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gewidmet.
Es sind nun bald tausend Jahre her, seitdem die Geschichte passirt ist, die ich erzählen will. Damals war eine wildbewegte Zeit, in welcher heute Niemand wußte, wer morgen das Schwert erheben würde, um Krieg und Verderben über Menschen und Länder zu bringen.
Und doch stieg damals wie heute des Morgens die Sonne hinter den Bergen auf und blickte des Nachts der Mond nieder auf die schlafende Welt.Das that er nun eben auch nach einem recht schwülen Sommertage. Er sah neugierig auf ein kleines Häuschen nieder und auf die Bank davor, auf der zwei Frauen saßen. Sie waren in einfache, hellblaue Gewänder gehüllt, und die Eine hatte silberweiße Haare, während über den schönen Nacken der Andern reiche blonde Locken fielen, die nebst einem Paar himmelblauen Augen von ächt burgundischem Blute zeugten.
Das Häuschen lag nämlich im Königreich Burgund, zu dem damals auch Westhelvetien gehörte, und zwar am lieblichen Murtensee, dessen mondbeglänzter Spiegel aus dem reichen und fruchtbaren Gelände gleich einem Edelstein aus dunkler Einfassung hervorschaute. Denn am hellen Tage gleicht die Gegend ringsum einem Garten, und zumal im Hochsommer prangt sie mit ihrem Aehrengold und Dunkelgrün in voller Herrlichkeit. Dem westlichen Ufer des See's entlang dehnt sich in behaglicher Breite der Wistenlacherberg aus mit Reben und Wiesen. Von seiner Spitze schweift der Blick nach Westen und Norden über die Spiegel der Jurasee'n bis an die blaue Jurakette und nach Osten über die gesegneten Fluren des Uechtlandes bis an die schimmernde Alpenwand. Nach Süden aber öffnet sich ein fruchtbares Thal, in dem einst die alte Hauptstadt der Helvetier,Aventicum, gelegen war, von der heute nur noch weniger Ueberreste zu sehen sind. Und weiterhin liegt Payerne, zu deutsch Peterlingen, unter dem Burgunderkönig Rudolf II.ebenfalls eine blühende Stadt mit Abtei. Wer aber einmal hier oben gestanden, wird den Ausblick nie vergessen können und gerne wiederkehren mögen.
Das Häuschen, vor welchem die beiden Frauen saßen, lag nun gerade am Abhange des
östlichen Seeufers und gewährte den Ausblick auf den See und Wistenlacherberg, deren
Hintergrund der Jura bildete. Die Beiden hatten lange in die friedenvolle Landschaft
hinausgeschaut
„Meinst du nicht auch, Großmütterchen, es könnten auf dem Grunde des See's allerlei seltsame Dinge zu finden sein, da man schon am Ufer Armringe und Vasen gefunden hat, die ganz anders aussehen, als die, so wir gebrauchen?“
„Freilich, liebes Kind,“ erwiderte Großmütterchen Euphrosyne. „Als noch die Römer Herren dieses Landes waren, führte hier die Hauptstraße vorbei, von der Hauptstadt Aventicum nach Raurachien am Rhein. Rings um den See herum aber lagen die Wohnungen von Helvetiern und Römern, als eine Vorstadt zum Schutze der Heerstraße.Da mag wohl gar manche Kostbarkeit während der Kriegsnoth in den See versenkt worden sein. Aber was wären alle diese Schätze, verglichen mit der Spindel der Königin Bertha?“„Bitte, Großmütterchen,“ bat das holde Mädchen,„erzähle mir nun einmal die Geschichte von der Spindel,wie du mir schon längst versprochen hast?“
„Schälkin,“ meinte Jene, „ich muß dir einmal willfahren,damit du auch die Gefahren kennen lernst, die sich an den Besitz der Spindel knüpfen.“
Und sie begann hierauf:
„Vor langer Zeit, als ich noch jung war, regierte über Burgund der ritterliche König
Rudolf II., dessen Vater das
Die Matrone hielt bei der Erinnerung an jene goldene Zeit inne und fuhr dann erst nach einer Pause fort:
„Die Königin weilte am liebsten in Peterlingen, an welchem Orte sie auch ihr segenreiches
Leben beschloß. Ihr Hinscheid versetzte das ganze Land in Trauer und ihr Andenken lebt
noch heute in Aller Mund und Herzen.Die Hofleute drängten sich herbei, um irgend einen
Gegenstand, wenn auch nur ein kleines Stück Zeug, als Erinnerung an die edle Gebieterin zu
erhalten. Der König,der seine tiefe Trauer nur mit Gewalt bemeistern konnte,glaubte dem
Willen der seligen Gemahlin gemäß zu handeln,indem er fast die ganze Habe derselben unter
seine Hofleute vertheilte, die sich durch diese Gaben hochgeehrt fühlten.Er entsprach
gerne den Wünschen seiner nächsten Freunde,wenn sie diesen oder jenen Gegenstand als ihnen
besonders theuer bezeichneten. Nur einen Gegenstand konnte er nicht verschenken, den gar
viele Hofdamen wünschten, und dies war die Spindel der Königin, welche nirgends gefunden
werden konnte. Man durchsuchte alle Gemächer des königlichen Schlosses, selbst Keller und
Küche umsonst. Der König ließ zudem überall im Lande kund thun, wer ihm die Spindel
bringen oder nur Nachricht davon geben könne,
Kaum war er im Schlosse angelangt, als er die Hofdamen vor sich beschied und ihnen sein
Erlebniß mittheilte.Die Erzählung kam ihnen aber höchst spaßhaft vor und Einige rümpften
sogar ganz despektirlich in Gegenwart des Königs ihr Näschen oder schüttelten das
Köpfchen, ohne Zweifel, weil ihnen die Trauben zu hoch hingen. Nur Wenige schenkten den
Worten der Alten Glauben und bedachten im Stillen, ob sie wohl zur Auffindung der Spindel
sich anschicken sollten. Der König bemerkte den Eindruck seiner Rede und befahl denjenigen
Damen, welche Lust hätten, die Spindel zu suchen, in seinem Saale zu bleiben.Es blieben
ihrer nur zwei, die andern aber machten ganze Wendung und eilten zur Thüre hinaus. Da nun
nicht beide Fräulein mit einander sich auf den Weg begeben konnten, so ließ der König sie
das Loos ziehen und es entschied zu Gunsten der Aeltern, welche Hildegunde hieß.Der König
verhieß ihr, wenn sie ihm die Spindel brächte, so
Hildegunde stieg alsobald zu Pferde und ritt den ihr vom König bezeichneten Waldpfad entlang. Ihre schöne Gestalt wiegte sich zierlich guf dem stolzen Pferde und ihr schwärmerisches Auge schweifte über die Gipfel der Tannen in den blauen Aether. Sie sah sich im Geiste schon mit der Spindel nach dem Hofe zurückkehren, dort mit Jubel empfangen und geehrt und beneidet. Ihre Phantasie malte ihr eine Zukunft voll Ehre und Glück, in der selbst ein Thronsessel nicht fehlte und eine Krone auf dem Haupte.Bei dem Gedanken an solche Herrlichkeit öffnete sie ihre kußlichen Lippen zu einem bezaubernden Lächeln und zeigte eine Reihe kleiner Zähne, weiß wie Elfenbein. Sie gedachte dabei der übrigen Hofdamen, denen alsdann die Rolle der Gehorchenden beschieden wäre, sowie der übrigen Hofleute, denen sie ihre Gunst schenken oder entziehen könnte.
Unter solchen Gedanken oder vielmehr Träumereien war sie unbemerkt tief in den Wald
hineingerathen. Vor ihr lag auf einem kleinen grünen Platze eine Hütte, an die sich ein
steinernes Druidenbild lehnte. Sie stieg mit Hülfe des Dieners vom Pferde und trat in die
Hütte, in der sie
Als der heidnische Priester dieses gesagt hatte, sah er Hildegunde fragend an. Sie fühlte sich als auserwählte
Nachfolgerin der Königin und deßhalb tugendhaft und stark genug, die Proben zu bestehen. Kaum hatte Servius geendet, als sie ihr Haupt erhob und mit königlicher Miene antwortete: „Zweifelt Ihr an meiner Frömmigkeit? Wohlan,so werde ich beweisen, daß mir keine Probe zu schwer sein wird. Theilt mir nur mit, welche Proben ich zu bestehen habe.“ Servius lächelte: „Schöne Jungfrau, das kann ich selbst nicht sagen, aber es wird Euch unterwegs kund werden. Reitet nur getrost immer denselben Pfad weiter und gedenket stets der Frömmigkeit und Tugend der edlen Königin Bertha.“ Er verbeugte sich nach diesen Worten und zog sich in ein anderes Gemach zurück.
Hildegunde ritt hierauf wieder von dannen, wenig befriedigt von der Antwort des Heiden. „Was mögen denn das wohl für Proben sein,“ sagte sie zu sich selbst, „vnmn denen ich erst Kenntniß erhalten soll? Wohl habe ich schon gehört, daß tapfere Ritter verzauberte Prinzessinnen befreiten und zu Gemahlinnen bekamen, nachdem sie Löwen und Schlangen besiegt; einer Jungfrau aber kann man solche Kraftstücke nicht zumuthen. Der Heide hätte mir doch einen Fingerzeig geben dürfen, wenn er nicht ein ungeschlachter Gesell wäre. Oder sollte die Probe vielleicht darin bestehen, einen ganzen Tag lang zu beten?“ Und so grübelte sie noch lange nach dem Geheimniß, bis sie endlich mißmuthig wurde und dem Pferde die Peitsche gab, daß es rasenden Laufes mitten in's Dickicht des Waldes rannte durch
Gebüsch und Dornen, an denen die Kleider der Jungfrau fetzenweise hängen blieben. Endlich hielt das Pferd stille und sie stieg ab mit Hülfe des treuen Dieners, der seiner Herrin in vollem Laufe gefolgt war. Sie sah kläglich aus und konnte mit den Resten ihrer kostbaren Kleidung kaum ihre Blöße bedecken. „Weh' mir,“ rief sie, „sollte dieß wohl eine der Proben sein, welche die heidnische Fee mir auferlegt? Dann wäre ich lieber am Hofe geblieben und hätte mit meinen Freundinnen mich gefreut. Und was soll nun aus mir werden in diesem dunkeln Walde?“
So klagte sie, während die Dämmerung anbrach und der Nachtwind durch die hohen Tannen
strich. Der treue Diener Cajus rieth ihr, hier ein Nachtlager aufzuschlagen und erst am
folgenden Morgen den Weg fortzusetzen, welchem Rathe sie auch gerne Folge leistete, da die
immer stärker werdende Finsterniß ihr Grausen einflößte. Das stolze Selbstgefühl war für
den Augenblick von ihr gewichen und sie bat Gott auf den Knieen um seinen Schutz für diese
Nacht. Nachdem der treue Diener ihr aus Moos und einigen Decken ein Lager zurecht gemacht
hatten, legte sie sich nieder und fiel vor Ermüdung alsobald in einen festen und
erquickenden Schlaf. Cajus band inzwischen das Pferd an einen Baum und bereitete sich dann
ebenfalls ein Lager zu Füßen der schönen Gebieterin. Von wilden Thieren hatten sie Gottlob
nichts zu fürchten, da der König dieselben alle ausgerottet hatte.
Hier oben stund nämlich auch auf einem freien Platze ein großes hölzernes Kreuz zum Andenken an den Zweikampf, den der edle König Rudolf als Jüngling mit einem riesigen Heiden, Namens Donatir, einst siegreich bestanden.Dieser Heide war der Schrecken der ganzen Gegend gewesen,und viele tapfere Ritter hatten im Kampfe mit ihm ihr
Leben eingebüßt. Seitdem die gute Königin Bertha zur Erinnerung an die That ihres Ehegemahls ein Kreuz aufrichten ließ, verrichteten die Leute der Gegend, wenn sie einmal da vorbei kamen, stets zu Füßen des Kreuzes ein Dankgebet und schätzten sich glücklich, nun sicher ihres Weges ziehen zu können. Hildegunde kannte aus den Erzählungen der Hofleute das Kreuz gar wohl; in ihrem Unmuthe beachtete sie es jedoch nicht und ritt weiter und weiter wiederum in die wüsten Wälder und Sümpfe des Uecht-landes hinein. Inzwischen verfinsterte sich der Himmel und eine unheimliche Stille lagerte sich auf den Wald. Nur krächzende Vögel ließen sich hören und bald darauf der ferne Wiederhall des Donners vom Juragebirge her. Ein feuchtkalter, scharfer Wind heulte durch das Dunkel und die Wipfel der Tannen seufzten und stöhnten kläglich und bogen sich vor seiner Gewalt. Hildegunde hüllte sich so gut es ging in ihre Kleider: denn Ermüdung und Frost hatten sie sehr angegriffen und sie brach inmitten der Dunkelheit, des heulenden Windes und zürnenden Himmels in eine Fluth von Klagen aus.
Als sie so klagend immer tiefer in's Dunkel und Dickicht hineinritt, stund plötzlich eine große braune Frau vor ihr,deren Leib nothdurftig mit einem Lappen bedeckt war und die einen fast ebenso nothdürftig bedeckten Säugling auf den Armen trug.
„Schönstes Fräulein,“ hob die Arme flehend an und
Thränen strömten aus ihren großen schwarzen Augen, „habt Erbarmen und schenkt mir doch nur ein Stückchen Zeug, damit ich mein kleines Töchterlein vor dem Froste schützen kann.Wenn es krank würde und sterben müͤßte, so könnte ich.mein Lebenlang nie mehr froh werden.“
Während die Frau dieß sagte, hatte Hildegunde in ihre dunkeln großen Augen geblickt und da sie noch nie so schöne gesehen, ward sie neidisch, daß ein Bettelweib schönere Augen haben sollte, als eine Hofdame. Sie rümpfte deßhalb ihr Näschen und sprach gereizt: „Welche Unverschämtheit! Eine so große, gesunde und starke Person kann nicht einmal ihr Kind bedecken. Da sieht man's ja recht, wie faul und verderbt die armen Leute sind, die eigentlich gar keine Kinder haben sollten.“Die Frau antwortete nicht auf diese harten Worte,sondern weinte und bat und flehte um Mitleid. Und je inniger und wärmer sie flehte, desto schöner wurde sie und desto neidischer Hildegunde, die endlich voll Zorn schrie:„Pack' dich fort, Bettelweib, und bedecke deinen Leib und den deines Kindes mit Nadeln und Blättern von den Bäumen. Paock' dich fort, Bettelweib!“Kaum hatte sie diese Worte ausgestoßen, als ein Blitzstrahl durch das Dunkel fuhr und ein schrecklicher Donnerschlag demselben folgte, wie wenn die Natur selbst den frevlen Worten Hildegundens zürnte. Auf dem Platze je
17 doch, wo die arme Frau gestanden, stund jetzt vom Lichtglanze umflossen eine Frauengestalt in herrlichem Gewande,aber ganz mit denselben Augen wie die arme Frau, doch mit triumphirendernster Miene. Und sie hob an und sagte:
„Thörichtes Mädchen, du hast deine. Probe schlecht beR Fee Murciane, Dienerin.O wie wenig gleichst du der edlen Königin Bertha, der ich mit Vergnügen meine köstliche Spindel überließ, da sie einen so weisen Gebrauch davon machte. Du aber verdienst nicht, sie zu besitzen; denn in deinem Herzen wuchert Unkraut: Ungeduld, Hochmuth, Härte und Neid. Und weil du mich mit meinem Töchterlein in meiner Verkleidung mit Nadeln und Blättern mich bedecken hießest, so sollst du in meinem Dienste auch ein solches Kleid tragen.“
Als Fee Murciane so geredet hatte, verschwanden plötzlich Cajus und das Pferd, die Pelze
und Seidenkleider fielen von Hildegundens schönem Leib und sie stund da in einem Kleide
von grünen Blättern und Nadeln und war gar merkwürdig anzusehen. Und sie schämte sich sehr
ihrer Fehler und ihrer Bußkleidung, aber man konnte ihre schamrothen Wangen nicht sehen
wegen der grünen Nadeln und Blätter, von denen sie über und über bedeckt war.Sie war jetzt
eine Waldjungfer geworden und hieß fortan Tannenbabeli. Sie mußte nämlich den ganzen Tag
Reisig und Tannzapfen im Walde sammeln und vor einem Götzenbilde, Namens Baldur, das im
Walde stund, tagtäglich
Theudelinde schlug denselben Pfad ein, welchen Hildegunde verfolgt hatte, und gelangte
auch bald zu der Hütte
So gelangten sie in das Dickicht das Waldes. Theude
Die schöne Theudelinde war untröstlich und weinte sich die Aeuglein roth.
Nachdem sie die thränenreiche Wanderung noch etwa eine halbe Stunde fortgesetzt hatten, rief Hilarius fröhlich:„Schönes Fräulein, ich sehe Licht, ja wahrhaftig Licht!“Die weinende Schöne erhob bei diesen Worten ihr Köpfchen und blickte um sich; doch konnte sie kein Licht entdecken, so sehr trübe waren ihre Aeuglein geworden vom DDDDDD0 und zieh ihn der Unwahrheit, trotzdem er fort und fort betheuerte, sie rückten dem Lichte immer näher. Endlich waren ihre Aeuglein wieder heller geworden und sie konnte ganz nahe ein Lichtlein durch die Tannen schimmern sehen,darob sie hoch erfreut war und Hilario Abbitte that, um der ihm gemachten Vorwürfe willen. In wenigen Augenblicken hatten sie hierauf eine Waldhütte erreicht, in welcher das Lichtlein brannte, und Hilarius klopfte dreimal an die Thüre, worauf dieselbe von innen geöffnet wurde.
Theudelinde war bei'm ersten Anblick der Waldhütte wieder ängstlich geworden. Sie wußte aus den Erzählungen und Märchen vom Hofe, daß in solchen Hütten Hexen wohnen mit langen Nasen, rothen triefenden Augen, zahnlosen Mäulern oder langen spitzen Zähnen und anderthalb Zoll tiefen Runzeln in einer lederfarbenen, schmutzigen Haut. Aber ihre Angst schwand und freudiges Erstaunen malte sich in ihren Zügen, als ein munteres rothbackiges
Mädchengesicht unter der Thüre erschien und eine freundliche Stimme die Angekommenen mit den Worten begrüßte:„Willkommen, ihr Verirrten unter unserem Dache!“ Und als Theudelinde vom Pferde gestiegen war, führte das muntere Mägdlein sie in die Stube, in welcher ein lustiges Feuer brannte, ob dem ein Kessel hing, gefüllt mit duftendem Wildpretbraten. Das Mägdlein, welches Regina hieß,räumte dem Fräulein den besten Platz am Heerde ein,damit sie vom langen Ritte ausruhen und sich wärmen könne. Sie brachte Milch und Brod zur Erquickung und als das Wildpret gebraten war, stellte sie ihr die besten Bissen auf. Theudelinde vernahm auch auf ihre Frage von dem Mädchen, daß sie auf dem Gebiete des Grafen von Romont sich befänden, dessen Burg aber noch weit entfernt läge. Dieser Graf war lange in Spanien gewesen und hatte gegen die Mauren gekämpft, und Theudelinde dachte sogleich, als sie dieses vernahm, der könnte ihr wohl Auskunft geben, wo die Spindel verborgen sei. Von dieser Hoffnung erfüllt, legte sie sich nach der Mahlzeit bald auf ihr Lager und Regina versprach ihr, sie frühzeitig wach zu rufen.
Sie erwachte bald. Hilarius stund vor ihrem Lager und mahnte sie rasch zu Pferde zu
steigen, da schon der junge Tag an den Himmel stieß. Durch den dunkeln Wald gelangten sie
bald in ein hügelreiches Wiesenland,hinter dem wieder Tannenwälder und eine Kette blauer
Gebirge sich erheben. Von einem fernen Hügel winkte ihr
Theudelinde gedachte in diesem Augenblicke der Mahnung des Heiden Servius, stets vor
Tagesanbruch auf
„So hättest du mich rütteln und schütteln können,“meinte jene, sah dabei Regina scharf in die Augen und erkannte das Gesicht, das sie im Traume gesehen.
„Man darf doch eine vornehme Hofdame nicht rütteln und schütteln, wie einen Sack voll Türkenstroh,“ entschuldigte das Mägdlein.
„Was Türkenstroh?“ rief Theudelinde erzürnt, da sie argwöhnte, das Mägdlein möchte ihre Feindin sein und sie deßhalb nicht früh genug geweckt haben, „was Türkenstroh?Wenn du nur in Türkenstroh stecktest, du Türkin du! Du hast mich wohl hieher gelockt, um mich zu verderben?“
Bei diesen Zornesworten Theudelindens erbebte die Waldhütte. Die Fugen krachten und die
Bretter stöhnten und im Nu war die Hütte sammt Allem verschwunden.Vor der erschreckten
Hofdame aber stund eine lichte Frauengestalt, mit den Augen und Zügen des Mägdleins, aber
zürnend, und sagte: „Undankbares, launisches, eitles und unaufmerksames Mädchen, du hast
deine Probe schlecht bestanden. Nun bist du meine, der Fee Murciane, Dienerin.Und weil du
mich in Türkenstroh stecken wolltest, so sollst
Als Fee Murciane dieß gesagt hatte, fielen die kostbaren Gewänder von Theudelindens schöner Gestalt, sie stund da in einem Kleide von Türkenstroh und mit einem hohen aus gleichem Stroh zusammengesetzten Turban. Und Türkentrudeli war sehr merkwürdig anzusehen und schämte sich, obgleich man es nicht sehen konnte, da ihre rothen Wangen ebenfalls mit Türkenstroh besetzt waren. Sie mußte nun den ganzen Tag lang Türkenkörner zählen,welche jede Woche von einem Diener abgeholt und auf den Markt nach Wiflisburg gebracht wurden, allwo die Juden sie kauften. Und jeden Monat einmal kam die Fee aus Spanien hergeflogen, um Inspektion zu halten.
Am Hofe des Königs steckten die Hofleute wieder die Köpfe zusammen, als eines Abends ein heidnischer Ritter hergeritten kam und dem König einen Brief brachte, in welchem die Fee dem Könige Mittheilung machte von dem Schickssale Theudelindens. Zugleich hatte die Fee dem König die Photographie Türkentrudeli's beigelegt, welche derselbe seinem Album einverleibte.
Hiemit schloß Großmutter Euphrosine ihre Erzählung.Der Mond war längst hinter den
Freiburger Bergen hinabgesunken und die Sternlein spiegelten sich nur noch in mattem
Glanze im klaren Wasser des See's. Die Frauen traten in's Haus und begaben sich zur
Ruhe.
Aber in Alwina's Augen kam kein Schlaf. Die Erzählung der Großmutter beschäftigte ihren Geist und das Schicksal Hildegundens und Theudelindens ihr Herz. Sie fühlte Mitleid mit den Büßerinnen und als am Morgen Großmutter Euphrosyne sie aus einem leichten Schlummer weckte, war ihr Entschluß längst gefaßt. Sie wollte sich aufmachen, die Spindel aufzusuchen und die Mädchen zu erlösen. Die Großmutter mahnte zwar zu ernstlicher Ueberlegung und sagte: „Hab' ich mir's doch gedacht, wenn ich die Geschichte erzähle, so werde es so kommen.“ Als sie jedoch den festen Entschluß der Enkelin sah, den sie im Stillen billigte, und als sie bedachte, daß sie ihre alten Tage doch bald beschließen werde ohne Noth und Kummer,segnete sie das Mädchen und ließ es ziehen.
Alwina reiste zu Fuß nach Peterlingen, wo König Konrad, Rudolf's Sohn, eben ein Heer gegen die Araber rüstete, welche von Westen her gegen sein Reich anrückten,während ihm von Osten her ein Einfall der Ungarn drohte.Der König empfing das schöne Burgunderkind gar freundlich, gab ihm gute Räthe und schenkte ihm ebenfalls ein Pferd, welches Geschenk Alwina indessen höflich ablehnte,da sie des Reitens nicht gewohnt war. Sie machte sich danach auf, nur mit einem Stabe und einer Tasche versehen, in welche sie Brod, Früchte und Milch zu ihrer Nahrung gepackt hatte. Auch trug sie gar wenige und nur geringe Kleidungsstücke bei sich nebst einer Decke zum
Nachtlager. Ehe sie aber abreisste, trat sie noch in die Kirche zu Unserer lieben Frauen und bat Gott um Hülfe und Segen zu ihrem Vorhaben.
Die Wipfel der Bäume warfen schon lange Schatten im Walde, als sie bei der Hütte des
heidnischen Priesters Servius anlangte. Sie klopfte an und als der Heide ihr aufgethan,
bat sie um freundlichen Rath, den ihr jener auch gerne ertheilte. Nachdem sie dafür
gedankt, wollte sie ihren Weg fortsetzen; doch Servius sagte: „Gutes Töchterlein, es ist
nun zu spät in den Wald zu gehen,denn du könntest dich leicht verirren. Bleibe diese Nacht
hier und sammle neue Kräfte für den folgenden Tag.Dort in jenem Gemache steht ein
Nachtlager für dich hereit.“Alwina zauderte einen Augenblick. Sie hätte gerne ihre
Wanderung fortgesetzt, um recht bald die beiden Büßerinnen befreien zu können; aber sie
fand doch den Rath des Heiden besser und folgte demselben. Sie schlummerte nur süß;denn
ihre Seele war so sehr beschäftigt, daß sie nicht zu schlafen vermochte. Doch kaum fiel
der erste Tagesstrahl in ihr Gemach, als sie vom Lager aufstund, ihr Gebet verrichtete und
mit herzlichen Worten des Dankes von Servius Abschied nahm. Die frische Waldesluft, die
sie jetzt einsog, stärkte ihren Leib und ihre Seele und der helle Chor der gefiederten
Sänger stimmte sie heiter, so daß sie fröhlich und dankerfüllt das tiefste Dickicht des
Waldes durch
Im tiefsten Dunkel und Dickicht des Waldes hörte sie plötzlich einen klagenden Ton in der Nähe. Mühsam arbeitete sie sich durch das dornige Gebüsch nach der Seite,woher sie den Ton zu hören glaubte, und fand endlich mitten in den Dornen einen Krieger, der vergeblich bemüht war, mit seinen schweren Waffen sich von den Dornen frei zu machen. Er bat das Mädchen um Hülfe und erzählte ihr, daß er schon seit zwei Tagen ohne einen Bissen Nahrung in dieser peinlichen Lage sich befinde. Alwina erlöste ihn vorsichtig von den Dornen, zog dann ihre Tasche hervor und erquickte den Hungrigen mit Brod,Milch und Früchten. „Holde Jungfrau,“ sagte dieser,nachdem er sich gestärkt hatte, „wie sehr bin ich dir zu Danke verpflichtet für meine Rettung. Denn wisse, ich sollte zum Heere des Königs stoßen und gerieth hier in die Gewalt meiner Feindin, der Fee Murciane, von der ich einst in Spanien im Kriege gegen die Araber einen Zaubergurt erbeutete, welcher die Kraft besitzt, der keuschen und frommen Jungfrau, welche ihn trägt, alle Geheimnisse zu verrathen. Da der Gurt von keinem Werthe für mich ist, du dagegen, wie ich wohl sehe, eine tugendsame und keusche Jungfrau bist, so nimm ihn aus meinen Händen zum Angedenken an meine Rettung.“
Er zog bei diesen Worten einen glänzenden Gurt aus
Alwina legte indessen den Zaubergurt um ihre schlanke Hüfte und sah nun mit einem Male die Spindel der guten Königin Bertha im Besitze einer Dame auf einem hohen Schlosse, die eben damit spann. Auch der Weg dahin lag ganz klar vor ihren Augen und sie beeilte sich nunmehr, recht bald an das Ziel zu gelangen.
Die Dunkelheit des Waldes verschwand nun mit jedem ihrer Schritte immer mehr und die
Sonnenstrahlen brachen sich funkelnd durch das Gezweige Bahn, die Vögel, die das Dickicht
des Waldes flohen, ließen hier bei'm fröhlichen Glanz des Himmelslichtes ihre
schmetternden Chöre wieder hören und warme Windeswellen verkündeten die Nähe sonnerwärmter
Wiesen und Thäler. Im grünen Moosteppich des Waldes aber wiegten sich freundliche Blumen
und grüßten die holdselige Jungfrau, die leicht über sie hinschwebte. Sie strahlte voll
Heiterkeit und Freude und sog mit Lust den stärkenden Waldesduft in ihren schwellenden
Busen. So gelangte sie nach einer geraumen Zeit an den Rand des Waldes und mit einem Male
lag ein lachendes sonniges Thal zu ihren Füßen,in dessen Hintergrunde sie das Schloß
erblickte, das sie
Bald sah sie in einiger Entfernung vor sich eine kleine alte Frau mit einer schweren Last
auf dem Kopfe mühsam ihres Weges gehen. Sie beflügelte ihre Schritte und erreichte in
wenigen Minuten die Alte, welche unter ihrer Bürde keuchte und beinahe einzusinken drohte.
„Mütterchen,“ sagte sie zu der Altey, „Ihr habt eine zu schwere Last auf dem Kopfe. Gebt
mir das Bündel, damit ich es trage und Ihr unterdessen etwas ruhen könnt.“ „Gott danke
dir, gutes Jungferchen,“ erwiderte die Alte, „du kömmst wie gerufen; denn ich glaubte
jeden Augenblick zusammensinken zu müssen. Aber es ist noch weit bis zum Schlosse, wohin
ich das Bündel bringen soll.“ Bei diesen Worten hielt sie stille und Alwina hob die Last
auf ihr Köpfchen. Und obschon das Bündel sehr schwer war,so schritt sie doch leicht von
dannen und das Mütterchen nebenher. Während sie dem Schlosse stets näher rückten,erzählte
die Alte dem Mädchen, wie sie Tag und Nacht Hanf gesponnen habe, um das bestellte
Gespinnst wie versprochen auf den heutigen Tag in das Schloß des Grafen von Romont zu
bringen, dessen Herrin nach dem Beispiele
In furzem hatten sie den Hügel erklommen; die Zugbrücke fiel und sie schritten in den
Hofraum hinein.Die Alte stieg voran die Treppen hinauf in einen großen Saal, in welchem
angelangt sie Alwina ihrer Bürde entledigte. Kaum war dieß geschehen, als die Thüre sich
öffnete und der Graf von Romont im Silberhaar nebst seiner holdseligen Gemahlin und seinem
Sohne in den Saal trat. Sie grüßten die Alte und auch Alwina freundlich und schienen hoch
erfreut über ihre Ankunft zu sein.Die Gräfin befahl sofort ein reichliches Mahl zu
bereiten und ließ inzwischen Erfrischungen bringen. Die Alte aber erzählte ihr, wie sehr
sie unter ihrer Bürde gelitten habe,bis Alwina sie von derselben befreite. Die Jungfrau
schlug bei dem Lobe der Alten die Augen nieder und erröthete,was dem Grafen und seiner
Gemahlin gar wohl gefiel
Endlich war das Mahl bereitet, die Tafel gedeckt und man setzte sich zu Tische. Wie sehr sich Alwinag auch sträubte, so mußte sie doch den Wünschen der gräflichen Familie nachgeben und den Ehrenplatz oben am Tische einnehmen. Während des Mahles ergriff der Graf seinen Becher und trank auf das Wohl des holden Mägdleins,das ihm der Himmel unter sein Dach geführt. Sodann wagte er noch die bescheidene Frage nach dem Reiseziel der Jungfrau und ihrer Herkunft, worauf Alwina alles erzählte und kein Wörtchen verschwieg. Und als sie geendet hatte, sah sie plötzlich die ihr gegenübersitzende Alte sich in eine lichte Gestalt verwandeln und erkannte in derselben die Fee Murciane, wie sie dieselbe erblickt hatte, als sie den Gürtel um ihren schlanken Leib gelegt hatte. Die Fee erhob sich und ihre freundlichen braunen Augen ruhten auf der Jungfrau, indem sie sagt::
„Freundliches, dienstfertiges und liebes Mädchen! Du hast deine Probe gut bestanden. So wisse denn, die Spindel der guten Königin Bertha, welche du suchst, befindet sich in den Händen meiner lieben Freundin, welche neben mir sitzt, der ich dieselbe in Verwahr gegeben.Sie ist von jetzt an dein Eigenthum und wird dir Glück und Segen bringen. Bleibe fromm, bescheiden, dienstfertig und wohlthätig und es wird dir wohl ergehen.“
Alwina stammelte Worte des Dankes und blickte die Fee voll Verehrung an. Dann aber sagte sie: „Mächtige und wohlthätige Fee, wollt Ihr mir nicht' auch sagen, wo meine unglücklichen Schwestern weilen, die vor mir die Spindel aufzusuchen gingen?“
„Hier hast du die Spindel,“ erwiderte die Fee, indem sie ihr eine kostbare Schachtel überreichte. „Berühre damit die beiden Mädchen, welche, seitdem sie meine Dienerinnen geworden, ihre Untugenden und Fehler ablegten.“
Kaum hatte die Fee dieses gesagt, als sie durch das offene Fenster verschwand.
In demselben Augenblicke aber öffnete sich die Thüre und herein traten gesenkten Hauptes Tannenbabeli und Türkentrudeli. Alwina eilte ihnen entgegen, nahm die Spindel aus der Schachtel und berührte die Waldjungfern damit. Da fielen die Blätter und Nadeln von Tannenbabeli und das Türkenstroh von Türkentrudeli und Hildegunde und Theudelinde stunden da, in ihren Hofkleidern.Sie wollteü vor Alwina auf die Knie sinken, um ihr zu danken, aber sie ließ es nicht zu und begehrte nur einen schwesterlichen Kuß von ihnen. Denn setzte sich die ganze Gesellschaft wieder zu Tische und freute sich, bis der Mond sein mildes Licht über die dunkeln Wälder hinein in den Saal goß.
Aber nach drei Wochen ward am Hofe König Konrad's,der inzwischen klugerweise beide
feindliche Heere zum Kampfe
Alwina und ihr Gemahl lebten glücklich bis an ihr seliges Ende. Die Spindel brachte ihnen
Glück und Segen und erbte sich von Kind zu Kind. Sie ist noch heute in Peterlingen, Romont
oder am Murtensee zu finden, wenn sie nicht seither verloren gegangen
ist.
Es war einmal eine sehr schöne Jungfrau und die hieß Berenice. Sie hatte goldene Haare und blaue Augen,ihre Haut war weiß wie Schnee, ihr Mündchen roth wie eine Kirsche und ihre Zähne glänzten wie Elfenbein. Und ihre Gestalt war so fein, daß alle Schneider sich über die Ehre stritten, ihr ein Kleid nähen zu dürfen. Sie war das einzige Kind ihrer Eltern und diese liebten sie mehr denn ihren Augapfel und gewährten ihr jeden Wunsch.Aber diese Schwäche verursachte ihnen auch gar manchen Verdruß, wie dieß noch am heutigen Tage vielen schwachen Eltern geschieht. Das Tochterlein wurde bald recht eigensinnig und muthwillig und wenn man ihr nicht jede Bitte sogleich gewähren wollte, stampfte sie mit dem kleinen niedlichen Füßchen auf die Diele und ihre schönen Aeuglein füllten sich mit Thränen. Das dauerte dann die guten Eltern und sie bewilligten dem Trotzköpfchen sofort jede Bitte.
Sie wohnten hoch auf einem sonnigen Berge am schönen Lemanersee. Und wenn am frühen Morgen die Sonne hinter den Gebirgen im Osten auftauchte und mit ihrem Golde die dunkeln hohen Berge anhauchte und den See, dann eilte Berenice fröhlich von ihrem Lager und freute sich der schimmernden majestätischen Landschaft,deren Bild ihr aus dem klaren Spiegel des See's entgegenschaute. Und wenn sich die Winde erhoben und den blauen See aus seiner Ruhe schreckten, daß er vor Zorn schäumte und häuserhohe Wellen warf, welche die kalten felsigen Ufer des Savoyerlandes peitschten, dann blickte sie voll Erstaunen diesem wilden Campfe der Elemente zu und freute sich, ihn hoch oben vom Berge betrachten zu können. Oder wenn am Abend das weinbekränzte Ufer der schönen Waadt mit seinen weißen Mauern erst glühte und dann in blauen Duft versank, dann wünschte sie wohl, einmal durch dieses Land zu wandern bis dahin,wo die Sonne allabendlich niedersinkt zur Ruhe. Wenn sie so den Eindrücken der großen Natur ihrer Heimat sich hingab, dann wurde sie récht mild und weich gestimmt und jede Spur von Eigensinn und Trotz war aus ihrem Herzen verschwunden. Denn sie hatte ein zartes Gemüth und nur die Nachgiebigkeit der guten Eltern hatte in demselben Unkraut aufkommen lassen.
Gar oft wandelte sie auch zur Sommerszeit durch die grünenden Reben hinab an das milde
Ufer des See's zu
Fee Clarence besaß auch einen Sohn sehr unansehnlicher Gestalt und er hieß deßhalb
Modestus. Er war um einige Jahre älter als Berenice und da er das Mägdlein zur Jungfrau
aufblühen sah, keimte in ihm allmälig eine süße Neigung. Bald aber war das Fünklein zur
hellen Flamme angefacht und wenn Berenice dem Verliebten nur ein freundliches Wörtlein
gönnte, so hätte er vor Freude Purzelbäume schlagen mögen. Er war jedoch sehr schüchtern
und wagte kein Sterbenswörtchen von seinem Herzenszustande zu sagen, weder zu dem
Gegenstande seiner Flammen noch zu seiner Mutter. Diese erkannte denselben erst nach
längerer Zeit, als bereits die blassen Wangen und schmachtenden Augen ihres Söhnleins ihn
verriethen. Sie drang hierauf so lange in ihren Sohn, bis er beichtete und dadurch seinem
Herzen Erleichterung verschaffte, sowie einige
Hoffnungstropfen einflößte. Die Fee aber fühlte großes Mitleid mit dem kranken Herzen
ihres Sohnes und gelobte sich, dasselbe zu heilen. Sie wählte hiezu den einfachsten Weg
und spürte auf feine Weise nach, ob nicht in dem Herzen der Jungfrau eine entfernte
Neigung zu ihrem Sohne zu entdecken sei. Aber sie vermochte nicht das geringste Fünklein
zu finden und entwarf deßhalb einen oft schon von Müttern und Pathen zu Eroberung eines
Herzens ausgeführten Feldzugsplan und führte ihn auch aus. Wenn die schöne Berenice auf
Besuch kam, so wußte die Fee es nämlich so einzurichten, daß sie stets unter irgend einem
Vorwande sich entfernen mußte und die Beiden allein blieben. Auch beschenkte sie ihr
Päthchen öfter mit allerlei kostbaren Dingen, veranstaltete Lustfahrten auf dem See bei
sanftem Mondenscheine oder Bergfahrten in die hohen Thäler und auf die aussichtreichen
Spitzen rings herum. Kurz, sie gab sich alle Mühe, wie eine Mutter es nur vermag, welche
um das Glück ihres Kindes besorgt ist. Aber alle ihre Mittel fruchteten nichts; das
muthwillige und eigensinnige Trotzköpfchen Berenice schien ihrer Anstrengungen zu spotten
und weder die mütterlichen Zureden, noch die schmachtenden Blicke des Sohnes zu beachten.
Sie freute sich zwar der freien Bewegung und ihr Gesichtchen strahlte vor Lust, wenn sie
bei den Seefahrten in den klaren Spiegel des See's blicken konnte oder von der Höhe des
Jaman in das Gewirre der eis
Darob erzürnte Fee Clarence und vermeinte in ihrer blinden Mutterliebe, Päthchen Berenice
verschließe ihr Herz absichtlich vor den Pfeilen Amors. Sie beschloß, das Päthchen für
seine Kälte zu bestrafen, und schwur feierlich sie in keines andern Mannes Armen zu sehen,
als in denen ihres Sohnes, den sie seiner Liebesleiden wegen jetzt noch um so zärtlicher
liebte. Sie sagte also eines schönen Tages, als sie auf Besuch kam, zu ihr: „Liebe Pathe,
du bist eben recht gekommen. Ich wünsche endlich einmal der Einladung meiner Freundin, Fee
Schwarzkopf, Folge zu leisten und ihr meinen Sohn vorzustellen,dessen Pathin sie ist.
Mittlerweile wirst du meine Wirthschaft führen, zu welchem Zwecke ich dir hiemit alle
meine Schlüssel übergebe. Schalte und walte nach Belieben;öffne auch jeden Morgen die
Wohngemächer, um frische Luft hereinzulassen, doch öffne ja nicht die eiserne Truhe in
meinem Schlafzimmer, denn das würde dir zum Unglücke gereichen.“Pathchen Berenice
versprach alles wohl zu besorgen und niemals die Truhe zu öffnen, worauf die Fee sich mit
ihrem Sohne in einen Wagen setzte, der von zwölf xosenrothen Mauleseln gezogen wurde. Dann
fuhr sie
Das Pathchen empfand anfangs große Langweile; im Hause befand sich nämlich kein lebendes Wesen außer einer lahmen schwarzen Katze, welche den ganzen Tag auf dem Dache lag und umherspähte, und einem blinden weißen Hunde, der sich vor der Thüre sonnte oder umherspürte,wenn sich Jemand dem Hause näherte. Doch bald kehrte ihre Fröhlichkeit zurück und sie begann sich die Zeit auf angenehme Weise zu vertreiben, indem sie die Wohnzimmer lüftete und dann im Garten spazierte und die Blumen betrachtete. So näherte sie sich unbemerkt den drei eisernen Thüren. Bis jetzt hatte sie niemals die geringste Neugier geplagt, zu wissen, was hinter diesen Thüren verborgen sei, nun aber in der Einsamkeit erwachte der Gedanke in ihr das Geheimniß zu erforschen. Sie erinnerte sich jedoch,daß sie keinen Schlüssel zu diesen Thüren besitze, und wendete sich um zu den Blumen, bis es Abend ward und sie zur Ruhe sich legte.
Am folgenden Tage empfand sie wieder Langweile.Da fiel ihr ein, einmal auch die übrigen
Räume des Hauses genau zu untersuchen, da sie dieselben nur zum kleinsten Theil gesehen
hatte. Sie nahm demnach die Schlüssel und schloß ein Zimmer nach dem andern auf.Alle aber
waren leer und das verdroß das Pathchen so sehr, daß sie die Schlüssel im Wohnzimmer der
Fee in
Doch als sie des folgenden Tages wieder Langeweile empfand und in das Zimmer der Fee kam,
da konnte sie dem brennenden Verlangen nicht mehr widerstehen. Sie versuchte mit einem
Schlüssel nach dem andern die Truhe zu öffnen, bis es ihr gelang. Da lagen denn in der
Truhe drei goldene Schlüssel und es fiel der schönen Berenice sofort ein, es möchten
dieselben zu Oeffnung der verschlossenen Thüren im Garten bestimmt sein. Sie eilte
hinunter in den Garten und öffnete wie sie erwartet eine Thüre nach der andern. Als sie
aber den letzten Schlüssel drehte, begann die lahme Katze auf dem Dache entsetzlich zu
miauen und der blinde Hund heulte so schredlich,daß es in den Bergen wiederhallte. Denn
Katze und Hund waren die Wächter des Gartens, welche scharf auf Alles Acht gaben. Kaum
hatten sie ihre Stimmen erhoben, so sauste und schwirrte es in den Lüften und die Fee mit
ihrem rosenrothen Zwölfgespann senkte sich herab und stieg vor der Thüre ihres Hauses aus
der Kutsche.Berenice stund erschrocken vor den geöffneten Pforten und
Fee Clarence schien höchst erzurnt, im Geheimen aber war sie höchst erfreut, das
widerspenstige Vögelchen im eigenen Garne gefangen zu haben. „Böses, trotziges Kind,“
sagte sie und ihre Augen blitzten wie Demanten,„du hast dich meiner Liebe unwerth gemacht.
Du hast den Garten meiner Freundin Schwarzkopf geöffnet, den sie nur alle drei Monate
besucht, und bist deßhalb in ihre Gewalt gefallen. Sieh', da kommt sie auch schon, um dich
abzuholen auf ihren schwarzen Berg, auf dem du nun Zeit hast über deine Vergangenheit und
Zukunft nachzudenken.“Eben hielt Fee Schwarzkopf vor dem Hause mit ihrem Wagen, welcher
von zwölf Lämmergeiern gezogen wurde.Sie war schrecklich anzuschauen, so daß Berenice bei
ihrem Anblicke vor Entsetzen in Ohnmacht sank. Ihr Kopf sah gerade aus wie eine mit Tannen
halb bewachsene Felspartie und ihr Haar glich einem Brombeergebüsch. „Süßes Täubchen,“
sagte sie mit einer tiefen Baßstimme, die wie ferner Lawinendonner klang, zu der wieder
erwachten Jungfrau, „süßes Täubchen, freue dich mit mir in mein Besitzthum zu kommen,
welches sich nach meinem Namen Schwarzkopf nennt oder Tôte noire und zunächst den höchsten
Gebirgen unseres Welttheiles liegt. Es ist freilich einsam da oben und man sieht nichts
als dunkle Felsen, Schluch
Der Kutscher der Fee, ein zottiger schwarzer Bär,öffnete bei diesen Worten den
Kutschenschlag und winkte Berenicen einzusteigen, welchem Winke sie auch unter Beben und
Zittern gehorchte. Fee Schwarzkopf aber wandte sich gegen ihre Freundin, grinste
freundlich und verneigte sich:„Liebe Freundin, ich werde mich bestreben, Ihrem sfüßen
Pathchen recht viel Vergnügen zu verschaffen und nach vollbrachter Lehr und Prüfungszeit
sie wohlgebildet wieder aus meiner Pension in Ihre Arme zu geleiten.“ Darauf zwinkerte sie
bedeutungsvoll mit den Augen, setzte sich alsdann in die Kutsche, die Lämmergeier
breiteten ihre gewaltigen Flügel aus und das Gespann flog durch die Lüfte davon.Von ihrem
Sitze blickte Berenice sehnsüchtig aus nach dem Hause ihrer lieben Eltern, das sie bald,
hinter Obstbäumen geborgen, entdeckte. Sie sah auch hinunter in das fruchtreiche Rhonethal
mit seinen Reben und Kastanienwäldern und auf die schnee- und eisbedeckten Gebirge zur
Rechten und Linken. Sie flogen dem rauschenden Avençon entgegen über die einsamen Höhen
des Möveran und der Dent de Morcles, bis sie endlich das noch einsamere Be
Die Fee sah mit Befriedigung das gute Resultat ihrer Methode und gab ihrer Freundin recht
bald davon Kenntniß. Clarence freute sich zu vernehmen, das Köpfchen ihres Pathchen
beginne von romantischen Ideen gesäubert
In der That konnte Fee Clarence ihren Zorn über die Ungeschicklichkeit ihres Sohnes kaum
bemeistern. Sie schalt ihn zwar nicht, aber sie ertheilte ihm weise Räthe,wie man stets
Maß halten und überall die richtige Mitte zu treffen suchen müsse, und andere
vortreffliche Lehren
Die Fee, seine Mutter, hatte nicht unterlassen, ihm ganz besondere Verhaltungsmaßregeln zu ertheilen. In Beobachtung derselben bat er nach seiner Ankunft als liebenswürdiger fahrender Sänger die Fee und Berenice auf einige Tage um ein stilles Plätzchen, damit er von seinen langen Fahrten und erlittenem schwerem Herzeleid sich zu erholen vermöge. Die Bitte wurde mit Vergnügen gewährt und in Berenicens Busen regte sich bereits tiefes Mitgefühl für den blassen und schwergeprüften Sänger.Dieses Mitgefühl steigerte sich im Laufe der Unterhaltung immer mehr und als Modestus gar auf Andringen der
Fee seine harten Schicksale erzählte, eine Erfindung seiner Mutter, da ward Berenice bis
zu Thränen gerührt und selbst die Fee zerdrückte mehrere dicke Tropfen auf ihren gelben
Wangen. Modestus benutzte diesen glücklichen Augenblick und lud das Fräulein ein, sich mit
ihm auf die Bank vor dem Hause zu setzen, um an den bald hinter den Bergen aufsteigenden
Mond ein zartes Lied zu singen.Sie folgte willig der Einladung und während Fee Schwarzkopf
eine Erbssuppe kochte und Käse zum Braten bereit machte, hörte sie draußen den
schmachtenden Lauten der Mandoline und des fahrenden Sängers zu, welche tiefe Sehnsucht
nach dem milden Lichte des lieben Mondes athmeten. Berenice ward tief gerührt und von
einer unbekannten Empfindung ergriffen, die mehr als Mitgefühl war. Und als nun gar der
liebe Mond hinter den finstern Gebirgswänden emportauchte, da kam eine so weiche
Empfindung über sie, daß sie wünschte, in Mondschein zerfließen zu können. Gleichzeitig
stimmte Modestus ein noch viel zarteres und schmachtenderes Lied an, durch dessen Eindruck
sie gänzlich überwältigt wurde. Modestus fürchtete bereits, sie wirklich in Mondschein
zerfließen zu sehen, legte deßhalb seine Mandoline bei Seite und hielt das Fräulein fest
in seinen Armen, bis die Gefahr vorüber war.Der geneigte Leser wird leicht begreifen, daß
hierauf Fräulein Bexenice ihr Jawort gab und das glückliche Paar
Es war einmal ein sehr reicher und mächtiger Graf,der hieß Kuno und wohnte auf der Burg
Oltigen. Die Burg aber lag auf einem hohen und steilen Felsabhange im Uechtlande und unten
am Fuße desselben wälzte die Aare ihre Fluthen landab dem Rheine zu. Die Burg schaute gen
Süden und ihr gegenüber öffnete sich auf dem linken Ufer der Aare ein einsames und
wildromantisches Thal. Man konnte dasselbe vom Felsen aus beinahe fünf Stunden in der
Länge überblicken. Mitten durch das Thal floß und fließt noch heute ein Fluß, bei
trockener Witterung kleiner als die Aare, bei regnerischer aber größer und wilder,ein
ungestümes Gebirgskind. An hellen Tagen glänzt die Saane, so heißt der Fluß, von Weitem
wie ein Silberband,das weit hinten aus dem blauen Duft der Berge sich hervor schlängelt zu
den grünen, sanften Abhängen und zerrissenen,waldbewachsenen Felsen. Gerade gegenüber der
Burg stürzt
Aber das Brautgemach ist öde und traurig, ja schauerlich und das Brautbett mit Felsgestein und Gebüsch weithin bewachsen. Kein anderer Ausblick ist dem Menschen hier vergönnt, als der auf das Saanethal,so enge schließen die rauhen Felsen diesen Winkel zusammen.Die Geschichte der Oltiger verliert sich weit hinauf in das Dunkel der Vorzeit und man weiß aus früherer Zeit nur von ihren großen Besitzungen an der Saane, Aare und den Juraseen. Auch ist durchaus unbekannt, aus welchem Grunde der Stammherr seine Burg gerade in dem ödesten und unbevölkertsten Winkel seiner Lande erbaute.Soviel aber auch die Geschichtsklitterer über die Feststellung des Stammbaums der Oltiger sich noch bemühen mögen,so bleibt die Existenz unseres Grafen Kuno im zehnten Säkulum unserer Zeitrechnung sicher. Auch scheinen die Oltiger sich auf ihrem Stammsitze gar wohl befunden zu haben, da sie fort und fort an Macht und Ansehen wuchsen und die Burg stets bewohnt war, bis der Zahn der Zeit sie ebenfalls heimsuchte, das heißt, bis nach dem Beispiele anderer Unterthanen die Herrschaftsleute von Oltigen im Anfange des fünfzehnten Jahrhunderts die Burg belagerten,verbrannten und zerstörten und ihren Herrn, Hugo von Mömpelgard, sogar todtschlugen.
Graf Kuno von Oltigen hatte zwei Söhne, von welchen der ältere Buko hieß, der jüngere Ulrich. Beide waren sehr verschieden in ihren Anlagen und Neigungen. Buko liebte zu Hause zu bleiben und Tage lang zu beten oder dem Wellenspiel zu Füßen des Schlosses zuzusehen. Ulrich schweifte dagegen gerne im Freien herum, erstieg den Felskegel und freute sich, weit hinaus über die dunkeln Wälder und Berge noch höhere zu erblicken. Sein muthiges und frisches Herz sehnte sich weg von der öden väterlichen Burg. Dabei übte er sich fleißig in den Waffen und hörte gerne Abenteuer und Heldenthaten erzählen.
Nun geschah es, wie es oft zu geschehen pflegt, wenn ein unerfüllter Wunsch uns schmerzt. Es kam nach Schloß Oltigen die Kunde von einem greulichen Lindwurm und von den Verwüstungen und dem vielen durch ihn angerichteten Unglücke. Dieser Lindwurm hauste nicht weit von der Burg am jenseitigen Ufer der Saane. Ulrich hörte von der Noth der Leute und sein mitleidiges Herz flößte ihm den Gedanken ein, ihr Retter zu werden. Und da er seinem Vater, Herrn Kuno, seinen Entschluß mittheilte, segnete ihn dieser um seines löblichen Vorsatzes willen und schenkte ihm ein gutes Schwert sammt Lanze und Schild zum Kampfe mit dem Lindwurm. Beim Abschiede gab er ihm noch manchen guten Rath und erbat den Segen des Himmels auf sein Haupt.
So zog denn der junge Ulrich wohlgemuth aus zur Bekämpfung des Lindwurms, während Buko in
seinem
Kämmerlein für ihn betete und weinte. Ulrich's blaue Augen strahlten vor Erwartung und Freude, sein blondes Haar flatterte im Winde und sein um die schlanken Hüften gegürtetes Schwert klirrte in der Scheide. Er trug auf dem Kopfe eine große Pelzmütze, ein grobes wollenes Wamms und wollene Hosen und seine Beine stacken in dicken schweren Stiefeln. Er mußte einen ziemlich weiten Weg zurücklegen,bis er zu einer Fähre gelangte, um über den Fluß setzen zu können. Vom Fährmann aber erfuhr er genau den Aufenthalt des greulichen Lindwurms und eilte sofort ihn dort aufzusuchen. In einer Waldschlucht angekommen, hörte er das Zischen und Speien des Ungethüms, das bei seiner Annäherung sich wuthentbrannt gegen ihn wendete, um ihn zu verschlingen. Ulrich streckte ihm jedoch unerschrockenen Sinnes und festen Armes seine starke Lanze entgegen und bohrte ihm dieselbe fest in den Unterkiefer. Und während er noch mit der Linken den Schaft der Lanze festhielt trotz den verzweifelten Windungen des Wurms, riß er mit der Rechten sein gutes Schwert aus der Scheide und hieb ihm mit einem kräftigen Schlage den Kopf ab. Da lag denn das Ungethüm besiegt am Boden und sein Blut röthete das grüne Moos des Waldes. Ulrich reinigte aber Schwert und Lanze vom Blute und eilte sodann fürbas.
Er war noch nicht am Ausgange der Schlucht angelangt,als plötzlich eine hochgewachsene
Frau vor ihm stund und ihn freundlichen Blickes also anredete:
„Tapferer Jüngling! Du hast mich und meine Leute von einer großen Angst befreit. Denn wisse, der Wurm,den du getödtet hast, ist von der Fee Nugerol, die drüben im Moorland herrscht und unsere Feindin ist, hergesandt worden, uns zu beunruhigen und zu schaden. Empfange denn meinen herzlichsten Dank für deine kühne That und nimm hier ein kleines Angedenken, das dir zum Vergnügen und zum Nutzen gereichen wird.“
Bei diesen Worten überreichte sie ihm einen kleinen goldenen Becher und ein kleines irdenes Krüglein und fügte dann folgende Worte bei:
„In diesem Krüglein befindet sich der edle Saft von Trauben, die ich auf meinem Weiler
nahe eurer Burg Oltigen selbst gepflanzt und gepflegt habe. Der Wein ist freilich nicht so
suß und feurig, wie der drüben von den blauen Kalkbergen des Jura; er ist so gut, wie er
eben in unserer Wildniß gedeihen mag. Er besitzt aber dafür drei besondere Eigenschaften,
die ihn jedem Menschenkinde werth zu machen geeignet sind. Solange nämlich noch ein
Tröpflein im Krüglein übrig bleibt, so füllt sich dasselbe von selbst wieder zu und du
wirst in diesem Falle dann stets ein volles Krüglein zu deiner Erquickung bei dir finden.
Sodann besitzt er die Tugend der Heilkraft für jedes Uebel und selbst für dasjenige der
Verzauberung durch die böse Macht der Fee Nugerol, der Herrscherin über das Wassergebiet.
Endlich verleiht die Kraft dieses Weines Jedem, der mit der Fee
Mit diesen Worten war die dankbare Frau Marfela im Dickicht der Waldschlucht verschwunden
und Ulrich befand sich allein. Und da er ordentlich Durst verspürte, dieweil die Tödtung
des Lindwurms kein leichtes Stück Arbeit gewesen war, so öffnete er das Krüglein und
schenkte sich ein Becherlein Traubensaft ein und trank es aus. Er mußte ihm auch wohl
geschmeckt haben, denn er sagte zu sich selbst: „Dieser Wein vom Weiler zu Oltigen ist gar
nicht zu verachten.“Auch schenkte er sich noch ein zweites Becherlein ein und da er noch
immer Durst verspürte, sogar ein drittes, bis der Wein fast alle war. Da erinnerte er sich
aber der Mahnung der Frau Marfela, stets ein Tröpflein im Krüglein übrig zu lassen, schlug
den Stöpsel in's Krüglein und verbarg dasselbe sammt dem Becherlein in seinem Wamms.
Sodann machte er sich wieder auf den Weg nach der Fähre, allwo er nach einem stundenlangen
Marsche wieder anlangte und während der Ueberfahrt den Fährmann über das Moorland und die
Fee Nugerol befragte. Der Fährmann gab ihm auch
Ulrich wanderte den Rest des Tages durch Wald und DD den Aarstrom erblickte und bald darauf einen zweiten, der seine trübe Flut in jenen stürzte. Auf der Landspitze zwischen beiden aber erblickte er ein kleines Häuschen, umgeben von prächtigen Maiblumen und umkreisst von schmetternden Lerchen. Ihn dünkte dieser kleine blumige Winkel inmitten der öden und sumpfigen Gegend das Paradies zu sein und die Hoffnung auf ein kühles Lager auf diesem Plätzchen stieg in ihm auf. Er war auch kaum am Ufer des Flusses angekommen, als am jenseitigen ein heiner dicker Fährmann einen Nachen losband und den Jüngling nach dem maiigen Winkel geleitete, allwo er nach einem leckern
Fischmahle sich auf sein Lager warf und von den Anstrengungen und Beschwerden des Tages ausruhte.
Als der junge Tag an den Himmel stieß, stund er bereits wieder reisefertig da, konnte
aber zu seinem Schrecken das goldene Becherlein nicht sinden. Er sann hin und her, ob er
es wohl möchte verloren haben, und erinnerte sich endlich beim Aussteigen aus dem Nachen
mit einem starken Sprunge an's Land gelangt zu sein, bei welchem Sprunge das Becherlein
vielleicht aus dem Wamms gefallen sein dürfte.So ergriff er denn die Thürklinke, um hinaus
an das Ufer zu gehen und das verlorne Kleinod zu suchen. Doch umsonst,er vermochte die
Thüre nicht zu öffnen; denn ein schwerer Körper stemmte sich von außen gegen dieselbe. Er
war deßhalb genöthigt, zu einem kleinen Fensterlein hinaus zu kriechen und draußen
angekommen, erblickte er zu seiner größten Verwunderung einen ungeheuren Frosch, größer
denn eine Kuh, welcher sich mit seinem Hintertheil gegen die Thüre stemmte. Er war kaum
desselben ansichtig geworden, D den Leib rannte. Der Frosch stieß ein herzzerreißendes
Gequacke aus und gab hierauf sofort seinen Geist auf.Ulrich bemühte sich dann seine Lanze
wieder aus dem Leibe des besiegten Gesellen herauszuziehen; da er jedoch bei diesem
Bemühen mit der Lanzenspitze auf einen harten Gegenstand stieß, so zog er sein Schwert,
schlitzte mit demselben den schneeweißen Bauch des Frosches auf und fand zu seinem
Er wanderte dem Laufe des trüben Flusses Ziehl entlang seinem Ziele zu und kam gegen
Mittag an einen See, in welchen sich der Fluß stürzte. Nahe der Einmündung sah er mehrere
Hütten stehen, welche beinahe einer Stadt glichen und offenbar Fischern angehören mußten,
da verschiedene Fischköpfe ob den Thüren der Hütten sich angenagelt befanden.Doch war all'
sein Klopfen an den Thüren vergebens, bis endlich beim letzten Hause ein altes Mütterchen
öffnete und den Fremdling in das Haus treten hieß. Von ihr vernahm er, der See heiße
Nugerol und sei sehr fischreich, worauf er um ein Gericht Fische bat, das ihm auch bald
entgegen lachte. Sodann legte er sich zu einem Mittagsschläfchen auf ein hartes Lager von
Moos und träumte von allerlei Abenteuern, von einer Schlacht mit Riesenfröschen und andern
Ungeheuern und dergleichen seltsamen Dingen mehr. Als er erwachte, war es schon spät am
Nachmittage und er rüstete sich deßhalb eiligst, seinen Fuß weiter zu setzen. Zu seinem
nochmaligen Schrecken an diesem Tage fehlte ihm jedoch das irdene Krüglein und ob er sich
auch lange besann,auf welche Weise er dasselbe verloren haben möchte, so konnte er doch
auf keine richtige Spur gerathen und dachte
Fee Nugerol schien jedoch nicht gewillt unsern Helden so leichten Kaufes auf ihrem
Gebiete weiter gelangen zu lassen. Sie versammelte über ihrem Wasserreiche ein großes
Wolkenheer, das den Tag in Nacht verwandelte, und sandte einen strömenden Regen über das
Ufer des See's. Ulrich ward dadurch bis auf die Haut durchnäßt und sah sich
Töne und ganze Silben aus, um sich verständlich zu machen.Da er jedoch die Thier- und insbesondere die Hasensprache nicht verstund, zumal die Theorie des Herrn Professor Karl Vogt in Genf von der Verwandtschaft des Menschen mit dem Thiere, respektive zunächst mit dem Affen, noch nicht die gelehrten Streithähne aller Zungen in Harnisch gebracht hatte, so konnte er bei'm besten Willen nichts für die armen Thiere thun. Er tröstete sich, des folgenden Tages Aufschlüsse zu erhalten über die merkwürdigen Bewohner dieser Burg, und begab sich sodann in eines der Gemächer, entkleidete sich und schlief einen langen und gerechten Schlaf,doch nicht ohne einen seltsamen Traum zu haben.
Er sah sich nämlich selbst als Besitzer der schönen Burg mit der Grafenkrone auf dem Haupte und ihm zur Seite saß seine wunderschöne Gemahlin und bat ihn, ihr aus dem Krüglein ein Becherlein Wein einzuschenken, was er auch that. Darauf sah er zwei muntere Knaben an seiner Seite, die wuchsen zu kräftigen und tapfern Rittern heran und beide trugen auf dem Haupte die Inful und in der Hand den Stab. Sodann erschien ihm wieder die väterliche Burg und sein Bruder Buko, umgeben von einer großen Zahl schöner Männer und Jünglinge in kriegerischer Rüstung und alle mit Grafenkronen auf den Häuptern oder auch mit der Inful und mit dem Stab in der Hand.
Die Sonne stund schon hoch am Himmel, als er endlich aus seinen Träumen erwachte. Er
öffnete das Fenster
Nachdem er den Glanz der Landschaft genugsam bewundert, schritt er durch die Gemächer, um
den zwölf Hasen einen Besuch abzustatten. Sobald er die Thüre ihres Gemaches geöffnet
hatte, sprangen ihm die flinken Thiere freudig entgegen, und da er sich auf eine Bank
gesetzt, kletterten sie an ihm hinauf und leckten ihm Hände und Gesicht. Nur die zierliche
Häsin blieb mitten im Gemache scheu sitzen und blickte mit ihren großen Augen den Jüngling
betrübt an. Ulrich zog inzwischen sein irdenes Krüg
„Edler Jüngling, habe Dank für meine Erlösung;wenn du aber dein gutes Werk vollenden
willst, so gib auch meinen Gespielinnen und Dienerinnen, die noch unter dem Zauber der
feindseligen Fee Nugerol stehen, aus deinem Becherlein zu trinken, damit auch sie wiedex
ihre natürliche Gestalt annehmen und von dem Zauber erlöst werden.“Ulrich hatte kaum diese
Bitte von süßen Lippen vernommen, als er eiligst sein Becherlein von neuem füllte und der
Reihe nach eine Häsin nach der andern tränkte,worauf sie sämmtlich sich in hübsche
Jungfern verwandelten.Die einen, welche die Gespielinnen der bittenden Jungfrau waren,
trugen kostbare Gewänder von Sammet und Seide,die andern, die Dienerinnen, waren in
himmelblaue Reifröcke gekleidet. Alle aber verbeugten sich auf's Gra
„Edler Retter! Wisse, dieses Schloß gehörte meinem Vater, dessen einzige Tochter ich bin.
Er liebte mich zärtlich und verschaffte mir jedes Vergnügen, das nur mein Herz wünschen
mochte. Da jedoch meine Mutter früh gestorben war und mein Vater zu wenig Zeit hatte, wohl
auch nicht sich alle wünschbaren Fähigkeiten zutraute, so legte er meine Erziehung in die
Hände eines weisen Lehrers,welcher drüben auf der Insel im See einsam und zurückgezogen in
einem kleinen Stübchen lebte. Dieser mir unvergeßliche Lehrer, der Jean Jacques Rousseau
hieß, unter
Ulrich hörte diese Erzählung mit großer Spannung an und als die Erzählerin geendigt hatte, fragte er sie nach dem Aufenthaltsorte der Fee Nugerol, worauf jene antwortete: „Sie wohnt nie länger als drei Tage an einem Orte und stets in anderer Gestalt, bald als Frosch, bald als Gans, bald als Schlange.“ „Da habe ich sie ja schon dreimal getödtet,“ rief Ulrich bei diesen Worten aus.„Verzeiht, edler Retter,“ warf indessen die schöne Jungfrau ein, „Ihr habt stets vergessen, sie gänzlich zu vernichten; denn so lange noch ein Stück Fleisch ihres Körpers auf der Oberfläche der Erde übrig bleibt, gewinnt dasselbe stets neue Zauberkraft und tritt als neues Wesen auf.“Und als nun Ulrich seinen Kampf mit der Schlange erzählte, so meinte sie, die Fee werde in Kurzem in anderer Gestalt wieder vor dem Thore der Burg erscheinen und Unheil anzustiften suchen. Da zog Ulrich sein Schwert und gelobte hoch und theuer, die Jungfrau nicht zu verlassen, bis die Fee unschädlich gemacht sei, welches Gelübde der Schönen so tief zu Herzen ging, daß sie lautere Thränen vergoß und mit bewegter Stimme sagte: „Habt nochmal tausend Dank, tapferer Ritter, daß Ihr die arme Fenis nicht verlassen wollt. Meine Pathin, die Fee Cortaillod,wird Euch aber gewiß einst für euer muthiges Herz und eure That belohnen, da ich die Macht dazu nicht besitze.“
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Worauf der Jüngling sagte: „Schönste Fenis, das stünde wohl in eurer Macht, wenn Ihr mir also zugethan wäret, wie ich Euch.“
Als die schöne Fenis diese Worte hörte, schlug sie die Augen zu Boden und seufzte
vernehmlich. Ulrich nahm dieß als gutes Zeichen auf, ergriff ihre feine Hand und steckte
ein goldenes Ringlein an ihr kleinstes Fingerlein,was sie ohne Widerrede geschehen ließ.
Er wollte ihr sodann noch Mehreres sagen, allein in diesem Augenblicke ging die Thüre auf
und die Dienerinnen trugen ein köstliches Mahl in das Gemach und bereiteten die Tafel,
worauf sich Alle zu Tische setzten und nach Herzenslust aßen und tranken, da die Damen des
Hasenfutters sehr überdrüssig geworden. Als sie endlich sich satt gegessen, ergriff die
schöne Fenis eine versiegelte Flasche, befahl dieselbe zu öffnen und schenkte Ulrich von
dem perlenden Traubenblut ein, indem sie züchtiglich sagte: „Geliebter, siehe da den edlen
Wein, den meine Pathin selbst gepflanzt und gepreßt hat. Es ist ein Trank des Himmels, der
Leib und Seele gesund macht und ewige Jugend verleiht. Trinke darum und stoße mit mir an
auf das Wohlsein meiner lieben Pat hin.“ Dieser Aufforderung folgte Alrich bereitwillig
und sagte dann: „Auch ich besitze einen kostbaren Wein, der freilich nicht so angenehm und
fein schmeckt,wie dieser, der mir aber als Geschenk theuer ist.“ Er stund bei diesen
Worten auf und holte sein Krüglein; aber
Wäahrend sie noch sprach, ward die Thüre des Gemachs geöffnet und eine Lichtgestalt
schwebte herein, mit blutrothen Wangen und Lippen und in grünem Kleide, das aus lauter
Rebenblättern geformt zu sein schien. Fenis erhob sich und umarmte die Angekommene unter
Freudenthränen;denn es war Niemand geringeres als eben ihre Pathin,die Fee Cortaillod. Die
Fee begrüßte auch Ulrich mit freundlichen Worten und ließ sich seine Abenteuer von ihm
erzählen, wobei sie am Schlusse nicht umhin konnte, ihre Freude über die Rettung des
Pathchens zu äußern. Dabei lächelte sie schallhaft und indem sie auf das Ringlein am
Fingerlein des Mägdleins blickte, meinte sie: „Liebes Pathchen, ich sehe schon, ich werde
für ein schönes Hochzeitsgeschenk sorgen müssen, hoffe aber auch zu der Feier eingeladen
zu werden.“ Während sie so sprach, hatte Ulrich das irdene Krüglein und das goldene
Becherlein sammt
Am Tage der Vermählung erschien die Fee Cortaillod im glänzendsten Schmucke auf der Hasenburg und brachte kostbare Geschenke für das Paar mit. Auch Graf Kuno von Oltigen und sein Sohn Buko, Ulrich's Bruder, erschienen mit zahlreichem Gefolge und es ward eine Hochzeit gefeiert, wie man lange keine mehr im Lande gesehen hatte. Nach Tische aber, als die Gäste recht froh und freudig gestimmt waren, erhob die Fee Cortaillod ihren Becher voll Traubenblut und trank auf die Gesundheit und das Glück des hochzeitlichen Paares und sodann fügte sie bei, indem sie das irdene Krüglein, das goldene Becherlein und die goldene Grafenkrone vor sich auf den Tisch legte:
„Graf Ulrich, durch euern Muth bin ich wieder in den Besitz meiner frühern Macht gekommen
und kraft dieser Macht verbanne ich meine und eure Feindin, die Fee Nugerol,
Und so geschah es. Die Fee Nugerol sitzt noch heute im Berge gefangen und Niemand weiß
noch, wann ihr Erlösung kommen wird. Die Enkel Ulrich's, die Grafen von Neuenburg und ihre
Nachkommen, die Grafen von Nidau, Straßberg und Aarberg wurden mächtig im Lande,bis auch
ihre Stunde geschlagen hatte. Der edle Wein endlich, der nach der wohlthätigen Fee
Cortaillod benannt wird und das ist schließlich das Beste wächst noch heute am
Neuenburgersee und ist eine Freude der Jungen,ein Labsal für die Alten und in allewege
eine edle Gabe Gottes.
Tief hinten im grünen Emmenthal stund vor alten Zeiten mitten im Walde eine unansehnliche Hütte, deren vormalige Bewohner längst das Zeitliche gesegnet hatten.Damals war jene Gegend noch gar wenig bevölkert und keine Nothwendigkeit vorhanden für die Leute, wie dieß heutzutage der Fall gewesen und noch ist, draußen in der Welt ihr Stück Brod zu suchen. Die wenigen Bewohner der Gegend nun scheuten sich, in die Nähe jener Hütte zu gelangen, weil oft ein seltsames Klingen und Singen aus dem Innern derselben zu ihren Ohren dringe. Auch behaupteten sie, manchmal im Zwielicht ein verschleiertes Wesen gesehen zu haben, das den Weg durch den Wald nach der Hütte gegangen sei. Und doch konnte sich Niemand erinnern, irgendwo in der Nachbarschaft je ein weibliches Wesen gesehen oder gekannt zu haben, das mit jenem die entfernteste Aehnlichkeit besäße.
Diese Kunde drang bald das Thal hinab und weiterhin zu den Ohren der Edlen auf den Burgen und Schlössern des Landes. Gar manch' ein junges Blut,das nach Abenteuern gelüstete, ward dadurch neugierig gemacht und überlegte, ob nicht irgend ein besonderes Geheimniß hinter der seltsamen Erscheinung in der Hütte stecken dürfte.Es vergingen auch kaum drei Wochen seit der ersten Kunde,als schon die Leichname zweier Ritter im Walde gefunden wurden und neben ihnen die Splitter ihrer Lanzen und die Stücke ihrer Schwerter.
Das Erstaunen und die Neugierde der Bewohner der Gegend wuchsen durch diese wenig Frieden verheißende Entdeckung nur noch mehr und hinwieder verminderte sich bei den Edlen die Lust zu weiteren Versuchen, das Geheimniß zu ergründen. Nur ein einziger Ritter des Thales ließ sich durch das schreckhafte Schicksal seiner Standesgenossen nicht außer Fassung bringen und beschloß, das Abenteuer zu bestehen.
Thüring von Lützelflüh, der Sohn eines tapfern und angesehenen Ritters im untern
Emmenthale, war einer der schönsten und besten Kämpen des Landes und der Ruf seiner
Tapferkeit und Herzensgüte drang über die Grenzen Burgunds hinaus. Er kannte in Wahrheit
keine Furcht und Gefahren reizten nur seine Kampflust und Ruhmbegierde. Er ließ demnach
eines schönen Morgens sein Pferd satteln, das er aus den Kämpfen in Frankenland
mitge
Am hellen Tag, bei Sonnenschein
Da singen alle Schwesterlein.Und gleich auf dem nächsten Baume sang ein anderes:
Im Sonnenschein, bei Mondesglanz
Dann eilen wir zum Elfentanz.Und auf dem folgenden Baume sang ein drittes:
Die Königin dann kannst du schau'n,
Die schönste aller schönen Frau'n!Unserem Ritter gefiel dieser Gesang so wohl, daß er vom
Pferde stieg und sich unter einen der Bäume setzte,bis die Sonne sank. Er dachte nämlich
in seinem Herzen,
Die Physiologen und Psychologen haben uns bis heute noch keinen genügenden Aufschluß geben können über die geheimnißvolle Art und Weise, auf welche der Liebesgott Amor, dieser kleine Zauberer, sich in die Herzen der Jünglinge und Jungfrauen einzuschleichen vermag, oder vielmehr,wie er seine Pfeile so sicher an's Ziel sendet. Wir kennen nur die Wirkungen derselben, die sich bei den Einen durch Blässe der Wangen und des Gesichts oder durch glühendes Roth, durch Zittern, Sprachlosigkeit oder im Culminationspunkte durch Ohnmacht kundgeben. Bei einem so tapfern Ritter, wie Thüring einer war, konnte natürlicher Weise die letztgenannte Art von Wirkung nicht vorausgesetzt werden und man durfte höchstens die Bezeichnung sprachloses Erstaunen für den Fall annehmen, daß er wirklich von einem Pfeile des Liebesgottes getroffen würde, was bis dahin noch nicht geschehen.
Doch würde es schwer sein, seinen Zustand zu schildern
„Holdseligstes Wesen! Jungfrau oder Göttin oder was du auch sein mögest, gestatte mir,
dich in unserem wilden Thale zu begrüßen und meine Dienste dir anzubieten. Mein Arm und
mein gutes Schwert sollen stets zu deinem Schutze bereit sein und wenn du etwas bedarfst,
so gebiete deinem Diener, damit er deine Wünsche befriedige.“
Sie winkte ihm nach diesen Worten ihr zu folgen und geleitete ihn tiefer hinein in den Wald. Je weiter sie aber gelangten, desto heller klang die Musik an Thüring's Ohr, die er vorher nur aus der Ferne gehört hatte, und desto lichter wurde der Wald, bis sie endlich sich einer mondbeglänzten Waldgrotte näherten, in welcher zwölf Jungfrauen von herrlicher Gestalt bei den wunderbaren Klängen einer unsichtbaren Musik einen Tanz aufführten.Aber ihre Füßchen schienen hiebei kaum das Moos des Waldes zu berühren und all' ihre Bewegungen waren so leicht und zierlich, wie Thüring nie etwas so gesehen hatte auf Turnieren und Bällen der Ritter und Ritterfräulein.Auch seine Führerin mischte sich nun unter die Tanzenden und all' die Schönen folgten ihren Bewegungen, die noch ungleich zierlicher und leichter waren als die ihren, und dazu spielte die unsichtbare Musik die zartesten und bezauberndsten Melodien, so daß unser Ritter zum zweiten Male vor Erstaunen sprachlos dastund. Seine Schöne war offenbar die Herrscherin der andern; denn als jetzt der Tanz auf einen Wink von ihr beendigt war, verschwanden sie alle im Dunkel der Grotte und die Schöne blieb mit Thüring allein. Sie erzählte ihm vom Waldleben und von der Waldeslust, bis die Sterne erbleichten und es Zeit war für ihn aufzubrechen, ehe der Bär sein
Wächteramt antrat. Er küßte der Holden nochmals das kalte feine Händchen und eilte sodann nach Hause.Nachdem er sich hier mit Speise und Trank gestärkt,legte er sich zur Ruhe und fiel bald in einen erquickenden Schlaf, der süße Bilder in seiner Seele wachrief. Er hörte wieder aus weiter Ferne die wunderbaren Klänge jener Musik in der Grotte tönen, sah den Tanz der schönen Jungfrauen und vor allem lebendig ihre herrliche Gebieterin mit den klaren bittenden Augen und dem bezaubernden Lächeln. Kaum war er erwacht, als er auch sofort Vorbereitungen traf, um rechtzeitig bei beginnendem Abenddunkel wieder in der Nähe der Hütte zu sein. Heute aber ritt er fröhlichen Muthes das Thal hinauf, seine Augen schweiften nicht mehr träumerisch über Wald und Gebirg, sie leuchteten von Sehnsucht und Hoffnung und sein Kopf hob sich stolz in die Höhe. Und als er wieder den drei Bäumen sich nahete, sangen auch die drei Vögelein wiederum ihre Liedlein und wie am vorigen Abend erblickte er im Abenddunkel seine Schöne wieder, fiel vor ihr auf ein Knie, küßte ihre feine kalte Hand und folgte ihr in die Waldgrotte zum Tanze und plauderte mit ihr, bis der Morgen an den Himmel stieß. Nur waren heute ihre Augen nicht so klar wie gestern und mischte sich in ihr Lächeln ein Ausdruck schmerzlicher Empfindung,welche Veränderung unserem Ritter auf dem Heimritte viel zu denken und überlegen gab, doch ohne daß er
über den Grund derselben zu einem sichern Resultat gelängt wäre.
Wie es andern Menschenkindern noch heute passirt, so hatte Thüring allzutief in die Augen
seiner Schönen geblickt,um sie vergessen zu können, und die neue reizende Bekanntschaft
beschäftigte seine Phantasie den ganzen Tag über, mochte er schlafen oder wachen. Und wie
es sich auch von selbst versteht, so vernachlässigte er dieselbe in keiner Weise, sondern
blieb der allnächtliche Besucher der Grotte und ihrer Bewohner.Leider wuchs dabei aber
auch sein Kummer von Tag zu Tage über die stets auffallender werdende Traurigkeit seiner
Schönen, nach deren Ursache zu fragen ihm Unbescheidenheit und Zudringlichkeit schien.
Eines Abends jedoch war die Traurigkeit seiner Schönen dermaßen groß, daß er sein ganzes
Herz in beide Hände nahm, um mit einem deutlichen Bilde zu reden, und die Schöne nach dem
Grunde ihrer Betrübniß fragte, welche ihm schon so viel Herzeleid und Kummer verursacht
habe. Nach wiederholtem Bitten gestand sie ihm hierauf, daß sie eine Elfenprinzessin,
Namens Ilfis,sei und nach wenigen Tagen auf Befehl ihrer Mutter wieder in das Reich
derselben zurückkehren müsse, das weit weg am Wandelsee liege. Thüring erschrack bei
dieser Nachricht nicht wenig und vermeinte einen Streich auf den Backen bekommen zu haben;
doch faßte er sich alsgemach und wagte die Frage an die Schöne zu richten, ob denn kein
Ausweg möglich sei, diesem verzweifelten Befehle nicht Gehorsam
Diese Enthüllung erfüllte den liebedurstenden Thüring mit frohem Entzücken und er fiel trunkenen Blickes vor der Angebeteten nieder und bot ihr Hand und Herz an, sofern sie ein Fünklein Gegenliebe in ihrem Herzen verspüre.Schön Ilfis legte auch nach einigem jungfräulichen Zögern ihr weißes Händchen in seine dargebotene Rechte und sagte:„Wohlan, geliebter Thüring, ich lege meine Hand in die eure zum Zeichen meiner Einwilligung; doch hört noch eine Bedingung, welche sich an unsere Verbindung knüpft,und falls deren Erfüllung Euch zu schwer dünken sollte,so möget Ihr eures Wortes entlastet sein. Euer Herz darf nämlich sein Lebenlang niemals einer Andern mehr angehören und sollte ich auch binnen kurzer Zeit vom Tode heimgesucht werden. Würdet Ihr dem Gebote zuwiderhandeln, so wäre strenge Strafe euer und eurer Nachkommen Loos.“
Der von Seligkeit trunkene Ritter glaubte diese Bedingung
Wir preisen dich mit lautem Schall Schön Ilfis hier im Emmenthal!Hierauf ritten die
Beiden froh vergnügt weiter, bis sie endlich auf Schloß Lützelflüh anlangten, allwo
Thüring ein köstliches Gastmahl anrichten ließ zum Empfange seiner
Als im Spätherbste die Blätter von den Bäumen fielen und bald darauf der erste Schnee, da genas Schön Ilfis eines Töchterleins so lieblich und zugleich so ähnlich der Mutter, daß Vater Thüring vor Freuden einen Luftsprung that und keinen Augenblick das Schloß verließ. Er überlegte auch schon im Stillen, welch' glänzendes Taufmahl er anrichten wolle, bei dem kein Edler des Thales fehlen dürfe, und sandte überall hin Boten, um seine Freudenbotschaft zu verkunden. Auch sammelten sich am bestimmten Tage so viele Eingeladene im Schlosse, daß der Saal sie kaum zu fassen vermochte, und ward ein so glänzendes Taufmahl gehalten, wie man im ganzen Emmenthal seither keines mehr gesehen hat, obschon es die Leute dort bei solchen Gelegenheiten weder an Speise noch Trank fehlen lassen,wie männiglich bekannt. Aber auf die Freude folgte große Betrübniß. Schön Ilfis hatte beim ersten Ausgange aus dem Schlosse die kalte Winterluft eingesogen und ward von einer Lungenentzündung befallen, der sie am folgenden Morgen erlag. Vor ihrem Hinscheide sprach sie noch den Wunsch aus, hinten im Thale, wo
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»s SOT ihre Hütte gestanden, begraben zu werden, welchem Wunsche der ttief betrühte
Ehegemahl auch bereitwillig willfahrte. I Für Thüring begann nun aber auf Schloß
Lützelfluh ein gar einsames Leben und er hätte manchmal fast verzweifeln mögen, wenn er
der schönen Tage gedachte, die er an der Seite von Schön Ilfis verlebte. Auch zehrte er
zusehends ab und sah bald nur einem Gerippe ähnlich, so sehr nagte das Leid um die
Verlorene an ihm. Seine Freunde und Ergebenen suchten ihn zwar auf mannigfache Weise zu
zerstreuen, doch vergebens; sie sahen ihre Bemühungen scheitern und bereiteten sich schon
vor, die Nachricht seines Hinscheides in Bälde zu empfangen.Ein unerwartetes Ereigniß kam
indessen ihren Wünschen zu Hülfe. Graf Reinold von Macon und Chalons, ein mächtiger Herr,
glaubte sich als Erbe Burgunds zufolge seiner Macht und seines Glückes fähig genug, der
Oberherrschaft des deutschen Kaisers sich entziehen zu können.Der Kaiser erklärte ihn
jedoch in die Acht und sein getreuer Vasall, Herzog Konrad von Zahringen, eröffnete mit
kaiserlicher Hülfe einen Feldzug gegen den Rebellen, an dem der Adel von ganz Burgund und
fast ganz Schwaben Theil nahm. Auch Thüring machte diesen Feldzug mit und vergaß ob den
langen Märschen und Kämpfen allmälig sein Leid, blühte wieder auf und kehrte nach der
Besiegung
und Gefangennahme Reinolds wieder rothwangig wie vor seiner Vermählung in die Heimat zurück.
Sein schönes Töchterlein, dem er in der Taufe zu Ehren der Mutter ebenfalls den Namen Ilfis gegeben hatte, war unter der Zeit zu einer blühenden Jungfrau herangewachsen,da bekanntlich Elfenkinder sich noch heutigen Tages weit schneller entwickeln, als Kinder ordinärer Menschen. Sie war eben so schön wie ihre Mutter und von zarten Formen;aber durch ihre Adern strömte warmes Blut, röthete ihre Wangen und elektrisirte Diejenigen, welche ihre feine Hand ergriffen. Mit einem Worte, sie war das vollendete Bild eines menschlichen Weibes, während ihre Mutter dasjenige eines feenhaften Wesens, einer Elfe gewesen war, von welcher Gattung Wesen auch offenbar ihr Name abgeleitet wurde. Was Wunder also, daß Thüring bei seiner Nachhausekunft und beim Anblicke seines Töchterleins in noch größeres Erstaunen gerieth, als beim ersten Anblicke seiner selig verstorbenen Ehegemahlin? Die Herrlichkeit ihrer Gestalt fesselte seine Sinne in solchem Maße, daß er des der Mutter abgelegten Gelübdes vergaß und in der Tochter sie verjüngt und schöner wieder zu sehen vermeinte. Es bemächtigte sich seiner eine immer zunehmende Leidenschaft,die sich in so heftiger Weise äußerte, daß Jung Ilfis darob höchlich erschrack und vor dem Ungestüm des Vaters ihr KRämmerlein suchte. Thüring sah in Kurzem in lichten
Augenblicken gar wohl das Verwerfliche seiner Leidenschaft ein und gelobte sich im Stillen, dieselbe zu bekämpfen, damit nicht der Mutter Fluch über sein Haus hereinbreche. Auch begann er sogleich mit Ausführung seines Vorsatzes, indem er seinen Rappen satteln ließ, um das Grab seiner Chegemahlin VEr ritt denn auch gefaßter von dannen und seine gute Stimmung und sein Vorsatz wurden noch kräftiger, als er zu den drei Bäumen kam und die Vögelein sangen:
O weh' dir ungetreuer Mann,
Der sein Gelüͤbd' vergessen kann!Diese Vögelein waren nämlich verwandelte Elfen, welche
die Elfenkönigin hieher gesandt hatte, damit sie ihr stets Nachricht geben möchten von dem
Schichsale ihrer Tochter,der Prinzessin Ilfis.Er kniete lange am Grabe seiner
vielgeliebten Ilfis und kehrte als ein demüthiger und bußfertiger Sünder heim.Durch Gebet
und Fasten stärkte er sich bis seine Wangen wieder blaßten und der Glanz seiner Augen
allmälig erlosch.Noch öfter ritt er jetzt zum Grabe seiner seligen Gemahlin und hatte die
Genugthuung, nicht mehr den vorwurfsvollen Gesang der Vögel zu hören, was ihn im Glauben
bestärkte,er habe nun den Kampf bestanden und könne jeder Anfechtung Trotz bieten. Er
stellte in Folge dessen das Fasten und Beten ein und richtete den Kopf wieder nach
Rittersitte in die
Höhe zum Zeichen, daß er auch innerliche und nicht nur äußerliche Feinde zu besiegen im Stande seie.Bekanntlich steht jedoch in der heiligen Schrift zu lesen:Der Teufel geht umher wie ein brüllender Löwe und suchet,wen er verschlinge, und ein Sprichwort sagt: Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert. Unserm Helden erging es eines schönen Tages auch nicht besser, als manchem seines Geschlechtes vor und nach ihm; der Teufel erwischte ihn und verschlang ihn, das heißt, nicht buchstöblich,sondern er ertappte ihn über der mächtig wieder aufgeloderten Leidenschaft und nun brach auch das von Schön Ilfis verheißene Gericht über ihn herein. Der Himmel verfinsterte sich augenblicklich, der Donner rollte, Blitze leuchteten und Ströme ergossen sich vom Himmel, daß das ganze Thal bald in ein Meer verwandelt war. Thüring sammt Ilfis und allen Schloßbewohnern konnte sich mit Mühe auf den nahen Berg flüchten, um dem sichern Tode zu entgehen.Das schreckliche Gericht, das über ihn hereingebrochen war, zerknirschte ihn bis in's Innerste. Nun begann für ihn erst die Zeit aufrichtiger Buße und Bekehrung. Auf derselben Stelle, wo seine Gemahlin ruhte, ließ er ein Kloster erbauen, das bald zu großem Ansehen und Reichthum gelangte und Trub geheißen wurde, und den wilden Thalfluß nannte er eingedenk der durch seine Gemahlin prophezeiten Strafe seiner Untreue Ilfis, welchen Namen er bis auf den heutigen Tag getragen hat. Auch scheint ihm Gott
35 seine Uutreue endlich verziehen zu haben, denn seine Nachfolger,die Herren von
Brandis, blühten noch lange nachher als ein mächtiges und tapferes Geschlecht. Von dem Bär
aber,dem einstigen Hofmeister der schönen Ilfis, hätten die Thalbewohner, so sagt man, die
Schwingkunst gelernt und seien dadurch berühmte Schwinger geworden bis auf unsere
Tage.
Es war einmal ein liebliches Mädchen, das hieß Mathilde und wohnte bei ihren Eltern auf dem schönen Hofe Windemis.Dieser Hof aber lag am Fuße des hohen Berges Niesen im Aufgau. Rings um den Hof herum lag Wald und Weide und nahe demselben stürzte die wilde Kander mit Getose durch ihr Felsenbett. Ueber die hohen Wipfel der Bäume herein schauten die weißen Hörner der Hochalpen in blendender Majestät. Und aus den nahen Thälern hörte man im Frühling und Sommer das Donnern der Lawinen und das Tosen der Wildbäche.
Mathilde freute sich gar sehr des grünen Waldes und der silbernen Berge und ihre
dunkelbraunen Augen konnten sich oft nicht satt sehen an dem durch die Sonnenstrahlen
erzeugten Farbenspiele. Ihr frisches ovales Gesichtchen strahlte vor Vergnügen, wenn die
Sonne des Morgens zuerst die Bergspitzen röthete; aber noch mehr entzückte sie ihre
Rosen
Hart am Ufer des Sees stund nämlich ein Kirchlein,„zum Paradies“ genannt, weil die Gegend ringsum gar fruchtbar und lieblich zu schauen war. Dorthin ging das fromme Mägdlein nun öfter, um zu beten und den heiligen Beatus predigen zu hören, der jenseits des Sees in einer Felsengrotte wohnte. So fromm sie aber war, so konnte sie doch nicht umhin hie und da im Kirchlein die Augen aufzuschlagen und um sich zu blicken. Nun begegnete sie eines Tages beim Aufblicken einem andern schönen Augenpaare und ward ob dieser unerwarteten Entdeckung bis unter die Ohren roth. Und es däuchte ihr von diesem Augenblicke an, sie möchte ewig in jenes blaue Augenpaar schauen. Um dieß wenigstens recht oft thun zu können,ging sie von dem Tage an jeden Sonntag zum Kirchlein und ward stets frömmer und frömmer.
Hinwieder hatten dem Besitzer des blauen Augenpaares,einem blonden Jüngling, das
Augenpaar Mathildens und ihr schwarzes, volles Haar ebenfalls wohl gefallen. Auch kam er
deßhalb von diesem Tage an öfter zum Kirchlein,
Kuno, so hieß der Verlobte, und Mathilde besuchten im Vorgefühle künftigen Glückes von ihrer Verlobung an regelmäßig das Kirchlein ,zum Paradies.“ Schon der Name desselben schien ihnen von der günstigsten Vorbedeutung für ihre Zukunft zu sein, und sie wünschten nichts sehnlicher,als ihrer Ehe dereinst denselben Namen als Attribut beigesellen zu können. Und wenn sie nach beendigtem Gottesdienste noch im kühlen Walde spazieren giengen und plauderten,gedachten sie mit Vergnügen der Zeit, da nichts mehr ihr stetes Beisammensein zu stören vermöge, und waren in diesem Gefühle das glücklichste Paar.
Wenn dann Kuno zum Abschiede drängte, so geschah es nur mit schwerem Herzen. Er wohnte nämlich auf dem schönen Hofe Oedendorf weit unten im Aufgau und mußte sich stets beeilen, rechtzeitig dort wieder einzutreffen. Denn er konnte nur auf einem Umwege und über einen gefährlichen
Steg hingelangen. Auch hatte er selten Gesellschaft, obschon das Kirchlein das einzige im ganzen Berglande war.Mathilden aber kam der Abschied stets zu früh und sie wandelte dann fast betrübten Herzens durch den Wald nach Windemis.
Als sie eines Tages also heimkehrte, gesellte sich plötzlich eine schöne Jungfrau ihr bei
mit goldenen Haaren und einem Kranze von Wald- und Bergblumen auf dem Kopfe und in einem
leichten Kleide von weißem feinem Gewebe. „Du bist betrübt,“ sagte sie zu Mathilden, „komm
laß' uns lieber lustig sein und tanzen.“ Bei diesen Worten ergriff sie Mathilden und
drehte sich so leicht im Kreise herum mit ihr, als dürfe sie den Boden kaum berühren. Auch
kam aus dem Walde ein so herrlicher Gesang dazu, wie Mathilde nie einen schönern gehört
hatte. Ihr wurde darob so wonniglich zu Muthe, daß sie der Trennung von Kuno vergaß und
ganz selig zu Hause anlangte. Und als sie am darauffolgenden Sonntage wieder vom Kirchlein
und von Kuno betrübten Herzens heimkehrte, gesellte sich auch die goldlockige Jungfrau ihr
bei und lud sie zum Tanze ein.Das Gleiche geschah am drittfolgenden Sonntage und als der
Tanz vorbei war, fragte die Goldlockige Mathilden, wer sie sei und was sie in ihrem Herzen
wünsche. Da erzählte ihr das Mägdlein Alles und verschwieg ihr nicht ihren Brautstand und
daß sie am nächstfolgenden Sonntage getraut werde. Darauf sagte die Goldlockige: „So nimm
denn hier
Als das Bräutlein aber auf Windemis bei den Eltern ankam, da schlugen die ihre Hände ob dem Kopfe zusammen vor Erstaunen. Der Blumenkranz hatte sich nämlich in einen Kranz von goldenen Blättern und Blumen verwandelt.Und als die Eltern sie fragten, wer ihr den Kranz gegeben,und sie Alles haarklein erzählte, da sagten jene: „Das ist das Kanderfräulein gewesen, das um Mittag und Mitternacht aus seiner Grotte am Kanderflusse hervorkömmt und sein Spiel mit den Menschen treibt. Wohl dir, daß du ein Mägdlein bist, denen sie gerne Gutes erweist; wärst du ein Jüngling, so hätte sie dich zu Tode geküßt und gedrückt.“
Mathilde und Vater und Mutter freuten sich sehr über das schöne Brautgeschenk des Kanderfräuleins und das Mägdlein schmückte sich am Trauungsmorgen damit, so daß sie aussah wie eine Königin mit einer Krone auf dem Haupte. Dann harrte sie ihres holden Bräutigams, der sie nach Bräutigamsart auf Windemis abzuholen kam. Die Eltern aber hatten ein köstliches Frühmahl bestellt von Milch,Honig, Butter und Semmel.
Kuno hatte sich schon am Samstag Abend bereit gemacht,des Sonntag Morgens früh das liebe
Bräutlein auf Windemis abzuholen und zum Paradies zu geleiten zur Trauung.
Und da er der Stunde vor Wonne und Verlangen kaum erwarten mochte, legte er sich kaum eine Stunde lang zur Ruhe und trat sodann den wohlbekannten Weg an. Die Sterne glänzten am Himmelszelt und tiefes Schweigen lag auf Wald und Bergen. Unter diesem tiefen Schweigen wanderte er durch Feld und Wald und gedachte mit Freuden des kommenden Tages und künftigen Glückes ohne Furcht vor bösen Thieren und Gespenstern. Da sah er nach einer Weile eine goldlockige Jungfrau neben sich einhergehen mit einem Kranze glühender Johanniswürmer auf dem Haupte und in weißem luftigem Gewande. Sie blickte ihn mit wonnigen Augen an und sprach mit einschmeichelndem Worte:„Schöner Jüngling, fürchtest du nicht, dich zu verirren?Laß mich dir den Weg weisen und uns unterwegs zusammen plaudern.“ Kuno staunte die fremde Erscheinung mit verwunderten Augen an und wollte sie anfangs von sich abwehren; doch hielten ihr zauberisch-lieblicher Blick und holdseliges Wort ihn davon ab und er hörte mit Vergnügen ihrem Geplauder zu. Und als sie ihm erst erzählte von ihrer schönen Wohnung, ihrem schönen Schifflein und andern Dingen mehr, ward seine Neugier nicht wenig erregt, da er bis dahin nichts von einer solchen Bewohnerin des Kanderthales gehört hatte.
Mittlerweile waren sie durch den Wald dem Ufer der Kander näher gerückt. Das Fräulein
ergriff Kunos Hand,die von ihrer zauberischen Berührung in der ihrigen zitterte,
492 und fragte ihn im süßesten Tone: „Liebster, willst du nicht einmal meine Wohnung sehen?“ Und während sie das sagte, begann sie ihn am Leibe zu kitzeln, bis er laut auf gelangt, der über den Fluß führte und nur Mannesbreite hatte. Da schaute sie ihm recht liebevoll in die Augen,kitzelte ihn sanft und sagte: „Nun küsse mich zum Abschiede.“Nach diesen Worten umschlang sie ihn mit ihren Armen,küßte seine Lippen und stürzte sich dann mit ihm in die grause Tiefe. Die wilden Wogen der Kander aber schlugen über ihren Leibern zusammen.
Die arme Mathilde aber harrte umsonst ihres Bräutigams und weinte sich die Aeugelein roth
und starb bald darauf vor Gram und Kummer. Auch die Eltern warteten vergebens mit ihrem
Frühstück auf den Bräutigam und mußten es selbst genießen. Und überall hin verbreitete
sich darauf die Sage von der Braut, die ihren Bräutigam durch das Kanderfräulein verloren.
Sie soll noch gar mancher süßen Braut den Bräutigam verlockt und verführt haben und viele
Thränen sollen um ihrer Schuld willen vergossen worden sein. Das Fräulein selbst ist
später verschwunden, aber noch ist ihre Grotte zu sehen auf dem Kandergrunde zwischen Thun
und Amsoldingen, wo ehemals die Kander ihre wilden Gewässer durch die Ebene in die Aare
stürzte.
Einmal ging der Teufel auf der Erde spazieren. Es war gerade Frühling und überall
sprangen die Brünnlein,dufteten die Blumen und sangen die Vögelein. Da kam der Teufel auf
einen hohen Berg und erblickte zu seinen Füßen einen großen See, umkränzt von Städten und
Dörfern,von Wald, Wiesen und Weinbergen. Der Anblick gefiel ihm über alle Maßen und er
entschloß sich, einige Zeit in der Nähe dieses Sees Niederlassung zu nehmen. Er wählte zu
seinem Aufenthalte den lieblichen Garten im Süden des Sees, welcher Thurgau heißt. Und da
weder die Verfassung des Kantons Thurgau, noch die Bundesverfassung dem Fürsten der
Unterwelt die Niederlassung auf eidgenössischem Gebiete untersagen, derselbe vielmehr
früher einen Vorzug vor den Söhnen Abrahams genoß, so war es ihm ein Leichtes, sich in
kürzester Frist bei der Ortspolizei eines Dorfes zu legitimiren.
Nachdem er sich niedergelassen, begann er eifrig, die Bekanntschaft der Bewohner des
Dorfes zu suchen. Er fand auch sehr bald dieselben weit gescheidter, als er geglaubt
hatte, und wunderte sich nicht wenig über ihre List und ihre Kunst, ein X für ein U zu
machen. Diese Beobachtung weckte in ihm die Lust, mit einem derselben eine Wette
einzugehen, wer den Andern zu überlisten vermöge. Er ging also eines Tages zu einem
benachbarten Bauer, welcher gar nicht als ein besonders listiger und heimtückischer
Geselle bekannt war, und der Bannwart hieß, um mit diesem vorläufig eine Probe
vorzunehmen. Er machte ihn mit seinem Vorhaben bekannt und der Bauer schlug ohne Zögern
ein.Es war gerade zur Herbstzeit, in welcher in dem äͤpfelund birnenreichen Thurgau der
Most bereitet wird, ein Getränk, nach welchem das Land auch Mostindien geheißen wird. Dem
Teufel war dasselbe durchaus unbekannt und nachdem ihn der Bauer über dessen Bereitung
belkhrt hatte,begehrte er ein Glas davon zur Probe. „Sehr gerne,“sagte Jener, „aber ich
habe kein Glas hier stehen; indessen kannst du ja aus dem Fasse trinken, ich werde dir
dabei behülflich sen.“ Das Faß war aber kaum halb gefüllt mit Most und der Bauer legte es
deßhalb dergestalt gegen einen groben Holzpflock, daß der Teufel sich bücken mußte, um
bequem aus dem Fasse trinken zu können. Während er jedoch eifrig das süße Getränk in sich
sog, denn es däuchte ihn
über die Maßen gut und er wünschte, solch Getränke auch in der Hölle zu haben, pumps, da stieß ihn der schlaue Mostindier von hinten in das Faß hinein, legte den Deckel darauf und vernagelte das Faß. Da fing der Teufel im Fasse entsetzlich zu jammern an und bat und flehte ihn zu erlösen, bis endlich der Bauer nachgab und ihn heraus ließ, doch nicht, bevor der Teufel die Wette verloren gegeben und Zahlung versprochen hatte.
Nachdem dieselbe in klingenden neuen Fünffrankenstücken geleistet war, wanderte der
Teufel fürbas und ließ sich an einem neuen Orte nieder. „Denn,“ sagte er, „vielleicht sind
die Leute in einem andern Dorfe weniger schlau und pfiffig und es gelingt mir doch, eine
Wette zu gewinnen.“Es dauerte denn auch gar nicht lange, bis ihn die Lust kitzelte, mit
seinem Nachbar Müller eine neue Wette einzugehen. Dieser lächelte nur ein ganz klein wenig
und schlug dann seine Rechte in die des Teufels. „Topp,“ sagte er,„aber was muß ich dir
geben, wenn ich verliere?“ Der Teufel war hoch erfreut über diesen Bescheid und
antwortete:„Ich verlange nichts als deine Tochter zur Frau.“ Nachbar Müller, welcher nicht
wußte, mit welchem bedenklichen Gesellen er gewettet, indem derselbe ganz fein und
säuberlich wie ein Menschenkind gekleidet war, sagte hierauf sogleich. „Meinetwegen, wenn
meine Tochter damit zufrieden ist. Was gibst du mir aber, wenn ich gewinne?“ Das hielt der
Teufel für unmöglich und antwortete deßhalb: „Nun, dann baue
Eva, so nannte sich das liebliche Töchterlein, hatte jedoch diese Abrede hinter einer Wand belauscht, wie dieß allen Evchen auf Erden gerne passirt. Und da ihr der Nachbar Teufel keineswegs am Herzen lag, um so mehr aber das Schloß, so beschloß sie, im Geheimen ihrem Vater allen möglichen Vorschub zu Ueberlistung des Teufels zu leisten.Dabei ward sie auch noch von einem andern Gefühle geleitet.
In ihres Vaters Hause befand sich nämlich ein junger lustiger, aber armer Knecht, dessen Nähe sie stets gerne suchte. An eine Verbindung mit demselben hatte sie freilich nicht denken dürfen, da sie den stolzen Sinn ihres Vaters gar wohl kannte. Dagegen tauchte jetzt die Hoffnung in ihr auf, nach Ueberlistung des Teufels diesen stolzen Sinn erweichen zu können, und sie zog in ihrer Siegesgewißheit den jungen Knecht, welcher Bartli hieß, in's Vertrauen.Denn sie wußte wohl, wo Bartli den Most holte.
Sie benahm sich von diesem Augenblicke an auch ganz besonders freundlich gegen den
Teufel, so daß dieser, seines Triumphes gewiß, ihr allerlei Anträge stellte, auf welche
sie bereitwillig einging. Sie hielten im Versteckten Zusammenkünfte, bei welchen er ihr
die lebendigsten Schilderungen von dem Glanze seiner Heimat machte, während sie die
höchste Begierde zeigte, ihm dorthin zu folgen. Beim Abschiede verhieß sie ihm auf den
folgenden Tag ein neues Stelldichein,
Der schwarze Höllenritter fand sich am folgenden Tage zur festgesetzten Zeit richtig im Ziegenstalle ein, um seiner erkornen Braut zu harren. Allein kaum hatte er sich in dem neuen dunkeln Appartement nach Möglichkeit umgesehen,als er von hinten einen gewaltigen Stoß erhielt, der ihn an die Wand schleuderte. Der Stoß erneuerte sich jeden Augenblick, so daß der arme Teufel mit Mühe die Thüre finden konnte, die er jedoch zu seinem nicht geringen Schrecken verschlossen fand. Er schrie nach Hülfe „, aber je mehr er schrie, desto gewaltigere Stöße empfing er in seine Rippen und desto lahmer wurde sein Widerstand. Endlich öffnete sich die Thüre und er stürzte gegen die Oeffnung zu; im selben Augenblicke aber fühlte er sich von hinten gepackt und kaum hatte er die Oeffnung passirt, als er sich am Tageslichte auf den Rücken eines gewaltigen Ziegenbockes versetzt fand, der mit ihm in kühnen Sprüngen das Weite suchte, während Nachbar Müller, Evchen und Bartli neben der Stallthüre seinen Auszug aus dem Stalle mit lauten Vivats applaudirten.
Nun hatte der Teufel die Thurgauer satt bekommen.War es schon ein gefährlich Ding, mit
den Bauern anzubinden, wie hätte das erst ein Ende nehmen sollen, wenn
Vor bald tausend Jahren ritt eines schönen Tages ein Ritter durch einen Wald von großen
und blätterreichen Bäumen. Da sah er eine Jungfrau schlafend im Grase liegen, bei deren
Anblick Bewunderung und Erstaunen sich in seinem Gesichte spiegelten. Ihre schlanke
Gestalt lehnte sich auf eine Böschung, die wohl ehemals den heidnischen Vätern bei'm
Opferdienste im heiligen Haine gedient haben mochte, und ihr von einer Fülle glänzend
schwarzer Haare bedecktes Haupt von brauner Hautfarbe in einem Kissen von weichem Moose
und dunkelgrünen Blättern. Der Ritter stieg eilends vom Pferde, band dasselbe an einen
nahestehenden Baum und setzte sich dann unweit der Schlafenden auf den weichen Waldboden,
sie unverwandten Blickes betrachend. Der Hain lag in dem herrlichen Domletschgerthale in
Rhätien, in welchem auch der Ritter lebte, der Rudolf von Rothenbrunn hieß. Der Ritter
Der Rothenbrunner war ein rauher und trotziger Ritter.Von seiner hohen Burg aus unternahm er Streifzüge in die benachbarten Thäler und überfiel unversehens seine Nachbaren mit Fehde und Raub oder plünderte reiche Kaufleute,welche nach Welschland zogen oder von dorther kamen.Und wenn sich ein Angegriffener zur Wehre setzte, schlug oder stach er ihn zu Tode. Deßhalb ward er auch im ganzen Lande und ringsherum gefürchtet und man mied es mit ihm in Bexührung zu kommen oder ihn sogar zu reizen.
Zu jener Zeit war aber schon längst aus dem Morgenlande das Licht des Christenthums auch
in die dunkeln Thäler an den Rheinquellen gedrungen. Durch die fränkischen Könige
veranlaßt, hatten sich schon vor Jahrhunderten fromme Männer und Ritter für die
Verbreitung der göttlichen Lehre schwere Entsagungen und Prüfungen auferlegt und in wilden
Gegenden Kirchen und Klöster gestiftet, welche in jenen Zeiten die einzigen Mittelpunkte
und Pflanzstätten der christlichen Kultut waren. Und wo früher kein Menschenfuß sich
hingewagt, war nun der finstere Wald gelichte
Desto mehr hing er den Freuden des Lebens an und liebte vornämlich die Gesellschaft von jungen Damen. Aber noch niemals hatte eine Dame solchen Eindruck auf seine Sinne gemacht, wie jetzt die Schlafende. Nachdem er sie lange Zeit betrachtet und schon bei sich überlegt hatte, wie es wohl zu bewerkstelligen wäre, sie aus dem sanften Schlafe zu wecken, schlug sie endlich langsam die dunkeln Augen auf und schaute um sich. Der Ritter grüßte sie hierauf freundlich, stund auf und bat sie mit ihm auf sein Schloß zu kommen, da er Wohlgefallen an ihr finde. Sie aber sagte zu ihm: „Ich kann dir nicht folgen, ehe meine Feindin besiegt ist, welche in einem Thale jenseits dieser Berge wohnt und auf meine Schönheit und mein heiteres Wesen böse zu sprechen ist.“ Als der Ritter diese Worte hörte, erklärte er sich sofort bereit, die verhaßte Nebenbuhlerin der Schönen gefangen zu nehmen und her zu führen. Die dunkeläugige Waldestochter aber sagte: „Bedenke es wohl; denn es ist schwer zu ihr zu gelangen.
Sie hat Gewalt selbst über die Thiere der Berge und es bewachen ihrer drei ihre Wohnung. Wenn du jedoch Muth hast, den Kampf mit ihnen zu bestehen, so gebe ich dir drei Mittel dazu. Ich heiße Hulda und falls du in dringender Gefahr meine Hülfe nöthig findest, so rufe mich bei meinem Namen.“
Bei diesen Worten überreichte sie dem Ritter drei vergoldete Pfeile und hieß ihn noch eine Weile sich zur Ruhe legen. Während er nun im dichten Waldgrase neben seinem ungeduldigen Pferde schlief, nahm sie einen grünen Frosch und legte ihm denselben auf die Stirne. Sie verstund nämlich auch Zauberkünste, und der Frosch bewirkte, daß der Ritter nur an sie denken mußte und alle Verführungskünste Anderer bei ihm fruchtlos blieben. Sodann weckte sie den Schläfer und sagte zu ihm: „Eile dich nun, damit du nach längstens neun Monaten zurückkehrest; denn im zehnten Monat muß ich wieder meinen Besuch auf dem Julberge abstatten zur Feier des Julfestes.
Der Ritter verabschiedete sich hierauf und ritt viele Tage lang dem schönen Rheinstrome
entlang, um den Eingaug in das Thal zu finden, in welchem Rabiusa, die Gegnerin seiner
Hulda, wohnen sollte. Oftmals war er schon dem Laufe der frischen Bergströme gefolgt, die
sich rechts und links in den Rheinstrom ergießen, und immer fand er sich plötzlich rechts
und links von Felsen und Wäldern eingeschlossen, so daß er nothgedrungen umkehren mußte.
Er
Der junge Tag säumte kaum die Spitzen der Berge mit seinem Golde, als der Ritter sich
anschickte in das Thal zu dringen. Aber ein fürchterliches Gebrumme schreckte sein Pferd
dermaßen, daß es sich hoch auf bäumte und ihn sehr unsanft in das hohe Gras warf. Wie er
wieder aufstand,
Sprüngen über den Grat und entlang desselben, bis es in dämmriger Ferne verschwand. Der Ritter befand sich in halber Verzweiflung ob des doppelten Verlustes; denn nun blieb ihm nur noch ein Pfeil und die flinke Gemse war über alle Berge davon. Allein er konnte doch nicht anders,als ebenfalls dem Wege folgen, den die Gemse in wenigen Minuten zurückgelegt und den er jetzt mühsam bewältigen mußte. Nach Langem erreichte er endlich das Ende desselben, wo sich der Weg nach einer dunkeln Felsschlucht wendete, die er aber nur mit unangenehmen Gefühlen und Verwünschungsworten betrat.
Da stund er plötzlich an einer steilen, hohen Felsenwand. Von hier führte kein Weg weiter, kein Laut war vernehmbar und er schaute lange,vergebens die Felsenwand hinan. Endlich regte sich etwas Lebendiges oben auf dem Gipfel der Wand: ein prächtiger Bergadler erhob seine stolzen Schwingen und senkte sich langsam gegen die Tiefe.Von oben aber schrieen die Jungen Wehe über den unwillkommenen Störer ihrer Ruhe, der drunten stund. In halber Verzweiflung drückte der Ritter seinen letzten Pfeil ab, aber er blieb im Fels stecken und der Adler wiegte drohend seine Schwingen und spreizte seine Krallen aus, den Frevler zu packen. In Todesangst rief der Ritter den Namen Hulda aus; da öffnete sich die Felsenwand und er sah in einem hohen Alpenthale eine einfache Hütte aus Stein gebaut mit einem Kreuze davor; der Adler aber war verschwunden.
Er starrte noch verwundert auf die Verwandlung, als eine wunderliebliche Gestalt aus der Thüre der Hütte trat.Blaue Augen voll Engelmilde blickten aus einem feipen Gesichte und blondes Haar fiel von den Schultern. Die Herrliche erhob ihre Stimme und sprach:
„Du rufst umsonst, frevler Ritter, nach deiner Zauberin;denn bald hat ihre Macht ein Ende. Nicht bloße Sinnenlust, nicht Zauberkünste, nicht frevles Wesen sollen hier oben in unserem freien Thale herrschen, sondern Glaube,Liebe, Hoffnung, christlicher Glaube, dessen Sinnbild, das du hier siehst, so oft von dir geschmäht wurde. Von diesen heiligen Drei prallen alle Künste der Welt ab, wie deine Pfeile von meinen Thieren.“
Als Rabiusa mit sanft mahnender Stimme diese Worte gesprochen hatte, fühlte er, daß die
Erinnerung an Hulda von ihm wich und sanfte Stimmen aus dem Gebirge ihn einwiegten in eine
weiche, nie geahnte Empfindung. Die Jungfrau in ihrem einfachen Kleide erschien ihm als
ein Engel des Himmels, der ihn nach einem wüsten Traume,in welchem er den rechten Weg
verloren, auf denselben wies. Es däuchte ihn, ihr Haupt sei von einem Strahlenkranze
umgeben und als der Bär, die Gemse und der Adler sich nun traulich ihr näherten, reute ihn
auf diese ihre Diener seine Pfeile abgedrückt zu haben. Rabiusa bemerkte seine Regungen
und sagte: „Ich wußte es wohl,Ritter, daß du noch zu etwas Besserem erkoren bist, als
Die Felsenwand schloß sich auf diese Worte und Alles war wie zuvor. Der Ritter aber ging
mit andern Gedanken wieder von dannen nach seiner Burg und rüstete sich zur Abreise nach
dem gelobten Lande. Auch gewann er einige seiner Gesellen dafür, die sich ebenfalls
entschlossen,von ihrem bisherigen Leben abzustehen und ein neues zu beginnen. Sie blieben
lange im heiligen Lande und kämpften mit Glück gegen die Sarazenen; darauf kehrten sie
zurück und begaben sich nach dem Thale, in welchem Rabiusa wohnte. Die Jungfrau war
inzwischen gestorben; aber ihr Andenken lebte in dem Munde Aller, welche rings um das Thal
herum wohnten. Nicht nur hatte sie durch ihr frommes Beispiel und ihren Rath gar viele
Menschen auf den rechten Pfad geleitet, sondern auch milde Stiftungen nach Kräften
unterstützt. Der Rothenbrunner und seine Gesellen gingen demnach in die Wildniß, siedelten
sich dort an und errichteten eine Kapelle. Sie arbeiteten Tag für Tag, um die Wildniß zu
lichten, und schützten mit ihren guten Schwertern
Aus der Wildniß, in der Rabiusa gewohnt, blühte dann nach Jahren ein Dorf nach dem andern
und das ganze Thal ward nach und nach ein Wohnsizz gesegneter
Menschen.
Die Nebel wogten im Thale gespenstig hin und her.Bald dehnten sie sich aus zu lichten seltsamen Gestalten,bald drängten sie sich wieder in schwarze drohende Massen.Ein frischer Nordwind jagte sie endlich über die Häupter der Berge hinweg in die Ferne.
Sie flohen über einen hohen Felsenkamm, als die Sonne hinter der äußersten Gletscherwand
im Osten auftauchte.Gleichzeitig erhob sich der Ostwind und stritt nun mit seinem Bruder;
die durch den Kampf aufgelösten Nebelschichten aber spielten golddurchwirkt und glänzend
um den Kamm.Eine Gestalt stund auf demselben mitten im Nebelmeere und wenn die hellern
Schichten sie umspielten, sah ein Menschenantlitz in den Kampf der phantastischen Gebilde
hinaus. Endlich fegte die Bise das ganze Kampfesheer hinweg und die volle Morgensonne fiel
auf den Mann auf dem Felsenkamme. Die Bergluft hate seine Wangen
Die Luft ward jetzt mehr und mehr von der Sonne erwärmt und er setzte sich auf das Gestein. Sein Auge schweifte über die vielen wunderlich geformten Felsstücke und die Alpenkräuter, die nur lose an jene angeheftet schienen. Da fiel sein Blick auf eine dunkelrothe Blume mit glänzenden grünen Blättern und er rief entzückt aus:„O herrliche Blume!“ und bewunderte die frischen Farben und den kräftigen Bau derselben. In diesem Augenblicke jagte ein dunkler Nebelstreif vor seinem Auge vorüber, aus dem ein Mädchenkopf sich hervorhob. Und nun stund eine in Bergblumen und Alpenduft gekleidete Jungfrau vor ihm,mit Wangen wie Milch und Blut, mit Augen wie Glut und goldenem Haar und öffnete das feine Mündchen mit elfenbeinweißen Zähnchen und sprach:
„Was ficht dich an, Fremdling, meine Blume zu brechen?Weißt du nicht, daß sie nur hier oben gedeiht und drunten im Thale verdirbt?“
„Verzeihe, holde Schöne,“ sagte der Fremdling und beugte sich vor dem strahlenden Kinde, „das habe ich nicht gewußt. Wenn du aber nicht zürnst, so möchte ich gerne von dir Nachrichten von dieser Blume hören?“
Sie sah ihm forschend in die Augen und sagte dann:„Wohlan, so magst du es denn wissen; doch gelobe mir,es keinem Menschen zu sagen.“
Nachdem er das Gelübde abgelegt, begann sie:
„Vor langen, langen Jahren lebte in diesen Bergen ein Mädchen, von seinen Eltern Röschen genannt, weil es gar frisch und blühend war, wie eine eben aufgebrochene Rose. Sie war auch muntern und fröhlichen Sinnes und jauchzte und sang den ganzen Tag. In der Mußezeit stieg sie auf die Berge, um Flühblumen zu holen oder nach den Schmetterlingen zu haschen. Oder sie kletterte auf die höchsten Flühen und rief und sang in die Felsen hinein, um dem Echo zu lauschen. Dann ersann sie wohl auch allerhand neckische Fragen und freute sich um so herzlicher,je sonderbarer das. Echo aus den Flühen tönte. Wenn sie ihrem Hüterbuben rief: „Wo bist du Hans?“ und das Echo antwortete „Gans,“ oder: Chunst nit zu mir es chliseli“ und es tönte zurück „liseli,“ dann klatschte sie in die Hände und lachte hell auf. Aber bei aller Fröhlichkeit und bei allem Muthwillen that sie doch keinem Menschen etwas zu Leide. Vielmehr ward sie von Allen ihres freundlichen Sinnes wegen gerne gesehen und geschätzt. Die jungen Bursche im Thale und auf den Nachbarbergen DDD jeder meinte der Bevorzugte zu sein, wenn er von ihr freundlich angeschaut oder herzlich begrüßt wurde. Und doch lag in dieser Freundlichkeit nicht die mindeste Bevorzugung;sie war nur der natürliche Ausdruck ihres Herzens, das mit voller Liebe und innigem Glauben an seiner Umgebung hing.
Ihre Eltern, deren einziges Kind sie war, hatten zwar längst gehofft, sie möchte zu einem jungen Manne ernstliche Neigung fassen. Sie liebten sie jedoch zu sehr, um ihr Zwang anthun zu können, und ließen sie gewähren. Wenn sie den geheimen Wunsch der Eltern gekannt hätte, so würde sie ihn vielleicht aus kindlicher Liebe erfüllt haben.Aber die Welt lag noch in rosigem Dämmerschein vor ihrem unbefangenen Sinne und der Ernst des Lebens in weiter Ferne.Doch es steht in den Sternen geschrieben, wie ein altes Sprichwort sagt, daß jedem jungen Herzen sein Stündchen schlägt. Röschen sollte die Wahrheit dieses Wortes endlich auch an sich selbst erfahren.
Sie hatte mit den Eltern den Winter über in einem Dorfe zugebracht und wenn in dieser
Zeit ein Wunsch in ihr aufstieg, so war es der nach den grünen Bergen, frischen Quellen
und blauen Flühen. Jetzt war der klare Schnee von den Bergen geschmolzen und neue Lust
strömte durch ihre Adern. Sie wandelte wieder durch die mit Blumen besäeten Matten und
hörte wieder die Lerchen schmettern.Und als erst der Tag des Aufzugs auf die Alpe kam, das
Alphorn und die Heerdenglocken klangen, die Sennenbuben jauchzten, da jubelte auch Röschen
in voller Frühlingsfreude.An einem heißen Nachmittage langte von der nächsten Alphütte her
ein ermüdeter junger Fremdling am Berge
Er gewann aber auch, was vor ihm Keinem gelungen war: das Herz Röschens. In dem blassen
freundlichen Fremden öffnete sich ihr die unbekannte Welt, die neben dem Reize der Neuheit
auch durch den der gefälligen äußeren Formen bestach. Aber Theodor war auch leidend und
deßhalb interessant und das Mitleid schlug in Röschen für deu Leidenden. Unwillkürlich
empfand sie die Kluft zwischen ihm und ihrer Umgebung,die ihr jetzt in ganz anderem Lichte
erschien als früher. Sie sah mit seinen Augen, wenn ihr auch manches noch fremd vorkam,
was er über diesen oder jenen Gegenstand äußerte. Sie mochte jetzt auch nicht mehr singyi
und jauchzen und nicht mehr allein auf die Höhen steigen. Erst wenn Theodor es wünschte,
um die Bergluft mit vollen Zügen zu genießen und die Alpenwelt zu betrachten, fand sie
auch Zeit dazu. Dann führte sie
Aber auch Theodor fühlte sich von seiner neuen Umgebung magnetisch angezogen. Der Anblick der Majestät der Natur kräftigte seine Seele und die reine Luft seinen Körper. Röschens Einfachheit und Natürlichkeit gewannen seinen Verstand und sein Herz und ließen ihn den Zwang und die glatte Höflichkeit der städtischen Gesellschaft richtig schäteen. Er gewann den Berg und seine Bewohner von Tag zu Tage lieber.
Es war ein heller Sonntagsmorgen. Theodor und Röschen saßen schweigend oben auf der höchsten Fluhspitze und hörten, wie ringsum aus den Thöälern das feierliche
Sonntagsgeläute zur einsamen Alp herauf klang. Der frische grüne Teppich der weiten Landschaft tief unten glänzte in Sommersonnenglut; laue Windeswellen wogten hinan zur Höhe und die ganze glitzernde Alpenwelt schien festlich angethan. Hier oben aber war's so still und einsam. Nur seltene Schmetterlinge oder Vögel segelten vorbei. All' die Pracht und Glut erfüllte Theodor mit Entzücken und seine Augen wurden feucht. Er lehnte sein Haupt an Röschens Schulter und fiel in ein träumerisches Sinnen. Er sah sich wieder zu Hause, von allem umgeben, was sein Herz begehrte, und doch fehlte ihm etwas, das er dort nicht zu finden vermochte. Röschen betrachtete den Träumenden mit seltsamen Gefühlen; die lachende und blitzende Alpenwelt hatte auf sie stets nur einen fröhlichen Eindruck gemacht und sie konnte die Erregung Theodor's nun kaum fassen.
Endlich erhob sich der Träumer. Sie sah ihm fragend in die Augen, als wolle sie sich überzeugen, ob er wirklich wach sei.„Gefällt dir's heute so sehr?“ fragte sie.
Er nickte mit dem Kopfe. „Wem wollte es hier oben nicht gefallen? Wer möchte nicht auf diesem Berge Hütten bauen?“„Du darfst ja nicht dableiben und dir eine bauen,“meinte sie.
Er lächelte bei diesen Worten freundlich und sagte dann: „Ich wohne fern in einem Lande, wo es keine
Berge giebt, nur große Städte und Schiffe. Doch sieht man das Meer, das sich endlos hinausstreckt. Auch herrliche Gärten haben wir mit tausenderlei Blumen, Rosen und Tulpen der schönsten Art.“
„Das muß herrlich sein,“ sagte sie verwundert.
„Möchtest du nicht in jenes Land ziehen?“ fragte er,sie lange und bewegt anblickend.
Sie schlug die Augen nieder und fragte: „Mit dir?“
„Ei ja wohl,“ und er zog sie an sich und legte seine Hände in die ihren. Dann erzählte er ihr mehr von seinem Lande und entwarf ein reizendes Gemälde ihres künftigen Beisammenseins in dem fremden Lande, bis die hochstehende Sonne sie zur Rückkehr mahnte. Die Alten schmollten über die lange Abwesenheit, doch versöhnte sie das nach langer Zeit wieder wie vordem freudestrahlende Gesicht Röschens.
Als dann Theodor mit Röschen an der Hand sie um ihre Einwilligung bat, sagte der Alte: „Kind, bleib' im Lande, du wirst nicht gedeihen draußen in der Fremde.“
Sie brach in Thränen aus und stürzte an den Hals der Mutter.„Wenn es nicht anders sein kann,“ sagte diese, bewegt vom eigenen Schmerze und dem des Kindes, so laß sie in Gottes Namen ziehen. Er wacht überall über den Seinen.“
Und sie zogen, nachdem sie im Dorfe unten Hochzeit gehalten, fort in's fremde Land. Aber der Abschied brach den Alten das Herz nnd sie sanken eins ums andere innert Jahresfrist in's Grab.
Röschen war indessen mit ihrem geliebten Theodor im fremden Lande angekommen. Dort lag hart an einem großen Strome sein unvergleichliches Besitzthum Rosenhain,das alle Pracht und Bequemlichkeit in sich vereinigte,was nur Sinne und Herz erfreuen mochte. In den Gemächern glänzte und blitzte es von Kostbarkeiten und Gewänder von Sammet und Seide lagen darin für Röschen bereit. Rings um das Schloß herum aber prangte ein großer Garten mit Bäumen, Gesträuchen und Blumen aller Arten, zierlichen Springbrunnen, Käfigen voll seltener Thiere und mit schattigen Laubengängen. Es schien Röschen, im Paradiese könne es kaum schöner sein als hier, und sie wußte bei'm ersten Anblicke sich vor Entzücken fast nicht zu fassen und nicht zu begreifen, wie Menschenhände dieß Alles hinzuzaubern vermocht hätten. Sie fühlte sich selig und glücklich an der Seite ihres Gemahls, der ihr auch mit der größten Liebe jeden Wunsch abzulauschen suchte und von Morgen bis Abend bemüht war, ihr Vergnügen zu bereiten. Landpartien, See und Stromfahrten und Feste folgten sich in angenehmem Wechsel.
Röschen empfand eine kindliche Freude ob dieser Herrlichkeit, von der sie nie etwas sich
hätte träumen lassen'
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Nur der Wunsch stieg oftmals in ihrem Herzen auf: „O,könnten doch meine guten Eltern meine Freude mitgenießen!“Doch sie tröstete sich dann mit der Aussicht, ihnen bei ihrem DDDDDD lichkeiten alle schildern zu können.
So verfloß die schöne Jahreszeit. Die Bäume begannen kahl zu werden und die kalten Winde
bliesen. Das Paar sehnte sich nach Ruhe und Erholung von den vielen Festlichkeiten und zog
sich in die Gemächer zurück, in denen künstliche Blumen und eine wohlthuende Wärme die
Annehmlichkeiten des Sommers zu ersetzen bestimmt waren.Und der Winter brachte auch wieder
seine Zerstreuungen;an den langen Abenden musikalische Aufführungen und Tanz und Spiel
oder an hellen Tagen Schlittenfahrten.Zu Anfang desselben hatte Röschen sich recht sehr
dieses neuen Zeitvertreibes gefreut und besonders gefiel ihr die Musik aus der nahen
Stadt. Je mehr aber die kurzen Tage schwanden und die langen allmälig anrückten und laue
Lüfte wehten, desto einsilbiger wurde sie. Sie staunte oft lange Zeit vor sich hin und gab
auf viele Fragen ihres Gemahls keinen oder verkehrten Bescheid, so daß er kopfschüttelnd
und traurig sie betrachtete. Das frische Roth ihrer Wangen schwand, die hellen Augen
wurden trübe und ihre Gestalt fiel sichtlich zusammen. Theodor ließ die berühmtesten
Aerzte aus der ganzen weiten Umgegend kommen, um die Ursache ihres veränderten Zustandes
zu
Die Musik begann mit einer heitern Weise und ging dann allmälig über in eine ernstere. Theodor beobachtete mit möglichster Sorgfalt seine geliebte Gemahlin und verwandte keinen Blick von ihr. Allein die Wirkung war nicht die erwartete; statt daß Röschen heiter gestimmt wurde, fiel sie in noch trüberes Sinnen. Wie auf fast alle fein gestimmte Seelen, so übte auch auf sie der jähe Wechsel der Melodien und Instrumente einen die Harmonie der Seele störenden Eindruck und sie gerieth in eine aufgeregte
Stimmung, die Theodor deutlich- in ihren Zügen, lesen konnte. Er bat den Kapellmeister um Aufführung des Liedes, das er bei ihm für diesen Anlaß bestellte, und wartete gespannt der Wirkung, die seiner Absicht gemäß besänftigend und mildernd sein mußte.
Ein Adagio in Moll auf der Flöte spannte die Aufmerksamkeit der Anwesenden. Dann erhob sich eine jugendliche Sängerin und sang folgende Weise:
O Alp, ich seh' dich grünen, blühen,Und deiner frischen Blumen Kranz,
Er lacht mir von den hohen Flühen Auf's neu im hellen Farbenglanz.Wie um dein Haupt die Düfte weben Und liebe Bilder rufen wach,
So weckt in mir wohl neues Leben Die Sehnsucht nach der Heimat Dach!
Vollkommene Stille herrschte im Saale, während die Sängerin die meisterhafte, die tiefste Sehnsucht athmende Composition vortrug. Als sie geendet, schwieg noch die ganze Versammlung, so mächtig war der Eindruck gewesen und man hörte kaum athmen. Nach einigen Sekunden aber erhob sich ein wahrer Beifallssturm, der den Saal erdröhnen machte. Die Künstlerin ward von allen Seiten warm beglückwünscht.
Mit Spannung hatte auch jetzt Theodor Röschen im Auge behalten. Er hoffte, die Weise des Alpenreihens und die Sehnsuchtsklänge nach der Heimat möchten eine heilende
Wirkung auf ihren Gemüthszustand ausüben, und glaubte hiebei als guter Seelenkenner verfahren zu sein. Er forschte ängstlich in ihren Zügen, während ringsum Alle Aug' und Ohr auf die Künstlerin gerichtet hatten. Sie hatte die Augen halb geschlossen und schien zu träumen bei den schmelzenden Tönen der Flöte. Und als das Lied begann, zuckte sie leise, die Thränen flossen still; als aber die Gesellschaft in lauten Beifall ausbrach, schluchzte sie überlaut und sank zusammen.
Theodor hoffte, diese erschütternde Wirkung werde von den wohlthätigsten Folgen sein und ihrem Gemüthe Erleichterung verschaffen. Leider war seine Hoffnung vergebens; Röschen verfiel von Tage zu Tage mehr dem verzehrenden Verlangen nach den Bergen der Heimat und alle Zerstreuungsversuche und Trostgründe Theodor's vermochten nichts über diese stille Leidenschaft, die in seinen Augen ein unglücklicher Wahn war. Er wandte sich endlich wieder an die Mutter um Hülfe und Rosalinde erschien sogleich.
Die Fee zürnte Röschen, weil sie sich an der Seite ihres Gemahls nicht glücklich füuhlte.
Sie argwöhnte, eine alte Liebschaft in den Bergen sei die Ursache ihrer Betrübniß.„So möge
sie denn wieder in ihre Berge zurückkehren,nach denen sie sich so sehr sehnt,“ sagte
Rosalinde, „aber in anderer Gestalt. Da sie nicht als Röschen in unserm Garten bleiben
mag, so soll sie hoch auf dem Berge als
Der Fremdling brach bei dieser Erzählung des Mädchens erstaunt in die Worte aus: „Wäre dieß möglich?“
„Freilich, und nun weißt du auch, warum mir die Alpenrose so lieb is.. Wo meine guten Kinder auch in der Ferne weilen mögen, immer und überall erwacht in ihnen einmal die unbezwingbare Sehnsucht nach den Bergen dieses schönen Landes, tönt in ihren Ohren das Geläute der Herdenglocken und des Alphorns Klang. Und so unwiderstehlich ist diese Sehnsucht nach der Heimat, daß die Nichterfüllung Gram und Tod zur Folge hat. Meine Söhne, die in fernen Landen unter den Waffen stehen,werden traurig, wenn sie des Alphorns oder der Herdenglocken Klang in der Heimat gedenken oder ihn hören, und sie scheuen weder Strafe noch Tod, um das Ziel ihrer Sehnsucht zu erreichen.“
„Sonderbar, sollte eine solche Leidenschaft möglich sein, die doch nicht Liebe zu einem bestimmten menschlichen Wesen ist?“
„Gewiß, und gerade Röschen hat die Macht des Heim weh , so sehr erfahren; denn wisse, so heißt die Leidenschaft, wenn du den schönen und unwiderstehlichen Zug des Herzens nach der Heimat so nennen willst.“
Ein Strahl der Freude zuckte über des Fremdlings Gesicht. „O, so ist es also nicht
geheime Liebe und Un
„Sofern du die Bedingung Rosalindens erfüllst, die deine Mutter ist, wie ich höre.“
„Ob ich sie erfüllen will?“ fragte Theodor. Tag und Nacht ist das Bild meines geliebten Röschens nicht von mir gewichen und hat mich wieder in diese Berge geführt.“
„So eile denn hinunter in jene Hütte,“ sagte die Fee Alpina, denn sie war es selbst, die Herrscherin des Gebirges, „dort wirst du Röschen wiederfinden.“
Ein dicker Nebelstreif jagte eben vorüber und hüllte die Fee ein; sie war verschwunden.
Theodor aber fand Röschen unten, wie ihm die Fee gesagt hatte. Sie lebten bis an ihr
Lebensende glücklich,und nannten die Fluh, auf der sie sich einst zuerst gefunden und
jetzt wieder vereinigt, die Rosenfluh. Der Leser findet sie leicht, wenn er den Eingang
des herrlichen Berner Oberlandes betritt.
Es war einmal eine schöne, reiche Königin, die wohnte am Wandelsee und hieß Wendelinde. Sie hatte ein goldenes Schloß, das hieß die goldene Lust und lag an einer Bucht gegen Sonnenaufgang, und ringsherum stiegen majestätische Berge zum Himmel empor und spiegelten sich in dem blauen Wasser des See's. Von den Bergen trugen viele weißschimmernde Kronen auf ihren Häuptern und die sahen im Spiegel des See's aus, wie wenn sie von lauter Silber wären. Und kam die Sonne am Morgen hinter den Bergen hervor, so schimmerte der See und Alles darum herum von lauter Gold und in der Tiefe des See's schüttelten die spitzen Berge ihre glänzenden Kronen.
Die Königin hatte einen großen Hofstaat und darunter sieben Jungfrauen. Die sieben
Jungfrauen aber waren aus dem Morgenlande gekommen und Schwestern. Ihre Haut war braun,
fast wie eine Kastanie, ihre Zähne waren weiß, wie Elfenbein, ihre dunklen Augen glänzten,
wie Edelsteine, ihre Haare waren rabenschwarz und ihre Füße
Die Königin war gut und erlaubte ihnen, im Garten spazieren zu gehen, o viel sie wollten, und zu essen und zu trinken, was ihre Zungen gut däuchte. Sie sollten aber nicht an den See gehen oder gar in die Schiffe der Koöͤnigin steigen, die von Cederholz gebaut und mit silbernen Rudern und seidenen Segeln geziert waren.
Als die Königin eines schönen Tages, wie gewöhnlich,schlief, weil sie zu viel Kolibripastete gegessen und zu viel Cyperwein getrunken hatte, welche Dinge sie über die Maßen liebte, da sagte Chlorinde zu ihren Schwestern:„Sehet doch, wie blau der Himmel ist, und wie herrlich der See glänzt! O könnten wir nur einmal auf seinem Spiegel uns wiegen und die goldenen Fischlein und Bergkronen in der Tiefe schauen!“ Diese Worte hörte der Gärtner, der ein grünes Kleid und graue Aeuglein hatte.Und er ging zu Chlorinde und sagte: „Jungfrau, euer Wunsch kann erfüllt werden. Drüben über'm See auf hohem Berge wohnt in einer Grotte die Fee Merlinge,welche Macht hat über alle bösen Elemente und Euch guten Rath geben kann, um die Fischlein und die Kronen sehen zu können.“
Als der Gärtner so geredet hatte, da riefen alle Schwestern wie aus einem Munde: „Ei, ei, wie hübsch!“Nur Käthelette, die jüngste, sagte kein Wörtchen. Chlorinde aber fragte den Gärtner: „Wie fangen wir es an, um die Fee zu sprechen? Könntest du nicht hinüber und sie einladen, eines Mittags zu uns in den Garten zu kommen?“Der Gärtner blinzelte mit seinen grauen Aeuglein und lächelte und sagte: „Das geht nicht; die Fee Merlinge verläßt ihre Wohnung nur um Mitternacht bei wildem Wetter, wenn die Sturmwinde um die Häupter der Berge heulen und die Berggeister ihre Grotte mit glühenden Besen kehren. Da Ihr aber liebe Jungfrauen seid, so will ich Euch gerne rathen. Wenn es zu dunkeln beginnt,so will ich eine der Jungfrauen über den See führen und ihr den Weg zur Grotte weisen, damit sie die Fee befragen kann.“
Da klatschten Chlorinde und ihre Schwestern vor Freuden in die Hände. Nur Käthelette klatschte nicht und sagte: „Wir wollen lieber im Garten bleiben, der schönen Blumen warten und die Vögelein singen hören.“ Die andern Schwestern aber lachten: „Ei, seht doch das fürwitzige Kind, das gescheidter sein will als wir!“ Und sie lachten die Schwester aus, bis sie versprach, ihnen zu folgen und Niemanden ein Sterbenswörtchen zu sagen von dem, was sie gehört.
Derweil war Königin Wendelinde erwacht und kam
„Hier wohnt die Fee Merlinge,“ sagte der Grüne,und warf seinen Feuerbrand gegen die
Felsenwand. Da flogen die Raben und Bergdohlen aus ihren Felsennestern ängstlich in die
dunkle Nacht hinaus und erhoben ein schreckliches Krächzen und Schreien, darob Chlorinde
so erschrack, daß sie den Gärtner bat, wieder umzukehren. Der
Da fragte die Fee Merlinge, was ihr Wunsch wäre,und Chlorinde erzählte ihr Alles, was ihr der Gärtner gesagt hatte. Die Fee lächelte ob der Erzählung und sagte dann: „Ist es nichts weiter als das? Ei, du gutes O sie lange und sagte ihr, was sie zu thun habe. Auf einmal aber rief sie erschrocken: „Eile, eile, daß du jetzt heimkömmst!“ Wie sie aber diese Worte gerufen hatte,da schlug es tief unten im Felsen in raschen Schlägen zwölf. Die Grotte glühte in einem Feuermeer und die Schafe verwandelten sich in Schlangen und Drachen, die an den Wänden und an der Decke herumkrochen, und auf ihrem Rücken saßen schwarze Reiter mit glühenden Zungen.
Fee Merlinge hatte bei'm ersten Stundenschlage ein Fläschchen ergriffen und goß daraus schnell einige Tropfen
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Und als die Königin Wendelinde zu Mittag wieder viel Kolibripastete gegessen hatte, sagte sie zu Chlorinden:„Mein liebes Kind, geh' und hole mir doch meinen Cyperwein; denn ich habe Magendrücken.“ Da ging Chlorinde hinaus, eine Flasche zu holen, und zog aus ihrem Busen ein Fläschchen, daraus sie viele Tropfen in den Wein goß.Und als die Königin Wendelinde von dem Wein getrunken hatte, bekam sie Schlaf und ging zu Bette. Da rief Chlorinde alle ihre Schwestern zusammen und ging mit ihnen an den See und befahl ihnen, in eines der schönen Schiffe der Königin zu steigen. Und alle stiegen fröhlich ein; nür Käthelette machte kein fröhliches Gesicht. Dann fuhren sie hinaus auf den See und wiegten sich auf dem klaren Wasser und schauten in der Tiefe die goldenen Fischlein und die silbernen Kronen der Berge.
Und als sie um den felsigen und waldbewachsenen
Berg herumgefahren waren, hinter dem die goldene Lust stund, da fielen alle vor Entzücken auf die Knie. Es lag nämlich vor ihnen das Paradies. Da grünte und blühte und duftete es ringsum und die herrlichsten Früchte und andere Sachen hingen an Bäumen und Zäunen, und zahllose Vögel mit herrlichem Gefieder sangen liebliche Melodien und hüpften den sieben Schwestern schmeichelnd entgegen,die sich vor Glück und Wonne um den Hals fielen und drückten. Dann setzten sie sich auf den blumigen Boden des Paradieses, an dessen liebliches Ufer der Wandelsee seine weißesten und schäumendsten Küsse sandte, und naschten von den süßen Früchten, die ihnen entgegenlachten.
Sa thaten sie nun alle Tage. Alle Mittage spürte Königin Wendelinde Magendrücken und holte Chlorinde den Cyperwein für die Königin, und alle Tage goß Chlorinde aus ihrem unversieglichen Fläschchen viele Tropfen in den Wein, darauf die Königin gähnte und schlafen ging und die Schwestern zu Schiffe stiegen und in's Paradies fuhren.Käthelette hatte zuletzt auch ihre Freude daran, weil sie nicht allein zu Hause bleiben mochte.
Eines schönen Tages aber gingen Chlorinde und Vreneleie von den andern Schwestern weg und
stiegen vom Ufer die Anhöhe hinan, um zu oberst in's Paradies zu gelangen. Da hörten sie
liebliche Musik erschallen und gingen darauf zu, und bald kamen sie zu einem
blumenbekränzten prächtigen Hause, dessen Thor weit aufgethan
Doch wie erstaunten sie, als plötzlich zwei junge Münner zur Thüre hereintraten und sie freundlich willkommen hießen!Dann wurden sie zu Tische geladen und als die Jünglinge vernahmen, daß sie noch fünf Schwestern hätten, sandten sie sofort fünf herrlich gesattelte kostbare Pferde hin, um die Fünfe zu holen. Alsdann begann ein fröhliches Leben bei Musik und Tanz. Und nachdem sie genug getanzt,führten die Jünglinge die sieben Jungfrauen in ihren Garten, der noch viel schöner war, als was sie ringsum im Paradies geschaut hatten. Dann setzten sie sich zusammen auf den grünen Rasen und die Jünglinge trugen große Zuckerstöcke herbei, denen sie mit scharfen Schwertern die Köpfe abschlugen. Die Jungfrauen nahmen die Köpfe,höhlten sie mit silbernen Messern aus und füullten die Höhlung mit süßem Weine und tranken ihn. Und Alle lachten und scherzten und waren guter Dinge.
Und als sie so fröhlich und guter Dinge waren, kam wie im Fluge in einem goldbeschlagenen
Wagen, den vier
Die Sieben aber fielen vor der Königin auf die Knie und flehten und jammerten um Verzeihung; denn sie fürchteten den Zorn ihrer Gebieterin. Königin Wendelinde hörte das Gejammer und wurde noch zorniger und rief:„Weh' Euch, Ihr Ungetreuen und Bösen, die Ihr nicht verdient, an meinem Hofe zu sein! Ihr sollt für euren Ungehorsam und Frevel büßen.“ Und wie sie das gesagt hatte, donnerte und bebte die Erde und ward der Himmel finster; das Paradies aber war verschwunden und nur noch der Name geblieben. In demselben Augenblicke saßen die sieben Schwestern weit von da weg in einem finstern Schlosse gefangen, das in einem wilden Bergthale lag. Das Schloß war mit sieben Schlössern verriegelt und es konnte kein Bein hineinkommen und kein Auge hineinsehen. Und die sieben Gefangenen heulten und wehklagten den ganzen Tag; denn sie bekamen nichts zu essen als Habergrütze und Hirsebrei und nichts zu trinken als Wasser.
Königin Wendelinde aber starb bald darauf am Magen
Als der weise Friedrich so geredet hatte, dankte ihm Ottilius, so hieß der Jungling, und machte sich auf den Weg nach dem Thale. Er fand es bald und auch das Mädchen, das ihm einen Stab gab mit den Worten:„Mein Freund, trage Sorge zu diesem Stabe; denn mit ihm kannst du alle Hindernisse, Leiden und Kummer überwinden, und wenn du ihn treu bewahrst, so wird er dir dazu dienen, Vieles zu sehen und zu thun, das andere Menschenkinder nicht zu sehen und zu thun im Stande sind. Dieser Stab vermag die stärksten Ketten und Schlösser zu sprengen und Wildnisse in Paradiese zu verwandeln.Nun lebe wohl und denke meiner Worte.“ Und mit diesen Worten war sie verschwunden.
Ottilius war ganz erstaunt über diese Rede und konnte sie zuerst nicht verstehen. Dann aber setzte er seine Reise fort und wanderte nach dem wüsten Thale, in welchem das Zauberschloß lag. Es sah greulich finster aus und gewitterschwangere Wolken lagerten über ihm; Raubpögel aller Art schwebten um seine Mauern und Bären und Wölfe hausten in den Felsen und Klüften ringsherum.Ottilius zweifelte aber keineswegs an dem Gelingen seines Vorhabens; denn die Worte des wunderbaren Mädchens hatten in ihm eine solche Zuversicht erweckt, daß er sich fähig däuchte, selbst Berge versetzen zu können.
*
So gelangte der denn bald zu dem Schlosse und erblickte schon von weitem die sieben Schlösser, die so groß waren wie kleine Häuser und hinter denen die sieben Schwestern gefangen saßen. Da erhob er seinen Wunderstab, den ihm das Mädchen gegeben, und berührte damit ein Schloß nach dem andern. Alle Schlösser sprangen in Stücke und es öffnete sich ein ungeheures schwarzes Thor.Drinnen aber sah er die sieben Schwestern sitzen, die noch eben so schön waren, wie vor hundert Jahren. Und er berührte mit seinem Stocke auch das schwarze Thor: da verschwand mit einem Male das finstere Schloß und eine liebliche Gebirgslandschaft lag vor ihm ausgebreitet, in deren Hintergrunde ein Gletscher sein schimmerndes Weiß sehen ließ. Da aber wo die sieben Schlösser vorher gewesen, quollen jetzt sieben frische Brunnen aus dem Berge hervor und vereinigten sich zu einem klaren und herrlichen Bache, der durch das grüne Thal plätscherte und das Land befruchtete. Ottilius nannte von da an das Thal,in dem die sieben Brunnen aus dem Berge quollen, das Siebenthal.
Als Chlorinde und ihre Schwestern mit einem Male sich aus dem finstern Schlosse befreit
und in das grüne Gebirgsthal unter Blumen und frische Quellen versetzt sahen,da jubelten
sie laut vor Freude und fielen ihrem Befreier um den Hals, so daß er von ihren
Dankesbezeugungen fast erdrückkt wurde. Die Herzen der sieben Schwestern
Die siebente der Schwestern aber, Mädelinde, nahm Ottilius mit sich in die Stadt; und den
Wunderstab hielt er sein Lebenlang hoch in Ehren.
Sie saßen im Halbkreis um das knisternde Herdfeuer in der Sennhütte und rauchten eine
duftende Havannah,deren blaue Ringlein sich in einander schlangen und oben im dunklen
Raume verloren. Ob dem Feuer hing der kleine Kessel, halb gefüllt mit Milch duftiger
Alpenkräuter.Kaspar, der Führer, bog sich von fünf zu fünf Sekunden darüber und schaute,
ob das frische Getränk nicht bald sich ungeduldig geberden möchte. Jetzt zischte es
vernehmlich und er drehte mit kräftigem Ruck die Thure so heißt in den Bergen mancherorts
das Tourniquet, an dessen Querholz der Milchkessel gehängt wird gegen sich und leerte das
einladende Getränk in die bereit gehaltene hölzerne Schüssel, in die denn auch bald vier
runde blecherne Löffel tauchten.Die leuchtende Feuerzunge, zu der sich in diesem
Augenblicke die Flammen ungehindert vereinigten, beschien nun
Dem sinnenden Herrn zur Linken sitzt etwas zurück ein jüngerer, dessen Physiognomie jedoch nicht erkennbar ist, da eben der Schatten eines breiten Führers sich darauf lagert.So viel ist indessen gewiß, daß er das jüngste Glied der Gesellschaft ist.
Dagegen fällt der Schein der jetzt absterbenden Flammen noch voll auf die jugendkräftige
Gestalt zur Linken des Benjamin. Ein hübsches Gesicht mit blauen Augen und
Das Mahl war eben beendet, wieder dampfte die Havannah, der Veteran kreuzte die Arme auf der Brust,der Journalist reckte behaglich seine Glieder, der Benjamin zog eine Zeichnung aus dem Busen und der Doktor so nannten ihn die Anderen strich wohlgefällig seinen D0schien. Der matte Glanz des Feuers fiel bei ihrem Eintritte auf einen Mann mit langen Gliedmaßen, dessen Gesicht unter einem breitrandigen Strohhut hervorguckte und mit einer spitzen Nase, so wie mit einem Backenbarte geziert war. Aus der Beschaffenheit des letztern, wie nicht minder aus der etwas sonderbaren Kleidung erkannte die Gesellschaft sofort ihren Mann, der, sich langsam dem Kreise nähernd, demselben nun auch seinen Gruß entbot,den das Kleeblatt gebührend erwiderte. Man bot dem Fremden Platz und die Unterhaltung begann von Neuem,bis der Fremde, eine Pause benutzend, um das Wort bat und sagte:
„Gentlemen! Die Kunde von Ihren kühnen Fahrten in die Gletscherregionen und weiter hinauf zu den höchsten
Spitzen der Alpen ist bis nach Indien gedrungen. Ich komme soeben vom Fuße des Himalaja, den ich zu besteigen gedachte, um Sie zu bitten, mich als Mitglied Ihrer ehrenwerthen Gesellschaft. aufnehmen zu wollen, damit ich die Hindernisse einer so gefährlichen Gletscherfahrt kennen und überwinden lerne. J beg you!“
Der Club konnte natürlich die originelle Bitte des noch originelleren Fremden, der extra aus Indien hergereist kam,nicht von der Hand weisen und rechnete sich vielmehr die Gewährung derselben zur hohen Ehre an. Im Stillen aber dachte jeder der Vier: „Gott, welcher verrückte Narr! Reist extra aus Indien her, wo es doch noch viel höhere Berge gibt, zu uns, statt dort seine Tour zu machen und von des Himalaja Höhe auf das himmlische Land am Ganges hinabzublicken! Echt englische Ueberspanntheit!“ Sie ahnten nicht, welche hohe Person in so unscheinbarer Gestalt und mit wirklich häßlichem Gesichte unter ihnen weilte, und plauderten deßhalb auch auf das Unbefangenste fort. Der Fremde schien hiedurch, so wie durch die Gewährung seiner Bitte auf's Höchste erfreut zu sein und mischte sich recht lebhaft in's Gespräch, bis Einem nach dem Andern die Augenlider sanken und Morpheus die Gesellschaft in seine Arme schloß.
Nur Kaspar war noch wach. Während die Gesellschaft über die Natur und Beschaffenheit der
Moränen, über verbesserte Alpenwirthschaft und andere derartige höchst nütz
„Alle Wetter!“ sagte er jetzt laut und stampfte mit dem rechten Fuße auf dem Boden, „dieses Gesicht muß ich schon mehrmals gesehen haben. Ist das nicht der Kerl,der mir am Wetterhorn den Weg wies, als ich wie ein Wahnwitziger in der Irre herumlief?“
Ueber diese Entdeckung vorläufig zufrieden gestellt, legte sich nun auch Kaspar auf's Ohr und schlief einen kurzen,aber gerechten Schlaf. Und einen sehr kurzen freilich;denn kaum stieß der junge Tag an den Himmel, so stand er auf, weckte die schlafenden Clubisten und zuletzt auch den Engländer. Nach kurzem Frühstück brach die Gesellschaft auf und schritt trotz des beißendsten Gletscherwindes rüstig einer Schneehalde zu, die sich anfangs sanft, dann aber immer steiler und steiler bis zu einem Bergsattel hinauf erstreckte. Ohne Beschwerde gelangten sie über den untern Theil der Halde, denn der Schnee war fest gefroren und die gute Nachtruhe hatte den erschöpften Kräften neuen Ersatz gebracht. Nun aber begann ein härteres Stück
Arbeit. Auf dem steilen Theil der Halde konnte der Fuß bald nicht fest genug mehr auftreten und die Gesellschaft sah sich genöthigt, das Beispiel der Bewohner der Wälder nachzuahmen und zur Noth auch eine Art vierhändiger Operation vorzunehmen. Einzig der Engländer bedurfte der Anwendung dieses Mittels nicht; er schritt fest und aufrecht über die steilsten Stellen, als läge die schönste Landstraße zu seinen Füßen. Aber gleich allen ächten Gentlemen konnte er nicht unterlassen, wenn auch selten, doch hie und da den Anstrengungen seiner Gefährten einige Aufmerksamkeit zu schenken, und wehe dem, den er etwa in einer komischen Stellung erblickte. Ein schallendes Gelächter und unverhehlte Schadenfreude folgten dann der Entdeckung,so daß endlich die Clubisten in einen gelinden Zorn über den Langbeinigen geriethen.
Nach vielen Beschwerden war der Sattel erreicht. Die Sonne brach eben hinter einem
Felsrücken hervor und goß ein Meer von schimmerndem Gold über die weißen Firnen und Felder
der Alpenwelt. Gewaltige Gebirgsstöcke hatten sich vor den Augen der Gesellschaft wie mit
einem Schlage hingepflanzt und hinter ihnen ragten feine weiße Spitzen weit in den Himmel
hinein. Der mächtige und glänzende Anblick setzte die Beschauer in Bewunderung und
wonnevolles Entzücken und gerne hätten sie noch länger verweilt,doch Kaspar mahnte zum
Aufbruche; denn erst jetzt begann die eigentliche schwere Arbeit. Sie betraten ein
Firnfeld,
Wie bei'm Beginne des Steigens, so war auch bei allen spätern Mühseligkeiten der Engländer mit der größten Leichtigkeit über alle Hindernisse hinweggeschritten. Die Wanderungen im Zickzack hatten noch eine Zeit lang seine Lachlust rege erhalten, doch äußerte sie sich immer seltener, je mehr er seine Gefährten unter der riesigen Anstrengung und den äußern verderblichen Einflüssen leiden sah. Als er der Letzte im weichen Schneefelde die verzweifelten Knieübungen seiner Vorgänger ansah, begann er ernster zu werden und lachte nie mehr, sondern beobachtete aufmerksam den Zustand jedes einzelnen Gefährten. Dagegen hatte er kein
Auge für die ihn umgebende großartige Natur und kein einziger Laut der Bewunderung flog über seine Lippen.Sein sonderbares Benehmen erregte in Kaspar nicht geringen Verdacht; doch beschwichtigte er denselben mit der Bemerkung,die Engländer seien allzumal kuriose Käuze.
Es war schon hoch am Vormittag, als die Gesellschaft den Bergsattel erreichte, von dem aus die Spitze des stolzen Bergriesen nicht tausend Fuß hoch mehr entfernt war. Hier machten die Ermüdeten Halt und nahmen eine herzhafte Stärkung zu sich. Auch der Engländer entkorkte zwei Flaschen und wandte sich dann an die Gesellschaft:
„Gentlemen! Verzeihen Sie mir, wenn ich Anfangs über Ihre komische Art, Berge zu steigen, mich etwas lustig gemacht habe; allein es ist nun so meine Art. Erlaubt mir dagegen, der Gesellschaft einen Tropfen Wein aus Schiwa's Garten anzubieten, ein Getränke, das ganz besonders zum Bergsteigen dient, weil es die gelähmten Kräfte wieder erfrischt.“Er schenkte bei diesen Worten einen purpurnen Saft ein und bot ihn der Reihe nach seinen Gefährten. Alle fühlten sich unmittelbar nach dem Genusse wunderbar gestärkt und leicht und drückten ihre Verwunderung über die schnelle Wirkung und die Feinheit und Güte des Getränkes in lauten Worten aus.
„„Wie sagen Sie,““ fragte der Doktor, „„dieser Wein käme aus dem Garten Schiwa's? Wir haben wohl
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„Und doch ist es so! Sie wissen ja, Gentlemen,“wandte er sich lächelnd an seine Zuhörer, „daß die Indier vormals den Schiwa als ihren höchsten Gott verehrten und ihn höher stellten, als Brahma und Wischnu, die beiden andern Hauptgötter, welche drei zusammen die Dreieinigkeit oder Trimurti bildeten. Schiwa oder Mahadewa, der große Gott, ward von dem Volke so hoch verehrt, weil man ihn unter dem Feuer vorstellte, dem, belebenden und zerstörenden Element. Er war somit als Herr der freien Naturkraft in ihrem steten Wechsel der gefürchtetste Gott, obgleich er selbst nicht böse war, sondern sogar gegen die den Göttern feindlichen Dämonen stritt. Nun besaß der häßliche Gott bekanntlich eine reizende Gemahlin, die Göttin der Fruchtbarkeit, Gesundheit und Freiheit, die Beglückerin der Menschen.Wenn nun das Götterpaar von seinem Sitze, dem Himalaya, niederstieg in die blühenden Länder im Süden, so weilte es gewöhnlich, unerkannt von den Menschen, in einem wundervollen Garten, in dem die edelsten Früchte und die feinsten Weine wuchsen. Durch besondere Güte des Verwalters ist es mir gelungen, von diesen Weinen zu erhalten,und hier ist denn eine Probe davon.“
Das Kleeblatt schaute den Erzähler höchst verwundert an, wie wenn er einen schlechten
Spaß mit ihm getrieben
„„Meiner Treu,““ sagte endlich der mit dem blonden Schnurrbart, „„ich begreife von dieser Geschichte nichts.Dieser Gott Schiwa ist eine Antiquität, die mit unserm Eisenbahnzeitalter nichts zu thun hat und schon vor Christi Geburt begraben wurde.““
„Bitte um Verzeihung!“ warf der Engländer mit ernster Miene ein, „die Götter existiren noch immer, aber die Menschen unseres materiellen Zeitalters haben die Fähigkeit eingebüßt, sie zu sehen. Wer aber mit unbefangenem Sinne und redlichem Willen Welt und Natur betrachtet,wird ihre Spuren auch heute noch entdecken können.“
Der Veteran schüttelte ungläubig den Kopf ob dieser Behauptung des Gentleman. Benjamin aber meinte:
„„Glauben Sie denn, daß auch hier in unsern Alpen Götter thronten oder noch thronen?““
„Warum sollte dies nicht möglich sein? Vielleicht hat selbst vor Zeiten das indische Götterpaar hier seinen Sitz einmal aufgeschlagen, als es durch den Buddhaismus des Thrones verlustig erklärt wurde. Ein schweizerischer Geschichtsforscher versetzt ja das erste Menschenpaar in die rhätischen Alpen; könnte nicht hier auch das erste Götterpaar gewohnt haben?
„„Nun, wir lassen es gelten. Wenn es Berggeister und Dämonen gibt, so darf es wohl auch Götter geben.
Und daß es Berggeister gibt, behaupten noch alte Leute in den Bergen. Erst vor Kurzem erzählte mir ein Alter eine Sage aus dieser Gegend.““
„Erzählt, erzählt,“ baten die Andern, und der Jüngling begann:
„„Vor bald hundert Jahren lebten unten im Grindelwaldthale vier kühne Jäger, denen keine Fluh zu steil, kein Grat zu schmal und kein Wetter zu wüst war. Sie galten auch im ganzen Oberlande als die größten Waghälse und man füürchtete sich vor ihnen so sehr, daß die Mütter ihre weinenden Kinder schweigen machten durch die Drohung, „die Jäger kommen“, wie dies einst die französischen Mütter mit dem Worte, „Marlborough kömmt,“ auch prakticirten. Gut,diese Jäger hatten es ganz besonders auf die Steinböcke abgesehen, die zu jener Zeit noch recht zahlreich in diesen einsamen Eisregionen ihre Turnübungen über Fels und Firn anstellten. Es mochte diese Bevorzugung der Steinböcke wohl ihren Grund in der verhältnißmäßig leichten Jagd der Ersteren haben, obgleich eine Steinbockjagd kein Spaß ist und manch ein Jäger Tage lang in den wildesten Regionen der Berge seinen Spuren folgte, ohne zum Ziele zu gelangen. Unsere Jäger betrieben die Steinbockjagd jedoch dermaßen eifrig, daß man das flinke Thier der Alpen immer seltener fand, und nach Verlauf von mehr denn zehn Jahren hieß es überall, es sei nur noch ein einziges Paar vorhanden. Nun gab es zwar sehr viele Leute, welche die
Jäger ihrer Leidenschaft wegen, eine Zierde der Alpen auszurotten, oft und bitter tadelten, aber ohne Erfolg. Sie strichen neuerdings Tage und Wochen lang den „Letzten des Stammes“ nach und waren auch eines Tages so glüclich,ihre Fährte zu gewinnen. Bevor sie indessen ihrem Ziele näher gelangten, begegnete ihnen ein alter Mann in silberweißem Barte, der sie ermahnte, von ihrem Vorhaben abzustehen, indem sonst der Geist der Berge die Ausrottung eines seiner Lieblingsthiere bitter rächen würde. Der wohl-meinende Rath fand kein Gehör, die letzten edlen Thiere wurden erlegt. Aber auch die Strafe folgte auf dem Fuße nach. Man sagte, der Geist habe die Vier verdammt, so lange in den unwirthlichsten Regionen der Alpen umherzuirren, bis ihnen wieder einmal ein Steinbock erscheine.““
Der Erzähler hatte kaum geendet, als der Wind die Nebelkappe, die seit kurzer Zeit über der höchsten Spitze sich gelagert, mit einem Male weghob und Kaspar, der dem Fremden mit immer steigender Aufmerksamkeit gefolgt war,rief: „Tausend Millionen! Seht einmal, dort oben steht ja ein Steinbock!“
Aller Augen kehrten sich bei diesem Ausruf gegen die Spitze, auf der wirklich und wahrhaftig ein prächtiges Eremplar von Steinbock stand und stolz seinen Hörnerschmuck erhob, während die glänzenden Augen sich auf die Menschengruppe am Fuße der Eispyramide richteten.
„„Wohlan,““ sagte der Doktor, „„wenn wir jetzt die
„Ja doch, die Zeit ist gekommen,“ rief der Engländer,„denn die vier verdammten Steinbochäger seid Ihr, Gentlemen, und Niemand anderes.“
„„Wie? was? unmöglich, närrisch!“ riefen die Clubisten wie aus einem Munde.
„Und doch wahr,“ bemerkte der Andere. Auf Verwenden der Gemahlin des Berggeistes denn der war jener Alte ward den Jägern vergönnt, die Ursache ihrer Strafe zu vergessen bis zum einstigen Erscheinen des Geistes.“
„„Unglaublich!““ tönte es wieder im Chor. „„Sie treiben Ihre Narrenpossen mit uns.““
„Keineswegs. Und damit Sie, Gentlemen, noch weitere Aufklärung erhalten, füge ich bei: jener aus Indien vertriebene Gott Schiwa flüchtete sich mit seiner Gemahlin Parwati in's Alpengebirge, nur unter anderer Gestalt und anderem Namen, da er jetzt sich Alpin nennt. Er hoffte,wie so manche unglückliche Sterbliche, hier ein Asyl zu finden, und hat es auch gefunden.“
„„Unsinn!““ brummte der naturwissenschaftliche Doktor in seinen Bart. „„Jetzt sollen am
Ende noch die Götter in unser Asylrecht hereingeschmuggelt werden!““
„Verzeihen Sie,“ fiel der Jüngste ein, indem er das Göttergetränk in der stechenden Sonne blitzen ließ und sich an den Engländer wandte, „was wäre denn eigentlich Ursache, weßhalb der Berggeist oder wie er früher hieß,den Bann aufzuheben gedenkt?“
„Nun, die Zeit der Verbannung oder, wenn Sie wollen,Verdammung, wurde aus einem ganz guten Grunde abgekürzt. Der Berggeist verdammte die Jäger, weil sie in blinder Leidenschaft sich feindlich der Natur gegenüberstellten,und er verzieh ihnen, sobald er sah, wie die Liebe zur Natur in ihnen wieder erwachte und sie antrieb, ihre Wunder zu erforschen, ihre ewige Kraft im Dienste der Menschheit nutzbar zu machen. Denn die Rückkehr zur Natur heilt und versöhnt; sie ist die Bedingung eines harmonischen Lebens. Der Berggeist hat auch die vielen Muhsale in Betracht gezogen, die Sie heute erlitten, und verkündet Ihnen somit durch meinen Mund Befreiung von dem Banne, der auf Ihnen gelastet!“
Noch schüttelten die Clubisten ungläubig lächelnd ihre Häupter, als der prophetische
Begleiter sich erhob und auf einen nahen Vorsprung stellte, um dem Wogen der aus der Tiefe
dringenden Nebelschichten zuzusehen. Vom Sonnengold besäumt, dampften sie den höchsten
Firnen zu und hüllten die Gesellschaft für einige Sekunden in ihre halbdurchsichtige
Masse. Und wie sie wieder verschwanden, so stand der Begleiter nicht mehr da, doch an
seiner Stelle
„Und welche Strafen aussprechen fügte ein Anderer hinzu, deren Erfüllung uns großen
Nutzen und Genuß gewährt.“Was früher, ihnen unbewußt und unbekannt, eine Nothwendigkeit
gewesen war, das thaten sie fortan mit voller Freiheit des Willens und noch größerer
Freude und erstiegen die höchsten Gebirge der Alpen zum Nutzen und Frommen der Mit- und
Nachwelt.
Ein kühler Nachtwind strich durch die dunkeln Urwälder und die Wipfel der Bäume rauschten geheimnißvoll, als ob sie Geschichten aus der Schöpfungszeit der Erde sich erzählten. Ueber den Wäldern aber stunden die friedlichen Sterne und sandten ihren Nachtgruß hinunter in die Thäler Helvetiens. Kein Laut ließ sich hören, als von Zeit zu Zeit der ferne Ruf eines Nachtvogels. Mitten auf einem freien Platze im größten Waldesdickicht loderte ein Feuer und beleuchtete acht Gestalten, die sich im Kreise gelagert hatten. Sie saßen in Thierfelle gehüllt schweigend auf dem Rasen und ihre bärtigen Gesichter schauten in die prasselnden Flammen.
Sie mochten schon lange so schweigend da gesessen haben, wohl vertieft in Erinnerungen an
vergangene gute und böse Tage, als sich Einer von seinem Sitze erhob und seinem Gefährten
zur Linken mit der Hand winkte, ihm zu
„Gefährten,“ sprach der Starke zu den noch am Feuer Sitzenden in halb befehlendem Tone, der den Führer der kleinen Schaar verrieth: Ruhet aus bis ich Euch wecke.Ihr seid nach so langer Anstrengung und so mancher Entbehrung auf unseren langen Wanderungen des Schlafes bedürftig.“ Dann schritt er mit seinem jüngeren Gefährten gegen den Waldesrand und lehnte sich dort mit dem Rücken an einen gewaltigen Baumstamm.
„Bruder Swen,“ begann er nun mit milderer Stimme,deren Klang von seiner inneren Bewegung Zeugniß gab,„glaubst du nicht auch, daß Restius gefangen oder auf dem Wege verunglückt sei?“
„Befürchte nichts, Theurer,“ erwiderte der Jüngere,und schaute seinem Freunde
theilnahmsvoll in's Angesicht,„wenn auch Merovich ihn gefangen halten sollte, so wird der
Tapfere ihn geschickt auf falsche Fährte zu führen wissen.Doch sollte ihm ein Unfall
begegnet sein im Walde, so
„Wie gerne würde ich das Blut dieser Tapfern und unser eigenes sparen, um an den frischen Quellen dieser Berge unsere Hütten aufzuschlagen. Doch der stolze Merovich will es nicht,“ setzte er ernsteren Tones hinzu, „wir müssen uns mit Gewalt ein Stück Boden erkämpfen.“
„Und dir ein trautes Weib,“ fügte Swen hinzu, indem er des Freundes Rechte erfaßte. „Doch ruhe nun aus und ich bringe dir morgen Botschaft von der holden Irmengard.“
Darauf schritten die Beiden wieder schweigend gegen das Feuer, warfen Reisig und Holzblöcke hinein, damit es brenne bis zum Anbruch des Tages, und hüllten sich dann in ihre Felle.
Während Swen von Morpheus Armen fest umschlungen war, kam in Switer's Augen kein Schlaf. Sein Geist weilte im fernen Schwedenlande und vor sein Auge trat eine goldgelockte Jungfrau, die ihre Blicke sehnsüchtig auf ihn heftete und ihre Arme gegen ihn ausbreitete. Dann schwand sie zu einem Marterbilde und der Hunger blickte aus ihren verzerrten Zügen. Endlich erbleichte ihr Bild und an seine Stelle trat das Bild einer bräunlich gelockten Jungfrau mit dunklen feurigen Blicken und schwellenden Lippen. Er streckte die Hand nach ihr aus und rief:„Irmengard,“ aber im gleichen Augenblicke durchbohrte ihn ein Pfeil und er sank leblos nieder.
Er erwachte in diesem Augenblicke von dem lieblichschreckhaften Traume und sah seine
Gefährten um sich versammelt und ihre Blicke hingen fragend an seinem Munde,als harrten
sie der Deutung seines im Traume ihm entschlüpften Ausrufes. Der schönste Frühlingsmorgen
war angebrochen; über die Wipfel der riesigen Waldbäume her
„Wo ist Swen?“ fragte er und erhielt zur Antwort,daß der Jüngling schon vor Tagesanbruch sich erhoben und im Walde verschwunden sei.
„Treue Seele,“ sprach er halblaut vor sich, „nicht Hitze, nicht Kälte, weder Hunger noch Feindschaft vermögen seinen Freundschaftseifer zu schwächen. Daß er ewig an meiner Seite bliebe!“
Die Gefährten brachten ihm hierauf wilde Baumfrüchte,Käse und Milch zur Erquickung. Nachdem er sich daran erlabt, stund er auf, nahm Schwert und Lanze, befestigte seinen kostbaren Schild am Arme und rief die Kampfgenossen zusammen. Aber ihre Blicke hingen nun nicht mehr fragend an ihm, sondern voll Lust; denn sein Antlitz leuchtete wieder voll Muth und seine mächtigen Glieder dehnten sich voll Kraft, gestärkt durch die Ruhe, als gälte es eine Eiche zu entwurzeln. Dann verlor sich das Häuflein der Kämpfer im Waldesdunkel.
Die Sonne sandte ihre Strahlen bereits senkrecht in das Waldesdickicht und scheuchte
daraus die letzten feuchten Nebel, als Switer mit seinen Kampfgenossen am Rande des
Alpenwaldes anlangte. Vor den erstaunten Blicken der Männer lag plötzlich ein lachendes
Thal ausgebreitet,durch dessen blühende Matten ein munterer Fluß hüpfte,und in einiger
Entfernung von ihrem Standorte erhob sich
„Fredogar,“ rief er nach beendetem Mahle zu einem graubärtigen Gefährten gewendet, „waffne dich und geh'dem Saume des Waldes entlang, ob du keine Spur von Swen oder Restius zu entdecken vermagst.“ Der Angeredete ergriff sogleich Bogen, Schild und Speer und schlich mit der Vorsicht des Alters dem Walde entlang. Es mochte eine halbe Stunde verstrichen sein, als die Zurückgebliebenen einen durchdringenden Pfiff hörten und nach einer geraumen Weile traf auch Fredogar, begleitet von Swen, wieder bei ihnen ein.
Vor Allem erfreut war Switer über die Rückkehr seines geliebten Freundes. „Willkommen, Herz,“ rief er ihm zu,und bohrte seine Lanze mit einem Stoße tief in die Erde,„bringst du gute Kundschaft?“
Swen ergriff des Freundes Arm und sie wandelten miteinander in den Wald hinein und Swen erzählte von seiner Morgenfahrt nach der Burg. Und als er den Namen der holden Irmengard erwähnte und einen Pfeil nebst einem Metallringe unter seinem Fell hervorzog, da färbten sich Switer's Wangen roth und er drückte dem Freunde warm die Hand. „Aber sage, Lieber, sollen wir länger harren oder sogleich aufbrechen?“
„Laß uns rasten,“ erwiderte Swen, „bis die Sonne gegen jene hohen, weißen Gebirge im Westen sinkt, dann ist es Zeit, zu Schild und Schwert zu greifen.“
Während sie rasten, laßt uns auf die Burg Merovich's eilen. Der Alte im Silberhaar, auf dem eine Eisenkappe sitzt, und in ein Hirschfell gehüllt, richtete eben vom Nordende des Walles sein graues, von dichten Brauen beschattetes Auge nach dem Thale und seine Lippen preßten sich zusammen vor Grimm. Er sah recht wild aus und erst nach einigen Augenblicken wandte er sich zu seinem etwas jüngern Begleiter, der mit verschränkten Armen und gleichgültiger Miene in einem glänzenden Hirschfell und vergoldetem Helm dastund. „Was sagst du, Ermogast, du hättest ihn vor der Mauer hier gesehen, wie er Zeichen gegeben? Sollte wirklich noch Einer so frech gewesen sein,sich in die Nähe der Burg zu wagen?“
„So ist es,“ antwortete Ermogast, der jüngere Häuptling, „und ich sah ihn schnell wie einen Hirsch nach dem
Walde eilen, wo er sich nun verborgen halten wird. Gewiß ist es ein neuer Abgesandter Switer's, der sucht den Aufenthalt der Tochter Merovich's zu erspähen.“
Der Alte kniff seine Lippen vor Zorn heftig zusammen und stieß dann die Worte aus: „Tod dem Fremdling, der es gewagt hat, die Hand meiner Tochter uud die Hälfte meines Gebietes zu verlangen, um mit seiner Horde unsere Thäler zu gewinnen. Eile, unsere Leute zu sammeln, um den Flüchtigen zu verfolgen und vielleicht die Spur seiner Genossen zu finden.“
Ermogast aber lächelte bitter: „Wenn Irmengard den Fremdling liebt, so wirst du sie nicht zwingen, mein Weib zu werden. Ich gleiche bald dem dorrenden Baum im Walde; jener dagegen der jungen Eiche. Laß ihr die Wahl.“
„Schweige von der Undankbaren,“ sprach Merovich zornerfüllt, „sie muß meinem Willen gehorchen und sollt'ich selbst das Härteste ihr auferlegen müssen. Was ich will und befehle, muß geschehen. Ich gehe selbst, sie zum Gehorsam zu bringen; sorge unterdessen, daß wir zu jedem Kampfe gerüstet sind.“
Der Alte stieg hierauf düsteren Blickes vom Walle nieder und verschwand in einer der
Hütten der Burg.Ermogast sah ihm ernsten Blickes nach und sagte: „Alter Thor, warum willst
du die Jugend Irmengard's dem Alter vermählen und nicht das junge kräftige Reis in deinen
Garten verpflanzen! Wie vorsichtig hat der Fremdling sich
Die schöne Irmengard saß inzwischen in einem düstern Gemache eingeschlossen und weinte bittere Thränen. Merovich, obschon einer der mächtigsten helvetischen Häuptlinge,war ehrgeizig und wünschte noch mächtiger zu werden, wozu ihm die Heirath seiner Tochter mit Ermogast das geeignetste Mittel schien. Aus diesem Grunde wies er die Bewerbung Switer's von der Hand und achtete nicht der Thränen Irmengard's und ihres Kummers, der an dem Zerstreuung zu gewähren, hatte sie von ihm Erlaubniß erhalten, die Burg zu jeder Tageszeit zu verlassen und davon bis zu diesem Tage gerne Gebrauch gemacht, da sie Wald und Gebirg liebte und jeden Sommer mit Freuden in das freundliche Thal mit seinen sprudelnden Quellen zurückkehrte. Doch nun hatte ihre Freude ein schnelles Ende gefunden. Wie alle Tage, so war sie auch am vorigen aus der Burg geeilt, um sich der Freiheit zu freuen, Blumen zu sammeln und aus Zweigen allerlei Geräthe zu flechten. Aber auch mancher Seufzer entstieg ihrem Busen und mancher sehnsüchtige Blick richtete sich nach den Ausgängen des Thales und den Waldsäumen.„Wo er nur weilen mag,“ fragte sie, „gedenkt er noch
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Irmengard brachte die Nacht zu unter den Qualen der Liebe und dem Schmerze getäuschter
Hoffnungen. Sie ruhte wohl auf dem Lager von Laub und Moos; aber kein Schlaf kam in ihre
Augen. Sie gedachte Ermogast's,der ihr seit Langem Beweise seiner Zuneigung gegeben und
dessen Tapferkeit und Güte sie hochschätzte; doch sein Bild verblich vor demjenigen, das
tief und unauslöschlich in ihrem Herzen ruhte. Der junge Tag säumte schon die fernen
Bergspitzen, als sie aufstund vom Lager und durch die enge Lucke des Gemachs den Morgen
begrüßte. Da sah sie unten hinter dem Walle von Gestein und Holz sich eine dunkle Gestalt
bewegen und nach wenigen Minuten
Auch Merovich hatte eine schlaflose Nacht zugebracht.Sein Geist brütete über den Mitteln, den verhaßten Fremdling nebst dessen Gefährten in seine Gewalt zu bekommen und für immer unschädlich zu machen. Aber er kannte des schlauen Feindes Angriffsplan nicht und sandte am Morgen seine Späher vergebens aus, seine Spur zu finden.Sie kehrten unverrichteter Sache zurück und der Alte grämte sich umsonst über den Fehlgriff. Doch unterließ er nicht,während des Tages den Wall zu befestigen und für die Nacht verschiedene Anordnungen zu treffen, damit er von keiner Seite überrascht werden könne.
Schon lagerten sich dunkle Schatten auf Wälder und Thäler und nur die hohen Berge
funkelten noch im Scheine der sinkenden Sonne, als Merovich und Ermogast noch eine Runde
um die Burg antraten, während die Leibeigenen innerhalb des Walles sich anschickten, die
Nachtwachen zu beziehen. Der Alte sah finster drein und spähte mit größter Aufmerksamkeit
in das dämmerige Walddunkel
Der treue Swen ließ am folgenden Tage die Leichen Switer's und Irmengard's in eine Höhle
des nahen Gebirgsstockes bringen, der nachmals Mythenstock geheißen wurde und in welchem
sie noch heute ruhen, obschon Niemand den Eingang zu ihrer Gruft kennt. Dann baute Swen
mit seinen Genossen sich Hütten am Fuße des Berges, aus welchen nachmals das Dorf Schwyz
entstanden ist zur Erinnerung an Switer, den Führer und Helden seiner
Stammgenossen.
Seht einmal hinauf an die schimmernde Alpenkette und Ihr erblickt in der Mitte dieser stolzen Gesellschaft die strahlende Jungfrau. Denn diesen Namen trägt der krystallene Palast aus dem Grunde, weil darin die Jungfrau Helvetia wohnt, die friedliebende und doch schwertumguürtete Beherrscherin der Alpen. Dort drinnen sinnt sie früh und spät an das Wohl der Kinder, die ihr der Himmel geschenkt, und manchmal nimmt sie auch den Reisestab in die Hand, um niederzusteigen in die blühenden Thäler und an die blauen Seen, an deren Ufer der süße Saft der Traube reift.
So geschah es denn auch eines Tages, als sie des Morgens aus dem Fenster ihres krystallenen Palastes hinauslugte. Der Himmel spannte seinen blauen Bogen über denselben aus und er glitzerte und funkelte wie Edelgestein.Unten im dunkeln Alpensee aber erblickte sie ihr getreues
Abbild. In weiten Fernen sah sie dann Städte und Dörfer, die gerade aussahen wie
Ameisenhaufen, und zwischen durch wanden sich die silberhellen Ströme und Flüsse des
Landes. Das schimmerte und glänzte oben und unten, wie wenn der geschickteste Dekorateur
sich selbst übertroffen hätte. Die Morgenpracht lockte der Jungfrau Wanderlust und sie
ward noch stärker, als die warmen Luftwellen aus den Tiefen ein seltsames Klingen und
Singen zu ihren Ohren führten. „Meiner Treu,“ sagte sie, „es geht da unten heute los, und
meine Kinder haben vergessen, mir einen Blitzbrief in meinen Palast zu expediren, oder der
Telegraphist ist aus Neugierde aus dem Telegraphenbureau weggelaufen. Da sieht man, wie
nothwendig es ist, einen Generalpostdirektor zu bestellen, der Ordnung schafft. Ich werde
aber dem alten Knaben, meinem Oberfuhrwerker, auch gehörige Vorstellungen machen.“Nachdem
solchermaßen die Jungfrau Helvetia einen postalischen Rüffel in Bereitschaft gesetzt
hatte, gürtete sie ihre schlanken Hüften mit einem Schwerte, nahm ihre Leier von der Wand
und verließ ihren Palast. Je weiter sie aber kam, desto heller wurde das Singen und
Klingen in der Luft, und die Vögel in den Zweigen schienen heute halb berauscht zu sein,
so laut schmetterten und trompeteten sie ihre Lieder in die Welt hinaus. Jungfrau Helvetia
fragte sich, ob wohl heute ein eidgenössischer Festtag gefeiert werde, konnte jedoch die
Frage nicht beantworten,
Endlich langte sie in der Bundesstadt an und war nicht wenig erstaunt zu vernehmen, das eidgenössische Sängerfest sei mit Sang und Klang eingezogen. Sie wurde von einer Abordnung des Burgerrathes, des Gemeinderathes,der Regierung und der Liedertafel empfangen, feierlich begrüßt und mit einer Festkarte beschenkt, welche sie zum Genusse aller Festivitäten berechtigte. Auch ward ihr bei Tische wie natürlich der Ehrenplatz eingeräumt und überhaupt alle Ehre erwiesen, welche folgsame und dankbare Kinder einer guten Mutter erweisen können. Sie anerkannte diese Aufmerksamkeit und äußerte sogar gegen den sie begleitenden Regierungspräsidenten, der Mutz sei doch stets ein gutes Kind gewesen, welchem Ausspruche der Herr Regierungspräsident im Hinblick auf die Gegenwart auch mit vollster Ueberzeugung beistimmte.
Der offizielle Theil eines Sängerfestes besteht bekanntlich in Konzert und Tafel, und wir
beeilen uns nun,sofort an die zweite zu kommen, um hier das Urtheil der Jungfrau Helvetia
über den ersten Theil zu ver
Der Festzug war nämlich kaum durch die geschmückten Straßen der wohlthätigen Bundesstadt gezogen und an der Festhütte angelangt, als auch schon ein mächtiger Gesang sich erhob, der zwar in verschiedenen Zungen, doch in vollster Harmonie der Töne das Lob der Jungfrau Helvetia enthielt.
„Heil dir Helvetia,“ pries der Germane,„Salut à l'Helvétie.“ der Gallier,„»Rvviva Helvetia,“ der Italiener,„Viva la Patria,“ der Rhäätier.
Hierauf erhob sich Jungfrau Helvetia, stützte sich auf ihr Schwert und sprach:
„Vielliebe Sänger und Sängerinnen: Wie freut es mich, an diesem schönen Tage meine lieben
Kinder wieder einmal um mich versammelt zu sehen und zwar zu heitrer Freude, zu Lob und
Preis des Vaterlandes! Und um so mehr freut es mich heute, als zum ersten Male die Kinder
verschiedener Zungen sich im edlen Wettstreite friedlicher Kunst zusammenfinden und jedes
nach seiner Weise der eigenen Empfindung den freiesten Ausdruck gibt. Wie verschieden
dieser Ausdruck aber auch ist, so bildet er doch keine Scheidewand; denn nicht die Zunge
ist es, die uns an einander kettet, sondern das Herz, der gemeinsame Glaube an die Macht
der goldenen Freiheit, die alle
Es sitzen 22 Musikanten
In einem wunderschönen Saal!
Hierauf naheten sich jubelnd die 22 Kinder und Musikanten der Mutter Helvetia und sie küßte und herzte eines nach dem andern.
Sodann trat eines derselben vor und fragte: „Was sagst du denn eigentlich zu unserm Gesange; haben wirs recht gemacht oder nicht und liebst du mehr den Kunstgesang oder den Volksgesang?“
Die Jungfrau Helvetia sah den bebrillten Sänger etwas komisch an und sagte:
‚Bist du eigentlich recht bei Troste? Ist nicht der Walliser, der Neuenburger, der
Bündtner, der Waadtländer ein edler Wein? Ist aber deßhalb der Schaffhauser, der Zürcher
und Thurgauer weniger zu schätzen?Jeder ist auf einem besondern Boden gewachsen und hat
seine besondern schätzenswerthen Eigenschaften. So ist es auch mit dem Kunstgesang und dem
Volksgesang. Wo der günstige Boden für den erstern vorhanden ist, da wird er gedeihen, im
andern Falle wird er kränkeln,während ein einfacher Gesang gut gedeihen könnte. Es kömmt
eben immer auf die richtige Schätzung und Benutzung der Kräfte an, und dann wird überall
eine ent
Nach diesen Worten drängten sich alle 22 Kinder an die Mutter heran, stießen mit ihr an und ließen den Gesang in der Freiheit und die Freiheit im Gesange und Kunstgesang und Volksgesang hochleben. Auch der Kanzler gemeiner löblicher Eidgenossenschaft hatte sich genähert und uberreichte der Mutter Helvetia einen zierlich in Saffianleder gebundenen und vergoldeten Eidgenössischen Staatskalender auf das Jahr 1864, worauf sie ihm auf sein inständiges Bitten versprach, das Postulat in der Bundesversammlung fallen zu lassen.
Als sie hierauf ihre Blicke umhersandte, gewahrte sie erst die fremden Gäste, die sie bis dahin für ihre Kinder gehalten, grüßte sie freundlich und hieß sie herzlich willkommen. Sodann wendete sie sich an ihre 22 Musikanten und sagte:„Wohl habt Ihr recht gethan, meine Kinder, unsere Nachbarn zum Feste einzuladen, um mit ihnen ein gutes Wort zu tauschen und ein Schöpplein zu trinken, wie ein lieber Nachbardichter sagt:
Ne freudig's Stündli
Ischs nid e Fündli?
Jez hemmers und jez fimmer do,
Es chuunt e Zyt, 's wird andersch go.„Und für die Zeit des Ernstes ist gute Nachbarschaft und Freundschaft Goldes werth. Wenn die Nachbarn uns kennen und lieben gelernt haben, so brauchen wir weder sie noch sie uns zu fürchten und ein allfälliger Span läßt sich dann gar leicht in Minne beilegen. Wo sich die Völker in der Pflege der Kunst zusammenfinden, ist schon ein Friedensband gewoben, das nicht so leicht zu zerreißen ist. Doch bei aller Pflege der Freiheit, des Friedens und der Kunst des Gesanges vergesset des Schwertes nicht zur Vertheidigung unserer theuersten Güter; denn ihr werdet nur dann eine siegende und freie Nation bleiben, wenn Ihr stets zum Kampf bereit seid.“
Nochmals wurden die Gläser erhoben, die Mutter Helvetia trank auf das Wohl der uns freundlich gesinnten Nachbarn und auf dauernd gute Nachbarschaft, die fremden Gäfte hinwiederum auf langes glückliches Leben ihrer Nachbaren. Dadurch wurde diese gerührt und lud die Herren Gäste ein, nach Beendigung des Festes ihr einen Besuch im Krystallpalaste zu machen.
Sie schickte sich eben an, die Festhütte zu verlassen,da sie bereits in eine etwas starke
Feststimmung gerathen war, als ihr Oberfuhrwerker ihr in den Weg trat. Sie
Und da sie fürchtete, die Festeswogen möchten ihr zu hoch steigen, trat sie am folgenden Tage den Rückweg nach ihrem Krystallpalaste an. Wer sie suchet, der wird sie dort finden. Sie aber vermochte im Eidgenössischen Staatskalender das Verzeichniß der eidgenössischen Feste nicht zu finden, dagegen träumt sie noch oft von dem Sängerfeste, von dem singenden Vaterland und den 22 Musikanten.