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Ein kleiner Anfang.Wo Aecker und Wiesen aus dem Thale nach den Bergen hinansteigen, über deren Rücken sich ein Laubwald streckt, dort liegt das Dorf Kestenhofen. Die Hauptstraße, die zwischen den Bergen in's Innere des Landes führt, geht nicht weit daran vorbei und bringt durch die Fuhrleute und Fremden noch extra Erwerb und Leben zu der Cultur in's Dörflein,welche Pfarrer und Schulmeister von Amtswegen, Krämer,Wirth und Hausirer aber auf eigene Faust und nach ihrer Weise den Kestenhofern mitzutheilen suchen. Wer Genaueres wissen will, muß auf seiner Landcharte nachsehen und findet er darauf den Namen nicht, so mag er sich sonst ein Dorf aus seiner Bekanntschaft denken, es wird schon irgendwo eins passen, drin der Andres und sein Häuschen nebst seinem Acker und dem Flecke Wiesland Platz haben.
Wer aber den Andres will kennen lernen, der trifft ihn gerade in der untern Stube an und
zwar hinter dem großen eichenen Tische und nicht drauf, obgleich er seines Zeichens ein
Schneider ist und dem schwarzen Rocke eines Landrathes neue Aufschläge ansetzt.
Wahrscheinlich weil er neben der edeln
„Da soll ihm ein Stadtschneider kommen und es besser machen!“ sagte wohlgefällig Meister
Andres halb für sich,halb zu seiner Frau, als er die Landrathsärmel vor sich hin hielt und
sich fast selber über seiner Hände Werk verwunderte.Nachdem er noch drauf gespuckt und es
gebügelt, legte er das Meisterstück bei Seite und stand auf, nun ein andrer Mensch,denn er
wollte hinter's Haus, geschwind ein Paar Stauden Erdäpfel, von den spätern, auszuhacken.
Vorsichtig zog er die weiße Zipfelkappe über die Ohren, als er zum Fenster hinausblickte
in den grauen unfreundlichen Herbstnebel, der auf dem Felde lag und die entferntern Bäume
nur wie dämmernde Schatten erscheinen ließ. Drauf sah er gegen den Ofen, vor dem Frau
Lisebeth saß und Aepfel schnitzte zu einem Gemüse. Es war fast als stände ihm seine eigne
Ehefran im Wege, nach dem Gesichte zu schließen, womit der Meister nach dieser
hinblickte.Wie unschlüssig blieb er einen Augenblick stehen, dann aber,als hätte sich
inzwischen Courage bei ihm angesammelt, schritt er sachte nach dem Känsterlein neben der
alten Wälderuhr und langte vom obern Schafte eine rundliche, wohlverkorkte Flasche
herunter. Ein Gläslein war auch nicht weit und was sich Andres unn da drein goß, etwa bis
zur Hälfte, das sah nicht anders aus wie das klarste Wasser. Es war auch solches; freilich
gebranntes, hätte es ja sonst nicht erwärmen können und zum Erwärmen bei dem feuchtkalten
Herbstwetter nahm. doch allein der Schneidermeister einen Schluck auf den
Zahn. Dieß sagte er der Lisebeth ausdrücklich, als sie mit nicht gar freundlichen Augen dem Herunterlangen der Flasche und dem Eingießen zusah und dabei im Aepfelschnitzen ein wenig innehielt. Ob denn die Schnapsflasche schon wieder zum Vorschein komme? hatte sie gefragt. Andres erplicirte,daß das „schon wieder“ schlecht am Platze sei, man wisse ja wie gestern das Sauerkraut ihm so auf dem Herzen gelegen,daß er ein Schlücklein zum, Verreissen“ habe nehmen müssen,und vorvorgestern, als er dem Gemeinderath in Lümpischwyl die neuen Hosen gebracht, sei er neben den Kaffee gekommen,da, meine er, habe er doch auch sein Tröpflein verdient. Er sei nicht ganz unter der Nase und seine Gesundheit sei ihm zu lieb, fuhr er, durch seine eignen Worte ermuthigt,fort, um bei solcher feuchten giftigen Luft sich nicht in Acht zu nehmen; er meine, die Lisebeth könnte es wissen, wie die kalten Nebel ihm jedesmal in den Leib führen und die Winde stockten! Er aber habe schon zu viel die Erfahrung gemacht,wie heilsam da ein Schlücklein Gebranntes sei und wäre die Lisebeth eine rechte Frau wie andre, sähe zu ihm, wie sich's gehörte, so würde sie im Gegentheil ihm noch zureden,nicht ihn hindern wollen. Zudem bringe er ja niemand damit in Schaden oder Unkosten, denn den Brenz habe er geschenkt gekriegt vom Krämer, als er dessen Sämmi das erste Kamisol gemacht.
Dieß und noch mehr sprach der Schneider-Andres zu gegen das Fenster sah, als gegen den
Ofen, wo diese stand.Daß er fast mehr Worte machte als für ein gutes Gewissen nothwendig
waren, mußte er am Ende selber finden, besonders
Besondre Gründe lagen hierin eben keine, aber dafür etwas in Stimme und Ausdruck, was auch selbst beim Andres das Gewicht der Gründe zu ersetzen schien und zudem eine Widerlegung unmöglich machte. Der Schneidermeister kannte seine Frau wie sie ihn, und seine Courage war viel zu wenig in der Wolle gefärbt, um in dergleichen ehelichen Ungewittern nicht Farbe zu lassen. Frau Lisebeth zankte nicht gerade häufig und es kostete sie jedesmal eine Ueberwindung, wenn sie widerreden sollte, aber wo sie einmal ihren Kopf drauf gesetzt, da nahm sie, nach des Andres Ausdruck, rein keine Vernunft an. Ihm aber blieb, als dem Klügern, in diesen Fällen nichts übrig als nachzugeben. Ein solcher Punkt und wunder Fleck war nun gerade der Schnaps; vor diesem hatte sie eine innerliche dunkele Scheu, die mit der langsam sich entwickelnden Liebhaberei ihres Mannes für das Getränke nur wuchs und ihr die eigne Abneigung zu einer Gewissenssache heiligte.
Mit halb spottender, halb bemitleidender Miene und inwendigem Aerger über seinen Rückzug,
drückte sich Meister Andres ohne Weiteres zur Stube hinaus nach dem Erdäpfelacker, wohl
bewehrt und gepanzert mit dem Schnäpschen und der Nachtmütze gegen alle Tücken des
giftigsten Herbstnebels. Frau Lisebeth aber schaffte fast heftig Glas und Flasche weg, als
könne sie nicht eilig genug alles Aergerniß aus den Augen räumen.
Lisebeth war die Tochter eines Bauern und Gemeinderaths von Kestenhofen gewesen. Der
Vater hatte eine schroffe und jähzornige Gemüthsart gehabt und Frau und Kinder scheuten
ihn mehr als daß sie ihm zuneigten. Die Mutter galt, was man so nennt, für eine gute Frau,
d. h. sie war ein wenig schwach und einfältig. Wetterte der Vater, dann zitterte Alles im
Hause, auch Lisebethli, das im Allgemeinen mehr dem Vater nachschlug. Die Mutter hatte nie
an einen Widerspruch gedacht, man nahm das Ungewitter so auf wie man sich dem Donnern und
Blitzen vom Himmel her unterzog. So lernte Lisebethli auch von klein auf dulden und
schweigen und nur wenig unverkümmerte Kinderfreuden erblühten ihm in der ewigen Wetterluft
des elterlichen Hauses. Niemandem theilte es sich mit, auch der Mutter nicht, an deren
Zagheit und Unsicherheit es doch keinen Halt gefunden hätte, sondern behielt Alles für
sich und in sich. Darum galt es, was es doch nicht war,für kalt, gefühllos und
unfreundlich. Der Vater wurde in der Folge immer launischer und so zürnte er oft auch
ungerechter Weise. Lisebethli, dem ein tiefes Gerechtigkeitsgefühl innewohnte, staunte,
erschrak, als ihm das erste Mal die Unbill deutlich und unverkennbar vor Augen trat. In
seiner etwas schwerfälligen Art konnte es sich lange nicht darein finden:wie das denn
möglich sei? Eine mächtige Revolution ging in dem verschlossenen Herzen vor sich, von der
freilich sonst keine Seele etwas ahnte. Erst eine neue Ungerechtigkeit, nicht gegen
Lisebethli selbst, sondern gegen die Mutter, brachte die innere Umwälzung auch am's Licht.
Heftig, beinahe grimmig,und mit einem Schrei warf sich das verschlossene, erst wie
theilnahmlos dastehende Mädchen auf den zornigen Vater
In solcher Gewaltsamkeit, ja Verzerrung, kehrten die Aus- oder Losbrüche von Lisebethli's Gefühlen vielleicht nie wieder wie dieß erste Mal, indeß war gleichwol eine Bahn gebrochen. Wenn der Mutter oder sonst jemand im Hause Unrecht geschah, konnte das Mädchen mit einem Muthe, der keine Gefahr erwog noch scheute, dem zürnenden Vater entgegentreten. Dadurch zog es sich zwar oft harte Begegnung zu,doch machte es auch durch seine Entschlossenheit den Alten mehr als ein Mal mitten in seiner Leidenschaft stutzen und bewirkte im Allgemeinen, daß er sich bei der Gegenwart des Kindes in Acht nahm. Lisebethli aber gab sich von seinem Widerstande keine Rechenschaft, dachte nicht darüber nach und war naher wieder das alte: still, abgeschlossen, duldsam, dem es kein Mensch ansah, wie scharf es innerlich Recht und Unrecht, Gut und Böse abwog und schroff schied.
Der Vater hatte für hablich, wie man sagt, für einen satten Bauern gegolten; bei seinem
Tode zeigte sich, daß es mit seinem Vermögen nicht zum Besten stand und man mußte es als
ein Glück ansehen, daß für die Güter sich ein Käufer fand. Diese Verhältnisse mochten auch
theilweise die Launen des Alten erklären. Die Mutter überlebte ihn nur kurze Zeit und
Lisebethli stand nun ziemlich allein, innerlich wol gefestet, nach außen indeß fast ohne
Halt und ohne daß es sich
I1.Eine Familie auf dem Schub und wie die Leute, ein Landjäger und der ,Kößleinwirth von ihr sprechen.Wie viel oder wie wenig Erdäpfel Andres auf seinem Acker ausgehackt, das findet sich nirgend aufgezeichnet; aber der feuchte Nebel hatte sich schon eine Weile in feinen dichten Regen aufgelöst, der ihm selbst seine Zipfelmütze durchdrungen und den erwärmendsten Schnaps am Ende verwässert hätte, wäre er draußen stehen geblieben. Er war aber bereits wieder in der vom Kunstofen behaglich erwärmten Stube und schneiderte am Fenster hinter dem eichenen Tische über Hals und Kopf.Auch der Hausfrieden war indeß wieder zusammengeflickt worden, da ja der Ausbruch bei Lisebeth vorüber und Andres in seiner leichten Natur überhaupt nicht lange etwas nachtrug.
Ein Zusammenlaufen der Leute, besonders der Dorfjugend, auf der Gasse, trotz Regen und
Koth, zog die Aufmerksamkeit der Familie bald auf sich. Unter der Menge erkannte man zwei
Landjäger mit Waidtaschen und Kara
Abscheu, Ekel und hernach erst Mitleid mußten auch unempfindliche Gemüther beim Anblicke
dieser so jämmerlich verwahrlosten Menschen anwandeln; zumeist erstere waren auch auf den
wenig beweglichen Gesichtern der Dorfbewohner von Kestenhofen deutlich zu lesen. Am
widerwärtigsten war noch der Toni anzuschauen, recht das Bild eines verkommnen Lumpen und
versunkenen Schnapsers: glotzäugig und stumpf,
1 chen. Es wäre ja keine Gerechtigkeit mehr im Himmel, wenn Tagediebe im Wirthshause herumlungern und saufen und lästern und stehlen und dabei doch gedeihen könnten, während ehrliche Leute von früh bis spät arbeiten und schinden müssen,sich mit Gott und Ehren durchzubringen! Wer wollte auch sonst noch länger rechtschaffen sein in der Welt?
Unter den ersten dieser Propheten und Strafprediger befand sich der Krämer Stoll, ein Mann, dessen habliches AusGleichgiltig standen oder hockten die Vaganten in der Scheune herum, theilnahmlos gegen die Leute, die sich herbei gedrängt,und auch gegen einander, als ginge Keins das Andre was an, sondern Jedes wäre allein für sich auf der Welt und das nur halc. Als aber Meister Stoll so gar schön und moralisch sprach, da fuhr doch die Frau des Toni, die das andre Gerede wenig beachtet, aus ihrer Gleichgiltigkeit auf und sagte mit stechendem Blicke: „weißt, Krämer, man hängt nur die kleinen Schelme, die großen läßt man laufen oder macht Drathe saß, machte große Augen. Noch mehr entsetzten sich indeß die Umstehenden ob der frechen Rede; nur zu hinterst im Trupp der Dorfleute hörte man einen Ton wie von zurückgehaltnem, schadenfrohen Lachen. „Halt dein wüst Maul,du Bettelmensch!“ sagte der Krämer, indem er drohend einen Schritt vorwärts that. Aber der Landjäger hatte dem Weibe schon mit dem Kolben einen Stoß gegeben, sich ruhig zu verhalten und mit düstrem, bösem Blicke wandte sie sich und kramte etwas in ihrem Bündel herum. Krämer Stoll indeß hatte noch Allerlei über Diebsgesindel, Lumpenpack und
Hallunken zu bemerken, welche ehrliche Leute vergebens um den guten Namen zu bringen suchten und die man ehedessen kurzweg gehenkt habe, während man sie heutzutage aus übertriebnem Mitleide zur Plage der Menschheit herumlaufen lasse! Auch Andres, der neugierig das Fenster geöffnet und draus dem Spektakel zugesehen, während sein Bube auf die Gasse gesprungen war, schüttelte bedenklich den Kopf und verwunderte sich, wie tief auch der Mensch sinken könne! er erinnre sich noch, wie der Toni als ein schmucker und lustiger Bursche um seine jetzige Frau, die ein gar hoffärtiges Mädchen gewesen, gefreit habe. Er sei freilich von Kindsbeinen auf ein Thunichtgut gewesen und dem Vater schon als fünfzehnjähriger Schlingel fortgelaufen und auch die Marei, seine Frau, lieber auf Tanzböden und hinterm Hause gestanden,als drin in der Küche oder am Spinnrade! So sei halt das Bischen Vermögen von den Alten bald drauf gegangen, Kinder hätten sie alle Jahre wenigstens eins gehabt und als sie DDBezirksschreiber und Gantrufer bald hinterher gekommen!
„Der Schnaps ist aber doch an Allem Schuld!“ hörte Meister Andres hart hinter seinem Rücken eine Stimme tönen,mitten in seine Erplikationen hinein. Wie erschrocken wandte er sich rasch vom Fenster um und sah da gerade seiner Lisebeth,die unbemerkt hinter ihm gestanden, in's Weiß vom Auge.
„Hast noch keine Ruhe?“ fragte der Schneider seine Frau, aber nur wie verlegen und um etwas zu sagen und auch sie gab keine weitre Antwort darauf.
Inzwischen hatten die Landjäger ihre Köpfe zusammengesteckt und leise mit einander gesprochen mit Blicken und
Meyer-Merian, Mareili.
Worten, wahrscheinlich davon, daß auch Herbstregen zum durstigen Wetter gehöre und
nirgend im Reglement stehe, wie viel Stunden die Polizei nüchtern durch Dick und Dünn
herumzurennen habe. Die Hauptsache sei doch, daß die Vagabunden sich im Trocknen befänden,
einer von ihnen zweien aber könne wol schnell im Rößlein einen Schoppen nehmen,dazu seien
ja die Wirthshäuser in der Welt. So blieb denn der eine der Landjäger vor der Hand beim
Toni und dessen Familie als Schutz und Ehrenwache zurück und sein Kamerad löste sich ab
und marschirte nach der Dorfschenke, gerade rechts um die Ecke. Nachdem diesem der erste
halbe Schoppen hier die Zunge ein wenig beweglich gemacht, fing er an, sein heutiges Elend
zu klagen, mit den gehörigen Flüchen und Schwüren natürlich, sonst hätte man ihm ja nicht
geglaubt.Seiner Lebtage, erzählte er dem Rößleinwirth und den paar Gäästen, die hier
ebenfalls gegen ihre innre Blödigkeit kämpften, seiner Lebtage, Gott straf ihn! habe er
kein so verdammtes Gesindel zu arretiren gehabt! Er hatte vom Statthalter den Befehl
erhalten, den Toni nebst Familie aus der Gemeinde Nesselstorf, darin der seit zehn Jahren
sich niedergelassen und am Ende seiner Laufbahn einen verfallnen Kuhstall bewohnt, nach
seiner Heimatgemeinde Lümpischwyl jenseits des Berges zu transportiren und dem dortigen
Gemeinderath zur Versorgung zu übergeben. Wäre der Toni ein Minister oder sonst eine
wichtige Person gewesen, so hätte man von ihm sagen können, daß er sich in Nesselstorf
unmöglich gemacht durch Stehlen, Betteln, Erpressen und Aergerniß aller Art; zwar schon
lange, nun aber auch noch indem er, trotz aller dieser Hilfsmittel und Künste und obwol
ihm die Seinen
7]ten. Als der Landjäger Lärm machte, Holla rief und den Nächsten anstieß mit dem Fuße,
tönte ihm ein schlaftrunkner Fluch als Morgengruß entgegen. Der Toni hatte sich geregt und
machte sich aus seinem Geniste heraus. Doch lange wußte er nicht was gemeint war, die
Uniform brachte ihn wol ein wenig zur Besinnung, aber nicht ganz; halb abwesend, halb
scheu glotzte er die gelben Knöpfe und den glitzernden Säbel an und taumelte. Eben so
wenig schien er den Bericht, den er erhielt, zu verstehen, denn ein Mal sagte er he ja!
das andre Mal nein und kratzte dabei in seinen struppigen Haaren und den Strohstoppeln
drin. Endlich kam guter Rath; auf dem Gesimse lag eine Blechflasche, die ergriff er und
nachdem er zitternd den Zapfen darin herausgezogen, setzte er an und that einen Schluck,
nur einen, der aber gleichwol gut ausgab.Jetzt ging ihm ein Licht auf, in die matten
stieren Augen kam ein wenig Glanz und Leben, die schlaffen wüsten Züge zogen sich
zusammen, der Toni erholte sich wie ein erlöschendes Lämplein, dem man Oel zuschüttet.
Aber tückisch und trotzig wurde zugleich auch der Blick, der hängende träge Mund
aufbegehrerisch: Was man eigentlich von ihm wolle?er habe nichts gestohlen, wer ein Recht
habe, ihm so in's Haus hereinzubrechen? Und als ihm der Befehl vom Statthalter vorgewiesen
wurde, meinte er, der Statthalter und die Regierung und die ganze Welt könnten ihm und sie
gäben ihm alle zusammen nichts, drum solle man ihn ungeschoren lassen, er begehre nicht
von hier fort! Da der Landjäger auch deutlich zu reden begann, so erwachten allmälig die
Uebrigen gleichfalls und wollten sich ebenso wenig fügen, als ihr Stammherr, der Toni.
Jedes schimpfte und lästerte
Mädchen sich nach Noten durchbläuen lassen, ein Herkules hätte keine andre Wahl gehabt! Wie er wieder aus dieser Klemme gekommen, gab der Landjäger nun nicht näher an,er konnte oder wollte es nicht sagen, entweder dadurch, daß die Familie Toni vom Dreinschlagen zuletzt müde geworden oder indem er kapitulirt. Jedenfalls zog er ab mit eingedrücktem Tschakko, ein Paar abgerissenen Knöpfen und einer im Stiche gelassenen Epaulette, welche ihm indeß von der Frau großmüthig nachgeworfen wurde, als er den Kuhstall wol oder übel verlassen. Ging der Mißhandelte über diesen Abschnitt seiner Erlebnisse etwas bündig weg, so verweilte er dafür um so ausführlicher bei der Schilderung seiner Rückkehr in Begleitung eines Cameraden und bei der Züchtigung,die sie beide nun an den Feinden der öffentlichen Sicherheit genommen. Sie hätten da mit den Kolben geredet und mit ihren Stiefelabsätzen die Befehle des Statthalters ausgeführt,auch hätten sie den Hexen von Weibsbildern das Kämmen für den Tag erspart! So hatten die Landjäger Alles bis auf Heller und Pfennig bezahlt und waren nichts schuldig geblieben, das Lumpenpack konnte nachher unter sich Abrechnung halten. Es habe auch angeschlagen, rühmten sie, unterwegs hätten die Strolche wie Schäflein gefolgt, Keins nur gemuckst!Und nachdem der Grünrock die äußersten Haare seines Schnäuzleins, so gut sie es erleiden mochten, zusammengedreht, schüttete er auf seine Heldenthat noch einen halben Schoppen hinunter und stand dann auf, seinen Kameraden abzulösen und dem verfluchten Gesindel, wenn's nöthig sein follte, den Meister zu zeigen, denn vom letzten Pfiff war seine Rache wie seine Courage von neuem aufgeweicht worden.
Während der ganzen Erzählung aber hatte ihm der Rößleinwirth gar aufmerksam zugehört und Recht gegeben, so viel nur in der Waidtasche Platz fand. Er half ihm nach Leibeskräften (und dieß wollte beim Rößleinwirth etwas heißen),über das liederliche Volk losziehen, das am meisten die Wirthe in Mißkredit bringe. „Es gibt genug studirte Narren und Phantasten und Pietisten sagte er, welche auf solches Hudelpack weisen und die ehrlichen Wirthe dafür verantwortlich machen wollen. Diese schreiben dann ihr hirnverbranntes Zeug in Zeitungen, posaunen mündlich und schriftlich in alle vier Winde hinaus, die Wirthshäuser und der Liqueur seien das Verderben des Volkes und stellen Beispiele hin und Rechnungen auf, es könnte einem selber schier bange werden, wenn man's nur so liest. Aber himmelschreiendes Unrecht ist das,eine Wirthschaft bleibt einmal ein so rechtmäßiger Beruf wie jeder andre und wenn hie und da Mißbrauch geschieht, so findet man den überall sonst nicht weniger, selbst mit der Bibel! Ich kann ja Keinem verbieten zu trinken, mein Schild hängt für Alle da, wollte ich Einen abweisen, ei, da würde ich schön verschrieen werden. Niemand ist mit solchen Saufbrüdern übler dran als die Wirthe selber, man muß aufschreiben, kommt in Verlust, oft unvernünftig, und will man zu seiner Sache sehen und nicht länger borgen, sondern macht seine Forderung anhängig, dann wird man verschrieen und findet Land auf Land ab nirgend Recht. Es gibt genug Neider, die's einem noch gönnen oder Vorwürfe draus machen.wie's doch bei keiner andern Handtierung, obschon sie kein Haar besser von der Verfassung vergarantirt ist, sonst so vorkommt!“
Demnach trennten sich Wirth und Landjäger in vollkommenster Uebereinstimmung und nicht anders, trotz allem Schimpfen, als die besten Geschäftsfreunde, welche einander in die Hand arbeiten, wenn auch der Stoff, in dem sie machen,nicht gerade der kostbarste und appetitlichste heißen kaun, und der Artikel des Einen die Rohwaare ist, der Andre aber mit dem Fabrikate sich befaßt.
11*Mareili.
Während diese Gespräche im Wirthshause fielen, hatte sich der andre, beim Toni zurückgebliebene Landjäger die Zeit so gut vertrieben, als ihm dieß ohne Schoppen möglich war.Er lehnte zu dem Ende am Tennthore, verschränkte die Arme und schlüg bald das linke Bein über das rechte, bald auch umgekehrt. Daneben unterhielt er sich mit den Bauern, die noch herumstanden, erzählte auf trocknem Wege die gleichen Geschichten, welche sein Kamerad im Rößlein auf nassem und kümmerte im Uebrigen sich nicht sonderlich um die seiner Obhut zunächst Anvertrauten: die seien mürbe genug und machten keine zu weiten Sprünge heute! Deßhalb war's denn auch wol möglich, daß das Mareili, welches scheu und lauernd alle Bewegungen seines Peinigers beobachtet, leise und unmerklich wie eine Katze sich hinterm Rücken des Landjägers um den Pfosten des Scheunenthors herumdrückte und seinem Hange nach Freiheit und Stehlen folgend, irgend
Etwas zu erhaschen suchte, da sein Magen so gut als der eines Landjägers einer Erquickung
bedurfte. Zudem mochte geschehen was wollte, es ging ja jetzt in Einem zu und mit in die
große Rechnung! So schlich es hinter das Haus nach den Baumgärten, zwischen Misthaufen,
Hollunderbäumen und Schweineställen hin. Ein Baum, der noch voll der schönsten Lederäpfel
hing und aus des Schneider-Andres Matte gar versuchungsvoll über den Haag herüberlugte,
zog auch des Mädchens Aufmerksamkeit bald genug auf sich.Blitzschnell bückte es sich und
hob einen, zwei große Kiesel vom Boden auf, die es indeß rasch unter seine Schürze
versteckte, als es Jemand kommen hörte. Es war zwar nur des Andres und der Lisebeth
kleiner Hansli, ungefähr vom selben Alter wie das Mareili, aber mehr zurück im
Wachsthum.Sah nun das Büblein gleich nicht gefährlich aus, der Instinkt und die angewöhnte
Verstellungskunst hielten das Mädchen in seinem Beginnen zurück, es kehrte sich ab und
wühlte in einem in der Nähe stehenden Kübel voll Schweinstränke, denn bei dieser
Handtierung hielt es sich für sicher und mochte denken, ein Spatz in der Hand sei besser
als eine Taube auf dem Dache. Es fischte aus der unsaubern dicklichten Brühe einen
Erdäpfel heraus, biß das Verdorbne dran weg und verzehrte gierig und ohne das mindeste
Zeichen von Ekel oder nur Ueberwindung, das noch Eßbare davon. Hansli, der sich bisher
immer einen Unterschied gedacht zwischen Schweinen und Menschen, machte sonderbare Augen
zu dem was er sah und ob es dem Bettelkinde auch zehnmal wohlschmeckte, sein Herzchen
wurde nichts um so weniger von Mitleid lebhaft bewegt. Der beste Beweis dafür war, daß er
seinen Apfel,
In der Zwischenzeit spähte das Mädchen mit Luchsaugen nach den Lederäpfeln. Es schien ihm in den Armen und Beinen darnach zu jucken, besonders als es noch eine Lücke in dem Haage nebenan entdeckte. Indeß es blieb unentschieden stehen und wie nach einer Art krampfhaften Bewegung,wenn sie im Nachlassen ist, entfielen die beiden Steine seiner Hand unter der Schürze. Der Hansli kam mit einem Stücke Schwarzbrot zurück und hielt es seiner neuen Freundin wie im Triumphe hin. Aber fast zornig sah ihn diese an, daß der Kleine darob ordentlich erschrakr. Ohne Dank, mürrisch nahm sie die Gabe hin und eben so wandte sie ihm auch den Rücken und ging fort, als hätte ihr der Knabe was zu Leide gethan.
Mareili sah den zweiten Landjäger gerade um die Ecke kommen vom Rößlein her und eilig huschte es wieder in die Scheune zurück und mischte sich unter die Seinen, als wäre es nie einen Schritt weit entfernt gewesen.
Nachdem auch dem andern Landjäger das Nöthige geworden, war's endlich Zeit zum Aufbruche, zudem hatte der Regen etwas nachgelassen und die grauen Nebelmassen schienen sich zu lichten. Der Toni und die Seinen hatten ja jetzt ebenfalls ausgeruht. Gepackt und angeschirrt wäre zwar auch bald gewesen, gleichwol stand noch ein hart Stück Arbeit bevor. Die Trennung nämlich, nicht allein der zwei Landjäger, die gute Cameraden waren, sondern auch des Mareili von seinen Leuten, welches nun mit einem der beiden Grünröckler nach dem Letthofe abbiegen sollte. Uebergroße Zärtlichkeit hielt zwar die Familie des Toni nicht zusammen und dem Mareili konnte es auf dem Letthofe, seinem künftigen Aufenthaltsorte, auch leicht besser ergehen als bisher daheim.Ebenso wenig büßte es einen besondern Segen der Erziehung und des elterlichen Hauses ein, aber all diese vernünftigen Gründe und noch zehn andre dazu kamen nicht auf gegen die dunkle Macht und verborgene Kraft des Blutes, wie diese das Herz schlagen macht und am Herde der Leidenschaft Gefühle braut. Denn ob das Blut ein böses, die Bande der Familie aus nicht gar viel Besserm als aus Galgenstricken ten Zerfressene zusammen und legen so in aller Entartung und Verheerung wenigstens durch ihre Kraft Zeugniß ab von ihrem göttlichen Ursprung als wirksamstes Mittel zum Guten.Mareili wollte einmal nicht von den Seinen fort und als der Landjäger kurzen Prozeß zu machen gedachte und es am Arme faßte, kratzte und biß es und achtete weder der Stöße noch der Schläge, die es erhielt. Es entwand sich auch, theils mit Gewalt, theils mit Geschmeidigkeit und sprang auf die
Mutter zu und auf das kleine Brüderchen, das es heftig umschloß. Der Kleine, der von Allem nicht viel verstand, begann zu heulen, die Mutter begehrte furchtbar auf und kein Schimpfwort war, weder auf der Erde noch unter derselben,das sie nicht gegen die Landjäger gebraucht. Zwischenein, wenn ihr der Vorrath auszugehen schien, brach sie in wildes Klagen und herzzerreißendes Jammern aus. Tückisch wie ein zorniger Hund, der sich zu beißen fürchtet, der Prügel halber,die er schon erhalten und die ihm noch in frischer Erinnerung stehen, stellte sich der altre Bube gegen die Landjäger, mehr hinter ihrem Rücken als von Angesicht zu Angesicht. Wäre eine Mistgabel in der Nähe gewesen, wer weiß wie's den beiden Polizeidienern wieder ergangen wäre, trotzdem sie auf der Huth waren. Am wenigsten Lärm noch machte der Toni,aber nicht gerade weil er der vernünftigste war. Er fluchte wol, er stieß Verwünschungen aus, aber mehr so als hergebrachte Redensarten, ohne Saft und Kraft; es war keine Gefahr dabei, das Feuer fehlte, war frühe schon mit dem letzten Schnapsdunste verflogen. Stumpf und stier, wie in halbem Schlafe, schien er nur sich zu widersetzen und wüst zu thun, weil die Andern alle auch so thaten.
Es gab einen Erzspektakel, besonders als die Landjäger,theils gewitzigt, theils erbittert
durch den Auftritt am Morgen, wenig Umstände machten, mit vernünftigem Zureden sich nicht
verköstigten, sondern gleich brutal drein fuhren und selber noch lauter zu brüllen und zu
fluchen suchten, dabei auch weder Fäuste noch Gewehrkolben, noch Fußtritte sparten.In
seiner Wuth packte einer das Mareili an den Haaren und da es sich zu Boden warf, schleifte
er's darauf hin: das
Dann sprachen sie dem Mädchen, daß außer sich war und vor Aufregung zuckte und schluchzte, ruhig zu: es solle sich nicht fürchten, Uebles werde ihm nichts geschehen und komme es auf den Letthof, so könne es im Gegentheil von Glück sagen, die Eltern dürfe es ja immer wieder besuchen,es werde nicht eingesperrt!Herzhafter noch nahmen die Weibsleute Partei für die Mißhandelten und schimpften gar weidlich auf die Landjäger,die wol gegen so arme Tröpfe gewaltigen Heldenmuth zeigten,bei Nachtbubereien aber, die das halbe Dorfe auf den Kopf stellten, sich nicht blicken ließen. Was denn auch so Landjäger davon wüßten, wie es einer Mutter um's Herz sei, von der man ihr Kind wegrisse! Die mitleidigen Seelen ließen es aber nicht bei den bloßen Worten bewenden, die eine kam da mit einem Halstuch, einer Schürze, einem Hemdlein, die andre dort mit einem Stück Brot, einer Handvoll dürrer Schnitze, dieselben Leute, die vor Kurzem noch so lieblos und verächtlich über Diejenigen den Stab gebrochen, welche sie nun vor noch roherer Behandlung glaubten schützen zu müssen.
Die Landjäger zwar beriefen sich auf ihre Consigne und wollten von niemand Befehl annehmen, indeß' stimmten sie gleichwol unvermerkt ihre Saiten etwas tiefer. Da der erste Ausbruch vorbei war, die Familie des Schnapsbruders durch die Gaben heitrer gestimmt war, die Leute zuredeten und besänftigten, so erfolgte denn nun auch die Trennung Mareilis von den Eltern und Geschwistern unter nur mäßigem Geheule. Am schwersten noch schien dem Mädchen der Abschied vom kleinsten Brüderchen zu fallen, vom Vater dagegen wandte es sich ziemlich kurz und trocken ab und sah sich auch nicht mehr um, als es mit dem einen der Landjäger das Thal hinunter nach dem Letthofe zog.vy.Der Letthof und seine Kewohner.Der Weg bog um einen Hügelrand und führte aus einem leichten Tannengehölze auf freie Wiesen und Aecker hinaus. Der ganze Thalkessel lag offen ausgebreitet, rundum die Tannen der Höhen und Bergrücken staken tief in den grauen Nebelwolken, die sich auf das Gebirge gelagert. Von ihnen herab zogen sich die grünen kalten Herbstmatten in's Thal und schlossen sich an die Brachfelder und an die schwarzen Aecker, denen schon die Wintersaat anvertraut war. Die einzelnen Fruchtbäume drauf prangten in gelb und rothen Blättern, davon der Wind schon einen Theil auf den Boden geschüttelt. Es sah recht herbstlich und einsam aus. In der
Tiefe aber, wo der Thalgrund sich erweiterte, unmittelbar vor der hohen röthlich grauen
Fluh, welche neben dem mehr hügligen Bergrücken aufstarrte, lag ein Gehöfte, ein Haus mit
gewaltigem vorspringendem Dache, nebst angebauten Scheunen und Stallungen. Dieß war der
Letthof. Wie unfreundlich und fast winterlich rauh die Landschaft rings aussah, der Hof
hier schien sein eignes Klima zu haben, wie eine besondre Welt in der allgemeinen mitten
drin zu liegen. Hatte sich doch gerade auch über ihm der Himmel jetzt etwas aufgethan,daß
aus dem bläulichen Flecken durch die zerrissenen Herbstnebel selbst Sonnenstrahlen auf das
alte Ziegeldach fielen und in den kleinen Fensterscheiben freundlich glitzerten, über
Wiesen und Baumgipfel mit goldigem Scheine wie ein Segen sich vertheilten. Den Pappeln und
dem niedrigen Buschwerke nach zu schließen lag hinter den Gebäuden ein kleiner Weiher,das
Bächlein, das neben der Straße vorbeifloß, mochte von dorther kommen und den Abfluß
wegführen. Mitten in dem etwas ansteigenden Hofe stand eine riesige Trauerweide, noch
jetzt in vollem grünem Blätterschmucke, neben ihr der Brunnen mit dem langen Troge zum
Tränken des Viehes. Gastlich stieg aus dem Kamine der Rauch hoch in die Luft hinauf,weiße
Tauben saßen friedlich auf der Kante des Daches,andre kamen eben vom Felde geflogen und
ließen sich zu ihren Gespielen nieder. Im Hofe drunten spazierten die schwereren Hühner
behaglich umher, König Hahn erprobte seine Sporen auf dem geflochtenen Misthaufen an dem
hausväterlichen Geschäfte, den Seinen Körnchen oder Wuürmchen hervorzukratzen,während die
watschelnden Enten sich an dem Abflusse des Brunnens zu thun gaben, der nach dem Bache zu
rann. So
Mareili, das mit dem Landjäger auf den Hof zu wanderte, mochte wenig von alldem gewahren,
düster und verbissen sah es nicht weit umher, es kaute an seinem Grolle,alles Andre ging
es ja doch nichts an. Nichts gehörte sein und die Menschen hatten ihm bisher noch wenig
Freundlichkeit erzeigt; was es von ihnen genossen, war ihm verdrießlich als Bettelgabe
zugeworfen worden oder es hatte es gestohlen.Jetzt hatte man ihm noch das Einzige, was es
gehabt und was ihm lieb gewesen, genommen, das jährige Brüderlein nämlich; darüber war es
nun um so verdrießlicher und finstrer.Es fuhr aber doch plötzlich mit einem Schrei auf,
als es mit dem Landjäger jetzt in den Hof trat und auch dieser stutzte und fluchte, um
sein Erschrecken zu verbergen. Ein mächtiger Hofhund stand vor den Beiden und schlug
kräftig gegen sie an. Er machte nicht viel Geschrei noch überflüssige Geberden,aber man
sah seinem Blicke und seiner Haltung an, daß ihm Ernst war, einstweilen Niemanden
vorbeizulassen und daß es gerathen sei, es nicht erzwingen zu wollen. Der Hund war
*3 ein gefangener Marder wär' es am liebsten wieder durch die Thüre hinausgewischt oder durch's Fenster auf- und davongesprungen. Erst auf die dritte, vierte Nöthigung hin nahm es endlich auf dem angewiesenen Stuhle Platz, den Leuten vom Hofe halb den Rücken zuwendend. Als ihm indeß aus einem geblumten Schüsselchen der Kaffee in die Nase dampfte und es das weiche äßige Schwarzbrot zwischen den Fingern fühlte, da überwand der Trieb der Natur allen Trutz und alle Scheu und es begann aus Leibeskräften einzubeißen, als hätte es den ganzen Tag schon mit dem Großknecht um die Wette gedroschen. Der Letthofbauer und seine Frau aber, die den, Wildfang sich nun auch etwas näher betrachteten, schienen von ihren Entdeckungen nicht gar sonderlich erbaut zu werden,besonders der Mann nicht, der mit einem halben Blicke des Vorwurfs seine Ehehälfte ansah, welche ihrerseits etwas kleinlaut vor sich hinblickte und dem scharfen Auge des Alten auswich.
Die Letthofbäuerin war die Ursache, daß das Mareili auf den Hof gekommen. Sie hatte nach langem Widerstreben ihres Mannes es endlich durchgesetzt, denn er hatte sich immer dagegen mit dem Spruche gewehrt und gesperrt: „eigne Kinder zieh', fremde Kinder flieh'!“ Treulich hatte er die eignen Kinder exzogen und durfte sie sehen lassen. Zwei Töchter hatten auf andre Güter geheirathet und waren gleichfalls tüchtige Bauerinnen geworden. Nun hatte die Letthofbäuerin von dem Toni und seinem Elende gehört, besonders auch, wie verwahrlost die Kinder seien. Es ging ihr dieß nahe, denn mit der Mutter von Toni's Frau war sie einst gemeinsam in Unterweisung gegangen und hatte Theil an ihr
7 genommen, dem ärmern Mädchen diese und jene Gutthat erzeigt, wodurch dieses ebenfalls
anhänglich an sie geworden.Im spätern Leben waren die beiden Jugendgespielen auseinander
gekommen, auch die Nachbarschaft hatte aufgehört; erst als der leichtfertige Toni
heirathete, vernahm die Letthofbäuerin, er nehme eine Tochter ihrer ehemaligen
Freundin.Als sie wieder etwas von der Familie erfuhr, war es die Nachricht von deren
völligem Untergange und ihrer Auflösung,wobei die Kinder von der Gemeinde zu den
Mindestfordernden sollten verkostgeldet werden. Das ging ihr an's Herz und sie ließ nicht
nach, bis der Letthofbauer endlich einwilligte, eins der Kinder, das Mädchen, auf seinen
Hof zu nehmen: die alte Vren werde so übelmögig und komme nicht mehr überall nach, es thue
ihr gut wenn sie Nachhilfe erhalte! wußte die Bäuerin, dem besten Minister zum Trutz,
ihren Antrag zu begründen und zu unterstützen bei den Kammerverhandlungen, die sie deßhalb
mit ihrem Alten führte. Der Letthofbauer hatte nicht gerade ein hartes Herz, indeß
ebensowenig ein weiches, er war ein ganzer Bauer mit aller Nüchternheit und aller trocknen
Zähigkeit eines solchen. Fremder Leute Kinder vom Rande des Verderbens ziehen und bei sich
aufzunehmen, das lag ihm ziemlich ferne, sie gingen ihn nichts an, es hatte ihm auch
Niemand geholfen, die seinen groß zu ziehen! Dann war noch Verantwortlichkeit dabei, es
kam etwas Fremdes in's Haus, Stbrung vielleicht, und einmal Ja gesagt, war es nachher
schwer die Last wieder loszuwerden.Wenn hingegen die alte Magd Nachhilfe brauchte, für die
Arbeit es an Händen fehlte, ja nun, fo war das etwas andres,da mußte für Hilfe gesorgt,
mußte noch mehr Gesinde ein
Nachdem der Letthofbauer sein Pfeiflein gestopft und nach der alten Manier mit Zunder angebrannt, ging er noch um den Hof herum, da und dort nachzusehen, ob die Arbeit gethan, Geräthe und Werkzeuge am Schermen und Alles in gehöriger Ordnung; denn jeden Tag schloß er auf diese Weise
2 ab, als ob es der letzte sein könnte und morgen ein andrer Meister hier zu befehlen
hätte, der Jedes am gehörigen Orte finden müßte, damit es keine Verwirrung, noch ein
Stürmen und Stocken gebe. So hatte er's von je gehalten und diesem Gebrauche mochte auch
zum großen Theil die musterhafte Wirthschaft zuzuschreiben sein, welche auf dem Hofe
überall DD und Mareili in der Küche war, schüttelte die Letthofbäuerin,die im Stüblein
allein zurückgeblieben und das auf der Ofenbank liegende Bündelein Mareili's etwas genauer
untersuchte,bedenksam ihren Kopf, wol ob den Entdeckungen, die sie daran gemacht: das sei
doch auch gar zu bös! so arg hätte und es fiel ihr auf's Gewissen, was für eine schwere
Bürde sie sich mit dem Mädchen aufgeladen, besonders auch ihrem Alten gegenüber. Indeß war
sie bei aller Milde und Gewissenhaftigkeit durchaus keine verzagte Frau, sie beschloß,nur
um so fester anzugreifen, nur um so getreuer auszuharren und die Enkelin ihrer ehemaligen
Gespielin zu einer rechtschaffnen Christin und einem brauchbaren Menschen zu erziehen.Mit
gutem Gewissen wollte sie einst vor Gottes Richterstuhl und die längst verstorbne
Jugendfreundin treten und Rechenschaft ablegen von dem Amte, das sie jetzt übernahm. Sie
rief zu dem Ende die alte Vren in's Stüblein, die schon über oierzig Jahre auf dem Hofe
diente und als ihre rechte Hand galt, indem sie mit Wohl und Wehe des Hauses und dem Thun
und Denken ihrer Meistersleute fast in Eines verwachsen war. Dieser überband sie nun die
nächste Aufsicht und Führung des neuen Ankömmlings und ließ sich durch das etwas
Hatte zwar die alte Vren eine gewichtige Stimme im Capitel und versäumte sie auch nicht dieselbe nöthigenfalls ungefragt geltend zu machen, selbst der Meistersfrau entgegen,so wußte sie doch auch aus langer Erfahrung, und merkte den Fall schon am Tone ab, wo eine Einfprache vergeblich war und sie mit Kopfschütteln, einigem Brummen und andern einzelnen Zeichen von Mißvergnügen, welche sie frei hatte,sich begnügen mußte. Mit solchen ließ sie es auch jetzt bewenden, als sie die Stube verließ und dabei die Thüre etwas fester als gewöhnlich hinter sich zuzog. Auch in der Küche schien, dem Klirren und Schmettern nach, nicht Alles am rechten Orte zu stehen und wenn in der Folge Mareili am Bache nicht gründlich aller Unreinlichkeit durch den Strohwisch, dessen sich die Vren bediente, erledigt ward, so konnte man sicherlich der alten Magd nicht Schuld dran geben, denn am nachdrücklichen Reiben ließ sie es nicht fehlen, wie die überströͤmenden Augen und die rothen Striemen des Mädchens am deutlichsten bewiesen.
Die Bäuerin aber, nachdem sie vom Brette über der Thüre die alte messingbeschlagne Bibel
heruntergelangt, setzte sich ruhig an's Fenster und schlug das Buch auf, darin es
Schon in den nächsten Tagen schien sich auf dem Letthofe etwas verändert zu haben, ohne daß so recht deutlich zu sehen war was denn eigentlich. Mit der Ankunft Mareili's war in das friedliche Leben, da nach altem Brauche ein Tag wie der andre verlief, etwas gekommen, das, wie ein Sandkörnlein in einem Räderwerke, die alte gefestete Ordnung, den ruhigen Gang zwar nicht unterbrach, aber doch ein leichtes Knirschen,ein Reiben, das ihm sonst fremd gewesen, hervorrief. Es sah beinahe aus, als wäre das herbstliche unfreundliche Wetter von draußen da und dort in die heitre Stille des Hofes hereingedrungen und hätte in Scheune und Küche, selbst im behaglichen Stübchen, gelegentlich ein Stück Nebel zurückgelassen.Dem alten Bauern sah man zwar von außen nicht viel an,noch weniger war Andres von ihm zu hören. Er ging seinen alten Gang Morgens und Abends, war der Halt und das
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Haupt des ganzen Hofes wie immer. Nur wer ihn so genau kannte wie seine Frau, der
bemerkte doch, daß er etwas stiller war als sonst und abgemessener, der sah seinem Blicke
an,daß er beobachtete und seinen Mienen, daß er nachsann, fast wie Einer, der auf seiner
Hut ist. Indeß er äußerte sich in keiner Weise sonst; daß aber Mareili die Ursache dieser
Veranderung war und diese, durch das Mädchen, nicht minder der Letthofbäuerin galt, das
blieb letzterer selber am allerwenigsten verborgen. Denn wie Mareili für sich scheu,
mißtrauisch war, auswich und wortkarg nur im Winkel herumhockte, so verstimmte es mit
seiner Verstimmung und seiner Unfreundlichkeit, bei dem einförmigen und nahen
Zusammenleben auf dem Hofe, ebenso auch alle Andern. Die Letthofbäuerin aber war es,
welche es herbeigezogen und der es nicht gelang, die störende Einwirkung zu verwischen.
Die Knechte zwar achteten nicht gar viel des neuen Ankömmlings, indem sie ihn übersahen.
Sie lachten und spotteten wol über die neue Nachfolgerin Vrenes, wie sie Mareili
scherzweise nannten und die alte Magd mit dem verwilderten Mädchen aufzogen,indem sie sie
fragten, ob sie einst auch so gewesen sei? oder meinten: Mareili lasse sich gut an, auch
so freundlich zu werden wie Vrene, welche freilich manchmal barsch genug mit dem jüngern
Gesinde abgefahren und nun so ihr Altersvorrecht zu büßen bekam. Vren, die von Anfang an
der Bescheerung wenig Freude gehabt und nur schwer ihren Widerwillen heruntergewürgt, kam
durch solche Sticheleien vollends außer sich und sie rührten ihr die Galle kübelweise auf.
Es schien völlig ein böser Geist in sie gefahren zu sein, und alle Anfälle von Koller, auf
zehn Jahre zurück, waren gegen ihr
Die Meistersfrau sah und hörte dem Treiben eine Weile geduldig zu und meinte, am Ende
werde Vren wol müde werden und von selber wieder zur Vernunft kommen, jeder Mensch habe
seine Mucken, schlage man gegen die, so surrten sie nur um so ungestümer und lästiger.
Bürschchen, die noch nicht trocken hinter den Ohren seien und Maägde, die yoch die
Milchzähne hätten, begehrten ja jetzt auf und meinten, die ganze Welt sollte sich nach
ihnen richten oder wenigstens vor ihrer Ungnade erschrecken; da dürfe einer alten Magd,
die oierzig Jahre treu und redlich zu Menschen und Vieh gesehen,auch etwas zu Gute
gehalten werden, besonders wenn sie daneben doch für einen durch's Feuer liefe! Als es
aber mit dem Stürmen und Poltern kein Ende nahm, sondern womöglich noch ärger wurde und
sogar der Letthofbauer bei einem Anlaß bemerkte: so fange es ihm bald an zu verleiden! da
beschloß die Bänerin doch mit der Vren zu reden. Sie that es aber nicht vor Andern,
fondern wartete einen Augenblick ab, wo der Bauer nicht im Hause und die Knechte in Stall
und auf Feldern beschäftigt waren. Dem Mareili hatte sie hinter dem Hause eine
Beschäftigung angewiesen
In diesem Tone ging's noch eine Weile und es wäre keine Möglichkeit gewesen, mit dem
schärfsten Scheermesser dazwischen zu fahren, geschweige mit einer gewöhnlichen Zunge,so
ununterbrochen lief Alles am gleichen Fädlein fort. Den Vortheil aber hatte es, daß Vren
sich merklich erleichterte und ihr Gemüth selber weich machte, so daß sie gegen das
Ende,als ihr der Odem ausging, in Thränen ausbrach, wie wenig die sonst in ihrer Natur
lagen. Die Bäuerin, die lange nicht recht wußte, was der alten Magd denn eigentlich im
Kopfe stecke, merkte endlich doch, die Ursache des ganzen Verdrusses müsse Mareili sein,
von dem Vren meinte, es werde nun an ihre Stelle kommen, oder wenigstens ihr einen Theil
ihrer Verrichtungen abnehmen, darauf sie so eifersüchtig war wie eine achtwöchige junge
Frau auf ihren Ehemann. Nachdem Frau Ann erst große Augen gemacht, mußte sie endlich
herzlich lachen: „O Vrene, Vrene! bist doch immer das gleich thörichte Mädchen wie vor
fünfundzwanzig Jahren, da du bei Nacht und Nebel auf- und davonlaufen wolltest, weil ich
am Abend zuvor, eh' mein Lisebethli auf die Welt kam, nicht von der Zwiebelwähe essen
mochte, drauf Speck und Zwiebeln daumensdick lagen, obschon du doch selber sie gemacht
hattest,sondern mir ein Süpplein kochte. Sieh doch nur das Mareili an, was für ein
verwahrloster Tropf das ist! Ja, das wäre mir eine Hauptmagd das! Für dessen Geköch würde
sich sogar der Rinki bedanken. Und wie's mit der Ordnung und der Reinlichkeit bei ihm
steht, das konntest du selber am besten sehen; lieber Gott! das Mareili und Haus und Hof
besorgen! Nein, Vren, wenn das dein Feind sagte, ich wollte dir's nicht übelnehmen, wenn
du ihm die Augen auskratztest;
So gab ein Wort das andre bis der Friede geschlossen und die Allianz, wenn auch ohne besondres Aufsehen, befestigt war. Die Mellgeschirre und Milchbecken schienen auf einmal einen sammtnen Ueberzug erhalten zu haben, als Vren am Ende der Verhandlungen ihre Geräthschaften zusammenräumte und die Kellertreppe hinanstieg, mit dem festen und redlichen Vorsatze, ebenso herzhaft wie sie jngst am Bache den Strohrübel bei Mareili in Anwendung gebracht, denselben auch künftig an Seele und Leib bei ihm zu handhaben aus guter Christenpflicht und dem sauern Gesichte des Letthofbauern zum Trutze.
Es hielt indeß mit Mareili zähe, indem es doch schon dreizehn bis vierzehn Jahre in seiner Weise festgewachsen war und nicht den guten Willen hatte, davon abzugehen, sondern sich feindlich gegen die neue Umgebung verschloß. Wer sich so lange an Herumziehen und Tagedieben gewöhnt, von Ordnung und Fleiß nie was gewußt noch gesehen, sein täglich Brot vor fremden Thüren gebettelt oder von fremden Bäumen und Feldern gestohlen, zwischenein herumgelungert und die
Brenzflasche als den Zweck des Lebens praktisch kennen gelernt, dem schmeckt ungewohnte harte Landarbeit nothwendig sauer, dessen kräftige und junge Glieder ermatten gar bald bei anhaltender Beschäftigung. Fast noch unlieber aber als auf Feld und Acker arbeitete das verwilderte Mädchen in Küche und Haus, war es doch da unter den Augen und in der Nähe der Meisterin und obendrein noch eingeschlossen. Güte und Ernst schienen gleich wenig verfangen zu wollen und mußte Mareili mehr als einmal mit schwarzer Luftsuppe zu Bette gehen, nach dem Spruche des Apostels Paulus: „wer nicht arbeitet der soll auch nicht essen!“ so hatte das Mädchen viel zu oft schon ebenfalls gehungert, als daß eine große Veränderung darauf eingetreten wäre. Ja, hätte der Letthofbauer diesen Spruch nicht mit so großer Kaltblütigkeit geltend gemacht, so wäre sein Aerger dem boshaften Wildfange eher noch eine Aufmunterung als eine Abschreckung gewesen.
VI.Der Rinki thut seine Schnldigkeit und der Schwächre gibt am Ende nach.Es war am Ende
eines trüben Tages als nach dem Abendsegen die Knechte schweren Trittes sich in ihre
Kammern bereits zurückgezogen und dabei den Rinki mitgenommen hatten.Der Bauer saß noch
auf der Ofenbank und rauchte seine Pfeife in regelmäßigen Absätzen, die Bäuerin mit Vren
aber
Lächeln, während die Knechte ihre Waffen so gut möglich vor dem Scheine der Laterne verbargen und Vrene aus dem hintern Gliede herzhaft in die Front trat und dem Mädchen die Kleider nothdürftig zurecht zog. Die Bäuerin aber hieß die Bursche wieder zu Bette gehen und führte Mareili in die Stube zurück, voran mit keckem Schritte jetzt Vrene, die Laterne in der Hand. Bis zur Thüre indeß schritt in Siegesgefühl und im Bewußtsein seines wolgeübten Wächteramtes der Rinki,eins nach dem andern hinter sich wolgefällig ansehend und selbst gegen Mareili gelegentlich wedelnd, als wär's im Uebrigen nicht so böse gemeint gewesen.
Es ergab sich nach einigem Lügen und Verwickeln in den Aussagen, daß Mareili den Augenblick, wo die Knechte in ihrer Kammer, die Meistersleute aber mit der alten Magd noch in der Stube waren, dazu hatte benutzen wollen, seinen gezwungnen Aufenthalt auf dem Letthofe zu verlassen und bei Nacht und Nebel nach Lümpischwyl zu den Seinigen und in die alte Ungebundenheit und Tagdieberei zu entfliehen.Der Rinki aber, den es aus seiner Rechnung gelassen, hatte ihm da einen gar argen Strich durch dieselbe gemacht. Denn obschon er und Mareili sonst friedlich an einander vorbeigingen, das kluge und wachsame Thier mußte doch etwas Ungerades vermuthet haben, als das Mädchen in der Dunkelheit so leise und dem Hause nachstreichend über den Hof gegen die Gatter schlich und nicht, wie doch der Brauch gewesen,dieselbe mit dem Schlüssel öffnete, sondern sich anschickte darüber weg zu klettern. So sei noch Niemand Ehrlicher vom Letthofe weggegangen, mochte der Rinki bei sich überlegen,weßhalb er den Flüchtling plötzlich hinten am Rocke wieder
Meyer-Merian, Mareili.
Ueber diesen Fluchtoersuch machte der Letthofbauer Mareili keine besondern Vorwürfe oder Zusprüche, der Rinki, mochte ihm scheinen, habe da für das Nothwendige schon hinlänglich gesorgt und ihm das Weitre erspart. Das Benehmen der Meisterin ließ ebenfalls keine Aenderung wahrnehmen, im Gegentheil, eine Art von Bedauern vermehrte noch ihre sonstige Güte und Nachsicht. Vrene allein schien sich in ihrer Weise für den ausgestandenen Schreck einigermaßen entschädigen und die Anzüglichkeiten der Knechte über ihren, hinterrücksen“ Heldenmuth aufwägen zu müssen.Sie suchte deßhalb dem Mädchen mit allabendlicher Erzählung von schauervollen Mord und Spulgeschichten die Haare zu Berge zu treiben und ihm so die Lust für ähnliche Ausreißereien ein für allemal zu benehmen.
Auf Mareili selber, nachdem ihm nur erst der große Schreck wieder aus den Gliedern
gewichen war, hatten weder Liebe noch Furcht einen besonderen Einfluß, es schien sich in
seinem Trotze noch mehr zu verschließen als vorher, wenn es
Nach dem Vorfalle mochten etwa drei, vier Wochen verstrichen sein und Vrene ihren Vorrath von Gespenster und Räubergeschichten nahezu verschossen haben, als eines Abends Mareili nirgend zu finden war. Gleich nach dem Mittagessen hatte die Bäuerin es in's Dorf hinübergeschickt um Salz zu holen und ihm das Geld dazu und ein Säcklein mitgegeben.Es war ein schöner Novembertag, so einer, der den Wintermonat vergessen macht und in den Herbst zurückversetzt mit seinem milden Sonnenschein, dem blauen Himmel und der reinen Luft. Da bisher kein ordentlicher Schnee gefallen,so standen die Matten noch in hellem Grün, die Tannen auf den Höhen hin hatten ohnedieß ihr Gewand noch an und wenn der Buchwald auch kahl war, die Luft war so duftig,der Sonnenschein so lachend, daß man bei dem rothen Schimmer und den sanften Schatten den Mangel nicht einmal recht gewahrte. So ein heller schöner Tag, der wie ein Stück des verlorenen Paradieses in die grauen und rauhen Novembertage hineinbricht, hat eine gar wundersame Macht, erweckt auch alle die Gefühle und Triebe und Pläne wieder, die man im Herzen schon ergebungsvoll für ein Jahr zur Ruhe gebettet und lockt hinaus und hinauf auf die Höhen, über die Matten, wo kein ängstlicher Pfad mehr den Fuß und mit ihm
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Schritt und Tritt beengt und schließt die weite Welt noch einmal auf, indem er den
Nebelvorhang an den goldnen Schnüren der Sonnenstrahlen hinwegzieht. Ein ähnliches Gefühl
mochte das alte Herz der guten Letthofbäuerin angeweht haben und wenn sie selber auch
gerne drunten und in der behaglichen Beschränkung ihres Hofes blieb, so empfand sie doch
noch so viel davon, daß sie Mareili die Freude gbnnte, hinauszulaufen in den schönen Tag,
zu athmen die reine frische Luft und die jungen Glieder drin zu regen und zu bewegen.
Deßhalb hatte sie ihm den Auftrag nach Kestenhofen gegeben. Und Mareili, in dessen wildes
Herz die Sehnsucht nach den Bergen und der Freiheit allerdings im Freien draußen bald
genug eingezogen, machte sich die Absicht der Meisterin nur zu sehr zu Nutze, indem es
sich nicht allein den bescheidnen Spaziergang nach Kestenhofen gefallen ließ, sondern bei
der schönen Gelegenheit das Weite suchte, dießmal von keiner Gatter gehemmt und von keinem
Rinki zurückgehalten.Vergebens war, als es zu dunkeln begann, die Bäuerin wiederholt an's
Fenster getreten und hatte nach dem Hofthor kammer hinaufgestiegen von wo man den sich
schlängelnden Weg bis in den waldigen Hügel, in den er sich verlor, hinein verfolgen
konnte und hatte ihre alten Augen angestrengt, das Dunkel zu durchdringen und auf dem
hellen Sträßlein noch das rückkehrende Mareili zu entdecken. Es war nichts zu sehen und
Niemand wollte kommen. Ihre Unruhe wuchs,wie sehr die erfahrne Frau auch äußerlich sie zu
beherrschen verstand, als das Essen aufgetragen ward und die Knechte
Knirschen der durchschnittnen Brotrinde, blieb diese denn auch nicht länger aus.„Mareili
wird schwerlich wiederkommen,“ hub der Bauer an, und als die Frau schwieg fuhr er fort:
„So hat man's mit dem Erziehen fremder Kinder; ich hab's am Anfang gesagt, wie's komme,
aber es hat müssen sein. Man stellt sich's vorher gar leicht und schön vor; sind sie indeß
nur halb aus dem Unrath herausgezogen, so ist dies der Lohn für all die Mühe und Unlust.
Art läßt einmal nicht von Art und einfältige Bauersleute sollen froh sein, wenn sie vor
der eignen Thüre gewischt haben.“So sprach der Letthofbauer, ruhig, trocken und in
einzelnen Absätzen, zwischen denen er seine Pfeife im gehörigen Gange erhielt.Ruhig hatte
ihn Frau Ann angehört, als er aber geendet,da ließ sie die Hände mit dem Brot und dem
Messer in ihre Schüssel sinken, hob den Kopf empor und blickte fest nach dem dunkeln
Winkelchen hin, wo ihr Alter am Ofen saß. „Müh'und Unlust hat Niemand mehr gehabt von dem
Mareili als ich und doch reut's mich nicht, daß wir's aufgenommen. Ich hab's auch nicht
aus Vergnügen gethan, aber als ich von dem Elende gehört, da sagte ich zu mir selber: wenn
das eins von meinen Kindern beträfe! Und es ist mir nachgegangen,ich habe denken müssen,
wie gefällig wir dagegen mit unsern Kindern gewesen. Desselben Abends las ich in der Bibel
die Stelle: „was ihr gethan habt Einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt
ihr mir gethan;“ und es lam mir wie eine Schuld gegen Gott vor, daß ich mir vor
Die Bäuerin hatte die letzten Worte mit gehobner, ja fast feierlicher Stimme gesprochen und über ihr sonst ruhiges und wohlwollend behagliches Gesicht war ein eigner Ausdruck D Rede und Gegenrede blieb es auch, der Alte rauchte seine Pfeife zu Ende und die Frau schnitt ihren Laib Brot für die Morgensuppe vollends ein; nachher begaben sich beide zur Ruhe, des heutigen Vorfalls mit keiner Sylbe mehr erwähnend. Auch am folgenden Tage war nicht Rede davon. Den dritten Vormittag sah man den Letthofbauern auf dem Hofe einige Vorkehrungen treffen, die er sonst am Nachmittag abzuthun pflegte, ebenso trug er Einiges den Knechten auf, was er gewöhnlich selber ausführte. Nach dem Imbis holte er seine guten Schuhe herein und langte hinterm Ofen den Hut bom Rechen herunter, zugleich schnitzelte er Tabak in seinen ledernen Beutel. Da der Meister selten ausging, es sei denn,daß ihn ein besondres Geschäft dazu nöthigte, er ferner kein Freund war, weder von viel fragen noch antworten, so erkundigte sich die Bäuerin beim Knechte, ob im Stalle etwas vorgefallen, oder noch ein Stück Vieh herbei solle? es sei im Herbste einmal davon die Rede gewesen. Der Knecht aber wußte nichts. Als der Alte indeß nach seinen Kamaschen fragte,benutzte die Frau diese Gelegenheit: ob er Abends zeitlich wiederkomme oder man mit dem Essen auf ihn warten müsse?
Er wolle nach Lümpischwyl, antwortete der Bauer, er habe mit dem Müller noch eine alte Abrechnung und dann könne er auch nachsehen, ob das Mareili dort sei, er denke
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Abends zu rechter Zeit wieder zurück zu sein, vielleicht bringe er das Määdchen mit.
Frau Ann kannte ihren Mann zu gut, als daß sie nur ein Wörtlein ihm in die Sache hinein geredet hätte, auch nicht einmal eins des Beifalls oder der Erkenntlichkeit, wer aber ihr Herz hätte sehen können, dem würde dieses vorgekommen sein nicht anders als ob die Sonne eben darin aufgegangen wäre. Der Meister indeß zog ruhig ab, bis an den Grenzstein hatte ihm der Rinki noch das Geleite gegeben, war dann,nachdem er vergebens gewedelt, stehen geblieben und hatte dem Herrn nachgeblickt, halb in der Hoffnung, der werde sich noch umkehren und ihn mitkommen heißen. Der Herr aber kehrte sich nicht mehr um, die mächtige Gestalt, uum welche kleine Tabakswölklein von Zeit zu Zeit, wie Nebelchen um eine Fluh, flatterten, schritt unvderwandt des Weges dahin,der Schlucht zu und als sie in dieser endlich verschwand, ließ der Rinki traurig den zottigen Schweif hängen, wandte um und trabte langsam wieder nach dem Hofe zurück.
Wol war Frau Ann die Hauptursache, daß der Letthofbauer sich aufmachte, das Mareili in
Lümpischwyl selber wieder zu holen und nicht mit Unrecht glänzte den ganzen Nachmittag
jener stille Freudenschein auf ihrem Gesicht, der den Sieg der Weiber über ihre
widerstrebenden Männer zu begleiten pflegt. Auch soll der braven Frau ihr Triumph nicht
geschmälert werden, aber gleichwol hatte noch ein andrer Grund zu dem Entschlusse des
Alten mitgewirkt. Wie wenig ihm Mareili für seine Person zusagte und er's noch nicht
vergessen, daß ihn seine Alte mit dessen Aufnahme halb überlistet, das Mädchen war nun
einmal doch auf dem Hofe,
In Kestenhofen, wo der Meister zunächst Mareili nachfragte, fand er Geld und Salzsack
beim Krämer: das Mädchen sei vorgestern dagewesen, habe beides niedergelegt und gesagt, es
werde es nachher Jemand wieder abholen. Er setzte seinen Weg nach Lümpischwyl fort, wo er
zunächst zu seinem Kunden, dem Müller ging, sein Geschäft mit ihm in's Reine brachte und
nach der Familie und dem Aufenthalt des Toni sich erkundigte, dabei zu gleicher Zeit von
der Anwesenheit des Flüchtlings Kenntniß erhielt. Der Beschreibung nach war die Wohnung
leicht zu finden: hinter einem alten verfallenden Hause mit tief herabgehendem, von Moos
und Gras und Blumen dicht besetztem Dache stand noch ein Anhängsel,dessen fehlende Ziegel
durch faule Bretter ergänzt und dann die Löcher in der Mauerwand mit Lehm und Moos
nothdürftig ausgestopft waren. Eine der Gebäulichkeiten schien sich an der andern zu
halten, es wäre nur schwer zu sagen gewesen welche? Wahrscheinlich wäre jede
zusammengefallen,
Stroh, halbfaules, schmutzige Bettstücke und Lumpen, die vielleicht Kleider bedeuteten,
ein zerbrochner Tisch und dreibeinige Stühle, rußiges Kochgeschirr und ein paar ungleiche
Kaffeeschüsselchen, die nach Brenz rochen und ihre Ohren eingebüßt hatten, ein Korb ohne
Boden und ein zusammengefallner verlechneter Züber, daneben ein Haufen Rüben, aufgelesenes
Reisig und ausgerissene Zaunpfähle, dieß Alles,und wer weiß was sonst noch, lag und stand
durch- und übereinander, als ob erst eine Bande Kroaten Hausdurchsuchung gehalten hätte.
Unter den Hudeln auf der Streu schnarchte Etwas, das doch wol ein Mensch sein mußte, denn
zwischenein gab es einen Fluch oder ein irres Wort von sich und ein paar andre größre und
kleinere Gestalten hockten da und dort am Boden oder in den Ecken herum. Eine davon war
Mareili,es erblickte den Eintretenden zuerst und rief erschrocken: „der Meister!““ Das
half diesem auch auf die Spur und nach einem kurzen Grüßgott ging er gerade auf Mareili
zu, ohne sich um die Andern viel zu kümmern, legte ihm seine schwere Hand auf die Schulter
und sagte: „du kommst mit!“ Hierauf wandte er sich und ohne nach dem Mädchen weiter zu
sehen, schritt er nun wieder aus der Stube, oder dem Stalle,oder was die Spelunke sonst
vorstellen sollte, in's Freie. Und richtig stand Mareili draußen auch hinter ihm, es war
dem Alten gefolgt ohne es nur recht zu wissen und ohne zu wollen.
Niemand hatte ihm früher daheim je so recht befohlen, es darum auch Niemandem recht
gehorcht; von Befehlen und Gehorchen hatte es auf dem Letthofe zum ersten Mal einen
Begriff bekommen und der Respekt vor des Letthofbauern Wort und Gebot hatte sich bei ihm
bereits so festgesetzt,war ihm nachgegangen, selbst mitten unter die Seinen zurück,und
zwang es unwillkürlich, dem Meister zu folgen. Die Angehörigen hielten es in ihrer ersten
Ueberraschung auch nicht davon ab, am letzten der Vater, denn dieser war es,der betrunken,
auf dem Boden schnarchte: sogar für die Andern lag im Auftreten, in der Miene und dem
Ausdrucke des Letthofbauern etwas, das dem Gehorsam gewaltig nachR oorwagte.Der Alte
schlug mit dem verblüfften Mädchen den Weg nach Kestenhofen ein. Ohne viele Worte gingen
beide neben einander her, Mareili aus Furcht und Trutz schweigend, der Bauer, weil er
einstweilen nichts zu sagen hatte. Erst in Kestenhofen, vor dem Hause des Krämers, hieß er
seine Begleiterin hineingehen und nun den Sack und das Salz holen,er wolle warten! Mareili
kam mit dem Salzsacke auf dem Kopfe wieder heraus, sie setzten ihren Weg durch's Dor fort
und verfolgten dann das Sträßchen, das nach dem Letthofe abging. Als sie in die
Waldschlucht, welche das Nebenthal von dem Hauptthale trennt, einbogen, verkürzte der Alte
etwas den raschen Schritt, den sie bisher gegangen, und sprach zu dem Mädchen in seiner
festen Weise, der man es anhörte, daß jedes Wort galt als wär's schriftlich
gegeben:Dießmal hab' ich selber noch dich geholt, läufst du wieder
1 fort, so wird dich der Landjäger bringen, zähl darauf! denn wenn du zehnmal fortläufst, du bleibst auf dem Letthof, das ist gesprochen. Du siehst noch nicht dein Bestes ein, bist noch zu jung und einfältig, aber den Unterschied vom Letthof und wie's bei euch in Lümpischwyl aussieht, den kann auch das Dümmste merken. Arbeiten mußt du, ja freilich, und an Ordnung und Zucht dich gewöhnen, da geht nichts ab; so ist's auf dem Letthof von je der Brauch gewesen und du wirst ihn nicht ändern. Dabei hast du Essen bis genug und was sich etwa sonst noch gehört; man wird dich nichts mangeln lassen. Für die Zukunft aber sollst du ein ehrlich Auskommen finden durch deiner Hände Arbeit und, will's Gott, zuletzt ein selig Ende. Die Meisterin meint's wol mit dir, die halte in Ehren und schau auf sie in Allem, denn ihr hast du's zu danken, wenn etwas andres aus dir wird als ein Bettelmensch oder noch Schlechteres!“
Sie traten jetzt aus dem Hohlweg und über den niedern Tännchen breitete sich das Thälchen mit dem stattlichen Hofe vor ihnen aus. Der Meister faßte sich bei diesem Anblicke kurz zusammen und sprach: „Mach jetzt wie du willst, aber einen Weg muß es gehen, mit Güte oder mit Strenge, und beides, Guthaben und Schlechthaben liegt in deiner Hand,merk's! sieh, dort ist der Letthof!“
Auf dem Hofe angelangt, that Niemand dergleichen als ob etwas besondres vorgefallen, die
Meisterin bot einen guten Abend und hieß Mareili das Salzfaß füllen, der Rinki wedelte
vergnügt um seinen Herrn herum und machte vor Freude ein paar ungeschickte Sätze; selbst
um das Mädchen schnupperte er im Vorbeigehen einen Augenblick freundlich. Die Knechte
Und so ganz Unrecht sollte Vren auch nicht haben.
Nur die Ueberraschung hatte Mareili's Widerstand gelähmt, die Furcht seine Zunge
gebunden; jetzt wieder, auf dem alten Boden, der es so unter den Füßen gebrannt,und als
der Meister den Rücken gekehrt, im Stalle und Hofe den gewohnten Geschäften nachging,
Niemand auch um das Mädchen war als Vrene und in der Entfernung die gutmüthige Meisterin,
jetzt wieder brachen die verhaltne Scham und Wuth und der alte Trotz gewaltsam hervor. Es
brauche Niemand sich seiner anzunehmen! begehrte es auf;
Solches vermessene Reden bot der alten Magd die schönste Gelegenheit nachzubessern in dem
was Meister und Meisterin ihrer Meinung nach versäumt. „Schweig mit den Lästerreden,du
gottloses Maul!“ fuhr sie über das Trutzende her; „denke wie män dich aus dem Miste
gezogen, drin du verfault wärest! Eins, das die Landjäger auf dem Schub gebracht und das
wie ein Wildes aufgewachsen, will noch aufbegehren und droht mit ich darf nicht sagen was.
An's Schellenwerk gehörst du, ja, aber nicht in ein christliches Haus!“ Vrene meinte
wieder den bewährten Strohrübel brauchen zu müssen, aber Mareili war zu ergrimmt, als daß
der gehörig wirken konnte, es war nur Oel in's Feuer geschüttet, der Wildfang schrie und
schimpfte noch ärger und Eins suchte bald das Andre zu überbrüllen. Vrene, bei der der
mündliche Unterricht mit der Geduld dem Ende zuging, war drauf und dran, ihre Gründe und
Vorstellungen mit ein paar faßlichen Maulschellen eindringlicher zu machen, da erscholl
aus der Stube her die Stimme der Meisterin ein, zwei Mal rasch und laut hinter einander
und rief nach Vren. Als diese,zwar unwillig über diese Störung, mit rothem Kopfe in die
Stube trat, kramte da die Bäuerin unter einer Menge von Säcken und Säcklein herum, die sie
aus dem Kasten der Fensterbank hervorgezogen. Wo denn auch der Kümmel sei? fragte sie
während des eifrigsten Suchens die Eintretende.Ausgehends der Woche komme der
Krautschneider, sie habe
Vren wollte von dem Kümmel nichts wissen: er müsse bei den andren Säcklein sein; als vor
vierzehn Tagen die Meisterin Bauchweh gehabt und sie ihr eine Kümmelbrühe gekocht, habe
sie richtig das Säcklein wieder in die Sitzbank oersorgt und seither mit keinem Finger
angerührt! Gleichwol DDD es schien fast, als werfe diese immer wieder die Säcklein
durcheinander, das kein Mensch wissen konnte, was erlesen war und was nicht von den Saamen
und Gewürzen allen,die da eingebündelt lagen. Endlich unter einem Haufen, von dem Vren
gemeint, daß sie ihn wenigstens schon zehn Male durchsucht, fand sich das Gesuchte, als
aber die Bäuerin den Bendel losknüpfte und mit der Hand in den Beutel griff,nach der Menge
sich zu erkundigen, da stieß sie mit Vrenes Ellbogen ungeschickt genug zusammen und die
Körnlein fielen auf den Boden heraus. Daß die Finger einer alten Bäuerin und einer noch
ältren Vren nicht die geschicktesten Instrumente find, kleine Kümmelkörnlein von der Erde
schnell aufzulesen, das ist begreiflich, es dauerte deßhalb eine graume Zeit bis sie damit
zu Ende gekommen und derweilen konnte der Zorn und die Streitlust Vrenes prächtig
verkühlen und die ruhigste Kaltblütigkeit wieder die Oberhand bei ihr gewinnen.Indeß auch
Mareili draußen wurde allgemach stille, dermalen allein zu toben den Meisten doch gar zu
undankbar vorkommt.Die Ruhe bei dem Mädchen war inzwischen nur eine ganz äußerliche und
daß eigentlich sonst Niemand von seinem Toben
VII.Die Lehrzeit oder Tropfen höhlen Felsen aus.Das Eis war gebrochen und von da ab schien Mareili sich in seine neue Lage ergeben und auf die Heimat und das frühere Leben verzichtet zu haben, ob auch mit widerstrebendem Herzen und feindlichem Sinne gegen die neue Umgebung. Es machte keinen Versuch mehr zu entfliehen, war mit seinen Gedanken jetzt nicht mehr in der elterlichen Lumpenwirthschaft,strebte nicht länger mit allen Sinnen nach der hergebrachten Ungebundenheit, der altgewohnten Zuchtlosigkeit, sondern ergab sich allmälig darein, auf den Letthof zu gehören, hier daheim zu sein. Zwischen Einst und Jetzt, zwischen Lümpischwyl und dem Letthof ward eine Kluft befestigt, nicht nur durch den ziemlich weiten Weg vom Hofe nach dem heimatlichen Dorfe hinüber, sondern auch in Mareili's Geiste.
Damit indeß war erst der Eingang durch den Dornenhag gebrochen, welcher den steinigen und von Unkraut überwucherten Acker verschloß : das Jäten und Umfahren und Steine weglesen war damit noch nicht besorgt, noch weniger guter Samen ausgestreut und zum Keimen, Wachsen und Blühen,ja gar Fruchtbringen gebracht. Dabei erging es Mareili wie einem eroberten Lande, das dem siegreichen Könige als neuem Herrn sich wol unterwirft, seine Befehle annimmt und seine Verordnungen ausführt, inwendig aber immer das Gefühl nährt, daß es nur der Gewalt erlegen und der Herrscher eigentlich sein Feind gewesen und noch sei, trotz der in amtlichen Erlassen ausgehängten Vaterrolle. Darum begleitet es mit Mißtrauen jeden seiner Schritte, nimmt- jede Handlung als verdächtig auf und legt sie zum Schlechten aus. Gleicherweise verwehrte der trotzige Geist des Mädchens eine volle und rückhaltlose Hingebung und verlangsamte so den Erfolg und erschwerte die Fortschritte. Jener Stachel in seiner Brust giftete seine Zufriedenheit und stellte es doch immer wieder als ein Fremdes nebenaus von allen Andern, die Freud und Leid, Arbeit und Ruhe nicht nur theilten, sondern auch innerlich zusammentrugen und in gegenseitiger Mittheilung verarbeiteten, daß ein wohliges Daheimsein, ein sichres Behagen auch über das Fremdeste kam.
Es bedurfte der ganzen Macht der Alles besiegenden Gewohnheit um diesen Widerstand immer mehr zurückzudrängen,einzuschließen hinter sieben Mauern, die sie darum aufführte,ihn zu binden mit ihren unzerreißbaren Banden. Zwei Mächte,die feindlichsten der Welt, standen da einander gegenüber: die
I
Ordnung eines Bauernhofes und die Bauernsitte hier, die schlechten Gewohnheiten des
Vagantenthums dort. Jene vertreten von einem großen Hofe mit allen Bewohnern, diese in
einem einzelnen vierzehnjährigen Mädchen, abgeschnitten von allem Zuzug, umringt von
feindlichen Elementen auf fremdem Boden. Ein bessrer General als so ein Mareili hätte sich
hier nicht auf die Länge zu behaupten vermocht. Wenn der Letthofbauer befahl, so ging's
wie am Schnürchen, die Knechte gehorchten ohne Widerrede, man merkte es höchstens an den
etwas schwerfälligen Tritten, daß ihnen der Auftrag nicht so recht schmeckte, und es mußte
einem schon sehr wider die Haare gehen, wenn er ein Wort brummte, nachdem er um die
nächste Ecke gebogen, früher jedenfalls nicht. Auch die Bäuerin widerredete dem Alten
nicht, wenigstens nie vor den Leuten, höchstens fügte sie dem Befehle noch etwas bei,gab
so eine Art Auslegung dazu, wodurch eine Milderung,eine kleine Beschränkung oder
Erleichterung bezweckt wurde,ohne daß davon die Autorität des Meisters Eintrag erlitt.Von
ihr selber konnte man am wenigsten sagen daß sie befahl und man ihr gehorchte, obschon sie
die Haushaltung leitete.Sie war in der That die Seele derselben, die Seele aber sagt nicht
zum Fuß, zur Hand im Befehlshabertone: thue das,gehe dorthin! es ist da kein
ausdrückliches Gebieten, sondern es macht sich von selber, ja versteht sich von selber.
Die Bäuerin verstand es aus dem Grunde, ihren Leuten etwas zuzurüsten,unter die Hände zu
geben, daß die meinten, sie hätten es selbst genommen, oder es sei von selber gekommen und
hintendrein steif und fest glaubten, aus eignem Verstande es gethan zu haben, während die
kluge Frau sich mäuschenstille dabei hielt,
Haut nicht so verwöhnt, um dadurch sehr verwundet zu werden, eine handgreifliche Behandlung entsprach seiner Verwilderung und natürlichen Rohheit fast besser als der Bäuerin milde Art, die mit ihrer Liebe noch nicht in das verfinsterte und verwahrloste Gemüth hineindrang.
Auf dem Letthof war Jahr aus Jahr ein ein Tag wie der andre, ob man im Wintermonat auch die Frucht drosch,welche man im März gesäet und im August geschnitten. Im Sommer um vier Uhr und im Winter um halb sechs Uhr stand Vren auf, man hätte die Uhr darnach richten können, so wenig wich sie von der Zeit ab. Mareili, das bei ihr schlief,mußte mit ihr aus den Federn, wie sauer es dem trägen Mädchen schmeckte und wie mürrisch und verschlafen es am Anfang sich benahm. Das verstand sich einmal so auf dem Hofe, wer hätte da nach dem Gefallen oder Nichtgefallen eines Mareili's fragen wollen! Die Eintheilung des Tages,die Ordnung und Besorgung der Geschäfte verlangte dieß,es war gar nicht anders möglich, war natürlich so. Das Mannenvolk wollte zur rechten Zeit an's Frühstück sitzen und Vrene hätte sich in's Herz hinein schämen müssen und alle möglichen Anzüglichkeiten der unverschämten Knechte zu erdulden gehabt, wenn die nur zehn Minuten mit dem Kaffee oder der Suppe wären verzögert worden. Und es waren nicht die ungeduldigen Knechte allein, auch der Letthofbauer, der zur bestimmten Zeit den Morgensegen zu lesen pflegte, mit dem jedes Tagewerk begonnen ward, würde bei einer Verspätung ein sonderbares Gesicht gemacht haben und dieser Letthofbauer war der Einzige, gegen den Vrene nie einen Widerspruch in's Gesicht sich erlaubte, über den sie erst in ihrem Gebiete, der
Küche, zu knurren und brummen begann, oder auf dem neutralen Boden des Hühnerstalles und
Milchkellers. Das Mittagessen Schlag eilf Uhr war dann wieder solch ein unwandelbarer
gegebner Punkt und wie hätten sich die vielfachen Haus-, Garten, Feld- und Stallgeschäfte
je zwischen Morgenessen und Imbis eintheilen lassen, wenn nicht die pünktlichste Ordnung
wäre festgehalten worden! Da fiel keinem Menschen eine Aenderung ein, nicht einmal die
Möglichkeit einer solchen. Mochte Mareili schläfrig, lässig oder widerwillig sich geberden
wie es wollte, Niemand gab ihm für etwas Andres als der Brauch einmal war nur Gehör, es
kam nirgend an mit seiner Weise, und auf die Dauer ging's allein auch nicht.Gern oder
ungern, es wurde mitgerissen durch die Macht der VD0 wenn Vren das rechte Bein links
über's Bett hinaushob,sein linkes rechts aus den Federn ohne nur den Mund gen, ganz
natürlich so und Vren konnte beim Erwachen ihre Ellbogen so ruhig lassen, als ob sie
allein im Bette gelegen.Auf diese Weise ergriffen die feste Ordnung des einfachen
Bauernhauses und das gute Beispiel, das die Leute unabsichtlich gaben, Mareili noch an gar
manchem Flecke, oft ohne daß es eine Ahnung davon hatte. Die schärfste Polizeivorschrift
so wenig als die ausgesuchteste Erziehungsweise haätten einen so gründlichen Erfolg haben
können, wie diese gewöhnlichsten Hausmittel. Das erst erzwungne Guthalten in Ordnung,
Fleiß und Aufführung wurde dabei endlich zur Gewohnheit, zur andern Natur, gerade wie
vorher das lange Verharren unter den schlechten Einflüssen des elterlichen Kreises
Soviel in ihrem Vermögen stand half hiebei die geschickte und treue Hand der Bäuerin
nach, meist unsichtbar,aber beinahe allgegenwärtig und selbst der schweren, der guten Vren
kam ihr unbestreitbares Verdienst dabei zu. Daß sich indeß die Sache weder so schnell noch
so leicht machte, das empfand Niemand besser als gerade die Letthofbaäͤuerin, denn an
Rückfällen und Geduldsproben war kein Mangel. Nur wahrhaft christliche Liebe half ihr
überwinden, erstens den stummen Widerstand, dann alle die Untugenden, wie Trägheit,Lüge,
Dieberei. Um Mareili zum Fleiße anzutreiben konnte die Meisterin einmal zu ihm sagen:
„Wenn du mit dem Misten des Hühnerhofes fertig bist und Wasser in die Küche getragen hast,
so kannst du hereinkommen und dein Neunebrot holen.“ Oder ein andermal: „Du kannst im
Pflanzland die Bohnen brechen, sobald du sie hast, so sag' mir's, ich bin im Milchkeller,
es sind im Kratten noch eine Handvoll Kirschen von gestern.“ Und Mareili hatte einen viel
zu gesunden Appetit nach einem rechtschaffnen Stück Brot, wie nach einer Handvoll
Kirschen, als daß es sich nicht sollte beeilt haben,
Bei der natürlichen Rührigkeit und Anschickigkeit Mareili's war es fast weniger schwierig die angewöhnte Trägheit und Tagedieberei zu bekämpfen, als die Laster der Lüge und der auf Naschhaftigkeit begründeten Dieberei auszurotten. Diese waren ihm so zur andern Natur geworden und in's Fleisch hineingewachsen, daß es Anfangs schien, es betrachte sie nicht bloß als etwas, das keine Schande sei, sondern es wisse sie nicht einmal recht zu unterscheiden. Es hatte sich von
Kindsbeinen auf so in Lügen und Diebereien bewegt und war dazu von den Eltern angeleitet
worden, daß es des dauernden Aufenthaltes auf einem Letthofe brauchte wo solches geradezu
fremd war, um einzusehen, es sei denn doch nicht so ganz das Gewöhnliche und zum Leben
gewissermaßen Nothwendige.Die Leute hier hatten genug zu essen, man gönnte es ihnen und es
schien sogar der Bäuerin im Herzen wol zu thun,wenn thurmhohe Platten und unergründliche
Schüsseln rein abgeräumt wieder in die Küche wanderten. Aß einmal Eines nicht als habe es
von Morgens früh bis spät am Abend gedroschen, so erkundigte sich die Meisterin gewiß
theilnehmend,ob ihm was fehle und sie ihm einen Thee kochen solle? Dabei ward am Essen
nichts gespart, die Milch nicht bis auf's himmelblaue Wasser abgerahmt und ebensowenig mit
Salz und Butter gekargt. Es fiel darum Niemand ein, heimlich etwas zu nehmen, da offen
sich satt: zu essen so gute Gelegenheit war. Ueberdieß waren Meister und Meisterin überall
selber dabei und hatten scharfe Augen, die in alle Winkel und Ecken drangen, eines Jeden
Gang und Arbeit überwachten und nirgends Rost oder-Spinnweben, ja nicht einmal Staub sich
ansetzen ließen. Den größten Einfluß auf ihre Dienstleute übte das eigne gute Beispiel; es
gelte seine Sache, meinte der alte Bauer, also müsse er auch vorangehen! Es war noch die
alte Mode auf dem Letthofe gültig, wo der Kommandirende vor seinen Leuten steht, nicht
unsichtbar hinter der Front oder aus irgend einem entfernten Hauptquartiere seine Befehle
ertheilt und die Ausführung dem guten Willen oder Geschicke der Untergebnen überläßt. Es
war darum auch nirgend viel zu verheimlichen für diese, oder falsch zu berichten,
Schwarz in Weiß zu verwandeln, Niederlagen in Siegesbotschaften, wie dem Kaiser von China durch seine Mandarine nach Pecking gemeldet werden. Mit einem Wort, lügen war schwer und trug nicht viel ab. Aus dieser schlechten Gelegenheit und dem Abstande von seinem vorigen Leben lernte Mareili erst recht Lügen und Stehlen als etwas Unrechtes und Verwerfliches betrachten, es fing an, erst sich in Acht zu nehmen damit, darnach sich zu schämen, wenn es ertappt ward,und am Ende gewöhnte es sich's allmälig ab.
Ein eigner Trieb zu Stehlen hatte es lange jedesmal fast unwiderstehlich angewandelt, wenn es allein bei Milch, Butter,Eiern oder Obst sich gefunden, und eher hätte es Reue empfunden, die schöne Gelegenheit unbenützt vorbeigehen zu lassen.Ohne besondres Aufsehen paßte aber die Bäuerin auf, als sie das Uebel entdeckte, merkte sich die Verstecke unterm Strohsacke, in einem Winkel des Hühnerhofes, hinterm Immenhause oder in Büschen hier und da und sah dann von Zeit zu Zeit, oder wenn sie Verdacht schöpfte, dort nach. Fand sich etwas, so zog sie die Sachen hervor und indem sie mit Angabe des Ortes wo sie das Verdächtige gefunden, Mareili dasselbe zgab, hieß sie es das Gefundne an den Ort hintragen, wo es hingehörte. Dieß geschah in der Folge auch von den Knechten und von Vren und diese machten spöttische Gesichter genug dazu und ließen spitze und anzügliche Bemerkungen mitlaufen.Vren verschloß ihre Sachen in der Kammer sorgfältig mit dem Beifügen: seit etwas Zeit scheine es nicht mehr so sicher zu sein auf dem Letthofe, der Rinki lasse doch niemand Fremden herein, aber früher sei's nicht so gewesen, man hätte da keinen Schlüssel umgedreht, sie seien alle rostig geworden!
Mareili, das gar wol wußte, auf wen das gemünzt war,fing da an sich zu schämen, weniger daß es gestohlen, als daß es entdeckt war, offenkundig dastand unter der Last der allgemeinen stummen Anklage und man es nicht einmal der Prügel oder sonstiger Strafe werth achtete. Es verleidete ihm nach und nach.
Mit den Lügen erging's ganz ähnlich. Am Anfange kamen so dicke, daß selbst eine Vren
darüber stolpern mußte und man sie mit Handen greifen konnte. Allmãlig wurden sie feiner
und überlegter. Schöpfte aber die Bäuerin Verdacht, und ihr ruhiges Auge sah meist
richtig, so wurde Mareili ganz gelassen und ernst nochmals gefragt und es mußte das
Gleiche, die Lüge nämlich, wiederholen, wodurch sie ihm selber gleichsam vor die Nase
gehalten wurde. Den festen offnen Blick der Meisterin, der dabei auf seinem Gesichte
ruhte, ertrug es mit allem Trotze immer schwerer. Beharrte es gleichwol dabei, so schwieg
gewöhnlich die Bäuerin,es war aber noch nicht gewonnen, denn sie wußte meisterhaft nachher
aus andrer Zeugen Mund, ganz nur wie gesprächsweise, in Mareili's Gegenwart die Wahrheit
herauszubringen und ohne daß sie an das Verhör noch zu denken schien. Nur ein einziges
Wort hatte dann einen besondern Ton, ein Blick bloß fiel auf das schuldige Mädchen, wenn
die Wahrheit an den Tag kam, davor bei aller äußern Frechheit dieses doch jedesmal erbebte
und stückweise seine schlechte Gewohnbeit aufgab.So brachte fast durchgehends nur mit Güte
und ausschließlich mit Liebe die Letthofbäuerin das verwilderte Mareili in ein besseres
Geleise hinüber, darin es durch die Ge
Die Bäuerin aber lachte erst über dergleichen Ausbrüche von Vrens Eifer, der freilich weniger ihren Töchtern galt als dem Mareili. Dann aber ward sie doch ernster und sagte zu der alten Magd: „du hast Recht, mit meinen eignen Kindern war ich viel strenger und würd's noch sein. Aber meine Kinder wußten auch, wenn ich sie züchtigte, gar wol, wie lieb sie mir waren und sie liebten auch mich sehr. Mareili aber, der arme Tropf, kann das nicht wissen, weiß von Liebsein und Liebhaben überhaupt nicht viel, sein Herz ist mir noch fremd und oerschlossen, das muß ich behandeln wie ein Wochenkindlein und noch ein krankes obendrein. Schlaägt aber ein solches eigensinnig gegen den Löffel mit Arznei, so nimmt man auch nicht die Ruthe sondern geschweigt und kirrt es mit einem
Stücklein Zucker oder sonst etwas das ihm schmeckt und gefällt.“Vren schüttelte den alten Kopf und meinte nur so halblaut für sich; dann und wann eine saftige Ohrfeige, ein gründlicher Puff hätten doch auch ihre apparte Wirkung und beschleunigten die Besserung; Mareili sei nicht von so subtilem Teige, daß sie viel schaden könnten! In etwas mochte vielleicht Vren auch Recht haben und so viel war gewiß: Mareili,welches der Bäuerin vollauf Arbeit und Mühe verursachte,dessen sich diese gegen die Dienstleute und selbst den Letthofbauern so oft annehmen mußte, es stieg dadurch allerdings an Werth und Interesse für die brave Frau, welche Mutterstelle an ihm vertrat; schätzt man eine Sache doch besonders auch nach dem Preise, den sie kostet.
Die guten Anfänge im Einzelnen da und dort trugen zur Verbreitung und Beschleunigung der
Besserung bei, sie erzeugten für sich wieder Gutes oder erleichterten dessen Aufkommen und
Gedeihen, so daß auch zartre Keime nach und nach Wurzel schlugen, Dieß und Jenes sproßte,
das eines Schutzes, eines Haltes bedurfte, den es nun allmälig fand.Aehnlich läßt man in
einem umgeschlagnen Forste, der zu neuem Walde gedeihen soll, Saatbäume stehen, welche
zugleich den jungen Wuchs schützen mit ihrem Schatten vor zu viel Sonne, oder mit den
kräftigen Wurzeln an Halden vor Erdrutschen und Wassern. Für die Letthofbäuerin aber war
das Treiben jedes neuen guten Schosses der gefreuteste Lohn für ihre unverdrossene
Gärtnerarbeit und nur Eines verdarb ihr die Freude, das nämlich, daß das Mädchen ihr so
wenig offenes Vertrauen bezeigte, daß eine unübersteigliche Scheide
VIII.Kestenhofen. Krämer Stoll, eine Standesperson.Kestenhofen war ein ganz stattliches Dorf, das sich durfte sehen lassen, es hatte Häuser, mit Mauern und Ziegeldächern,versteht sich, wie man sie nicht überall im Lande fand. Des Krämers Stoll sein Haus hätte selbst einem Städtchen keine Unehre gebracht, seit er's gelb anstreichen und die Fenstereinfassungen und Fensterläden schön grasgrün malen lassen.Das Pfarrhaus verlor sich ganz dagegen und vielen Leuten gefiel auch seitdem das Rößlein nicht mehr so wol, trotzdem dieß das größte Haus war und der Schimmel auf dem goldverzierten Wirthsschilde keck genug in die Welt hinaussprang.Hinter den Häusern und Scheunen dehnten sich Baumgärten mit den kräftigsten Obstbäumen aller Art und Wiesen nebenan verstärkten noch den Eindruck von Fruchtbarkeit und Wohlhabenheit, den das Dorf und seine Gemarkung Jedem beim ersten Anblick machte.
Man hörte damals im Lande mancherlei Klagen bald lauter, bald leiser über das zunehmende
Branntweintrinken und die Verarmung und Verlotterung, welche die Folge davon seien. Wenn
man dabei auf einzelne Gemeinden besonders wies, so war Kestenhofen mit darunter. Viele
Leute zwar und auch solche, die Einfluß hatten und die Jeder als Ehrenmänner mußte gelten
lassen, Landräthe sogar, meinten, diese Klagen über das Schnapsen und sein Verderben seien
eigentlich doch auch viel Modensache, Jeder meine, er müsse in diese Trompete blasen um
sich ein Ansehen zu geben und stark
Andre aber entgegneten wieder hierauf: Wol stehen die Matten gleich schön grün um das Dorf her, die Bäume haben nach alter Weise volles und weißes Blust, der Himmel blaut und thaut wie von jeher über der Landschaft und die Vögel pfeifen die gleich fröhlichen Liedlein; man merkt dem Dorfe das Verderben nicht an so von außen, wo ja Alles freundlich und lieblich aussieht über den Schäden und der Noth, die unter der Hülle zehren und wie ein böser Ausschlag fortkriechen. Aber wer nicht nur auf Bäume und Matten sieht und vom Sonnenschein sich nicht blenden so läßt, daß er nichts in den dunkeln innern Räumen der Häuser zu unterscheiden vermag, der wird auch die Klagen über den Verfall und das Elend schwerlich sehr übertrieben finden!
Um zu wissen wer da Recht hat und wer Unrecht, wer die Wahrheit sagt und wer übertreibt oder übertüncht, wird es am besten sein, selber im Dorfe ein wenig herumzugehen und durch die Fensterscheiben und halboffenen Thüren in das innere Leben und Weben mit eignen Augen hineinzublicken,unbemerkt so viel als möglich und jedenfalls auch unange
Meyer-Merian, Mareili.
Der Krämer Stoll ist schon ein halber Bekannter, zudem hat da Jeder Eintritt, es wird
nicht abwegs fein bei ihm den Anfang zu machen, ohnehin da sein Haus so freundlich einen
anlacht und man jeder Zeit Leute bei ihm antrifft. Denn geht einem Aetti der Tabak zu
seinem Pfeiflein aus, so findet er ihn beim Krämer, will irgend eine Gotte (Pathin) ihrem
Hausli oder Heiri bei einer Gelegenheit ein gutes Maul oder einen verdorbnen Magen machen,
so stehen da Lebkuchen oder gemalte Zuckererbsen zur Auswahl bereit und den Weibern gar
erblüht in dem Laden ihr ganzes Paradies, von Häftlein und Beinknöpfen an ihre und ihrer
Männer Kutten, bis zu den hoffärtigsten Haubenbändern, den buntesten Halstüchlein und
Zucker und Kaffee und Cichorie, gelben und blauen,obendrein. Welche Wichtigkeit der
Meister Stoll und sein Laden deßhalb für das ganze Dorf haben mußte, ließ sich errathen,
wenn man auch nicht wußte, daß erstrer im Gemeinderath saß und in letzterm auf einem der
hintern Schäfte noch ein paar mächtige Strohflaschen standen, mit Kartoffelgeist die eine,
mit Rübenschnaps die andre. In jeder Noth,für Hauen und Stechen und Freud und Leid suchte
beim Krämer sich Alles Rath und Hilfe und er war auch ganz der Mann darnach, der
bereitwillig überall half, wie seine Frau in ihrer Art nicht minder. Trotz seiner
Willfährigkeit, oder vielleicht gerade wegen derselben, gedieh Meister Stoll
zusehends,
Eben tritt der Schneider-Andres in die Stube und daß auch der hier gut bekannt sei, zeigte schon die gegenseitige Vertraulichkeit womit die beiden Männer sich grüßten. Das war auch natürlich, denn der Andres bedurfte für seine Profession fast tagtäglich etwas von den Siebensachen des Krämers,war's nicht Faden, so waren es Knöpfe, oder Bänder, oder Barchent, ein Stücklein Wachs, Nähnadeln, kurz Hundert für Eins. Auch jetzt brauchte er Hosenschnallen und schwarzen Faden, dazu einen neuen Fingerhut, denn der alte war ganz durchlöchert. Willfährig half ihm der Krämer das Passendste aussuchen und packte ihm auch noch ein Stücklein Kreide dazu,die der Andres fast vergessen hätte. Dabei war von allerlei Dorfneuigkeiten, vom Wetter und den Aussichten und dem Stande der Feld- und Baumfrüchte die Rede. Während dieses Discurses hatte Meister Stoll ein Gläslein auf den R nen Flasche dasselbe mit Brenz voll. Neben dieses legte er auch das Päcklein gekaufter Waaren und während der Schneider letztres in die Tasche schob, brachte er das Gläslein an den Mund und leerte es, erst in einem Zuge nicht gar zur Hälfte, nachher im zweiten ganz, Alles das ohne Komplimente oder viel Redensarten, als müßte es so sein. Es war zwar DDD00Sonne herrlich warm draußen. Man sah, der Andres hing nicht mehr wie früher von der Witterung ab und wußte am
Schnaps noch andre Eigenschaften zu schätzen, als nur die des Erwärmens, wenn er sich
jetzt auch nicht anstrengte, in weitre Erbrterungen darüber einzugehen. Es hätte sich dies
ja nicht einmal der Mühe gelohnt für ein einziges Gläschen, das überdies nichts kostete,
sondern in den Kram ging, den er als guter Kunde hier eingekauft. Ob indeß dafür die
Schnallen oder der Nähfaden ein wenig theurer geworden, das untersuchte der Schneider auch
nicht weiter, er nahm wol an,Nein! besonders wenn er das Gläschen in der Hand hielt
zwischen Zeigefinger und Daumen. Der sei von einer neuen Sendung! belehrte ihn der Krämer,
kräftigern und gesündern, der einem auf dem Todbette noch das Herz erquickte, habe er noch
nie gehabt. Durch das Lob aufmerksam gemacht, trank nun Andres ein zweites Gläschen erst
recht mit Verstand und indem er als Sachkenner schmeckte, schien er mit in den Ruhm
einzustimmen. Plötzlich kam auch ein Krug zum Vorschein, ob der beim Krämer in Vorrath
gestanden, ob er in Meister Andresens Kittel gesteckt, oder aus dem Boden gewachsen, wäre
schwer zu sagen gewesen, doch wie dem sei, Andres fand es passend, daß man, was im
Hause“habe und ließ das Gefäß mit dem kräftigen Geiste füllen.Einstweilen aber wolle er
ihn noch hier lassen, bemerkte er,es schicke sich ihm jetzt nicht, den Krug
mitzunehmen;gegen Abend geh' er in's Bödeli, ein wenig zu grasen, dann habe er die
Grasbäre bei sich und in dieser lasse sich auf dem Heimwege die Flasche gar kommod nach
Hause tragen! So war es verabredet und der Schneider that gar nöthlich, wieder an seine
Arbeit zu kommen; die Frau werde so schon schmalen!meinte ew halb im Scherze, halb im
Ernste. Und „schreibt's
Zieht man beim Kaufen sein Beutelchen heraus oder kratzt im Hosensacke sonst die Batzen zusammen, da sieht man wie viel man ausgibt und wie viel oder wenig bleibt. Das macht schon, daß man sich wol besinnt, den Batzen zweimal umdreht vor dem Ausgeben und bei Dem und Selbem, das man vielleicht auch noch brauchen könnte, denkt, he, ich kann da doch noch warten, mit dem pressirt's nicht so, nächste Woche ist Markt, dann muß ich eine neue Sense und ein paar Rechen kaufen und die Frau hat etwas von einem Kübel gesprochen,hiefür ist mir das Geld nöthiger!
Läßt man aber aufschreiben, so geht's anders; man nimmt's leichter, denn man sieht die
lieben Batzen, die's ausmacht, nicht von Angesicht zu Angesicht, so höchstens halb vom
Rücken her und da aus weiter Ferne. Es hat Zeit! denkt man, und solche Kinder bleiben die
meisten Menschen ihr Leben lang, daß sie die Zukunft immer goldfarbig sehen und meinen,
was für namenloses Glück alles ihnen regnen werde,wenn nicht vom Himmel gerade, so doch
aus Amerika. In selber Zeit dann würden sie die paar Batzen und noch weit mehr, welche sie
jetzt schuldig blieben, leicht aus dem Abfalle ihres Glückes tilgen können! Daß es
schlimmer, knapper gehen könne in der Zukunft, an das hingegen denkt unter Hunderten kaum
Einer. Jedesmal wenn man aufschreiben läßt, ist's nur ein Mal und zwischen den einzelnen
Malen und Posten liegt im Kopfe des Käufers gar Vielerlei, was die Verbindung und sogar
den Blick von einem zu dem andern hindert, so daß man höchstens so halb und halb noch die
letzte Schuld gewahren mag, das Frühere aber im Nebel verschwimmt und verschwindet. Dieser
Nebel liegt nun leider nicht auch auf
Auf's Haar so erging's dem Andres, der also auffchreiben ließ, und bald so keck, wie es
der Krämer nur je gewünscht,auch Schnaps, da und dort eine Flasche, vielleicht selbst
einzelne Gläslein, doch erst nach deren Verwandlung in Knöpfe,Faden, Futterzeug und
dergleichen trockne Gegenstände. Denn unter einer Maaß durfte der Krämer keinen Branntwein
verkaufen, dies verbot das Gesetz schwarz auf weiß, und dem Gesetze in's Gesicht zu
schlagen, das lag dem Gemeiüderath Stoll fern. Der Andres indeß war nicht der Einzige in
seiner Art, wie ihn hatte der Krämer noch gar viele Kunden,bessre oder schlechtre.
Besonders Weiber waren nicht wenige darunter und ob denen sonst der Kaffee ihr Himmelreich
war,so schien ihnen ein Schluck Schnaps das Paradies zu sein,
Und nun diese gute Gelegenheit doch nicht benützen sollen,des grausamen Gesetzes wegen, das die Männer, welche das Wirthshaus nicht scheuen müssen, den armen Weibern gewiß zum Schabernak gerade aufgestellt!Niemand ging diese Noth, ja Ungerechtigkeit, durfte man fast sagen, mehr zu Herzen als dem Krämer Stoll selber;darin war er der Vernünftigste. Und wie er es gut meinte mit Jedermann, that er gerne sein Möglichstes, den armen Leutlein zu helfen und die Härte des Gesetzes nach Kräften zu mildern. So gab sich's denn, daß da und dort eine Frau mit einer großmächtigen, durch und durch gesetzlichen Maaßflasche, oder einem Kruge, so groß wie ihn nur Wäscherinnen besitzen, über die Straße zum Krämer schritt und das Gefäß dort auf den Ladentisch abstellte. In diese irdene Höhle Xaxa nun rieselte ein dünnes Brünnlein hinunter, nicht stärker als ein halb Schöpplein Branntwein es zu machen vermag und die Käuferin, nachdem sie die paar Kreuzer auf den Tisch gelegt, oder aber aufschreiben lassen, trug unter dem breiten Mantel der mäßigen Gesetzlichkeit wol geborgen, das kleine winzige ungesetzliche Halbschöpplein über die Gasse nach Hause zurück. Es ist wahr, Meister Stoll gestand es im Stillen ein, ganz nach dem Buchstaben des Gesetzes sei das eigentlich kaum; indeß Jeder müsse auf seine Sache sehen, namentlich heutzutage, im Uebrigen gebe immer nur seine Frau und nicht er diese kleinen Portionen, die Teufelsweiber wüßten gar wol,an wen sie sich da zu wenden hätten!
So ging es ein Weile ganz ordentlich fort bis des Rößleinwirths Schwäher, der auch im Gemeinderath saß, ein paar Male zu sticheln begann, und die Halbschöpplein in den Maaßflaschen Wunder was für einen Lärmen zu machen anfingen.Stoll war puncto Ehre gewaltig kitzlig: so solle man ihm nicht kommen, wolle man, was er vielleicht einmal aus reiner Gefälligkeit und Uneigennützigkeit gethan, gleich an die große Glocke hängen, he nun, so könne man das, Mißgunst sei ein altes Laster in der Welt, er vermöge es noch ohne den VProfit zu machen, den ihm ein halbes Schöpplein Schnaps bringe,er finde es nur sonderbar, daß die Leute nicht schon vorher,ohne daß man sie dazu gezwungen, zu dem Rößleinwirth gegangen!
Am Profit, wenn auch nicht eines, doch von ein paar hundert halben Schöpplein Schnaps, schien indessen dem Krämer Etwas zu liegen, wenigstens hing ob seiner Hausthüre eines schönen Morgens ein kleiner neugemalter Pintenschild.Er hatte gerechnet, hin und her, und am Ende gefunden,es lohne sich gar wol der Mühe, ein wohlfeiles Wirthspatent zu lösen, das sei bald herausgeschlagen, den Platz habe er, vorn die Kammer gebe die Gaststube und stehe Einer im Hausgange, dann habe er die Wahl links in den Laden oder rechts in die Schenke zu treten. Zur alten Kundsame komme so noch neue hinzu und er brauche sich nicht zu geniren, des Rößleinwirths Schwäher solle ihm dann kommen, dem allein zum Trutz schon wollte er ein Patent lösen, wenn er auch keinen Vortheil davon hätte!
Somit wirthete also auch der Krämer und die Weiber DDDDDDDD
J.liebsten frischweg in den Sack gelangt, oder wenigstens daheim in's Schublädlein, und
bezahlt. Wie viel es denn ausmache? fragte er auch sofort. Der Krämer sah nach,rechnete
nach: Jetzt ist Johanne, seit letztem Martini werden's 28 Wochen fein, es macht gerade 79
Franken und 35 Rappen. Andres aber erschrak da nicht wenig: „so viel!“ fragte er, „hätt's
nicht geglaubt!“ Der Krämer aber hatte es aufgeschrieben, hielt das Buch dem Andres vor:
da könn' er's selber nachrechnen und wenn er's daheim aufgeschrieben habe, werde es ihm
wol gleich herauskommen! Ein Unterschied war nun freilich nicht zu
befürchten,deßungeachtet fand der Schneider es aber doch viel und es war auch viel für ihn
und weit mehr als er seit Langem in seinem Schublädlein und Hosensacke zusammen gehabt
hatte.Er wolle dran denken! tröstete er endlich den Krämer, jetzt sei er gerade ein wenig
entblößt! Dieser war nicht hart: er pressire nicht, aber es wäre ihm lieb das Geld zu
bekommen.Auf den Schreck und zur Stärkung nach dem glücklich abgeschlagnen Sturme, nahm
Andres natürlich noch einen guten Schluck auf alte Rechnung, gedachte er doch damit auch
dem Krämer wieder einen guten Mund zu machen. Andres nahm sich ernstlich vor zu zahlen, er
war auch vorsichtiger in seinen Ausgaben, ließ eine Weile weniger als sonst
aufschreiben.Aber 97 Franken hat ein Schneiderlein, bei dem es anfängt mit dem Verdienst
abzuehmen und das daneben nur ein halber und zwar nur ein halber kleiner Bauer ist,nicht
sobald beisammen, besonders da es mit dem besten Willen zwischenein doch immer neue
Ausgaben absetzte, die unmöglich zu vermeiden waren. Und es wollte scheinen, nie
So ging's wieder ein Weile fort, zu der alten Schuld war ein gut Stück neue hinzugekommen, Andres dachte nur noch halb daran, ungefähr so wie die meisten Menschen an den Tod. Dafür aber hatte der Krämer ein treueres Gedächtniß. Eines Samstags, da der Schneider wieder als Kunde sich einstellte, hieß es: „es wär' mir lieb du würdest das Alte erst richtig machen, ehe ich dir Neues aufschreibe,einmal muß es doch sein.“ Andres erschrak diesmal nur halb.„Das sei schon recht,“ meinte er, , aber daß es gerade heute sein solle, werde nirgend stehen.“ Meister Stoll war indeß diesmal zäher und auch ein wenig deutlicher: er müsse zu seiner Sache sehen und Alles in der Welt habe seine Grenze.
Und wenn er ihn jetzt auf den Kopf stelle oder zwischen eine Mostpresse lege, so werde er das Geld nicht herausbringen von ihm! erwiderte der Schneider, halb im Scherze, halb im Aerger; noch nie hab' er ein so schlechtes Jahr gehabt,es sei als wenn die Bauern Tag und Nacht ihre Hosen im Troge liegen oder hinterm Ofen hangen ließen und im Hemde ackerten und mähten, von den Kutten, die alle das ewige Leben hätten, gar nicht zu reden. Zudem sei der Heuet wol naß gewesen, er hoffe mit der Frucht werde er gefälliger sein,Etwas könne er da verkaufen, aber der Preis sei noch nicht gemacht!Damit war der Krämer aber nicht einverstanden: länger zu warten, wäre ihm zuwider (sagte er), wenn man ernstlich wolle, werde auch sonst zu helfen sein!
Das wär' ihm zuerst lieb, entgegnete Andres, wenn ein Hexenmeister käme und Geld machte, wo keins sei!
Meister Stoll schwieg eine Weile und ließ den Schuldner zappeln in Unruhe und Hoffnung, wobei er ihn von untenauf mit vertracktem Blicke beobachtete. In aller Kaltblütigkeit und als wär's der beste und vernünftigste Rath, fuhr er dann fort: „du hast da hinterm Haus, ich hab's letzthin gesehen, noch einen schönen Haufen Gabenholz (Bürgerholz), ich könnt'etwas davon brauchen und nähme dir zwei Kläfterlein ab,das minderte deine Schuld fast um die Hälfte, für das Andre fände sich dann vielleicht auch Rath.“
Andres machte ein langes Gesicht: das Holz brauchte er,er hatte drauf gezählt und dann wenn er auch gewollt und sich getröstet hätte: im Nothfall könnten seine Buben in den Wald gehen und dürres Reis zusammenlesen, so fürchtet er sich vor der Lisebeth, was die sagen und was er ihr sagen würde, wenn so mit einmal zwei Klafter fort und zum Krämer hinüber wanderten? denn sie wußte von der Schuld nichts.Das werde wol nicht gehen, antwortete er darum kleinlaut.
„He nun, Geld ist mir noch lieber“, entgegnete ruhig Meister Stoll, „ich habe dir zu Gefallen den Vorschlag gemacht, denn in's Reine kommen muß nun endlich einmal unsere Sache; bis wann willst du zahlen?“
Das war nun freilich noch schlimmer und wie der Schneider sich auch winden und wenden
mochte, einen weitern Aufschub mochte er nicht mehr erlangen. So mußte er halt in den
sauern Apfel beißen und zusehen, unter welchem Vorwande er die Lisebeth geschweige, oder
welchen günstigen Moment er benutzen könne, das Holz wegzuschaffen und dann
„Gib mir Geld,“ wiederholte der Krämer, , ich kehre nicht die Hand um deßwegen, im Gegentheil! mit Holz kann ich weder Kaffee noch Zucker einkaufen, sondern es liegt mir lange todt da und trägt mir im Geschäfte nichts ein.Was aber das Warten mit dem Uebrigen betrifft, so ist's damit so: warten werd' ich in jedem Fall, aber ich habe gern meine Sicherheit dabei, das kann mir Niemand übelnehmen, das hat jeder rechte Geschäftsmann einmal so.“
Bei dieser Unterredung stand auch des Krämers Frau und die war im Geschäfte eingeweiht so gut als Eine, und manchmal, wo der Mann keinen Rath wußte, da half sie aus und was er nicht aufhob, weil er's entweder übersah oder nicht für schicklich hielt in seiner Stellung als Gemeinderath zum Beispiel, das ließ sie dafür nicht liegen. Die Krämerin nun unterbrach auch hier die Verhandlung der Männer, indem sie an Andres sich wandte und sagte: „Oder wißt Ihr was,Meister, hat Eure Frau keine Reiste oder Anken, Eier und
Schnitze? redet mit ihr deßwegen; auch soll sie im Mästen gefällig sein, heißt's im
ganzen Dorfe, ein paar Hämmlein oder eine halbe Seite Speck wären mir auch nicht zuwider
und eure Sache würde dann um so schneller ausgeglichen!“Durch solche Hausmittelchen hatte
die Krämerin allerdings schon manche größere oder kleinere Schuld getilgt, und sösten die
Weiber vielleicht auch nur wenig mehr als die Hälfte von dem was ihre Waare auf dem Markte
galt, so war's doch in manchen Fällen eine gar kommode Zahlungsweise,besonders für Solche,
die hinterm Rücken des Mannes abschaffen mußten. So unterm Schurz eine Ankenballe nach dem
Kramladen zu schaffen, geschah nicht minder schwer und ebenso unbeschrieen als ein
Schöpplein Schnaps mit der gleichen Gelegenheit von dort zurück zu tragen, abgesehen vom
Reize des Geheimen und Verbotenen. Ueber Eier und Butter und Reiste aber hatte die Frau zu
befehlen, ohne Jemand Rechenschaft zu geben und so gut die Eine die kleinen Einnahmen
davon in einem alten Fürfuß unterm Strohsacke verwahrt,um daraus gelegentlich dies und das
in die Haushaltung zu kaufen, was unumgänglich nöthig ist, von dem der Mann aber die
Vernunft nicht hat, es einzusehen, ebensogut kann die Andre diese kleine Kasse zu
Privatliebhabereien verwenden und mit der Haushaltung es weniger genau nehmen, der Mann
merkt es ja nicht einmal recht und sonst geht's Niemand Etwas an. So ist dieses Eiergeld
eine wohlthätige Macht in der Hand einer guten und klugen Bäuerin, eine gefährliche Waffe
aber in der Faust einer schlechten Hausfrau.Auf diesem von der Krämerin angegebenen Wege
hätte sich also wol Etwas machen lassen, wenn die Lisebeth schuldig
Meyer-Merian, Mareili.
So war denn die Sache verabredet und der Krämer setzte dem Andres noch lang und breit aus einander; wie das auch für ihn am allerbesten sei und er es gar gut mit ihm meine,und wäre der Andres nicht eben der Andres, sondern ein Anderer, ihm der lange warten könnte, bis er ihm diese Gefälligkeit erwiese und so an die Hand ginge! Der Schneider aber, der vorläufig wieder etwas Luft hatte, war dem Krämer wenigstens für diese erkenntlich und glaubte es am Ende selber halb, sein Gläubiger meine es apart gut mit ihm. In dieser gegenseitigen freundschaftlichen Stimmung trennte man sich und erst als er zu Hause der Lisebeth unter die Augen trat und ihr nicht gleich recht in's Gesicht zu schauen vermochte, merkte Andres, daß eigentlich in der abgemachten Sache doch noch ein Haar liege und zwar ein ziemlich langes und dickes. Darum pfiff und handtirte er lebhaft herum und die gute Frau war für gewöhnlich nicht scharfsichtig und nicht mißtrauisch genug, um hinter der Schneidercourage ihres Mannes eine verdrehte Hasenfüßerei zu vermuthen, geschweige zu entdecken.
IX.Am Dorfhrunnen.
Für die Bauernweiber ist der Dorfbrunnen so ungefähr was für die Stadtleute das Casino und für die Männer am Abend das Wirthshaus. Als gute Hausfrauen, was alle
Weiber einmal sein wollen, und auch hier die letzten zuerst,ist's nicht schicklich müßig zu gehen oder zu stehen an einem Werktage. Und doch haben sie sich so viel und Wichtiges zu sagen, weit mehr oft als die Männer. Dazu gibt es kein gelegneres Plätzlein, an dem man allein unvertrieben ist, als das hinterm Brunnenstocke, denn warten muß man da in aller Geduld bis der Züber gefüllt ist, das ist eine Naturuothwendigkeit, welche sogar die Männer einsehen müssen. Man muß aber auch noch warten, wenn schon Andre da sind, und trotzdem, daß die Dorfbrunnen ihr Wasser meist reichlich schießen lassen und nicht so neidisch jedes Tröpflein vorzählen, wie die Stadtbrunnen, so dauert dieß Warten gleichwol oft keine Minute kürzer. Das scheint zwar sonderbar, aber dran zu zweifeln ist nicht, und besonders auffallend ist die Thatsache des Abends, wenn die Zerstreuungen des Tages vorüber und Sammlung eingetreten, ob auch nicht in den Herzen, doch auf denselben, nämlich Sammlung von allerlei Neuigkeiten, Erlebnissen und Wahrnehmungen, die nothwendig eine Mittheilung verlangen. Es sammelt sich einen einzigen Tag über oft unglaublich viel derlei auf einem rechtschaffnen Weiberherzen an, so viel, daß auch nur die flinkste Weiberzunge wieder im Stande ist, es nachher wegzuschaufeln. Von allen Enden des Dorfes wird da zugetragen an den Brunnen, und jedes Geheimniß zuversichtlich unter den Schutz seines Plätscherns gestellt. Daß besonders auch über die Männer, eigne und fremde, Gericht gesprochen wird, versteht sich von selber ist auch nichts als billig, da den Weibern das Gemeindehaus verschlossen ist. Ebenso natürlich ist's auch, daß dabei Standrecht geübt wird, dermalen es um den Brunnen weder Stühle
7*
Ganz dieselbe Wirksamkeit hatte der Dorfbrunnen in Kestenhofen. Die letzten Kühe waren
schon eine Weile von der Tränke heimgetrieben, Frauen und Mägde, die noch vor der Nacht
Wasser geholt, hatten sich ebenfalls so ziemlich verlaufen und die Neuigkeiten und
Wichtigkeiten des weichenden Tages waren im Allgemeinen untergebracht. Es dunkelte bereits
und gleichwol ward es nicht stille, auch abgesehen von dem eintönigen Plätschern des
Wasserstrahles, der ununterbrochen von der Röhre schoß. Halb verstohlen kamen noch ein
paar Weiber da aus einem Winkel hervor, dort um eine Ecke herum und huschten den Häusern
nach an den Brunnen.Natürlich hatte Jede ihren Züber unterm Arm. Es waren Gäderliesi,
Mauseranni und Dursenbäbi, erstre eine Wittwe,die zwei andern verheirathete Frauen. So
viel in der Dunkelheit zu erkennen war, stellte Dursenbäbi noch am meisten vor, nicht nur
durch eine starke und stattliche Postur, sondern auch in den bessern Kleidern, die sie
trug, und die ihr das Ansehen einer waährschaften Bäuerin gaben. Ihre zwei Freun
Dursebäbi hatte ihren Züber zuerst unter die Röhre geschoben, zog ihn aber wieder zurück als die beiden Andern auch kamen. Daran war indeß die Höflichkeit nicht allein Schuld: sie pressire nicht so! erklärte sie, im Gegentheil, sie müsse doch noch geschwinde zum Krämer hinüber.Und dabei zog sie eine Flasche aus dem Jüppensack hervor mit einem Zapfen, der an einem Schnürlein befestigt war.Am Geruch merkte man gleich, was für ein Geist da einge DDDDNase, Wangen und Stirn sitzen geblieben, die Augen ihr unter Wasser gesetzt und aus ihren Höhlen hinausgedrückt. „Mein Alter ist der geizigste und neidischste Ketzer im ganzen Lande,paßt mir auf jeden Schritt und Tritt und wo er meint, es sei was, brüllt er wie ein Leu; es ist nicht zu leben mit ihm,in der Türkei haben sie's nicht schlimmer. Wenn der's jetzt wüßte wo ich hingehe, er schlüge mir Arm und Bein ab, der Donner!, und hockt doch auch im Wirthshause. Hütet mir den Züber derweil, ich komm' bald wieder!“
Damit wandte Bäbi sich zum Gehen, kehrte dann aber wieder um und fragte: „Ja so! kommt keine von euch mit?Du Liese?“ Aber Liese schüttelte den Kopf und bei Mauseranni fragte Bäbi nicht besonders an, sie wußte, daß die unaufgefordert käme, wenn es nicht, wie häufig, an den Finanzen fehlte.Die zwei Zurückgebliebenen schwiegen erst eine Weile, als hätten sie mit ihren Gedanken zu schaffen, endlich begann Mauseranni: „Warum gehst du nicht mehr hin? hast du einen Aberwillen bekommen oder bist gar geistlich geworden? der Pfarrer ging letzthin aus deinem Hause, wie ich sah!“
Gäderliese aber lachte, was ihr sonst selten passirte. ,Das nicht,“ erwiederte sie, „aber ich will kein Narr sein und der Katz das Schmalz abkaufen.“
Wie das gemeint sei? fragte Mauseranni neugierig und es kam fast etwas wie Leben in das erloschne trübe Auge,als die Freundin von einem Recepte sprach, womit sie den besten Schnaps um die Hälfte wohlfeiler selber machen könne,als ihn der Krämer verkaufe. „Heutzutage, wo Alles so theuer ist, muß Jedes auf seine Sache sehen,“ erzählte Gäderliese, „besonders da ich ein Kostkind habe, das ich zu wohlfeil angenommen, so daß ich nicht bestehen könnte.Nun hab ich ausgerechnet, daß wenn ich Morgens einen Brenz nehme, das am wohlfeilsten ist, auch brauch' ich kein Feuer zu machen wie zum Kaffee, was wieder Zeit und Holz spart und Mühe dazu, und Brenz thut nicht nur dem Magen wohl, er ist auch besonders gegen den Hunger gut. Ich hatte aber sonst an einem halben Kaffeeschüsselein und das Kind an einem Plättlein voll genug und da war es wol zu machen. Jetzt aber will es schon eine Weile damit nicht mehr langen, wahrscheinlich weil der Brenz schwächer gemacht wird,wie ja jetzt Alles schlechter und weniger ist, das neue Geld sogar. Vielleicht auch ist das Herz stärker geworden, denn für dieses ist der Brenz besonders wirksam; jedenfalls wird etwas Schuld dran sein, daß ich mehr brauche und kaufen muß als sonst.“Mauseranni stimmte diesem Allen vollkommen bei, die gleiche Wahrnehmung, daß der Brenz lange nicht mehr das sei was nur vor fünf Jahren, hatte sie selber auch schon mehr als einmal gemacht und schimpfte bei der Gelegenheit auf die
Pfuscher von Brenner und die Schelme von Wirthen und Krämern, welche das schwache Gesöff noch mehr verwässerten und doch stets gleich theuer verkauften, ja noch aufbegehrten,wenn man einmal ein Wort sage. „Darum eben helf' ich mir selber,“ fiel Gäderliesi dazwischen, , und da hab' ich's in der Hand, je nachdem es mir um's Herz herum krabbelt oder nicht, den Schnaps stärker oder schwächer zu machen,auch ihm den oder selben Gust zu geben, was besonders heilsam ist.“
Mehr sagte Gäderliesi nicht, aber bei Mauseranni hatte es schon gezündet. Sie bot alle ihre Liebenswürdigkeit auf,in ihre Aufgedunsenheit legte sich da und dort- wenn auch überzwerch, eine Freundlichkeitsfalte, im Hirn zappelten, unter dem ewigen Schnapsdunst hervor, ein paar verlegene Schmeicheleien, abgegriffene und halbrostige Kriegslisten und Pfiffigkeiten, eine gewisse knarrende Geschmeidigkeit wurde in Bewegung gesetzt, Alles das um von der glücklichern Freundin das Geheimniß zu erfahren, wie die auch so guten und so wohlfeilen Schnaps zu bereiten im Stande sei.
Gäderliesi, die ihre ganze Wichtigkeit fühlte, rückte nur sehr allmälig heraus und schien
ihre Freude dran zu haben,Mauseranni das letzte Tröpflein Wasser im Munde zusammen zu
ziehen. Es kam nach und nach zum Vorschein, daß sie ein sonderbar gutes Recept erwischt
habe von der alten Else, die einst bei einem Apotheker in der Stadt als Magd gedient und
nun seit verwichenem Herbste im Siechenhaus untergebracht sei, da es ihr in letzter Zeit
gar schlimm ergangen. Durch dieß Recept vermöge sie aus einem Schoppen, Geist“ leicht drei
Schoppen Schnaps, vom bessern obendrein, zu machen. Es brauche nur
Anni kehrte und wandte sich wie ein Engerling, den man ausgegraben und an die Sonne
gelegt; auf allen möglichen Wegen suchte sie zu dem Recept zu gelangen. Sie schilderte,
wie kommod so ein Recept auch ihr wäre, denn mit dem Krämer könne man doch nicht mehr
auskommen. Zwar er selber wäre nicht der Unvernünftigste, aber seine Frau, die sei ein
Drache, der könne man nie genug bringen, Anken habe ihr die schon abgedrückt, man könnte
für drei Kirchgemeinden damit kücheln. Zudem sei sie noch gar schalu fügte Mauseranni fast
mit einiger Verschämtheit hinzu, wo der Krämer mit einem andern Weibsbilde nur ein Wort
rede,gleich fahre sein Ehteufel dazwischen und werde einem aufsässig, und das sei doch
nicht nöthig, sie (Anni) sei nicht dafür bekannt. Darum habe sie sich heilig vorgenommen,
keinen Fuß mehr in den Laden zu setzen und sich zu helfen wie sie's vermöge, sie begehre
nicht noch in's Gerede zu kommen. Es seien bald vierzehn Tage, daß sie den Entschluß
gefaßt und im Wirthshause geholt was sie gebraucht, aber dort sei's für Weibervolk auch
nicht geschickt, zudem der Schoppen um zwei Rappen theurer. Darum wäre es ihr schrecklich
lieb, wenn sie von dem Schelmenvolke nicht mehr abhängen müßte und sich selber helfen
könnte, ihrer Lebtage wollte sie Dem dankbar
Besitze des Geheimnisses war, mit dem die Eigenthümerin einen förmlichen Handel trieb.
Dursenbäbi kam zurück, unterm Fürtuch die gefüllte Falsche: es war beim Krämer hinten hinaus in der Küche Licht gewesen, sie hatte der Krämerin am Fenster gepoppert und die das Zeichen gleich verstanden, denn sofort war sie unter die Thür getreten und hatte Bäbi heißen in die Stube kommen: es sei Niemand da als des Schmieds Cäthry. Bäbi aber hatte sehr nöthlich gethan: sie dürfe sich nicht aufhalten,der Mann warte auf's Essen, sie habe nur gesehen, daß sie kein Tröpflein mehr im Hause habe und man konne nicht wissen, was in der Nacht passire, darum sei sie gesprungen, so,wie sie gerade gegangen und gestanden. Vor die Thür hinaus,abseit vom Lichtschein aus dem Küchenfenster, hatte dann auch die Krämerin das begehrte Trost- und Hilfsmittel gebracht und Bäbi dasselbe richtig in Empfang genommen.
Die Züber der drei Freundinnen waren indeß gefüllt und über den letzten, der noch unter der Röhre stand, floß das Wasser, das nicht mehr drin Platz hatte, schon eine Weile überall herunter. Erst als dicht an ihren Köpfen eine Nachtschwalbe mit weichem geisterartigem Fluge vorbeiflog, fuhren die Weiber erschrocken aus einander und jede griff nach ihrem Züber und kehrte nach ziemlich kurzem Abschiede eilig in ihre Wohnung zurück.
B..Die Gant und nachher eine Unhanwendung.Der Krämer Stoll gantete dann und wann zwei und mehr Male im Jahr. Der für die nächste Steigerung anberaumte Tag, an dem Andres seine Schuld einzuschreiben hatte, erschien, Meister Stoll hatte Gantbewilligung genommen für, Hausrath und Fahrniß“, wie üblich. Es ging in seiner Wohnung lebhaft zu, wie an einem lustigen Feiertage,obwol es mitten in der Woche war. Was zu verganten war stand hinter dem Hause unterm Dach, unter den Bäumen und an den Zäunen. Es schien zwar nicht so gar viel zu sein,alte Kisten und Fässer, etwas Feldgeräthe, ein paar Säcke Kartoffel, ein magres Kühlein und eine alte Ziege, das waren so ziemlich die Haupt- und Prachtstücke; ein Theil sah fast aus,als wär's an Zahlung oder in Versatz an irgend eine Schnapsschuld gegeben worden. Es standen einige Tische draußen, ein Gemeinderath, der an der Fahrniß herumgantete, führte dran das große Wort; in der Stube drinnen waren gleichfalls ein Tisch und einige Stühle aufgestellt, da dran saß dann ein Schreiber und schrieb ein über Hals und Kopf was versteigert wurde, d. h. was man ihm angab. Auf den Tischen war aber mehr Platz als nur für Tinte, Federn und den Gantrodel, daher standen auch hier und dort noch Maaßflaschen voll Schnaps und Gläser dabei: Jeder konnte zugreifen und sich bedienen wo er wollte und so viel er mochte,kein Wirth brachte erst auf Bestellung, das wahrhaft goldne Zeitalter schien gekommen zu sein, wo Alles nichts kostet, alle
Menschen Brüder sind und höchstens der mit scheelen Augen angesehen wird, der nicht
herzhaft zulangt. Es waren auch allerhand Leute da, die sich prächtig in solche goldne
Zeit geschickt hätten, jetzt schon, ihrem Jahrhunderte lange voran,die schenkten ein ohne
Geheiß, ohne zu fragen, bald an diesem Tische, bald an jenem, der Allseitigkeit halber,
oder um in den Flaschen das Gleichgewicht herzustellen. Es waren Manche darunter, die
sahen freilich nicht aus, als ob sie viel zu kaufen hätten, und gar nicht nur, weil sie
etwa Alles schon hatten.Aber das machte nichts, heute nahm man's nicht so genau,lebte und
ließ leben, rechnete eins in's andre, fragte Keinen,was er wolle? aller Gewissenszwang war
aufgehoben. Während so Einige dasaßen, mehr der Neugier und der Gelegenheit halber, sich
gegenseitig einschenkten und der Geselligkeit pflogen, dabei um Alles sich mehr kümmerten
als um den Gerümpel und die Gant, sah man an einem entgegengesetzten Tischende etliche
trockne ruhige Gesichter, auf denen es mit tiefen Zeichen geschrieben stand, daß sie
gelegentlich einen Schick machen würden. Sie erhoben sich wol auch einmal schwerfällig und
gingen, mit der Pfeife im Maule, schweigend um die Fahrhabe herum, dahin, dorthin, griffen
dran und fühlten zu, bei Lebendem und Todtem. Nur wenige schienen eigentlich des Kaufens
wegen hier zu sein. Noch Weitere waren da, die kümmerten sich um die Waaren blutwenig und
doch waren sie Käufer, gaben an und ließen einschreiben beim Schreiber, daß dem die Finger
surrten. Es war als ob diese Alles schon wüßten oder auf Treue und Glauben kauften und
nicht auf's Geld zu sehen hätten. Bei dem Einen von diesen sah man irgendwo abseit den
Krämer stehen, bei dem Andern
Während so der Gemeinderath draußen aus Leibeskräften aufrief und drauf losgantete und
die Bauern nach und nach warm wurden wie andre Liebhaber auch oder ihre alten Sünden in
das neue Gantröcklein verkleideten, sang Der in der Stube drin die zweite Stimme. Dießmal
war's nicht der Gerichtsschreiber selber, sondern der hatte seinen Schreibergesellen
geschickt, die Komödie mochte ihm auch gar zu wenig kurzweilig vorkommen für seine eigne
Person und die Gebühr blieb sich ja gleich, so oder so. Das Schreiberlein faß dort am
Tische so breit als es mit seinen spitzen Ellbbgen und schmalen Achseln das vermochte, und
daß es ein ernsthaftes Gesicht machte zwischen seinen Vatermördern und ihm nichts auf der
ganzen Welt so wichtig vorkam den Augenblick als
Taubenschlag ging's ein und aus, in ungehindertem Verkehr vom Gemeinderathe zum Schreiber, höchstens die Schnapsflaschen zwischen Beiden machten dann und wann einen augenblicklichen Aufenthalt. Ein altes Männlein, das im Lande herum mit Besen handelte und die Gelegenheit auch benützt hatte, sagte beim Weggehen, nachdem es dem Treiben eine Weile stille zugesehen, halblaut zu einem Andern: es hätte es nicht geglaubt, daß seine Augen so sehr abgenömmen in der letzten Zeit, aber es könnte es verschwören, daß es nicht mehr die Hälfte von dem Hausrath und Fahrniß draußen zu sehen vermöge, die von den Käufern angegeben werden!Die Umstehenden lachten zu der Rede und riethen dem Besenhändler, beim Krämer Etwas für die Augen zu kaufen. Der aber erwiderte: „Nichts ist gut für die Augen!“ und drückte sich sachte durch die Menge hin, ehe ihn der Krämer etwa umsonst kurire.
Wie mancher Andre, war auch Andres beim Schreiber erschienen und hatte, der Himmel weiß was Alles, angegeben,das er ersteigert: eine Geis, eine Krippe, Kartoffeln, kurzum so viel als der Werth seiner Schuld an den Krämer betrug und zur Vorsicht noch etwas drüber hinaus. Mit dem Heimtragen oder Heimführent seiner Schätze hatte er indeß keine gar große Mühe. Und ebenso bot hintendrein die Privatabrechnung mit dem Krämer Stoll keine erheblichen Schwierigkeiten. Im hintern Stüblein, wo alle besondern Verhandlungen stattfanden,nahm derselbe ein Reißblei und ein Stück Papier: „Fünfzig Franken bist du mir schuldig gewesen!“ sagte er zu Andres,, hier stehen sie, zeig' nun was du an der Gant hast einschreiben lassen?“
Mehber-Merian. Mareili.
Und nachdem sie in der Liste herumgesucht, fuhr der Krämer fort: „Eine Geis macht 12 Fr., eine Krippe 8 Fr.sind zusammen 20 Fr., dazu vier Säcke Kartoffeln zu 6 Fr.und ein Stößwägelein zu 25 Fr., geben accurat Summa Summarum 69 Fr. Für Unkosten und Gebühren gehen noch 4 Fr. ab, ich will's billig machen, bleiben somit 15 Fr. baar, die du hier herauskriegst!“ und damit legte Meister Stoll in schönem schweren Silbergeld dem Andres den Ueberschuß auf den Tisch, die dieser einstrich, als ob's purer Gewinn wäre und die Rechnung von 50 Franken, die er erst ein wenig hoch finden wollte, vollständig darüber vergaß.
XI.Im Rößlein oder aus dem Regen in die Tranfe.Ungeachtet der Krämer guten Zuspruch hatte
bei seiner Wirthschaft und sein Schäflein schor, mochte auch der Rößleinwirth neben ihm
noch gleichwohl bestehen. Zwar wenn man ihn hörte, wirthete er nur für die Ehre und um den
Krämer,der Alles fressen wolle, nicht ganz Kestenhofen allein aussaugen zu lassen.
Gewaltig schalt und fluchte er über diese Concurrenz. Eigentlich sei das auch nicht recht
und wenn Einer Krämer sei, so sei er nicht Wirth, möge er zehnmal ein Patent lösen und
sich auf die Gewerbefreiheit berufen, die in der Verfassung stehe. So sei das nicht
gemeint gewesen, als man die Verfassung gemacht, er müsse das am besten wissen,habe er
doch auch dabei geholfen. Hintendrein könne mam's
Was hätte der Wirth erst gesagt, wenn er in einem Landstädtchen gewohnt hätte, worin außer seinem, noch neunundvierzig andre Wirthsschilder gehangen, oder in einem Dorfe mit neunzehn Wirthschaften, in einem andern endlich, wo man auf hundert Seelen einen Wirth zählte? Einen Schlagfluß hätte er zwar schwerlich gekriegt, dagegen wäre gesorgt gewesen, aber ob er aus seiner Drohung, die selbstgemachte Verfassung zu stürzen, nicht doch Ernst gemacht hätte, das ist eine andre Frage. So aber blieb's bei bloßen Worten und beim Alten, um so mehr, da die bestehende Verfassung auf der andren Seite wieder gar Manches hatte, das ihm dienlich war und an dem zu rütteln, wie er meinte, Nichts abtragen würde.
Zudem waren des Rößleinwirths Gäste nicht die unvernünftigsten. Schenkte auch der Krämer jetzt offen Wein und
Schnaps aus, und tranken Jene manches Glas und manchen Schoppen dort, so waren sie doch
billig genug, den Rößleinwirth das so wenig als möglich entgelten zu lassen, sondern
dankbar im Andenken zu behalten, daß dieser eben doch lange allein ihren Durst gestillt,
bevor es einem Krämer eingefallen, auch ein Schild über die Hausthüre zu hängen. Sie
tranken darum lieber einen Schoppen mehr und ein Glas zwischenein, als daß sie die
Eifersucht der Beiden irgendwie genährt hätten.Unter die. Rücksichtsvollsten gehörte
natürlich auch der Schneidermeister Andres, obwol bei ihm noch ein fernerer Grund
hinzutrat. Denn neben den humanen Grundsätzen,daß Jeder wolle gelebt haben und die
Menschen da seien einander zu helfen! hatte das Rößlein doch auch an sich seine besondern
Vorzüge. Es war ein Wirthshaus von oben bis unten und nicht Andres; es war da Nichts noch
nebenbei, die Leute, welche hinkamen, kamen allein der Erholung und der Unterhaltung
wegen, und dies gab der Gesellschaft, die sich darin zusammenfand, einen besondern
Charakter. Im Wirthshause hörte man andre Discurse, man saß anders, jedenfalls auch fester
und länger. Was beim Krämer Viele anzog, die Gelegenheit, was man sonst etwa noch
brauchte, zu kanfen,das würdigte Andres wol in vollem Maaße, aber zu Zeiten stieß es ihn
doch wieder ab. Alle Weiber kamen dahin, von seinem nicht zu reden, ein Ab- und Zugehen
war's, wie in einem Taubenschlage und kein gemüthliches ruhiges Beisammensein von
Gleichgesinnten möglich. Der Kramladen nebenzu schien ihn immer an die Arbeit zu mahnen
und es gab doch Zeiten, wo er von der Arbeit Nichts wissen, wo er ausruhen.
Indeß Trost bedurfte der Meister die ersten Tage nach der Gant nicht einmal, er hatte vom
Krämer baar Geld herausbekommen, fünfzehn Franken, trug die im Sacke herum,wie hätte er
bei diesem ungewöhnlichen Ereignisse mit seinem leichten Blute nicht hellauf sein sollen!
Und das war er und weil er's mit aller Welt wohl meinte, wenn's ihm gut ging und das Herz
ihm weit und immer weiter ward, so dachte er auch gleich an den Rößleinwirth und wie er
dem ebenfalls etwas wolle zukommen lassen: der hab' ihn auch nicht abgewiesen,wenn er mehr
Durst als Geld zu ihm gebracht habe in magrer Zeit! So schritt er pfeifend, und wie ein
Herr, in's Rößlein und daß der Wirth nur gleich wisse, wie er dran sei und ihm kein saures
Gesicht zu machen brauche, klimperte er unter der Thüre schon mit seinen drei Fünflivern.
Er wollte eigentlich nur einen Schoppen trinken, denn trotz seiner Freude erinnerte er
sich an dies und das, was er nothwendig noch zu kaufen hatte und auch seine Lisebeth, wie
wenig sie's um ihn sonst verdiente, sollte von dem Gelde etwas genießen, so weitherzig war
Andres geworden! Als indeß der Schoppen kam und getrunken war, kam's dem guten Meister
vor, noch nie hab' ihm der Wein so saner geschmeckt, abgesehen davon,
Nichts für seine Mühe begehrte, sie als eine bloße Gefälligkeit ansah, so konnte Andres
unmöglich Etwas dagegen einwenden,daß der Wirth das leere Fläschlein wegnahm und dabei
fragte,ob er nicht lieber gleich ein Schöpplein bringen solle? Es kam das Schöpplein und
schwand und die Gesellschaft, die sich so unvermuthet zusammengefunden, wurde immer
lebendiger und aufgeräumter, kam darum, ohne es zu merken,immer besser in Zug, so daß
nicht nur Schöpplein um Schöpplein ab und zu spazierten, sondern am Ende auch, Keiner sah
recht wie? Halbmaaßbouteillen auf dem Tische standen. Der Wirth setzte sich hinzu und
hielt mit, dabei munterte er fleißig zum Bescheidthun auf. Daß in lustiger Companei die
Zeit schnell und unvermerkt hinschwindet, ist eine alte bekannte Erfahrung, die Gäste im
Rößlein wußten daher auch durchaus nicht, wie lange sie da zusammen saßen,besonders da sie
nachher noch Karten spielten. Jedenfalls war's tief in der Nacht, als sie endlich
aufbrachen, mit schweren Köpfen und Füßen, die nicht zu einander paßten, indem der linke
kürzer als der rechte, der eine leicht wie eine Feder,der andre schwer wie Blei zu sein
schien. Demnach war natürlich auch der Gang ein sehr ungleicher und es war jedenfalls ein
Vortheil für die Heimkehrenden, daß ihnen im Dunkel der Nacht der matte Schimmer des
Dorfbachs auf der einen Seite den Weg wies, auf der andern aber hohe und weiche Misthaufen
Beulen und blaue Flecken so viel möglich ersparten.Wie Andres zu Hause von seiner Lisebeth
empfangen worden, ob er ihren Unwillen mit der Aussicht auf sein Geld und ihren Antheil
daran etwas zu beschwichtigen vermocht,
Allein der Schneider-Andres mochte nun den Schimmel ansehen oder nicht, und daheim zum
Frühstück aufgetischt bekommen haben, was es immer sein mochte, so leicht sollte er an dem
Wirthshause einmal doch nicht vorbeikommen.„Machst Kalender!“ fuhr den Tiefsinnigen aus
einem der unten geöffneten Fenster eine grobe tiefe Stimme an und lachte, als das
Männlein, fast erschrocken ob der Begrüßung,aufsah. Es war der Wirth, der mit seinem
dicken rothen Kopfe unterm Fenster eine Pfeife rauchte. Andres wollte mit erzwungnem Gruße
vorbei, der Andre aber hieß ihn in's Zimmer treten, er habe gestern die Tabakspfeife
liegen lassen,
1*
Wenn Einer groß mache und den Andern zum Bescheidthun einschenke, sollte er hintendrein nicht reuig werden, sonst laß'er's ein andermal lieber bleiben. Es habe Niemand anders befohlen als der Andres, ihm habe man's abgenommen und gedankt. Wenn aber Jemand etwa meine, es sei mit dem Aufschreiben nicht in der Ordnung gegangen, so solle man ihm das beweisen, er habe seinen Kopf immer bei einander gehabt, und gewußt was er gemacht; das sei nicht seine Manier, so soll ihm Niemand kommen, es gebe noch Gerichte und Gerechtigkeit im Lande!
Der Schneider-Andres sah gar wohl, daß er Nichts ausrichten konnte, sondern verrathen und
verkauft war; zudem scheute er den Lärm und das Brüllen des Wirthes bei den offnen
Fenstern und war darum froh, als nur dieser wieder schwieg und setzte seinen Widerstand
nicht länger fort. Es kam demnach zum Abschluß der Rechnung und als diese schwarze Wolke
sich entlerrt, wurde es dem armen Andres gar hell und klar,nämlich daß ihm von seinem
Gelde kein Pfennig mehr im Sacke verblieb, im Gegentheil. Exact vierzehn Fränklein betrage
die Rechnung, vernahm er, dazu kämen noch zwei für zerbrochnes Glaswerk, mache zusammin
sechszehn Franken; ob er lieber gleich baar zahlen wolle oder eine Handschrift gebe? Dem
Schneider war Eins so zuwider wie das Andre. Handschriftliches hatte er von der Gant her
schon genug, denn dies fing ihn nun auch an zu drücken, bei seiner trüben Stimmung,zudem
fürchtete er, die Frau möchte ihm gar noch dahinter kommen und das schien er besonders
heute vermeiden zu wollen.So griff er denn schweren Herzens in den rechten Hosensack und
langte die drei schönen feisten Fünflivers hervor: er wolle
XII.Wie's noch weiter in Kestenhofen ging und was der Gemeinderath dazn gesagt.Der
Schneider-Andres war keineswegs der Einzige in Kestenhofen, dem der Branntwein so
mitspielte und dieser hatte außer ihm, Gäderliesi, Mauseranni und Dursenbäbi noch gar viel
eifrige Anhänger, heimliche und offne, Manns
Hatten die Kestenhofer sich wol gewaltig aufgehalten über die Verworfenheit und das Elend
des verlumpten Toni von Nesselstorf und waren um ihn herumgestanden, nicht anders wie um
fremde wilde Thiere, die Hauptsache hätten sie bei sich selber fast ebenso gut sehen
können, wenn auch nicht so auf ein Häuflein gewischt und mit Landjägerbegleitung, sondern
mehr vertheilt, da in einem Hüttlein, dort in einem Gaden,einem Stalle. Sie sahen das
Unkraut täglich aufschießen,wachsen, aber gerade weil sie immer es sahen, beachteten sie
es wenig, stutzten höchstens, wenn durch das tägliche unmerkliche Wachsen zuletzt ein
stachlichter, unfruchtbarer Dornstrauch dastand, der allen guten Saamen erstickte. Sie
meinten. vielleicht auch, weil es bei ihnen vorkomme, sie Kestenhofer seien,sehe es doch
nicht gar so häßlich und arg aus, sahen die rothen Nasen für Zeichen vollblütiger
Gesundheit an, die fahlen eingefallnen Gesichter dagegen, wenn nicht für interessant, weil
das auf dem Lande nicht gilt, doch für ein Zeichen,wie schlimm es den armen Leuten ergehe,
wie nöthlich sie hindurch müßten, wo sich denn nicht so zu wundern sei, wenn sie dann und
wann im Schnapsgläschen ihr Elend zu vergessen suchten. Aber wenn man auch zehnmal zu der
Kohle Kreide sagt und es sogar im Amtsblatt drucken ließe, sie färbt deßwegen nicht
weniger schwarz Alles was mit ihr in Berührung kommt, und so schlugen denn, trotz allen
Entschuldigungen und Beschönigungen, die Wirkungen des Schnapstrinkens da
Wenn man Morgens um 10 Uhr im Wirthshause die jungen Bursche hinter Schoppengläsern
antrifft, aus denen sie Schnaps trinken, so wird man sich hernach unwillkürlich weniger
wundern, wenn man vernimmt, daß das Dorf, trotz
Aber wie? ist der Branntwein denn an sich etwas so Böses, ein Laster, eine Sünde, welche das Innre eines Menschen, seine Seele, angreift und ansteckt? Es besteht ja all jene Frechheit und Zügellosigkeit und Lüderlichkeit jedenfalls schon lange vor dem Brauntwein und weit weg von ihm, wie will man ihm denn Schuld geben an so viel Elend und Verderben im Volke?Man sieht oft an feuchten dunkeln Wänden Pilze, Schimmel wachsen, im stehenden Wasser grünen Schlamm entstehen,oder kleine schlängelnde Thierchen, Insekten schwimmen und wundert sich, wo die wol hergekommen, ob sie da dran und da drin von selber entstanden? Aber in der Luft und im Wasser, überall wehen und schweben unsichtbare Sämlein
Meyer-Merian, Mareili.
So weht auch der Same des Unkrauts, welches das gute Korn im Herzen erstickt, das Ei des Wurmes, der am Glüůcke der Menschen nagt, fast unsichtbar millionenfältig überall in der Luft umher, in diesem Worte, jenem Gedanken, selben Gelüsten und Wünschen. An einem offnen redlichen Sinne,in einem gottesfürchtigen reinen Herzen mögen sie nicht haften und fallen unschädlich ab. Aber da und dort gerathen sie in eine Falte, eine Ritze und bleiben liegen. Sie mögen zwar noch nicht gedeihen, aufgehen, sondern, bleiben verschlossen in ihrer harten Schale, um am Ende zu vertrocknen und im Keime wieder zu ersterben. Da kommt aber eine böse unsichtbare Hand und träuft auf den schlummernden Samen Branntwein, erst nur tropfenweise. Das Körnlein schwillt, die Schaale des Eies wird durchsichtig, mehr und immer mehr.Bald reißt die Hülle, scheu guckt ein Blättlein, ein Köpflein hervor, als traute es noch nicht, sei noch nicht erstarkt genug,dem Einflusse von Licht und Luft zu widerstehen. Aber die gespenstige Hand gießt immer herzhafter und reichlicher Branntwein zu, immer gieriger wird er eingesogen und das Kraut treibt Wurzeln und Blätter, das Thier bewegt sich behaglich,streckt sich und wächst größer und größer. Niemand kann sagen,der Branntwein sei das Unkraut, der Wurm; indeß der Branntwein hat doch beide aus ihrem verschlossenen Keime in's Leben gerufen und groß gezogen.
Aber sah denn dies in Kestenhofen Niemand ein? gab es keine wohldenkenden Männer, die ein Herz hatten für das Volk und seine Noth und Einfluß genug zum guten Willen,um ein Wort drein zu reden und dem Uebel Einhalt zu thun?Ueberhaupt, war denn keine Obrigkeit, kein Gemeinderath da,der einzuschreiten nicht blos die Macht, nein, sogar die Pflicht hatte?Freilich hatten die Kestenhofer einen Gemeinderath und in dem saßen einflußreiche Männer, darunter Volksfreunde,sogar von den eifrigsten, denen Einer hätte kommen sollen und vorhalten, sie meinten es nicht gut, nicht besser als alle Uebrigen mit dem Volke! Aber mit der Freundschaft ist's eine Sache wie mit mancher andern: wie's eine Affenliebe gibt,DDdem Volke z. B. in's Maul streicht, was ihm gerade schmeckt,wenn's ihm hintendrein zehnmal Brauchgrimmen machen mag,die Gedärme zusammen zieht in einen Knäuel oder sie aufbläht zum Zerspringen. Der Krämer Stoll unter Andern saß im Gemeinderath und der Schwäher des Rößleinwirths auch,dieser war sogar noch Präsident. Kam vor Die eine Klage über diesen, jenen Unfug, oder daß eine Bürger anfange sich dem Trunke zu ergeben, Haus und Feld vernachläfsige, Frau und Kind darben lasse, herumziehe statt zu arbeiten, und halbe Nächte bei Schnaps und Kartenspiel verbringe, da fanden sie das vielleicht auch bedauerlich, (jenachdem Jemand klagte), aber sie zuckten die Achseln und wiesen auf die Verfassung: es seien aufrechtstehende Bürger und denen sei ihre Freiheit garantirt; man dürse ihnen nicht zu nahe treten,könne ihnen keinen Zwang anthun, sie nicht bevogten; ohne
9 *
Aber was half es? Führte man beim Präsidenten ernstlich Klage, machte Schaden namhaft und bezeichnete Den und Jenen als Urheber davon und drang auf Strafe, so machte der Präsident den Fürsprech der Nachtbuben: es seien lustige Bursche, man sei auch einmal jung gewesen! und redete ihnen das Beste. Wo's aber ernster gemeint war und er den Unwillen nicht abzulenken vermochte über die zügellose Frechheit,welche ein ganzes Dorf tyrannisirte, oder wo sich's um Schadenersatz, Schmerzengeld und dergleichen handelte, da stellte fich der Präsident als Vermittler hin zwischen den Lärmmachern und den Beschädigten, und suchte durch Zureden und Schönreden und mit dem Einfluß seiner Stellung den Schuldigen durch einen günstigen Vergleich (wobei er markten konnte wie ein Jude) aus der Klemme zu helfen.
Von einer Seite war dies Nichts als billig: die Buben hatten ja die Räusche zu ihrem
Unfug bei des Präsidenten Schwiegersohn geholt und bezahlt, was sollte der Schwäher,der ja
auch sein Geld in der Wirthschaft stecken hatte, sich
Damit blieb's nicht blos beim Alten, die Lärmmacher und Lumpe sahen, daß sie so viel als leer ausgingen, Nichts zu gefährden hatten und wurden darum im Gegentheil noch übermüthiger, scheuten sich noch weniger und zogen Andre nach. Steuergenössige, die bei aller Tagedieberei die Unterstützung gleich fort erhielten, wurden eben so wenig gebessert oder nur abgeschreckt, ja sie fingen an zu pochen auf ihre Rechte, fleißige Arme, die sich's sauer werden ließen, auszuhöhnen und Mahnungen oder Zurechtweisungen zu trotzen.
Es saßen wol auch einige Maänner im Gemeinderath, die nicht so sprachen und nicht so
dachten wie ihre volksfreundlichen Kollegen, die sich vielmehr ärgerten über den
wachsenden Unfug, denen die Verarmung und die Verwilderung nahe ging. Es waren brave,
rechtschaffene Männer, unbescholten und wohlmeinend, aber sie waren still und
friedliebend, haßten Streit über Alles und schluckten dem Frieden zu Lieb Vieles,auch mit
Würgen, hinunter. In ihrer Aengstlichkeit doch einmal, wie man sagt, das Thier aufjagen zu
müssen, hätten sie am liebsten dem Vogel Strauß es nachgemacht und den Kopf im Sande
versteckt, um Nichts zu sehen noch zu hören.Als schlichte Leute fühlten sie auch die
Ueberlegenheit ihrer gewandtern Genossen, noch mehr aber fürchteten fie die Rache Derer,
gegen deren Ueberschreitungen sie auf Bestrafung und auf ernste Behandlung hätten dringen
müssen. Um des öffentlichen Wohls willen aber an Leib oder Gut geschädigt zu werden ist
nicht Jedermanns Sache, sie war es auch nicht dieser Gemeinderäthe, denn in dem Punkte
sind die Bewohner des
Konnte es einmal Einer gleichwol nicht länger verhalten und sprach er von der wachsenden
Last der Armenbehörden und wie man da einschreiten müsse, damit nicht am Ende sie alle
verlumpten, dann rückten ihm der Krämer und des Rößleinwirths Schwäher mit der Verfassung,
dem Staat auf den Leib und schüchterten den Verwegenen ein, der vor beidem einen heiligen
Respekt hatte, namentlich da er nicht recht wußte,was damit anfangen und wo die Grenzen
eigentlich seien zwischen Staat und Gemeinde, zwischen Verfassung und der Befugniß eines
Gemeinderathes? Früher hatte man sich um die nicht bekümmert, sondern gehandelt nach Dem,
was man für Recht hielt und wie es der Brauch war; das wußte Jeder ohne langes
Nachschlagen und Studiren in den Paragraphen einer Verfassung. Indeß der Kestenhofer
Gemeinderath war schon einmal gerüffelt worden, weil er einen Halunken zum Dorfe
hinausgejagt, dem die Verfassung als Staatsbürger den Aufenthalt darin garantirte. Das
machte die guten Männer irre, sie wußten nicht mehr recht was gelte, wer oben sei und wer
unten, die Halunken oder der Gemeinderath,oder der Staat. Sie lasen nun die Verfassung,
zwei Mal für ein Mal, und es stand wirklich Nichts drin, daß das Verlumpen und Verlottern
verboten sei. Also sei's erlaubt! benichts an, oder wie sie es nannten: der Gemeinderath
sei
XIII.Der Pfarrer und der Herr Lehrer.Aber wenn denn der Gemeinderath in Kestenhofen nicht einschreiten wollte gegen die um sich greifende Verschlechterung,aus Feigheit und Lauheit, waren da nicht noch der Pfarrer und der Schulmeister, denen das Wohl der Jugend besonders anvertraut war und die, weniger von Menschenfurcht gebunden, auf's Bessere allmälig doch hätten hinwirken können mit Ermahnung, Belehrung, auf gütlichem Wege, wobei sie nicht gegen die Verfassung verstießen?
Freilich war in Kestenhofen ein Pfarrer, sogar ein sehr eifriger und studirter, und wenn auch kein Schulmeister, doch ein ganz neumodischer Herr Lehrer, welche Beide von ihrem Berufe und ihren Pflichten auf's Tiefste durchdrungen waren. Sie stimmten auch darin völlig überein, daß das um sich greifende
Branntweintrinken der Leute Verderben sei, wie daß diese Gefahr müsse aufgedeckt, davor
gewarnt werden aus Leibeskräften. So eins sie aber hierin waren, ein Schritt weiter und
der Eine zog rechts, der Andre links, daß der Karren,den sie aus dem Sumpfe bringen
wollten, nothwendig stecken blieb.Der Pfarrer stand erst kürzere Zeit in seinem Amte und
war einem Vorgänger gefolgt, der fast sein ganzes Leben unter den Bauern zugebracht und
bei ihnen auch noch lange,selbst nach seinem Tode, in gutem Ansehen sich erhielt, so daß,
wenn sie von „ihrem“ Pfarrer sprachen, sie den verstorbenen meinten und nicht den neuen,
welchen sie in Wirklichkeit besaßen. Der alte war felber ein halber, ja sogar ein ganzer
Bauer gewesen. Von jeher auf dem Lande, weil da sein Vater schon als Pfarrer gewirkt, und
aufgewachsen mit der Dorfjugend, kannte er nicht nur die Art und Weise der Bauern, ihre
Sitten und Gebräuche, und fand sich in ihre Anschauungen und Gedanken, sondern er stellte
sich auch praktisch mitten unter seine ländliche Umgebung hinein. Er besaß Feld und Acker
und verstand sich auf deren Bewirthung wie nur der beste Bauer: sein Gras war berühmt,
keine Gerste, kein Roggen stand so dicht wie die auf seinen Aeckern.Ebenso wenn die
Stadtmetzger schweres Vieh wollten, ein wohlgemãstetes Kalb oder ein feistes Schwein,
fragten sie erst im Pfarrhofe an, ob Etwas da sei und zahlten gerne einen höhern Preis für
die Waare als auf jedem andern Hofe. Dabei wußte der Alte den Leuten zu helfen und zu
rathen; selten ging ein Bauer unbelehrt oder nicht erleichtert aus dem Pfarrhause, und
dies Zutrauen und der Respelt zugleich, welche
Indeß war auch die alte Frau Pfarrerin nicht zu vergessen, die trug nicht wenig bei zu dem Ansehn und der Liebe,deren ihr Eheherr bei seinen Pfarrkindern genoß. Sie war in Allem beschlagen gewesen, was nur immer vorkommen mochte. Bei Kindbetten und Krankheiten wußte sie nicht nur Rath, sondern stand auch da mit Hilfe, einem Schüsselein Schleim, einer kräftigen Brühe, einem wirksamen Thee. Es sei ein Doctor an ihr verloren gegangen! rühmten die Einen;das sei die „gemeinste Frau“ auf Gottes Erdboden! lobten sie die Andern und Thränen traten ihnen in die Augen, wenn sie an die und selbe Noth gedachten, darin ihnen die erfahrene Frau als ein rettender Engel erschienen. Darum wären auch Männer und Weiber durch's Feuer gelaufen für sie und da DD verehrenden Gefühle auf den Pfarrherrn selber über, besonders da auch die Frau diesem immer mit der größten Achtung begegnete, ihm als Geistlichen und Meister überall sich unterordnete und ihren Respekt gerne auch vor Andern darlegte.
Was seine Wirksamkeit als Geistlicher betraf, so wäre an dem alten Herrn vielleicht
Manches auszusetzen gewesen,obschon er sich keinerlei Pflichtversaäumniß zu Schulden
kommen ließ. Er predigte, taufte, eopulirte und hielt Leichenpredigten,
Ein jeder Nachfolger würde es in der Gemeinde schwer gehabt haben, denn verklärt noch hob
sich bei allen Anlässen die Gestalt des Vorgängers aus der Erinnerung der Land
All diese Abweichungen, wie diese Eigenschaften, änderten die bisherige Stellung des
Geistlichen in Kestenhofen bald genug. Der durchgehende Respekt in der Gemeinde und die
allgemeine Anhänglichkeit begann sich zu spalten: bei Etlichen wuchsen sie, bei den
Meisten aber gab's sonst eine Veränderung. Um ihrer vorwiegenden Frömmigkeit oder
Geistlichkeit willen hatte der alte Pfarrer keine seiner Pfarrkinder
Da die Bauern einander viel besser kannten und auch beurtheilten, so schüttelten über den
neuen Zudrang und Anhang selbst besonnene und rechtschaffne Männer den Kopf und zogen sich
selber nur um so mehr zurück, bei aller Gerechtigkeit und allem Respekt, den sie im
Uebrigen dem neuen Pfarrer widerfahren ließen. Ihr Zutrauen und ihre Zuneigung wurden
dadurch nicht genährt, besonders da der Geistliche, durch wohldienerische Zuflüsterungen
und übertreibende Hinterbringungen übel berathen, gegen die Lauen und Gleichgiltigen, die
Selbstgerechten und Stolzen scharf predigte und dabei eben auf jene Ruhigern, schwerer
Beweglichen ziemlich deutlich hinwies. Daß überhaupt die Strafpredigten bald vorwalteten,
gab sich bei diesem Verhältnisse fast von selber und auch die Bauern gewöhnten sich am
Ende daran und
So geduldig und ruhig verhielt sich indeß nicht ein Jeder,der sich nicht zu den besondern Anhängern des neuen Pfarrers zählte. Keine geringe Zahl, und sie mehrte sich mit der Zeit fast zusehends, bezeugte immer unverholner ihre Unzufriedenheit. Wer früher schweigen gemußt, gern oder ungern,der that jetzt das Maul auf, und wie! Es war als wollte sich jeder böse Bube für die bisherige Stille schadlos halten und womöglich das Versäumte noch nachholen. Diesen stimmte man nun freilich nicht bei, schüttelte im Gegentheil die Köpfe über ihre frechen Reden; aber die Macht der öffentlichen Meinung, die sie vordem im Zaume gehalten, war einmal gebrochen und die Unverschämtern achteten nicht auf die stille Mißbilligung, sondern fuhren fort und immer ärger. Sie zogen zuerst allerdings nur über den, Pfaffen“ los und über die Scheinheiligen. Als sie indeß hier nicht sogleich auf entschiedenen Widerstand stießen, wagten sie sich auch hinter das Amt des Pfarrers und am Ende ging's über die Religion im Allgemeinen her, die fie zwar nicht Religion nannten, sondern vielmehr Heuchelei, Pfaffentrug und Aberglauben.
So gewöhnten sich die Kestenhofer allmälig Vieles zu hören und hinzunehmen, was sie früher nicht geduldet hätten und bei zu Manchem nur blieb selbst dies und das davon unvermuthet hängen. Diese, Ansichten“ gefielen besonders den Jungen, die mit dem Nachplappern von derlei Geschwätze zu zeigen vermeinten, was für Kerle sie seien, jedenfalls weit
über die alten, Trümpi“ und , Krätti“ hinaus an Courage wie an Gescheidtheit; scheerten sie sich doch weder um Gott noch den Teufel mehr etwas. Daß die, welche gerne im Trüben fischten, oder etwas zu decken und verstecken hatten, eine anrüchige Liebhaberei, oder einen bösen Schaden, mit vollen Backen ebenfalls in dieß Horn bliesen, versteht sich wol von selber und je lauter die saubre Kameradschaft that und sich regte, um so höher wuchs ihr der Kamm, um so mehr der Schwachen oder Leichtsinnigen zog sie zu sich herüber, wo's so lustig und ungenirt zuging und man nicht nach alten Vorurtheilen beurtheilt wurde, sondern ganz freisinnig.So entsprach denn den zügellosen Reden immer ungescheuter auch das Thun und Treiben, und weil sich nirgend besser räsoniren und aufbegehren läßt als hinterm Wirthstische und gar Viele nie couragirter und witziger sind, als mit einer Bouteille im Leibe, so kam in der Folge das Trinken jedenfalls nicht in Abgang, am letzten das wohlfeile und doch so wirksame Schnapstrinken. Hatte dieses zwar früher auch schon stattgefunden, so war es doch mehr einzeln, im Verborgnen, und im Ganzen mäßiger, geschehen, aus kleinen Gläschen höchstens und nur so nebenzu. Jetzt schienen Viele eine Ehre drein zu legen, Schoppengläser wurden mit Brenz gefüllt und Morgen und Mittag, Abend und Nacht waren dazu die geeignete Zeit.Hiegegen nun und wider die Folgen davon eiferte der neue Seelsorger ebenfalls ganz besonders und mit allem Rechte, aber gerade je größres Recht er dazu hatte, um so ubler nahmen's ihm die, welche sich dadurch getroffen fanden.
Meyer-Merian, Mareili. 4n
Es war eines Sonntags, der Pfarrer predigte von der Sünde und Verderbtheit des menschlichen Herzens und führte dabei an, wie der Teufel den Schnaps erfunden, um die mahnende Stimme Gottes und des Gewissens zu berauschen und einzuschläfern, dafür den Hochmuth, die Lästerung, die Fleischeslust zu erwecken und damit Leib und Seele zu fangen und zu verderben für Zeit und Ewigkeit. Der Erzlügner übe da seine alte List, die er schon bei Adam und Eva angewendet, als er sie durch Sinnenkitzel zum Widerstreben gegen Gottes Gebot verleitet und um das Paradies gebracht. Was die Schlange damals als Erkenntniß vorgespiegelt, heiße sie jetzt Aufklärung und wie der Teufel derselbe, der er vor viel tausend Jahren gewesen, so seien auch die Menschen noch nicht andre geworden, trotz allem gerühmten Fortschritte! In der weitern Ausführung hievon durch Beispiele ward der Geistliche nun stets anzüglicher, wie die Zuhörer meinten, die anfingen, ihre Ohren zu stellen und sich zuzuwinken mit bedeutsamen Blicken. Sie blickten sogar auf Diese und Jene,wenn wieder etwas kam, davon sie meinten, es sei auf jemand besonders gemünzt. Und als nun nachher gar die Kirche zu Ende war und die Leute den Heimweg antraten, da ging es erst recht an ein Auslegen und Errathen und Namen-Nennen:wie Der sein Theil habe nehmen können und Jener eine Prise bekommen! Da und dort standen ein paar Weiber auf dem RDDDDDDD0D wartete auf Bekannte, theilte ihnen Gedanken und Vermuthungen mit, wen Alles der Pfarrer angezogen und wie scharf er's ihnen gesagt; es sei nur schade, daß die Schuldigsten nicht in der Predigt gewesen! Einige lächelten in ihrer Gerechtigkeit,
Andre sahen ernst drein, Dritten guckten Verdruß und Zorn aus dem Gesichte. Während
Etliche Beifall zollten, schüttelten wieder Manche die Köpfe: mit Holzschlägeln auf die
Leute zu deuten bessre nichts, mache nur unnöthig bös Blut! Man stritt: genannt sei
Niemand worden und wenn es nicht wirklich so wäre, dann würde man ja nicht wissen, auf wen
es gehe; was aber im ganzen Dorfe bekannt sei, werde der Pfarrer wol auch auf der Kanzel
anziehen dürfen; jemehr sich die Schuldigen getroffen fühlten, um so weniger würden sie in
Zukunft Aergerniß geben!Bei einer größern Gruppe ging's auch so mit Reden hin und her, die
Stimmung aber neigte sich eher zu Gunsten des Pfarrers, da kam der Schullehrer gerade des
Weges daher und gesellte sich zu den Männern, meist ältern. Einige der Minderheit nun,
jüngere, zogen sofort den Neuangekommenen in's Gespräch, indem sie ihn zu einer Art
Schiedsrichter in ihrem Streite machten und seine Meinung über die Predigt zu wissen
begehrten.Der Lehrer hatte schon während des Gottesdienstes in der Kirche zuweilen den
Kopf geschüttelt, daß ihm beinahe die Brille von der Nase gefallen war. Auch jetzt, dazu
noch um seine Meinung gefragt, wollte er nicht die Gelegenheit versäumen, das Volk über
Vorurtheile aufzuklären, was er als seine besondre Aufgabe ansah. Das sei eine ganz
mittelalterliche Kapuzinerpredigt gewesen! behauptete er, und dem Zeitgeiste durchaus
nicht angemessen. Das Branntweintrinken sei freilich sehr nachtheilig und verwerflich, da
könne keine Frage sein, und wer es mit dem Volke gut meine, müsse da19*
Der Lehrer hatte sehr wahrscheinlich noch Verschiedenes in Petto, womit er die Schädlichkeit des Brenztrinkens gründlich darzuthun gedachte, ohne zu so veralteten Mitteln wie der Pfarrer greifen zu müssen. Es war indeß nicht nöthig, die ganze Aufklärung auszupacken, die Zuhörer waren durch den ersten Theil derselben schon hinlänglich überzeugt, wenigstens hatte die Gruppe der Bauern sich gelichtet, hier standen etliche bereits in einem andern Gespräche unter sich begriffen, redeten
4 vom Wetter, vom lieben Vieh, vom heurigen Weine, dort gingen andre ihren Weg
einstweilen sachte fort, dritte sperrten den Mund auf, weit, weit, und warum anders, als
aus lauter Respekt vor der Weisheit des Lehrers!Und ein Erfolg war in der That auch
erreicht worden:die abweichende Ansicht hatte den Eindruck, den des Pfarrers Predigt
begonnen auszuüben, wieder verwischt, indem den Leuten dadurch die Gefahr des Branntweins
wenigstens ebenso mythisch wurde wie Adam und Eva und Apfel und Schlange dem Herrn Lehrer
waren.Es war dieß, keineswegs zum Vortheil der Gemeinde,weder das erste noch das letzte
Mal, daß Pfarrer und Lehrer nicht mit einander übereinstimmten.Der Lehrer war von der
hohen Bedeutung seines Berufes so übermäßig erfüllt, daß gar nichts Andres mehr daneben
nur ein Plätzlein gefunden hätte. Voll Zuversicht und Eifers war er aus dem Seminar
getreten, mit einer Reihe von Heften ausgestattet, darin er Schwarz auf Weiß Alles
aufgezeichnet trug, was nur der Welt zu wissen noth that, sowol was ihr eignes Heil
betraf, als namentlich ihre Stellung zur Schule. Uneigennützig suchte auch der junge Mann
daraus Cultur zu spenden, aber statt daß das Volk nun ihn auf den Händen trug, ihm überall
einen ersten Platz anwies,blieb es stumpf und theilnahmlos und vergalt die Bemühungen alle
mit einem Gehalte, zu wenig zum Leben, zu viel zum Sterben aus Hunger. Und da meinten noch
Manche, besonders ältre Bauern, dieß Geld sei halb weggeworfen, deuteten verbliͤmt an: man
könnte ja den Lehrer auf den Umgang
Der Schullehrer war überdieß ein viel zu unabhängiger Charalter, als daß er seine Gesinnung, oder wenigstens Stimmung, nicht hie und da auch unmittelbar seinem Pfarrer selber zu verstehen gegeben hätte, bei ihren gegenseitigen amtlichen Berührungen. In Mehrerem, was den Kirchendienst betraf, war der Lehrer dem Pfarrer gewissermaßen untergeordnet, und da er das Amt einmal übernommen, mußte er auch hierein sich fügen, wohl oder übel. Daneben ertheilte aber der Geistliche auch in der Schule Religionsunterricht, wobei er mehr als Kollege des Schullehrers dastand und hier war es denn, wo er dessen Ebenbürtigkeit und Unabhängigkeit bei mehr als einem Anlasse zu schmecken bekam. Indeß sogar bei jener untergeordnetern kirchendienstlichen Stellung hätte der gewiegteste Ingenieur mit seinem spitzesten Zirkel die Grenze nicht haarschärfer ausfindig machen können, wo die buchstäbliche Amtsverpflichtung aufhöre, als dieß der Lehrer verstand und es war jedesmal ein wahres Herrenfressen für ihn, dem Pfarrer unter die Nase zu reiben, daß er mit dieser oder jener, vielleicht sehr
3.unschuldigen Zumuthung, seine Competenz überschreite und darum nicht auf willfährigen Gehorsam zu zählen habe; im Gegentheil!
Der Geistliche war zwar persönlichen Reibungen viel zu wenig geneigt, er fühlte sich in
der That auch durch eine geistige Ueberlegenheit davon zurückgehalten, als daß er
seinerseits gesucht hätte, Gleiches mit Gleichem zu vergelten oder den Lehrer, wo er es in
der Hand hatte, in die gebührenden Schranken zurückzuweisen. Indeß hinderte dieß doch
nicht,daß sein Urtheil über denselben kein günstiges war und um so ungünstiger, da ihm von
dienstbaren Geistern auch dessen sonstige Ansichten zugetragen wurden. Er fand den jungen
Mann aufgeblasen, dünkelhaft und über den Schulmeisterhochmuth entfiel ihm wol da und dort
ein unvorsichtiges Wort.Ueber die verkehrte Aufklärung der Zeit, über den Unglauben und
die falsche Weisheit des Tages, predigte er sogar, sprach von Irrlehren, die der Satan
aussäe und mit Branntwein fleißig begieße, daß sie gediehen. Der Lehrer bezog Dergleichen
immer auf sich und da er ein Unrecht darin fühlte, indem er ja dem Schnapse nicht minder
Feind war als der Pfarrer selber, so erbitterte ihn dieß und er suchte den Einfluß des
Geistlichen noch tiefer zu untergraben. Die gleichen dienstfertigen Seelen, die dem
Pfarrer des Lehrers Aeußerungen zugetragen, sorgten auch dafür, daß der Lehrer wieder die
Meinung des Pfarrers über ihn erfuhr, und zwar gehörig gesalzen und verschnörkelt dazu.
War nun im Umgange der Geistliche freundlich gegen den Schullehrer, so nahm dieser dieß
als Verstellung und Falschheit hin, indem er nicht anders meinte, als jener müsse den
gleichen Groll
Das Verhältniß der Beiden war so im Ganzen ein schlimmes und für jeden ärgerliches, sie
verbitterten einander das Leben und der Lehrer zu allermeist, trotz seiner innerlichen
grundsätzlichen Verachtung und seinem Selbstbewußtsein. Noch übler aber war, daß auch die
Gemeinde darunter litt, indem Einer so ziemlich den Einfluß und Segen des Andern
unterwühlte, jeder ausriß, was der Andre pflanzte, weil es dieser nicht an sein Stöcklein
binden wollte, sondern an's eigne.Wie aufrichtig Beide das gleiche Ziel anstrebten,
Schulmeister und Pfarrer und Pfarrer und Schulmeister legten einander so viele und so
große Bengel in den Weg, daß es am Stolpern keinem fehlte und sie vor lauter Wegräumen
nicht vorwärts kamen. Statt daß sie vereint die ganze Gemeinde förderten auf dem guten
Wege, rissen sie dieselbe aus einander, der Pfarrer die ältern Leute und die Weiber
besonders rechts hin, der Schullehrer zumeist die Jungen links ab,und vergeudeten Beide
oft, mehr zum Schaden als Nutzen,Kraft und Eifer. Denn blieb dem Pfarrer bei Einzelnen,in
dem und selbem Hause, seine Wirksamkeit und sein segensreicher Einfluß, da er ein
gewissenhafter Seelsorger war, so hatte das Gewicht seines Wortes und seiner Person für
das Ganze und Allgemeine doch bedeutend sich gemindert, und am
Gemeinderath könne nicht Alles machen! oder auch: dafür habe er keine Verantwortung, er brauche sich also nicht drein zu mischen!Kurz der Gemeinderath verstand es, dem Pfarrer, trotz seinem Eifer, das öftre Wiederkommen zu verleiden, was allerdings auch dazu beitrug, dessen Thätigkeit und Wirksamkeit aus dem Oeffentlichen noch mehr in die einzelnen Häuser, in denen er ganz oder wenigstens halb willkommen war, überzutragen und die Verbreitung des Reiches Gottes von diesen aus in der Gemeinde zu fördern, so weit es ihm möglich war.Freilich fand er daneben gar manche Thüre verschlossen, in mancher Stube, in die er trat, saß nur die alte Großmutter am Spinnrade und hörte ihm zu, während die Jungen nach dem Stall und Garten und Feld vor ihm entwichen waren;von noch weitrer Entfremdung nicht zu reden.
Pfarrer und Schullehrer hätten sich ein Beispiel nehmen können am Wirth und Krämer, die
ebenso für den Branntwein eingenommen waren, wie sie dagegen. Die Zwei waren zwar einander
spinnefeind, denn jeder sah den andern als seinen Brotdieb an. Dem gemäß schimpften sie
auch über einander und wenn sie sich ein Wässerlein abgraben oder sonst einen Streich
spielen konnten, so unterließ es gewiß keiner,ob's ihn selbst viel Geld gekostet hätte.
Handelte sich's hingegen einmal um eine strengre Verordnung, eine Beschränkung im
Wirthschaftswesen, galt es die Einfuhr geistiger Getränke zu erschweren, dem
Schnapsmißbrauch durch Steuern,Verbote und Dergleichen Einhalt zu thun, dem
Wirthshaustreiben und Wirthshaushocken in alle Nacht hinein entgegen
Hätten umgekehrt für das Gute, das sie doch wollten,Pfarrer und Lehrer so zusammen gehalten, kleinliche Reibungen vermieden, über Andres, das nicht die Sache betraf, weggesehen; wie man sagt, über der Brühe nicht den Braten vergessen und verbrennen lassen, es würde in Kestenhofen sicherlich Vieles anders ausgesehen haben als jetzt, wo eigentlich nur Krämer und Wirth nach Belieben, oder im Namen eines theils schwachen, theils einverstandnen Gemeinderathes das Regiment führten und den Ton angaben.
XIV Der Sonntag.
Es hatte schon verläutet in der Kirche zu Kestenhofen,aber heute sah's im Hause Gottes
noch bedenklich leer aus,vorab in den Reihen der Mannerstühle. Der Gesang war auch dünn,
die tiefern Stimmen fehlten, nur die schmetternden,zitterigen Stimmen von ein paar alten
Mannen tönten aus dem Chor der Frauen und Mädchen hervor. Es war ein prächtiger
Sonntagsmorgen, den hatten Viele benützt, um das Heu draußen zu kehren und es womöglich
trocken einzubringen, heute noch, obschon das Wetter beständig und das Wetterglas
fortwährend im Steigen war. Habe man es, so habe man es! sagten aber die Bauern. Es war
zwar früher auch vorgekommen, daß man am Sonntag geheut oder Garben eingeführt, doch stets
nur wenn draußen Heu und Korn schon gelegen und das Wetter im Aendern begriffen; zudem
hatte man in diesen Nothfällen immer erst nach der Predigt angefangen und zuerst Gott
gegeben was Gottes war. Jetzt ging man über diese Beschränkungen großartig weg: Es sei am
Ende ein Tage wie der andre! für beregnetes Heu, das am Werktag geschnitten worden, zahle
kein Mensch so viel als für unberegnetes, das des Sonntags eingebracht worden und auch das
liebe Vieh fresse es nicht gleich gern. Der Winter sei lang und mancher Regensonntag im
Jahr, da könne man nachholen, was man das eine Mal in der Kirche versäumt;zudem sei Heuen
nichts Böses und man könne, wenn man wolle, auch an Gott denken dabei und noch besser für
das
Es gab indeß in Kestenhofen noch Leute, die ganz damit einverstanden waren, daß man am
Sonntage nicht arbeite,sondern ihn als Ruhetag betrachte und die doch gleichwol nicht in
der Kirche waren. In der hintern Stube im Rößlein saß eine solche Gesellschaft beisammen,
hinter Schnapsgläsern die meisten davon. Die Männer saßen da in ihrer vollen Würde, kein
Mensch und kein Teufel hatte ihnen etwas zu befehlen, dafür zogen sie die ganze Welt,
Könige und Kaiser,um wie viel mehr die eigne Obrigkeit, vor ihren Wirthstisch,sprachen ihr
Urtheil über sie mit wichtigen Gesichtern, indem dampften, und zur Bestätigung und
Betheuerung, neben den landesüblichen Flüchen und Schwüren, auch mit der Faust auf den
Tisch schlugen. Gottesdienst, Ordnung, Gesetz,Sitte, Alles das war nur für Tölpel und
dumme Kerle oder alte Weiber da, sie waren viel zu gescheidt, viel zu erfahren und
unabhängig, um sich an Dergleichen lange zu kehren und sich dadurch abhalten zu lassen von
dem, was
Spur gekommen. Aber es war der Schreiberjörgli, so ziemlich das Gegentheil von dem, was ein Landjäger vorstellt,nämlich die rechte, aber schmuzige Hand eines sogenannten Geschäftsmannes in der Stadt und auch selber wieder eine Art Geschäftsmann nebenbei und auf eigne Rechnung. Er kam öfters auf's Land, war überall bekannt wie der böse Pfennig, wer was Unlautres hatte, der berieth und brauchte ihn, aber auch Andre meinten: ein Spitzbub verstehe sich am besten auf Geschäfte, werde gegen sie jedenfalls ausnahmsweise redlich sein! und nahmen ihn. Trotzdem war der Jorgli beständig in Noth und hatte immer Durst, denn wie es Schuhe gibt, die nicht wasserdicht, so gibt es Säckel, die nicht gelddicht sind, nur läuft's bei diesen umgeklehrt nicht hinein, sondern hinaus. Er war mit einem Schweinmetzger hieher gefahren aus der Stadt diesen Morgen früh, fühlte sich ganz zerrüttelt und behauptete, sein leerer Magen schlampe und plampe ihm wie ein losgebundnes Schurzfell im Leibe herum, von einer Wand zur andern. Er befahl darum gleich einen halben Schoppen Schnaps zum Stärken und setzte sich zu den Anwesenden, von denen er die meisten wol kannte.Er begrüßte sie auch als gute Freunde, wenngleich mit einiger Ueberlegenheit und erkundigte sich nach Dem und Jenem,Menschen und Dingen, denn er suchte immer auf dem Neuesten zu sein und wußte von Allem gelegentlich Nutzen zu ziehen.Wo denn aber der Zittlerhans stecke? fragte er, nachdem er sich am Tische umgesehen. Der werde wol weit sein jetzt, erhielt er zur Antwort. „Wie so?“ Da vernahm der Schreiberjörgli, daß der Zittlerhans auf und davon gegangen, über den großen Bach hinüber, und Frau und sechs
Kinder der Gemeinde am Hals gelassen, die ihm den Vater schon verkostgelden müsse. Er hab's nicht wol mehr anders machen können! meinte ein Zweiter, es sei ihm zu viel geworden, alle Jahr ein Kind und kein Verdienst mehr, seit er seinen letzten Acker verkauft. Halt ein wenig leicht sei er immer gewesen, entgegnete wieder der Erste; aber die Meisten nahmen gegen diesen Partei und redeten dem Zittlerhans das Wort. Es könnten nicht alle Leute Pfarrer oder Kopfhänger sein, man müsse leben und leben lassen! sagte der Wirth und auch der Schreiberjörgli meinte: er hab' ihn manches Mal bedauert; er sei viel zu gemüthlich gewesen, um sich so mit seinem Haus- und Ehkreuz zu schleppen, das ihm allen Muth genommen; vorwärts zu kommen sei ihm unmöglich geworden. Für solche Leute sei Amerika wie gemacht, sie könnten dort drüben von Neuem wieder anfangen und wie sie wollten, die Erfahrung hätten sie. Er werde doch manchmal an ihre Gesellschaft zurückdenken, fiel da der Xaveri ein,gesoffen habe er wie ein Loch, das sei wahr gewesen, und es habe ihm Alles nichts gethan, er sei nur immer fideler geworden.„Hätt's der Thürlipeter, der doch sonst immer zu ihm hielt in Allem, nur auch so gemacht!“ sprach Xaveri's Nebenmann.Was es denn mit dem gegeben? fragte Schreiberjörg;er hab' ihm erst kürzlich eine Fertigung gemacht.Der sei gar ung'fällig gewesen, hieß es. Die Ung'fälligkeit aber hatte darin bestanden, daß der Thürlipeter Waisengut veruntreut und die Rechnungen gefälscht. Es wurde nun
Mever-Merian. Maxeili.
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„Du bist mir ein Mann von Wort!“ rief ihm der Xaveri entgegen.„Bin ich denn nicht da? zeig', wo hast du deine Kutte,“ antwortete Andres und als wollte er ablenken, untersuchte er den Schaden an dem dargereichten Kleide.„Ja, ja, du bist da, aber hast mich eine geschlagne Stunde warten lassen!“ fuhr Xaveri fort.
Andres wollte nur die bestellte Arbeit nehmen und gleich wieder fortgehen; am liebsten wäre er gar nicht in's Wirthshaus gegangen heute, aber er hatte dem Laveri dort das Stelldichein gegeben, es betraf das Geschäft und es ging in diesem so nicht zu glänzend, um noch eine Bestellung zu verabsäumen und vielleicht gar einen Kunden zu verlieren. Indeß hatte er sich in der Kirche während der Predigt heilig vorge
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„Hast du die Predigt noch im Leibe und versperrt dir die den Platz?“ spottete Einer.
„Laßt ihn!“ wehrte ein Andrer, „die Frau hat's ihm verboten, wir wollen ihn nicht
ungehorsam machen, sonst wenn er ihr daheim in's Gesicht hauchen muß und sie riecht
Unrath, gibt's ihm dann noch eine Predigt, und zwei Predigten auf einen Sitz wären doch
fast zu viel für ihn!“Diese Worte und das Gelächter drauf und die spöttischen Blicke alle,
die auf ihn fielen, bissen Andres: so sei's just nicht! behauptete er, es habe ihm Niemand
zu befehlen,bisher sei er noch immer der Herr und Meister im Hause gewesen.„Ja, wenn die
Lisbeth nicht daheim war!“ fuhr ihm Einer hetzend dazwischen. Der Wirth mischte sich auch
drein und erzählte von Einem, dem seine Frau des Nachts immer die Hosen genommen, den Sack
umgestülpt und das Geld drin nachgezählt, wie viel fehle und wie manchen Schoppen er den
Tag über getrunken. Obwol dieß nicht von Andres gesagt war, so schien es diesem doch, die
Augen der Gäste
„Was wird's gewesen sein?“ fiel ein junger Bursche dazwischen, „er wird wieder einmal
eine Schnapspredigt gehalten und ihnen einen Bittern eingeschenkt haben!“ und lachte
selber zu seinem Witze. Andres, der sich inzwischen gehörig gestärkt, antwortete, er hätte
wenigstens genug für ein paar Sonntage jetzt, und ein andrer der Kirchgänger, der bisher
Wein getrunken, rief nun auch nach einem Gläslein Brenz: der Pfarrer habe heute so viel
vom Schnaps gesprochen, daß er nur vom Zuhören einen ganz trocknen Hals bekommen.„Aber was
geht ihr Narren denn zu dem Pfaffen hin und laßt euch ausschelten von ihm?“ fragte der
Schreiberjörg; „in der Stadt gehn nur noch Pietisten und Duck
Narren gefressen, und die Mäßigkeitsvereine und das Zeug,die laufen alle darauf hinaus und sind nur verkappte Werkzeuge der Pfaffen!“Der Wirth war hiemit einverstanden und nahm sich als Volksfreund besonders des gemeinen Mannes an: „So reiche Herren, die nur befehlen können, Tischlein deck dich! und Gold mit Löffeln fressen,“ sagte er, „und die schwarzen Kutten auf ihren feisten Pfründen, die das Volk bezahlt,haben lange gut predigen und einem armen Teufel, der Jahr aus Jahr ein sich schinden und zerarbeiten muß, sein Gläslein Brenz zu verbieten und das Bischen Freude zu verketzern!Hätte der gemeine Mann daheim Lehnstühle und Kanapee und unterm Hause einen Keller voll der besten Jahrgänge, er würde sich auch damit begnügen, so gut als die weltlichen und geistlichen Herren, auch wenn man ihm nicht noch aparte geschenkte Metzgeten in's Haus brächte; so aber muß er seine Erholung und Zerstreuung anderswo suchen und dafür sind eben die Wirthshäuser da, über welche die Volksfeinde so losziehen, aus purer Mißgunst gegen das Volk! Allein wir haben Gewerbefreiheit und es ist nicht mehr die Zeit der Vögte, die Leute sind keine Kinder mehr, jeder weiß selber am besten, was ihm gut ist und was nicht!“ Andres nickte ihm zu.Es habe ihn auch schon gewundert, sagte Xaveri, warum denn der Pfarrer bleibe, wenn's ihm nicht gefalle und hier so schlecht sei? es heiße ihn doch niemand, und gebe noch genug Andre, die die Finger darnach leckten, Pfarrer in dem sündhaftigen Kestenhofen zu sein!
„Uebrigens ist man nicht mit ihm verheirathet,“ sprach der Wirth dazwischen, „und man könnte ihm zeigen,wer der Meister ist im Lande bei Gelegenheit, es wäͤre nicht das erste Mal.“
Der Wirth und der Laveri und der Schreiberjörg führten das Gespräch noch lange in dieser Tonart fort, nur immer schärfer, daß dem Pfarrer und der Regierung und den sogenannten wohlthätigen Leuten die Ohren läuten mußten. Dabei rissen sie die Halblauten, wie einen Schneider-Andres,mit sich in das Feuer, die Halbstillen aber wagten vollends nicht mehr den Mund aufzuthun.
So ging's am Sonntag-Morgen im Rößlein zu Kestenhofen. Gegen Mittag wurde es darin wol wieder ziemlich leer, doch nur um nachher noch voller zu werden, denn Nachmittags da strömte es von allen Seiten herbei, da ward kein Hehl mehr daraus gemacht, es schien im Gegentheil, die Leute hätten es für eine Schande angesehen, wenn sie nicht in's Wirthshaus gegangen wären. Ja, allmälig ward es nicht anders als das Rößlein wachse und wachse, in alle Gassen und in die Baumgärten, ja über das Dorf selber hinaus,dem lauten Leben und Treiben nach zu schließen, das sich allenthalben erhob, als wäre ganz Kestenhofen ein Wirthshaus und die Gassen und Gäßchen, die Plätze hinter und vor den Häusern nur die Gänge, Lauben und Vorräume dazu.
Durch das schöne Wetter waren auch viele Gäste aus der Stadt herausgelockt worden, die,
der schönen Umgebung und dem guten Rufe des Rößleins zu gefallen, gerne den kleinen
Abstecher von der Eisenbahnstelle bis nach dem Dorfe gewagt.Im Bahnhofsaale der Stadt war
ein Gedränge zum Er
In den obern Zimmern des Rößleins, auf dem Altane hinten nach dem Misthaufen hinaus und rund um das Wirthshaus herum im Freien, wimmelte es von Stadtleuten, die saßen, tranken, disputirten und mit Messer und Gabel klapperten, zwischenein an halbleere Flaschen und Gläser schlugen. Das Rufen und Sprechen und Lachen, das Tellerklappern und Gläserklingen, und was für Töne sonst noch dazu kamen, das Alles zusammen war von weitem anzuhören wie das Summen eines stoßenden Bienenschwarmes. In der Nähe klang's freilich massiver, besonders wenn etwa noch ein getretner Hund seinen Beitrag lieferte. Und wer da und dort noch auf die Reden gemerkt hätte, dem würde es vielleicht noch massiver vorgekommen sein, trotz den Seidenhüten, den goldnen Ketten und Stegreifhosen. Einzelnes zu hören war aber schwer, blos aus den Blicken und Geberden, die oft sehr unzweideutig waren, auch wenn sie zweideutig gewesen wäͤren,ließ sich Dieß und Das errathen. Es fehlte an Platz, wenigstens an Stühlen und Bäͤnken, enge großgeecksteinte Höslein,aus denen glanzlederne Schuhe guckten, saßen gern oder ungern auf unsaubern Stoßkarren, die man herbeigeschleppt und babvylonische Weiberröcke bauschten sich verkleinernd über umgestürzte Wasserfässer. Dazwischen schossen Aufwärter und Mägde durch das Gedränge, wie eine Blutsreinigung durch Eingeweide, die darin auch überall sucht und angreift. Von allen Seiten und Tischen wurde ihnen gerufen, erhielten sie Bestellungen, bitt- oder scheltweise, geduldige und ungeduldige Mahnungen, je nach dem Temperament und der Dauer des
Wartens. Ueberall versprachen diese dienstbaren Geister und vergaßen es wieder, sagten Jedem, gleich!“, waren in fürchterlichem Eifer, schwitzten faustdicke Tropfen, stießen und begossen die Gäste erbarmungslos, so gut und viel wie nur je an einer Kirchweih der Fall gewesen.
In der ordinären Wirthsstube unten, drin das Landvolk saß, ging's jedenfalls nicht lauter, indeß auch nicht gar viel stiller zu. Derbe Fäuste schlugen auf den Tisch, die Stimmen klangen rauher und wurde nur von Wenigen Schnaps und sonst geringrer Wein getrunken, so war doch mancher Schoppen über den Durst hinaus, und Viele behaupten, an sauerm Wein trinke man sich einen bösern Rausch als an gutem. Pochen und Brüullen, selbst Händel fehlten auch hier nicht und wer gerade in der rechten Mitte gestanden wäre, dem möchte es schwer gefallen sein zu entscheiden, wer am ärgsten und wüstesten that, Herren oder Bauersleute. Wenn man nur so in die Stube hineinsah, dann mußte es einem überhaupt vorkommen, die Landleute hätten da und dort ein Stück von den Stadtleuten entlehnt, wüßten aber noch nicht recht es zu brauchen. Elbe wollne Kutten bemerkte man fast keine mehr,sogar von den neuern grünen waren nicht so gar viele zu entdecken, noch seltner waren die hohen steifen Hemdkrägen und tief und glatt über die Stirn herabgekämmte Haare; nur bei ein paar alten Mannen, die zu den Stillen gehörten, kam derlei noch vor. Schwere silberne Uhrketten, mit einem alten Fünfbätzner dran und das große silberne Herz mit der Kuh auf der Nadel, welche das Hemde mit dem schwarzen Halstuche zusammenhielt, suchte man ebenfalls lange vergebens,man traf häufiger auf gefältelte Vorhemdchen mit katzengoldnen
Knöpfchen drin, auf Uhrkettchen, die Gold bedeuteten, aber Grünspan zogen. Die meisten der jungen Bursche trugen neumodische Tuchröcke, für einen Bauern zu fein, für Herren aber zu abgenutzt und zu schlecht angepaßt obendrein, hier zu knapp, dort zu puffig und einen viereckigen struppigen Kopf darüber mit groben Zügen, im breiten Manle eine halbzerkaute dünne Cigarre. Hiezu paßten prächtig baumwollne Hosen mit grellen Farben, vertrackten Mustern, an deren Mündungen ein Paar schwere breite Füße in ledernen Rheinwaidlingen vor Anker lagen. Mehr als einer der Gäste dieser untern Stube sah nicht anders aus, als wollte ihm ein halber Herr aus einem halben Bauern kriechen und kriege die Schale nicht los, weil er noch nicht ganz reif war.
Niemand indeß war zufriedner als der Rößleinwirth und eine eigne Beweglichkeit hatte den
schweren Mann übernommen. Sein dickes Gesicht glänzte wie der Vollmond glänzen würde, wenn
man ihn noch extra mit Speck einriebe; die Freude über den prächtigen Sonntag wackelte
leibhaftig auf seinem Doppelkinn und den kugelrunden Backen; durch die halbschuhdicke
Speckschicht hindurch sah man deutlich, wie sein Herz in der Brust heute getheilt war
zwischen den Stadtleuten draußen und der Bauernstube drinnen, trotz seiner Freisinnigkeit
und seinem Patriotismus. Es fiel ihm nicht im mindesten schwer, auf die aristokratischen
Fünfliverthaler die volksthümlichen Batzen und Zweibatzenstücke, die er von seinen
Landsleuten eingesteckt, wieder herauszugeben. Selbst eigne Fehler und Irrthümer gestand
er heute lächelnd ein in seiner Liebenswürdigkeit und bekannte, daß er sich lange nicht
genug vorgesehen. Nicht nur die Forellen waren ihm ausgegangen, sondern
Je mehr es gegen Abend ging, um so lärmiger wurde es,und nicht blos auf der Kegelbahn hinten, wo die Bauernbursche warfen und tranken. Mehr als Einer, der noch ziemlich fest gesessen, wankte, wenn er aufstand, die Stimmen wurden rauher und lauter, die Gesänge brüllender und mit dem Texte nahm man's auch nicht mehr so genau. Während hier eine besondre Zärtlichkeit sich entwickelte, wollten dort junge Bursche einander beweisen, was für famose Kerle sie feien,Herkulese zum mindesten und dieß geschah nicht blos in Worten,sondern auch thatsächlich. Ueberhaupt wurde heftig mit Händen und Ellbogen geredet, die bei aller Schwere doch noch leichter schienen als die Zungen. Allein dabei stießen die guten Freunde nicht nur sich selber oft unsanft, sie belästigten eben so sehr, und noch mehr, auch die Sitzenden, warfen Geschirr um, daß es von zerbrochnen Gläsern klirrte, Streit sich erhob, Geschrei und Fluchen. Flattrige weite Aermel und wahre Zeugläden von Weiberröcken rauschten darob scheu und erschrocken auf, Stimmen kreischten wie von Hühnern, die der Marder überfallen. Heldenhafte Begleiter zeigten ihre Courage durch Fluchen und Schimpfen, Alles, bis an einem andern Punkte ein neuer, womöglich noch größrer Lärm entstand. Indeß die gesteigerte Unruhe hatte auch zur Folge,daß aus der bewegten Masse einzelne Gruppen sich lösten, die es nicht mehr ruhig sitzen ließ, und diese lärmend durch das
Dorf zogen, schwankend Arm in Arm brüllten oder mit den Mädchen anbanden, die beisammen standen da und dort, auf Plätzen und vor den Häusern und dazu lachten, selbst zu faustdicken Zweideutigkeiten, womöglich auch keck drauf antworteten. Daß auch hier die Hände dann und wann die Zunge ersetzten, das bezeugte mehr als ein lustiges Geschrei und manche Gegenwehr, bei der die Angegriffnen den Mund fast nicht zubrachten vor Vergnügen und man's den Dirnen ansah, wie schwer sie die Flucht ankam und wie leicht sie's den Verfolgern machten. So war's am Sonntag Nachmittag in Kestenhofen.
XV.Der Besuch daheim.Am selben Sonntage war Mareili Morgens früh schon auf den Beinen;
aber man hätte es weder im Hofe noch in der Küche, weder im Stalle noch im Krautgarten
gefunden,wo es doch sonst gewöhnlich anzutreffen war. Es stand in seinem Kämmerlein, halb
angezogen mit dem Besten was es besaß, vor dem geöffneten Kasten, der seinen Reichthum
verschloß. Mit eignen Augen sah es sein gutes neues Hemde,die weißen Strümpfe, den
Sonntagsrock an, die es für seine Arbeit von der Meistersfrau geschenkt bekommen zu Meß
oder Nenjahr. Andre Augen hätten zwar an dem einfachen,mehr groben und soliden, als
schmuckoollen Sonntagsstaate
Dank für diese Erlaubniß lag indeß fast mehr Trutz als heitre Freudigkeit, denn noch immer nicht war es in seinem Herzen versöhnt mit dem Letthofe, noch immer wurmte es der Gedanke heimlich, daß es gezwungen hieher gebracht worden und hier verweile, getrennt von den Seinen, denen es von Gottesund Rechtswegen doch zugehöre. War es auch fleißig und ordentlich geworden, zutraulich war es darum noch nicht und wie oft ihm das Herz aufgehen wollte, wenn die Freundlichkeit der Bäuerin so sonnenwarm drauf schien, immer wieder kam die finstre Wolke des heimlichen Aergers über den Zwang,den es erfahren, die Gewalt, die es festhielt und überschattete D scheinen, der es sich innerlich wenigstens um so hartnäckiger widersetzte, je fügsamer es äußerlich sich zu betragen gelernt hatte. Es nahm darum auch jetzt die Erlaubniß eines Besuches nur als geringe Abschlagszahlung an für eine lange Schuld. Es sei Zeit, daß man es endlich einmal heim lasse und ein Tag sei nicht zu viel! so rechtete Mareili innerlich, es erspare der Bäuerin eine Magd; arbeite man Jahr aus Jahr ein, so verdiene man auch etwas, abgesehen oon Dem, was sonst noch gut zu machen wäre!
Auch die Schnitze, das Brot und den Kase, welche die Meisterin ihm in ein Säcklein packte und mitgab, theils zur eignen Zehrung den Tag über, theils um den Seinen etwas zu kramen beim Besuche, sah es mit gleichen Augen an und nahm sie mit gleichem Sinne, das heißt ohne Dank und Liebe,nicht als Geschenk, sondern als Schuldigkeit, wenigstens halbe.
Mit so widerstreitenden Gefühlen, dem Selbstgefühl nämlich, etwas geworden zu sein und
dem Trotz und Unmuth
Kopf zu bewegen, dem Mädchen mit einem Auge nach, damit es nicht etwa meine, er bemerke es nicht. Und auch die alte
Vren hãätte selbst mit etwas viel Zarterem als einem Strohwische heute an Mareili's frischem Gesichte kein Flecklein wegzuwaschen gefunden.
Es leichterte dem Mädchen und wallte in seinem Herzen freudig auf, als es nach einer Weile sich umkehrte und den Letthof schon in ziemlicher Entfernung hinter sich sah. Ein halbvergessenes Gefühl der frühern Ungebundenheit und Freiheit überkam es, eine heimliche Lust, seinem Gefängniß entsprungen zu sein, ja, ein leiser Kitzel, die gute Gelegenheit zu benützen und nimmer wiederzukehren, wandelten es wenigstens auf Augenblicke und dunkel an. Aber die freie, offne
Meyer-Merian, Mareili.
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Welt lag auch so heiter lockend vor ihm: die Vögel schienen ihm zuzujubeln und Glück zu
wünschen, die Grillen zu musiciren auf dem Spaziergange, Sommervögel und Mücklein ihm den
Weg zeigen, es locken zu wollen in die blumigen Felder oder auf die hellgrünen Matten, wie
die, theils schon abgemäht, mit ihren kurzgeschornen Rasen hie und da am Wege sich
hinstreckten. Ein lustiger frischer Morgenwind wehte von der Höhe herab und milderte den
heißen Sonnenschein, überall schien's zu leben, zu schwellen, sich zu regen,im Gesteine
gar, daß auch in Mareili's junges Herz eine lange nicht mehr so gefühlte Freudigkeit
einzog und das rascher und wärmer schlagen machte. Der Drang der erregten Empfindungen
flutete aber nach Lümpischwyl hinüber zu den Seinen, den leichten Füßen voran, mit denen
es rüstig den Weg über die Höhe hin verfolgte. Es labte sich unterwegs an der Freude des
Wiedersehens und besonders auf das junge Brüderlein freute es sich und hatte ihm auch
einen Weck gekauft, extra. Aber auch an Vater und Mutter hatte es noch nie so gehangen wie
jetzt, wie malte es sich das Wiedersehen aus und das frohe Erstaunen, das herzliche
Entzücken der armen Leute, wenn sie nun ihr Mädchen in solchem Staate,DV0 es nichts
angerührt, auspacken und die Schätze drin schenken konnte! Lange hatte es Niemand von
daheim gesehen und nichts von ihnen gehört. Einmal nur hatte die Mutter Mareili auf dem
Hofe besucht und bei ihm gebettelt, der Bauer aber darauf verboten, daß sie oder ein
Andres der Familie wiederkomme: er begehre nicht, daß wieder verderbt werde, was man mit
Müh und Noth gut gemacht! Wo aber
Mit solchen Gedanken und in dieser Stimmung langte Mareili in Lümpischwyl an und suchte die Wohnung der Eltern auf. Der Empfang indeß und schon der Eintritt trugen wenig dazu bei, diese innere freudige Bewegung zu vermehren. Noch nie waren ihm Unordnung, Unreinlichkeit und Elend so aufgefallen wie heute, aus jedem Winkel, von den Wänden, dem Boden, jedem Geräthe und jedem Kleidungsstücke schienen sie ihm entgegen zu starren. Früher war es wenig anders und kaum besser gewesen, aber es war ihm nicht aufgefallen, heute lehnte sich etwas in ihm dagegen auf.Die Mutter und der älteste Bruder waren allein zu Hause,mit Ueberraschung wol sahen sie Mareili eintreten, aber nicht mit freudiger. „Sieht man dich auch wieder?“ fragte inr Tone des Vorwurfs die Mutter, ,ich habe geglaubt, du seist gestorben oder hundert Stunden weit gegangen!“ Kalt und mißtrauisch glotzte es der Bube an und seine frechen Augen blieben auf dem gefüllten Säcklein kleben, welches das Mädchen auf die Bank abgestellt. Mareili's Herz war indeß zu voll und warm, um durch diesen Empfang zurückgeschreckt
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Mareili erschrak, das Gespräch wollte nicht recht in Gang kommen, etwas Fremdes schien
sich zwischen Mutter und Tochter zu legen, wie schon äußerlich die saubre, wohlgekleidete
Gestalt des Mädchens gegen den Schmuz und die Nachlässigkeit der Bettelfrau auffallend
abstach. Während der gezwungnen Unterhaltung bemerkte Mareili, wie der Bruder sich an den
Sack gemacht und heimlich die Nath dran aufgetrennt und mit der Hand in die Oeffnung
hineingelangt. Es brachte es nicht über's Herz, zu verstehen zu geben, daß es den
Diebstahl bemerkte, doch nahm es den Sack, öffnete ihn und leerte den Inhalt als Kram vor
der Mutter aus. Ein Schein von Freude oder Rührung schien über deren Gesicht hinzugleiten
beim Anblick der Schätze: „Ich hätte nicht geglaubt, daß du noch an uns dächtest!“ rief
sie, , sondern gemeint, du würdest dich unser schämen!“ Mareili verwahrte sich hiegegen
und die Thränen traten ihm in die Augen. Des
Toni Frau, die mehrmals an's Fenster getreten und durch die wenigen trüben Scheiben,
welche neben den mit Lumpen zugestopften noch vorhanden waren, auf die Matten hinter dem
Hause ausgeschaut, verließ nun auf einmal hastig die Kammer. Das Mädchen sah ihr nach und
bemerkte, wie sie einem kleinen halbnackten Büblein entgegeneilte und es hinter einen
Schopf winkte, indem sie den Kleinen, der sprechen wollte, zu schweigen bedeutete. Es sah
ferner, wie in dem vermeintlichen Verstecke das Kind ein paar Eier aus seinen Lumpen
hervorzog und der Alten einhändigte, die diese hastig zu verbergen suchte, dabei aber dem
Büblein Vorwürfe zu machen schien, wahrscheinlich weil er nur so wenige gebracht. Mareili
fuhr ein Stich durch's Herz, das Büblein war sein geliebtes Brüderlein und es verstand es
von Alters her nur zu gut, um nicht zu wissen, woher der Kleine die Eier habe.
Unbedenklich war es selber einst in die Ställe und Hühnerhöfe der Nachbarn gekrochen, Eier
auszunehmen, jetzt,da es das Brüderchen desselben Weges kommen sah, erschrak es in seinem
Innern und als nachher die Mutter mit ein zuhalten, war es diesem unmöglich, von dem
Gestohlenen etwas zu genießen, es zog ihm den Hals zusammen, als würgte es einen
Kannenbirnenschnitz hinunter. Als es mit dem Kleinen einen Augenblick allein war, sagte es
zu ihm:„Hör' Jakobli, stiehl nichts mehr, ich bring dir dann das nächste Mal einen
Lebkuchen mit.“ Jakobli machte ein betrübtes Gesicht und sprach: „Ja, aber die Mutter
heißt es mich und ich kriege Schläge, wenn ich nichts heimbringe.“ Das Mädchen verstummte
hierauf. Auch Schnaps wurde Mareili
Die Mutter indeß ward fast böse: „Wir sind nicht zu stolz geworden zum Heischen,“ sagte sie, , und anders können wir's nicht machen. Es gehen heute viele Stadtleute nach Kestenhofen, es wäre thöricht, die gute Gelegenheit nicht zu benützen. Wohnten wir auf dem Letthofe, ich schickte den Jakobli auch nicht; du hast gut predigen!“
Und so ging, allen Abmahnungen und Vorstellungen zum Trutz, der kleine Jakobli auf die
Straße von Kestenhofen und in seinem zerfetzten Bettelstaat, mit den nackten braunen
Füß
Mareili blieb bei der Mutter allein zurück und in seinem Herzen wogte ein Gemisch von Wehmuth, Schmerz, Mitleid,Abscheu und Ekel. Es versuchte es nochmals, sie vom Betteln abzuhalten und jedenfalls doch den Jakobli nicht mehr auf's Stehlen auszuschicken. Dabei zog es sein kleines Geldsäcklein hervor und leerte dessen magern Inhalt der Mutter in die Hand: es wolle ihr ja gerne jeden Rappen geben, den es verdiene! versprach es, aber nur solle sie ihm das Brüderlein nicht zu Grunde richten. Die innere Bewegung,mit der das Mädchen sprach, und das geschenkte Geld rührten die Mutter und sie dankte ihm. Ihr Elend und ihre Verworfenheit schien sie zu übernehmen, die Mutterliebe in reinerer Gestalt sich aus dem verkümmerten und verwilderten Herzen DD„Du bist doch ein Gutes! es ist ein Glück, daß du nicht mehr bei uns bist, wenn ich dich schon brauchen könnte! Ich hab's gar böse, bin schwach und kann nichts arbeiten, der ältre Bube will auch nicht, er nimmt noch das Wenige, was uns die Gemeinde und gute Leute um Gotteswillen geben und findet er nichts oder sag' ich ein Wort dagegen, so schilt er und lästert, ach, er schlägt mich sogar auch!“
Das arme Weib brach in ein Heulen aus und erschüttert saß Mareili an ihrer Seite. Es
empfand es nur zu wohl,
XVI.Mareili's Rückkehr. Eine andre Sonntagsfeier.Wie derselbe Leib oft zur gleichen Zeit kann frieren und heiß haben, wie Lachen und Weinen zusammen aus einem Auge brechen können, so mag auch etwas das Herz blutig drücken, wonach es doch innerlich sich sehnt. So erging es Mareili, als es gegen Abend mit beklemmtem schwerem Gemüthe von der Mutter wieder Abschied nahm, nach dem Letthof zurückzukehren und dem Elende, darin es den Tag über gesessen, den Rücken wandte: es war ihm auch leicht und schwer mit einander.
In trüben und tiefen Gedanken verfolgte es seinen Weg nach Kestenhofen. Lärmen und wildes Jubiliren schreckten es aus seinem Sinnen: unversehens stand es mitten im Dorfe.Wie ein greller, wüster Mißton kam ihm die ausgelassene Lustbarkeit rings vor und wollte nicht zu seiner Stimmung passen. Eine Reihe roher Bursche wankte die Dorfgasse her
Aunter Arm in Arm, ein Theil brüllte verstümmelte Liederweisen, ein andrer lallte trunken mit heiserer Stimme, Betheuerungen und Flüche reichlich untermischend. Wo Mädchen standen oder ihnen begegneten, wurden die mit plumpen schmuzigen Zweideutigkeiten angeredet und zum Mitgehen aufgefordert. Mareili, das die trunkne Schaar sich nahen sah,drückte sich erschrocken an die Häuser hin, um unbemerkt vorbeizukommen. Einer aus dem Schwarme aber hatte es schon bemerkt, es war Mareili's Bruder, der schwankte auf das Mädchen zu und forderte lallend Geld von ihm zu einem Schoppen. Vergebens versicherte es, keinen Kreuzer mehr zu haben, der lüderliche Bube wollte es nicht glauben und fing an seine Schwester zu schelten. Aengstlich suchte diese loszukommen, ihre Verlegenheit ergötzte den Schlingel von Bruder,er glaubte dadurch dennoch Geld von ihr zu erpressen und vermehrte seine zudringliche Frechheit. Seine Kameraden lachten zu dem Auftritte und machten sich in ihrer Weise ebenfalls an das Mädchen. Einer bot ihm an, eine Halbe zu zahlen, wenn es mit ihm komme, ein Andrer umschlang es mit dem Arm, ein Dritter zog's am Rock und immer unverschämter, da der eigne Bruder nur dazu lachte. Mareili wehrte sich in der Verzweiflung gegen die Trunknen so gut es vermochte, aber es hatte die Uebermacht gegen sich. Mit Mühe gelang es ihm, für einen Augenblick Luft zu kriegen und wenigstens ein paar Häuser weiter zu entwischen. In wildem Hallo aber waren die durch den Widerstand Gereizten hinter ihm her und die Verlegenheit schien größer zu werden als zuvor. Voll Seelenangst blickte das Mädchen nach Hilfe aus, da ging eine benachbarte Thüre auf und ein junger
Bursche trat auf die Straße, der Mareili hereinzog und muthig die Nachdringenden zurückstieß und des Mädchens Bruder, der das Recht zu haben glaubte, in das fremde Haus seiner Schwester nachzueilen, aus dem Hausgange auf die Gasse hinauswarf, daß der fluchend in den Staub kollerte.Den günstigen Eindruck benützend, warf der Muthige die Thüre zu und schob inwendig den Riegel.
Als Mareili nach dem ersten Schrecken sich umsah, kamen ihm das Haus und hinten dran der
Baumgarten halb bekannt vor, und wie es dem jungen Burschen, fast noch einem Knaben, in's
Gesicht blickte, schien es den auch schon einmal im Leben gesehen zu haben, ohne indeß
gleich zu wissen, wo und wann? Die Aufregung war indeß noch zu groß, um den dunkeln
Erinnerungen weiter nachzuhängen. Aber auch die Pflicht des Dankes für die Befreiung
wachte in ihm auf.Es erzählte noch mit fliegendem Athem, wie es von den Burschen verfolgt
worden und keinen Ausweg mehr gewußt;daß aber der eigne Bruder unter den Verfolgern
gewesen,das verschwieg es, weil es sich vor dem fremden Jüngling dessen geschämt hätte.
Dieser schien auch in einiger Verlegenheit zu sein, jetzt da er allein mit seinem
Schützlinge zusammen war. „Wo hast du hin wollen?“ fragte er, nur um etwas zu sagen und
den Dank abzuwehren. „Nach dem Letthofe,“ antwortete Mareili. „Nach dem Letthofe?“
wiederholte der Andre und sah das Mädchen an. „Ja!“bestätigte dieses und blickte
gleichfalls auf den Begleiter hin,zugleich aber streifte auch sein Auge auf den Lattenhag
und den Lederäpfelbaum, der dahinter in der Matte stand. Als würde von beiden Gesichtern
eine Scheidewand weggezogen
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Wer noch vor vierundzwanzig Stunden Mareili gesagt hätte, es werde den Letthofbauern in Schutz nehmen, den würde es mit großen Augen angesehen haben. Indeß jetzt that es das doch von freien Stücken und vertheidigte ihn gegen die Anschuldigung seines Begleiters: Er sei wol genau und was er sage, das müsse geschehen, da gelte kein Markten,indeß ungerecht sei er nicht und er halte seine Leute bei aller Genauigkeit gut!
Unter diesem Gespräche waren Mareili und Hansli bis an den Fußweg gekommen, der von den Matten nach dem Letthofsträßchen hinführte und es war nun keine Gefahr mehr auf dem stillen abgelegnen Thalwege. Die Beiden trennten sich und das Mädchen bot seinem Beschützer zum Abschiede nochmals dankbar die Hand, worauf es gegen das Wäldchen einbog. Hansli wußte nicht wie es kam, aber er blieb noch eine Weile stehen und sah dem Mareili nach, wie es leichten Fußes dahin wanderte. Ob es blos die Sorge vor einem neuen Angriffe auf seinen Schützling war, was ihn noch festhielt? Da bog das Mädchen um die ersten Büsche, nur das weiße Tuch um den Kopf war aus dem dunkeln Grün noch sichtbar, auch über dieses schlugen bald die Aeste der Tannen zusammen und langsam kehrte nun der Knabe dem väterlichen Hause zu und setzte sich dann dort auf das Bänklein, welches dem Lederäpfelbaume gerade gegenüber stand. Er schaute auf die Früchte dieses, wie sie zu wachsen begannen und das Abendroth durch die Zweige brach und die Aepfel vorzeitig röthete, während daneben an seinem innern Auge nochmals die erste Begegnung mit dem Kinde des Landstreichers vorüberzog.
Mareili aber wandelte hastig den einsamen Waldweg.Die Dunkelheit der Tannen that seinem
erregten Innern wohl, wie ein Balsam legte sich der grüne Schatten über dasselbe und die
abendliche Kühlung erfrischte die heißen Wangen. Als es durch die Schlucht aus dem Gehölze
trat, lag der Lärm und das Geräusch des Dorfes und der Landstraße weit hinter ihm. Es sah
vor sich das wohlbekannte Thal wieder,rein und still ging die Sonne am Himmel nieder, vorn
warfen die Berge schon ihre blauen Schatten in dasselbe, im Hintergrunde aber strahlten
noch goldgrün die frischgemähten Matten,in Haufen zusammengerecht standen darauf die
zahlreichen duftigen Heuhaufen und schienen auch Sonntag zu feiern und bei dem reinen
Himmel unbesorgt auf den kommenden Werktag zu warten. Mit ihnen begingen Feld und Wald den
heiligen Sabbath; so feierlich und anders als in der Welt draußen erschien Alles in dem
abgelegnen Thalgrunde. Mitten in den kurzgeschornen Wiesen aber lag der Letthof: das
breite Dach,das blinkende Giebelfenster, dahinter Mareili's Kämmerlein war, eins um's
andre tauchte vor den Blicken des Mädchens auf, bis der ganze Hof dastand mit den
bekannten Fenstern,Thüren und Stätten, die alle so schutzreich, so sicher und traulich, so
bekannt und freundlich Mareili entgegensahen.Dort war es geborgen, keine freche Hand, kein
rohes und unzüchtiges Wort erreichte es dort. Alles was es Gutes genossen in dem
gesegneten Hause, trat ihm nun daraus entgegen, winkte ihm herein, ja, zum ersten Male
empfand es jetzt, da sei gut wohnen. Es mußte unwillkürlich langsamer gehen, die Hast
legte sich in ihm, Sammlung kam in sein Herz und Sonntagsruhe und Sonntagsfriede breiteten
So ein rechter Bauernhof hat aber am Sonntage ein ganz verschiedenes Aussehen als am Werktage: Menschen und Vieh und auch das Unbelebte. Reinlich erscheint Alles, selbst das Unreine, aufgeräumt ein Jedes, bei aller Mannigfaltigkeit, das alltäglichste Geräthe, die Leiter über der Stallthüre,der Pflug, der in der Scholle gewühlt, der schwere plumpe Wagen, der gemeinste Karren, sie müssen am Sonntage dazu dienen, das liebliche Bild der Ruhe zu schmücken, da ist kein Jagen und Stürmen, keine Geschäftigkeit, kein müder Lärm,kein Hasten nach Vergnügen und Zerstreuung wie in der Stadt drin; denn nach der Anstrengung der sechs Arbeitstage ist die Ruhe eine Wohlthat. Der Letthofbauer war am Nachmittag mit seiner Frau den entlegenen Feldern zugewandelt und hatte sich von ihrem Stande überzeugt, hier nach wiederholten Fehljahren an den blühenden Kartoffeln sich erfreut,an den Bäumen dort den reichen Herbstsegen schon im voraus dankbar ermessen, die Freude der Bäuerin an ihrem Hanfe getheilt, hin und wieder einen neuen Plan entworfen und dieß und jenes, was Haus- und Feldwirthschaft betraf, vertraulich mit der treuen Lebensgefährtin besprochen. Zurückgelehrt von dem wichtigen, ja fast feierlichen Sonntagsgange,saß er jetzt auf der Bank neben der Hausthüre und rauchte in gemessenen Zügen seine Pfeife, das Gesehene und Besprochene nochmals sich wiederholend und zu festem Entschlusse erdauernd. Wie ein Fürst in feinem Reiche, thronte er da so groß und sicher, ja majestätisch, im Gefühle seines von
Gott gesegneten Regimentes. Vor ihm saß der treue Rinki und legte ihm den schweren Kopf zutraulich auf die Kniee,den Herrn mit den ehrlichen Augen unverwandt anschauend.Das Bänklein beim Stalle nahmen die Knechte ein, die Genossen der Ruhe wie der Arbeit. Diese und jene Begebenheit aus der Welt draußen, Erlebnisse aus dem eignen einfachen Leben, Vorkommenheiten der verflossenen Woche, bildeten den Inhalt ihrer heitern aber schmucklosen Unterhaltung. Aus dem Stalle drang das Wiehern der Rosse, die, gekräftigt durch die Sonntagsruhe, schon ihren Muth äußerten zu der Arbeit des kommenden Tages. Vor der Küche, unter dem breiten Dache, saß ein altes Männlein in ärmlicher Kleidung, der wol mit Schaftheu, Zündhölzchen, Schleifsteinen oder dergleichen hausiren ging und in die Sonntagsfeier des Hofes mit war aufgenommen worden, denn eben trat jetzt die Magd mit einer Schüssel und einem mächtigen Stücke Schwarzbrot heraus und stellte das Labsal vor ihn hin: das „Gott vergelt's“des Armen gehört mit in den Segen des Sonntags auf einem abgelegnen Hofe.
Noch nie war dieß Alles Mareili so aufgefallen wie heute,ob es doch schon manchen solchen
Sonntag auf dem Letthofe erlebt. Mit eignem Respekte ging es an dem Alten vorüber und bot
ihm den Abendgruß. Im Hause drin trat ihm die Bäuerin mit ihrem alten Wohlwollen
freundlich entgegen und holte ihm dann selber den Kaffee herein, welchen sie ihm
vorsorglich an der Wärme aufbehalten. Zum ersten Male dankte Mareili so recht freundlich
und ohne Hintergedanken. Das Herz ging ihm auf, als es' an dem mächtigen eichnen Tische
hinter der dampfenden dreibeinigen Kaffeekanne
722 saß, in der ehrwürdigen braungetäfelten Stube und der alten Wãlderuhr ihr gemessenes Tiktak wieder hörte. Es mußte die behagliche Gestalt, das treuherzige, gütige Gesicht der Bäuerin wiederholt ansehen, es wußte nicht warum; aber noch nie war sie ihm so wohlwollend, so mütterlich erschienen wie heute. Mareili bedachte freilich nicht, daß es sie auch noch nie so angesehen hatte wie diesen Abend, so ganz ohne innerlichen Unmuth, ohne Mißtrauen, sondern mit einem offnen,liebebedürftigen Herzen und mit Augen, die eine Mutter suchen.Jetzt erst war das Mädchen auf dem Letthofe völlig eingebürgert und daheim und jede Scheidewand gefallen, jetzt erst sehnte es sich nirgend sonst mehr hin, sondern fühlte sich hier wohl aufgehoben. Diese Umwandlung hatte der heutige Tag wahrhafter Sonntag. Der Abendsegen, zu dem die Bewohner des Letthofs noch zusammenkamen, befestigte und weihte sie; stille und versöhnten Herzens, angeweht vom Geiste des Friedens und der Liebe, suchte das Mädchen sein Kämmerlein auf, ein neuer und besserer Mensch als am Morgen, da es dasselbe verlassen.
XVII.Gib dem Tenfel den kleinen Finger, so nimmt er die ganze Hand, oder Fortsekung des ersten Capitels.Mit dem Schneider-Andres in Kestenhofen war's inzwischen nicht zum Besten gegangen und wie er's anstellte, er MeyerMerian, Mareili.
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Allerdings hatte der arme Andres Ursache zu Mißververgnügen und Klagen und ohne Zweifel
war seine gute Zeit vorüber. Ob er's aber nicht eher durch Sammlung als durch Zerstreuung,
nicht durch fleißigere Einkehr im eignen Hause,statt beim Rößlein, besser gemacht hätte,
das ist eine andre Frage. Es ist wahr: die Frau versüßte ihm mit ihrem unfreundlichen,
herben Wesen jetzt den Aufenthalt daheim nicht sonderlich und sprach sie gelegentlich zu
ihm, so klang das nicht gar zu ermuthigend; allein so lange er auf der Arbeit saß, hatte
er im Grunde doch wenig zu leiden, der große eichne Tisch schützte ihn wie eine Festung
und die Lisbeth selber versah ihn dahinter ohne Murren je zur rechten Zeit am Morgen mit
dem Kaffee, Mittags mit festerm Proviante,weder verbrannt noch halb roh, sondern Alles
nach Landesbrauch wohl zubereitet. Nur die häufigen Ausfälle aus der Festung sah sie mit
scheelem Auge an und versäumte nicht,wenn er, wie gewöhnlich, mit einer Schlappe
zurückkehrte,seine Lage noch unerträglicher zu machen, statt wenigstens doch Mitleid mit
ihm zu haben. Er gewöhnte sich in der Folge allmälig an das Streiten mit seiner Lisbeth
und auch sie hatte so halb und halb sich in das Unabänderliche ergeben, was wenigstens des
Andres Person betraf, aber ein saures Gesicht machte sie doch, selbst im günstigsten
Falle, während des Schneiders Natur ein saures Gesicht gerade am wenigsten in dem Zustande
vertrug, in welchem er war, nachdem er sich „zerstreut“ hatte. Er sah da oft merkwürdig
fein, entdeckte 13*
Runzeln zum Beispiel auf der Stirne seiner Frau, wenn die ihm gerade den Rücken zukehrte.
Bloße Einbildung oder Mißgunst war es indeß bei Frau Lisbeth auch nicht, wenn sie die
Zerstreuungen ihres Mannes so schief ansah. Mit geschärftem Blicke allerdings, und nicht
durch eine rosenfarbne Brille, nahm sie dieselben wahr, aber eben so wenig bediente sie
sich eines wellenförmigen Glases,welches Alles, auch das Regelmäßige, verzerrt und
entstellt wiedergibt. Die Veränderungen, welche durch des Andres schwache Seite
herbeigeführt worden, waren in gar Manchem zu bemerken, was einer Hausfrau, und ihr
zuerst, nahe genug ging. Wer hörte die Vorwürfe besser und hatte es vor Allem zu büßen,
wenn der Meister Etwas, das man ihm bestellt oder aufgetragen, vergaß? Versprochnes nicht
hielt? Der Andres schlug's in den Wind, disputirte es weg oder vertrank seinen Aerger über
die Vorwürfe und deren Folge, das Verlieren einer Kundsame; Lisbeth mußte mit nüchternem
Sinne Alles ausessen, wie sehr es sie würgte. Die Arbeit wurde nicht nur liegen gelassen,
aufgeschoben und kam eine Ewigkeit lang zu keinem Ende, sie fiel nach und nach auch
schlecht aus,es gab verpfuschtes Zeug, dem mit allen Ausflüchten und allem Aufbegehren
einmal doch nicht mehr zu helfen war. „Im Vergeß“ machte der Andres aus dem Guttuch des
Weibels eine Kutte für den Lehrer und aus dem Halblein dieses dem Weibel ein Paar Hosen.
Er schwor zwar Stein und Bein,sie hätten es so bestellt, aber der Weibel und der Lehrer
läugneten es und sogar die Lisebeth nahm die Partei derselben,was den Andres am meisten
ärgerte und ihm ein neuer Beweis war, wie schlecht die eigne Frau es mit ihm meine
In einer Haushaltung gibt's immer nachzubessern und zu ersetzen und wo das unterbleibt,
wird der Schaden bald handgreiflich und unheilbarer. Reich waren Andres und Lisebeth' nie
gewesen und durch besondre Bequemlichkeiten waren sie keineswegs verwöhnt, hingegen waren
doch Haus und Feld stets in ordentlichem Stande erhalten worden, durch den Verdienst des
Mannes und den Fleiß und die Häuslich
Aus diesen Verlegenheiten und hundert andern zog sich Andres immer so gut er konnte und
auf seine Weise. Wie der Vogel Strauß vor Gefahren den Schnabel in den Sand steckt, so der
Andres den seinen in den Brenz, nur um nicht zu sehen, was um ihn vorging. Beim Strauße
lacht Jeder über diese Dummheit, denn es ergeht ihm deßhalb um Nichts besser; dem Andres
aber machen es gar Viele nach, die gar gewaltig viel Grütze im Kopfe haben wollen. Er
selbst hatte diese Ueberzeugung. Aber auch ihm erblühten dabei keine Rosen; ein Blick auf
ihn verrieth das. Von dem' frühern gewichsten, frischen und muntern Wesen war wenig mehr
bei ihm zu finden. Freilich waren inzwischen so ein sechs Jährchen drüber gegangen, aber
es waren nicht diese sechs
Jahre, die sein Gesicht so aufgedunsen und welk gemacht,seine Züge erschlafft, den Augen den matten, glotzigen Blick macht in den Kleidern, als wären ihm diese geschenkt worden,obschon er doch sie selber nach dem Leibe sich angemessen und zugeschnitten. Singen und Pfeifen waren bei ihm ganz aus der Mode gekommen, ein halber oder ganzer Fluch, ein Schimpfwort, drückte allein seine innre Stimmung aus. Er war nicht mehr mit der hellen Sonne auf seiner Arbeit,weder am Schneidertisch noch draußen im Felde; spät und verdrossen kroch er aus dem Bette, schlurfte unausgeschlafen durch die Stube oder in's Freie, am Morgen schon müde,und sah die Arbeit mit vergiftetem Blicke an. Wie diese dabei vom Fleck ging, läßt sich leicht errathen, ebenso, wie sie ausfiel,besonders wenn noch ein Dusel von gestern über seinem Hirne lagerte. Der Witz von ehedem, der ihn Alles leicht nehmen ließ und womit er auch Unangenehmes sich genießbar gemacht,womit er sich Kunden angezogen und Freunde geworben, der war jetzt vertrocknet. Blos durch Branntwein wurde er zeitweise wieder aufgeweicht, aber dann war er nicht mehr der harmlose von früher, sondern ein erzwungner, roch auch stark nach Fusel und hatte einen Beigeschmack von Frechheit und Unsauberkeit. Hatte hingegen Andres nicht getrunken,so war er mürrisch und gleichgiltig und es bedurfte bald eines kräftigen Puffes, um ihn so oder so aufzurütteln.
Lisebeth, die diese Veränderungen alle nach und nach kommen sah und dann ihren raschern Fortgang beobachtete,griff es tief in's Herz, sowol um des Andres selbst willen,als wegen der Haushaltung, die darunter zu leiden begann.
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Voll Eifer und Angst suchte sie dem Uebel entgegenzutreten,nur kam leider bei der Art und
Weise, in der sie's that, nicht viel Gutes heraus. In ihrer Herzensnoth fuhr sie meist nur
heftig drein, ohne Ueberlegung und Rücksicht, nach dem Ausbruche dann war sie wieder eine
Zeit lang stille und litt schweigend, bis das Maaß allmälig sich füllte und füllte und
überlief in einem neuen Ausbruche, der den Andres wol aufbrachte und fortscheuchte, aber,
statt ihn zu bessern ihn verhärtete.Eine ruhige, freundlichernste, unausgesetzt
fortwirkende Art hätte wol ein bessres Ergebniß gehabt, als so eine Reihe abgerissener
Stürme und Auftritte, darin eine Leidenschaft die andre entflammte. Lisebeth selber mochte
wol auch Etwas der Art fühlen, aber sie war von Natur viel zu sehr in sich verschlossen
und im gewöhnlichen ruhigen Lebensverkehr dem Andres auch zu wenig gewachsen, bei ihrer
Schwerfälligkeit in der Mittheilung. Sie konnte ihm nur mit Kraft entgegentreten, wenn ihr
ganzes innres Wesen aufgestachelt wurde,gleichsam das Herz im Leibe ihr sich umkehrte; da
wäre sie aber auch eben so wol ohne sich lange zu bestinnen einer ganzen Armee
entgegentreten. Daß sie nun so wenig ausrichtete, an den Andres so gar nicht herankam, das
vermehrte für gewöhnlich ihren Muth und ihre Beharrlichkeit nicht, es stimmte DDDDD den
Verfalle nur immer tiefer. Diese regelmäßige Erfolglosigkeit, ja häufig genug die
Verschlimmerung sogar, welche sie bei der besten Absicht doch bewirkte, indem Andres in
den gemachten Verdruß noch mehr hineintrank, stumpften im Gegentheil Lisebeth allmälig in
soweit ab, daß sie in dumpfer Ergebung ihren Mann immer mehr gewähren ließ und nur
Worauf ihr zweites Augenmerk gerichtet war und was ihr nicht minder angelegentlich am Herzen lag, das war der Schutz ihres Kindes vor der Ansteckung durch den Vater.Es gab da für die Mutter und Frau oft gräßliche Kämpfe,bei denen die alte Heftigkeit Lisebeths am leichtesten wieder hervorbrach und nun so gewaltsamer, je länger das Gefühl,das Kind gegen den eignen Vater zu vertheidigen und nur zu häufig auch dabei ihm die natürliche Achtung und Liebe zu verkümmern, einen Ausbruch zurückhielt. Es brauchte des ganzen Entsetzens der armen Frau vor den Folgen des bösen Beispiels und der Verlockung und Angewöhnung, um die angeborne Scheun so weit zu überwinden, daß sie mit harter Hand die heiligen Gefühle des Kinderherzens berührte, und auch dem Reste von Liebe und reinrer Empfindung in der Brust des Vaters in deren nachtheiliger Verkehrtheit feindlich und störend entgegentrat.
Der Hansli war in einer sonderbaren Lage und wußte eigentlich nie recht, wie er dran war
zwischen Vater und Mutter. Was diese wie Gift fürchtete, wie ein Verbrechen verabscheute
und mit Heftigkeit anfeindete, den Branntwein,an dem sah er den Vater, als an seinem
Liebsten und Besten,hangen, es mit Wohlbehagen einschlürfen, wohlleben dran,an dem
vermeinten Gifte, von dem man, nach der Mutter Ausdrücken, meinen sollte, es zerreiße auf
der Stelle alle Eingeweide, zersprenge den Kopf und fresse faustgroße Löcher durch den
Leib wie Scheidewasser. War der Vater mürrisch, kleinlaut gewesen zuvor, so thaute er beim
Schnapsglase auf, wurde munter und gesprächig. Es saßen auch noch andre Leute, bekannte
Männer aus dem Dorfe, bei
So schwankte der Hansli lange Zeit zwischen Vater und Mutter und neigte sich bald zu
dieser, bald zu jenem hin,wobei aber unvermerkt die praktische Einführungsmethode des
Vaters das Uebergewicht gewann. Denn das Abschreckende und Abstoßende des Lasters verbarg
sich hinter so viel Anziehendes und Verlockendes für den mehr und mehr heranwachsenden
Knaben, daß dessen unerfahrenes und geblendetes Auge es oft gar nicht mehr gewahrte. Erst
hatte der Alte den Buben nur so zur Begleitung mitgenommen und ihn trocken neben sich auf
der Wirthsbank sitzen lassen, ihm etwa ein Stück Weißbrot oder einen Weck zur Unterhaltung
gegeben, während er selber seinen Brenz zu Gemüthe geführt.Er hatte wol einmal auch zu dem
Bürschlein halb im Ernst,halb im Scherze gesagt: „willst du?“ und ihm das Schnapsglas
hingehalten; der Hansli aber, aus natürlichem Widerwillen und im Angedenken an die Mutter,
ablehnend den Kopf dazu geschüttelt. Als es einmal im Winter recht kalt war und Andres und
sein Büblein auch in die Wirthsstube flüchteten, fror dasselbe neben dem Vater und
verkroch sich mit den Armen bis an die Ellbogen in den Hosensäcken. Dabei sah es blau aus
und schlotterte, denn es war seit dem Frühstück schon lange her und auf der Höhe von
Lümpischwyl,über die sie hergekommen, hatte ihm der scharfe Wind gar
Eingeweide dazu. Dabei schüttelte es ihn unwillkürlich und sein Gesicht ward blutroth vor der Heftigkeit der Erregung,in die das Getränke ihn an Leib und Seele versetzte. Er hatte nun allerdings nicht mehr kalt, aber als allmälig der Brand inwendig nachließ und er es überstanden, konnte er gleichwol auch nicht entdecken, was bei dem Brenztrinken für ein besondres Wohlbehagen sein könne. Hinterher ärgerte ihn dann das Gelächter und der Spott der Erwachsenen erst noch und brannte ihn fast empfindlicher als der Schnaps selber, denn Redensarten wie: die Mutter solle ihm künftig lieber noch den Lutscher mitgeben! thaten seinem Knabenstolze gar wehe.
Diese Schlappe ging ihm auch lange nach und die kindische Sucht, es den Großen gleich und
nachzuthun, ließ ihm bei den stets wiederkehrenden Gelegenheiten keine Ruhe, bis er mit
Vorsicht einen zweiten Versuch wagte, der schon besser ausfiel. Er nahm nur einen kleinen
Schluck, behielt den nicht lange im Munde, sondern drückte ihn gleich herzhaft und mit
einmal hinunter: kaum ein Tröpflein Wasser stieg ihm dießmal in die Augen! Das Eis war nun
gebrochen, ob Hansli gleich an dem Getränke durchaus kein Vergnügen fand, sondern ihn
dasselbe jedes Mal einen Anlauf und eine Ueberwindung kostete. Aber er sah sich damit den
Erwachsenen gleichgestellt und ihrer ebenbürtig und fühlte sich in ihrer Gesell DDDVon
seinen Fortschritten sagte er freilich der Mutter so wenig als das der Andres that, aber
noch eins so gern begleitete er jetzt den Vater auf seinen Gängen, ging es doch in den
Wirthsstuben viel lustiger zu als daheim. Hinter den Brenzgläsern
Dieß Alles gefiel dem Hansli lange nicht so wohl wie das Spazieren und Wirthshausgehen mit dem Vater und nur der entschiedene Wille und die Unabhängigkeit der Frau Lisbeth vermochten, neben ihrem eignen guten Beispiele, ihn noch so leidlich nebenzu im Geleise zu halten: „So lange bis er einmal unterwiesen sei!“ tröstete sich der Junge.
In dieser Weise zog die Mutter rechts an dem Hansli,der Vater links; je mehr der Knabe aber wuchs und erstarkte,um so mehr begann er seine Kraft mit der des Vaters zu vereinigen. Deutlicher von Tag zu Tag bemerkte dieß die arme Frau und bebte vor dem Augenblicke, wann ihre leitende Hand den Kürzern ziehen und sie verzweiflungsvoll der Uebermacht erliegen würde.
XVIII.Dem Hansli wird übel und dem Gemeindepräsidenten ist nicht wohl; Leiden besserl's
nachher, aber ungleich.Es schüttelte den Hansli schon lange nicht mehr, wenn er mit dem
Vater einen Schluck Brenz zu sich nahm, auch D Ueberwindung dazu; im Gegentheil: er fing
an, der Sache Herr zu werden und eher einen Gefallen daran zu finden,wie Buben am Rauchen,
wenn sie die ersten paar Pfeifen glücklich überstanden. In Frau Lisbeth, die in ihrem
mütterlichen Herzen halb ahnte, was hinter ihrem Rücken vorging,sammelte sich ein heftiger
Ausbruch und bei ihrer schweren Art war es nur der Mangel eines bestimmten greifbaren
Anlasses, was denselben noch zurückhielt. In der Furcht vor einem solchen, und doch
zugleich in dem ängstlichen Suchen nach ihm, umkreiste sie ihren Hansli wie eine
Gluckhenne ihr Küchlein, wenn sie den Habicht in der Nähe weiß. Es ist
Es war an einem Vormittag im Sommer, Frau Lisebeth hatte sich auf ein entlegnes Stücklein Land begeben, dort Bohnen zu brechen, die bei der Hitze zu dörren anfingen.Andres bedeutete daheim auf seiner Profession zu sitzen, doch mußten ihm bald die Fliegen in der Stube zu lästig gefallen sein, wenigstens flüchtete er vor ihnen in's Wirthshaus und Hansli, dem der Vater zu mangeln schien, ließ die Hacke, mit der er gejätet, ebenfalls stehen und ging ein wenig in der Nachbarschaft herum, der Unterhaltung und des Ausruhens halber. Ob's Zufall war oder seine feine Nase, oder gar beide, welche ihn hinter's Haus des Küfertoni's führten! er traf dort die Knechte beim Kirschenbrennen an und sah mit Neugier zu, wie aus dem erhitzten Kessel der Geist durch die Röhre stieg und nach seiner Abkühlung in wasserklaren Tropfen als Kirschwasser hervorrieselte und sich ansammelte. Daß aus den schwarzrothen fleischigen Kirschen so helle Flüssigkeit gewonnen wurde, verwunderte den Jungen nicht weniger, als daß die süße Frucht einen so starken Geist enthielt, wie man den gar nicht vermuthete, auch wenn man einen ganzen Kratten voll von dem Obste äße. Die Knechte kosteten dann und wann von dem Ablauf, um seine Stärke zu bemessen, und fragten den Hansli, halb im Scherze, ob er vielleicht auch Liebhaber sei? Dieser, nicht faul, ergriff das dargebotne
Meyer-Merian, Mareili.14
Gläslein und leerte es zum Erstaunen der Umstehenden kurzweg den Hals hinunter. „Oho! du
kannst's ja trotz einem Großen!“ rief Einer, und der Andre / fügte lachend bei:„Aus dir
kann noch was werden, wenn du so fortfährst!“Hansli fühlte sich geschmeichelt und wollte
zeigen, was er jetzt schon für Einer sei und vermöge, man brauche nicht mehr erst lange zu
warten. Hastig ergriff er ein zweites Glas,es gleichfalls in einem Zuge nachzustürzen.
Einer der Knechte wollte ihn abhalten und wehrte, die andern aber hatten ihren Spaß daran,
während dem Streite darüber hatte der Bube das Kirschwasser bis auf den letzten Tropfen
ausgetrunken,denn er nahm's auf seine Ehre, daß man ihm so wenig zutraute. Die Aufregung,
die Hitze, die draußen war und der Dunst um den Brennkessel und die gährenden
Kirschstanden her verfehlten indeß nicht, die Wirkung des Getrunknen zu beschleunigen und
zu verstärken. Nach kurzer Zeit ward dem Bürschlein duslig, es schwindelte und verfärbte
sich, vermochte nicht mehr fest und frei zu stehen, sondern mußte sich an die Wand lehnen,
bald sogar auf eine Bank niedersetzen.Aber von Minute zu Minute steigerten sich Rausch und
Uebelleit, die Knechte wurden allmälig unruhig, fürchteten, der Meister möchte kommen und
den Hansli in diesem Zustande finden. Der, welcher abgewehrt, klagte die andern an, er
wollte nichts damit zu thun gehabt haben und diesen war noch weniger wohl bei der Sache,
trotzdem sie von keiner Schuld wissen wollten. Sie wurden räthig, den Burschen
fortzuschaffen, man konnte mit ihm so ziemlich unbemerkt hinter den Häusern weg, über die
Matten zwischen den Bäumen durch, nach seiner väterlichen Wohnung gelangen. Da er,
Frau Lisebeth verspätete sich bei ihrer Arbeit, Mittag hatte schon verläutet, in eiligen
Schritten, mit erhitztem Gefichte, den schweren Bohnenkratten in der Hand, nahte sie vom
Felde her ihrer Wohnung. Der nächste Weg führte sie über die Matte und durch den
Baumgarten. In ihrem Eifer wegen der Verspätung beachtete sie nicht, daß Etwas im Grase
lag, sie schaute nur nach der Hinterthüre, ob dort nicht der Andres oder der Hansli in
ungeduldiger Erwartung ständen.Plötzlich fand fie sich vor einem menschlichen Körper; ein
Blick zeigte ihr, daß dieser nicht aus Behagen da so ausgestreckt lag, ein zweiter
erfüllte sie mit Entsetzen, daß ihr der Bohnenkratten entfiel, denn trotz der Entstellung
erkannte sie ihren Hansli: bleich, ja erdfahl, lag er da, wie todt, keines Sinnes und
keines Gliedes mächtig, stumpf und glotzig war der Ausdruck seines Gesichtes; dabei
röchelte er tief, um ihn her und auf den Kleidern hafteten die ekelhaften Spuren seiner
Trun22*
Eine Nachbarin war auf den durchdringenden Schrei ebenfalls herbeigeeilt, sie schlug die
Hände über dem Kopfe zusammen, als sie sah, was es gab: nein, was das für ein Unglück sei,
ein Kind in dem Zustande sehen zu müssen; sie
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Daliegenden sorgvoll und ängstlich an, bald wandte sie sich,wie von Abscheu erfüllt und mit wilden Blicken von ihm ab,keine Thräne kam in ihre Augen, keine Klage, kein Seufzer über ihre Lippen. Da mit einmal schien ein Gedanke in ihr zu erwachen, plötzlich raffte sie sich auf und grimmig, wie eine gereizte Löwin, sah sie den Andres an, dann ergriff sie den Hansli, hob ihn leicht wie ein kleines Kind vom Grase auf und trug allein ihn in's Haus hinein, auf sein Bette, wo sie ihn entkleidete, reinigte und zurecht legte. Andres hatte erst helfen wollen, aber als flüchtete sie eine Beute vor ihm,war Lisebeth an der Nachbarin und an ihm weggeschossen und kleinmüthig tappte er erst eine Weile hinter ihr drein,ebenfalls in's Haus, seine Angst und Verdutztheit in allerlei Murren und Belfern einkleidend. Nicht lange nachher sah er die Frau hastig das Haus wieder verlassen, offnen Mundes und in den Haaren kratzend blickte er ihr nach, denn er konnte sich nicht denken, was das zu bedeuten habe. Indeß hatte ihn der Auftritt so angegriffen, mit dem Mittagessen schien sich's ebenfalls noch zu verzögern, daß er nothwendig einer Herzstärkung bedurfte. In der Verlegenheit, was noch kommen werde und um die Abwesenheit der Lisebeth so gut als möglich zu benutzen, ergriff Andres den Ausweg, daß er hinter das Känsterlein ging und aus der Brenzflasche einen herzhaften Schluck einstweilen zu sich nahm, denn in dieser allein lagen ja noch seine Fassung und sein Halt.
Lisebeth aber, bei der es sich um die Rettung ihres Hansli handelte, an dessen Verderben
sie nun gar noch Schuld tragen sollte, trotz ihres fortwäͤhrenden Kampfes dagegen, war zum
Gemeindspräsidenten geeilt. Sie fühlte die Nutzlosigkeit ihrer
Der Gemeindspräsident hatte eben zu Mittag gegessen und saß allein noch am Tische mit den Fliegen, die sich an den Brosamen erlustirten, während er behaglich den Rest der Flasche leerte, in den Zähnen stocherte und von Zeit zu Zeit eine Prise nahm aus der Dose, die neben ihm lag. Er stellte Etwas vor, der Gemeindspräsident, in seiner breiten Postur, mit dem doppelten Kinn in dem roth angeflognen Gesichte und dem Gefühle seiner Wichtigkeit. Aus seiner bequemen Ruhe störte ihn da der rasche Eintritt Lisebeths, des Schneider-Andres Frau, plötzlich auf, durch das Unerwartete des Besuches sowol, als durch die Heftigkeit ihres Eintretens und den Ausdruck ihrer Mienen. Ohne lange Einleitung leerte die Frau ihr Herz und das gründlich; erst mehr in heftigen, abgebrochnen Sätzen, bis sie allgemach in einen Zug oder vielmehr Strom kam, nachdem der erste brausende Schwall, der hinter der Schleuse sich aufgestaut, abgelaufen.
Der Gemeindspräsident war erst überrumpelt, verblüfft,erkannte die wortkarge
verschlossene Lisebeth nicht wieder.Ihrer Heftigkeit gegenüber fehlte es ihm aus seiner
Mittags-behaglichkeit heraus an den Worten, die Kraft des mütterlichen Schmerzes hielt ihm
die Rede nieder und die Wahrheit,mit solcher Bewegung ihm plötzlich entgegengeschleudert,
verwirrte seine sonstige Besonnenheit. Mit Mühe suchte er nach einigen Einreden, dabei
allmälig die Sammlung zu gewinnen.Er fragte nochmals, was es denn gegeben? suchte zu
beschönigen, auszureden, sprach von näherer Untersuchung, von Vorstellungen und gütlichem
Zuspruche: der Andres werde wol wissen, was er mache, er sei nicht auf den Kopf gefallen
und auch nie der Uebelste gewesen! Er meinte, Lisebeth sehe
Aber eben an der Zucht fehle es ja! unterbrach Lisebeth den Präsidenten, der nun wieder im Sattel saß.
„Das verstehst du nicht!“ belehrte er sie; „der Staat ist nicht befugt, bei jedem häuslichen Zwiste sich einzumischen,das geht gegen die verfassungsmäßig garantirte bürgerliche Freiheit!“
Lisebeth, die auf Einreden sich nicht versstand, nur auf ihrer geraden Linie blieb und am allerwenigsten den Windungen und Wendungen eines Gemeindepräsidenten, der nicht will, gewachsen war, fühlte, beim Unterhandeln komme sie zu kurz und werde immer weiter von ihrem Ziele zurückgedrängt.Sie raffte sich darum nochmals auf und faßte ihre Streitkräfte kurz zusammen, indem sie wiederholte, wie ihr Mann in den Krallen von Wirth und Krämer sei, die ihn aussögen,ohne daß er von selber sich losmachen könne, im Gegentheil,den Hansli noch nachzöge. „Eine Sünde ist's wie die's treiben!“ schloß die bewegte Frau, „sie betrügen ihn um Alles und bringen uns noch an den Bettelstab; Diebe und Schelme sind nicht ärger!“
„Nimm dich in Acht!“ fiel der Präsident ein, „sag das nirgends sonst, ich will's nicht gehört haben, es sind unbescholtene Männer und wenn du den Dieb und
Schelm beweisen solltest, könnte es dir bös gehen. Sie gehen zu Niemand, man kommt zu ihnen und besitzen das Recht zu wirthen, denn sie haben vom Staate ein Patent gelöst und zahlen dazu ihre Abgaben.“
„Sündengeld!“ fuhr Lisebeth dazwischen, „das dem Lande keinen Segen bringen kann!“
Dies ärgerte den Gemeindsvorsteher: „du bist ein einfältiges Weibsbild, mit dir ist nicht zu reden; willst du, daß der Andres neben dir daheim auf dem Ofenbänklein beim Spinnrade sitze oder alte Predigten lese, he nun, so mach's,wenn du kannst, der Staat aber ist nicht dazu da, eben so wenig, um dir deinen Buben zu hüten!“
Mit diesen Worten wollte er aufstehen und fortgehen,Lisebeth aber vertrat ihm den Weg. Die gute Frau wußte sonst blutwenig von Regierung, Verfassung und Gesetz; sie hatte bisher immer gemeint, diese gingen die ordentlichen und ruhigen Leute eigentlich gar nichts an. Von Obrigkeit im Allgemeinen machte sie sich wol einen Begriff; die Obrigkeit,meinte sie nach ihrer Einfalt, sei da, um zu sorgen, daß Alles ordentlich im Geleise gehe und nichts Unrechtes geschehe. Nun war aber doch einmal der Andres außer dem Geleise und daß er den Hansli noch mitzog, war gewiß schlecht und schädlich genug, um die Obrigkeit zu vermögen, ihre Gewalt geltend zu machen und den Unmündigen zu schützen. Sie fragte darum, indem sie dem Gemeindspräsidenten hart unter die Augen trat: „Sag mir, Präsident, wozu ist denn eine Obrigkeit da, wenn das sie nichts angeht? Sie mischt sich doch in jede Lauserei! es werden Bücher geführt über jede Maaß, die in's Land kommt, aber was mit dem Getränke geschieht, ob
Weib und Kinder damit zu Grunde gerichtet werden, das ist,scheint's, der Obrigkeit dann gleich. Wenn Eltern die Kinder nicht in die Schule schicken, so werden sie gestraft, es soll gegen das Gesetz sein; der Vater darf aber seinen Buben an Leib und Seele verderben, das geht die Obrigkeit nichts an, es ist nicht ungesetzlich. Glaubst du, daß eine solche Obrigkeit von Gott eingesetzt sei?“
Der Präsident hatte indeß genug, er ließ sich nicht weiter ein, sondern sagte nur aufgebracht: „Du hast ein böses Maul!es nimmt mich nicht Wunder, wenn dein Mann aus dem Hause läuft und ein Glas über den Durst trinkt, du bringst ihn dazu, klage nur nicht! Mich aber laß jetzt in Ruhe mit deiner Phantasterei; du weißt es jetzt, es wird nichts draus,Punktum!“
Und mit dem Punktum schoß der Präsident, hochroth im ganzen Gesicht, an Lisebeth vorüber
und ließ sie stehen und mit diesem Trost und dieser Hilfe ging die arme Frau wieder heim.
Sie wußte nicht, wie sie über die Gasse kam, sah keinen Menschen und spürte den Boden
unter den Füßen nicht. Sie hatte nur das Gefühl, hinausgestoßen zu sein in stockfinstre
Nacht, ohne Weg und Steg, umgeben überall von Abgründen, verlassen von aller Hilfe bei
Gott und Menschen. Der Muth und die Kraft der Erregung waren völlig zusammengebrochen,
Zagheit und Aengstlichkeit überkamen sie plötzlich mit aller Macht, bleischwer lag's ihr
in den Gliedern, das Herz war wie in einen Schraubstock gepreßt, es schwindelte ihr, daß
sie nichts denken, nichts fassen konnte. Einzig die Vorwürfe und Anklagen, die sie gehört,
daß sie schuld sei an Allem, stachen aus dem wüsten Durcheinander hervor,
In einem Satze war Hansli aus dem Bette, und vollständig nüchtern geworden, sprang er mit
einem zweiten die Treppe hinauf, wo der schrecklichste Anblick ihn erwartete.Er wußte
nicht, was er that, er überlegte nicht, er stürzte nur verzweiflungsvoll auf die
unglückliche Mutter hin, deren Füße nicht weiter vom Boden entfernt waren, als die Höhe
eines niedern Schemels betrug, welcher umgestürzt in der Nähe
Chirurgen den Ausbruch zu bändigen, den er für den Erfolg nachtheilig und hinderlich erlläͤrte. Andres war bisher ziemlich rathlos an dem Bette gestanden, sich selbst immer tröstend:die Lisebeth werde wol wieder zu sich kommen, es sei nur eine Ohnmacht, sie habe kaum eine Minute gehangen, denn sogleich sei er auf den Lürm des umgestürzten Schemels hinaufgegangen und sie sei immer eine Zähe gewesen. Jetzt fing er an herumzutrippeln, seine Angst ließ nach und ein Stück ehemaligen Uebermuthes kehrte wieder: er habe es ja gleich gesagt! die Weiber seien wie Katzen, es thu ihnen Alles nichts,aber daß sie andre Leute so erschreckten, das sei doch nicht recht!
Lisebeth erwachte wieder zum Leben, doch waren die Aufregungen der letzten Stunden so heftig gewesen, der Aderlaß hatte sie obendrein noch so erschöpft, daß sie bald in einen zwar gesunden, aber langen und tiefen Schlaf fiel, während dessen Hansli nicht von ihrem Bette wich, indem er immer halb fürchtete, die Mutter möchte ihm doch noch sterben und er darum auf jeden Odemzug achtete und gleich ängstlich ward, wenn die Züge zufällig etwa einmal schwächer wurden oder einer aussetzte.
XIX.Ein Pfarrer macht Etwas gut, das er nachher mit der besten Absicht wieder verdirbt.
Wie ein Lauffeuer und mit allen möglichen Ausschmükkungen ging die Kunde von dem
schauerlichen Vorfalle im
Auch mit Andres und dem Hanusli hatte der Pfarrer bei diesem Anlasse gesprochen; mit jedem in's Besondre, aber voll tiefen Ernstes. Er bedeutete sie, und schärfer als er es bei Lisebeth gethan, wie viel Schuld an dem Verbrechen der Mutter auf sie falle, was sie jetzt auf dem Gewissen hätten,wenn diese im Selbstmord dahingegangen wäre und, vor Gottes Richterstuhl verklagt, zugleich als Klägerin wider Gatten und Kind aufträte. Zugleich stellte er ihnen vor, was Alles sie gut zu machen hätten und wie ihnen dies allein möglich sei.
Bei Andres zogen diese Zusprüche und Ermahnungen nicht recht, er suchte sich zu rechtfertigen und verfiel in ein Lamentiren und Räsoniren hinein, das keine Frucht brachte.Nein, was doch auch ihn noch treffen müsse! klagte er, ohn Unterlaß reite das Unglück auf ihm herum! Dann wieder meinte er: die Lisebeth habe nicht gewußt was sie thue, sie sei außer sich gewesen, er kenne sie wohl! Der liebe Gott würde auch nicht zu strenge mit ihr verfahren sein. Uebrigens sei er nicht dran schuld gewesen diesmal, man könne aber daraus sehen, was ihm die Frau zu schaffen gebe, es habe ihm's
Meyer-Merian, Mareili.
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So schwatzte der Andres durch einander und wehrte Alles,was ihn anging, von sich ab. Mit Betrübniß erkannte der Geistliche, zu welch löcherigem Brunnen er schon herabgesunken war. Um so angelegentlicher sprach er dem noch unverdorbneren und empfänglicheren Hansli in's Gewissen, ließ ihn aus dem großen Unrechte der Mutter die Größe ihrer Liebe zu ihm erkennen. Diese solle er ihr nun mit seiner Besserung vergelten und so das Unglück zum Segen für ihn und die Mutter wenden. Und dabei stellte er ihm abschreckend die Folgen vor, wenn er auf dem bisherigen Wege fortwandle und wie es nicht anders möglich, als daß er immer tiefer und unrettbarer in das Verderben des Brenztrinkens hineingerathe. Er wies ihn an die Mutter, der möge er eine Stütze sein und er werde es vermögen, noch sei's Zeit, wenn er ernstlich wolle und zu Gott um Kraft bete gegen die Versuchung,täglich und ohn Unterlaß. Wie Gott sich seiner Jugend erbarmt und den ernsten Ruf zur Umkehr an ihn ergehen lassen,so werde er ihn auch unterstützen, wenn er der Warnung redlich nachzukommen suche!
Hansli rechtfertigte sich nicht, er nahm sich die Ermahnung zu Herzen. Schon durch das
schreckliche Ereigniß war er hinlänglich erschüttert worden; in den einsamen Augenblicken,
die er am Bette der erstarrten Mutter zugebracht,
Solchen guten Weg betrat Hansli und es ward dafür gesorgt, daß er ihn nicht sobald wieder verlassen sollte.
Alles schien wieder nach und nach in ein leidliches Geleise kommen zu wollen, wenn auch
Andres im Ganzen so ziemlich der Alte blieb, denn je mehr ihm der erste Schreck aus den
Gliedern wich, um so fleißiger suchte er auch wieder die frühre Lebensweise anzunehmen,
und er wurde zu ihr von seiner Leidenschaft, wie die Mücke von der Flamme, in immer engere
Kreise hereingezogen. Lisebeth ging wieder den gewohnten Geschäften nach in Haus und Feld
mit dem alten Fleiße, der frühern Sorge, nur noch stiller und nachdenklicher. Der
Geistliche besuchte sie von Zeit zu Zeit, denn sie hatte seine Theilnahme erregt, wie auch
sein Wohlwollen ihr eine Freude und Stärkung war. Er hatte das Bewußtsein, nach Kräften zu
dem guten Ausgange gewirkt zu haben und mit Recht gab ihm dieß eine Befriedigung. Leider
begnügte er sich nicht mit diesem Erfolge, sondern er wollte in seinem erweckten Eifer
noch mehr erreichen, einen noch größern, auffälligern Sieg erringen, der auch auf andre
Gemeindegenossen seine Wirkung ausdehne durch Vorbild und Mahnung zugleich. Die Rettung
Lisebeths schien ihm nur unvollständig zu sein, er wollte sie ganz für den Himmel
gewinnen, indem er sie der Welt
Der Pfarrer machte sie aufmerksam, daß mit der Gewohnheit nur zu leicht auch die Lauheit sich einstelle, daß es auf die Brünstigkeit des Gebetes, die Demüthigung und Hingebung ankomme, wenn Gott sein Wohlgefallen daran haben DDzu beten, als eine äußre Dargebung dieser Demüthigung vor dem Herrn. Dabei deutete er an, wie Gott sie habe fallen lassen, um sie aus ihrer Sicherheit zu wecken und ihm mit ganzem Herzen zuzuwenden. Der Herr habe sie lieb, deßhalb habe er sie nur gewarnt und nicht weggenommen in ihren Sünden,nun solle sie aber auf den Ruf merken und die Gnadenfrist wohl benützen, damit diese nicht unwiederbringlich verloren gehe, sondern sie ihrer Seele Heil erringe und zugleich auch den Hansli errette vom Rande des Verderbens, dem er entgegengehe!
Schon jene Nachbarin und dann der Gemeindepräsident hatten Lisebeth Schuld gegeben an ihrem Kreuz und Unglück,nun that das auch noch der Pfarrer! Das fiel der armen Frau schwer auf die Seele und gab ihr zu denken. Es müsse doch Etwas an dem Vorwürfe sein, meinte sie; daß sie nicht fromm genug sei, darauf werde es wol herauskommen! Sie dachte aber das nur im Stillen, gab dem Geistlichen keine Antwort auf seine Rede und verrieth auch keinen Eindruck,weil Alles langsam bei ihr wirkte und nicht sobald zu Tage trat. Der Pfarrer, in seinem Eifer und seiner Ungeduld vorwärts zu kommen, beachtete die natürliche Schwerfälligkeit Lisebeths so wenig als die ländliche Unbeholfenheit in geistlichen Dingen überhaupt, er meinte nur Gleichgiltigkeit,Stumpfheit zu erblicken und ward deßhalb noch schärfer und eindringlicher, bevor er sie dießmal wieder verließ.
Als Lisebeth allein war und nachher oft in einsamen Stunden, des Nachts oder an
Sonntagen, grübelte sie über die Worte des Pfarrers nach und suchte sich dieselben in
ihrer Weise zurecht zu legen. Sie meinte wirklich, weil sie nicht fromm genug wäre,
deßwegen sei es mit ihrem Hansli so gegangen und werde es auch so lange nicht besser
werden;denn nur an ihr Kind dachte sie bei Allem. Sie wollte deßhalb nun frommer werden,
um vom lieben Gott es zu erlangen, daß er sie nicht mit dem Verderben ihres Sohnes
strafe,sondern ihr ihn rette, was ja sonst Niemand wolle oder vermöge. Und um so
ängstlicher sah sie darum auf den Pfarrer,daß der ihr den rechten Weg weise zu solch
heilsamer Frömmigkeit. Diese mütterliche Sorge legte indeß der Geistliche als ein
Seelenbedürfniß der angefochtnen Frau überhaupt
Vergebens quälte sich die arme Frau mit häufigen Gebeten und hastete in hundert
Peinlichkeiten ohne Segen und Befriedigung nach einer Frömmigkeit, welche ihr die Gewiß
In solcher Muthlosigkeit, solchem Zusammensinken wurde aber Lisebeth auch gegen alles Andre gleichgiltig. Die Arbeit fiel ihr zur Last und gewährte ihr keine Befriedigung mehr,im Hause zeigte sie sich lässig: es ging in dem einzigen Kinde doch dem Verfalle entgegen! Alles ward ihr zu viel, kein stolzes Gefühl, das Feld der Hausfrau, die Ehre des Hauses bis zum Aeußersten aufrecht zu erhalten, spornte sie mehr an:sie selbst ja hatte schon Schande darauf gehäuft! So ließ sie überall die Hände sinken, blos die Gewohnheit führte sie lästigen und verdrossenen Schrittes noch die alten Wege, sie lief noch fort wie ein in Bewegung gesetztes Rad, ohne neuen,ohne eignen Antrieb.
Da Andres in Haus und Feld schon lange nicht mehr viel zählte und ihm in mancher Beziehung eine weniger geordnete und genaue Hausführung eher erwünscht als verdrießlich war, so hätten sich bald da und dort die bedenklichsten
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Folgen fühlbar gemacht, wenn nicht von andersher Hilfe zur rechten Zeit sich eingestellt hätte, ganz unvermuthet und unvermerkt. Diese Hilfe kam von Niemand sonst als von Hansli,dem es mit seiner Besserung Ernst war und welche nicht nur in guten Vorsätzen und schönen Versprechungen bestand, sondern Hände und Füße kriegte, die keck zugriffen und sich sputeten. Da er sich das Wirthshaussitzen und Herumziehen aus dem Kopfe geschlagen, blieb ihm viele Zeit übrig und weil er die zu Hause zubrachte und seine Theilnahme und Aufmerksamkeit der Mutter mehr denn je zugewendet war, so gab es sich auch fast von selbst, daß er dieser überall an die Hand ging, von Allem, was in Haus und Feld zu besorgen war,Kenntniß erhielt, immer mehr in Einzelnem selbstständig angriff und Eroberungen machte, indem er dieß und jenes Geschäft ausschließlich als das seine sich aneignete. Die Mutter,die sich fortwährend um ihn bekümmerte, merkte das nicht;weniger weil es allmälig und ohne Schein sich machte, als weil sich ihre Aufmerksamkeit von der Thätigkeit in Haus und Feld überhaupt mehr und mehr abzog, sie in ihrer Gleichgiltigkeit es nicht weiter beachtete, wenn Etwas, das sie thun wollte, bereits gethan war, da sie mit Kopf und Herz an einem ganz andern Orte sich befand. Dem Hansli war auch Angst gewesen, als ihm die Augen so plötzlich aufgerissen worden; aber die Angst hatte bei ihm ganz anders gewirkt als bei der Mutter, ihn trieb sie an, kräftigte seinen Willen und entmuthigte ihn nicht. Bei Allem, was er that, hatte er das Gefühl, einen Theil seiner Schuld gegen die Mutter abzutragen und das machte ihm das Herz leicht bei der Arbeit,daß die ihm immer besser aus den Händen ging und er den
Segen der Arbeit stets reichlicher erntete. Je mehr seine Thätigkeit, und damit auch die Selbstständigkeit, zunahm, um so deutlicher wurde seine Einsicht in die Verhältnisse des Hauses. Daß ihm dabei die Stellung des Vater in ihrer ganzen Schwäche, ja Nichtigkeit, vor Augen trat, war beDDwenn es noch nöthig gewesen wäre, hätte ihn mehr auf dem guten Wege, den er nun wandelte, festgehalten, als diese Wahrnehmung der jämmerlichen Folgen, welche der Trinkfucht und dem Wirthshausleben auf der Ferse nachgingen und die auch ihn schon zu bedrohen angefangen. Diese Erkenntniß der Gefahr, der er entronnen, und in der er den Vater, das von Gott gesetzte Haupt des Hauses, allmälig untersinken sah, trieb aber den Jüngling zugleich an, die Lücke auszufüllen, der Mutter die Stütze zu sein, die der Vater leider nicht war und nicht mehr sein konnte. Bei diesem Selbstgefühl und der Liebe zur Mutter machte es sich wie von selbst, daß der Hansli bald die Seele vom Hause war und die arme Lisebeth in ihrer zunehmenden Muth- und Theilnahmlosigkeit eigentlich nur noch durch ihn mitgezogen wurde, ohne es recht zu wissen.
Es war eine Freude, den rührigen und arbeitsamen Burschen zu sehen und Jedem, der nicht
blind war, mußte der Unterschied des Hansli von früher und des Hansli von jetzt in die
Augen springen. Leider aber war die Mutter blind vor lauter Besorgniß, indem sie an der
Gottgefälligkeit ihrer Frömmigkeit verzweifelte und darum immerfort an der Angst um ihren
Hansli kaute. Selbst das Gute, das sie, fast wider Willen, sehen mußte, diente ihrem
Kummer zur Nahrung:
Wie emsig der Pfarrer auch bemüht war, der geängsteten Frau Lisebeth zum Frieden und zum Troste zu verhelfen, da ihm ihr, immer mehr dem Trübsinn sich nähernder Zustand selber nahe ging und Besorgniß einflößte, so gelang das ihm doch nicht, weil er nicht erkannte, wo der Dorn eigentlich stak, daher alle Versuche, denselben aus dem Fleische zu ziehen,ihn nur tiefer hineindrückten. Zum Heil für Lisebeth fand sich eine andre Hand, die dieß besser verstand, obschon sie nirgend dazu besonders war eingeschult worden, sondern nur unter der Leitung eines klaren einfältigen Auges, eines theilnehmenden wie erfahrnen Herzens, sich ihre Uebung erworben hatte. Es war die Hand der Letthofbäuerin.
XX.Eine Banernfrau legt Hand an und verstehl's krotz einem Pfarrer.
Der beidseitige Verkehr der Familien des Letthofbauern und des Andres war ungeachtet der
Vetter- und Gevatterschaft
Nach herkömmlicher Sitte nahm man auf dem Letthofe alljährlich ein oder auch zwei Mal Schneider und Schuhmacher in's Haus, acht, vierzehn Tage lang und dann wurde zugeschnitten, genäht und geflickt, gebügelt und genagelt, daß es eine Freude war. Dem verborgensten Lohe wurde zu Leibe gegangen, was blöde war, vorsorglich mit einem neuen Lappen übernäht, das nöthige Neue zusammengeschneidert und geschustert, damit es wenigstens ein künftiges halbes Jahr halte,denn in der Zwischenzeit, bis die Handwerker wieder auf die Stör kamen, behalf man sich, so gut es gehen wollte, an
Stelle eines Fleckes oft mit bloßer Geduld. Da nun Andres nur zu Hause arbeitete, so stand er auch in keinem großen Geschäftsverkehr mit dem Letthofbauern, nur dann und wann erhielt er, der Verwandtschaft wegen, ein Stück Neues zu machen, wozu man ihm einen alten Rock, getragne Westen oder Hosen, als Muster schickte; fragte doch der Alte viel zu wenig nach den Launen der Mode, um da jedesmal sich das Maaß besonders nehmen zu lassen. Es war indeß schon eine Weile Nichts mehr bestellt worden, theils weil der Letthofbauer mit zunehmendem Alter weniger Kleider brauchte, theils wegen der nachlässigen Arbeit des Schneider-Andres und seiner Unzuverlässigkeit. Denn nach allem langen Warten und zehnmaligen Fragen und Treiben hatte er das letzte Mal die bestellte Kutte so neumodisch zugeschnitten, daß der Alte sich geschämt hätte, diese Affenjacke, wie er sie nannte, nur anzuziehen. Indem er sie in die hinterste Ecke des Schrankes hing, brummte er: wenn Andres ein so großer Herr sei, daß ihm nichts mehr an seiner Kundsame liege, he nun, so gebe es Andre, die gerne die Sachen machten, wie man sie begehre und gewohnt sei! Damit hatte es für eine Weile mit den Bestellungen beim Herrn Vetter ein Ende genommen.
Die Letthofbäuerin hatte von dem schrecklichen Vorfalle mit der Lisebeth wol vernommen,
zugleich aber auch, daß es noch glücklich gegangen und der Pfarrer die Frau wieder auf den
rechten Weg gebracht. Wie gerne sie ihre Theilnahme bezeugt und womöglich in etwas Hilfe
geleistet hätte, so fühlte fie doch gar wohl, ihr seltner Besuch würde bei dem Anlasse die
Base nur in Verlegenheit setzen und es sei am besten, von der ganzen Sache so wenig
Aufhebens als möglich zu machen.
Als sie aber später von dem Trübsinne erfuhr, in den die arme Frau mehr und mehr versinke, und wie sie Alles so schwer nehme, da faßte sie doch den Entschluß, nach Kestenhofen zu gehen und nachzusehen, ob nicht freundlicher Rath und werkthätiger Beistand Etwas auszurichten und zu bessern vermöchten? Denn wo die wackre Frau Ann Noth wußte,da trieb es sie an, die zu lindern, und daß dieß ihr so oft schon gelungen, spornte sie jetzt, wo es sich um die ohnehin von den Menschen zurückgezogne Base handelte, nur noch mehr dazu an. Aber bloß so hingehen und in's Haus fallen nach der langen Entfernung, das ging nicht an, auf dem Wege war scheuer Schwermuth nicht beizukommen. Mit einmal fand daher die kluge Frau die Sonntagsweste ihres Alten entsetzlich abgetragen: er dürfe sich darin ja nicht mehr in der Kirche sehen lassen, an einer Stelle wäre das Tuch blöde, an einer andern die Farbe verschossen, für gewöhnlich gehe sie noch, die Alltagsweste könnte er dann dem Melker geben, dem die Mäuse ein großes Stück aus der seinigen gefressen. Und der Schluß dieses Westenwechsels war die unerläßliche Anschaffung einer neuen Weste für die Sonntage. Dem Bauern leuchtete zwar die Dringlichkeit nicht so ein, ein Halbjahr gehe sie schon noch, dann könne man sehn; der Melker indeß möge ein Stück Tuch auf sein Mausloch setzen lassen! Wo behält indeß eine kluge und brave Frau in derlei Hausstreitigkeiten nicht Recht? Frau Ann überwand sogar noch den Widerwillen gegen den Schneider-Andres, von dessen Lumpenarbeit der Letthofbauer, im Angedenken an die Vogelscheuche im Schrankecken, erst Nichts wissen wollte. In Betracht der bösen Lage und des vielen Kreuzes wurde dem lüderlichen
Vetter für einmal die Sonntagsweste noch in Gnaden zugewendet, wobei die Bäuerin sich ausdrücklich verbindlich machte,selber hinzugehen und ihm ja Alles gehörig einzuschärfen;machte es sich doch in einem Gange, da sie zum Müller mußte,wegen Korn, das er ihnen malen sollte.
So kam die Letthofbäuerin nach Kestenhofen und in's Haus des Schneider-Andres, wo die
Lisebeth sie wortkarg und mißtrauisch genug empfing in ihrer trüben Niedergeschlagenheit.
Aber wer wollte einer Letthofbäuerin, mit ihrem handgreiflichen Wohlwollen und der heitern
Gutmüthigkeit,die wie Sonnenschein von ihrem runden Gesichte strahlte, auf die Lange
widerstehen? Wer ihrer theilnehmenden Frage, die allein schon wie ein halber Trost klang,
das Herz nicht aufthun? Wenigstens Niemand, dem dieß ohnehin zum Zerspringen voll war. Wo
aber nur ein ganz kleines Spältlein DDD ihre Milde und Klugheit gewiß hinein und
erweiterte allmälig die Oeffnung, goß den Balsam ihres Trostes immer reicher,lindernder
über die heiße Stelle, bis der Brand und die schmerzhafte Reizbarkeit nachließen, der
ganze Schaden zu Tage kam und sich von der geschickten sanften Hand ohne Zucken reinigen,
verbinden, heilen ließ. Das Vertrauen mußte auch bei Lisebeths verschlossener Seele
allmälig hervorkommen aus seinem hintersten Winkel, denn die Bäuerin schien eben so viel
selber mitzutheilen, zu bekennen, als zu erforschen. Herz und Hand waren gleich offen, sie
erkannte mit der Schlangenklugheit und Taubeneinfalt ihres Wesens,wo es besonders fehle,
welches der Sitz des Uebels sei, und in dem geheimen Schätzkästlein ihrer Erfahrung wußte
sie von
Mit einem Besuche machte sich dieß Alles freilich nicht,aber der erste Besuch brach doch
das Eis und gab Anlaß zu einem zweiten und dritten. Die Bäuerin frug erst dem Andres nach,
der ihrem Alten eine Sonntagsweste machen sollte und dabei zog sie eine alte als Muster
aus ihrem Säcklein und hatte ein Weites und Breites zu erpliciren, zu warnen und
einzuschärfen, daß es einem ängstlichern Gemüthe als dem des Schneider-Andres ganz bange
darob geworden wäre: er sei gar ein Eigner, der Letthofbauer, wenn er nur einen Knopf
weniger hätte als er gewohnt sei, er wäre im Stande und rührte die Weste mit keinem Finger
an! entschuldigte die wackre Frau ihre Weitläufigkeit. Vergebens suchte sie indeß Lisebeth
durch Nebenbemerkungen und Zwischenfragen in's Gespräch zu ziehen. Sie wagte sich deßhalb
nachher mehr auf das eigentliche Gebiet dieser, ließ sich in der Wirthschaft Allerlei von
ihr zeigen, fragte nach ihren Erdäpfeln, wie sie geblüht, ob viel angesetzt, die Knollen
groß geworden und ob sie beim Schwellen wohl aufsprängen? sie könne nichts Besondres
rühmen dieß Jahr, das Kraut der Stauden sei ihr zum großen Theil wieder schwarz geworden.
Lisebeth gab Bescheid, aber kurzen, indeß die Bäuerin schien sich nicht daran zu stoßen,
sondern vermehrte nur ihre Aufmerksamkeit.Hinter dem Hause lag Flachs, bereit zum
Sortiren: Frau Ann musterte ihn mit Kennerblicken, lobte die gleichmäßige
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17 bäuerin dankbar in einem Papier, nur zur Probe, von dem Samen mitnahm.
So hatte beim Abschiede, nach dem ersten Besuche, Frau Ann schon eine Menge Fäden in ihrer Hand, womit fie die Lisebeth festhielt, ohne daß diese es merkte und jedenfalls war auch ein baldiges Wiedersehen sattsam eingeleitet und vorbereitet. Denn neben aller freundlichen Aufmerksamkeit für Flachs und Kohl und Erdäpfel hatte die erfahrne Bäuerin tief genug in die Noth des Hauses und die Verdüsterung der armen Base hineingesehen.
Beim nächsten Besuche flog, mit dem Erblicken der Letthofbäuerin, schon ein Schimmer von Aufmerksamkeit, von Theil-nahme, man konnte noch nicht sagen von Freude, über das Gesicht Lisebeths und ließ erkennen, daß sie nicht unwillkommen sei. Des Andres Frau war auch weniger wortkarg, im Vergleich zum ersten Male: sie fing hin und wieder selber mit Etwas an und wenn sie zwar ihre geheimen Leidensschätze noch nicht auspackte, verschloß sie dieselben doch weniger ängstlich hinter den sieben Riegeln ihres Mißtrauens. Ja die Bäuerin konnte sogar einen Blick auf Dieß und Das in dem halboffnen Schmerzenskästlein werfen, ohne daß Lisebeth ihr gleich den Deckel vor der Nase zugeschlagen hätte.
Da begann Frau Ann den Hansli zu rühmen: was der wachse und stark werde, sie habe ihn
kaum erkannt! Und daneben sei er fleißig wie wenige Bursche in seinem Alter; sie sehe ihn
immer bei der Arbeit und es scheine, er verstehe sich auf Alles. Das letzte Mal habe er
(Jauche) ausgeführt, jetzt hacke er Erdäpfel und sie wolle wetten, die Baumlöcher zum
Versetzen habe er auch gegraben: mancher Große verstehe es
Das sei wol wahr! entgegnete Frau Lisebeth, der Hansli sei fleißig von Morgen früh bis in die Nacht seit damals!„He nun, so wird's auch nicht so schlimm sein.“
Darauf komme es nicht an, meinte die Mutter, es gehe doch wie sie gesagt habe; ihretwegen.
„Deinetwegen?“
Lisebeth stutzte einen Augenblick, doch fuhr sie gleich fort:ja, weil sie nicht die rechte Frömmigkeit habe, und darum auch keine Gnade bei Gott, so werde sie am Hansli, als ihrem Liebsten, gestraft.
„Aber wer sagt dir auch das?“ fragte die Letthofbäuerin,halb erstaunt, halb erschrocken.
Die Andre aber antwortete kleinlaut: der Pfarrer habe es ihr gesagt.
„Der Pfarrer? höre, dann hast du ihn gewiß nicht verstanden; so kann er's nicht gemeint haben! Ich bin zwar nur eine einfältige Frau und weiß von geistlichen Dingen nicht mehr als unsereiner braucht; aber auf den lieben Herrgott und was sein heiliges Wort uns sagt, verstehe ich mich doch etwas, ich habe Manches erfahren, bis ich so alt geworden bin. Arme sündige Menschen sind wir Alle und mangeln des Ruhmes vor Gott! Das ist wol wahr, aber dafür haben wir einen Heiland und sein heiliges Evangelium.Und daß der gnädige Gott nicht härter mit dir verfahren wird als mit den Andern, das kannst du ja gerade an deinem Hansli ersehen, den er wieder vom Irrwege auf den guten
Weg geführt hat. Thu doch nur deine Augen auf: du hast Angst er verderbe, und während du jammerst um ihn und dich mit Vorwürfen quälst, ist er schon gerettet; sieh ihn nur an!Du fürchtest, er möchte verkommen im Wirthshause, und er ist den ganzen lieben Tag um dich und arbeitet ohne sich nur die nöthige Ruhe recht zu günnen; was du doch für eine sonderbare Frau bist und wie ungerecht, aus lauter Liebe und Besorgniß!“Diese ruhigen, tröstlichen Worte, die Sicherheit und Würde, welche das ganze Wesen der Bäuerin ausdrückte,und dabei die schlagende Kraft ihrer Gründe machten auf Lisebeth einen großen Eindruck, aber sie hatte noch nicht den Muth, herzhaft zu glauben, was so lange ihres Herzeus innigster Wunsch war, sie hätte es in ihrer schweren Art nicht einmal sogleich frischweg geglaubt, wenn es ihr ein Engel vom Himmel verkündet hätte.Das sei schon wahr, entgegnete sie in ihrer bangenden Ungewißheit, aber der Hansli befinde sich nicht wohl dabei, so werde es nicht bleiben, es treibe ihn doch immer wieder zu dem frühern Leben hin, sie sehe es ihm gar gut an:er sinne oft und werde stille und niedergeschlagen.
„Wie du's doch meisterlich verstehst dich zu quälen und das Weiße schwarz zu sehen!“
entgegnete hierauf mit Lächeln die Bäuerin; „freilich macht der gute Hausli dann und wann
ein recht nachdenkliches Gesicht, daß es einen Stein erbarmen möchte; aber es ist nicht
die Sehnsucht nach dem Schnaps oder dem Wirthshause, glaube mir's: es fehlt ihm nichts,
als daß er dich immer so trübselig sieht; das
Hiegegen konnte Lisebeth nicht mehr viel sagen, es war zu handgreiflich. Durch die Augen der Letthofbäuerin gesehen,kam ihr Hansli wie ein andrer Mensch vor, ihre Besorgniß schien ihr selber übertrieben, sie athmete unwillkürlich leichter auf. Aber sie traute freilich auch jetzt ihrem Glücke und dessen Bestand noch nicht so recht fest und ganz, fiel zeitweise in die alte Verzagtheit zurück, indeß auf immer kürzre Zeit und die hellen Augenblicke dehnten sich allmälig zu ganzen Stunden und Tagen aus. Die Grübeleien nahmen ab und mit dem unbefangneren Sinne kehrte auch der richtige Blick wieder,der nun gar Vieles zum Bessern dentete, was er früher für Kreuz und Elend angesehen. Daß Lisebeth dabei in Haus und Feld herzhaft wieder Hand anlegte und damit auch Kopf und Herz ihnen wieder zuwandte, diese äußre Thätigkeit trug ebenfalls gar wesentlich zur Besserung und endlichen Wiederherstellung bei. Daran hatte Niemand eine größre Freude als der Hansli und deßhalb fiel er, nicht nur nicht in seinen alten Fehler zurück, sondern nahm sich nun, heitern Gesichtes und guten Muthes, Hand in Hand mit der Mutter der kleinen Wirthschaft stets eifriger an und trat in seinen jungen Jahren schon in die Stelle eines Hausvaters und Meisters, welche ihm der verkommende Andres leider immer völliger einräumte.
XXI.Ein Halnnke wird fortgejagt, der Gemeindepräsident räumt selber das Feld, und der Lelthofbaner ist doch kein harter Mann.Mit Mareili war auf dem Letthofe so ziemlich Alles zufrieden, denn es war nicht mehr das knarrende Rad am Wagen; nur die alte Vren schien manchmal fast verdrießlich und konnte sich's nicht zurecht legen, daß sie ihren bewährten Strohrübel bei dem Mädchen nimmer anzuwenden brauchte.Daneben war sie freilich auch erstaunt und rühmte es selbst ungefragt, was für einen schnellen und glücklichen Erfolg ihre Erziehungsweise gehabt; denn sich schrieb sie alles Gute an Mareili zu, hatte doch Niemand als sie das Mädchen vaterDD genössische Trillmeister, jetzt Instruktor genannt. Die Andern alle, meinte Vren, hätten nur so gevätterlet und die Bäuerin zuerst brächte ja kein unebnes Wort zwischen den Zähnen hervor! Gleichviel wer dazu geholfen: Mareili war brav,fleißig und freundlich und alles Das aus einem dankbaren Herzen.
Es hatte eben die Hühner und Gänse gefüttert und ging mit der leeren Futterschüssel über
den Hof zurück, als hinter der Hecke bei der Scheune ein scharfer Pfiff hervordrang,
ein,zwei Mal. Das Mädchen erschrak halb, blieb stehen und sah sich nach der Gegend um. Da
streckte sich ein struppiger Kopf mit ein Paar frechen Augen aus dem Hollunderbusche, rief
halblaut bst! bst! und dazu Mareilis Namen. Dieses ver
Es langte sein Geldbeutelein hervor und stürzte es dem Bruder in die Hand und die mißvergnügte, ja verächtliche Miene des Schlingels bezeugte deutlich genug, wie wenig in dem Säcklein gewesen. Ohne Dank schob er die Münze in seine Tasche. Hintendrein forderte er nun aber auch für die Mutter, welche ihn eigentlich hergeschickt und die in großer Noth sich befinde, nicht wisse, wovon sie morgen leben wolle.
„Ich habe dir schon Alles gegeben, was ich besitze!“ Dsonst nichts mehr habe!“
Der Bursche aber lachte frech: „Warum nicht gar! das ist mein Botenlohn, meinst du ich wolle nichts? Aber mach'keine Umstände, schäm' dich, der Mutter nicht auch was zu gönnen, wo du's so gut hast und wie der Vogel im Hanfsamen sitzest.“
Das Mädchen wiederholte die frühre Versicherung, aber sein Bruder unterbrach es ungeduldig: „Mach' das einem Andern weiß! Jahre lang auf dem Letthof sein, dazu Butter und Milch und Eier im Ueberfluß, und frei und offen Alles,und nur ein paar Batzen haben! sieh nur unter deinem Strohsacke oder im Kastenfuße nach, es wird wol irgendwo ein Stümplein sein; wo bist du denn mit deinem Lohne hingekommen? Oder hast einen Schatz und hängst ihn dem an?“ fügte er bei. Mareili entgegnete, daß es keinen Lohn habe, man gebe ihm gutes Essen, die Kleider und was es sonst etwa brauche.
Da wurde der Bube fuchswild: , Was? die Geizteufel geben dir keinen Lohn, und du gehst ihnen für eine Magd;das verfluchte Schelmenbauernpack das! Du bist ein dummes
Vieh, daß du das so gehen läßt! Nein, wer würde sich auch diese Unvernunft träumen lassen! Heut' Abend noch gehst du und sprichst mit dem alten Hund und fragst nach deinem Lohn: er solle dich für die letzte Zeit einstweilen auszahlen und dann schraub' ihn und fordre mehr als er geben will,begehr' auf und droh' mit Fortlaufen, er gibt dir's schon,denn er kann dich brauchen. Nein auch! ohne Lohn Jahre lang Tag und Nacht zu arbeiten wie ein Esel! Das wär'etwas für mich, dem wollt' ich's zeigen!“
Das Mädchen aber nahm den Letthofbauern in Schutz:man halte es wie ein Kind hier, ihm mangle nichts, dann hätten sie lange nur Unkosten mit ihm gehabt, es habe ihnen Anfangs nur geschadet und Verdruß gemacht, es sei nichts als billig, daß es jetzt, da es ihnen etwas helfen könne, das auch thue, später würden sie wol von selber an einen Lohn denken, sie seien nicht so, daß sie dem Gesinde nichts gönnten!
Der Bursche konnte sich über die Dummheit und Verstocktheit seiner Schwester nicht genug verwundern und kein Scheltwort ließ er unversucht, sie zu überzeugen, um, wenn denn sie nichts begehre, wenigstens der Mutter zu Lieb, die am Hungertuch nage, etwas zu verlangen. Mareili aber brachte das nicht über's Herz, und erklärte es am Ende auch rund heraus: etwas heischen könne es nicht!
Da machte sich der Taugenichts näher an das Mãdchen heran und indem sein Blick, das
Gesicht und seine ganze zusammengedrückte Haltung etwas Katzenartiges annahmen,flüsterte
er heimlich und in vertraulichem Tone ihm zu:„Wenn sie dir nichts geben und du nicht
heischen magst, so hilf dir selber und mach' dich bezahlt. Eier, Butter, Milch
Mareili entsetzte sich über die Zumuthung: „Der Sünde solltest du dich fürchten, nur so
etwas zu sagen!“ fuhr es im Unwillen heraus, ,arbeite du selber, taglöhne und verdiene
etwas, es stände dir besser an!“„Du hast gut predigen,“ entgegnete der Bursche, „ich darf
mich nirgend mehr zeigen, die Landjäger sind wie der Teufel hinter mir her, seit ich einem
ein Loch in den Kopf geschlagen. Meinetwegen, wenn du deine Mutter willst verrebeln
lassen!“ fügte er bei und wandte sich, als wollte er gehen. Dem Mädchen ging ein Stich
durch's Herz. Es hieß ihn bleiben und ging hinter dem Hause hin, nach seinem Kämmerlein
hinauf. Nach einer Weile kam es wieder mit einem Bündel unterm Arme und, Thränen in den
Augen,reichte es diesen dem Taugenichts über den Hag weg: es war eines seiner bessern
Hemden und ein warmer Unterrock , den ihm die Bäuerin in letzter Messe aus der Stadt
mitgebracht.Wäahrend der Bube mit kaltem habgierigem Blicke die beiden Kleidungsstücke,
welche Mareili seinem ärmlichen Vorrathe
Ein paar Tage nach diesem Auftritte kam der Landjäger auf den Hof, Mareili sah ihn unter der Thüre die Vren nach dem Meister fragen und diese wies ihn in die Stube, er trug ein Bündel unter dem Arme. Nach einer Weile öffnete sich das kleine Fenster und der Letthofbauer rief das Mädchen,das im Hofe wischte, herein. Auf dem Tische drin lag ein
Hemde und ein Unterrock und aufgefordert vom Bauern,wiederholte der Landjäger nochmals, weßhalb er hergeschickt worden: ein herumziehender Jude, der im Verdacht des Diebstahls stehe, sei festgenommen worden und da habe man bei ihm unter Anderm auch diese Kleider gefunden. Er behaupte zwar, sie von einem Burschen gegen eine Maaß Brenz erD0000auf dem Letthofe geschenkt worden. Die eingenähten Zeichen stimmten auch für den Letthof, wenn sie Mareili gehörten,aber die Polizei vermuthe, das es eher Gestohlenes als GeD und einem Mannsbilde eben so wenig ein Weiberhemde.
Roth vor Scham und Unwillen über den Mißbrauch seiner Gabe, die Mareili sofort erkannt hatte, gab es stotternd Aufschluß: ja, es habe die beiden Stücke weggegeben, sie seien sein gewesen. Der Landjäger war zufrieden und ging wieder,indem er Hemde und Unterrock zusammenpackte. Der Bauer sagte nichts, indeß merkte das Mädchen aus seinem Schweigen mehr, als aus der längsten Rede, fühlte es selber doch nur zu wohl, wie wenig am Platze sein Geschenk gewesen.Die Meisterin aber, als sie am folgenden Samstag die Sonntagskleider aus ihrem Schranke nahm und Mareili zufällig gerade in die Stube trat, zog einen währschaften Rock aus einer Ecke, hielt ihn breit vor sich hin und musterte ihn, wobei sie fand, er werde ihr zu knapp und Pläͤtze zum Einsetzen habe sie keine mehr, ob Mareili ihn wolle? Und Mareili verstand die Bäuerin so gut, als es vorhin den Bauern verstanden, mit Dank nahm es den Rock an, die bessre Hälfte seines Dankes aber behielt es im Herzen zurück.
Diese Zwischenfälle waren längst vergessen, wenigstens von Seiten des Letthofbauern, als eines schönen Nachmittags der Landjäger wieder erschien und eine Vorladung zur Verantwortung vor dem Gemeindspräsidenten an den Meister überbrachte. Das war ein Schlag aus blauer Luft,auf dem Letthofe etwas Unerhörtes. Alles steckte die Köpfe zusammen, ließ die Arme sinken, der Melker mit der Mistgabel drin und Vrene mit einem Kübel. Eine Unruhe, ein ungewisses Bangen ergriff jedes Herz, selbst der Rinki kroch verdrießlich unterm Ofen hervor, darunter er doch erst noch so unwandelbar wie für Zeit und Ewigkeit gelegen. Eine Vorladung, eine Verantwortung! was hatte der Meister zu verantworten? er, der wie ein König in seinem Reiche, so auf seinem Letthofe lebte, um die Welt außer seiner Reichesgrenze sich nicht kümmerte, und dem innerhalb derselben nichts als Achtung und Gehorsam begegnete! Selbst die schwere Bäuerin kam in einige Beweglichkeit, sie schnaufte stärker, über ihre heitern friedlichen Züge zog es wie ein Schatten hin, ihre Sicherheit fing leise an zu zittern, ungewiß blickte sie nach ihrem Gatten, der, allein von Allen, ruhig und unbewegt dastand, nur noch größer und stärker, seine Stirn noch schroffer,als gewöhnlich, aussah. Blos in dem festen, fast strengen Blick, ganz aus der Tiefe des Auges hervor, schien eine Glut zu strömen, die ihm sonst nicht eigen war und die dichten grauen Braunen warfen einen schärfern Schatten.
Dem Landjäger selber ward in der Luft nicht ganz wohl,ob es ihm auch einen Augenblick
geleichtert, als er den Auftrag ausgerichtet hatte, zu dem er einen Anlauf gebraucht.Der
Letthofbauer aber sagte ruhig: „Beim Gemeindspräsi
„Was ich gesagt habe!“ entgegnete der Letthofbauer trocken, und ohne weitre Auseinandersetzungen machte sich der Bote nunmehr wieder auf den Rückweg.
Der Letthofbauer und der Gemeinderath von Kestenhofen,oder wenigstens die Tonangeber
desselben, standen schon lange nicht zum Besten mit einander. Er war zwar selber längre
Zeit auch im Gemeinderath gesessen, damals schon, als jetzige Gemeinderäthe kaum ihre
ersten Höslein angehabt. Da er immer gradaus war, kein Blatt vor den Mund nahm und auch
derb durchgriff, so hatte er Die, welche gerne im Trüben fischten und Nebenwege schleichen
wollten, von je gegen sich gehabt. Dieß hatte ihn nie sehr angefochten, es befestigte ihn
nur in seiner Art und Weise. Bewegtere Zeiten hatten nun aber neue Verhältnisse gebracht:
es war viel von Verfassung die Rede, neue Wahlen, andre Einrichtungen und Interessen
regten die Leute auf, es kam eine Unruhe in die Köpfe, die immer wuchs, auch die Ruhigern
ergriff und in Wirbel versetzte. In einer Woche wurde mehr von Gesetz, Verfassung,Freiheit
und Recht geschwatzt, als sonst in vielen Jahren und von Solchen vorzüglich, die vollauf
vor der eignen Thüre zu kehren gefunden hätten. Schlagwörter, seligmachende und
verdammende, surrten in der Luft wie Bremsen und Schnaken im August vor einem Gewitter.
Knirpse, die kaum allein die Nase zu schneuzen vermochten, schrieen sich heiser
Hiezu nun hatte der Letthofbauer erst schwer den Kopf geschüttelt, dann aber sich dagegen gestemmt mit seinen breiten Schultern und war nicht derjenige gewesen, welcher so leicht nachgab. Dadurch war ihm allerlei Verdruß erwachsen: seine Gegner im Gemeinderathe lebten frisch auf, wie die Schnecken in einem Regen, die schwüle Luft, das trübe Wasser, der Staub, der auf allen Wegen und vor Aller Augen wirbelte,war ja ihr Element, sie thaten sich zusammen, sangen:„Brüder im Leben und Sterben vereint!“ zogen Die mit sich,welche den Kopf verloren oder zagten und es lieber mit Denen hielten, die wüst thaten, weil von diesen am meisten zu fürchten war. Ein Höllengetöse erhob sich, das kräftigste Wort des Letthofbauern verhallte drin wie der Ruf des Bootsmannes in wilder Brandung. Drückte der unerschrockne Mann gleichwol noch etwas durch mit der Macht seines alten Ansehns, der Tüchtigkeit seiner Gesinnung, so sorgten die Kollegen wenigstens dafür, daß es, nicht viel schadete“. Das heißt, daß es schlecht ausgeführt wurde, überall Hindernisse,Uebelstände sich erhoben, und dann die Schuld des ungünsti
Mever-Merian, Mareili.
175
Die Gelegenheit gab sich plötzlich und von ganz unerwarteter Seite, denn wer ihm dazu
half war niemand anders als die Schnapserfamilie des Toni in Lümpischwyl. Der Toni selber
war zwar im Spital gestorben und verdorben,seine Frau aber kam eines schönen Morgens
heulend und klagend im elendesten Aufzuge nach Kestenhofen und stürmte spornstreichs dem
Gemeindepräsidenten in's Haus. Gar unsanft ließ dieser das Weib an, wollte das
Bettelmensch zur Thüre hinausjagen, hatte schon ein ganzes Donnerwetter voll Schelt- und
Drohwörtern auf der Zunge und wußte nur noch nicht, sollte er dem Bärli pfeifen oder nach
dem Dornstock greifen, der in der Ofenecke stand, als mit einmal das ganze Gewitter
abgestellt wurde, die Hagelwolken von seinem Gesichte sich verzogen und eine Art von Sonne
darin aufging,die aber freilich stark Wasser zog.Toni's Frau schimpfte nämlich über den
Letthofbauern nach Noten, erhob förmlich Klage gegen ihn und verlangte das Einschreiten
des Gemeindepräsidenten, der zugleich Waisenrichter war, gegen das himmelschreiende
Unrecht und die Unterdrückung des Bauern, welche derselbe an ihrer Tochter,dem Mareili,
sich zu Schulden kommen lasse. Sie schilderte 17*
Hätten diese Anklagen nicht den Letthofbauern betroffen,der Präsident würde die Bettelfrau mit Ruß und Salz heimgewiesen, sie ein freches Lügenmaul geheißen und ihr mit dem Triller gedroht haben. So aber war sein Ohr sehr empfänglich dafür: seine ganze Menschenfreundlichkeit erwachte, die Pflicht, Wittwen und Waisen gegen Unterdrückung zu schützen,trat ihm in den hellsten Farben vor die Seele und seine Gerechtigkeitsliebe war entschlossen, kein Ansehen und keine Person zu schonen; sogar der starke Schnapsduft, der von der Frau während ihres Scheltens und Klagens ausströmte, änderte dießmal seine Gesinnungen nicht. Er verlangte noch einige nähere Angaben, erkundigte sich nach Diesem und Jenem und entließ die Klägerin am Ende mit dem Versprechen, strenge Untersuchung zu führen und ihr zu ihrem Rechte zu verhelfen,wenn es sich wirklich, wie sie sage, verhalte. Dieß beschwor Toni's Frau hoch und heilig und sah im Geiste schon einen ganzen Haufen Fünfliver als rückständigen Lohn vor sich glitzern.
Der Präsident war freilich nicht so siegesgewiß, er kannte innerlich und wider Willen den Letthofbauer zu gut, als daß er alle die Anklagen für so erwiesen zum Voraus angesehen hätte. Aber etwas war ihm doch sicher: den stolzen Gegner vor seine Gerichtsbarkeit zu ziehen, ihm den Präsidenten zu fühlen zu geben und ihn auf eine Weise zu demüthigen, gegen welche alle Ueberlegenheit zu kurz kam und kein Widerstreben und kein Unwille etwas ausrichtete. Er konnte wenigstens hörige Portion Aerger schlucken zu lassen, während er, in seiner amtlichen Stellung sicher, dabei stehen und sich ruhig daran weiden durfte.
So war denn als erster Schritt die Vorladung durch den Landjäger an den Letthofbauern
abgegangen, aber freilich auch bald genug eine Antwort zurückgekommen, welche dem
Präsidenten nicht sonderlich schmeckte. Der Trotz des Stolzen gab ihm viel zu schaffen,
erst loderte er in seiner verletzten Würde heftig auf, im Zorne rückte er im Namen der
Verfassung, der Gesetze, seiner Amtsunverletzbarkeit mit einem ganzen Regimente Landjäger
auf den Letthof und nahm den Widerspenstigen mit Gewalt gefangen. Dann wieder mußte ihm
der Staat das ganze Bundeskontingent zur Verfügung stellen,es als Exekution auf den Hof zu
werfen, um dessen Besitzer während eines Vierteljahres zu Schanden zu fressen, bis er
mürbe ward. Er verhängte Strafen über Strafen, pfändete,daß kein Ziegel mehr auf dem Dache
blieb, kurz, der ganze Zornvorrath eines Präsidenten entleerte sich in höchster
Machtvollkommenheit. Indeß am Ende vom Liede wurden Vernunft und Ueberlegung doch Meister,
die Besinnung flüsterte
Nicht ohne Verwunderung sah der Letthofbauer das Kleeblatt gegen das Haus heranrücken, er blieb indeß ruhig am
Fenster sitzen. Sie öffneten die Gatter und der Rinki gab pflichtgemäß ein paar mal Laut,
die Fremden anzukündigen.Das mißverstand aber der Schreiber, der in den Landesbräuchen
noch nicht recht sattelfest war, meinte, der Hund wolle ihn beißen und schlug mit seinem
Stecken gegen ihn.Dieß nun verstand seinerseits wieder der Rinki nicht, nahm's für Ernst
und fuhr gegen die Beine des unfreundlichen Gastes,so daß der ein Mordgeschrei erhob. Erst
auf dieses erschien der Letthofbauer unter der Thüre, ein Pfiff, und der Rinki war wieder
zu seinem alten Gleichmuth zurückgekehrt, an der Feindschaft des Schreibers war ihm
persönlich weiter nichts gelegen. Als der Bauer und der Präsident einander
gegenuberstanden, gab's erst einige steife und verbindlich anzügliche Redensarten: es war
von unverhoffter Ehre, von persönlicher Rücksicht, von Aufschlüssen und Bedauern die
Rede.Der Gemeindevorsteher ging wie die Katze um den Brei,immer naher, aber doch nicht bis
zum Brei selber, von wegen der Hitze dieses. Denn der Letthofbauer, der inzwischen den
Besuch in die Stube treten und da Platz nehmen geheißen, war ziemlich wortkarg, nicht
grob, nicht höflich, und machte ein Gesicht, aus dem hell nichts zu lesen war, wie
forschend der Präsident auch von unten herauf darnach blickte;aus einem Steinbilde an
irgend einem Kirchthurme wäre eben so viel herauszufinden gewesen. Erst als nun auf
Mareili selbst die Rede kam, auf die Lage seiner Mutter, seine Dienste und Aufführung und
endlich auf seine Stellung zu den Meistersleuten, glitt etwas über die harten, kalten Züge
des Alten,das mit Wetterleuchten über einer Fluh viel Aehnlichkeit hatte.Er fragte: wer
die Herren geheißen habe, sich darum zu küm
Der Meister sagte einstweilen nichts hierauf, er ging nur einen Augenblick hinaus und die Andern sahen ihm verwundert nach: was das zu bedeuten habe? Noch weiter aber sperrten sie die Augen auf, als er nach einer Weile zurückkam und in der Hand einen Haufen Lumpen und Fetzen hielt,denen man erst nach langem Forschen zutrauen mußte, daß sie einmal menschliche Kleider gewesen seien: eine alte zerrissne Mannsjacke und ein farbloser durchlöcherter Unterrock mit natürlichen Fransen unten.Ja, er erinnere sich wol, knüpfte der Letthofbauer das abgebrochne Gespräch wieder an, der Staat hab' ihm ein Kind anvertraut, der Landjäger hab's gebracht und dieß da (er wies auf die Hudeln) sei sein Anzug gewesen.
Von den Dreien sah Einer verdutzter aus als der Andre,der Präsident indeß faßte sich
zuerst wieder. Er habe keine Competenz zu neuen Kleidern gehabt, sagte er, deß
Das war starker Tabak für einen Gemeindepräsidenten.Dieser antwortete indeß nur kurz auf die Prise, daß dieß nicht hieher gehöre: er wisse wol, was er als Präsident zu thun habe, es brauch's ihm niemand zu sagen.
So geh's ihm gerade auch! meinte der Letthofbauer.
Der Schreiber, welcher seinen Präsidenten in Verlegenheit sah, wollte ein gutes Werk thun und ihm helfen, nach dem praktischen Sprichwort: brätst du mir die Wurst, so lösch'ich dir den Durst. Er sprach darum etwas von der Pflicht des Bürgers, vom Vaterland, von der Gleichheit jedes Republikaners vor dem Gesetze, von Vorrechtlern und Aristokraten,abgeschafften Privilegien und wahrscheinlich kam auch am Ende, als Drucker, der Wilhelm Tell drauf oder sonst eine Kraftgestalt unsrer Vorfahren. Mit unsäglicher Geringschätzung aber wandte der alte Bauer sich einen Augenblick gegen den Schreiber hin und sagte kaltblütig: „Lern' Er zuerst unser Schweizerdeutsch, eh' Er mich lehren will, was hie zu Land Brauch und Recht ist!“
Der Schreiber war nämlich ein Landesfremder, der sich erst vor einigen Jahren in's
Gemeindebürgerrecht eingekauft:
Was der nun auf die Zurechtweisung des Bauern in den Bart brummte, darauf achtete niemand weiter, nicht einmal recht seine beiden Genossen; nur so viel war zu bemerken,daß die erste Hälfte davon nach schlechtem Schweizerdeutsch,die andre nach gutem Schwäbisch klang.
Trotz all diesen Anzüglichkeiten kam's indeß zuletzt denn doch so weit, daß der Letthofbauer, dessen Müthlein sich nun auch ein wenig abgekühlt, auf die Sache näher einging, über welche ihn zu befragen die Gemeinde- und Waisenbehörde am Ende das Recht hatte.
Wie Mareili auf den Letthof gekommen, darüber lag der Aufschluß deutlich genug vor Augen.
Was ein so heillos verwildertes Mädchen in seiner Unerfahrenheit, seinem bösen Willen und
mit all den Diebseigenschaften das erste Jahr seinen Meistersleuten für Vortheil bringt,
war ebenfalls bald zusammengerechnet. Zählt man hingegen dazu, was es ver
Als die Untersuchungsmänner merkten, daß nichts heraus die Dornen hineinjagen lassen,
dachten sie wenigstens einen geordneten Rückzug anzutreten und bereiteten diesen vor,
indem sie freundlich und zutraulich wurden, dergleichen thaten, daß
Der Meister aber meinte: Rath habe er bis jetzt keinen gehabt und er begehre ihn auch nicht für die Zukunft, er hab'immer gewußt, was zu machen und was zu bedenken sei, darauf sei er auch von selber gekommen!
Der Gemeindepräsident war froh, als er den Letthof in gehöriger Entfernung hinter sich
hatte und auch seine Begleiter mochten es nicht zürnen. Seinen zurückgetretenen Verdruß
aber bekam des Toni's Frau gehörig auszuessen, als die im großen Eifer nach Kestenhofen
rannte, Bericht zu holen und womöglich auch gleich einen rechten Haufen Geld. In der
Gemeinde fehlte es indeß nachher an allerlei Redensarten über den Letthofbauern nicht: die
Untersuchungsmannen ließen dieß und das fallen, verblümt oder deutlicher: des Alten
Mildthätigkeit sei doch gar kommoder Art, so könnten's Andre auch
XXII.Man kann oft mehr zum Fenster hinauswerfen als zur Thüre hereintragen.Wie unverdrossen von Morgen früh bis in die Nacht hinein Lisebeth und ihr Hansli zusammen arbeiteten, sich einschränkten, so viel es ging, und es zu erzwingen suchten, daß sie oben blieben und sich hielten mit ihrem Gütchen ohne Schulden, der Andres bröckelte ihnen mit seiner Tagedieberei und Lumperei ein Stück Boden nach dem andern unter den Füßen weg. Er selber verdiente so viel wie nichts, denn die Schneiderei hatte ihn schon geraume Zeit aufgegeben und zur Feldarbeit war er zu heruntergekommen, auch wenn er gewollt hätte, obwol er eben so ungern sich bückte als schwitzte, und die Bodenfeuchtigkeit durchaus nicht ertrug. So war er denn für die Arbeit und den Erwerb eine Null. Für das Ausgeben und Brauchen hingegen, nun, da war und blieb er auch eine Null, aber eine, die hinter einer andern Zahl stand, einem Eins, dem Einem und Allem, das immer und
überall voranging, und die Gestalt einer Brenzflasche hatte.Andres brauchte viel, nicht auf einmal, aber nach und nach,er ließ aufschreiben, nur ein oder ein paar Gläschen jedesmal und vom billigen. Da aber ein Jahr viele hundert Tage hat und jeder Tag wieder manche Stunde, eine Stunde aber lang und ein Schnapsglas im Grunde doch gar bald geleert ist, so DDD des Wirths schwarzer Tafel und was sich, wie böse Säfte, so nach und nach angesammelt und angesetzt, das brach wie ein gezeitigtes Geschwür gelegentlich auf und machte ein Loch, nicht in den Andres, an dem war nichts mehr zu verderben, aber in den mühsamen Erwerb und die knapp zusammengehaltne Haushaltung der Seinen, der Lisebeth und des Hansli, das diese dann weit, weit wieder zurückbrachte, wenn sie vielleicht sich schon darüber gefreut, ein paar Schritte vorwärts gekommen zu sein.
Wohlgemuth hatte Andres für seine Gantschuld beim Krämer den Pflanzplätz im Bödelein versetzt: Das habe keine Gefahr, tröstete er sich, den wolle er bald wieder eingelöst haben, ein gutes Jahr und Alles sei wie vorher; inzwischen mög' er's dem Krämer wol gönnen, dort oben Erdäpfel zu hacken und Zwiebeln zu setzen, es gehöre ihm auch Etwas für seine Gefälligkeit und das Warten! Zudem sei die Abzahlung in Terminen bedungen, es müßte kurios gehen, wenn sich das Geld da nicht auftreiben ließe!
Und die Schuld war auch richtig getilgt worden, nur nicht wie der Andres gemeint, sondern
indem der Pflanzplätz an den Krämer eigenthümlich überging, nachdem das erwartete gute
Jahr sich nicht hatte einstellen wollen. Der Schneider
Andres sah, daß im Augenblicke nichts zu machen war,D in die Bezahlung sich verrannte; er versprach darum auch das Geld zu schaffen.
In vierzehn Tagen spätestens! klemmte ihm sein Peiniger noch ab und in der Hoffnung, bis dort werde sich der Unwille schon legen, während vierzehn Tagen sei viel möglich! verließ Andres das Rößlein, zufrieden, wenigstens für jetzt wieder Luft gekriegt zu haben. Glücklich vergaß er auch seinerseits das Versprechen und ließ sich keine grauen Haare wachsen,das gegebne Wort zu halten: über dergleichen Aengstlichkeiten war er hinaus. Indeß so viel Vorsicht oder Rücksicht hatte er doch, daß er in dieser Zeit das Rößlein mied, dem Wirthe drin ebenfalls Zeit zu lassen, daß dessen Wunde etwas vernarbe. Aber das half nicht viel, dießmal war's Ernst, denn zwei Tage, nachdem die vierzehn Tage abgelaufen waren,klopfte dem Andres, da er eben aus dem Hause ging, Jemand auf die Schulter und wie er sich umdrehte war's niemand Anders als der Weibel: ,Zu dir, Andres, hab' ich grade wollen, inzwischen ich kann dir's hier sagen: der Rößleinwirth läßt dich mahnen, du sollst ihn bezahlen, zum ersten Mal!“
Der Schneider erschrak nicht wenig: es werde doch nicht Ernst sein? fragte er.
„Noch nicht, ich biete dir noch zweimal, dann erst wird dir gegantet!“ tröstete der Schuldenbote und ging wieder weiter, andern Geschäften nach, deren es in Kestenhofen nicht wenige für ihn gab.
Andres war äußerst betroffen und fühlte sich arg in der Klemme, denn er wußte nicht, wo einen Batzen hernehmen und die Schuld war keine kleine; überdieß stand er noch mit zwei Zinsen im Rückstande: das komme jetzt Alles zusammen ihm über den Hals! klagte er, obgleich es niemand zusammenkommen lassen, als er selber. Sein erster Gedanke war, beim
Krämer einen Schnaps auf den Schrecken zu nehmen, dann komme ihm mit dem Muthe vielleicht auch ein guter Rath.Zum Glück oder Unglück gewahrte er aber die Lisebeth am Fenster, die nach ihm blickte. Er war noch nüchtern und da fürchtete er sich vor der Frau, denn der Schnaps war allein der Riegel, welcher ihm noch das Herz festhielt, daß es nicht in die Hosen fiel. Jetzt hatte er den Muth nicht, zum Krämer zu gehen, er schlich sich kleinlaut und mit langem Gesichte um das Haus herum nach dem Schopfe und nistete etwas in dem Bohnenreisig, das dort in der Ecke stand. Abends fiel seine Niedergeschlagenheit der Lisebeth auf, auch hatte sie den Waibel mit ihm sprechen sehen, und daß eins mit dem andern zusammenhing, flüsterte ihr der Argwohn schon ein. Sie nahm daher den Ehemann, ehe sie zu Bette gingen, noch vor und drang in ihn, ihr zu bekennen, was es gegeben? Dieser wollte erst Ausflüchte machen, aber sein Armsündergesicht und die Muthlosigkeit, mit der er log, bestärkten Lisebeth nur noch mehr, sie setzte um so schärfer an und der Schneider hätte das Herz nicht so bis zum Ueberlaufen voll, und doch noch eine Spur von Courage, haben müssen, um länger zu widerstehen und nicht Alles, wie ein überwiesener Schulbube,dessen Trotz überwunden ist, vom Stumpf zum Stiel zu bekennen.Lisebeth war wol aufgebracht und erschrocken über diese neue Bedrängniß, welche durch ihres Mannes Lüderlichkeit ihnen bereitet wurde; aber neben der Gewohnheit und dem schlechten Zutrauen, welche sie überhaupt in Dergleichen hatte,nahm auch des Andres Hülflosigkeit, die Kläglichkeit, womit er sich an Lisebeth klammerte in seinem Nichts, wie ein Kind
Meyer-Merian, Mareili.
Lisebeth fiel endlich auf den Gedanken, sich an den Letthofbauern in ihrer Noth zu wenden
und Andres, der sich an einem Strohhalme gehalten hätte, war mit einverstanden. Es kam
zwar die arme Frau sauer an; das Hilfesuchen an sich schon, noch mehr aber bei dem Bauer,
dessen Gesinnung sie wohl kannte und vor welchem sie ohnehin von jeher einen scheuen
Respekt hatte. Nur daß der Andres alles mögliche Gute versprach und dem Wirthshauslaufen
heilig absagte,Krämer und Wirth mit keinem Auge mehr anzufsehen gelobte,konnte sie zu dem
Schritte vermögen. Sie setzte ihre Hoffnung dabei auf die Letthofbäuerin, die es so gut
mit ihr meinte, die sie schon einmal aufgerichtet in ihrem Elende, die freundlich und
hilfreich noch jetzt hie und da sie befuchte und auch jedesmal die Schneidersfrau nach dem
Letthofe zum Besuche eingeladen hatte. Diese gedachte sie zunächst in's Vertrauen zu
ziehen und sie zur Vermittlerin ihres Anliegens bei dem Pathen zu machen: Frau Ann wisse
am besten den Alten zu nehmen!Mit einem Kratten voll Setz Erdäpfeln, nach welchen Frau Ann
einmal den Wunsch ausgesprochen, weil sie von einer Sorte waren, die sich gar gut bis in
den Sommer hinein hielt, machte sich Lisebeth eines Nachmittags nach dem Letthofe auf. Sie
mußte unterwegs ein paar mal abstellen und ausruhen, besonders als sie in der Nähe des
Hofes anlangte,denn der Korb hing ihr schwer am Arm und das Herz war ihr noch schwerer, so
daß sie mehr als einmal drauf und dran war wieder umzukehren. Wer weiß auch, was sie in
ihrer Zag
„Ei was für ein Wunder bringt dich endlich einmal herüber, denn ich sehe, daß kein Zug Rosse vorgespannt ist, sondern du alleine kommst!“ scherzte die Bäuerin freundlich und bot Lisebeth die Hand. Es sei nicht so gefährlich, meinte Lisebeth, etwas verlegen, man könne nicht immer machen wie man gern wolle; indeß sei's noch die Frage, ob man stets recht komme. Davon wollte die Bäuerin nichts hören und da sie in den Hof gelangt waren, nöthigte sie ihren Gast in die Stube und hieß sie absitzen bis der Kaffee gemacht sei, wozu Mareili in der Küche sogleich den Befehl erhielt. Lisebeth wehrte zwar: deßwegen sei sie nicht gekommen, sie habe erst gegessen, man solle ihretwegen keine Mühe haben, sie sei nicht so unverschämt!
„Warum nicht gar!“ lachte die Bäuerin, „du wirst keinen Kaffee wollen; weißt nicht, daß wenn ein Weibervolk dem andern Kaffee aufstellt, es eben so gut auch für sich sorgt? für mich allein dürft' ich vielleicht keinen machen, kommt aber ein Gast, so versteht sich's von selber, darum mußt du mir jetzt helfen!“
Inzwischen stellte Lisebeth ihren Kratten mit den Kartoffeln auf den Tisch: die Bäuerin solle die einmal probiren,es seien von den späten weißen, wenn sie ihr gefielen, so könne sie ein ander Mal mehr davon haben!
Frau Ann war sehr überrascht: sie dürfe sie fast nicht annehmen, in Zukunft wolle sie aber jedenfalls Acht geben,was sie sage, sie sehe, es sei nöthig, es werde einem nichts vergessen. Uebrigens danke sie vielmal und sie wünschte nur zu wissen, womit sie einen Gegendienst leisten und ihre Erkenntlichkeit an den Tag legen könnte.
Lisebeth sagte zwar, es sei nicht der Mühe werth davon zu reden, daneben aber entfuhr
ihrem tiefsten Herzen ein gar schwerer und langer Seufzer, so daß ihre Freundin stutzte
und sie forschend ansah. Sie sagte indeß nichts, sondern wartete,bis der Kaffee auf dem
Tische stand. Als die beiden Frauen in traulicher Einsamkeit an dem Tische saßen, vor
jeder eine blaugeblümte Tasse, groß und mit bequemen Ohren, wie sich's für ein gründliches
und rechtschaffnes Kaffeetrinken gehört, als die messingne dreibeinige Kanne aus ihrem
engen Halse Wohlgeruch um Wohlgeruch verdampfte, der vaterländische Milchhafen, als treuer
Lebensgefährte, ihr zur Seite stand, seine milde nahrhafte Gabe mit weißem Schaum bedeckt,
da war auch der rechte Augenblick, das befangenste und verschlossenste Herze zu oöffnen.
Das Verharzteste, was gleichsam mit hundert Häkchen sich inwendig an allen Seiten
festhält, es wird von der heißen Fluth losgeweicht, kommt in Fluß; in die verborgensten,
dumpfigsten Winkel hinein dringt belebender Balsamduft; was vor Zaghaftigkeit schlotterte,
das schwillt allgemach in der erquicklichen Wärme behaglich an,wird mit Kraft durchtränkt;
die Last, welche bleiern auf das Herz gedrückt, hebt sich, schwimmt auf dem köstlichen
Naß,kommt immer höher mit jeder Tasse, je mehr innen die Flüssigkeit steigt, bis sie den
Mund erreicht, nach der Zungenspitze
„Gerne wollte ich dir den Gefallen thun, aber schau, es würde dir nicht viel helfen, eher schaden!“ sprach die Bäuerin. „Die Männer sind alle wunderlich und mein Alter,so ein Braver er sonst ist, der ist's nicht weniger. Ich kenn'ihn: wollt' ich ihn fragen in deinem Namen, so würd' er's
übelnehmen. Er weiß, daß er manchmal ein wenig schroff ist,wie gut er's meint, und er will's nicht sein; darum argwöhnt er gleich, die Leute hielten ihn doch dafür, wenn sie nicht selber mit ihren Anliegen sich an ihn wenden, sondern durch mich es thun. Wer Etwas von ihm wolle, der soll's selber sagen, er wiss es am besten, es brauche keines Fürsprechers, er habe noch Niemandem den Kopf genommen! pflegt er zu sagen und wird dann erst recht ungehalten. Rede du darum selbst mit ihm, ich will nachher schon thun was möglich ist,es geht dann eher an.“
Mit diesen Worten, und allerlei Trost und Ermuthigung,suchte die wackre Frau Lisebeths Scheu zu überwinden und diese sah aus den Gründen nur zu wohl, daß es blos Wohlgemeintheit sei und keineswegs Mangel an Dienstwilligkeit oder Unlust, etwas Unangenehmes zu besorgen, was die Ablehnung verursachte. Sie hatte sich noch nicht recht von dem Eindrucke erholt, hatte den Entschluß, ob sie's wagen wolle,noch nicht gefaßt, sondern kämpfte noch immer mit wenn und aber, mit für und wider, als der Letthofbauer selber leibhaftig in die Stube trat und die Lisebeth grüßte. Wie wenn man diese plötzlich auf unrechten Gedanken ertappt hätte, blickte sie vor sich in ihre Tasse hinein, während Frau Ann forschend nach dem Gesichte ihres Alten schaute, was dort wol für Wetter sei, gutes oder veränderliches? Es mußte nicht so übel aussehen, wenigstens rief sie heiter: „Gut, Vater, daß du endlich kommst, denn der seltne Besuch da gilt eigentlich dir und nicht mir, ich hab' nur so als Lückenbüßer hergehalten,bis du kamst: dein Pathenkind hat eine Herzensangelegenheit,die es nur dir anvertrauen will.“
Nun hatte Lisebeth keine Wahl mehr, doch merkte sie zugleich auch, daß der Bauer in gute Stimmung versetzt war durch das Zutrauen, welches die kluge Frau, mehr selbstoerläugnend als ehrlich, von sich auf ihn hingerichtet. Nachdem sie die Bedrängniß mitgetheilt, worein sie die Forderung des Wirths setzte und endlich auch ausgepackt, wie sie da ihr Vertrauen auf den Pathen gestellt, der ihnen vielleicht helfen könute, wenn er die Bitte nicht übelnehmen wollte, kam sie auch auf die Reue und die heiligen Versprechungen des Andres zu reden, wobei sie ausführlich verweilte, als wisse sie gar wohl, welches die schwache Seite ihres Anliegens sei und müsse daher gehörig vorbauen.
Der Letthofbauer unterbrach sie nicht und als ihr scheuer Blick seine Miene sich nicht
trüben sah, gab ihr dieß noch mehr Muth, Alles bis auf den Grund auszuleeren. Die Bäuerin
kannte freilich ihren Alten besser und seine Ruhe und Freundlichkeit vermehrte ihre
Hoffnung, dem Schweigen gegenüber, keineswegs. Als Lisebeth endlich schwieg, hob er denn
auch an:„Es freut mich, Frauelein, daß du dich einmal offen an mich wendest, was du noch
nicht manchmal gethan hast, und ich will dir grade so Bescheid geben, wie du mich
gefragt,nimm's dann übel oder nicht. Schau, dir und deinem Buben will ich gerne helfen,
denn, wie ich gehört, seid ihr fleißig und haltet Alles wohl zu Rathe, so sauer es euch
manchmal fallen mag. Aber ihr mögt nicht recht vorwärts kommen, der Andres ist euer
Radschuh, ein Trinker hat keinen Segen und wo Andrer Segen sich ansetzen will, da hindert
er's noch.Du weißt es wol, hast es oft erfahren und erfährst es viel
1 leicht noch manchmal. Deinem Manne vertrau' ich keinen Kreuzer an und hätt' ich Geld wie Heu, ich würf' es lieber auf den Mist, als daß ich's ihm gäbe zu neuen Wirthshausschulden. Was er dir vorgesagt von seiner Reue und Besserung, daran glaub' ich nicht, er ist zu tief drin und hat schon die Kraft nicht mehr, wenn er auch wollte einen Augenblick, wieder umzukehren. Ihm ist nicht zu helfen und euch nur, wenn ihr euch vor ihm schützt, daß er euern sauern Schweiß nicht mehr in Brenz umsetzt. Kurz, ihr müßt dem Andres einen Beistand geben lassen, es wird nicht schwer halten; dann könnt ihr zu was kommen, denn auch ich will euch helfen so gut ich's vermag. Ueberleg's!“ schloß der Letthofbauer, nicht ohne einige Weichheit in seiner Stimme, , überleg's, gib mir jetzt keine Antwort, es wird dir wehe thun, ich glaub' es, aber es ist kein andrer Weg sonst offen.Du kannst mir in ein paar Tagen Bericht machen, aber bedenke, daß du dich und deinen Buben zu Grunde richten und dem Andres mit dem besten Willen doch einen schlechten Dienst leisten könntest!“
Des Alten Gesicht und Haltung hatte fast etwas Feierliches, ja Prophetisches angenommen,
er wandte sich darauf ruhig um und schritt aus der Thüre. Lisebeth blieb noch DDD00
Letthofbauern auf sie geübt, stille; sie war traurig, denn ihre Hoffnung war
niedergeschlagen, doch konnte sie nicht zürnen, das Gewicht der Wahrheit hielt ihren
Unwillen zurück.Auch die Letthofbäuerin war stille; beide Weiber fühlten, daß nun nichts
zu sagen sei, wenigstens in diesem Augenblicke nichts: aufrichtiges Wohlwollen und
herzliche Theilnahme
Daheim in ihren Wohnungen waren beide Frauen gleich angelegentlich mit Dem beschäftigt, was der Letthofbauer,gleichsam wie ein zweischneidiges Messer, vor sie hingelegt hatte. Vergeblich suchte die Bäuerin mit allen bewährten Mitteln ihn anders, willfähriger zu stimmen und das Gesuch zu unterstützen. Der Alte war dießmal ruhig und selbst mild,um so weniger war er von seinem Entschlusse abzubringen,gab es doch Punkte, an denen er unerschütterlich festhielt, von welchen er rundweg behauptete, wenn die Bäuerin mit kluger,sachter Hand sich ihnen nähern wollte: Weiber verständen nichts davon, auch seine Alte nicht! Ein solcher Punkt war das Geldleihen an einen Schnapsbruder, und vier Rosse hätten ihn nicht davon abgebracht.
Lisebeth aber konnte sich immer weniger entschließen, die Hilfe, wie sie angeboten war,
zu ergreifen, je völliger der erste Eindruck, den der Letthofbauer auf sie geübt, daheim
wieder
33 nachließ. Hätte sie ganz genau bei ihrem Herzen nachgefragt,sie würde vielleicht noch jetzt den Vorschlag haben billigen müssen, aber sie hielt sich nur an den allgemeinen Eindruck,den eine Bevogtung ihres Mannes, und auf ihren Antrieb dazu, der Welt gegenüber machen mußte. Daß alle Welt den Andres als einen Tagedieb und Branntweinzapfen kannte,daß ihm, außer Wirth und Krämer, Niemand Etwas anvertraut hätte, er in der rechtlichen Leute Meinung eigentlich schon mundtodt war, das däuchte die gute Lisebeth nichts gegen die Schande, wenn dieß auch das Gericht in aller Form ausspräche, und mit seiner Macht den daraus hervorgehenden Schaden verhütete. So fürchten sich noch Viele den Namen einer Sache zu hören, die thatsächlich schon lange Fuß gefaßt hat und sich breit genug macht: es ist dieß die Scheu, den Teufel zu nennen, wenn man auch hundertmal weiß, daß er anwesend ist.Es sei eine Schande für das ganze Haus, meinte Lisebeth, und beflecke ihren guten Namen; der Hansli würde es noch zu büßen haben, lange nachher, wenn Vater und Mutter schon unterm Boden lägen! Sie sah ihren Sohn gerettet, das war ihr die Hauptsache, nichts sonst vermochte sie zu einem so gewaltsamen Schritte zu bewegen, ihr eignes Kreuz am wenigsten. Sie hätte sich auch nimmer entschließen können, an eine Behörde oder den Präsidenten sich zu wenden;jene Zeit, wo sie es einmal gethan, scheuchte sie wie ein Gepenst vor jedem ähnlichen Vorgehen zurück, denn je s chüchterner und verschlossner sie in gewöhnlichen Tagen war, um so ungeheuerlicher mußten ihr hintendrein jene Ereignisse und Folgen vorkommen.
So kam denn kein Bericht auf den Letthof, Andres erfuhr von seiner ohnehin wortkargen Frau nur im Allgemeinen, der Pathe wolle nichts von Geldleihen wissen.
XXIII.Dem Andres kommt des Krämers Haus wie eine Mausfalle vor und er lüßt sich auch
richtig drin fangen.Während Lisebeth sich, mehr ergeben als zuversichtlich,tröstete: es
werde so sein müssen, sie wolle in Gottesnamen geduldig weiter aushalten, es sei bis dahin
gegangen, Gott werde auch weiter helfen, nur der gute Hansli könne sie dauern! war es
Andres ziemlich jämmerlich zu Muthe, da ihm theils der innre Halt und das gute Gewissen
seiner Frau fehlten, theils auch die möglichen Folgen seiner Geldnoth deutlicher vor Augen
traten. Hilflos, unruhig, mit der ganzen Verlegenheit in seinem welken Gesichte, trippelte
er umher,ärgerte sich über den Gleichmuth seiner Frau, die, wie immer,der Arbeit und den
Hausgeschäften nachging. Er wußte keinen Rath und sein Rest von Gewissen ließ ihm, neben
der Furcht vor Lisebeths scharfem Auge, eben so wenig zu, an der gewohnten Quelle sich
Trost oder vielmehr Betäubung zu schöpfen. Die Frau hatte ihm die Hölle heiß gemacht, er
hatte ihr zugeben müssen, Krämer und Wirth seien Spitzbuben an ihm gewesen, er erinnerte
sich an seine Ver
Dieß mußte auch dem Krämer Stoll so vorkommen, als der einmal mit der Cigarre im Munde unter seiner Hausthüre stand und der Schneider, wie das leibhafte böse Gewissen,auf der andern Seite den Häusern nachschlich!
„He, Meister!“ rief er diesem zu, , bist du's oder ist's dein Geist?“
Andres that als höre er's nicht, der Krämer aber setzte nicht so bald ab; mit einer Stimme, die einen Scheintodten erweckt hätte, rief er ihn nochmals beim Namen und als der Schneider nun ehrenhalber den Kopf mürrisch gegen ihn wandte, fragte er: „Machst Kalender? du siehst ja aus wie der Schatten an der Wand; komm' einmal her! ich dachte mir's doch, du müssest krank sein, daß man dich so lange nicht mehr sah!“
Andres brummte Etwas vor sich hin mit bitterbösem Gesichte: er habe jetzt nicht Zeit! oder: es habe sich Niemand um ihn zu kümmern! war nicht so genau zu unterscheiden.
Damit kam er aber nicht los, der Krämer stellte ihn förmlich. Auch als der Meister noch
polteriger ward, anfing auszupacken, aufbegehrte, er lasse sich mit guten Worten nicht
mehr fangen, er sei lange genug der Narr gewesen, man könne jetzt einen andern suchen
seinethalben, der sich die Haut
über die Ohren ziehen lasse, er sei im Unglück genug! auch da verlor der Krämer seinen Gleichmuth nicht, er schien es nicht einmal zu hören, lachte nur: „Sag', was Teufels hast du gefressen? was fehlt dir?“
„Geld fehlt!“ schnauzte Andres fast überlaut ihn an.
Da mußte der Krämer lachen, daß ihm der Bauch wackelte,trotz allem Aerger des aufgebrachten Schneiders: „Nun, ich habe wirklich geglaubt, du habest aus Versehen einen Schoppen Bitriolöl getrunken, statt eines Schnapses!“ scherzte er, „aber Geld? das wird doch wol aufzutreiben sein;vielleicht könnte ich dir welches verschaffen, wenn du mich nicht fressen willst. Komm herein, daß wir vernünftig darüber mit einander reden, auf die Gasse hinaus kann ich dir's doch nicht bringen!“ Meister Stoll ging voran in die Stube, Andres war in großer Verlegenheit, er wußte nicht was machen, des Krämers Haus kam ihm den Augenblick wie eine große Mausfalle vor, aber anderseits war ihm die Katze auf den Fersen,lief ihm sogar schon den Buckel hinauf. Instinktmäßig zog er die entferntere Gefahr der nähern vor, da er sonst kein Loch wußte zu entfliehen und schlüpfte, nachdem er noch hastig die Gasse hinauf und hinunter geblickt, in den Kramladen über die altbekannten Thürstufen hinein.
Drinnen gab's denn eine lange und breite Erplikation.Andres erzählte seine Noth, wie's ihm der Rößleinwirth gemacht und was der Letthofbauer für Einer gegen ihn gewesen,trotzdem er doch der Pathe der Lisebeth sei!
„Es geschieht dir Recht!“ sagte hierauf der Krämer,„warum hast du dich nicht gleich an
mich gewendet, sondern lieber an einen hochmüthigen und geizigen Bauern? du weißt
3*
Andres hatte nicht an's Einsetzen gedacht, er begann von Neuem mißtrauisch zu werden, aber bei näherer Erwägung fand er's doch begreiflich; der Krämer versicherte ihm ja auch,er verlange nur der Form wegen diese Sicherheit, zudem sei jeder Mensch übernächtig! Was anders auch als einzuwilligen blieb übrig? Der Krämer versprach die Schrift baldmglichst in Ordnung zu bringen, übermorgen schon könne Andres sie unterzeichnen und dann zugleich auch den Beutel mit dem Gelde mitnehmen, er woll' ihm denselben derweilen im Ladenstübchen aufheben!
So war denn die Sache glücklich abgemacht und Andres trug wirklich zwei Tage nachher das Geld nach Hause, nachdem er noch die Fertigungsgebühr für die Verschreibung entrichtet.Vorher aber, nachdem sie Handels einig geworden, nahm er einen Schoppen Kartoffelschnaps: er habe denselben wohl verdient, meinte er, und auch dem Krämer, der ihm aus der Noth geholfen, sei er die Rücksicht schuldig. Nach so langer Entbehrung schmeckte ihm die Herzstärkung nun doppelt gut und versöhnt und in tiefem Frieden schied er erst ziemlich spät von seinem Freunde und Wohlthäter, der ihn schließlich einlud,sich bald wieder sehen zu lassen.
Auch daheim schwoll dem Andres wieder der alte Kamm,hatte er doch Luft gekriegt ohne die Lisebeth und ohne ihren Letthofbauern: es sei gut, ließ er fallen, daß es noch andre Leute gäbe, die es wohl mit einem meinten; in der Noth merke man am besten den Unterschied zwischen einem Freunde und einem filzigen Bauernaristokraten! Aus Erkenntlichkeit wiederholten sich rasch die frühern Besuche bei dem Retter aus der Noth und es sah fast aus, als wolle Andres dem
Krämer für die frühre schlechte Meinung und daß er ihn eine Weile hintangesetzt, jetzt nachträglich Ehrenerklärung und Schadenersatz geben, so häufig ging er zu ihm hin. Meister Stoll seinerseits sorgte getreulich dafür, daß die versetzte Wässermatte nicht sobald wieder eingelöst wurde, wie Andres bei der Verpfändung sich vorgenommen, als er sich an der Verschreibung gestoßen. Es verging auch kaum mehr als ein Jahr, so gab es ihretwegen ein neues Verkommniß. So,wie der Schneider die Matte jetzt besaß, trug sie ihm nichts ein, höchstens machte sie ihm noch Unkosten, denn der Krämer benützte sie, er graste, heuete und embdete über Hals und Kopf darauf, an Zinses Statt für sein Darleihen. Am Ende fehlte es hier und dort an den Schutzbrettern, den Wassergräben, die Andres so wenig für den Krämer herstellen wollte,als dieser für den Andres. So ward denn nach einigem Hinund Herreden ein billiges Abfinden getroffen:
Andres vertauschte die, seinem Freunde, dem Krämer, so bequem gelegne, Wässermatte an ein Stück Land desselben,das vom Dorfe etwas nebenaus und dem Berge zu lag. Die beiden Grundstücke waren ungefähr gleich groß, nur war von dem ertauschten schwer zu sagen, sollte es eine ausgebeutete und verebnete Kiesgrube vorstellen, oder einen aufgegebnen Bauplatz, eine verbrannte Aegerte, ausgenutzte magre Allmend,oder sonst Etwas? Fruchtbarkeit konnte man ihm zwar nicht absprechen, denn Disteln und Gedörne und Wolfsmilch wuchsen nirgend so schön wie auf ihm und, der Wahrheit zur Steuer,auch Augentrost kam drauf vor. Freilich, hätte Andres noch was gedeihen sollen, so würde man vorher erst drei Jahre hintereinander den Mist von zwei Dorfschaften wenigstens
MeverMerian. Mareili. R
15
Der Platz hieß auch nur das, Distelwaidlein“, indeß durchaus nicht des einheimischen Unkrautes wegen, sondern, wie der Krämer ausdrücklich behauptete, weil es nirgend sonst so viele Distelfinken gebe und diese immer gar wundersam pfiffen,den Gimpeln vermuthlich!
Dieß neue Land war überdieß nur etwa fünf Minuten weiter von des Andres Heimwesen entfernt, als die frühre Wässermatte, zudem am Wege in's Gehölze gelegen, wohin man des Reisiglesens und Laubrechens halber ohnehin ja öfters ging. So wurde denn durch diesen Austausch Andres seiner schwebenden Schuld frei und ledig, indeß auch seiner schönen Matte, des besten Stückes Land, das er besessen. Lisebeth,als sie davon hörte, machte freilich ein gewaltig saures Gesicht dazu, aber das hatte nicht so viel mehr auf sich: fie wußte ja doch keinen bessern Rath noch Hilfe; was hatte sie sich denn drein zu mischen! Die arme Frau mußte unwillkürlich an die Prophezeihung des Letthofbauern denken. Darum auch sagte sie nicht einmal so viel dagegen, war „vernünftiger“, wie Andres meinte, als er erwartet hatte. Sie trug den neuen Schlag als ein willig übernommenes Kreuz in Geduld und Ergebung und ließ ihren Mann die eingetauschte Aegerte so himmelblau und so rosenfarben ausmalen, in deren ganzen Länge und Breite, als ihm beliebte. Dieß that indeß der Andres nur der Lisebeth, und im Anfange sich selber,gegenüber. Denn, wie's ohnehin in der Welt geht, später und bei ruhigem Blute wollte ihm selbst dann und wann oorkommen, die Wässermatte habe doch auch ihre entschiednen
Vorzüge gehabt. Er gestand sich sogar: diese hätten noch die Tugenden des Distelwaidleins weit überstiegen, und in schwachen Momenten: es wäre vielleicht besser gewesen, er hätte nicht getauscht, denn, beim Lichte betrachtet, habe er eine Dummheit begangen und sei übertölpelt worden! In den fatalen Augenblicken, darin ihm Dergleichen aufstieß und ihn ärgerlich machte, daß er den Handel unterschrieben, nahm er als Wurmmittel einen gehörigen Schnaps, der half es wieder verwinden. Und so ein Schnaps zeigte sich auch probat gegen alles zu weitläufige Grübeln, wenn ihm der Krämer gelegentlich verdächtig vorkommen wollte mit seiner Freundschaft und Wohlmeinenheit. Auf einen leichten Dusel setzte sich dann zgewöhnlich die Galle wieder und es blieb beim Alten, am wenigsten kam es zu einem Bruche, dazu war die Gewohnheit schon viel zu stark geworden und die noch vorräthige Willenskraft zu unzureichend.
Es folgte überhaupt kein neuer Anlauf mehr, dem Netze DO sein Pulver verschossen zu
haben, er legte sich auf ein ewiges Capituliren, wobei er jedesmal ein paar Fuß breit
verlor, V dem er stand. Lisebeth mochte da lange ihm zureden und Himmel und Hölle
vorstellen, oder drohend in den Weg treten:der Brenz war stärker als sie, und die Zungen
der Saufbrüder überzeugender als die ihre. Und gerade wenn Andres das schlechteste
Gewissen hatte, wenn er sich hätte schämen sollen wie ein Pudel: im Rausche und nach dem
Rausche, dann begehrte er am ärgsten auf und hatte am meisten Muth, das abzudrücken, womit
ihn die guten Freunde hinterm Brenz19*
*57 74 so hatte dieß um so nachdrücklicher die öffentliche Meinung gethan. Wer hätte dieser gegenüber mit einem Pfändungsbegehren wegen Trinkschulden auftreten und der Lisebeth und dem Hansli, die sich halb todt arbeiteten, offen den Schweiß ihres Fleißes wegnehmen wollen? Andres war moralisch todt, Frau und Sohn waren die Erben des kleinen Heimwesens, das nur durch ihre Anstrengungen erhalten wurde; wer durfte wagen, die Hand an ihr Erbe zu legen?
Ob darum Andres zu Hause war oder im Lande herumlief, es war ziemlich gleich, es ging in Feld und Haus Alles im Gleichen fort, höchstens war mehr Friede, Ruhe und So kümmerte sich denn Niemand um den armen Tropf, der das fünfte Rad am Wagen und bei Lebzeiten schon so gut wie gestorben war. Als es gegen den Winter ging, fing er an zu kränkeln und zusehends abzunehmen; ganze Tage lang konnte er hinter dem warmen Ofen sitzen und sich nicht rühren,bis ihn dann der Durst wieder übernahm und die Sehnsucht nach dem unentbehrlichen Brenze ihn die gewohnten Wege trieb.
Es war ein struber Decemberabend, schwarze zerrissne Schneewolken hingen tief in die
Tannen hinein, welche auf der Höhe von Lümpischwyl standen, und im verschneiten Felde
hätte der Botenheiri den Weg schwerlich gefunden, da kein Stern schien und der Mond im
dicken Wolkenmantel bis über die Augen eingewickelt war, wenn er nicht seinen Spitz bei
sich gehabt hätte, der vor dem alten Schimmel her im Schnee nach der Fährte schnoberte.
Langsam ging das Fuhrwerk vorwärts; in seinen Säcken und Packeten und Ballen hatte sich
der Bote, so gut möglich, gegen den scharfen Wind und
Nachher sagten Einige, der Andres sei erfroren, Andre,der Schlag habe ihn getroffen. Man hatte ihn zuletzt in Lümpischwyl im Wirthshaus gesehen Dort habe er über Unwohlsein geklagt, Frieren und Kopfweh, und vor dem Aufbruche, am späten Nachmittage, noch einen Schnaps auf die Reise genommen. In der Dunkelheit mußte er auf dem verschneiten Wege nicht mehr fortgekonnt haben vor Ermüdung oder Schwäche, hatte wol ausruhen wollen und war eingeschlafen, um nicht mehr zu erwachen.
Lisebeth und Hansli erschraken wol, als man ihnen den Todten bei Nacht und Nebel in's Haus brachte, und wie er nun so dalag vor ihnen, starr und kalt, da sahen sie nur den Gatten und Vater in ihm und weinten aufrichtigen Herzens.Indeß, nach dem ersten Schrecken und Schmerze, ward es ihnen doch unwillkürlich leichter, als hätte man ihnen eine Last weggenommen, sie mochten wollen oder nicht, ja sogar gegen dieß Gefühl kämpfen: die Wahrheit ist am Ende doch die stärkere. Sie mußten sich gestehen, auch wenn sie im Andenken an den Verstorbnen nur nach dessen guten Seiten und Zeiten suchten: es sei ihm und ihnen gut gegangen, und Beiden vielleicht Vieles erspart worden. Wie andre Leute urtheilten, ist leicht zu errathen, so und so; beklagt hat ihn Niemand, gemangelt keine Seele, und die ärgsten Schnapsbrüder meinten, zu ihrer Entschuldigung und zu ihrem Troste:man könne halt doch auch Alles übertreiben in der Welt! und doch hatte Andres ja nur mit dem Wenig angefangen,das wenig schaden sollte.
XXIV.Der Letthof taucht wieder auf. Die Bäuerin erkrankt;wer inzwischen die Günse gerupft
und Wäsche gehalten.Fünf oder sechs Jahre waren seit des Andres Tod im Schnee auf der
Lümpischwyler Höhe vergangen; Lisebeth und
Arbeit in frischer Luft ein rüstiger und kräftiger Bursche,denn wenn er auch ein sanftes, stilles Wesen behielt, so waren seine Glieder gestählt und sein Geist vom nachdenklichen Sinnen ab-, und durch die Noth der Wirklichkeit, die ihn umgab, zugewendet worden. Er wußte, wo anfassen und faßte dann tüchtig an, that nichts halb, war vielmehr in Allem gar gründlich und gewissenhaft. Lisebeth hingegen,und sie war die ängstlichere, merkte, daß sie allmälig älter wurde. Sie ließ freilich in der Arbeit nicht nach, allein dieselbe kostete sie größre Anstrengung als früher, ging ihr nicht mehr so geschliffen und ohne Unterbrechung aus der Hand.Sie mußte einmal mehr innehalten, ausruhen, wol gar ein andermal absitzen, was sie in ihren jüngern Jahren nicht nöthig gehabt. Es war aber weder diese größre Mühe noch überhaupt die Sorge für sich, was die gute Frau in manchen Stunden heimlich bekümmerte, sondern daß der Hansli es dann schwerer bekomme und sie ihm in der Zukunft wol gar noch zur Last fallen müßte, abgesehen davon, daß sie ihm nichts mehr nütze. Diese Besorgniß behielt sie inzwischen für sich, es kam ihr Solches überhaupt vorzüglich dann in Sinn,wenn der Sohn nicht zugegen war, sie ihn vielleicht nur von Weitem an der Arbeit erblickte. Denn trübe Gedanken ließ seine Gegenwart keine aufkommen, er sah ja so heiter und kräftig aus, die Arbeit schien ihm so wohl anzuschlagen und Lisebeth lebte und webte so ganz in ihm, ging in ihm auf,daß sich da in ihr nichts besondres Trübseliges und Trauriges ansetzen konnte.
Es errieth auch Niemand Etwas davon, Niemand als die kluge und theilnahmsvolle Frau Ann auf dem Letthofe, welche
Lisebeth zeitweise besuchte und ihres Vertrauens genoß. Diese errieth indeß die heimliche Sorge auch mehr nur aus einzelnen Andeutungen, Aeußerungen, als daß sie ihr ausdrücklich wäre mitgetheilt worden. Wie von selber war es gekommen, daß seit des Andres Tode dessen und des Letthofbauern Familie in nähern und lebhaftern Verkehr getreten waren. Die Bäuerin zwar hatte immer warmen und thätigen Antheil an Lisebeth genommen, noch bei Lebzeiten des Andres und war auf jede Art bemüht gewesen, den Eindruck zu verwischen,den ihres Mannes abschlägiger Bescheid auf das Geldgesuch bei ihren Freunden in Kestenhofen hinterlassen, denn Hansli und Lisebeth grollten dem Pathen ein wenig deßhalb und wurden von ihm zurückgescheucht. Wenn sie ihm auch nicht geradezu Unrecht geben konnten und die Folge in ihren Augen sogar seine Weigerung und Beurtheilung stets mehr und mehr rechtfertigen mußte, sie empfanden doch immer das Verletzende des Versagens und trauten dem Bauern einen harten Sinn zu. Fremden gegenüber fühlten sie sich auch mehr in ihrer Verwandtschaft und Zusammengehörigkeit, was ein Glied litt, mußte der ganze Körper der Familie mittragen,und nie mehr als bei diesem Anlasse hatten sie die Partei des Andres ergriffen und den Urheber ihrer Noth und Bedräng-niß gegen den Letthofbauern vertheidigt. Das Verhalten der Bäuerin jedoch, das auch einer anfänglichen Kühle und Zurückhaltung gegenüber sich gleich geblieben, ja an Freundlichkeit und Hilfsbereitwilligkeit zugenommen, erhielt sich unverändert, und am letzten hätte eine so hilfsbedürftige und verlassne Seele wie Lisebeth es von sich stoßen können. Die Bäuerin bildete und blieb die Brücke zwischen der bedrängten
Familie in Kestenhofen und dem gesegneten Letthofe, eine
Brücke, mittels der, nach des Andres Tode, der Letthofbauer sogar eines schönen Tages nach dem Dorfe kam und sich der
Lisebeth als ihren Vormund anbot. Der ernste Mann, als er bei seinem Anerbieten dem
Pathenkinde in's Gesicht sah und die Ueberraschung, ja das unverhohlne Erschrecken darin
bemerkte, mußte doch ein wenig lächeln und fragte: „Fürchtest du dich vor mir und meinst,
ich sei ein Putzenmummel?“ Indeß der Schreck war vorübergehend, die Freude und der Gewinn
über den festen und zuverlässigen Beistand und Berather hingegen bleibend. Natürlich wurde
durch dieß neue Verhältniß die Verbindung und der Verkehr mit dem Letthofe noch fester und
lebhafter, es gab gar Vieles zu ordnen und zu rathen, eh' nur das hinterlassne Gut sicher
gestellt war: erst hintendrein zeigte sich, wie schlecht Andres gewirthschaftet und seine
Sache verwahrlost hatte. In Haus und Feld war Alles gar zusammengeschmolzen, es fehlte an
so Vielem, das nach und nach zu Schanden gegangen und nicht unterhalten oder wieder
ersetzt worden. Nur die Einsicht und Erfahrung eines Letthofbauern, verbunden mit dessen
festem Willen und beharrlicher Thatkraft, vermochten alle die Hindernisse zu überwältigen
und wegzuräumen, die wie Kletten und Dornen überall der Bereinigung der Erbschaft sich
anhängten und um welche Waisenrichter und Gemeinderäthe dießmal sich nicht im Mindesten
kümmerten, im Gegentheil! Wahrscheinlich weil die Noth der Wittwen und Waisen nicht an's
rechte Competenz-thürlein angeklopft. So war der Letthof eine Zufluchtstätte für alle
Verlegenheiten, eine Vorrathskammer für jede Art von Aushilfen der Lisebeth geworden. Alle
auch meinten es
Der Letthofbauer hatte Hansli auch einmal seine zwei Gäule und den neuen Kehrpflug geliehen, um den Acker umzubrechen. Es war Abend und der Jüngling war mit seiner Arbeit eben zu Ende. Es sei doch ein ander Fahren so, meinte er, als mit ihrem Kühlein und dem entlehnten Liese ihres Nachbars, das zehn Jahre an der Post gelaufen und nun lieber ausruhen als zu Acker fahren möchte! Kaum habe die Pflugschar recht eingeschnitten, habe er schon wieder wenden müssen, der Acker sei ihm noch nie so klein vorgekommen!
Dabei wandelte ein ordentlicher Uebermuth den sonst ruhigen Burschen an, daß er mit der Geißel laut knallte und dem Echo aus den Bergen rief. Leute im Dorfe meinten, es komme wenigstens ein Engländer und als sie nun den Hansli mit zwei Ackergäulen erblickten, schüttelten sie den Kopf: der scheine doch dem Vater nachschlagen zu wollen; sie hätten es immer gedacht! Indeß Hansli hatte nichts im Kopfe, nur im Herzen, nämlich die helle Freude. Die Freude an den zwei stattlichen Braunen, mit denen er eben gepflügt, freilich indeß vielleicht auch noch eine andre, denn er führte die entlehnten Rosse jetzt wieder nach dem Letthofe hinüber. Er pfiff und knallte und sang abwechselnd auf seinem Wege durch das Holz, bis das Sträßlein aus der Schlucht in's freie Thal hinausführte, von wo man dann den Hof erblickt. Der Gesang verstummte, das Knallen ward seltner, das Pfeifen leiser, je mehr Hansli sich dem Gute näherte und als er vor dem Gatter stand, war er vollends stille geworden und alle Lustigkeit schien ihm davongeflogen zu sein.
Warum Hansli stille ward? ob das der Respekt vor dem Letthofbauern machte? ob es ihm Leid
that, die schönen Gäule wieder aus der Hand zu geben? Als er in den Hof trat, sah er sich
überall um: unter der Weide am Brunnen, zwischen Stall und Scheune, stand Mareili und
fegte; der Alte aber hatte das Pferdegetrabe gehört, er trat dem Ankommenden mitten im
Hofe entgegen und fragte ihn, wie er mit dem Gespanne zufrieden gewesen sei? Hansli dankte
und rühmte, er wollte die Thiere in den Stall stellen und anbinden, bis der Xaveri komme.
Der Bauer aber pfiff einem Knechte, der auch alsbald erschien und die Pferde abnahm. Die
Beiden blieben
In dieser Weise ging lange Zeit Alles im gleichen ruhigen Geleise fort, ohne besonders wichtige Ereignisse. Der gegenseitige Verkehr war ein freundlicher, die Pflicht, welche der Letthofbauer, als Beistand der Wittwe, freiwillig über sich genommen, milderte, ja rechtfertigte die vielerlei Unterstützungen, welche Lisebeth und Hansli mit Dankbarkeit vergalten, da sie nicht Alles mit Dienstleistungen abzuzahlen vermochten. Da traf ein schwerer Schlag die Bewohner des Letthofes und fast nicht minder auch Lisebeth und ihren Sohn.
Woran nie ein Mensch gedacht, das geschah: die Bäuerin erkrankte ernstlich. Lange hatte
sie sich gewehrt, wollte nicht krank sein, weil sie's noch nie gewesen und dieß und jenes
ja nothwendig besorgen mußte; wer sonst hätte es thun sollen?Auch der Bauer wollte es
lange nicht glauben, weil er es fürchtete. Die Krankheit kümmerte sich aber darum
wenig,sondern zeigte, daß sie die stärkre sei und durch den Widerstand, der ihr begegnete,
gereizt, packte sie nur um so heftiger an. Frau Ann, nachdem sie ein paar Tage in der
Stube herum von einem Stuhl zum andern sich geschleppt und nicht nur nicht mehr stehen und
gehen mochte, sondern auch zum Sitzen zu müde ward, mußte sich in's Bette legen, etwas
Unerhörtes, das auf Alle den tiefsten Eindruck ausübte. Bald erschien auch der Doktor und
erklärte, daß es gefährlich aussehe, man habe wol lange gewartet, die Krankheit sei im
vollen Gange! Da war das Leben und Weben auf dem Letthofe wie umgewandelt. Wird in einer
Mühle das Rad abgestellt, so ists dort nicht eintöniger und leerer, als es jetzt hier auf
dem Hofe war: man merkte die Krankheit der Bäuerin Allen an. Der Alte machte zwar nicht
viele Worte und klagte selten, er war schweigsamer und ernster als sonst und viel allein;
Abends rauchte er seine Pfeife gar nicht oder ließ wenigstens alle Augenblicke das Feuer
drin ausgehen; hatte er erst ein paar Maleneu angezündet und es erlosch wieder,so steckte
er die Pfeife in die Tasche und ließ es mit dem Rauchen bewenden: man sah, er hatte keine
rechte Lust daran.Er unterließ sogar dann und wann seine Abendvisite durch Ställe und
Scheunen, worauf er doch sonst unter allen Umständen gehalten, weßhalb dieß auch den
Dienstleuten als
20
Als nach langen langen Wochen der Doktor endlich erklärte: jetzt seis so viel wie
gewonnen, er hätt' es nicht geglaubt, unter Zehnen hätte das nicht Eine durchgemacht, was
die Letthofbäuerin, aber die sei halt noch vom alten Schlage,man sehe, was gutes Holz
aushalte! Da leichterte es ebenfalls Allen, da fiel eine Last von jeder Brust, daß sie
tief aufathmete. Ueber allen Gemüthern schien eine Sonne aufzugehen, es regte und bewegte
sich auf dem Letthofe, wie wenn die ersten Frühlingsstrahlen in die starre winterliche
Erde dringen. Sobald Frau Ann die Wendung zum Bessern
Nirgend war eine Unordnung eingerissen, nichts liegen geblieben, noch versäumt worden; an Alles hatte Mareili zur geeigneten Zeit gedacht, den Anstoß dazu gegeben, daß das Erforderliche gethan und selbst nach allen Kräften geholfen,daß es auch recht gethan wurde. Wollte einmal der gute Wille der Andern nicht so recht nach, dann hielt es ihnen vor, wie die Meisterin sich ärgern müßte, wenn sie hintendrein eine Lässigkeit entdeckte und wie ihr das sicher wieder schaden werde; zudem wär's eine Schande für sie Alle, jetzt,wo die Meisterin am Nachsehen verhindert sei, nicht freiwillig zu thun, was in ihren Kräften stehe!
Darum sah es denn auch überall in Haus und Garten,in Speicher und Keller aus, als wäre die Bäuerin mit keinem
Fuße nur eine Stunde länger als gewöhnlich im Bette gelegen, sondern, wie immer, ihren Dienstboten mit gutem Beispiele voran-, und mit scharfem Auge überall nachgegangen.Es wollte sie faft gar ein wenig verdrießen, daß Alles ohne sie so gut abgelaufen, indem sie nicht bedachte, daß ein Wagen,auf gutem Wege von eingefahrnen Pferden gezogen, auch ohne den Fuhrmann eine Weile ordentlich fortkommen kann.Und der Dank und die Freude gewannen doch auch bald über dieß Gefühl, beinahe überflüssig zu sein, die Oberhand bei der braven Frau. Sie schwieg zwar und ward stille, aber ihr Gesicht erheiterte sich zusehends von innen heraus und in der Heiterkeit schwebte als Lichtkern eine ganz andre Empfindung als jene trübe Regung: die gute Saat, die sie im Vertrauen auf Gott gesäet, war aufgegangen und vergalt ihr jetzt in der Zeit der Noth mit hundertfältigem Segen. Das verwilderte Bettellind war in die Stelle der treuen und unermüdlichen Hausfrau während deren Krankheit getreten und darin bestanden. Der scheue diebische Wildfang hatte aber zugleich auch unermüdlich seiner Beschützerin selber die liebevollste Sorgfalt zugewendet, die sich nicht befehlen und mit keinem Gelde erkaufen läßt, die allein ein kindliches dankbares Herz mit solch errathendem Scharfblicke, dieser leichten Hand,diesem leisen Tritte, gleichviel ob bei Tag oder Nacht, darzugeben vermag bis in's Kleinste hinein.
Diese Frucht, dieser Lohn schien jetzt der frommen Frau fast ihre Leidenstage aufzuwiegen: von der Bewegung darüber ermüdet, lehnte sie in ihr Bette zurück und murmelte nur leise den Spruch vor sich hin: „Was ihr thut dem Geringsten unter meinen Brüdern, das sehe ich an als hättet ihr es mir gethan.“
XXV.Es bessert. Nach Kegen folgt Sonnenschein. Auf dem Spänhaufen.
Mareili's Mutter im Lümpischwyl kränkelte: Anfänge der Wassersucht stellten sich bei ihr
ein. Sie lebte von dem Almosen der Gemeinde und einzelner milder Seelen, daneben von
dem,was ihr jüngster Knabe, den sie bei sich hatte, durch Betteln und sonst wie nach Hause
brachte und das gleichsam für die Ertrabedürfnisse bestimmt war. Von Mareili wollte sie
nichts wissen, es hatte sie mehrmals besucht und ihr von sich sowol als von der
Letthofbäuerin allerlei Brauchbares an Kleidern oder Lebensmitteln zugebracht. Freilich
Geld nicht viel und Schnaps noch weniger, darum war auch die Tochter fast immer mit
Vorwürfen empfangen worden und ihre Gegenwart schien der Mutter jedesmal eine Last zu
sein, von der sie so bald als möglich wieder frei zu werden sich sehnte und diesen Wunsch
gelegentlich zu verstehen gab. Vielleicht mochte indeß ein versetztes Schamgefühl eben so
sehr die Ursache hiervon sein, als eigentliche Abneigung gegen ihr Kind; aber der armen
Frau kam in ihrem elenden Zustande der Anblick des stattlichen, tüchtigen Mädchens, das
durch fremde Hände und Herzen zu dem erzogen worden, was es nun war, wie ein Vorwurf vor.
Zudem hatte Mareili nicht unterlassen können,sich des jüngsten Brüderchens, das so
schlechtem Ziele entgegengeführt wurde, ernstlich anzunehmen und der Mutter Vorstellungen
zu machen und in's Gewissen zu reden. Das kam der Alten ungelegen; gerade weil sie nicht
viel da
Der ältre Bube hatte, des ewigen Flüchtens vor den Landjägern überdrüssig und in seinem Erwerbe durch das allgemeine Mißtrauen, das ihm schon auf hundert Schritte entgegentrat, immer mehr verkürzt, in einem benachbarten Werbbüreau für fremden Söldnerdienst sich anwerben lassen: Geld auf die Hand, ein paar Tage in Saus und Braus, das genügte ihm einstweilen, das Weitre werde sich dann schon geben! So verschwand und verscholl er für einige Zeit und mit Mareili athmete die ganze Umgegend und namentlich auch die gesammte Polizei leichter auf, als der Störenfried und Erzhalunke aus ihrer Nahe weg war. Da kam einmal die amtliche Anzeige an's Pfarramt seiner Heimathgemeinde: Soldat N. N. habe sich im Arrest entleibt und sei Tags darauf in X wyler, welcher beim selben Regimente diente, zu gleicher Zeit nach Hause schrieb, ging noch weiter hervor, daß Mareili's Bruder auf der Flucht als Deserteur erwischt und zu seinem Corps zurückgebracht worden. Vor seiner Verurtheilung sei ihm gelungen, des Gewehrs eines Kameraden habhaft zu werden und mittels ein paar Knöpfen, die er drein lud, habe er dann seinem elenden Dasein ein gewaltsames Ende gemacht.
So hielten nur wenige und meist schwache Fäden Mareili mit der eignen Familie noch zusammen. Könnte es nur das Brüderchen retten! Das war auch die einzige Sorge und der Druck, welche dem braven Mädchen manche Stunde schwer machten, die es sonst in der heitern Zufriedenheit eines gesegneten Wirkens verbracht hätte. Je fremder es so in seiner eigentlichen Heimath sich mehr und mehr fühlen mußte, um so heimischer ward es auf dem Letthofe und verwuchs mit dessen Wohl und Wehe. Was Vren seiner Zeit so in Harnisch um ihre vieljährigen Dienste und Verdienste zu ersetzen und sie überflüssig zu machen! das hatte sich wirklich, trotz dem damaligen Lächeln der Letthofbäuerin, buchstäblich erfüllt; nie hat je ein Prophet richtiger geweissagt. Aber Niemand auch war zufriedner damit und auf seine Weise dankbarer als wieder Vren, denn war die treue Magd schon damals kein heuriges Häslein mehr gewesen, jetzt, nach der Reihe von Jahren, die Mareili bereits auf dem Letthofe zubrachte, hatten ihr das Alter und alle die Unbilden einer rauhen Jugend gar übel mitgespielt. Gegen den Winter und im Frühjahre hatte sie schon lange Schmerzen in Rücken und Gliedern verspürt,gegen die Schwitzen, Warmhalten und Einreibungen von Dem und Jenem geholfen oder auch nicht. Allmälig hatten diese Sturmvögel aber in dem alten Körper Posto gefaßt und sich eingenistet, zogen da und dort ein Gelenke krumm,machten ein Bein steif, trieben hier ein Geschwulst hervor,eine Verhärtung, oder stachen wie Messer durch ein paar Rippen und Wirbel hindurch. Am ärgsten trieben sie's, wenn das Wetter änderte, und da oft so, daß die arme Vren in
*bösen Augenblicken zwei- und vierfach zu werden schien, am Ende gar unter ihr dickes schweres Federbett sich vor ihnen flüchten mußte und räucherte, dampfte, einrieb und einwickelte,bis es selbst der hartnäckigste Gliederschmerz nicht länger bei ihr auszuhalten vermochte, sondern für einige Zeit wenigstens wieder abzog, und sich begnügte, eine Garnison von Steifigkeit und Schwäche in der alten Festung zurückzulassen, die ihm im Falle der Rückkehr gleich wieder die Thore öffnete.So ein stehender Posten hatte sich z. B. auch in den Ohren einquartirt und exercirte und manövrirte hier so herzhaft und ununterbrochen drauf los, daß neben ihm nichts Anderes mehr Raum fand, und es schon einer gesunden Lunge bedurfte,nur um durch das Waffengeräusch hindurch Vrenes Aufmerksamkeit auch auf Etwas sonst noch zu lenken. Auf dem Letthofe faßten sie das freilich nicht ganz so militärisch auf, sondern sagten und klagten einfach, daß Vrene die Gliedersucht auf die Ohren geschlagen und sie gar übelhörig gemacht habe,und dann erst noch bekomme man unter fünf Malen vier Mal eine verkehrte Antwort drauf!
Wie rauh Vren gegen sich selber war und Schmerzen zu verbeißen oder unter Donnerrollen
und Hagelrasseln auszulassen wußte, so mußte sie doch beim höchsten Grade eines Anfalles,
wenn der sie köpflings in's Bette schmiß, dieß und jenes Stück ihres Gebietes abtreten und
einer fremden Macht zur Besorgung überlassen. Mit einem steifen Knie konnte sie nicht in
den Milchkeller hinuntersteigen und mit einer lahmen Schulter, durch die Stich um Stich
hinschoß, keinen Brotteig kneten, der nachher luftig aufging. Ein, zwei Mal konnte
Und wo Mareili hier und dort das Ruder ergriff, vielleicht gelegentlich sogar Einem sachte aus der Hand nahm.fiel dieß weniger auf, weil es ein ganz eignes Talent besaß,Alles auf die gewohnte Weise fortzuführen, so daß Andre meinen konnten, die frühre Hand habe noch gewaltet, ja daß Vren sogar sich mehr als einmal steif und fest einbildete, sie habe Etwas besorgt, was doch in Wirklichkeit Mareili ihr abgenommen. Da war keine Spur von dem Auffehen und Lärmmachen, welche nicht bald und laut genug aller Welt verkünden können: jetzt geht's nach einem aundern Kopfe! ich bin Meister! seht ihr's auch Alle? Verbesserungen waren damit keineswegs ausgeschlossen, aber die kamen dann ebenfalls so ganz allmälig und wie von selber, daß kein Mensch
Anstoß dran nahm, sondern Jedes meinte, die wäͤren ihm natürlich auch so gekommen.
Die Genesung der Letthofbäuerin machte bei deren vorgerücktem Alter nur langsame
Fortschritte: Schwäche und Müdigkeit blieben am längsten zurück und die dicke behagliche
Frau sah noch sehr zusammengefallen und spitz aus. Sie saß in ihrem Stüblein, das kleine
Fenster stand geöffnet und wohlthätig fiel der abendliche Sonnenschein des Spätsommers ihr
auf den Rücken. Mareili hatte der Bäuerin den alten Großvaterstuhl mit der hohen Lehne und
den großen gelben Knöpfen an den Seiten des gebräunten Leders an's Fenster gerückt,
hinten, zu bequemerem Liegen, ein Federkissen dazwischen geschoben und für die Füße den
Schemel zurecht gestellt.Es war ringsum stille, damit die Meisterin ungestört ihr
Schläflein abnicken konnte; mit dem Melker, der draußen das Melkgeschirr etwas hart
abgestellt, hatte Mareili leise gezankt: ob er denn keine Vernunft habe? Der andre Knecht
hatte beim Betreten des Hauses die Holzschuhe fein säuberlich vor der Thüre draußen
abziehen müssen, denn wie ein Drache einen Schatz, so bewachte in der Küche draußen
Mareili den Schlummer der Meistersfrau drinnen. Diese erwachte eben und das Mädchen langte
den für sie an die Wärme gestellten Kaffee aus dem Ofen und trug ihr die Herzensstärkung
nun herein. Das Kissen wurde zugleich aufgeschüttelt, die Lage der Genesenden verbessert,
dann war aber Mareili sofort wieder an seiner Arbeit draußen, indem es das Nachtessen zu
rüsten hatte. Dankbar blickte die Alte der rüstigen Magd nach, die so treu für sie sorgte
und auch ihrem Alten, dem Letthofbauern, der manchmal ein wenig wunderlich sei, es so
„Du kannst selber sehen, sie ist im Stüblein drinnen und eben erwacht!“ entgegnete Mareili und wollte wieder gehen.
Hansli aber deckte seinen Korb ab: er habe da einen Kratten Aepfel gebracht, von den
frühsten; sie seien besonders gut und gesund, sage die Mutter. Das Bäumlein habe er
Und er blickte das widerspenstige Maädchen an, als erwarte er ein mildes Wort oder
wenigstens einen freundlichen Blick. Dieses aber schwieg trutzig und hölzern zugleich,
kehrte sich ab und ging eilig der Scheune zu. Hansli sah eine dunkle Röthe über die Ohren
und den Nacken Mareili's herauf-steigen und er ward traurig, daß er es wiederum erzürnt:
er wisse es mit dem besten Willen auch gar nie zu treffen! Mareili löste hinter der
Scheune den Rinki los, der in schweren Sätzen erst seiner Befreierin den Dank ausdrückte
und, als er da kein sonderliches Gehör fand, darauf in den Hof sprang und dort der
gewonnenen Freiheit sich erfreute. Das Mädchen aber setzte sich auf einen Haufen Holzspäne
und hier, in der Einsamkeit und Verborgenheit, hielt es seine Thränen
„Was du mir damals für ein Paar Augen gemacht hast!“erzählte Hansli, , halb zornige, halb verwunderte und freundliche, ich wußte selber nicht, was sie bedeuten wollten,aber lange noch gingen sie mir nach und selbst aus dem Dunkeln und wenn ich meine Augen schloß, sah ich sie leuchten wie brennende Kohlen und mußte immer dran denken, ob ich mich schier davor gefürchtet!“
„Das war, als du mir den angebissnen Apfel vom Munde weg gabst!“ erläuterte Mareili. „Wie man so was konnte,begriff ich nicht und es verwirrte mich auch nachher. Denn als du gingst, mir ein Stück Brot zu holen und ich von dem Baume inzwischen ein paar Aepfel herunterwerfen wollte,vermochte ich's nicht, ich ließ die Steine, die ich unter der Schürze verborgen hielt, sachte fallen, die Hand war mir wie Blei so schwer. Da du nun mit dem Brote wiederkamst,hatte ich einen Zorn über dich: die Aepfel lachten mich gar zu lustig an und ich hatte die schönste Gelegenheit versäumt. Um deine Schuhe und guten Kleider hab' ich dich nicht beneidet, wenn ich die schon nicht besaß, aber um die schönen Aepfel, deßhalb dankte ich dir auch nicht; es reute mich nachher den ganzen Abend, daß ich den Baum nicht geplündert und ich trug dir's lange nach, als hättest du mir
Mever-Merian, Mareili.
Etwas zu Leide gethan. Das war das erste Mal, daß mir das Stehlen etwas Unrechtes schien und ich zürnte dir's fast,daß du mich darüber zur Besinnung gebracht: hätte ich nachher noch gekonnt, ich würde dir alle Aepfel heruntergeschlagen haben!“In solchen Reden von frühern Zeiten versunken, saßen Mareili und Hansli auf dem Spänhaufen und hielten sich Hand in Hand.Da berührte sie plötzlich etwas Kaltes und Feuchtes, und wie aus einem Traume jählings aufgeweckt,ließen sie erschrocken ihre Hände los. Sie fuhren empor aus ihrer Vergessenheit und der alten Zeit und merkten, daß sie jetzt nicht allein in dem verborgnen Baumgarten waren, hinter dem Hollunderbusche, sondern mitten auf dem Letthofe, denn der Rinki stand hinter ihnen und hatte seine kalte Schnauze schnüffelnd zwischen ihre Hände gesteckt, als wäre es seines Wäãchteramtes Pflicht und Schuldigkeit, zu untersuchen, was es damit für eine Bewandtniß habe? Das treue Thier war aber zugleich auch ein rechtzeitiger Warner, denn wie hierauf die Beiden in der Gegenwart sich umsahen, trat gerade der Letthofbauer hinter den Ställen hervor und suchte Hansli,ihm die zwei neuen Kühe zu zeigen, welche er auf dem letzten Markte gekauft.
In der Folge sahen sich zwar Hansli und Mareili nicht viel häufiger als bisher und es
fanden auch keine besondre Verabredungen statt, aber da sie sich nun verstanden und es
keine Mißdeutungen mehr gab, so hatte jeder Blick, jeder Gruß eine ganz andre und viel
größre Bedeutung als früher.Sie wichen einander jetzt nicht mehr aus vor Scheu und
Ungewißheit und eben so wenig stießen sie sich ab, weil die An
XXVI.Der Letthofbaner zeigt dem Hansli, wie er im Rück-stande ist und liest ihm das
Schlußkapitel.Durchsichtiger waren die Bäume in Wald und Feld geworden, selten nur sah man
an einem hie und da noch Aepfel und blos von den spätern Sorten. Wenn der Wind schärfer
wehte, so flogen die gelben und rothen Blätter zu Dutzenden 141*
E besten angreife. Der Alte und der Jüngling stiegen auf der Matte herum, musterten Alles, die alten Wassergräben, die Abzuüge, die noch nicht gereinigt waren, und besprachen, wo es nöthig sei, neue Schleusen anzulegen, neue Graben zu stechen, dem Wasser eine bessre Richtung zu verschaffen. Es ist dieß ein wichtiges Geschäft und der Letthofbauer war ein einsichtiger, kundiger Mann; Hansli hörte ernsthaft zu, es war eine ebenso feierliche als vertrauliche Verhandlung.
„Du bist wol etwas spät!“ bemerkte der Meister, als er die Abzüge noch nicht gereinigt sah und es auch da und dort an den Wassergräben fehlte. Er wisse es leider wohl,klagte Hansli, er arbeite, was er vermöge, aber die Tage nähmen schon gar stark ab, er komme mit der Arbeit kaum nach, die Mutter habe mit dem Flachse zu thun, er aber Winterkorn zu säen gehabt, durch das Obstdörren und Mosten sei er gleichfalls versäumt worden und zudem seien auch bereits die meisten Kartoffeln eingethan. Fremde Leute anzustellen,sei ihm zu kostspielig, da mache er es halt wie er könne; er hoffe gleichwol nachzukommen, wenn der Winter nicht zu schnell hereinbreche, wozu es nicht den Anschein habe!
Der Letthofbauer sagte hierauf nicht viel, sie stiegen noch da und dort mit einander umher und sahen nach, was schon gethan oder noch zu thun übrig war. Als sie gegen das Ende an ein heimliches Plätzchen kamen, etwas entfernt vom Hause wie von den Hecken und Scheunen der Nachbarn, blieb der Alte stehen und sagte zu seinem Begleiter: „Du, Hansli,und die Mutter, ihr arbeitet euch ab, um das Gütlein nothdürftig zufammen zu halten und kommt mit aller Mühe doch nicht
3 recht vorwärts. Es war so schlecht einst nicht, aber dein Vater selig, nimm mir's nicht übel, war ein schlimmer Wirth und hat's zerstückelt. Jetzt ist's zu klein, es trägt euch nicht genug ab; auch solltest du mehr Vieh halten. Des Naglerjörgs sein Acker nebenzu ist feil, der schickt sich gut zu deinem,kauf' ihn auf meine Rechnung und zur Aussaat kann ich dir für's erste Jahr auch behilflich sein! Aber du magst es nicht allein machen, deine Mutter ist eine brave Frau, indeß sie altert; hast du noch nicht an's Heirathen gedacht?“
Hansli war in großer Verlegenheit. Ruhig hatte er erst den Meister angesehen und als er vom Kaufen des Ackers sprach, nicht recht gewußt, was er dazu denken solle. So ein Letthofbauer habe gut von Kaufen zu reden, wollte er ihm eben entgegnen, als nun die Frage kam, ob er noch nicht schon an's Heirathen gedacht. Da mochte Hansli den festen klaren Blick des Alten, womit ihm der Herz und Nieren zu durchdringen schien, nicht mehr aushalten, er schlug seine Augen verwirrt nieder, wußte nicht, war er verrathen oder nicht, noch wie die Rede gemeint sei, ob eine Falle dahinter liege?„Wie könnte ich ein Weib erhalten?“ antwortete er endlich ausweichend und setzte hinzu: „Und die Mutter verlaß ich nicht.“ Aber als schämte er sich der Feigheit, mit der er seine Liebe verläugnete, fuhr er alsbald fort: „Wenn das nicht wäre, wohl, so wäre Heirathen vielleicht nicht so abweges.“
„Das Mareili steckt dir im Kopfe, gelt?“ fragte nun der Letthofbauer grade heraus.
Hansli wurde roth, er konnte nicht gleich Ja sagen und Nein noch weniger. Der Alte schien
auch seiner Sache gewiß
Voll Rührung wollte Hansli dem Letthofbauern danken und ließ dabei Etwas wie von Ueberraschung und Erstaunen durchblicken. Der Alte aber wehrte: „Thu nicht so närrisch!“sagte er halb barsch, halb gutmüthig; „das Mädchen hat's verdient! aber gelt, du hast mich auch so für einen alten Geizkragen und Batzenklemmer angesehen, der gern im Stillen sein Schäflein scheert?“
Hansli ward ein wenig verlegen, denn allerdings hatte er den Alten nicht für so uneigennützig und wohlwollend gehalten; noch von seinem Vater her sah er ihn eher für genau und etwas hart an. Mit seinem Erröthen gestand er nun seinen Irrthum ein und bereute ihn. Der Letthofbauer ging indeß darüber hinweg und fuhr fort:
„Meine Alte wird zwar das Mareili nicht gerne fortlassen, es ist ihr lieb wie ein eignes Kind und sie hat auch gegen mich Recht behalten damit, denn ich war nicht dafür,daß sie es aufnehme. Darum würde sie's wol gerne noch behalten, indeß heirathen kann sie's nun einmal doch nicht,sie wird sich behelfen müssen. Dem Tochtermann ist sein Hof feil gemacht worden, es wird am besten sein, er verkaufe ihn und ziehe zu uns, es ist für zwei Haushaltungen Platz hier und er wird mir das Gut in gutem Stande erhalten. Meine Frau ist älter und ruht gern aus; ich bin auch nicht mehr wie vor fünfundzwanzig Jahren, so können wir's uns leichter machen und haben die Kinder in der Nähe in unsern alten Tagen. Hat dann meine Alte noch mehr Lust Kinder zu erziehen, so wird's ihr an der Gelegenheit auch nicht fehlen,aber die Großmutter wird an den eignen Enkeln wol schwerlich solche Kunststücke machen wie an fremden Kindern!“ fügte der Meister lächelnd hinzu. Und da er einmal den Schalk im Nacken hatte, fragte er noch den Hansli: „Ja, aber weißt du auch, ob das Mareili dich mag und damit einverstanden ist?“
Besonders darüber gesprochen hätten sie nun freilich nicht!entgegnete Hansli, dem die Freude über sein Glück Scheu und Verlegenheit so ziemlich benommen hatte, aber er getraue sich zu fragen!
Und gegen die Vorschläge des Letthofbauern ward von keiner Seite viel eingewendet, am wenigsten aber von Mareili,das glücklich und voll Freude war. Nachdem der erste Sturm der Ueberraschung und des jungen Glückes des Mädchens Herz durchsaust hatte, folgten ernstere Augenblicke und Stunden nach. Wohl und wehe ward ihm im Gemüthe, als es
47 seine Dienstzeit auf dem Letthofe überblickte (zehn Jahre, von denen es nicht wußte,
sollte es sie lang oder kurz nennen,nach ihrem reichen Inhalte), und nun im Begriffe
stand, in die Freiheit und auf die eignen Füße zu treten. Wohl, wenn es an seine Rettung
dachte, an das, was es geworden aus einem verwahrlosten, schon halb verlornen Bettelkinde,
und weh, wenn es die schwere künftige Aufgabe in's Auge faßte, das Scheiden aus dem
Obdache seines Friedens und seiner Sicherheit, um hinauszutreten in die weite offne Welt.
Kaum kann mit einem Menschen eine größre Umwandlung vor sich gehen,als mit Mareili
vorgegangen: hier der Letthof war der Boden,darauf sich Alles begeben, hier lebten und
blieben zurück,wenn es ging, die Menschen, die um Gotteswillen sich seiner erbarmt, es
errettet vom Verderben. Ein Zagen, als lege es seine Stütze von sich, überfiel das bewegte
Mädchen mitten in der lachenden Gegenwart und beim Blick in die verheißungs auf hoher
Bergspitze, rings umgeben von Abgründen und keine Hand reiche zu ihm hinan, an der es sich
hätte halten mögen. Es wollte jauchzen auf der freien Bergeshöhe und doch schwindelte ihm
und bebte es in seiner Freiheit. Ein tiefes Dankgefühl gewährte Mareili den festesten Halt
in seiner Bewegung und Rührung, seinem Frohlocken und Weinen zugleich. Wie Gott es aus
sich selber und ohne eignes Zuthun noch Verdienen gesucht und getragen durch Dornen und
Steine, als der gute Hirte, auf gute Waide, so, gelobte es sich, wolle es von nun an
selber ihm folgen auf dem bezeichneten Wege und durch Treue lohnen, was es so unverdient
erhalten. Sein zukünftiges Leben, sein neues Haus befahl es
Freude und Glück gewannen so in Mareili's Herzen die Oberhand wieder, aber es war
deßwegen nicht übermüthig,sondern demüthig und daß es dieses verbleibe, mußte ihm die
Bäuerin bei seinem Abzuge vom Hofe noch das zerfetzte Bettelkleid mitgeben, in dem es
einst seinen Einzug in Begleit des Landjägers gefeiert. Freilich lag auf dem Wagen,
welcher Mareili's Habseligkeiten und Aussteuer vom Letthofe nach Kestenhofen führte, noch
manches Andre: es schien, die gute Frau Ann könne an Linnen und Geräthen und Vorräthen
aller Art nicht genug aufpacken. Sie, die früher zu Allem so große Sorge getragen, schien
da eine wahre Verschwenderin geworden zu sein und sie selber hätte es vorher leinem
Menschen geglaubt, daß sie so Vieles in ihrem Hause besäße, das sie nicht brauchte und
darum Mareili mitgab in dessen junge Haushaltung. Aber das Herz der alten Frau war auch so
voller Freude wie noch selten. Der Letthofbauer hatte ganz Recht gehabt, wenn er gesagt,
Mareili sei seiner Alten so lieb wie ein Kind: das Mädchen war ihr Kind, dem Geiste
nach,und diese Kindschaft wiegt oft fleischliche auf. In Mareili hatte die brave Frau eine
Menschenseele errettet, dieß ist etwas Großes, wenn es gleich nur wenig scheint und vor
den Augen der Leute, auf dem weiten Lande, wo es so viele Menschen
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