächtigsten helvetischen Häuptlinge,war ehrgeizig und wünschte noch mächtiger zu werden, wozu ihm die Heirath seiner Tochter mit Ermogast das geeignetste Mittel schien. Aus diesem Grunde wies er die Bewerbung Switer's von der Hand und achtete nicht der Thränen Irmengard's und ihres Kummers, der an dem Zerstreuung zu gewähren, hatte sie von ihm Erlaubniß erhalten, die Burg zu jeder Tageszeit zu verlassen und davon bis zu diesem Tage gerne Gebrauch gemacht, da sie Wald und Gebirg liebte und jeden Sommer mit Freuden in das freundliche Thal mit seinen sprudelnden Quellen zurückkehrte. Doch nun hatte ihre Freude ein schnelles Ende gefunden. Wie alle Tage, so war sie auch am vorigen aus der Burg geeilt, um sich der Freiheit zu freuen, Blumen zu sammeln und aus Zweigen allerlei Geräthe zu flechten. Aber auch mancher Seufzer entstieg ihrem Busen und mancher sehnsüchtige Blick richtete sich nach den Ausgängen des Thales und den Waldsäumen.„Wo er nur weilen mag,“ fragte sie, „gedenkt er noch

11 meiner oder fliegt er einer andern Blume nach?“ Während sie noch mit solchen Fragen sich grämte und dem Waldrande entlang ging, trat ihr unversehens ein großer blondhaariger Juüngling entgegen und überreichte ihr einen glänzenden Ring und eine blonde Locke. Die anfänglich Erschreckte sah bald aus dem Benehmen und den Zeichen des Jünglings, daß er ein Bote des Geliebten sei, und überreichte ihm ein hübsches Flechtwerk, damit der Freund von ihrer Nähe und ihrer Liebe Kunde erhalte. In demselben Augenblicke überraschten sie Merovich und Ermogast in Begleit zweier Krieger und des Vaters Zorn führte sie in das düstere Gemach, das sie nun bewohnte, während Restius trotz tapferster Gegenwehr gefesselt und in einem dunklen unterirdischen Raume verwahrt wurde.

Irmengard brachte die Nacht zu unter den Qualen der Liebe und dem Schmerze getäuschter Hoffnungen. Sie ruhte wohl auf dem Lager von Laub und Moos; aber kein Schlaf kam in ihre Augen. Sie gedachte Ermogast's,der ihr seit Langem Beweise seiner Zuneigung gegeben und dessen Tapferkeit und Güte sie hochschätzte; doch sein Bild verblich vor demjenigen, das tief und unauslöschlich in ihrem Herzen ruhte. Der junge Tag säumte schon die fernen Bergspitzen, als sie aufstund vom Lager und durch die enge Lucke des Gemachs den Morgen begrüßte. Da sah sie unten hinter dem Walle von Gestein und Holz sich eine dunkle Gestalt bewegen und nach wenigen Minuten entdeckte sie in ihr einen Gefährten Switer's. Auch er mit ihr zu reden, worauf sie in gleicher Sprache antwortete. Und als er endlich fragend seine Rechte ausstreckte, riß sie ihr Busentuch von ihrem Leibe, ergriff Bogen und Pfeil und sandte das Tuch dem spähenden Swen zum Zeugniß und Zeichen ihrer Liebe und Treue zu seinem Freunde.

Auch Merovich hatte eine schlaflose Nacht zugebracht.Sein Geist brütete über den Mitteln, den verhaßten Fremdling nebst dessen Gefährten in seine Gewalt zu bekommen und für immer unschädlich zu machen. Aber er kannte des schlauen Feindes Angriffsplan nicht und sandte am Morgen seine Späher vergebens aus, seine Spur zu finden.Sie kehrten unverrichteter Sache zurück und der Alte grämte sich umsonst über den Fehlgriff. Doch unterließ er nicht,während des Tages den Wall zu befestigen und für die Nacht verschiedene Anordnungen zu treffen, damit er von keiner Seite überrascht werden könne.

Schon lagerten sich dunkle Schatten auf Wälder und Thäler und nur die hohen Berge funkelten noch im Scheine der sinkenden Sonne, als Merovich und Ermogast noch eine Runde um die Burg antraten, während die Leibeigenen innerhalb des Walles sich anschickten, die Nachtwachen zu beziehen. Der Alte sah finster drein und spähte mit größter Aufmerksamkeit in das dämmerige Walddunkel hinaus, ob sich kein verdächtiges Zeichen entdecken lasse.Endlich wandte er sich an seinen Begleiter: „Siehst du nicht am Waldesrande sich eine Schaar von Männern bewegen und ihre Schilde gegen uns kehren?“Ermogast richtete seine Blicke ebenfalls nach der bezeichneten Gegend und gewahrte in der That ein Häuflein sich hinter Schilden bewegender Gestalten. Sie näherten sich langsam der Burg und Merovich stieß sein Schwert gegen den Boden und rief voll Zorn und Kampfeswuth:„Nun rufe mir alle meine Leute herbei, damit wir den frechen Eindringlingen hier ihr Grab bereiten.“„Laß mich den Führer zum Kampfe auswählen,“ bat Ermogast, dieweil du an den Uebrigen noch die Kraft deines Armes erprobst?“„Nein,“ rief laut der Alte, „das beste Wild hab' ich mir auserwählt und es soll von meinen Streichen fallen.“Und er griff bei diesen Worten nach seinem Schwerte und schwang es kräftig durch die Luft, daß es klang, und stürzte an der Spitze der Seinigen zum Thor, dem sich der Feind genähert hatte. Bald ertönte wilder Kampfruf, erklangen Schwerter und Schilde der Nahenden und dröhnten riesige Schläge gegen das Thor, bis es krachend einstürzte und die Feinde eindrangen. Dann hörte bald der Kampf auf und Switer's Genossen lagerten sich um das große Feuer und betteten ihren todten Führer auf dem weichen Waldrasen. Und an seine Seite legten sie die holde Irmengard, die von einem Speer durchstochen war und zu ihren Häupten Merovich's wundenreiche Gestalt. Denn alle hatten sie tapfer und muthig gestritten,aber Irmengard nicht vermocht, die beiden Kämpfenden mit ihren Bitten zu erweichen, bis sie selbst ein Opfer des blutigen Streites geworden.

Der treue Swen ließ am folgenden Tage die Leichen Switer's und Irmengard's in eine Höhle des nahen Gebirgsstockes bringen, der nachmals Mythenstock geheißen wurde und in welchem sie noch heute ruhen, obschon Niemand den Eingang zu ihrer Gruft kennt. Dann baute Swen mit seinen Genossen sich Hütten am Fuße des Berges, aus welchen nachmals das Dorf Schwyz entstanden ist zur Erinnerung an Switer, den Führer und Helden seiner Stammgenossen.Helvetia am Sängerseste.

Seht einmal hinauf an die schimmernde Alpenkette und Ihr erblickt in der Mitte dieser stolzen Gesellschaft die strahlende Jungfrau. Denn diesen Namen trägt der krystallene Palast aus dem Grunde, weil darin die Jungfrau Helvetia wohnt, die friedliebende und doch schwertumguürtete Beherrscherin der Alpen. Dort drinnen sinnt sie früh und spät an das Wohl der Kinder, die ihr der Himmel geschenkt, und manchmal nimmt sie auch den Reisestab in die Hand, um niederzusteigen in die blühenden Thäler und an die blauen Seen, an deren Ufer der süße Saft der Traube reift.

So geschah es denn auch eines Tages, als sie des Morgens aus dem Fenster ihres krystallenen Palastes hinauslugte. Der Himmel spannte seinen blauen Bogen über denselben aus und er glitzerte und funkelte wie Edelgestein.Unten im dunkeln Alpensee aber erblickte sie ihr getreues

Abbild. In weiten Fernen sah sie dann Städte und Dörfer, die gerade aussahen wie Ameisenhaufen, und zwischen durch wanden sich die silberhellen Ströme und Flüsse des Landes. Das schimmerte und glänzte oben und unten, wie wenn der geschickteste Dekorateur sich selbst übertroffen hätte. Die Morgenpracht lockte der Jungfrau Wanderlust und sie ward noch stärker, als die warmen Luftwellen aus den Tiefen ein seltsames Klingen und Singen zu ihren Ohren führten. „Meiner Treu,“ sagte sie, „es geht da unten heute los, und meine Kinder haben vergessen, mir einen Blitzbrief in meinen Palast zu expediren, oder der Telegraphist ist aus Neugierde aus dem Telegraphenbureau weggelaufen. Da sieht man, wie nothwendig es ist, einen Generalpostdirektor zu bestellen, der Ordnung schafft. Ich werde aber dem alten Knaben, meinem Oberfuhrwerker, auch gehörige Vorstellungen machen.“Nachdem solchermaßen die Jungfrau Helvetia einen postalischen Rüffel in Bereitschaft gesetzt hatte, gürtete sie ihre schlanken Hüften mit einem Schwerte, nahm ihre Leier von der Wand und verließ ihren Palast. Je weiter sie aber kam, desto heller wurde das Singen und Klingen in der Luft, und die Vögel in den Zweigen schienen heute halb berauscht zu sein, so laut schmetterten und trompeteten sie ihre Lieder in die Welt hinaus. Jungfrau Helvetia fragte sich, ob wohl heute ein eidgenössischer Festtag gefeiert werde, konnte jedoch die Frage nicht beantworten, da sie den „Eidgenössischen Staatskalender“ bis heute noch nicht vom Kanzler zugeschickt erhalten hatte. Sie schwur indeß in ihrem Herzen, auch bei diesem Würdeträger eine Reklamation anzubringen und in der Bundesversammlung ein bezügliches Postulat zu stellen. Sie wußte leider noch nicht, aus welch' wichtigen und patriotischen Gründen die Räthe bereits Vertagung beschlossen hatten.

Endlich langte sie in der Bundesstadt an und war nicht wenig erstaunt zu vernehmen, das eidgenössische Sängerfest sei mit Sang und Klang eingezogen. Sie wurde von einer Abordnung des Burgerrathes, des Gemeinderathes,der Regierung und der Liedertafel empfangen, feierlich begrüßt und mit einer Festkarte beschenkt, welche sie zum Genusse aller Festivitäten berechtigte. Auch ward ihr bei Tische wie natürlich der Ehrenplatz eingeräumt und überhaupt alle Ehre erwiesen, welche folgsame und dankbare Kinder einer guten Mutter erweisen können. Sie anerkannte diese Aufmerksamkeit und äußerte sogar gegen den sie begleitenden Regierungspräsidenten, der Mutz sei doch stets ein gutes Kind gewesen, welchem Ausspruche der Herr Regierungspräsident im Hinblick auf die Gegenwart auch mit vollster Ueberzeugung beistimmte.

Der offizielle Theil eines Sängerfestes besteht bekanntlich in Konzert und Tafel, und wir beeilen uns nun,sofort an die zweite zu kommen, um hier das Urtheil der Jungfrau Helvetia über den ersten Theil zu ver nehmen, unvorgreiflich demjenigen eines hohen Kampfgerichtes oder des Papa Weber.

Der Festzug war nämlich kaum durch die geschmückten Straßen der wohlthätigen Bundesstadt gezogen und an der Festhütte angelangt, als auch schon ein mächtiger Gesang sich erhob, der zwar in verschiedenen Zungen, doch in vollster Harmonie der Töne das Lob der Jungfrau Helvetia enthielt.

„Heil dir Helvetia,“ pries der Germane,„Salut à l'Helvétie.“ der Gallier,„»Rvviva Helvetia,“ der Italiener,„Viva la Patria,“ der Rhäätier.

Hierauf erhob sich Jungfrau Helvetia, stützte sich auf ihr Schwert und sprach:

„Vielliebe Sänger und Sängerinnen: Wie freut es mich, an diesem schönen Tage meine lieben Kinder wieder einmal um mich versammelt zu sehen und zwar zu heitrer Freude, zu Lob und Preis des Vaterlandes! Und um so mehr freut es mich heute, als zum ersten Male die Kinder verschiedener Zungen sich im edlen Wettstreite friedlicher Kunst zusammenfinden und jedes nach seiner Weise der eigenen Empfindung den freiesten Ausdruck gibt. Wie verschieden dieser Ausdruck aber auch ist, so bildet er doch keine Scheidewand; denn nicht die Zunge ist es, die uns an einander kettet, sondern das Herz, der gemeinsame Glaube an die Macht der goldenen Freiheit, die alle Unterschiede der Menschen aufhebt und sie zu Brüdern macht. Willkommen denn, fröhliche Kinder aus allen Gauen unseres schönen Vaterlandes!“

Es sitzen 22 Musikanten

In einem wunderschönen Saal!

Hierauf naheten sich jubelnd die 22 Kinder und Musikanten der Mutter Helvetia und sie küßte und herzte eines nach dem andern.

Sodann trat eines derselben vor und fragte: „Was sagst du denn eigentlich zu unserm Gesange; haben wirs recht gemacht oder nicht und liebst du mehr den Kunstgesang oder den Volksgesang?“

Die Jungfrau Helvetia sah den bebrillten Sänger etwas komisch an und sagte:

‚Bist du eigentlich recht bei Troste? Ist nicht der Walliser, der Neuenburger, der Bündtner, der Waadtländer ein edler Wein? Ist aber deßhalb der Schaffhauser, der Zürcher und Thurgauer weniger zu schätzen?Jeder ist auf einem besondern Boden gewachsen und hat seine besondern schätzenswerthen Eigenschaften. So ist es auch mit dem Kunstgesang und dem Volksgesang. Wo der günstige Boden für den erstern vorhanden ist, da wird er gedeihen, im andern Falle wird er kränkeln,während ein einfacher Gesang gut gedeihen könnte. Es kömmt eben immer auf die richtige Schätzung und Benutzung der Kräfte an, und dann wird überall eine ent sprechende gute Frucht erstehen. Pflege Jeder sein Pfund und wer zehn hat, am meisten, dann wird neben dem Volksgesang auch der Kunstgesang zu blühen vermögen.Vergeßt mir aber Eines nicht,“ sagte sie, indem sie das Glas erhob, „nämlich die alten schönen Volkslieder, die das ganze Volk singen sollte.“

Nach diesen Worten drängten sich alle 22 Kinder an die Mutter heran, stießen mit ihr an und ließen den Gesang in der Freiheit und die Freiheit im Gesange und Kunstgesang und Volksgesang hochleben. Auch der Kanzler gemeiner löblicher Eidgenossenschaft hatte sich genähert und uberreichte der Mutter Helvetia einen zierlich in Saffianleder gebundenen und vergoldeten Eidgenössischen Staatskalender auf das Jahr 1864, worauf sie ihm auf sein inständiges Bitten versprach, das Postulat in der Bundesversammlung fallen zu lassen.

Als sie hierauf ihre Blicke umhersandte, gewahrte sie erst die fremden Gäste, die sie bis dahin für ihre Kinder gehalten, grüßte sie freundlich und hieß sie herzlich willkommen. Sodann wendete sie sich an ihre 22 Musikanten und sagte:„Wohl habt Ihr recht gethan, meine Kinder, unsere Nachbarn zum Feste einzuladen, um mit ihnen ein gutes Wort zu tauschen und ein Schöpplein zu trinken, wie ein lieber Nachbardichter sagt:

Ne freudig's Stündli

Ischs nid e Fündli?

Jez hemmers und jez fimmer do,

Es chuunt e Zyt, 's wird andersch go.„Und für die Zeit des Ernstes ist gute Nachbarschaft und Freundschaft Goldes werth. Wenn die Nachbarn uns kennen und lieben gelernt haben, so brauchen wir weder sie noch sie uns zu fürchten und ein allfälliger Span läßt sich dann gar leicht in Minne beilegen. Wo sich die Völker in der Pflege der Kunst zusammenfinden, ist schon ein Friedensband gewoben, das nicht so leicht zu zerreißen ist. Doch bei aller Pflege der Freiheit, des Friedens und der Kunst des Gesanges vergesset des Schwertes nicht zur Vertheidigung unserer theuersten Güter; denn ihr werdet nur dann eine siegende und freie Nation bleiben, wenn Ihr stets zum Kampf bereit seid.“

Nochmals wurden die Gläser erhoben, die Mutter Helvetia trank auf das Wohl der uns freundlich gesinnten Nachbarn und auf dauernd gute Nachbarschaft, die fremden Gäfte hinwiederum auf langes glückliches Leben ihrer Nachbaren. Dadurch wurde diese gerührt und lud die Herren Gäste ein, nach Beendigung des Festes ihr einen Besuch im Krystallpalaste zu machen.

Sie schickte sich eben an, die Festhütte zu verlassen,da sie bereits in eine etwas starke Feststimmung gerathen war, als ihr Oberfuhrwerker ihr in den Weg trat. Sie interpellirte ihn nun allen Ernstes wegen des nicht gesandten Blitzbriefes und mahnte ihn, eine Untersuchung anzustellen, worin wohl der Grund der Versäumniß liegen möchte. Er aber behauptete, es sei Alles im besten Gange an seinem Fuhrwesen, worauf sie schwieg und ging, damit er sie nie wieder sähe. Auf dem Rückwege konnte sie nicht umhin, ihrem alten Bekannten Christoffel einen Besuch abzustatten, da man ihr von seinem Unwohlsein berichtet hatte. Sie fand jedoch den Patienten noch ganz munter und in bester Feststimmung; auch hoffte er auf noch langes Leben und ehrliches Begräbniß, das ihm,wie er sagte, seine Feinde verweigerten. Der alte Kerl schwatzte so lange und eindringlich, daß unsere Dame erst spät in den Bernerhof gelangte.

Und da sie fürchtete, die Festeswogen möchten ihr zu hoch steigen, trat sie am folgenden Tage den Rückweg nach ihrem Krystallpalaste an. Wer sie suchet, der wird sie dort finden. Sie aber vermochte im Eidgenössischen Staatskalender das Verzeichniß der eidgenössischen Feste nicht zu finden, dagegen träumt sie noch oft von dem Sängerfeste, von dem singenden Vaterland und den 22 Musikanten.