The text was transcribed from the transcription from UB Basel, which is based on the 1860 edition. The page breaks, chapter divisions and chapters were taken from scan from UB Basel, which is based on the 1860 edition.
Erstes Rapitel.
Die alte Großmutter.
2. Tim. 8, 168. Weil du von Kind auf die heilige Schrift weißt, kann dich dieselbe unterweisen zur Seligkeit durch den Glauben an Christum Jesum.Einer jener ersten rauhen Wintertage, an welchen es scheint, als ob es gar nicht recht Tag werden wolle, war angebrochen, und in stürmisch davonfliegenden Schaaren zogen die leichten Schneeflocken aus den Bergen ins weite Land hinaus. Sonntag Morgen war es; in einem Dorfe der nordöstlichen Schweiz saß eine alte Bauersfrau mit runzligem Gesichte einsam in der Wohnstube ihres väterlichen Hauses, indeß alle übrigen Hausgenossen nach altem Brauch in der Kirche das Wort Gottes hörten.Andächtig las sie in der alten Hausbibel, die auf ihren ste aufgeschlagen, daß man sie für ein lebloses Bild hätte halten können, hätte nicht von Zeit zu Zeit ein beifälliges
Zehender, der Leuenhof.
wollte, den bequemsten Sitz darbot. Eine alte, in treuem Dienste ergraute
Schwarzwälder-Uhr mit großgemalten Ziffern, in der entgegengesetzten Stubenecke
angebracht,unterbrach mit ihrem deutlich hörbaren Picken regelmäßig die feierliche
Sonntagsstille, welche dem alten Mütterchen mit seiner Bibel die liebe Wohnstube, die
sonst oft genug von des Werktags Lärm erschallte, zum Gotteshause machte.Sie schien auch
wirklich von der köstlichen Stunde des Alleinseins den vollsten Gebrauch machen zu wollen.
Es war nicht allein das Bibelwort, was ihre Gedanken beschääftigte, das war auf ihren
Zügen deutlich zu lesen; die Sorgen für diese Welt hatten sie noch nicht verlassen und
drängten sich trotz der Stille im Hause zwischen die Auf einmal schien sie bei einem Verse
stillzustehen; eine besondere Bewegung verrieth sich durch ihre Lippen, die sich
geberdeten, als wollten sie reden und doch keinen vernehmlichen Laut hervorbrachten;
endlich aber schien sie sich nicht mehr halten zu köönnen und las mit besonderm Nachdruck
den Spruch: Schicket euch in die Zeit, denn es ist böse Zeit, und wiederholte denselben
mehrmals mit bedeutsamem Kopfnicken. Und nachdem sie zuerst wie erschrocken sich
umgesehen, ob Niemand sie beobachte, überließ sie sich folgendem Selbstgespräch, das sie
vielleicht schon manchmal wider Willen in ihre Seele hatte zurückpressen müssen.
Narretheien sich angehängt hat, und wenn man meint,es sei fertig, so hat es doch noch
vergessen, den Schuh zu binden, oder weiß nicht, wo's sein Gesangbuch suchen soll,ja, das
wird mir dann eine schöne Andacht geben in der Kirche! Aber was hilft das Reden, und wenn
man's auch noch so gut meint; die Welt ist einmal eine ganz andre geworden, als sie war zu
unsrer Zeit, und die alte Großmutter hört man jetzt nicht mehr gern drein reden.Da klag'
ich's dann manchmal meinem lieben alten Bibelbuchz das versteht mich besser als die
jetzige Welt, und das ist nicht anders geworden und wird nicht anders werden, wenn man
auch die ganze Welt auf den Kopf stellt. Das redet immer noch die altetreuherzige Sprache,
ernsthaft und zum Erschrecken, wo's nöthig ist, aber auch wieder liebreich,frisch und
fröhlich ans Herz des reuigen Sünders, und ob Berge weichen und Hügel hinfallen, ob Himmel
und Erde vergehen, diese Worte werden nicht vergehen. Das bricht mir manchmal schier das
Herz, wenn ich so oft hören muß von den übermüthigen jungen Leuten, die ab und zugehen in
unserm Haus, die Weisheit der Bibel, die sei jetzt veraltet,die brauche man nicht mehr,
ohne die könne man's schon machen, da seien nichts als langweilige und alberne Dinge
drinn. Mein Gott! wenn mein seliger Vater ein solches Wort gehört hätte, er hätte
dergleichen luftigen Gesellen auf der Stelle gezeigt, wo der Zimmermann das Loch ge
Und nun legte sie die Bibel sorgsam an ihren Ort auf das hohe Gesims über der Wand,
öffnete Kasten und Schubladen, breitete ein sauberes, blendend weißes Tisch
Zweites Rapites.
Das Gespräch nach der Kirche.
Wenn du der Sünde den kleinen Finger gibst, so faßt sie bald deine ganze Hand.Endlich
zogen die Schaaren der Kirchgänger, theils mit Regenschirmen, theils mit Schürzen gegen
des Schneesturmes Heftigkeit sich vertheidigend, eilig am Hause vorüber. Die Hausthür
öͤffnete sich, Vater und Sohn schüttelten auf der Flur den Schnee von ihren Röcken und
ihren naäͤgelbeschlagenen Stiefeln, so daß die kräftigen Tritte weithin erschallten.
Mutter und Tochter kamen, unter des Hauses einzigen Regenschirm geduckt, alsbald auch zur
Hausthür herein und halfen unter Ausrufen des Er
„Ja, ich konnt' es heute nicht erwarten,“ sagte der Sohn Melchior, gewöhnlich Melcher genannt, mit etwas rauher Betonung, „bis unser langweiliger Pfarrer sein Amen sagte; er konnte heute auch gar nicht fertig werden und hätt' es doch allen Gesichtern ansehen können, daß man allgemein wünschte, aus der unvernünftig kalten Kirche so schnell als möglich wieder nach Hause zu kommen. Nein,Großmutter, das war nun wieder für lange Zeit das erste und das letzte Mal, daß du mich in die Kirche bringst!“
„Und ich habe auch keinen großen Appetit nach mehr bekommen,“ fiel sogleich mit
spöttischem Tone die mehr städtisch als bäurisch aufgeputzte Tochter, das Liseli,
ein;„wenn da der Pfarrer so Wort für Wort von der Kanzel herabredet, als wäre Alles nur
auf Eines gemünzt, da erleidet es unser Einem, ihm zuzuhören. Es haben alle Menschen ihre
Fehler und unser Pfarrer auch ; warum will er denn, so oft ich in die Kirche komme, immer
das gleiche
Geleier bringen von der Hoffahrt und der Weltlust und von der verloren gegangenen Einfachheit! Das weiß ich Alles schon lang; die Großmutter predigt mir's genug;wenn ich doch nichts Andres zu hören bekomme, so ist's besser, ich bleibe zu Haus und lese ein schoöͤönes Buch.“
„Haltet euer ungewaschenes Maul, ihr meisterlosen Kinder,“ rief jetzt mit gebieterischem
Tone der Vater zwischen sie herein, „ihr sollt mir den schönen Sonntag nicht verderben
durch eure naseweisen Reden; ein Wort zu seiner Zeit war's, was uuser Wohlehrwürdiger Herr
Pfarrer heut gesprochen hat; freilich hat er gerade das junge Volk von eurem Schlag
meisterlich gezeichnet, und das dank' ich ihm, und ihr hättet fürwahr eher Ursache, ein
bischen eure Augen niederzuschlagen, als so unverschämt eurer Spottlust und eurem
Uebermuth freien Lauf zu lassen. Geh,Melcher, damit dein heißer Kopf sich etwas abkühle,
und gib dem Vieh sein Futter, noch bevor wir an den Tisch sitzen, und du, Liseli, machst,
daß mir so bald als möglich deine neumodige Haube aus den Augen kommt, die mich während
der ganzen Predigt geärgert hat; wenn ich sie auf hundert Schritt weit noch einmal
irgendwo sehe, so muß sie ins Feuer, das geb' ich dir schriftlich, wenn du's verlangst,
und beide denkt ein wenig über eure albernen Reden nach, dann wollen wir, wenn ihr
wiederkommt,noch ein vernünftig Wörtchen mit einander reden.“
In der Stube hatte die Großmutter sogleich von dem vorgefallenen Auftritt Veranlassung
genommen, ihrem Sohne, einem Bauersmann im kräftigsten Alter, das klagenreiche Herz
auszuschütten, ungefähr in der Weise, wie sie's schon allein in ihrem Selbstgespräch
gethan hatte.Dieser ließ sie nach seiner Art reden, so lange ste wollte;er hatte das
Gleiche schon hundertmal gehört, zog gemächlich seinen Sonntagsrock aus, holte aus dem
Schranke sein kurzes Pfeifchen und den Schwarzwälder-Tabak,stopfte es und, als er's
angezündet, sette er sich neben seine Mutter auf die Ofenbank, als wollte er jetzt erst
recht in Ruh ihrem unerschöpflichen Gespräch zuhbren.Als dieses aber endlich darauf
hinauslief, er sollte doch
Der Sohn war nämlich vor kurzer Zeit in der neu errichteten Baumwollenfabrik des Dorfes
als Aufseher angestellt worden, hatte mit der Aussicht auf großen Lohn die ländliche
Beschäftigung des Vaters verlassen und verdiente sich nun ohne große Anstrengung ziemlich
viel baares Geld. Ganz nach Wunsch war es ihm aber bei seiner Anstellung nicht gegangen;
er hatte sich für eine noch einträglichere Stelle befähigt gehalten, und diese erhielt nun
ein Anderer. Das machte ihn mit seiner bei sparsamem Sinn recht vortheilhaften Stellung
unzufrieden. Zudem hatte er theils durch das viele baare Geld in der Tasche,
F fröhlich den Pflug durch die heimische Erde geführt hätten,sein einziger Sohn nun den so schönen und mannigfaltigen Beruf in Gottes freier Luft mit dem einförmigen, mehr entnervenden als stärkenden Geschäft im Dienste der Fabrik vertauscht habe. Mehr, als was er befürchtet hatte,war nun eingetroffen: der Sohn war in Gefahr, duch den einfachen, kräftig frommen Sinn des väͤterlichen Hauses zu verlieren.
Es soll damit nicht gesagt sein, daß die Fabrikarbeit überhaupt den Menschen nothwendig ins Verderben führen und ihm den einfachen und frommen Sinn rauben müsse.Vielmehr ist es gewiß nicht von ungefähr gekommen, sondern der liebe Gott hat es so gefügt, daß in unserm Vaterland bei der immer zunehmenden Bevölkerung, die sich lange nicht hinreichend vom Landbau erhalten könnte, viele Hande durch die Arbeit in den Fabriken das tägliche Brod exwerben können; hätten wir diesen Erwerbszweig nicht,wie Viele wären brodlos! Aber es ist nicht zu läugnen,daß mit dem Fabrikleben viele große Gefahren verbunden sind, die früher unbekannt waren, daß der regelmäßige Erwerb von baarem Geld bei Manchen zur Versuchung wird, viel auf einmal auszugeben, sich an unnöthige Bedürfnisse zu gewöhnen und ohne Rücksicht auf die Zukunft in den Tag hineinzulebenz noch weniger ist zu läugnen,daß für Kinder das Arbeiten in den Fabriken nur als ein
43 nothwendiges Uebel angesehen werden kann. Darum haben es Diejenigen, welche auf den Verdienst in den Fabriken angewiesen sind, doppelt nöthig, jenen Versuchungen gegenüber einen sparsamen, züchtigen und frommen Sinn zu bewahren, wenn sie nicht darin untergehen wollen, und'für alle christliche Menschenfreunde ist es eine ernste, schwere, noch lange nicht genug geloste Aufgabe,solchen Sinn in jenen Volksklassen zu wecken und zu pflegen und jenen sittlichen Gefahren möglichst vorzubeugen. Aber Jeder, der die freie Wahl hat zwischen Fabrikarbeit und dem Anbau von eigenem Grund und Boden,thut gewiß weitaus besser und schafft sich ein befriedigenderes Lebensloos, wenn er des Landmanns schönen Beruf erwählt; denn bei allem Schweiße seines Angesichts steht der Landmann doch in mancher Beziehung als der freiste und selbstständigste Mann da.
Auch das Liseli war auf aäͤhnlichen Wegen. Es hätte von Natur eine leichte und geschickte
Hand; Alles, was es angriff, gelang ihm; die Arbeit war ihm ein Spiel;es blieb dabei immer
fröhlich und heiter, mochte es die Kühe melken, oder das Butterfaß rühren, die Hühner
füttern, oder den Stall fegen, immer sang es eine frohe Weise vor sich hin; auch war es
schlank und zierlich gewachsen und blühte wie eine Rose, und sein heitres Wesen gewann ihm
Jung und Alt. Die Mutter war nicht wenig
Hoffahrt und Verschwendung bringen, wie alle Dinge,auch die edelsten und heiligsten,
durch die Sünde in unsern Händen gerade zum Gegentheil von Dem ausschlagen,wozu sie uns
von Gott in der besten Absicht gegeben sind.Viele Mädchen im Dorfe ergriffen die
Gelegenheit,auf diese angenehme Weise ihr Brod zu verdienen und vom Verdienste noch
manchen Franken zurückzulegen.Auch Liseli mit seiner geschickten Hand wurde
aufgefordert,es zu versuchen; wieder konnte der Vater ein Mißtrauen nicht unterdrücken; er
meinte, es müsse doch mehr Segen sein in dem, was man auf natürliche Weise durch Saat und
Ernte gewinne, es komme viel eher aus Gottes Hand aber das allgemeine Beispiel war
stärker, und Liseli fing auch an, eifrig Seide zu weben. Die neue Arbeit ging ihm so
leicht und schnell aus der Hand, daß Jedermann sich verwunderte, und das Gewebe fiel so
schön und tadellos aus, daß ihm bald unter allen Seideweberinnen im Dorfe der höchste Lohn
bezahlt wurde. Die Mutter hatte eine unsägliche Freude darüber und erhob die Tochter fast
bis in den Himmel; der Vater schüttelte den Kopf dazu.Das viele Geld verdrehte auch
alsbald dem Liseli seine bisher so einfachen und gesunden Gedanken; bisher hatte es selten
dran gedacht, daß es so hübsch sei; jetzt aber studirte es darüber nach, welche Farbe ihm
am besten stehe, welches Haargeflecht, welche Haube, welcher Schnitt Zehender, der
Leuenhof. 2
Durch Alles dieß hatte sich beim Vater ein Strom von Aerger, Unwillen und Kummer angesammelt; einmal mußte er losbrechen; jetzt schien dazu die Zeit gekommen;durch des Predigers Mund hatte Gott zu dem bekümmerten Vaterherzen gesprochen und ihm die rechten Worte eingegeben.
„Sag' kein Wort weder zum Melcher noch zum Liseli,wenn sie wieder in die Stube kommen,“
sagte der Bauersmann, indem er aufstand von der Ofenbank und mit tief ernstem Gesicht an
den Tisch trat, zu der Großmutter.„Und du auch nicht, Frau,“ sagte er zu der
Hausmutter,die eben die dampfende Suppenschüssel aus der Küche sen haben, so will ich dann
einmal den ungerathenen Kindern in allem Ernst meine Meinung heraussagen und dabei kein
Blatt vor den Mund nehmen, und sie fragen,ob sie auf diesem Weg fortfahren wollen und in
ihr eigenes Verderben rennen. Aber laßt mich zuerst allein machen und redet mir nicht
darein; wenn sich's schickt, so mögt ihr nachher auch noch das Eurige dazuthun!“ Und er
setzte sich oben an den Tisch an seinen gewohnten Platz.
Das Mittagsmahl.
Matth. 10, 19. Sorget nicht, wie oder was ihr reden sollt; denn es soll euch zu der
Stunde gegeben werden,was ihr reden sollt.So still wie heute war's lange an keinem Sonntag
beim Essen zugegangen im Leuenhof; denn das war seit uralten Zeiten der Name des
Bauernhauses, in welchem unsere Geschichte vorgeht, und der Name des Besitzers war stets
gewesen: der Leuen bauer, warum, davon erzählt keine Chronik mehr. Vater, Mutter und
Großmutter saßen schon am Tisch und hatten sich die Suppe aus der dampfenden Schüssel in
ihre Teller geschöpft, als das Liseli ohne seine Haube zur Thür hereinkam, sich leise an
seinen Platz setzte und kaum aufzuschauen wagte. Als alle schon mit der Suppe fertig
waren, kam der Melcher erst; seine derben Schritte hörte man deutlich von weitem; aber er
machte die Thür sachte auf und zu; zwar fing er an, einige unwillige Worte zu brummen von
dem langweiligen Geschäfte,das ihn um die warme Suppe gebracht habe, aber des Vaters
ernstes Gesicht und die allgemeine Stille in der Stube bezwang sogleich den letzten
Ausbruch seines Unmuths,
Schuld daran. Das Essen wollte ihnen auch nicht recht schmecken, sie waren froh, als die Magd anfing abzuräumen, und dachten darauf, unter irgend einem Vorwand bakß vom Tische wegzukommen.
Dazu fand sich aber keine Gelegenheit mehr; sobald die Magd und der Dienstknabe, denen die Hausfrau noch einige Aufträge gegeben und bis Anbruch der Nacht freie Zeit gestattet hatte, nicht mehr in der Stube waren, fing der Leuenbauer an, einige Male zu husten, wie er's zu thun pflegte, wenn er etwas besonders Wichtiges zu sagen hatte, faßte bald den Sohn, bald die Tochter scharf ins Auge und sprach dann in ernstem und feierlichem Tone folgendermaßen:
„Mein Vater, den Gott im Grabe noch segnen möge,hatte eine gute Gewohnheit; er hatte sie noch von seinem seligen Vater geerbt. Jeden Sonntag nach dem Essen wiederholte er den Seinigen, so viel ihm von der Morgenpredigt im Kopf geblieben war. Was er nicht mehr wußte,fragte er die Mutter oder die Kinder, und wer sonst noch etwas gut behalten hatte, mußte es auch sagen. Ich will für heute einmal diese gute Gewohnheit wieder einführen.Die Predigt unseres Herrn Pfarrers ist mir recht zu Herzen gegangen. Schon als er den Text verlas und anfing: „Es ist aber ein großer Gewinn, wer gottselig ist und läßt ihm genügen,“ war's mir, als
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V Tage meines Lebens auslegen gehört. Erst nach der Predigt kam ich wieder darauf: es war
ungefähr vor dreißig Jahren; da war ich mit mir selber in keinem kleinen Streit.Da warst
du, meine liebe Frau, noch das Anneli in der Mühle und warst mir herzlich lieb, und ich
hätte dich gern zur Frau gehabt; denn ich wußte, daß du ehrbar und gottesfürchtig erzogen
seist und habest arbeiten gelernt, wie Wenige; aber, Aussteuer, sagtest du mir selbst,
köͤnne man dir wenig geben, und Vermögen habest du auch nicht viel von den Eltern zu
erwarten. Und zur gleichen Zeit zeigten mir meine Kameraden auf des Adlerwirths Tochter,
die hoffährtige Kathrine, und sagten: Die mußt du nehmen;bei der sind die Thaler schon
gezählt, die sie als Heirathsgut bekommt, und ihre Erbschaft ist einmal auch nicht zu
verachten, und du kannst ste haben, wenn du sie willst;sei doch kein Narr und laß das
Anneli fahren. Da schossen mir die Gedanken wild durch den Kopf, wie eben die
Schneeflocken vor dem Fenster, und bald war das Anneli oben und bald die Kathrine; ich
konnte die Nacht durch kein Auge zuthun, und wie im Fieber stand ich auf an einem Sonntag
Morgen. Als ich in die Kirche ging, ging das Fieber mit; aber eine Stimme sagte mir
inwendig:Vielleicht bekommst du hier eine Antwort, die den grausamen Streit zur Ruh
bringt, der dir im Herzen das Un
Frieden haben wir gehalten, und mit den Gütern sind wir auch nicht rückwärts gekommen:
Der Leuenhof steht Gottlob! noch so fest wie das Adlerwirthshaus drunten,und wenn sie's
auch viel höher treiben drin als wir, so möcht' ich doch die ganze Wirthschaft nicht
geschenkt mit all' dem Hader und Streit, den das leidige Geld dort anstiftet Tag für Tag.
O wie war mir leicht und froh zu Muth an jenem Sonntag, und wie dankte ich Gott von Herzen
dafür, daß er mir durch das freundliche Wort unsres lieben Pfarrers aus dem Streit
heraushalf. Aber nun, ihr lieben Kinder, als ich heut den lieben Text wieder hörte, da
hätte, wer dieß wußte, doch mit Recht erwarten sollen, ich würde mich von ganzem Herzen
drüber freuen. Aber nein, gerade das Gegentheil! Als ich die schöne Auslegung Wort für
Wort mit meinen Gedanken begleiD als damals über mich. Denn an euch mußte ich zugleich
denken, an dich, mein Melcher, und an dich, mein Liseli,und dabei hat sich mir beinahe das
Herz im Leibe umgekehrt; warum? das sagt euch euer Gewissen. Und dann eure leichtsinnigen
Worte nach der Kirche, die waren mir,ein jedes, noch ein Stich in die Seele, und wenn ihr
so fortmacht, so habe ich auf dieser Welt keine fröhliche Stunde mehr, und eure treue
Mutter auch nicht, und eure Großmutter wird dann mit Herzeleid in die Grube fahren und
Das Liseli hatte schon lange sein weißes Schnupftuch hervorgenommen und konnte nicht
genug die Thränen abwischen, die reichlich über seine rothen Wangen flossen,und kam in ein
überlautes Schluchzen hinein, bis ihm die Mutter einen Wink gab, sich zusammenzunehmen, da
sie wohl wußte, daß der Vater auf das „Gepläre und Gelätsch“, wie er's zu nennen pflegte,
nicht viel gebe. In dem viel rauheren Melcher arbeitete auch etwas in der Tiefe;
Viertes Rapitel.
Die Prredigt.
Matth. 13, 8. Etliches fiel auf ein gutes Land und trug Frucht, etliches hundertfältig, etliches sechzigfältig, etliches dreißigfaltig.
Der Leuenbauer verlas nun langsam und feierlich die Textesworte: J. Tim. 6, 68.
6. Es ist aber ein großer Gewinn, wer gottselig ist und lässet ihm genügen.
7. Denn wir haben nichts in die Welt gebracht; darum offenbar ist, wir werden auch nichts hinausbringen.
8. Wenn wir aber Nahrung und Kleider haben, so lasset uns begnügen.
„Das gefällt mir besonders,“ sagte er hierauf nach einigem Besinnen, „an den Predigten
unseres Herrn Pfarrers, daß er so viel Mal, wenn er etwas recht deutlich machen will, ein
Gleichniß oder Beispiel aus der biblischen und aus andern Geschichten vorausschickt; das
ist mir immer wie ein goldener Nagel im Gedächtniß für die gute Lehre, die ich beherzigen
soll. So hat er's auch heute gemacht und hat zuerst, wie ihr euch erinnern werdet, von
unsern Urahnen und Vorvätern, den alten Eidgenossen,erzählt, wie sie als Hirten so einfach
lebten in ihren Gebirgen, zufrieden mit dem Wenigen, was das rauhe Land und ihre Heerden
ihnen brachten, dabei fromm und gottesfürchtig und eben darum so stark, wenn es galt, die
liebe Heimath gegen die erzgewappneten Ritter auf den stolzen Rossen zu vertheidigen. Auf
die Kniee seien sie niedergefallen zum Gebete jedesmal, bevor sie in eine Schlacht zogen,
und eben weil sie freien Sinnes waren, hätten sie sich niemals gescheut, sich zu beugen
vor dem allerhöchsten Gott, der ihr schönes Land geschaffen. So lange sie nun
Nun leitete er diese drei Worte so deutlich und nett aus den drei Versen des Textes ab, daß es eine wahre Freude war, zuzuhören, und ich nicht wenig darüber erstaunen mußte, wieviel man doch nur aus einem so kleinen Stück der Bibel schöpfen könne. Man sieht doch schon daran, daß man's hier mit etwas Göͤttlichem zu thun hat,das aus der Ewigkeit stammt. Denn wenn ihr zum Exempel einen Beutel voll Thaler habt, dann wißt ihr genau,wann ihr an den letzten kommt, und nehmt ihr diesen heraus, so ist der Beutel leer; mit dem Wort Gottes ist's aber ganz anders; je mehrihr draus nehmen wollt,desto mehr findet ihr drinz niemals heißt's: Jetzt sind wir am Letzten; das ist wie das Oelkrüglein der
Wittwe, das niemals leer werden wollte. Aber verzeiht mir nun, wenn mir von dem, was der Herr Pfarrer in so schöner Ordnung sagte, Manches etwas durcheinander gekommen ist; ich bin eben kein Gelehrter, und manchmal thu ich auch noch meinen eigenen Senf dazu, wenn's ja nur wahr und heilsam ist, was ich euch sage.
Aus guten Gründen, so hieß es nun zuerst, hat der Apostel die Gottseligkeit und die
Genügsamkeit zusammengestellt; denn die letztere kommt aus der ersteren wie der Bach aus
der Quelle. Wer selig ist in seinem Gott, auf ihn sein ganzes Glück baut und fest glaubt,
es komme Alles, also auch das irdische Gut, aus seiner liebreichen Hand, der ist auch
genügsam; er will nicht mehr,als was Gott ihm beschieden hat; er weiß: Soviel als du
gerade hast, muß gut für dich sein, mehr wäre dir vom Uebel; würde es zu deinem Glücke
gereichen,so hätte es Gott dir gegebenz denn er hat es ja,er braucht nicht zu sparen,
seine Schatzkammern sind niemals leer. Seht, Kinder, mit dem hab' ich mich oft getrostet
und die begehrlichen Gedanken in mir zurückgewiesen, wenn mir ein schön'res Haus, ein
stolzeres Gespann Ochsen, ein besserer Rock eines Nächsten recht in die Augen stach. Wäre
es zu deinem Besten, du hättest's auch; nun aber, daß du's nicht hast, ist der beste
Beweis,daßes dir nicht gut wärez Gott hat es ja nicht für
Mancher ist arm bei großem Gut;
Mancher ist reich bei großer Armuth.
Da mußt' ich dran denken, wie meine Frau und ich in den ersten Jahren unseres Ehestands,
da wir noch fast mehr Schulden als Vermögen hatten, im baufälligen obern Stocke dieses
Hauses, das der Vater immer nicht repariren wollte, doch ein so glückliches Leben führten,
daß wir mit keinem Fürsten und Könige getauscht hätten. Weder das Geld noch die Kleider
haben uns damals glücklich gemacht;aber daß wir uns herzlich lieb hatten und in Eintracht
eifrig unsere Arbeit trieben im Acker und Weinberg und drauf vertrauten, Gottes Segen
werde nicht ausbleiben,das war's, was uns glücklich machte, wenn auch manchmal Wochen
vergingen, ohne daß ein Stücklein Fleisch oder ein Schöpplein Wein auf unsern Tisch
gekommen wäre, Manche hielten uns für arm, aber wir waren doch reich, denn wir waren
zufrieden und dankten Gott täglich
Diese Unruhe aber muß zuletzt das Herz verzehren,und worin liegt der tiefste Grund davon?
Darin, daß die Seele keine Ruhe gefunden hat in Gott, sondern in offenem oder verborgenem
Murren gegen ihn sich täglich versün
Hatte Liseli schon früher wieder zu weinen und zu schluchzen angefangen, so konnte es sich vollends gar nicht mehr halten bei dem gebieterischen Schluß der väterlichen Rede, und man wußte nicht, galten seine Thränen dem Herzeleid des Vaters oder dem Abschied des Webstuhls;denn Thränen aller Art waren bei ihm wohlfeil. Der Vater that, als ob ihn die Thränen noch nicht besonders rührten. Die Mutter gab dem Liseli wieder ein Zeichen,und nach einigen Augenblicken Stillschweigen fuhr der Leuenbauer weiter fort:
„Nun muß ich wieder an die Predigt: vom ersten Theile weiß ich nichts mehr; drum geh' ich
an den zweiten.Darin setzte der Herr Pfarrer auseinander, wie die Genügsamkeit wahrhaft
frei mache und knüpfte das an die Textesworte: Wir haben nichts in die Welt gebrachtz
darum offenbar ist, wir werden auch nichts hinaus bringen. Da erzählte er zuerst ein
lehrreiches Geschichtchen aus der alten Zeit, es habe ein weiser Mann in Griechenland
gelebt in einer großen Stadt, und die Stadt sei von Feinden belagert, erobert, angezündet
worden; doch hätten die Feinde den Bürgern erlaubt, abzuziehen und ihre beste Habe
mitzunehmen. Da hätten Alle aufgepackt, so viel sie tragen konnten; der weise Mann
Und er will auch uns noch in einem höhern Sinne frei machen, wenn wir die Worte recht
erwägen: So euch nun der Sohn frei machet, so seid ihr recht frei. Er macht unser Gewissen
frei, nimmt ihm die Last der Schuld ab, die darauf drückte, und macht unsern Willen
frei,nimmt ihm die Fesseln der Sünde ab, die ihn zwang, das zu thun, was er eigentlich
nach der ihm eingepflanzten göttlichen Natur nicht will. So thun wir dann von seinem
Geiste getrieben aus freiem Willen mit Lust
Da ward ihr freier eidgenössischer Sinn auf eine harte Probe gestellt, und nicht beide hielten sie aus. Hans Waldmann nahm die Geschenke und stimmte nach des Koönigs Willen; der Herr von Hallwyl aber, als er das Garn merkte, mit welchem man ihn fangen wollte, verließ in aller Stille, als Spielmann verkleidet, das verführerische Paris und wanderte so, ärmlich in seinem Aufzug,aber frei im Herzen, in sein Vaterland zurück. Der Waldmann ist später in Zürich auf dem Schaffot gestorben er hatte durch allerlei harte Maßregeln das Volk erbittert dem Hallwyl haben alle rechte Eidgenossen für seine Biederkeit gedankt. O wie möcht' ich's doch allen jungen Burschen und Mädchen zurufen, sie sollten sich nicht an die hunderterlei neuen Dinge gewöhnen, die man jetzt immer mehr in Lebensart und Nahrung und Kleidung für nöthig hält! Das ist eine Last, die man sich selbst auflegt und später kaum mehr weiter schleppen kann. Mit Kleinem fängt man an, und eh' man dran denkt, ist man beim Großen und kann nicht mehr umkbehren. Zuerst setzt man kleine Herren und Tyrannen über sich, sie verlangen nichts als etwa ein Kartenspiel, ein Gläschen Wein, eine Cigarre oder ein neues Halsband, einen Spiegel, aber wenn sie das erhalten haben, so wollen sie immer mehr, den ganzen Verdienst, alle deine Gedanken, dein Herz, deine Unschuld, das sind die Tyrannen
Genußsucht und Hoffahrt und Wollust, die haben auf Ehre mehr Unheil angestiftet im Schweizerland als seiner Zeit die herrschsüchtigen Landvogte. Ja, es ist heutzutage keine Seltenheit: junge Bursche von noch nicht 25 Jahren,die schon Knechte der Trunksucht sind und der Wollust,und junge Mädchen in noch geringerem Alter, Dienerinnen der Eitelkeit und eines unzüchtigen liederlichen Sinnes und Wesens. Wie die Fliege im Spinngewebe liegen sie im Netz der Sünde und verwickeln sich immer tiefer, und was kann man ihnen Anderes voraussagen, als zeitliches und ewiges Verderben! O meine Kinder, bei euch ist's,Gott sei Dank, noch nicht so weit gekommen, aber seit einiger Zeit habt ihr auch eure kleinen Herren und Tyrannen; macht euch frei davon, so lang's noch Zeit ist; euer Vater müßte sich alle Haare zum Kopf ausreißen, wenn er eines von euch so in der Knechtschaft der Sünde verloren gehen sähe. Denkt euch dagegen, wie schön es ist,Gesundheit, Frohsinn, starke Arme, ein frei Gemüth und ein reines Gewissen zu bewahren durch alle Lebensalter,sich vor Niemand zu fürchten als vor Gott, der Güter des Lebens in Ehren sich zu freuen, wenn Gott ste gibt, wie er sie unserm Hause bisher schenkte, aber auch mit dem Wenigsten sich begnügen zu können, wenn ersie nimmt! Wer steht ehrenhafter da vor der Welt als dieser! Glaubt's nur, kein Anderer hat mehr wahre Freude als er, und kein
Anderer wird einst ruhiger Abschied nehmen von der Welt und den Freuden des ewigen Lebens entgegensehen.
Aber, daß ich nicht vergesse, was der Pfarrer noch vom Segendes Mittelstandes und der
Armuth gesagt hat; noch nie hab' ich besser begriffen, warum die Armuth doch auch ihr
Gutes hat auf Erden und eine gute Schule ist für viele Menschen, die ohne sie nichts
Rechtes geworden wäͤren. Man glaube doch nicht, sagte er, der Reichthum sei ein so großes
Glück; wer sich von diesem Irrthum kuriren will, der sehe nur, wie in den meisten reichen
Familien die Kinder erzogen werden. Man gewöhnt sie tagtäglich an viele Bedürfnisse, von
denen Andere kaum etwas wissen und meint, man thue ihnen den größten Gefallen und legt
ihnen damit gerade eine Last auf, an der sie ihr Lebenlang zu schleppen haben.Da traf er
in Vielem den Nagel gerade auf den Kopf;ich kann's nicht mehr so sagen wie er, aber zu
Allem mußte ich Ja sagen von ganzem Herzen; Vater und Mutter hielten uns knapp und rauh
und streng; doch dank' ich's ihnen heute noch; denn Wenige gibt's im Dorf, die's an Kraft
und Gesundheit und an Muth und Ausdauer, wo's gilt, mit mir aufnehmen.“Jetzt hielt der
Vater wieder eine Weile still, sah in die aufgeschlagene Bibel, besann sich und fagte
dann: „Nun sollte noch der drit te Theil kommen, welcher den Spruch
Er ermahnte zum Schluß mit warmen Worten dazu,die Liebe und den Frieden zurückzuführen in
die Haushaltungen, dann komme die Einfachheit und die Genügsamkeit auch wieder, und betete
noch zu Gott, er möchte diese Worte besonders an der Jugend reichlich segnen.Und wie er
das Amen sprach, dachte ich: Jetzt darfst du nicht länger schweigen; heute muß es heraus.
Nun ists heraus; Gott möge meine Worte segnen; es ist mir bitter und sauer geworden, so zu
euch zu reden, ihr Kinder,
Fünstes Rapitel.
Jer Predigt Frucht.
Psalm 126, 5. Die mit Thränen säen, werden mit Freuden ernten.Der Leuenbauer schaute bei den letzten Worten zuerst den Sohn und dann die Tochter an, ob ihm aus ihren Blicken kein Zeichen der Zustimmung entgegenkomme;auch die alte Großmutter richtete ihre Blicke auf ste. Man fah ihr an, sie hatte, nachdem sie der Predigt aufmerksam zugehört, selbst eine lange Predigt im Vorrath, die sie so gerne jetzt der vorangegangenen häͤtte nachfolgen lassen;aber sie bezwang sich, der Weisung ihres Sohnes eingedenk und hielt Stillschweigen. Liseli schwamm immer noch in Thränen und verbarg das Gesicht ins Schnupftuch;sein Bruder, bei dem es seit Jahren nicht mehr zu Thränen gekommen war, schien ganz in Gedanken versunken; wer ihn nicht kannte, merkte nichts von einer großen innern
Bewegung an ihm; wer sich aber auf seine Natur verstand, konnte aus seinem Blick und seiner Haltung einen baldigen heftigen Ausbruch seiner Empfindungen voraussagen, aber noch wußte Niemand, ob zum Guten oder zum Schlimmen, zur Reue oder zum Zorn. Aber des Vaters warmes Wort war dießmal bei ihm nicht auf den Weg gefallen. Wie von einer unwiderstehlichen innern Gewalt getrieben stand er plötzlich vom Tische auf, ging auf den Vater zu, reichte ihm die Hand und sagte mit lauter heftiger Stimme: Vater, da nehmt mein Wort:Ich will euer rechter Sohn bleiben, ich will wieder Bauer werden, ich will den alten guten Namen unseres Hauses nicht beflecken, sondern euch nachschlagen und eure Stütze sein im Alter, so gut ich kann! Vater, ich versprech's euch und will's halten, so wahr Gott mir dazu helfe, sagte er mit großem Nachdruck und mit feuchten, leuchtenden Augen. Und euch verspreche ich's auch, sagte er, die Hand der Mutter erfassend, und indem er der Großmutter die Hand reichte: Euch auch! Erinnert mich daran, wenn ich mein Wort vergessen sollte; aber es wird nicht nöthig sein. Der Herr segne deinen Entschluß, sagte der Vater mit tiefem Ernste; wenn er Bestand hat, so will ich Gott dafür danken von Herzensgrund.
Damit ihr seht, daß es mir wahrhaftig Ernst ist, nehme ich morgen meinen Abschied aus der Fabrik und stehe dann
Zehender, der Leuenhof. 4
Zögernd und, wie man deutlich sah, nur mit halbem Herzen reichte die Schwester ihm die
Hand über den Tisch,halb verwundert ob dieser ganz ungewohnten Traulichkeit und halb
überrascht von der großen Zumuthung, die ihm gemacht wurde und der nachzukommen es noch
nicht entschieden im Sinne hatte. Das Geld und die Putzsachen und die neuen Lustbarkeiten
und die Genossinnen derselben,die zogen in diesem Augenblick an seiner Seele mit aller
Gewalt und ebenso stark als die Vater- und Mutter und Bruderliebe, und trotz der vielen
vergossenen Thränen hatten die warmen Worte der väterlichen Liebe das Gewicht seiner
leichtsinnigen Neigungen und Gedanken noch nicht überwogen; stark schwankte es noch
zwischen der göttlichen Traurigkeit und der Traurigkeit der Welt. Aber in diesem
Augenblicke, wo Alle es anschauten und einen guten Entschluß von ihm erwarteten, konnte es
dem Bruder seine Bitte doch unmöglich abschlagen; so gab es seine Hand hin; der Bruder
fühlte die Kälte wohl, die ihm noch im Herzen war und gar nicht zusammenstimmte mit
Versprechen und Halten
Steht fein bei Jungen und Alten.Ich nehme dich bei deinem Wort, und wenn du's hältst,so wirst du an mir einen Bruder haben, der's gut mit dir meint bis zum Tod. Liseli konnte nicht mehr zurück, versprach auch bei sich selbst Alles in diesem Augenblick, wollte reden, konnte aber nicht vor Schluchzen und war froh,als die Mutter das Wort ergriff und sagte:
„Laßt ihm Zeit; ich weiß, es ist ihm leid; aber es kommt ihm jetzt zu viel auf einmal
zusammen. Es sieht gewiß seine Fehler ein und will sich bessern, denn es hat kein böses
Herz; aber ihr müßt ihm Zeit lassen und auch nicht zu viel auf einmal
verlangen.“Unterdefsen hatte die Großmutter zu wiederholten Malen den Vater angeschaut,
als ob ste ihm sagen wollte,sie habe auch noch etwas auf dem Herzen, was sie ihren Enkeln
an das nun erweichte Herz legen möchte; er war aber zu sehr ergriffen von dem, was
vorging, als daß er es bemerkte; endlich stieß sie ihn mit dem Ellbogen an;nun errieth er
sogleich ihr Begehr, nickte ihr zu und gab
Knecht sein, das kam mir immer vor als das schönste Lebenz ich hätte mit keinem König
tauschen mögen. Das rauhe Brod und das frische Wasser dazu, unsre gesunde Milch von der
eigenen Kuh und der liebe Kaffee dabei,das hat mir, ich bin's versichert, immer besser
geschmeckt,als den großen Herren ihre Braten und Pasteten. Zu gut hab ich's nie gehabt,
und ich danke Gott dafür; er hat mich dadurch oftmals denken gelehrt an einen Ort, wo
wir's einmal noch besser haben werden, als hier unten auf der Erde, an sein Himmelreich;
hätt' ich's besser gehabt, wer weiß, ob ich nicht dann das Bestedrob vergessen hätte, das
ewige Leben, und um deßwillen sind wir ja eigentlich auf der Welt, und dorthin werden wir
nichts mitnehmen von allen weltlichen Dingen,wie es der Bibelspruch so schön sagt. Das,
ihr meine Enkel, muß ich euch noch vorhalten als eure Großmutter,die euch niemals aus den
Augen läßt: daß ihr ganz verlernt habt, in der Bibel zu lesen, das war auch Schuld an der
schlimmen Veränderung, die mit euch vorgegangen ist.Drum folget meinem Rathe, lest von nun
an wieder paarkräftige Sprüche nur, aber versäumt es niemals, es wird euch nicht gereuen;
ihr werdet den Segen davon in allen Dingen spüren, wie ihr ihn
Lobe den Herrn, meine Seele, und wasin mir ist, sein heiligen Namen! Lobe den
Herrn,meineSeele, und vergiß nicht, was er dir Gutes gethanhat! Der dir alle deine Sünde
vergibt und heilet alle deine Gebrechen. Sie las den herrlichen Psalm bis zu Ende mit
immer steigendem Nachdruck; man merkte, daß sie schon oft im Leben Trost und Freudigkeit
daraus geschöpft hatte. Ihr in Folge des Alters und vieler mühsamer Arbeit von Falten
durchzogenes Antlitz hatte während des Lesens einen besonders würdigen und feierlichen
Ausdruck angenommen, und aus ihren Augen leuchtete eine himmlische Freude; es war für sie
einer der schönsten Augenblicke seit langer Zeit.Als sie geendet hatte, trat ein ernstes
Stillschweigen ein,ein solches, welches man hätte mit den Worten beschreiben können: Es
ging ein guter Engel durch die Stube. Dann erinnerte die Mutter daran, es sei nun doch
Zeit vom Tische aufzustehen; die Uhr zeige schon auf drei Uhr, da müsse sie gehen, den
Kaffee zuzubereiten; wenn Liseli helfen wolle, so gehe es noch einmal so schnell, denn der
Vater werde Durst haben nach dem langen Reden. Alle erhoben sich, Melcher verließ die
Stubez Liseli räͤumte flink den Tisch ab und flog willig hin und her in Stube und
Die Haussonne.
Psalm 1833, 1. Siehe, wie fein und lieblich ist es, daß Brüder einträchtig bei einander
wohnen.Endlich hörte draußen das dichte Schneegestöber auf,alle Dächer hatte es mit der
weißen, reinlichen Decke überzogen, die Bäume bis auf ihre kleinsten Zweige hinaus
bekleidet und jedem Pflock an den Gartenzäunen ein Käppchen aufgesetzt; die hohe
Brunnensäule vor dem Hause aus halb verwittertem, grauem Holze hatte der Schnee mit einem
runden, schimmernden Turban geziert,dessen Spitze aber bei jedem Lufthauch, jeder kleinen
Erschütterung einzustürzen drohte. Nicht die gleiche, reinliche Farbe, vielmehr eine
gerade entgegengesetzte hatte die durchs Dorf führende Straße bekommen; nur ganz wenige
Menschen, welche tiefe Fußstapfen zurückließen, zeigten
Auch im Leuenhof prangte diese Sonne auf dem Tische;dort ging sie fast so regelmäßig auf
und unter wie ihre Schwester draußen am Himmel; aber während diese die weite Reise um die
Welt zurücklegte, kam sie niemals weiter, als von der Küche in die Stube und aus der Stube
wieder in die Küche. Selten fiel eine Unregelmäßigkeit vor in diesem ihrem gewohnten
Laufe, und wenn dieß geschah, so stellte die exakte Großmutter alsbald die rechte Ordnung
wieder her. Wohlthätig und unberechenbar war ihre segensreiche Wirkung; wer es nicht
glaubt, hätte die beredte Großmutter hören sollen, wenn ste ihre Lobrede darüber hielt. Da
war sie nicht bloß eine Quelle der Gesundheit und eine Trösterin und Helferin in
Krankheit, in trüber Laune brachte sie den Frohsinn zurück, und die lange Weile besiegte
ste glücklich; sie weckte in Verlegenheit gute Gedanken, im häuslichen Kreise nützliche
und heilsame Gespräche, ja zu Allem dem war die liebe Kaffeekanne noch eine Versöhnerin
und Friedensstifterin, dafür hatte die Großmutter Exempel genug bereit für die, welche es
bezweifeln wollten. Es war kein gutes Zeichen, daß ihr seit geraumer Zeit der Kaffee nicht
mehr hatte schmecken wollen, daß ste immer
Heute aber hatte seit langer Zeit Liseli wieder zum ersten Male selber Hand angelegt, um den braunen, stärkenden Trank zu bereiten. Mutter, laßt mich machen,sagte es freundlich, ich versteh' mich noch so gut darauf wie früher; ihr macht ja euren schönen Sonntagsrock staubig, und für meinen ist's nicht schade; er wird ja doch nun abgedankt, da ihn der Vater nicht mehr leiden will.Also geht in die Stube und laßt mich hier allein; ihr sollt
Alle einen Kaffee bekommen, wie ihr lange keinen getrunken! Gerne überließ die Mutter der
Tochter ihr gewöhnliches Amt, und unter ihren Händen setzten sich die Pfannen beinahe
selbst über das Feuer, ja sie fand noch Zeit, in aller Geschwindigkeit einen Teller mit
kleinen Kuchen zu bereiten, wie sie die Großmutter besonders liebte. Als Alles fertig war,
brachte sie's mit freudestrahlendem Gesichte in die Stube, und nun strahlte wieder einmal
die blanke Kaffeekanne als treue Haussonne freundlich über den Tisch, und haätte sie
dießmal nicht erwärmt und erheitert wie ehemals, so hätte des Liseli's fröhliches Antlitz
an ihrer Statt dieß thun müssen; denn das mußte man ihm lassen, es war allerliebst und
hübsch zum Malen,wenn sein von Natur so fröhlicher Sinn frei aufquellend aus dem Herzen
seine Bewegungen, seine Worte und seine Züge belebte. Nun war es auch für die Großmutter
eine wahre Lust und Augenweide, ihm zuzusehn, wie flink es die Sonntagstassen mit den
gemalten Kränzchen oder Namen oder Sprüchen aus dem Schranke nahm und auf dem Tisch
herumstellte, und wie es dann mit heitern herzgewinnenden Worten Alle einlud, sich nun zu
Tische zu setzen, und zu probiren und zu entscheiden, ob es auch noch im Stande sei,
Kaffee und Kuchen zu machen, wie's sich gehöre. Aber wie schade, sagte es, als die Andern
saßen, daß der liebe Melcher noch nicht da ist, der versteht
Der Melcher hat etwas hinter den Stockzähnen, sagte der Vater zur Großmutter gewendet, seht nur, wie er sich zwingt, ein ernsthaftes Gesicht zu machen wie ein Rathsherr, und es will ihm doch nicht recht gerathen; frisch heraus mit der Sprache, wir Andern wollen auch wissen, was dir eben im Kopf herumgeht.
Nichts, als daß ich eben beim Fabrikaufseher gewesen bin, sagte Melcher mit zufriedenem Gesicht, und meinen Abschied genommen habe; aber die Lektion hättet ihr hören sollen, die er mir gab zur guten Letzt, wie ich nun wieder ein Bauerntoölpel werde und mein Glück mit Füßen trete, wie's nicht lange gedauert hätte, so hätte ich fast den doppelten Lohn bekommen, wie das ein schlimmes Beispiel sei für's ganze Dorf; denn zu Hause werde ich doch nur auf der faulen Haut liegen und dergleichen Dinge mehr,daß mir das Blut schon in den Kopf und das Prügelfieber in die Arme kommen wollte. Aber ich besann mich besser,nahm meine neumodige, thalerwerthige Cigarrenbüchse,die ich doch nie recht hatte brauchen koönnen, überreichte sie ihm und sagte, ich wollte sie ihm zum Geschenk machen zum Dank für die vielen guten Lehren, die er mir gegeben
Zehender, der Leuenhof. 5
Aber das ist erst Numero Eins deiner Variser Uniform, sagte der Vater weiter, auf die Nachteulenhaube folgen die durchlöcherten Ermel und auf diese die mäusledernen Schühlein, in denen der Fuß alle Tag um einen
Zoll kleiner wird, und darauf die durchsichtigen Halstücher von allen Regenbogenfarben, und endlich noch das allerüberflüssigste Ding auf der Welt, der kleine Regenschirm gegen den Sonnenschein, der kaum für ein jähriges Kind groß genug wäre und der mir immer als der größte Beweis dafür gilt, daß die Eitelkeit den Menschen zum Narren macht.
O Vater, ihr seid doch ein rechter Spottvogel, unterAD gleichen scherzhaften Tone, aber es war in Verlegenheit, was es weiter sagen sollte; denn der Kampf war bei ihm noch nicht ausgekämpft, und schon waren wieder die Thränenbächlein bereit, über ihre Ufer zu treten und der Freude Licht über dem jugendlichen Gesicht wieder zu löschen; da merkte es die Mutter noch zur rechten Zeit und sagte:Vater, das gehört nun nicht vor die ganze Haushaltung;das wollen mein Liseli und ich mit einander ausmachen;ihr müßt es nicht gar so unbarmherzig plagen, es hat gewiß den guten Willen zu Allem, aber ihr müßt ihm Zeit dazu lassen. Da steht der Teller voll Kuchen, die hat Liseli ganz allein herbeigehert; greift zu und laßt's euch schmecken, laßt den Teller herumgehen, und wenn's euch Allen recht ist, so will ich euch eine Geschichte dazu erzählen, die einmal mit solchen Kuchen passirt ist.
Alle griffen zu, fanden die Kuchen trefflich zubereitet,
Es war vor mehr als hundert Jahren so hat man's mir erzäͤhlt, als ich noch ein Kind war,
ein schöner,schlanker und reicher Bursche im Dorf, der konnte nie mit sich einig werden
darüber, welches Mädchen er sich zur Braut erwählen sollte. Vater und Mutter ließen ihm
Tag und Nacht keine Ruhe, zaählten ihm eine Menge Bauerstöchter auf und priesen site ihm
an. Da sagte er zuletzt: Wißt ihr was, ich will drei Mädchen auslesen aus allen denen, die
ihr mir anpreist; mit diesen will ich eine Probe anstellen, und die, welche die Probe am
besten besteht, soll meine Braut sein. Er wählte zwei reiche Bauerstöchter und eine arme.
Dann ging er zu der ersten der beiden reichen und sagte zu ihr: Sei so gut und mache mir
Eierkuchen, aber laß mich zusehen, wie du das Ding angreifst! Und die Erste dachte: du
mußt ihm zeigen, daß du nicht zu sparen brauchst, und schlug eine Menge Eier zusammen und
that wenig Mehl an den Teig und machte Kuchen wie für eine Armee Soldaten und ließ sie im
Butter schwimmen, daß sie davon troffen, und streute einen Haufen Zucker darüber. Der
Freier aß davon nach Herzenslust bis er satt war und doch blieben noch viele auf dem
Teller übrig. Und er dachte: Das ist nicht die Rechte;
Zucker drauf; uns schmecken sie so am besten. Und dem Freier schmeckte ohne Zucker eins besser als das andre;die Köchin mußte mit zu Tische sitzen, und als sie gegessen hatten und nicht eines übrig blieb, reichte er ihr die Hand und sprach: Habe Dank, liebes Madchen, willst du meine Braut sein? Und sie besann sich wieder nicht lange und schlug ein, und bald hielten sie Hochzeit und lebten lange mit einander in glücklicher Ehe. Dem Burschen aber hat man den Namen „Füchslein“ gegeben und allen seinen Nachkommen bis auf diesen Tag, weil ers so listig anfteng,um die rechte Hausfrau zu erkennen.
Merk dir's, Melcher, rief der Vater lachend, und du,Liseli, kannst auch etwas daraus lernen. Doch waren deine Kuchen am meisten den letzten ähnlich, drum wird's dir einst, wenn du so bleibst, wie Vater und Mutter dich erzogen haben, an einem wackern Mann nicht fehlen.
An dieser Geschichte aber könnt ihr den Spruch der heutigen Predigt noch besser verstehen
lernen. Ihr seht daraus zuerst, daß Verschwendung und Großthun nicht zum Glücke führt, und
daß die klugen Menschen, auch wenn sie selbst reich genug stnd, um nicht jeden Thaler
ängstlich zurückhalten zu müssen, doch mit den Verschwendern nichts zu thun haben wollen;
denn sie wissen wohl,daß für den Verschwender meistens das größte Vermögen noch zu klein
ist. Ihr seht aber auch aus der Geschichte,
Sinne verwalten. Wenn man stets dabei denkt: Der Herr hat's gegeben, so denkt man auch an
die Rechenschaft, die drüber abgelegt werden muß, und dem Armen wiegt dann der Batzen so
schwer in der Hand, wie dem Reichen der Thaler; ferner man genießt dankbar, was man für
das Geld erhalten kann, und hat auch kein Bedenken, sich bisweilen eine kleine Freude zu
gönnen, wenn man's vor Gott verantworten kann. Ferner besinnt man sich dann auch nicht so
lange zu geben, wenn man von großer Noth hört, und sollte man auch nur so viel geben
können, als die Wittwe mit ihrem Scherflein z denn man weiß: Wo auch das Geld hinkommen
mag, ist's in Gottes Hand; er kann's auch wieder zu mir lenken,wenn's mir gut ist, und
wenn ich in Noth bin, so gehört ja der Reichthum der ganzen Erde ihm; viel ungemünztes
Gold und Silber liegt noch in seinen Schatzkammern; davon kann er geben, wem er will;warum
also verzagen? Auch der Arme, der Dürftige soll,freilich nach seinem Verhältniß ein Jeder,
frisch dem Sprüchlein trauen: Geben ist seliger denn Nehmen, und es manchmal auf gut Glück
versuchen, gewiß, er wird dabei nicht übel fahren. Aber die schöne Geschichte der Mutter
hat mich ganz wieder in den Eifer und ins Predigen hineingebracht. Unnütz ist's nicht,
wenn ihr's auch vier und stebenmal hoört, was für eine giftige Sache das
Die Großmutter, die außerordentlicher Weise schon bei der dritten Tasse war und sich eben
noch einen Kuchen zugelangt hatte, sah mit aller Freundlichkeit, die aus ihrem liebevollen
Auge leuchten konnte, das Liseli an und sagte,vor Freude bewegt: Ich hab' es wohl bemerkt,
daß du meinetwegen die schönen Kuchen gebacken hastz du stehst, ich habe ihnen auch Ehre
angethan; es hat mir Kaffee und deine Kuchen dazu. Das war auch wieder einmal ein
Sonntagabend, wie er sein soll und wie er ehemals war. Könnte ich noch viele solche
Sonntage erleben, ich würde nicht einmal wünschen, die Erde so bald zu verlassen. Ich kann
aber nicht wissen, wie Gott dieß beschlossen hat. Diese Nacht schon könnte er mich ja
abrufen, und ich wäre bereit. Nimm nun von deiner treuen Großmutter für die Freude, die du
ihr bereitet hast, noch ein wohlgemeintes Wort an, wie sie's dir sagen würde, wenn sie im
nächsten Augenblick für's ganze Erdenleben von dir Abschied nehmen müßte. Ich bin auch
einmal jung gewesen wie du. Ich weiß, wie unbeständig das Herz ist in deinen
Jahren. Bald möcht' es alles Gute auf einmal versprechen,bald wollen alle böse Geister
mit ihm davonfliegen. Die Welt ist jetzt gefährlicher, als sie zu meiner Zeit war. Man
sieht mehr schlimme Beispiele vor Augen, viel Neues gibt's, wovon man nicht weiß, dient's
zum Guten oder bist eine Zeitlang nicht auf deiner Hut gewesen; drum hat die Welt dich
stark gepackt, du bist ein eitles, leichtstnniges und mürrisches Liseli geworden und warst
früher bescheiden und brav und freundlich gegen Jedermann. Der liebe Gott hat dir heut'
einen deutlichen Wink gegeben; er ist dir gewiß zu Herzen gegangen. Aber und hier hob ste
den Zeigefinger auf und sprach langsamer ich lese in deinem Herzen, daß die Versuchung
noch nicht überwunden ist, die dich allmählig gefangen hatte; ste wird alle Tage mehr als
einmal wiederkehren. Damit du sie besser bekämpfen kannst, will ich dir kurz erzählen, wie
ich in deinem Alter gegen solche Versuchung gekämpft habe. Wir waren unser neun Kinder und
wohnten in einem Hause,im Vergleiche zu dem dieß ein Herrenhaus heißen kann,hatten knapp
das tägliche Brod und mußten hart arbeiten,aber da die Eltern niemals klagten, und alle
Tage Gott für seine Güte dankten, so wußten wir eigentlich kaum recht, daß wir arm waren,
und schickten uns drein, als R
Nun sag' ich dir, Liseli, wenn ich diese kostbaren Lehren nicht mit mir genommen hätte in
die Welt hinaus, ich wäͤre ein leichtsinnig, unglücklich, gottlos Geschöpf geworden wie
manche Andre. Der Vater sagte, als ich confirmirt war: Du bist von den neunen das älteste;
geh' nach Zürich in einen Dienst und erwirb dir selbst etwas; ich kann dir nichts mehr
geben. Ich ging und traf's gut; ich kam in ein vornehmes, steinreiches Haus, wo's vielen
Lohn gab; aber es hätte mir doch schlimm gehen können. Zwei Mägde waren außer mir im Haus
und ein Bedienter und ein Kutscher; ihr glaubt's nicht, was ich da Alles habe sehen und
hören müssen. Schmählen über die Herrschaft, ungezogene, wüste Reden, kleine Diebstähle
und grobe Lügen kamen fast alle Tage vor. Und ich war ein leichtes Blut wie du jetzt,
Liseli, das Geld hatte auch eine Gewalt über mich; in Kleidern wollte ich auch nicht gern
weniger sein als ein Andres, und einen lustigen Tag hätte ich auch manchmal gern gehabt;
dazu fehlte es mir nicht
Stillen, wenn sie über mich lachten und spotteten, daß ich nicht mithalten wollte. Da
gab's der Herr mir ein, daß ich gerade bei diesem schlechten Leben jeden Tag noch besser
einsehen lernte, was für ein Gift das Geld ist, wenn man seiner Lockung nicht widerstehen
kann, und was für ein Glück es ist, einfach gewöhnt zu sein und diese Schleckereien und
den übertriebenen Putz und die ausgelassenen Lustbarkeiten zu verachten. Glaube nicht,
Liseli, es sei leicht gewesen, dieß Alles durchzumachen; ich mußte oft hart und streng
kämpfen wider die Versuchung; aber der Gott der Armen hat mich nicht im Stich gelassen,
und wenn die Versuchung zur Unredlichkeit oder zu unzüchtigem Wesen oder zur
Unzufriedenheit mit Gott am schärfsten an mich kam, da stellte ich mir den Vater und die
Mutter und die acht Geschwister vor in ihrem kleinen Hause und dachte: Was würden die
sagen, wenn du hoffärtig oder ehrlos oder lügnerisch geworden wärest! und stellte mir
unsern lieben Herrn Pfarrer vor und dachte? Du dürftest ihm nicht mehr unter die Augen
kommen, wenn du seine Worte in den Wind schlügest! und endlich stellte ich mir unsern
Herrn und Heiland selber vor und dachte:Er ist um deinetwillen arm geworden, daß du reich
würdest an ewigem Gut; warum kannst du nicht auch arm und niedrig bleiben mit frohem Muth,
um an seinen Geboten zu halten und ihm Ehre zu machen als ein Glied an Zehender, der
Leuenhof. ß
Die letzten Worte waren kräftig, aber mit einem wehmuthsvollen Tone gesprochen; die Großmutter hatte all'ihren Ernst und alle ihre Geisteskraft zusammengenommen,als käme es auf diese Stunde an, ob das Gute bei Liseli Bestand haben könne oder nicht, und als wäre es ihre Gewissenspflicht, zu seiner Rettung zu thun, was sie könnte.Liseli horte aufmerksam zu; zuletzt kamen die Thränen,und tiefbewegt sagte es zur Großmutter: Habt keine Angst,ich will ganz anders werden; es war mir heute schon so viel wohler, als seit langer Zeit! Die Sonne war unterdessen untergegangen und die Dämmerung schon tief hereingebrochen, als die Großmutter ausgeredet hatte; schon schimmerte ein Licht aus dem Nachbarshause herüber; Liseli stund auf und trug flink das Kaffeegeschirr in die Küche und stellte, was übrig war, der Magd und dem Dienstknaben auf den Heerd zur Wärme. Die Großmutter aber wiederholte noch einige Male, heute habe ihr der Kaffee wieder einmal geschmeckt wie sonst, und ein Geist des Friedens und der Versöhnung bewegte alle Gemüther.
Siebentes Rapitel.
Der Jorsschulmeister.
Matth. 18, 12. Ein jeglicher Schriftgelehrter zum Himmelreich gelehrt, ist gleich einem
Hausvater, der aus seinem Schatz Neues und Altes hervorträgt.Noch plauderten vertraulich
bei der Dammerung Vater und Sohn, Mutter und Großmutter in der niedrigen Bauernstube; da
trat, ohne anzuklopfen, tief gebückt und zitternd an einem Stabe gehend, ein alter Mann
herein mit tief eingefallenen Zügen, aber liebreichem Auge und ehrwürdigen, weißen Haaren.
Er zog seine Pelzkappe ab und grüßte mit keuchender Stimme Alle, die in der Stube saßen;
er wußte zum voraus, wen er zu dieser Stunde hier antreffen werde. Es war der alte, nun in
Ruhestand versetzte Schulmeister des Ortes; achtzig Lebensjahre trug er schon auf dem
Rücken, darunter fünfzig Jahre gewissenhafter Thätigkeit im Amte und zehn Jahre der Ruhe
von seiner schweren Arbeit, denn seitdem die „neue Lehre“, wie er die neue Schulordnung
nannte, eingeführt war, paßte er nicht mehr in die Schule hinein;seine Zeit war vorüber,
und Ruhe that ihm noth nach
Ja, Vetter Schulmeister, die Predigt hat mir auch recht aus dem Herzen geredet; wir sprachen viel davon,und sie hat schon ihre Frucht getragen, und wird sie, so Gott will, noch tragen.
Wir haben heut erfahren, fügte die alte Großmutter bei, wie Gottes Wort kann Segen bringen in ein Haus,wenn man's mit Andacht und gutem Willen anhört.
So? entgegnete der Schulmeister mit gedehnter Stimme ich glaube, ich verstehe, was ihr meint. Hat etwa der Melcher und das Liseli sich etwas davon hinter's Ohr gesteckt? Ich mußte bei mir selber denken: Das ist eine Predigt, wie für ste gemacht!“
Ja, lieber Vetter Schulmeister, sagte der Vater, sie haben sich's recht zu Herzen genommen, und ich habe ihnen noch eine Predigt aus dem eigenen Sack dazu gegeben,wir wollen jetzt nichts weiter drüber reden; es ist für heut genug; aber ihr werdet's an ihrem künftigen Leben sehn,ob's gewirkt hat oder nicht.
Hab's doch gedacht, fieng der Schulmeister wieder an,wenn solche Worte unter die Dornen
fallen und ersticken könnten, dann müßte es doch gar schlimm und elend stehen in der Welt.
Ich habe schon manchen guten Prediger gehört, manchen Spruch den Kindern selber ausgelegt,
aber wenn ich einen Tert so auslegen höre, wie dießmal, so geh' ich gern, ich
achtzigiähriger Mann, noch als Schüler beim Worte Gottes in die Schule und lerne stets
noch etwas Neues. Mir ist die Predigt auch den ganzen Nachmittag im Kopf herumgegangen,
und da hab' ich in meinem lieben alten Buch, das ihr wohl kennt, etwas gefunden,
Alle bezeugten ihm für dieß Anerbieten die größte Freude; man rückte den Tisch zur Ofenbank, auf der er saß, stellte die Lampe in seine Nähe und setzte sich in aufmerksamer Spannung um den Tisch herum. Auf einen Wink des Vaters verschwand Liseli und war bald wieder da mit einem Kruge Wein und ein Paar Gläsern. Der Vater füllte ein Glas und stellte es vor den Schulmeister hin, welcher schon seine Brille aufgesetzt und sein Buch zurecht gelegt hatte.
Netzt euch vorher noch die Zunge an, lieber Vetter,sagte er zu ihm und reichte ihm das
Glas; wenn ihr dann fertig seid mit Lesen, wollen mir mit einander Gesundheit trinken.Gott
gebe, daß es euch Allen wohl bekomme, sagte dieser, das Glas ergreifend, that einige
bedächtliche Züge daraus und fieng darauf an zu lesen, wie folgt:Ein nützlich Gespräch
zwischen einem Rathsherrn und einem Bauer.Bauer (kommt in die Stube herein).Herr
Rathsherr, ich komm', euch den Zins zu bringen!s'hat mir so lang nicht wollen gelingen,Zu
verkaufen meinen sauren Wein;
Sollt drum nicht böse darauf sein,
Daß ich in diesem Jahr komm' so spät:
Wißt ja, wie's uns armen Bauern geht!Rathsherr.
Was wollt ihr reden von armen Bauern!
Wahrlich, blutwenig thut ihr mich dauern!g'hat's Niemand besser als ihr auf der Welt!
Da kommt ihr, holt in der Stadt das Geld,
Kauft dafür Haus, Aecker, Pferde und Kühe,
Gebt euch aber gar wenig Mühe,
Den Zins zu bringen auf den Tag,
Und wir in der Stadt haben die leidige Plag',
Zu warten, zu mahnen, zu schreiben, zu treiben,
Daß die Zinsen uns nicht dahinten bleiben.
Hört, hättet ihr he ut wieder nichts gebracht,
Ich hätte kurzen Prozeß gemacht,
Hätt' euch sogleich meinen Weibel geschickt:
Der hätt' euch den Kopf schon zurecht gerückt!
Bauer.Herr Rathsherr, ich bitt' euch, wollt mir vergeben,Wir haben fürwahr kein Herrenleben!
Es sind gegenwärtig recht böse Zeiten,
Da der Bauer muß fasten und Hunger leiden.
Zu trocken war es für das Gras
Und in der Ernte drauf zu naß;
Da steht's bbs um den armen Bauer!
Wenn er auch stets vor Tag aufsteht
Und fleißig hackt und pflügt und sä't,
Ist's doch, als wär' kein Segen drinn,
In Sorgen flieht das Jahr dahin,
Und am Ende hat man kaum zu leben
Und sollte den hohen Zins noch geben:
Herr Rathsherr, ich sag's euch rund heraus,
Ihr hieltet dieß Leben keine Woche aus!Rathsherr.
Hört, Michel, euch kenn' ich und eures Gleichen;
Ihr werdet so schnell mir das Herz nicht erweichen.
Immer habt ihr zu lamentiren,
Bald fehlt's am Wetter und bald an den Stieren,
Nie seid ihr zufrieden, wollt immer noch mehr,
Als wenn kein Gott im Himmel wär'.
Und doch, mein Michel, schaut man eüch an,
So seid ihr gar nicht so übel dran!
Eure frischen Backen sehn nicht aus,
Als ging' euch das Mehl im Kasten aus;
Auch steht ihr so kräftig und stattlich da,
Als gingen die Sorgen euch nicht so nah,
Und die rothe Weste, die steht euch so gut,
Und dazu der hohe dreieckige Hut,
Daß ihr denkt bei euch selber: Der komme mir her,Der ein besserer, schöͤnerer Bauersmann wär'!Dagegen schaut einmal mich recht an!
Bin fürwahr nicht halb so wohl daran!
Fang' ich nicht schon an zu alten?
Seht die vielen Runzeln und Falten
Hier im Gesicht, wo kommt das her?
Von der Arbeit so hart und so schwer,
Die unser Einer in der Stadt
Bei Tag und bei Nacht zu verrichten hat,
Von dem Aerger und dem Verdruß,
Wenn man wohl hundertmal mahnen muß,
Bis es euch pfiffigen Bauern gefällt,
Auszurücken mit euerm Geld,
Euer armseliges Zinslein zu bringen
Und euer Klaglied dazu zu singen!
Da hab' ich oft bei mir selbst gedacht,
Wenn man mir großen Verdruß gemacht:
Ist's hier nicht wie eine Todtengruft?
Wie viel schöner in freier Luft,
Wo der glückliche Bauer pflügt und sä't,
Und die Sonne herrlich am Himmel steht.
Hier scheint der lieben Sonne Licht
Tagelang dir niemals in's Gesicht,Statt dessen Arbeit ohne Rast und Ruh'ꝛ*
Jeder Bauer hat's besser als du!
Und sagt es selbst: In alten Tagen,
Wenn man uns Stadtherrn muß schleppen und tragen,Wenn das Zahnweh uns plagt oder Magenweh,Und der Doktor kommt mit Mixtur und Thee,Da geht so ein Bauer noch frisch und gesund Aufs Feld in früher Morgenstund',
Arbeitet da mit frohem Muth,
Und was er ißt, das schmeckt ihm gut!
Da seht, wer sich muß stärker plagen,
Und hat die größ're Last zu tragen!
Ich glaub', wär' ich zum Tausch bereit,
Ihr besännet euch noch lange Zeit.
Bauer.Mit Verlaub, Herr Rathsherr, ich muß doch sagen,Ihr habt viel weniger Ursach' zu klagen.
Wer solch ein Haus hat wie ein Schloß,
Und Scheun' und Stallung weit und groß,
Täglich kann in der Kutsche fahren,
An Essen und Trinken nichts braucht zu sparen Und Niemand zinsen muß dabei:
Ein solcher wär', bei meiner Treu!
Ein dreifacher Narr, und das über die Maaßen,Könnt' er sich's nicht recht wohl,sein
lassen.
Mit schoönen Kleidern sich zu zieren,
Und Stundenlang an sich laäͤßt herumfrisiren,Glaubt ihr, das Vergnügen sei so groß?Wie oft war' sie gern dieser Plage los!
Aber ste dar f nicht anders mehr;
Denn ihr Mann ist ein reicher Herr,
Und das verlangt nun einmal ihr Stand.Würd' es in der Stadt bekannt,
Daß sie die neue Mode verachte
Und nach einfacher Kleidung trachte,
O wie bald würde sie gezwungen
Von viel scharfen und giftigen Zungen,Wieder vor ihren Spiegel zu stehn
Und wie die Andern einherzugehn!
Seht, Michel, von all dieser Narrethei
Seid ihr zum Glück auf dem Land noch frei;Drum glaubt's mir nur und laßt's euch sagen,Daß wir in der Stadt unser Kreuzauch tragen.Bauer.Meinethalben, doch wir nicht minder!
Seht, lieber Herr, ich habe sechs Kinder,
Muß sie doch alle speisen und nähren;
Sechs junge Schnäbel, die mögen was verzehren.Drum wird mir auch das Zinsen schwer;
Also bitt' ich euch, lieber Herr,
Habt Geduld, wenn ich nicht Alles bezahle,Habt Geduld bis zum nächsten Male!Und gefällt euch unser Leben so gut Und wird euch euer Kreuz hier zu schwer,Nun so faßt einen frischen Muth Und erweist mir einmal die Ehr':Kommt zu mir auf's Land, lernt pflügen, lernt schneiden,Lernt ein Bischen Hitze, Durst und Hunger leiden,Dann kommt euch von selber der Appetit Und Gesundheit und Kraft und ein froh' Gemüth.Rathsherr (Cachend).Ja, ja, guter Michel, ihr meint's mit mir gut;Zum Bauer fehlt mir bloß der dreieckige Hut!Nein, das werd' ich wohl müssen bleiben lassen,Dazu würd' ich nicht gut mehr passen.Aber zeigt her, was habt ihr gebracht?(Der Bauer nimmt seinen Beutel heraus, nimmt einige Thaler hervor und gibt sie dem Rathsherrn.)Wartet, bis ich die Quittung gemacht!Setzt euch auf diesem Sessel nieder!In einem Augenblick komm' ich wieder.(Geht zur Thür hinaus.)Bauer (setzt sich auf den Lehnstuhl, in welchem er tief einsinkt, und schaut fich in der Stube um).Potz Blitz, das ist ja so weich wie Brei!Zehender, der Leuenhof.
Da säß' ich nicht gut, bei meiner Treu!
Auf meiner Ofenbank zu Haus
Ruht sich's wahrhaftig besser aus.
Aber stein re ich muß der Herr Rathsherr sein!s'hat fast Alles hier einen goldigen Schein!Die Bilder an der Wand, die prächtige Uhr,Der Schreibzeug da, dort die Glockenschnur!So ein Herr zu sein ist doch nicht wenig:Kann's viel schöner sein bei einem König?
Ich wüßte fürwahr nicht, was noch fehlt.Aber, was kostet das Alles für Geld!
Da muß mancher Bauer sein Zinslein bringen,Um diese Ausgaben zu erschwingen!
Und wer weiß, vielleicht hat er doch Recht?Schmeckt ihm dabei sein Essen schlecht,
Ist er nicht froh, nicht recht gesund,
Hat er im Tag keine ruhige Stund',
Da würd' ich das Glück alles wohlfeil geben Und lieber als armer Bauer leben!
Der liebe Gott muß seine Gründe haben,Wenn er die irdischen Güter und Gaben
So ungleich vertheilt an die Menschenkinder,Dem Einen mehr gibt, dem Andern minder.Zu
vielem Geld gibt er auch viele Müh',Versuchung, Sorge spaät und früh;
Bei wenigem Geld geht's einfach zu,
Auf heiße Arbeit folgt gute Ruh'.
Den Segen auf dem Ackerland,
Den nimmt man an aus Gottes Hand,
Und wird die Arbeit hart und schwer,
Freut man sich auf's Himmelreich um so mehr.WMach einigem Nachdenken.)
Du hast doch dumm geredet vorher,
Als wenn lauter Paradies hier wär'.
Was wird der Herr Rathsherr von dir denken!
Wird er dir wohl etwas am Zinse schenken?Rathsherr (it einer Quittung)Hier, Michel, nehmt das Papier da mit!o'steht d'rauf, ihr seid des Zinses quitt.Was noch d'ran fehlt, das will ich euch schenken,Wenn ihr drei Dinge wollt ernstlich bedenken.Erstlich dürft ihr nie mehr kommen und klagen,Es habe das Land zu wenig getragen.Wie Gottes schickt, so ist's immer recht Und ihn zu meistern steht euch schlecht.Zum Zweiten laßt es mich nimmermehr hören,Die Glücklichsten seien die reichen Herren.Gott hat das Glück nicht nach dem Gelde gemessen Und niemals ein's seiner Kinder vergessen.Zum Dritten bedenkt im ganzen Leben:
Gott hat jedem Menschen sein Kreuz gegeben,Gerade so schwerals er's kann ertragen;Drum soll er's nicht abzuschütteln wagen.Ja, dürft' er ein anderes Kreuz sich erwählen,Er würde das rechte stets verfehlen Und hielt' es zuletzt für das größte Glück,Gäbe Gott ihm wieder das erste zurück.Also Michel, bleibt bei diesen drei Dingen,Und kommt ihr wieder, den Zins zu bringen,So frag' ich darnach und ihr müßt ste wissen!Thut mir eure Frau und Kinder grüßen!
Baueer (sich verabschiedend).Wohlweiser Herr Rathsherr, behüt' euch Gott!Und lohn' euch
die Guüte bis an den Tod!Schönen Dank für den Zins und die gute Lehr'!Ihr seid ein frommer
und kreuzbraver Herr!Alle hatten mit gespannter Aufmerksamkeit zugehört;die Großmutter
nickte nach ihrer Gewohnheit bei manchen Stellen beifällig mit dem Kopfe, und der
Hausvater wiederholte mehrere Male am Schlusse, damit sei der Nagel auf den Kopf
getroffen; er habe dieß und das auch schon so gedacht, was in dem Gespräch vorkomme, aber
er habe es nur nicht recht ausdrücken können; das sollte jeder Bauer lesen, dem's in
seinem Stande nicht mehr gefalle.
Auf eure Gesundheit, Vetter Schulmeister, sagte nun der Leuenbauer, nachdem er sich und
seinem Sohne Melcher auch die Gläser gefüllt hatte, und alle drei stießen fröhlich an mit
ihren Gläsern, um die vieljährige Freundschaft von Neuem zu befestigen. Der Bauernstand
sollleben, rief der Schulmeister, und Jeder, der ihm Ehre macht durch Arbeitsamkeit und
Treue! Die Andern
Habt ihr nicht noch etwas in eurem lieben alten Buch,was ihr uns vorlesen könnt, sagte nun die Hausmutter:zum Schulmeister; wir sitzen so vergnügt beisammen, und ich wüßte nicht, was wir Besseres thun könnten, als euch zuhören; ich bitt' euch, thut es uns zu Liebe!
Wenn ihr's gern hört, so werde ich schon noch Etwas finden, das zu unserm Gespräch paßt.
Da habe ich vor Kurzem einige lehrreiche Sprüche gefunden in einem alten Buch, welches zur
Zeit der Reformation oder Kirchenverbesserung gedruckt worden ist; in festes Schweinsleder
ist es gebunden und hat starke messingene Klammern, und wenn man's aufschlägt, so ist's,
als könnte man's ihm anriechen, daß es ein paar hundert Jahre alt sein muß. Ein
gottseliger Mann, der das menschliche Leben unter Hoch und Niedrig gewiß gut kannte, muß
es geschrieben haben;aber Manches drinn ist schwer zu fassen und es redet eine
alterthümliche Sprache. Es erklärt eine Menge alte Sprüche, unter andern auch den
sonderbaren Spruch:Alle Menschen, ein Mensch, der wie ein Räthsel
So man alle Dinge wahrnimmt und im Grunde anstehet, so ist ein gleiches Leben auf Erden, und hat der unpartheiische Gott alle Menschen gleich erschaffen und in ein gleiches Leben gestellt und mit gleicher Lieb' nicht einen um ein Haar besser oder böser gemacht, sonst hätten die Versäumten ab Gott zu klagen.
Derhalb wer einen natürlichen Menschen sieht, der stehet sie all. Alle Menschen, ein Mensch. Es ist Alles Adam. Wer in einer Stadt ist, ist in der ganzen Welt,find't er schon andere Sitten, Sprach', Kleidung, so ist doch das Gemüth, Herz, Sinn und Will' in allen gleich.
Wer nun selig werden will, der muß den Menschen ausziehen, aus Gott wiedergeboren, ein neu Mensch werden, sonst liegt er in gemeinem Verderben, Fluch und Verdammniß.
Wie nun alle Menschen einander gleich seh'n am Gemüth und allein der Unterschied am
äußern Ansehen ist,also sind alle Menschen einander gleich am Gut und ist nur der
Unterschied in dem äußern Anblick. Also wie ungleich wir einander sind äußerlich am Gut
vor den Augen der Menschen, so gleich leben wir in der Wahrheit vor Gott. Der Arme hat so
genug und
Was ist es, daß der Fürst besser liegt, denn der Bauer,wenn er nur so wohl schlaft? Was ist's, daß der Reich Fasanen und Kapaunen hat vor ihm stehen, so dem Armen sein Brei so wohl schmeckt? Halt des Reichen leckerhaftigen, lüsternen Mund an seine Pasteten und des Armen an seine Suppe, so findest du auf's wenigste gleichen Geschmack, wo nicht der Arme besser lebt und ihm sein Kraut besser schmeckt, als jenem seine Fische. Der Unterschied ist nur im Schein und der Speise, aber nicht im Geschmack und Mund. Der Hunger und Durst macht aus Brod Lebkuchen und aus einem frischen Trunk Wasser Malvasier.Daß wir aber Alle gleich leben, findet sich auch im Ausgang; denn der Arm lebt ebenso lang als der Reich,ja länger und gesünder, was nicht geschähe, wo ihm etwas am Wohlleben abginge und er nicht so wohl als der Reich zu leben hätte.
Paulus saget von den Christen: Es ist Alles euer das ist, es nützet und dienet euch
Alles. Also begibt es
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C. Christen dürfen in keiner Noth verzagen;Christus hat für uns Alle die Armuth getragen.Diene gern, aber mit freiem Gewissen!Dienen in Liebe kann Trübsal versüßen.Erdengut mag untergeh'n,
Ew'ges Gut wird stets besteh'n.
Frie de bringt zum einfachsten Mahl
Frohsinn und Freuden ohne Zahl.
Geben macht selig, macht nimmer arm,
Geld macht das Herz dir nimmer warm.
H. Hab und Gut sind nicht ewig dein;
Heut vielleicht muß schon geschieden sein.
Jung trag' dein Joch und wirf's nicht ab;
Je höher du strebst, desto tiefer hinab!
Könige und Kaiser beneide nie,
Kronen glänzen, doch drücken sie.
Liebe bereichert das aärmste Haus;
Leer wird der Palast, zieht die Liebe hinaus.Mancher ist arm bei großem Gut,
Mancher ist re ich bei großer Armuth.
Nichts hast du gebracht in diese Welt
Nicht s trägst du hinaus aus dem irdischen Zelt.Obenauf liegt der Welt Ehr', Glück und Glanz:Ohne Demuth kein wahrer Ehrenkranz.
J.
K.
L.
M.
N.
O.
P. Putz' nicht zu sehr deinen Leib von Staub;Auch im Purpur wird er des Todes Raub.
Q. Quält dich der Zweifel an Gottes Huld,Quillt in Gottes Wort dir der Quell der Geduld.
R. Reisegeld durch die Welt ist dein irdisch Gut:Ruft der Herr, so laß es mit leichtem Muth.Salz und Brod macht die Wangen roth,Silber und Gold bringt oft Sünd' und Tod.Trage die Armuth, verfluche sie nicht!Tonnen Goldes sind auch kein leicht Gewicht.Unrecht Gut brennt in den Händen Und entfliegt nach allen Enden.
V. Vertrau auf Gott in Hunger und Jammer;Voll ist seine ewige Vorrathskammer.
W. Wandle den Weg durch Weh und Schmerzen,Willst du gelangen zu Gottes Herzen.
Z. Zahl' deine Tage und miß deine Zeit!Zur Ewigkeit halte dich stets bereit!
Vetter Schulmeister, sagte der Leuenbauer, der mit größter Aufmerksamkeit zugehört hatte, die Sprüche müßt ihr uns geschrieben geben, man sollte sie in Glas und Rahmen einfassen und in der Stube aufhängen, daß Jedermann sie immer vor Augen hat. Wir wollten sie als ein Andenken von euch in Ehren halten.
Ja, das müßt ihr thun, fügte die Mutter hinzu; wer weiß, wie bald ihr nun zum letzten Mal am Sonntag Abend bei uns gewesen seid; denn vom Kirchhof seid ihr nicht mehr so weit weg. O wie werden wir euch vermissen, wenn der liebe Gott einmal eure Augen zugedrückt hat zur ewigen Ruhe! Da müssen wir etwas haben, was uns an euch und euren treuen guten Rath erinnert. Drum schreibt uns das goldene ABC auf ein großes Blatt, so gut ihr's noch könnt mit euren zitternden Händen, das hängen wir dann auf, und wenn wir's anschauen, so denken wir an euch, wie ihr so manchmal unter uns da auf der Ofenbank saßet in den weißen Haaren und mit der alten Brille, und aus eurem Weisheitsbuch uns vorlaset, und manches gute Wort von euch wird uns dann wieder lebhaft in Erinnerung kommen.
Das will ich von Herzen gerne thun, liebe Base, sagte der Schulmeister hierauf; aber schön kann ich's nicht mehr;das waren andre Zeiten, als ich noch einen Zweifelstriche)machen konnte in einem Zug so verwickelt und so verschlungen, daß Niemand weder den Anfang noch das Ende D die Kniee zittern mir und die Finger und das Gedächtniß ist auch nicht mehr niet- und nagelfest, das bekümmert
) Eine Verzierung am Schlusse eines Abschnitts
So sprach der Schulmeister noch weiter zu der Großmutter innigem Wohlgefallen; es war,
als hielte er seinen Schwanengesang, als wollte er noch sein geistliches Testament
niederlegen im Leuenhof, so kam er in mächtige innere Bewegung, und Ernst und Freude
strahlte ihm dabei feierlich vom Angesicht. Bald wendete er sich an die Großmutter, mit
welcher er in Kurzem in einer gröͤßern Familie über den Sternen zusammenzukommen DV0
Gottes Gnade und Hülfe während ihres bisherigen Le
Achtes Rapitel.
UNach zehn Jahren.Alles Ding währt seine Zeit,Gottes Lieb' in Ewigkeit.Paul Gerhard.Viel
Zeit ist vergangen seit jenem Novembersonntag voll Schneegestöber und Sonnenschein z
zehnmal ist seit
Unterdessen trat ein kräftiger Bauersmann mit starkem Tritt zur Stube herein: es war der
Melcher, der jetzt als der Leuenbauer im ganzen Dorf in gutem Ruf und Ansehen stand; er
hatte in seiner Marei eine treffliche Hausfrau mit ordentlichem Vermögen gefunden und mit
U Kränzlein von Kindern erblühn, die ihm alle gesund und wohlgezogen entgegenschauten.
Seine Eltern hatten ihm den Leuenhof übergeben und sich selbst in die Altersruhe
Zehender, der Leuenhof. 8
4.
18 ihm recht, wenn es nur ordentlich, sauber und nicht zerBibel vor; die Kleinen im untern Stock lehrte es Sprüchlein und Verse auswendig. Sein harmlos fröhlicher Sinn von früher war verschwunden; sein freundlicher Sinn aber kehrte doppelt zurück; drum hingen des Bruders Kinder an ihm mit der größten Anhänglichkeit. Wenn die Base Liseli herunterkam, ihnen eine Geschichte erzählte,Bilder zeigte, oder gar etwas Gutes auf den Zahn brachte, so war der größte Jubel unter dem jungen Volk.In diesem hülfreichen Wirken wurde ste innerlich wieder allein war, den Seufzer von ihren Lippen hören: Hätt'ich doch früher dem Spruche geglaubt: Es ist ein großer Gewinn, wer gottselig ist und lässet ihm genügen, wie glücklich könnte ich jetzt sein! Aber sie zwang sich,vor Vater und Mutter nicht düster zu erscheinen, und als ihr wieder einige Zeit verflossen war im väterlichen Hause,ließen weder der Bruder noch die Eltern ihr mehr etwas fühlen, worin sie einen Vorwurf hätte erblicken können;sie wurde als willkommnes, hülfreiches und geschäätztes Glied der Haushaltung betrachtet. J
Also kamen Größvater, Großmutter und die geliebte Base Liseli zum Sonntags-Kaffee in die untere Stube,und die Letztere brachte mit sich einen hochgethürmten
Teller mit Eierkuchen, wie ste ehemals ihrer Großmutter Lieblingsgericht gewesen waren. Da zupfte der Melcherli seinen Bruder am Ermel und sagte: Hab' ich's nicht errathen, und ein Freudenstrahl flog über die kleinen Gesichter. Die Großeltern mußten obenan sitzen, und Liseli nahm seinen Platz in der Mitte der Kinder, und als die Muiter jedem sein Schüsselchen mit Kaffee und Milch gefüllt hatte, theilte ste der Ordnung nach die schönen braunen Kuchen aus. Da schnabulierten sie lustig mit frohen Geberden, es war eine Lust ihnen zuzusehen, und sagten dazwischen, wie brav die Base Liseli sei.
Wißt ihr auch, Vater, sagte nun der junge Leuenbauer,stolz das Häuflein seiner Kinder überblickend, daß es heute zehn Jahr sind seit jenem Sonntag, da ihr mir so ins Herz geredet habt? Noch dank' ich euch von Herzensgrund für jedes Wort; was wäre aus mir geworden, wenn ihr mich damals nicht von meinen thörichten Gedanken auf den guten Weg gelenkt hättet!
Ja, sagte der alte Vater, ich habe heute schon Gott gedankt für den Segen, den er damals
meinen schwachen Worten gab. Das kann ich dir sagen, nie ist mir im Leben ein Wort so
schwer geworden wie jenes, aber es war als ob Gott selbst mich dazu triebe, und ihm kann
Niemand widersteh'n. Danken wir ihm, daß er Alles so gelenkt hat, und du dank' ihm
besonders dadurch, daß du
Und zu ihrem Andenken, sagte jetzt des alten Leuenbauers Frau, wollen wir, wenn der Tisch abgeräumt ist,den schönen Psalm mit einander lesen, den ste damals vor zehn Jahren uns so feierlich vorlas; mir ist's, als wär's erst gestern gewesen.
Alle freuten sich des Vorschlages. Unter vielen Erinnerungen an die sel. Großmutter
verging die liebe Kaffeestunde; flink half das kleine Anneli der Base beim Abräumen des
Tisches; dann holte Melcher die alte Familienbibel vom Gesims, schlug drin den 103. Psalm
auf und legte sie vor seine Mutter hin; die Kinder rund um den Tisch bis auf's kleinste
falteten ihre Händchen, wie ste's gewohnt waren, wenn jenes Buch auf den Tisch kam.Der
Abendsonne letzte Strahlen spielten freundlich an der