Das Bergdorf: ELTeC Ausgabe Bosshart, Jakob (1862-1924) ELTeC conversion Automatic Script 216 42646

2022-01-11

Transcription UB Basel Scan UB Basel Das Bergdorf Bosshart, Jakob H. Haessel Leipzig 1900

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Erzählung

300n

Jakob Boßhart.

C

Leipzig,Verlag von H. Haessel.1900. SöV 8 * 2*2 *A Bbass

*768 40 F,⏑ 4.s war am Abend vor Weihnachten, da man zählte 1787.L Das ganze Gebirgsland lag im Schneeglanz, so rein und leuchtend, als wäre es frisch vom Himmel gekommen,eine Stätte, würdig das Heil der Menschen zu empfangen.Dunkel in der blendenden Landschaft waren nur die trotzigen Felswände, die gen Mittag- wie ungeheure Ruinen in den Himmel ragten, und an deren ungastlichen Hängen die Flocken keine Ruhstatt gefunden hatten; dunkel die Tannen- und Lärchenwälder, die in den Schrunden, da und dort auch zaghaft an den Felsen emporkletterten. Die sonnverbrannten Holzhütten aber, die im Thalgrund und an den Halden zersprengt waren, sah man kaum, sie waren fast ganz in den Schnee gesunken. Einige Scheiben warfen die Strahlen der Sonne funkelnd zurück, nach den gegenüberliegenden Felswänden, gleich Büscheln von glühenden Lanzen.Wie aus Stahl geschmiedet schlug oben der Himmel sein schmales Gewölbe fleckenlos über das Thal, von einer der zackigen Bergketten zur andern. Es war drei

1* Uhr, und schon sank die Sonne blitzend hinab; im Thal wurden die Schatten munter, die Vorreiter der Nacht,und vertrieben langsam aber rastlos den Sonnenglanz von den Halden und Felsen, setzten kühn über die Schluchten weg und schreckten auch vor dem drohendsten Turm nicht zurück. Von der schartigen Bergkante, die das Sonnenlicht wie eine Säge abschnitt, schwebten leuchtende aus feinem Nebel gewobene Bänder fächerförmig durch die Luft, in den Tiefen des Himmels verschwimmend, wie Lichtbrücken zu schauen, auf denen der Weihnachtsfrieden in das Thal steigen konnte, hinab zu dem Dörfchen Rötschweiler und seinen einfachen Bewohnern.

Rötschweiler freilich schien den Frieden nicht mehr zu bedürfen; es lag da vom Winterschlaf erfaßt, geduldig dem Lenze zuträumend, wie die Blütenkeime unter der Schneekruste. Nur der Rauch, der aus einigen Hütten stieg, sich in die Höhe wand und oben zerfloß,ließ ahnen, daß der Schnee nicht alles Feuer und Leben im Thal ausgelöscht hatte.

Jetzt knarrt auch eine Thüre. Aus einem Häuschen,das einige Minuten über dem Dörfchen an der Halde kauert, tritt ein Mädchen, schlank und hoch und fast noch ein Kind. Sein Mieder ist weißer als der Schnee;das Haar aber, das die Stirne umrahmt und in schweren Flechten um das Haupt sich windet, ist dunkel wie ein Stück Nacht, und braun wie reife Kastanien glänzen die Augen unter den schwarzen Bogen der Brauen. Das Mädchen schreitet durch den Hohlweg, den man vor der Hausthüre hat in den Schnee hauen müssen, um die Hütte nicht zu einem Kerker werden zu lassen, und guckt in die Höhe, nicht nach den Nebelbrücken oder den feurigen Scheidestrahlen der Sonne: ihr Blick verläßt die Erde nicht, denn ihr Herz hängt an etwas Irdischem.

Wie sie auch blickt, nichts regt sich an der Halde,als ein paar Alpenkrähen, die lautlosen Fluges dem Dorfe zustreben, vom Hunger getrieben; da holt das Mädchen eine Schaufel aus dem Hause und fängt an,den Hohlweg zu weiten, sich einredend, die nutzlose Arbeit habe ihren guten Zweck: „Wir bekommen heute Nacht Besuch, die Gäste sollen's am Zugang merken, wie wert sie sind.“ Jedesmal, wenn es eine Schaufel voll Schnee über die weißen Wälle wirft, die sich links und rechts türmen, schwenken die Blicke ab, der Höhe zu, in ungeduldiger Erwartung. Endlich erblicken sie, was sie suchen. Auf des Mädchens Wangen fliegt die Freude,es tritt etwas vor, um recht sichtbar zu werden, und emsiger als vorher rührt sich die Schaufel und fliegt der Schnee. Oben an der Halde aber schwebt ein dunkler Fleck und wächst und fährt herab auf der weißen Fläche, schnell wie ein Lawinensturz. Es ist ein mit Heu beladener Schlitten; vorn zwischen den aufragenden Kufen sitzt ein stämmiger Jüngling, mit Füßen und Armen das tolle Gefährt lenkend und, wo ein Steinblock aus dem Schnee sticht oder ein Baum oder eine Hütte ragt, am Tod vorüber rasend.

„Guten Abend, Jenny!“, ruft er, wie der Schlitten an der Hütte vorbei in den „Grund“ hinab saust. Schon ist er weit, als sie seinen Gruß erwidern kann: „Guten Abend, Marcel!“ Der Wunsch: „Stoß' an keinen Baum,an kein Haus an!“ fliegt ihm nach, aber schon ist er unten, wo der Boden flach wird, stemmt wuchtig die Hacken gegen den Schnee, so daß dieser aufspritzt und Mann und Heu überzuckert, der Schlitten seine Wut mäßigt und endlich stille steht.

Jenny arbeitete noch eine Weile an ihrem Hohlweg weiter; sie hatte ihren Vater am Fenster erblickt und mußte den Schein wahren: er durfte nicht merken, daß sie dem nun auflauerte, über den sie bis vor wenig Wochen manches harte Wort hatte fallen lassen, mit dem sie sich auf dem Tanzplatz nicht Ein Mal hätte drehen mögen. Wie sie mit ihrer Schaufel gegen den Schnee eiferte und es nicht halb so feindselig meinte, schritten Marcels Knechte von der Höhe herab, mit Heugabeln auf den Schultern wie im Hochsommer, aber mit warmen Pelzkappen und Handschuhen versehen, denn es war ein bärbeißiger Winter jenes Jahr. Die beiden kamen ihr erwünscht.Es war ein seltsames Paar, diese Knechte; die Rötschweiler nannten sie in ihrer derben Weise die „verliebten Kälber“. Sie waren fast gleichalterig und standen seit ihren Knabenjahren im Dienste des alten Roux, Marcels Vater, sich zur Familie, oder doch zum Hause zählend,ein besseres Dasein träumend, und im Grunde doch mit ihrer Lage und der Weltordnung zufrieden. Lorenz, der eine, war ein großgewachsener Bursche; da er aber schlaffen Geistes war, fehlte es seinen Gliedmaßen an Spannkraft und Halt: die Arme schlenkerten an den Schultern, wie die Hemdärmel aufgehängter Wäsche im Wind; daß die Knie nicht bloß zum Beugen, sondern auch zum Strecken und Aufrichten da sind, daß der Kopf weniger zum Hängenlassen, als vielmehr zum Recken so beweglich ist, wußte er nicht. Sein Kamerad Joachim war nicht stärkeren, wohl aber regeren Körpers und Geistes; er war gedrungen gebaut und trug den Kopf hoch, wie ein Halm eine taube Ähre; er sprach, im Gegensatz zu dem anderen, viel und laut, rühmte sich gerne seiner Thaten und meinte zur Arbeit ausnehmend tauglich zu sein. Thatsache ist, daß er das Vieh trefflich besorgte und ihm die Liebe zuwendete, von der die Mädchen nichts wissen wollten. Zu seinem Leidwesen hatte ihm die Natur ein recht mangelhaftes Gangwerk mit auf den Lebensweg gegeben: von Geburt an war sein linkes Bein zerbogen und strebte im Knie gar unschicklich nach außen, so daß es schien, er wandle auf einem mißratenen K einher.

Obschon die beiden arm waren wie eine Krähe im Schnee und nie ernstlich daran dachten, einen eigenen Herd aufzurichten, waren sie doch menschlich genug, die Sehnsucht nach einem Weibchen zu empfinden; ja, seit einiger Zeit machte dieses Verlangen ihr ganzes bescheidenes Seelenleben aus, verfolgte sie tagsüber bei der Arbeit und nachts in den Träumen, schaute ihnen aus den meisterlosen Augen und drang ihnen so vorlaut auf die Lippen, daß sich bald das ganze Dorf über die „verliebten Kälber“ lustig machte. Sie merkten zuweilen den Hohn, wurden aber dadurch in ihrer Narrheit nur noch bestärkt; denn je schwächer sich die Natur fühlt,desto größer ist ihre Lüsternheit, und das Unmögliche ist allezeit begehrenswerter als das Erlangbare. Zudem schürten die beiden die armseligen Flämmchen in ihrer Brust, indem sie sich nachts im Kämmerlein ihre Heiratspläne, an die sie nimmer glaubten, mitteilten. Während Lorenz sich bis jetzt gehütet hatte, sein Herz einer Einzigen auf immerdar zu weihen, und, wie es seinem Charakter entsprach, unschlüssig zwischen einem Dutzend Mädchen hin und herpendelte, hatte Joachim die Würdigste längst herausgefunden: es war keine häßlichere als Jenny Jaquot. Die gefiel nun freilich dem andern auch, und als ihm Joachim seine Heimlichkeit anvertraute, zwickten ihn anfänglich Neid und Eifersucht: er kämpfte aber diese unlöblichen Gefühle zu Boden und verzichtete zu Gunsten des Kameraden auf alle Ansprüche.

Als die beiden über den Schnee daherkamen und Jenny vor der Hütte sahen, hüpfte ihnen das Herz im Leib; der eine ließ sich beim Schreiten noch tiefer in die Knie sinken als sonst, um sich Würde zu verleihen;der andere mühte sich ab, sein krummes Bein hinter dem geraden zu verbergen, was er durch eine Art Nachstellgang zu erreichen suchte. So kamen die lächelnden Gesichter und die zwei gefallsüchtigen Beinpaare auf Jenny zu, die den verliebten Burschen gerne zugerufen hätte: „Spart doch die Mühe! Wollt ihr etwas Rechtes machen, so zieht Weiberröcke über eure Narrenbeine!“

Aber sie zügelte die lockere Zunge und fing an,freundlich mit ihnen zu plaudern, über die Arbeit und das Winterleben. Die Knechte gaben lächelnd Antwort,meistens beide zugleich und hefteten erstaunte Blicke auf das Mädchen, als wäre es vom Himmel gekommen.

„Was fangt ihr heut' abend an?“ forschte sie endlich. „Was fangen wir an?“ fragte Lorenz seinen Gefährten.

Joachim wollte witzig sein, stützte seine Backe auf die Hand und fing an zu schnarchen, was Lorenz ungemein lustig dünkte.

„Wenn ihr nichts Besseres zu thun wißt, so kommt zu uns; ihr werdet noch andere Leute antreffen, und wenn euer Meister wieder einmal nach Gabriel sehen würde, wäre das uns allen eine Freude: seit dem Ungückstag hat er ihn kaum dreimal gegrüßt! Aber ihr braucht ihm das nicht zu sagen; ihr sagt ihm einfach,es werde bei Jaquots gewacht, dem Gabriel zu lieb, der das Bett hüte, und ich hätte euch geladen. Wollt ihr kommen?“„Ja, wir kommen freilich! Warum sollten wir nicht kommen?“„So geht jetzt und vergeßt es nicht.“ Und sie gingen davon in ihrem Glück, der eine zwar mit etwas Unwillen im Herzen, auf ein so herrliches Mädchen freiwillig verzichtet zu haben; denn die zehn oder elf andern,die ihm zur Auswahl blieben, erschienen ihm jetzt wie ein Werktagsgewand neben einem Sonntagskleid.

Jenny trat ins Haus, nahm ihr Strickzeug und setzte sich ans Bett ihres Bruders, um ihm die lange Zeit zu vertreiben. Der Vater Jaquot saß vor dem großen Ofen; das Haupt war ihm auf die Brust gesunken und er musizierte durch die Nase in allen Tonarten. Seine Kinder lächelten sich zu bei der unerquicklichen Musik, gönnten ihm aber sein Behagen gerne und auch die Ruh, denn er hatte seine Hände genug gerührt in seinem Leben, und kam der Sommer wieder in die Berge, hörte das Träumen und Musizieren auf der Ofenbank von selber auf.

„Es ist ein Schlitten in den, Grund gefahren,“ sagte Gabriel nach einer Weile, „wer war es?“

„Marcel,“ antwortete Jenny kurz und scheinbar gleichgültig.

„Hast du ihm gesagt, er solle heute abend heraufsteigen?“„Wie konnte ich? Du weißt ja, daß ein Schlitten keine Schneckenpost ist, die bei jedem Krautstock anhält!“

.So etwas kann man einem doch zurufen! Aber du bist ihm eben gram.“

Jenny errötete und sagte nichts; ihre Stricknadeln aber, die sonst hübsch nebeneinander vorbeikamen, schlugen sich lustig klingelnd an, wie ein paar Narrenglöcklein. Gabriel fiel der Klingklang auf und er drehte den Kopf nach der neuen Musik. „Was ist in dein Strickzeug gefahren?“

Sie, statt zu antworten, erhob sich, legte den unfertigen Strumpf auf das Fenstersims und schritt der Küche zu. Ihre Schritte weckten den Vater Jaquot,der sich Stirne und Augen rieb, die Zipfelmütze zurecht rückte und gähnend in den Stall hinaus latschte, wo ihn das Vieh mit seinem hungrigen Gebrüll völlig weckte.

Als draußen die Nacht aus der Erde gestiegen war und drinnen in der Küche das Feuer auf dem Herde flackerte und knisterte und übermütig an den Kessel und nebenaus in die Luft schlug, da meinte Jenny, die rechte Zeit sei nun da, um ein Geschäft zu besorgen, an das sie tagsüber mehr als einmal gedacht hatte. Sie ging rückwärts nach der Ecke, in welcher Reisigbündel aufgeschichtet waren, griff tastend in das Holz und zog heraus, was ihr gerade in die Finger kam. So thun am Weihnachtsabend alle heirats- oder liebelustigen Mädchen zu Rötschweiler, denn dieses ist ihr Glaube: wie der Stecken, den du ziehst, aussieht, so wird der Jüngling beschaffen sein, der am Neujahrstag dich zum Tanze führt.Die Rötschweiler fangen nämlich das Jahr mit Festen und Lustbarkeit an: drei Tage und drei Nächte wird in der ‚Tanne‘ getanzt und gejubelt und geworben, mehr als anderswo in einem Jahr: in den Bergen müssen sich eben die Herzen im Winter finden, der Sommer zerstreut das Hirtenvölklein auf die Alpen, schiebt Berge und Schluchten und Flühen zwischen die Herzen und zerreißt Fäden, die nicht ganz stark gesponnen sind.Dieses Winter- und Herzensfest wird „Schryßeten“genannt.

Als Jenny das Reis aus dem Holzstoß gezogen hatte, hielt sie es noch eine Weile zögernd hinter dem Rücken; endlich wagte sie doch, nach dem Dinge zu gucken.Erst erschrak sie, dann aber mußte sie lachen: der Stecken war krumm und verwachsen, wie ein Hexenast und flog,von flinker Hand geworfen, ins Feuer.

.Du siehst ja aus wie Joachim, als er sich heute verdrehte und krümmte und wand, um sein Hakenbein zu verbergen: tritt mir nie mehr unter die Augen,Joachimchen!“ So lachte sie und sah, mit dem Finger drohend, nach dem Bengelchen, über das sich schon die Flammen hermachten.

Nach einer Weile warf sie den Kopf zurück und sagte: „Ei was! das hat gar nicht gegolten, das war nur zum Probieren! Ich versuche mein Glück noch einmal! Jetzt aber ist's Ernst.“

Der letzte Satz war gesprochen, als gelte er einem irgendwo in der Küche versteckten Geiste.

Wieder schritt Jenny rückwärts zum Holzhaufen.Diesmal waren die Finger vorsichtiger als zuvor: sie betupften das Ende des Steckens, um am Schnitte zu fühlen, wie er sonst etwa möchte beschaffen sein, und wanderten tastend von einem zum andern. Endlich griffen sie zu. Die Wahl war besser ausgefallen, aber Jenny schüttelte nach einiger Zeit doch den Kopf und sagte für sich: „Nein, das ist immer noch nicht der Rechte! Gerade wie ein Pfeilschuß ist er nicht, soll er nicht sein,gerad wie ein Pfeilschuß ist kein rechter Älpler: Gerad und doch etwas geneigt, stark und aufrecht und doch nicht zu stolz, so möchte ich ihn! Wie dieser Bengel da ist Lucien Camard, der Soldat, und dem habe ich schon zu verstehen gegeben, daß ich seinesgleichen nicht leiden mag!“Und sie warf den zweiten Stecken dem ersten nach in die Glut.„Nun ich das Ding so unrecht angestellt habe, darf ich es schon ein drittes Mal versuchen, aller guten Dinge sind dreil Vorher war's Ernst, jetzt sei's heiliger Ernst!“Und wieder näherte sie sich dem Holze. Diesmal tastete sie nicht, sondern griff zu, ehrlich und ohne List.

„Ja, so soll er sein!“ rief sie fröhlich, wie sie das Stück Holz musterte, „stark und doch nicht frech, nicht allzu frech, einer der weiß, daß der Himmel der Himmel und die Erde die Erde ist, und daß es auch dem Stärksten wohl ansteht, hienieden etwas geneigt einherzugehen.“„Aber ist Marcel auch so?“ Nein, so wünschte sie ihn nur; zu ihrem Kreuz hatte er Eigenschaften, die sie ungern an ihm sah. Wohl stolzierte er nicht einher wie Lucien, der Soldat: sein Nacken war etwas gebeugt,grad so viel, daß man's merken konnte, aber das that nicht die Demut, sondern das Tragen von Lasten bergauf und bergab, das er von Jugend an hatte üben müssen.Seit er in der Fremde gewesen, wo er, wie der alte Roux sich ausdrückte, die Viehwissenschaft holen sollte,war ein hochfahrendes Wesen über ihn gekommen, das in dem engen Gebirgsthal, wo der Herrgott und die Berge die Höchsten sind, nicht an seinem Platze war.Aber noch schlimmer als das, war sein Betragen den ledigen Mädchen gegenüber. Da er ein schöner und starker Bursche war, und sein Vater die meisten Kühe in Rötschweiler besaß, schielten alle Mädchen nach ihm und er machte sich das zu Nutzen, erwiderte ihre Blicke mit noch freundlicheren und den Druck ihrer Hände mit einem Gegendruck, und bald glaubten alle, er wolle sie in das stattliche Haus unten am Flusse heimführen.Aber wenn eine meinte, sie habe ihn zwischen den Händen und könne ihn mit einem Zwirne oder einer Schürzenschnur festhalten, da entwischte er ihr wie ein Aal aus den Fingern und sie hatte das Nachsehen und den Gram.Darum hatte ihn Jenny so gehaßt, nicht etwa weil er mit ihr gespielt hätte, sondern weil sie sein Treiben andern gegenüber wahrgenommen, und weil eines Tages 16 ein unbestimmtes Gerücht ins Thal gedrungen war, er habe in der Fremde ein Mädchen geliebt und dann verlassen und vergessen.

Und jetzt war sie selber so eine Närrin, die meinte,einen Aal fangen zu können. Sie fühlte, wie schlimm es um ihre Liebe stand und war selig und unselig im nämlichen Atemzug; aber wie sie es auch anstellte, das süßbange Gefühl zu vertreiben, es blieb drin in ihrer Brust und erstarkte, je mehr sie dagegen stritt.

Auch jetzt ging es ihr so. Einen Augenblick hatte sie gute Lust, den Stecken, der Marcel vorstellte, dem Feuertode zu weihen; aber sie unterließ es und legte ihn sorglich oben auf den Küchenschrank, nicht allzuweit zurück, so daß er etwas hervorragte und sie am Herde nur den Kopf leicht zu drehen brauchte, um ihn zu sehen.

Gegen 8 Uhr hörte man Stimmen vor dem Hause,das waren die Nachbarn, die zu Besuch kamen. Jenny öffnete ihnen die Thüre und führte sie freundlich in die Stube. Die Alten ließen sich in der Nähe des Ofens nieder, die Jungen um den Tisch, und alle machten sich etwas zu schaffen: die Frauen und Mädchen mit ihrem Strickzeug, die Männer mit ihren Pfeifen.

Das Gespräch wandte sich zuerst an Gabriel, Jennys Bruder, der wie angeschmiedet in seinem Bette lag.

Daß er beim Heuschlitten verunglückt war, wußte man;den meisten war auch bekannt, daß ihn Marcel aus einer Schlucht herausholte, als er bei der fürchterlichen Kälte schon eingeschlafen und dem Tode durch Erfrieren nahe war. Um die Teilnahme an seinem Mißgeschick zu bezeugen, wollte man nun Genaueres wissen und Gabriel mußte alles haarklein berichten.

Es war vor drei Wochen. Der erste Schnee war gleich so reichlich gefallen und schon nach ein paar Tagen so hart gefroren, daß man aus allen Häusern die Schlitten zog, um bei der günstigen Witterung das in den Alphütten untergebrachte Heu in den „Grund“ hinabzufahren.Gabriel that wie die andern. Als er zum zweiten Mal die Thalfahrt unternahm, sauste er an einen Felsen, der verstohlen aus dem Schnee schaute: sein rechtes Bein knackte und war kraftlos. Der Schlitten, sein eigener Meister geworden, fuhr, von dem Stein abgelenkt, in eine Schlucht hinab, im Laufe glücklicherweise den Fuhrmann abwerfend, der sonst unten beim Aufprall zermalmt worden wäre.

Die Wucht des Gefährtes warf Gabriel gegen eine tief im Schnee steckende Wettertanne, deren halb vergrabene Äste ihn aufhielten und vor einem halsbrechenden Sturze bewahrten. Stundenlang lag er auf dem eisigen Schnee in der beißenden Luft, ohne sich rühren zu können,

Das Beragdorf. 2 denn er hatte an der Tanne auch noch an einer Schulter Schaden genommen. Seine Hilferufe klangen schauerlich in der engen Schlucht, fingen sich darin und drangen zu keinem menschlichen Ohr. Die Kälte rüttelte ihn erst und durchschauerte ihn dann mit ihrem einschläfernden Hauch bis ins Mark der Knochen.

Allmählich füllte die Dämmerung die Schlucht und die Wipfel der Tannen verschwammen ineinander. Da kamen in großen Scharen Krähen dahergeflogen, Herberge suchend, gespenstig, mit ächzendem, langsamem Flügelschlag, als wären ihnen die Schwingen halb eingefroren. Über der Tanne, unter der Gabriel lag,brachen sie in ein unheimliches Gekrächze aus, gute Wintertage witternd. Noch einmal wollte sich der Verunglückte aufraffen, von dem Geschrei der Vögel zu Tode geängstigt, aber er vermochte kein Glied zu rühren. Da ließ er es geschehen und schlief ein.

Als Gabriel länger als gewöhnlich säumte und sein Schlitten immer noch nicht in der Höhe erschien, ahnten Vater und Schwester Unglück. Leute stiegen mit ihnen in der Dämmerung in den Berg hinauf, machten aber nach einiger Zeit Miene, das Suchen und Tasten auf den folgenden Tag zu verschieben, erklärend,Gabriel müsse in einen der Abgründe gestürzt sein,in die man beim Laternenschein nicht steigen könne,ohne mit jedem Schritt das eigene Leben aufs Spiel zu setzen.Jenny flehte sie an, das Rettungswerk noch nicht aufzugeben; da stiegen sie noch eine Weile an den Abhängen auf und ab, bald sah man aber eine Laterne nach der andern der Tiefe und dem Dorf zustreben: die Männer hielten Gabriel für verloren. Nur einer nicht:Marcel. Er machte sich nochmals ans Werk und suchte nach Spuren im Schnee. Gegen 8 Uhr stieg der Mond über die weißen Häupter der Berge und kam dem Suchenden zu Hilfe. Wirklich fand er Heu, das auf dem Schnee zerstreut war und ihm die Spur in die Schlucht hinab wies, und zwei Stunden später konnte er unten im Thal Jaquots Hausthüre aufstoßen und der weinenden Schwester und dem geknickten Vater zurufen: „Ich habe ihn euch wieder!“ Auf seinen Armen trug er ihn herein.

Marcel hatte ein schweres Stück Arbeit verrichtet.

„Wie ein Roß hat er sich geschunden!“ so erzählte Gabriel. „Als ich unter meiner Tanue erwachte, da kniete er neben mir und rieb mir Gesicht und Hände mit Schnee, hob mich dann auf seinen Rücken und strebte bergan, die Schuhe wie Eisenkeile in den harten Schnee schlagend und mich dabei so sanft haltend, daß ich nicht mehr gerüttelt wurde, als hier im Bette. An einer Stelle freilich war der Abhang so jäh, daß er mich niederlegen mußte, um vorerst Stapfen zu schlagen. Nun hob er mich wieder auf, nicht auf den Rücken, denn so hätte ich ihn aus dem Gleichgewicht gezogen, nein, auf den Armen vor der Brust trug er mich die steile Wand empor, wie eine Mutter ihr Kind trägt. Manchmal brach eine Stapfe zusammen, aber er stand auf dem einen Fuß so sicher, wie sonst einer auf zweien: er ist ein Riese an Kraft!“

„Ja,“ sagte Vater Jaquot, „seit den Zeiten des starken Batschi, von dem man erzählt, er habe von Abgeworfen, gab es keinen wie Marcel in diesen Gebirgen.“

„Und wie er hereinkam an jenem Abend und Gabriel auf die Bank legte, ich mußte laut aufschreien und häätte ihm die Knie umfassen mögen!“ sagte Jenny. Eins aber verschwieg sie, nämlich, daß sie sich dem Gefühl,das ihr damals ins Herz brach, gewaltig und blendend,wie ein Somenstrahl ins Auge, daß sie sich der Liebe zu Marcel willenlos beugte und ihre Gedanken ihr seither beständig aus dem Haus entwischten und in den „Grund“ hinabflogen, ihm zu.

„Gestern Nacht habe ich von ihm geträumt,“ hob

*)Eine Gebirgskette.Gabriel wieder an. „Es war ein seltsamer Traum.Ich lag im Bette, da ging die Thüre auf und herein trat ein Werber der Herren von Bern. Er müsse mich haben, sagte er, ich solle aufstehen, er habe den Soldatenrock gleich mitgebracht. Da zeigte ich ihm meinen Fuß;er begriff und machte ein bedenkliches Gesicht. Sich umsehend, gewahrte er Marcel, der unter der Thüre stand, breit und hoch. Sein Auge blitzte auf: ‚„So nehme ich auch den da mit, der soll den Krüppel tragen,er hat Arme und Beine für zwei.“ Und Marcel, ohne ein Wort zu sagen, trat heran und nahm Handgeld.“

„Rede nicht so!“ rief Jenny, „man soll böse Dinge nicht rufen!“ Sie hatte das so laut und eindringlich gesagt, wie die Liebe und der Schrecken es ihr eingaben, und alle sahen, nach ihr. „Wer wird sich um einen Traum ängstigen!“ sagte man und lachte sie aus.

Da ertönte die dünne Stimme der alten Magdalena:„Es giebt Träume und Träume.“Man horchte auf, denn die Alte hatte einen seltsamen Ruf in Rötschweiler, man glaubte, sie wisse mehr als andere Leute. Wie alle Augen nach ihr gerichtet waren,fragte sie Gabriel lächelnd:

„Wann hattest du den Traum? am dem Erwachen?“

„Nein, es mochte Mitternacht sein.“

„Mitternacht? So? Bist du darob erwacht?“ „Nein.“

„Und hattest am Morgen nichts davon vergessen, es war dir noch alles klar und hell?“

„Es ist mir auch jetzt noch, ich sehe die beiden:den Werber am Bett, mit seinem Schnurrbart und dem flachsfarbenen Zopfe im Nacken, Marcel unter der Thüre,die ihm fast zu schmal war.“

„Es war ein Wahrtraum,“ schloß die alte Magdalena.„Was? ein Wahrtraum!“ rief Jenny. „Wer wird euch das glauben, Magdalena! Marcel wird sich hüten,Handgeld zu nehmen! Ist es ihm etwa nicht wohl genug zu Haus? Und einem Werber wird es kaum einfallen,meinen Bruder aus dem Bette zu holen! Das ist ein seltsamer Wahrtraum!“

„Für Wahrträume giebt's keine Schlagbäume!“ sagte die Alte immer lächelnd.

„Ich halte es mit meiner Schwester: Marcel und ich werden keine Soldatenröcke anziehen.“

„Ich rede nicht von dir, bei ihm aber würde es mich nicht wundern; er hat nicht die Art, die immer auf rechtschaffenen Wegen wandelt: Weber Übermut webt kein langes Tuch!“

„Er ist kein schlechter Mensch! eiferte Jenny, und Gabriel unterstützte sie: „Denkt über ihn, wie ihr wollt,ich lasse nichts auf ihn fallen: kein anderer hätte für mich gethan, was er that.“

„Dich begreife ich, Gabriel, aber die Mädchen verstehe ich nicht! Weil Marcels Vater dreißig Kühe im Stall hat, meint jedes, es tauge absonderlich dazu, sie zu melken.“

„Meint ihr damit auch meine Schwester, so seid ihr auf einen Holzweg geraten! Von ihr habe ich bis heute noch kein freundliches Wort über Marcel vernommen.“„Wie pflegt man zu sagen, Gabriel? Mädchenhaß,Bubenspaß! Ich sah schon manches Kätzlein, das die Krallen herausstreckte und es doch nicht schlimm meinte.“

Jenny fühlte, daß die Alte ihre Liebe erraten hatte,die Röte fuhr ihr ins Gesicht und die Adern pochten in den Schläfen. „Was hab' ich euch zu Leide gethan,Magdalena?“ sagte sie scharf.

„Nichts, Kind, nichts! Aber sag', seit wann hast du so rote Backen und so flackernde Augen? Ha, ha, ha!“

Die Blicke, die sich von allen Seiten auf Jenny hefteten, schmerzten sie wie Nadelstiche, sie hätte sich am liebsten verkrochen und den Thränen freien Lauf gelassen, aber sie lernte in diesem Augenblicke, daß man in dieser Welt klüglich lacht, wenn es einem am besten ums Weinen ist, und sie sagte scheinbar heiter: „Ich verstehe euer Gerede nicht, Magdalena!“ Und zu den jungen Leuten gewandt: „Sonst war's Brauch, an diesem Abend zu spielen; wollen wir's heuer anders halten?“„Wir suchen den Schuh,“ rief einer der Burschen.Alle waren es zufrieden. Schon hatten sich einige auf den Fußboden gesetzt, als die Thür aufging und Marcel mit seinen beiden Knechten über die Schwelle trat.

„Wer zuletzt kommt, sucht den Schuh!“ rief man ihnen entgegen. „Es sei!“ sagte Marcel, gab Jung und Alt die Hand und verweilte einige Zeit am Bette Gabriels.Die Mädchen und Burschen setzten sich unterdessen auf den Boden, durcheinander, wie es sich traf, einen lückenlosen Kreis bildend und die Füße etwas anziehend,so daß unter den Knien hindurch ein unsichtbarer Gang lief. In diesem wanderte ein Schuh von Hand zu Hand, und Marcel, der allein außer dem Kreise stand,mußte danach trachten, ihn zu erhaschen. Von Zeit zu Zeit wurde der Schuh, um den Suchenden zu reizen,für einen Augenblick sichtbar und kräftig auf den Boden geschlagen, verschwand aber gleich wieder und setzte seine Wanderung fort wie ein Maulwurf im Boden.

Marcel ging bedächtig zu Werke, machte wenig Schritte, aber achtete um so schärfer auf die kaum bemerkbaren Bewegungen der Arme und der Knie, an denen er den Weg, den der Schuh nahm, erriet. Plötz-lich schossen seine Hände wie Stoßvögel herab, griffen in den Gang und zogen den Schuh unter allgemeiner Heiterkeit hervor. Es war Joachim, der Knecht, der ihn so schlecht behütet und der nun seinen Platz Marcel einräumen und dessen Rolle außerhalb des Kreises übernehmen mußte. Das ward ihm sauer. Denn es war ihm gelungen, ein Plätzchen neben Jenny zu erobern,und er hatte eben so selige Augenblicke genossen, daß er, wie es schon manchem ergangen ist, vor lauter Wonne vergaß, über das unbeständige Glück zu wachen. War man wirklich so grausam, ihn von seinem süßen Plätzchen zu vertreiben? Er warf einen flehentlichen Blick nach seinem Meister; der aber griff ihm unter die Arme und hob ihn wie ein Kind in die Höhe.

Nun saß Marcel an Jennys Seite. „Ist es Zufall? Hat er es so gewollt?“ so fragte sie sich. Der Schuh kam in ihre Hände, sie schob ihn ihm zu, und ihre Finger berührten die seinigen einen Augenblick.Marcel, statt den Schuh in der gleichen Richtung weiter zu geben, behielt ihn ein Weilchen und reichte ihn dann Jenny wieder, und sie, in der Willenlosigkeit ihrer Liebe,ahmte seinen Kniff nach. So ging der Schuh ein paar Mal zwischen den beiden her und hin, und jedesmal streiften sich die Hände, und zuweilen berührten sich auch die Arme, und Jenny war glücklich. „Er liebt mich, sonst hätte er das Spiel nicht so gewendet,“ sagte sie sich. Aber bald wurde dieser wonnige Gedanke verscheucht durch den andern: „Hätte er es nicht mit jeder andern auch so getrieben? Man kennt ihn ja!“Als er den Schuh nun wieder in ihre Hände lieferte,gab sie ihn ihrem Nachbar auf der andern Seite, sich auf ihren Mädchenstolz besinnend.

Unterdessen belustigte Joachim die Gesellschaft durch sein täppisches Wesen, und er, seine Linkheit für Witz haltend, übertrieb sie noch und that einfältiger, als er war. Unglücklich fühlte er sich bei dem vergeblichen Mühen keineswegs, denn er hatte genug natürliche Schlauheit, um herauszufinden, daß es ihm niemand verargen könne, wenn ihn sein Suchen häufiger in Jennys Nähe führe, als anderswohin. Es war ihm deshalb fast unlieb, als Lorenz, der sich für flinker hielt,ihm aus Erbarmen endlich den Schuh auslieferte.

So ging das Spiel seinen lustigen Gang. Oben lachten die Augen und Backen und gingen die Zungen;unten liebelten wohl ein paar Finger in Züchten miteinander und vielleicht fügten sich zwei Hände fürs ganze Leben zusammen. Auch die Alten hatten ihre Kurzweil und ihr Behagen an dem lauten Treiben; die Weiber legten die Hände mit dem Strickzeug in den Schoß, die Männer vergaßen zuweilen an ihren Pfeifen zu ziehen und verzogen die Backen zu einem Lachen.Dem einen oder andern mochten freundliche Erinnerungen aus alten Tagen in den Sinn kommen, die sich nun in den ergrauten Köpfen seltsam genug ausnahmen,wie ein halbvergessenes Märchen, das dem Kinde einst lieb war.

Ein Schrei unterbrach das Spiel. Jenny hatte ihn ausgestoßen. Sie sprang auf und schüttelte ihre linke Hand. Jedermann erriet: Marcel hatte ihre Finger in seine gewaltige Pranke gefaßt und, seiner Riesenkraft uneingedenk, sie so fest gedrückt, daß Jenny den Schmerz nicht zu bemeistern vermochte.

„Das ist garstig!“ schrie sie ihn an. Er antwortete lachend, als hätte alles seine Ordnung: er habe gemeint, er halte den Schuh in den Händen, er habe eben kein gar feines Gefühl in den Fingern.

Er sagte das so trocken und harmlos, daß jedermann lachte, und mehr als eine Hand den Mut fand, in dem dunkeln Gang auf Abenteuer auszugehen, um auch ein so seltsames Schuhwerk einzufangen.

Jenny wollte sich nicht mehr in den Kreis setzen,Marcels Kühnheit hatte sie verletzt, und doch war sie ihm darum nicht minder gut, das fühlte sie wohl. Sie begab sich in die Küche und erschien bald darauf mit Gerstenbrot und mit einer Schale, die mit braunem Safte gefüllt war;: den hatte sie selber aus Kirschen,Zucker, Zimt und Nelken bereitet und meinte, er sei ihr wohl geraten.Die jungen Leute erhoben sich vom Boden und setzten sich zu den Alten an den Tisch, um sich die einfache Mahlzeit schmecken zu lassen. Es fiel bei dem Essen manches freundliche Wort für Jenny ab; Magdatena meinte, sie hätte so feinen Kirschensaft ihr Lebtag noch nicht auf der Zunge gehabt, und alle fanden das Brot gar frisch für die Jahreszeit. In Rötschweiler wird nämlich im Jahr nur zweimal gebacken, im Herbst und im Frühling, und das Brot, das die Form von Fladen hat, gilt so lange als frisch, als man es ohne Hammer oder Beil zerteilen kann; Jenny aber verstand es meisterlich, ihr Gebäck weich zu erhalten; wie sie es fertig brachte, blieb ihr Geheimnis.

Die Zeit verstrich unter munterem Geplauder. Als die Uhr an der Wand in gedämpftem Tone elf Schläge gehämmert hatte, erhob sich der Vater Jaquot, öffnete ein Kästchen, das an der Wand angebracht war, und zog eine schwere Bibel hervor, dazu einen Schlüssel,dessen Bart kreuzweis durchbrochen war. Denn nun galt es, einen Brauch zu üben, um dessentwillen man seit der Väter Zeit am Weihnachtsabend wachte: die Lebensprobe.

„Wer macht den Bund? Du, Magdalena?“ fragte Jaquot. Die Alte griff nach dem Schlüssel und musterte ihn. „Der Schlüssel taugt,“ sagte sie, „und nun gebt mir noch eine ungebrauchte Schnur, aus drei Teilen gedreht. Unterdessen suche ich den Spruch.“

„Jesus Sirach am 41sten!“ rief ein vorwitziges Mädchen.„Ja, Jesus Sirach am 41sten, der 4. Vers,“ wiederholte Magdalena, mit einem zurechtweisenden Blicke das vorlaute Mädchen streifend. Sie las die Stelle: „Fürchte dich nicht vor dem Urteil des Todes, gedenke derer, die vor dir gewesen sind und die nach dir kommen, das ist das Urteil des Herrn über alles Fleisch!“ Nun legte sie den Bart des Schlüssels auf den Spruch, band die Schnur, die man ihr reichte, kreuzweis um das Buch,so daß man das Ganze am Ring des Schlüssels emporheben konnte.

Sie stützte den Ring und damit den ganzen Bund auf den Nagel des rechten Daumens denn das ist ein heiliger Finger von Alters her und murmelte:„Gott und Vater, sage mir wahr,Mach' durch dein heilig Wort offenbar,Wie lang ich noch leben mag Jahr um Jahr!“Sie sollte nun zählen, und die Zahl, bis zu der sie gelangte, bevor ihr der Bund vom Daumen fiel, hätte ihr die Jahre angegeben, die ihr noch blieben. Aber ehe sie den Spruch ganz beendet hatte, drehte sich der Schlüssel, glitt vom Daumen herab und die Bibel fiel dumpf auf den Tisch. Einige fuhren bei dem Tone zusammen, als hätte der Tod mit dem Sichelheft an die Hausthüre gepocht.

.Ja nun,“ sagte die alte Magdelena, „einmal muß es gestorben sein, probiert ihr es nun, und möge keines mehr erschrecken als ich, wenn ihm die Bibel das Leben abdreht.“ Und sie lächelte, wie sie das sagte, und man wußte nicht, war es über den Tod oder über den alten Brauch.Einige meinten: „Vielleicht habt ihr nicht richtig gebunden, und der Teufel hat die Hand im Spiel.“

Sie aber erwiderte: „Nein, nein, es ist alles, wie es sein soll, ich könnt's im Schlaf.“ Eins verschwieg sie: daß sie seit vielen Jahren den Schlüssel absichtlich zu Fall brachte, um sich das Zählen zu ersparen; sie hielt nichts auf der Lebensprobe und machte sie nur mit, weil es so Brauch war, und sie immer ihren heimlichen Spaß daran hatte, die Gesichter zu mustern,wenn die Bibel auf den Tisch schlug, bevor sie zum Zählen gekommen war.Da Magdalenas Probe so unerbaulich ausgefallen war, griffen die übrigen etwas zögernd nach dem Bunde.Wenn sie auch, durch die Erfahrung belehrt, nicht eigentlich an die Probe glaubten, sondern sie mehr als Spiel betrachteten, so flößte ihnen doch das „heilige Wort“einige Scheu ein und ließ nur in ganz wenigen freie und freche Gedanken aufkommen. So kam es, daß manche das Ding zuerst auf dem Daumen der linken Hand probierten, bevor sie es allen Ernstes wagten.Den meisten geriet es wohl, den Alten besser als den Jungen, als liebte der Tod die unreife Saat mehr als die zeitige.Jenny war eine der letzten, die zu dem Bunde griffen. Kaum hatte sie das „Gott und Vater, sage mir wahr“ gesprochen, als ihr die Bibel auch schon das Leben abdrehte. Das war ihr nicht lieb, denn ungelegener als im nächsten Jahr, von dem sie so viel Liebes erwartete, hätte ihr der Tod nie kommen können.

„Ich versuche es noch einmal,“ sagte sie, „mich dünkt,ich habe den Schlüssel nicht auf den Nagel, sondern aufs Fleisch gesetzt.“Die andern protestierten: das gehe nicht, geprobt sei geprobt. Sie aber wollte ihren Willen durchsetzen. Da griff Marcel nach dem Bund und schloß ihn in das Wandkästchen ein. „Sei doch nicht närrisch, Jenny, wegen der Altweiberfaselei.“ Sie war aufgestanden. Er neigte sich zu ihrem Ohr und flüsterte: „Willst du was thun, so bete zum Himmel, daß er uns gleich lang leben lasse, mich und dich, und ...“

Sie verstand die letzten Worte nicht recht, denn die andern, ungehalten über sein Gebaren und, besonders die Frauen, verletzt durch seine Worte, wiesen ihn zurecht: man gehe mit dem heiligen Wort nicht um, wie mit einem alten Kalender, und über einen frommen Brauch spotte kein rechter Christenmensch.

Marcel machte sich nichts aus ihrem Tadel. „Ihr nennt's einen frommen Brauch! Narrheit ist's, höchstens dazu gut, ein einfältiges Gemüt zu quälen! Macht's wie ich und geht einmal in die Welt hinaus: man lacht euch ins Gesicht, wenn ihr von eurer Lebensprobe berichtet!“

„Die Welt draußen brauchen wir nicht zu fragen,wie wir's halten wollen, und nach dem, was du dort gelernt hast, gelüstet uns nicht,“ gab man zurück.

Ein herbes Wort gab das andere, und so nahm die „Weihnachtswache“ beim alten Jaquot ein unerquickliches Ende. Früher als sie es beabsichtigt hatten, schritten die Alten hinaus und ins Dörfchen hinab, über Marcel,ehe sie auseinandergingen, noch ein scharfes, wenn auch einsilbiges Urteil fällend.

Die Burschen waren unschlüssig, ob sie den andern folgen, oder noch aushalten sollten, als sich Marcel wieder setzte und ihnen zurief: „Kameraden, was wollt ihr euch die Freude verderben lassen: Jung und Alt,ew'ger Zwiespalt! das weiß man. Nun wir die Schlacht gewonnen haben, wollen wir das Feld behaupten und in Fröhlichkeit noch ein Stündchen weilen.“

Sie hängten die Kappen und Hüte an die Nägel und setzten sich wieder. Aber wie es die Gemütlichkeit zu halten pflegt, wenn sie einmal einen unlieben Stoß erhalten hat: sie mag nicht wieder auf die Füße kommen, und will man sie zwingen, so wird sie leicht zur Bosheit.Marcel bot allen seinen Witz auf, um die Kameraden lustig zu stimmen, sie blieben wortkarg und ihr Lachen klang nicht hell wie sonst. Selbst der einfältige Joachim hatte das Gefühl, es sei etwas nicht in Ordnung und,sich erinnernd, wie vergnügt der Abend angefangen hatte,rief er: „Wir wollen wieder den Schuh suchen!“

„Nein, Küher, wir wollen Beinstreckens machen!“sagte sein Nachbar, und die andern lachten.

Joachim sah nach Jenny, ob sie auch mitlache, und da sie ein ernstes Gesicht machte, fand er den Mut, sich zu wehren. „Habe ich ein krummes Bein, so arbeite ich doch nicht weniger als manches Großmaul und weiß mit dem Vieh umzugehen; ist's wahr Meister, oder ist's

Das Bergdorf. 3 gelogen? „Ja, ja,“ sagte Marcel, und der Knecht fuhr weiter: „Und seit wann ist es in Rötschweiler Brauch, einem in Schimpfesweise Küher zu sagen? Ist ein Küher nicht auch jemand?“

„Ja, ja!“ rief man ihm von allen Seiten zu, „du hast recht Joachim, laß es gut sein, es war ja nicht böse gemeint.“

„Doch, es war bös gemeint!“ erwiderte Joachim, dem die beschwichtigenden Worte der andern das Gefühl gaben, man habe ihm schweres Unrecht zugefügt, und der nun die Gelegenheit benützen wollte, sich ins rechte Licht zu rücken.

„Küher nennt man mich! Ich war nicht immer Küher, ich will sagen, ich stamme von Leuten, die keine Küher waren ...“

„Das weiß man! Champod, der Einäugige, war freilich ein anderer als du!“

„Was, ein anderer? Weil er eigene Kühe hatte?“

„Ja, eigene Kühe und Mut und weil er die Anna Luise gekriegt hat! Dich nähme die Anna Luise nicht!“„Wer sagt dir, ich habe keinen Mut? Meister, habe ich Mut, oder habe ich keinen?“ „Ja, ja, du hast Mut.“„J ö ch r hört es! n und 1 we h n ich eine F rau woll te i denke, ich bekäme schon eine!“ Dies sagend guckte er nach Jenny, was große Heiterkeit erweckte.

„Mache es wie Champod, der Einäugige, geh' in die Totenpredigt, so wird sie dich nehmen!“ rief man.

Jenny, der der Spaß unschicklich schien, sagte zu den Burschen: „Treibt ihn zu keiner Thorheit und scherzt nicht über die Totenpredigt!“

„So glaubst du auch daran?“ lachte Marcel sie an.

„Du siehst, sie nimmt sich deiner an, Joachim!“ rief ein anderer, „geh' in die Totenpredigt wie der Einäugige, und sie wird dich nehmen.“

Wieder wehrte Jenny ab, aber man rief ihr zu:„Sei ohne Sorge, er ist viel zu feig, um jetzt, in der Geisterstunde, in die Kirche zu gehen.“

„Was? zu feig? Das will ich euch gleich zeigen!“

„Gehe nicht!“ sagte ihm Jenny.

„Doch, ich gehe! ich will ihnen zeigen, ob ich ein Feigling sei, oder nicht!“

Er erhob sich und wollte nach seiner Pelzkappe greifen. Jenny kam ihm zuvor, erhaschte sie, schloß sie in den Wandschrank ein und barg den Schlüssel in der Tasche.„So gehe ich ohne Kappe!“ und er wandte sich zur Thüre. Die andern, belustigt, schickten sich an, ihm in einiger Entfernung zu folgen und riefen ihm zu:

3*„Aber vergiß den Totenknochen nicht, sonst ist alles nichts!“

Nun erhob sich der Vater Jaquot im Ofenwinkel,wo er all die Weile mißvergnügt über die übelgeratene Weihnachtswache gesessen hatte, trat zu den Burschen hin und sagte: „Treibt den Schimpf nicht zu weit, es könnte Ernst daraus werden. Was an der Sage von der Totenpredigt wahr ist, weiß ich nicht und frage auch nicht danach; aber die Geschichte vom Einäugigen noch ein Bube war, und sie sagten, sie hätten ihn noch gekannt. Drum meine ich: Laßt den Scherz jetzt gut sein! Wie es dem Einäugigen zum Schlimmen geriet,so könnte es auch dem da unlieb ausfallen.“

„Es ging ihm schlimm, weil er sich fürchtete!“ rief man ihm zu. „Joachim, freilich, wenn du Angst hast,so laß dich warnen und gehe nicht!“

„Ich habe keine Angst!“ rief er und schritt zur Thüre.

Nachdem die Gäste das Haus verlassen hatten, zündete Jenny eine Ampel an und stieg in ihre Kammer hinauf, deren Fensterchen in den „Grund“ hinabschauten,so daß sie oben hören konnte, was sich etwa bei der Kirche abspinnen würde. Der alte Jaquot, verdrießlich wie er war, zog seine Schuhe aus und schob sie unter ?den Ofen, warf Kittel und Zipfelkappe auf denselben,damit er alles am Morgen recht warm und behaglich antreffe; dann schickte er sich an, seine Lagerstätte aufzusuchen.Als er das Licht ausblasen wollte, fragte ihn Gabriel:„Sag', AÄtti, was weißt du von der Totenpredigt?Immer führt man das Wort im Mund und jeder kennt den Namen des Einäugigen, will man aber etwas Genaues darüber hören, so heißt es beständig: „Es ist besser, über solche Dinge zu schweigen!““

„So meine auch ich, es ist besser, zu schweigen.Spricht man nicht von ihnen, so bekommen, wie mich dünkt, Geister und Gespenster ihre Ruhe und es ist Lebenden und Toten wohler.“

Gabriel ging es, wie allen seinen Kameraden, Marcel ausgenommen: er wußte nicht, was er von dem vielen Aberglauben halten sollte: öffentlich machte er sich lustig darüber, im Geheimen dachte er aber anders und hatte jedesmal das Gefühl, eine Sünde begangen zu haben,wenn ihm ein ausgelassenes Wort darüber entfahren war. So befriedigte die abwehrende Antwort des Vaters seinen von der Ungewißheit gequälten Geist nicht, und er drang aufs neue in ihn, denn er wußte,daß er in alten Sagen wohl Bescheid wußte. „Was kümmert dich, was ich davon weiß,“ erwiderte Jaquot mürrisch, „damit du dich nachher über mich lustig machen kannst!“

„Wie sollen wir Jungen diese Dinge ernst nehmen,wenn man uns nur Brocken davon auftischt? Ihr munkelt davon, wie vom sechsten Buch Mose, das in Rötschweiler noch kein Mensch gesehen hat!“

Schließlich ließ sich der Alte bewegen und erzählte etwa so: „Was ich dir sage, haben alte Männer berichtet; ich habe es den buckligen Perrinet, von dem man behauptet, er sei hundert Jahre alt geworden,mehr als einmal erzählen hören. Es war einst in unserem Dorf ein Pfarrer, Jean le Cagnard*) nannte man ihn, und er soll seinen Namen redlich verdient haben. Im Winter, wenn der Schnee sich gebärdete,als gelte es ihm, das ganze Thal auszufüllen, und der Frost durch die Mauern und Scheiben drang, stellte er sich schlotternd vor die versammelte Gemeinde und bezann das „Unser Vater‘ zu beten. Mitten drin aber stockte er, und stammelte und stotterte, ihn dünke, er müsse des Betens und Predigens ein Ende finden, denn die Zunge friere ihm am Gäumen an. Darauf gab er durch Gebärden und Grimassen zu verstehen, das sei nun so geschehen, sie sollten sich in Gottes Namen darein finden und heimgehen. Und er selber schlotterte hinaus,

*) Der Faule.seiner Wohnung zu. Am Montag darauf ging seine Magd durch das Dorf und sagte, der: Pfarrer lasse jedermann grüßen und sagen, er steige nicht mehr auf die Kanzel, so lange der Frost währe, wollten sie einen Prediger haben, so sollten sie ihn in der Hölle suchen,dort sei ein Großer, der für Frost und Feuerung über die Maßen gut eingerichtet sei und ihnen die Wärme für ihr Kirchlein leicht beschaffen könnte. So die Magd. Der Pfarrer aber verkroch sich in sein warmes Stübchen und ging den Winter lang nicht mehr daraus hervor.

Und als der Sommer ins Thal kam, da legte er sich lieber unter den Ahornbaum, der ob seinem Hause stand, statt in die Berge zu steigen und dort den Leuten,die sich Sonntags auf Alp Fontana oder Alp Tschira versammelten, ein gutes Sprüchlein für die Woche auf den Weg zu geben. Denn dazumal war es noch Brauch,in den Bergen zu predigen. Einmal freilich mußte er hinaufsteigen, um den guten Willen zu zeigen. Kaum aber hatte er das „Unser Vater, der Du bist'‘ gesprochen, als er abbrach und zu verstehen gab, beim Aufstieg und bei der Hitze sei seine Zunge recht ins Arge geraten und so ausgetrocknet, daß er an jedem Sätzlein zu sterben meine. Wenn sie bei der Jahreszeit einen Pfarrer brauchten, müßten sie ihn in Gottes Namen in der Hölle suchen, dort sei einer zu Hause, der trefflich für die Hitze eingerichtet sei. Sprach's und stieg zu Thal, um sich unterm Ahornbaum auszustrecken.

Als man im Herbst die Alpen entleerte und am Sonntag zur Kirche ging und sich darauf freute, wieder einmal ein christliches Sprüchlein zu hören, da erschien der Pfarrer nicht, wie lange man auch am Glockenseil zog. Man suchte ihn und fand ihn unter dem Ahorn, auf dem Rücken liegend und den Hut übers Gesicht gelegt, denn es war ein warmer, sonniger Oktobertag. Man weckte ihn auf und sagte, da das Wetter weder heiß noch kalt, sondern lau und kühl zugleich sei, würde es sicherlich seiner Zunge nichts schaden,wenn er der Gemeinde einen Text läse.

Er rieb sich die Augen, wischte sich das Gras vom Armel und sagte: „Draußen lau und drinnen kühl,giebt zum Beten kein recht Gefühl! Wenn ihr einen wollt, der für Wärme und Kälte gleich gut ausgestattet ist, so müßt ihr ihn in Gottes Namen in der Hölle DD Spanien zugleich heimisch; der hat für die Kälte ein Bocksfell und für die Hitze Fledermausflügel zum Fächeln! Werbt den Teufel als Prediger an, ich sage es euch nun zum dritten Mal!“

Kaum hatte er das gesagt, da krachte ihm zu Häup ten ein Ast und fiel herab, und darauf ritt einer, ich kann nicht sagen, wie er aussah. Der rief und lachte dazu: „Beim ersten sang ich! beim zweiten sprang ich!beim dritten fang' ich!“ Dabei streckte er seine Krallen nach dem Pfarrer aus. Der aber rannte davon über den Kirchhof hinweg und in die Kirche hinein, und wer Beine hatte, folgte ihm nach, und alles schrie vor Entsetzen.Drinnen vor der Kanzel sank der Pfarrer zusammen und war tot. An der Thüre lauerte der Satan auf ihn,aber da der andere an einem heiligen Orte verschieden war, gewann er keine Macht über ihn.

Der Strafe freilich entging Jean le Cagnard nicht,denn er ist dazu verdammt, den Verstorbenen eine ewige Predigt zu halten. Tag und Nacht, jahraus, jahrein,bei Frost und Hitze steht er auf der Kanzel mit einem roten Hut auf dem Kopfe und erteilt den Seelen, die gedrängt vor ihm sitzen, gute Lehre, Verheißung und Trost. Hinter ihm aber ragt ein Engel mit einer Rute in der Hand und läßt ihn nie zur Ruhe kommen, sodaß beständig der Schweiß aus seinen Knochen quillt und die Kanzel betaut, und heutigen Tages noch sieht man dunkle Flecken auf dem Pult: die Spuren der schweißigen Hände des Totenpredigers.

Rast und kurze Erlösung wird dem Gepeinigten nur,wenn die Glocken auf dem Turme erklingen und die Lebenden zur Andacht rufen. Dann schwinden die Toten und versinken in ihre Gräber, und in alten Zeiten soll man zuweilen das Achzen des Totenpredigers gehört haben, wenn er sich im Grabe zu kurzer Ruhe ausstreckte und dehnte.

Seit Alters her ging und geht auch die Sage, daß man die Abgeschiedenen sehen und hören könne, wenn man einen Totenknochen auf die linke Achsel nehme und bei Nacht rückwärts darüber hinweg in die Kirche schaue. Wer aber sich erfreche, mitten unter die Andächtigen zu treten, den erwürgten sie.

Vor langen Jahren unternahm einer das Wagnis,du weißt es, Champod, der Einäugige war es, Joachims Urgroßvater, wie man sagt. Er that es nicht aus Frechheit oder Prahlsucht, sondern weil die Anna Luise, um die er warb, ihn dazu reizte. Als er auf der Kirchthürschwelle stand, die Füße nach außen und die Augen nach innen gerichtet, und die Versammlung musterte, da erblickte er vorn beim Taufstein seine Mutter selig; die hielt eine andere an der Hand, die er auch zu kennen meinte.Der Anblick der Mutter rührte ihn dermaßen, daß er ganz hineinging, um sie zu grüßen. Einmal drinnen brauchte er den Knochen nicht mehr zum Sehen. Die Geister aber fingen an sich zu regen, reckten sich in die Höhe, blickten bedrohlich nach ihm, klapperten mit den Zähnen und schon rückten ihm einige zu Leibe. Seine Mutter wollte die Herandrängenden aufhalten, aber sie und Angst auch auf dem gesunden Auge blind, fand die Thüre nicht mehr, durch die er gekommen war, und geriet, wie ihn dünkte von der Mutter gezogen, in den Turm. Nun hielt er sich für verloren, aber es war gerade sein Glück. Er stieg die Treppe hinan, schweißgebadet und doch frierend bis ins Mark der Knochen;durch das Turmpförtchen drängten sich die Gerippe nach,stauten sich, krabbelten übereinander und erstürmten die Treppe unter schauerlichem Geklapper. Er tastete rückwärts, ihnen voraus, er durfte das Auge nicht von ihnen wenden und hieb mit dem Totenknochen um sich,gegen ihre Arme und Köpfe, und schlug mit den Füßen gegen sie, wenn sie ihm von unten beikommen wollten und wehrte sich wie ein Rasender und schrie und schäumte.Endlich kam er in der Glockenstube an, erschöpft,mit bebenden Gliedern, unfähig zu Kampf und Wehr,den Griff erwartend, der ihn erwürgte. Zu Boden sinkend suchte er noch Halt an einem Glockenseil. Unter seinem Gewicht regte sich oben das Glöcklein und schlug an: der Totenprediger und seine Scharen stutzten. Mut und Besinnung kehrten dem Bedrängten wieder, er riß mit der Kraft, die ihm noch blieb, am Seil und riß und riß, und es tönte wie Sturm über das Dörfchen und die Geister versanken.

Als die Leute aus dem Dorfe herbeieilten, von dem gellenden Lärm aus der Ruhe geschreckt, fanden sie den Einäugigen wütend am Glockenstrange reißend, mit stieren Blicken, sprachlos und wahnsinnig. Vier Männer mußten ihre ganze Kraft aufbieten, um ihn aus dem Turme herauszuschleppen.

Manche Tage sprach er kein Wort, lag da, vom Fieber gerüttelt und gebärdete sich mit den Händen so,als zöge er an den Glocken. Als er endlich die Sprache wieder fand, sagte er, er habe die Auna Luise am Taufstein gesehen, sie habe ihm gewunken, als wollte sie gleich sich mit ihm trauen lassen, und er verlangte nun stündlich, daß sie es so halte.

Aus Erbarmen und wohl auch vom Gewissen getrieben willigte das Mädchen schließlich ein. Von da an wurde es im Kopfe des Einäugigen allmählich heller und er ging seiner Arbeit nach wie zuvor. Von Zeit zu Zeit jedoch, besonders vor hohen Festtagen, wandelte ihn der alte Irrsinn an, dann schlich er nachts aus dem Haus, stieg in den Kirchturm hinauf und zog an den Strängen, daß es schauerlich in die Nacht hinaus heulte.Wie sein Verstand kränkelte, so krankte der Segen in seinem Hause. Er war ein begüterter Mann; aber von seinem wagehalsigen Unternehmen an entwischte, was er besaß, unmerklich seinen Fingern, ohne daß man wußte, wie es zuging, denn Liederlichkeit war ihm allezeit fremd gewesen. Und was er noch zu behalten vermochte, verloren seine Nachkommen, und so ist der letzte seines Hauses Joachim, der Küher. Da die Toten ihn selber nicht schlagen konnten, rächten sie sich an seinem ganzen Stamme und erwürgten den nach und nach.“

AVV predigt.„Ich möchte es doch auch einmal wagen, um zu wissen, ob's Geister giebt oder nicht,“ sagte Gabriel, den die Erzählung nur noch tiefer in die Ungewißheit gestoßen hatte.

Der Vater erwiderte nichts, sondern blies das Licht aus, wünschte Gabriel eine gute Nacht und ging im Dunklen nach der Thüre. Da stürzte ihm Jenny entgegen. „Es muß ein Unglück gegeben haben, drunten bei der Kirche schreit einer jämmerlich, ich glaube, es ist Joachims Stimme. Willst du nicht hinuntersteigen und sehen, was vorgefallen ist?“

Der Alte brummte etwas, kleidete sich aber doch wieder an und verließ das Haus. Jenny stieg abermals in ihre Kammer hinauf, sah dem Vater nach, der auf dem Schnee und Eis behutsam abwärts schritt und horchte auf die Rufe, die von der Kirche heraufdrangen.Da, wie sie schaute, regte sich etwas Dunkles im Schatten des Hauses, es war eine Männergestalt. Jenny schlug das Fensterchen zu und löschte die Ampel aus.Wer mag es sein? Marcel?“

Sie lauschte. Der unten stand, fing an zu reden,aber mit verstellter Stimme, wie es die Burschen in Rötschweiler nachts vor den Fenstern der Mädchen zu thun pflegen: sie ziehen nämlich beim Sprechen den Atem ein, statt ihn auszustoßen, so daß es ein feines Ohr braucht, um den Rufer zu erkennen.

„Schau' heraus, einen Augenblick nur! Thu' mir's zu lieb!“Jenny näherte sich dem Fenster wieder, rückte ein Auge an eine Ecke der Scheiben und spähte hinab. Dem Wuchse nach konnte es Marcel sein.

„Mach's Fensterlein auf, mir zu lieb! und hör'!Wenn's wiederum Donnerstag ist, so ist's auch Neujahrstag. Hörst du mich wohl? Neujahrstag und Schryßeten! Da gehen wir zur Predigt, du und ich und ganz Rötschweiler, ich nicht um des Pfarrers willen,sondern aus Liebe zu dir; und wenn die Glocken aus 477b läuten, da will ich dich einfangen und brauche dich nicht lange zu suchen, denn all die Weile verließ dich mein Blick nie, wenn ich aufstand mit den andern, sang mit den andern und mich setzte mit den andern. Und habe ich dich erwischt, so frage ich dich: Willst du heute zu mir halten und morgen und übermorgen auch? denn es ist wieder Schryßeten, ein Fest des ledigen Volkes. Sage dann ja! so gehen wir in die ‚Tanne‘ und es soll Fest und Tanz und Fröhlichkeit sein vom Donnerstag bis Sonntag Morgen. Hörst du mich wohl! So reiße doch das Fensterchen auf und sage mir ein Wort und sage mir, daß du es willst, wie ich es sinne!“

Mit solchen Sprüchen, die nur wenig voneinander abweichen, pflegen die Jünglinge in Rötschweiler die Mädchen auf den Überfall an der Schryßeten vorzubereiten.Jenny, meinend, es sei Marcel, fühlte ihr Herz pochen; sie spürte Lust, die Scheibe hinauszuschlagen und ihm zu rufen: „Ja, ja, ich will freilich zu dir halten,nicht nur drei Tage, sondern all das Leben lang, wenn du es nur willst,“ und wäre das Fenster nicht so klein gewesen, die Lust hätte sie angewandelt, in kühnem Sprunge zu ihm hinab zu setzen, in seine Arme, an sein Herz.

Die dunkle Gestalt unten trat etwas aus dem Schatten heraus; Jenny fuhr ein Stich durch die Brust:es war nicht Marcel, und nun erkannte sie den Frechen:es war Lucien Camard, der Soldat. Dort ging er,gerade wie ein Spazierstecken und hochmütig wie eine Pappel. Diesem Lumpen also hatte sie gelauscht, und mit Wonne! Für ihn hatte ihr Herz so närrisch gethan! Sie war zornig auf sich und schämte sich ihrer Thorheit.

Nach einiger Zeit hörte sie unten die Hausthüre knarren, unwillig und barsch. Ihr Vater kehrte zurück;die Art, wie er die Thüre schloß, sagte ihr genug, und sie stieg noch einmal in die Wohnstube hinab, zugleich von Neugier und Bangen getrieben. „Wird Marcel das Unheil angerichtet haben?“

„Der Übermut hat wirklich wieder einmal gekalbt!“sagte der Alte. „Jetzt weiß ich, warum ich den ganzen Abend meinte, der Teufel hause unter meinem Dache.“Dann erzählte er, was er gesehen und erfahren hatte,manches polternde Wort gegen das ledige Volk ausstoßend, das immer erst wisse, wie viel der Kessel fasse,wenn er überlaufen sei.

Als die Burschen das Haus verließen und dem Knechte nachschlichen, stupfte sie der Satan, also daß sie beschlossen, Joachim einen Schabernack zu spielen, über den das ganze Dorf lachen müsse. Sie sahen ihn unschlüssig unten am Kirchhofmäuerchen stehen; es mochte ein Gruseln über ihn gekommen sein. Da riefen sie ihn an, er solle warten, bis sie sich wegbegeben hätten,es sei kein Hexenwerk, in die Totenpredigt zu gehen,wenn das halbe Dorf auf den Füßen sei. Diese Worte waren Joachim nicht unlieb, und er gesellte sich zu ihnen,wohl mit dem knechtelnden Hintergedanken, das Wagnis auf schickliche Art zu umgehen und statt der Kirche seinen Heusack aufzusuchen.

Während er zwischen einigen Kameraden das Dorf hinabschritt, schlichen sich drei in das Beinhäuschen, die Thüre hinter sich wieder sorgfältig zuziehend. Das war so abgemacht worden.

Unten im Dorfe angekommen, gab man Joachim eine Kuhschelle in die Hand, die man an einer Stallwand gefunden hatte, und sagte ihm, es sei nun an der Zeit, daß er seinen Kirchgang thue: man lasse die Gemeinde grüßen, samt dem Pfarrer und dem Engel mit dem Stecken hinter ihm.

„Was soll ich mit der Kuhschelle?“ fragte er ungewiß. „Die sollst du in die Kirche werfen,“ erwiderte man, „daß wir am Morgen daran sehen, daß du nicht nur geprahlt hast.“

Joachim wurde immer ungemütlicher; er weigerte sich, die Schelle in die Versammlung der Toten zu

Das Bergdorf. 4 schleudern. „Wenn ihr das von mir verlangt, so thue ich euch den Willen nicht.“

Nun fuhren sie mit den Worten über ihn her: da sehe man, daß ihn seine Mutter im Zeichen des Krebses zur Welt gebracht und daß ihm eine Hexe Zittergras in die Windeln gebunden habe! Ein Kuhschwanz sei er,zu nichts tauglich, als zum Fliegenstäuben! er solle heimgehen und seinem Heusack sagen, was wunders er verrichtet habe!

So reizten sie ihn, bis er wieder schlüssig wurde,die Angst über sich ergehen zu lassen.

Aber die Schelle werfe ich nicht unter die Toten!“

„Sei kein Narr,“ erwiderte einer, „die kann dir zu statten kommen: wollen dir die Andächtigen an die Haut, so brauchst du das Ding nur in der Hand zu rütteln, und die Knochen fahren allesamt in den Erdhboden!“Joachim wurde das ein Trost, und er schickte sich zum Gehen.

„Vergiß nicht den Knochen aus dem Beinhaus zu holen,“ rief man ihm nach, „und hüte dich, unverrichteter Sache heimzukehren, sonst sollst du dem ganzen Dorf ein Gespött werden und an der Schryßeten soll dich kein Mädchen ansehen. Wir aber würden dich fortan nicht einmal mit einem Stecklein aurühren.“

Wie die drei im Beinhaus die zaghaften Schritte Joachims vernahmen, schlugen sie Feuer mit dem Stahl, entfachten Schwefelspänchen und ließen sie zur Hälfte verbrennen; als Joachim die Thüre schüchtern aufzog, nahmen sie die glühenden Hölzchen in den Mund, Zunge und Gaumen sorglich schonend und die Luft rasch zwischen den Zähnen einziehend und ausstoßend.Joachim stieß einen Schrei des Entsetzens aus angesichts der ihn anbleckenden, keuchenden, im Atemstrom abwechselnd aufleuchtenden und verglimmenden Zahnreihen. Er warf die Schelle gegen eines der Gespenster, das schmerzhaft aufschrie, und der Klang der fallenden Schelle und der Schrei des Getroffenen tönten schauerlich in dem unheimlichen Haus. Joachim floh davon, die Hände über den Kopf geschlagen, brüllend wie ein rasender Stier, der Gespenster,kalte Knochen am Hals, im Haar und an den Fersen fühlend.Da wollte es das Unglück, daß ein Kreuz ein wenig aus dem Schnee herausragte und sich Joachims Hose daran fing. Er stürzte hin. Nun hatten sie ihn erfaßt, die entsetzlichen Gerippe mit dem feurigen Schlund!

Als die andern herbeieilten, schäumte und schrie und 42*raste er, riß sich von dem Kreuze los, und, die Burschen erblickend, sprang er wieder davon, sie für die Gespenster haltend.

Er stieß gegen die Mauer, kletterte darüber und fiel außen herab. Im Turm schlug die Glocke an: es war ein Uhr. Der grelle Schlag aus der Höhe verdoppelte seine Angst. Er erhob sich von dem Fall und stürzte davon, abwärts, um das Haus seines Meisters zu erreichen.

Da sprangen die andern Burschen aus den Schatten der Häuser hervor, meinend, der Spaß sei noch nicht lustig genug, und erhoben ein Geschrei und versperrten dem Fliehenden den Weg. Er, keinen Ausweg mehr sehend und in jeder Erscheinung einen Höllengeist erblickend, fing an, sich wie ein Rasender zu wehren, rannte zwei zu Boden, wurde von den anderen gefaßt, schlug um sich und wurde wieder geschlagen, bis er endlich ohnmächtig zusammensank, sei es von einem Faustschlag getroffen, oder von dem Schrecken und der Anstrengung an Geist und Körper gelähmt.

Eine gute Weile lag er bewegungslos, und als er wieder zu sich kam, erfaßte ihn die alte Angst vor den schauerlichen Grabgestalten und gab ihm die Kraft, sich zu erheben und zu fliehen. Unten bei dem Hause des alten Roux brach er an der Thürschwelle aufs neue zusammen und wurde ins Haus getragen.So viel wußte der Vater Jaquot zu berichten.Kopfschüttelnd ging er in seine Kammer und brummte vor sich her: „Ich fürchte, er nimmt Schaden an seinem Geiste wie sein Urgroßvater, der einäugige Champod.“ II.m Neujahrstagmorgen sollte der Pfarrer von 4 Rötschweiler seiner Gemeinde ein Mandat verlesen,worin die gnädigen Herren von Bern ihre Unterthanen von dem „grausam gotteslästerlichen Tanzen und „Schreißen‘ abmahnten. Da er aber selbigen Tages die Milde im Herzen hatte, legte er das strenge Schreiben in sein Gebetbuch und beschloß, seine Getreuen noch einmal ihrem sündigen Hang zu überlassen, um ihnen dann am folgenden Sonntag um so nachdrücklicher die Leviten zu lesen.

Kaum hatte er seinen Segensspruch über die an diesem Tage unandächtigen Häupter gesprochen, als die ledigen Burschen das Kirchlein geräuschvoll verließen,als wäre das Amen ein Lockruf zu weltlicher Freude und Lustbarkeit. Sie stellten sich draußen auf dem Platze auf, einzeln oder in kleinen Gruppen, die Augen nach der Kirchthüre gerichtet. Aus dieser traten nun die Alten, Männlein oder Weiblein, mit vergnügten Gesichtern, und postierten sich längs der Friedhofmauer, um dem Schauspiel, daß sich nun abspielen sollte, beizuwohnen, ohne dem jungen Volke hinderlich zu sein.Nach einer Weile erschienen einige Mädchen unter der Kirchenthüre, streckten und drehten die Hälse, wie Hennen, die durch einen Lattenzaun gucken, und zogen sie rasch wieder zurück, als hätten sie in dem Heiligtum Schutz vor frevelhaftem Volke suchen müssen.

Ihre Gesichter waren aber nicht von der Furcht gebleicht, sondern strahlten vor Lust, und durch ihre Zähne klang ein munteres Kichern.

Nachdem alle den Kopf einen Augenblick herausgestreckt, die draußen Stehenden gemustert und vielleicht mit raschem Blicke den gefunden hatten, an den sie während des Gottesdienstes am herzlichsten und andächtigsten gesonnen hatten, traten sie heraus mit geheuchelter Schüchternheit, blieben vor der Thüre stehen, die kritische Lage betrachtend und überlegend, wo ein Fluchtversuch am erfreulichsten mißraten möchte.

Endlich war eine mit sich im Reinen, lüpfte die Füße und nahm ihre Richtung. Aber sie fing es nicht geschickt an oder verstand das Laufen auf dem Schnee nicht sonderlich gut: kurz, ehe sie sich's versah, war ein Jüngling ihr an den Fersen und fing sie ein. Sie zappelte ein wenig und bequemte sich dann zu hören, was der Verfolger ihr etwa zu sagen hätte.

Das Beispiel der einen ermutigte die andern zu ähnlichem Wagnis, und nun ertönte die Luft von dem lustigen Geschrei der fliehenden oder eben angefaßten Mädchen, von den Zurufen der Verfolger und dem Lachen und Beifallsrufen der Alten an der Mauer.

Hatte ein Bursche ein Mädchen „gestellt“, so fing er in der Regel etwas Gleichgültiges mit ihm zu reden an: „Bist auch in der Kirche gewesen, Helene? Hast auch rechtschaffen gebetet? Und auch ein bißchen für mich?“ „Wie geht es deinem ütti, Luise? Hat er wieder mit seinen Gesüchtern zu schaffen diesen Winter? Es ist doch eine leide Geschichte damit.“

Nachdem das Eis gebrochen war, warf er die Angeln aus: „Ich habe dich nur fragen wollen, ob du mit mir schreißen“*) wollest diese Tage; du thätest mir etwas Rechtes zu lieb!“

Das Möädchen senkte lächelnd den Kopf, zupfte an seinem Schürzenzipfel und meinte, es sei ihm wohl gar nicht ernst mit seinem Geschwätz. Solches Betragen und Sträuben gilt als wohlanständig zu Rötschweiler und in den Dörfern der Nachbarthäler.

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reißen, zerren, dann geradezu tanzen.Auf diese Zierereien achteten die Burschen gewöhnlich nicht: sie schlugen kräftig den Arm um des Mädchens Lenden, und es ließ sich dann meistens ohne Widerstreben das Dorf hinab nach dem Wirtshaus zur „Tanne“ schreißen, wo schon die Musikanten ihre Geigen stimmten.

Andere drechselten auf die Ausrede des Mädchens eine Gegenrede zurecht, fein oder grob, wie es ihnen von Natur aus geriet, und die mit den rauhesten Händen fanden gewöhnlich die zierlichsten Worte.

Der bäuerische Brautraub ging seinem Ende entgegen, als die Blicke der Umstehenden nochmals gefesselt wurden.

Unter der Thüre der Kirche standen nur noch drei oder vier Mädchen, unter ihnen Jenny. Sie war so lang geblieben, um zu sehen, ob Marcel ausharre, bis es ihr gefiele ihren Lauf zu thun, oder ob er sich eine andere wähle, wenn sie säume.

Er hatte ausgeharrt und stand auf dem Platze,scheinbar gleichgültig mit einem ältern Nachbar plaudernd. Einige Schritte hinter ihm hielt sich Lucien Camard, der Soldat; der ängstigte sie. „Sie werden sich raufen,“ sagte sie sich und sann nach, wie sie einen Zwist verhindern könnte; aber es fiel ihr nichts ein;sie mußte, um nach Hause zu gelangen, an den beiden vorbei, und die schienen keine Lust zu haben, das Feld zu räumen. So blieb ihr nichts übrig, als, der Flinkheit ihrer Füße vertrauend, dem Fußweg zuzueilen, der hinauf zu ihrer Hütte führte. Als sie endlich lief, sah man es ihr an, daß die Begierde, eingeholt zu werden,sie nicht rückwärts zog: sie hatte so unvermutet angesetzt und flog so hastig über den Schnee, daß sie in der Nähe des Fußweges anlangte, ehe Marcel und Lucien sie gewahrten.

Schon wähnte sie sich geborgen, als plötzlich einer hinter dem Stall hervorbrach, der sich neben dem Kirchplatz erhob. Schreiend kam er daher: es war Joachim.„Ich schreiße dich, ich schreiße dich, Jenny!“ rief er in einem fort und erfaßte das Mädchen mit Ungestüm,bevor es recht wußte, was vorging. Sie wehrte sich, er gebärdete sich noch wilder, umschlang sie mit den Armen,roh, als hätte es gegolten, ein reißendes Tier zu bändigen.Sie schrie ihn an: „Was willst du? Was habe ich dir gethan?“„Am Taufstein hat sie mir gewunken!“ brüllte Joachim den Leuten entgegen, die herbeisprangen und Miene machten, ihm seine Beute abzunehmen.

„Was habe ich gethan?“ wiederholte Jenny, machtlos in seinen Armen sich windend.„Am Taufstein hast du mir gewunken, wie die Anna Luise meinem Uräni ...“

„Helft mir, er ist von Sinnen!“

Lucien, der Soldat, war zuerst zur Stelle. Er griff nach dem Wütenden, um ihn wegzureißen, aber Joachim umklammerte das Mädchen nur noch krampfhafter und schrie ohne Unterlaß: „Ich schreiße sie, mir gehört sie,sie hat mir am Taufstein gewunken, wie die Anna Luise!“ Jenny glaubte in seinen Armen den Geist aufzugeben, und rang nach Atem.

Auf einmal aber fühlte sie Joachims Arme sich lockern, als hätte ihn ein Schlagfluß gelähmt. Es war Marcel, der ihr aus der Not geholfen: er hatte den Soldaten bei Seite geschoben und dann seine Finger mit solcher Gewalt um des Wahnsinnigen Arme gekrampft,daß diesem die Kraft daraus wich, und Jenny sich loswinden konnte.

Joachim drehte den Kopf nach dem Angreifer, der ihn von hinten hielt, und, seinen Meister erkennend,fing er an flehentlich zu heulen: „Meister, laß sie mir,gieb sie mir, ich habe sie ja in der Totenpredigt gesehen,wie der Einäugige die Anna Luise!“

„Geh nach Hause!“ sagte ihm Marcel und schüttelte ihn, wie um den Wahnsinn aus ihm herauszurütteln.

Nun verfiel Joachim wieder in seine Raserei: „Du mußt sie mir geben! Laß mich los!“ Dann immer lauter schreiend und zu den Umstehenden gewendet: „Er hat mich in die Totenpredigt geschickt und mich den Teufeln verkaufen wollen, und nun nimmt er mir die Anna Luise! ich will die Anna Luise, die Anna Luise gehört dem Einäugigen! Helft mir, er drückt mich zu Tode, er will mich wieder den Teufeln bringen mit den roten Zähnen! Gebt mir die Anna Luise!“

Marcel ließ ihn fahren; er stürzte sich wieder auf Jenny, kreischend: „Ich schreiße dich!“ Sein Meister aber ließ ihn nicht gewähren, sondern fuhr aufs neue nach ihm, hob ihn in die Höhe und warf ihn unsanft über die Mauer in den Kirchhof. Joachim, an die grauenhafte Nacht exrinnert, floh von Entsetzen gefaßt den ungemütlichen Ort, kletterte über die Einfriedigung und rannte das Dorf hinunter.

Der Auftritt hatte bei Jung und Alt einen Riß in die Neujahrsfreude gemacht. Die Burschen, die ein schlechtes Gewissen hatten, schritten mit ihren Tänzerinnen kleinlaut der „Tanne“ zu, um beim Klang der Geigen und im Wirbel des Tanzes wieder zu heiteren Gedanken zu kommen; mehr als einer mochte denken: „Einmal mit solchen Dingen Unfug getrieben und nimmermehr!Ich wollte, ich hätte am Weihnachtsabend ein Bein gebrochen!“Als Jenny von den wirren Blicken und der wilden Gewalt Joachims erschüttert und kaum eines Gedankens fähig den Pfad hinauf nach ihrer Wohnung eilen wollte,fand sie ihren Weg wiederum versperrt: Lucien und Marcel standen da, sich trotzig messend und zugleich zu ihr gewendet.

„Laßt mich durch!“ schrie sie, und ihre Stimme bebte vor Aufregung; „was habe ich euch allen zu Leid gethan?“

Die beiden streckten ihr die Hände entgegen und luden sie gleichzeitig ein, mit ihnen die Schryßeten zu feiern.

„Ihr mögt noch tanzen nach dem, was ihr eben gesehen habt! Laßt mich, ich kann mich nicht freuen an diesem Tag!“

Die Männer wichen nicht.

„Gebt mir Raum, sage ich euch! Mein Bruder wartet mein, ich kann ihn nicht allein lassen!“

„Komm' mit mir, Jenny,“ sagte Marcel, „Gabriel wird dir nicht böse sein, wenn er weiß, daß du dir mit mir frohe Zeit machst.“

„Ich habe dich zuerst geladen,“ rief Lucien, „erinnere dich an den Weihnachtsabend! Verschmäht ein Mädchen einen Burschen, so sei es auf seinen Haß gefaßt.“

Dies sagend, drehte er sich nach seinem Gegner, dem man ansah, wie er an sich hielt, um die Kraft seiner Arme nicht zu entfesseln. So standen sie einander gegenüber mit gespannten Muskeln, Aug' in Auge und Gift gegen Gift, zu zorniger That bereit.

„Wollt ihr des Unglücks noch mehr schaffen!“ rief sie ihnen zu, „ist es an Joachims Elend nicht genug?“

Marcel trat etwas zurück, so daß ein schmaler Durchgang frei wurde. „So geh' Jenny, und zürne nicht,“ sagte er.

Sie huschte an den beiden vorbei und strebte der Halde und ihrer Hütte zu.

Die Nebenbuhler maßen sich noch eine Weile, finster und verächtlich, und keiner wollte zuerst den Fuß vom Flecke rücken.

Es war Marcel, der die Stille brach: „Vetter Lucien,suche nicht, wo ich suche, ich rate dir wohl! Treffen wir wieder zusammen, so entscheiden die Fäuste!“ Sprach's und schritt dem Dorfe zu. Der andere lachte höhnisch und rief ihm nach: „Vetter Marcel, merke dir eins:der Soldat weicht dem Küher nicht!“

Am Neujahrstag Abend, als drunten in der „Tanne“die Geigen sangen, und die Füße hüpften oder glitten und der Staub flog, trat oben Jenny mit einer „Gelte“und einem Spaten vor die Hütte, um Schnee zum Kochen zu holen, denn der Winter war so hart, daß in Rötschweiler weder Quell noch Brunnen lebendig war.

Wie sie mit dem gefüllten Gefäß sich nach dem Hause wandte, stieß sie auf eine Gestalt, die hinter der Ecke des Hauses auf diese Gelegenheit gelauert haben mußte.Es war Lucien.„Was soll das?“ fuhr sie ihn erschreckt an, „habe ich dir nicht gesagt, daß ich heute nicht tanzen will?“

„Es ist nicht Tanzlust, was mich zu dir treibt,Jenny: ich komme, um dir zu sagen, daß ich dich gern habe und mit dir ein neues Leben anfangen möchte.Hilf mir dazu; du allein bist es imstand, denn du bist mehr, als die andern.“

„Geh' deiner Wege! Ich mag solches Geschwätz nicht hören! Du sagst brave Worte und meinst es anders!“ Dies sagend wollte sie der Hütte zuschreiten,er aber vertrat ihr den Weg.

„Du thust mir Unrecht, Jenny! Es ist kein Geschwätz! Stell' die Gelte auf den Schnee und höre mich an! Bleib' doch, ich lasse dich nicht vorbei, ich muß es dir einmal sagen! Sieh', ich gehe ohne dich zu Grund,ich fühl's: ich bin wie ein Lärchenbaum, der ob einem Abgrund steht und dem ein Wetter das Erdreich weggespült hat: überlaßt ihr ihn seinem Schicksal, so ftürzt er morgen in die Schlucht hinab, um dort zu verfaulen!Du kannst mich halten, du bist der Grund, den ich brauche! Lache nicht! es ist mein heiliger Ernst!“ „Rede, wie's unter uns Brauch ist, du weißt, ich mag die fremde Weise nicht leiden, sie dünkt mich falsch wie Gift!“„Ich rede, wie es mir ums Herz ist und meine es aufrichtig! Hilf mir, rette mich, ich kann es nicht allein!“„Steht es so schlimm mit dir, wie soll ich helfen?Jeder ist sich selber der rechte Helfer!“

„Sagt denn der Bader auch zum Kranken: ‚Wer sich nicht vom Bette erheben kann, der verende? Sei du mein Arzt, so werde ich genesen.“

„Hör auf! ich kann dich nicht anhören!“

„Weil du mich nicht leiden magst!“

„Das sagst du wahr: weil ich dich nicht mag leiden!Du gehörst nicht mehr zwischen unsere Berge hinein,du bist nicht mehr von unserem Schlag! Dein Rücken ist zu grad, deine Zunge zu glatt und dein Schlund wein und schnapssüchtig geworden: geh', ich mag dich nicht!“„Du thust mir unrecht. Wohl habe ich bis jetzt mein Leben verliederlicht, aber nicht aus eigener Schuld.Weißt du nicht mehr, wie wir ein Leben hatten zu Haus, seit meine Mutter ihren Bruder, den Soldaten,aufnahm? Du hast ihn ja auch gekannt, den roten Sebastian!“

„Schweige von ihm! Wenn ich dich sehe, so muß ich immer denken: so sah der Lump wohl in seinen guten Jahren aus; und denke ich an ihn, so sage ich mir: ein solcher Lump wird Lucien in seinen bösen Tagen sein! Ein ... ein ...“

„Ein Vieh, willst du sagen, ja! ein Vieh macht das Soldatenleben aus einem Menschen ... wenn es nicht frühe ein Ende nimmt. Sebastian hat mir mein Leben verdorben! Seit er sich bei uns eingenistet, war es,als hause das wütende Heer unter unserm Dache! wir lebten schlimmer zusammen als Hund und Wolf! Die Mutter sah in ihm immer noch den Bruder, sprach,wo es anging, zu seinem Besten und suchte seine Garstigkeiten zu verbergen, meinend, es seien auch ein wenig die ihrigen. Der Vater aber konnte ihn nicht sehen,ohne gallig zu werden; mehr als einmal warf er den Besoffenen vor die Thüre und steckte den Riegel; den schob die Mutter aber immer wieder zurück und so fing der Unfrieden auch zwischen Vater und Mutter an und fraß immer tiefer, und doch hatten sie sich früher wohl vertragen.

Ich hielt zu der Mutter, nicht um des Soldaten willen, sondern weil ich sah, daß sie am meisten von uns allen litt und manchmal rote Augen hatte. Wie oft habe ich den Unflat, wenn er bösen Schnaps getrunken

Das Bergdorf. 5 hatte und alles klein schlagen wollte, gebändigt und aus der Stube hinaus in die Kammer getragen, damit der Vater bei der Heimkehr nichts merke! Wie oft habe ich ..“„Schweige davon! ich begehre es nicht zu wissen!“unterbrach ihn Jenny.

„Doch! du mußt es hören, damit du mich begreifst!O, es war ein Hundeleben! Der Vater begann auch,mich zu mißhandeln, obwohl ich ein großgewachsener Bursche war. Die Arbeit versäumten wir, selbst das Essen am gemeinsamen Tische ward uns zuwider, eins wich dem andern aus und das ganze Haus ging aus den Fugen. Dem Soldaten schien das Spaß zu machen;mich stachelte er gegen den Ätti auf: ich sei kein Bube mehr, ich sollte mich nicht behandeln lassen, wie man einen grindigen Hund behandle: ein Hasenfuß, der sich mit 18 Jahren eine fremde Hand auf der Backe tanzen lasse und wäre es auch die des Vaters! Dem Schlag,ein Widerschlag! Ich sei der einzige Sohn, das solle ich den Alten fühlen lassen: ich solle ihm drohen, Handgeld zu nehmen, da werde er weich werden, wie eine Butterkugel an der Sonne!“

Das Wort Handgeld erschreckte Jenny. Es erinnerte sie an Gabriels Traum und sie dachte an Marcel. „Schweig!“ rief sie, „ich kann mir das 67 .Elend ja schon denken! Laß mich ins Haus gehen, ich muß “„Nein! du mußt mich anhören!“ und wieder vertrat er ihr den Eingang.„So ging es bei uns den ganzen Winter lang,“fuhr er fort. „Einmal aber, als die Mutter ihrem trunkenen Bruder das Haus wieder geöffnet hatte, geriet der Vater in solche Wut, daß er zuerst den Soldaten und dann sie schlug, wie man sein Vieh selbst im Zorn nicht schlägt. Da fuhr ich drein, nicht wissend, was ich that, warf den eigenen grauen Vater zu Boden, setzte ihm das Knie auf die Brust und schlug ihm das Gesicht blutig. Mir schauderte, als ich zur Besinnung kam,aber es war geschehen.

Nun ging es nicht mehr. Der Vater wollte seine häusliche Gewalt mit der Faust zurück erobern, ich, nachdem ich einmal das Joch abgeworfen, wollte mich nicht mehr prügeln lassen und so rauften wir uns eine Woche lang fast täglich, obwohl Sebastian gleich nach dem Streit das Thal verlassen hatte. Endlich machte ich dem Elend ein Ende. Ich nehme Handgeld!‘ schrie ich dem Vater eines Tages zu, als er mit einem Knotenstock auf mich los kam, warf die Thüre hinter mir ins Schloß und ging davon, nicht um Handgeld zu nehmen, sondern um als Knecht irgend

5*wo zu dienen, bis es daheim wieder recht geworden wäre.

Ich schritt thalwärts, so rasch ich es vermochte; die Erinnerung an den unseligen Tag machte mir das Wandern leicht: das neue Leben, das ich beginnen wollte, konnte so schlimm nicht sein, wie das vergangene.

Gegen Abend kam ich im Marktflecken an, hungrig wie ein Wolf und ohne einen Heller im Sack, denn als ich davonlief hatte ich nicht an Geld und Zehrung zedacht.

An einer Straßenecke flatterte das Banner mit dem Bären und jemand rief mir zu: „He! Lucien! hierher!“Ich erkannte die Stimme: das heisere Gebrüll konnte nur Sebastian ausgestoßen haben. Dort saß er vor dem Eingang und neben ihm ein paar Musikanten und zwei Berner Soldaten in roten Röcken. Ich wollte vorbei; da wankte er heran und die Soldaten mit ihm und sie hielten mich an. Gleichzeitig fingen die Pfeifer zu blasen an und ein Tambour schlug die Trommel dazu.“„Komm herein!“ kreischte der Onkel, „ein Schluck Wein wird dich nicht vergiften! Wir leben hier in Fülle,wie die Geiß auf dem Heuftock, halte mit! Das Herz lachte mir im Leibe, als ich dich kommen sah. Ich habe dich erwartet: das Hundeleben da oben konnte nicht ewig dauern! Zieh' mit mir nach Frankreich hinein,Junge!“

„Nein,“ erwiderte ich, „ich will nicht Soldat werden!“

„So kannst du dir doch die Zunge anfeuchten.Wir haben da ein Tröpfchen, das ist nicht schlecht, das zahlen die Herren, will sagen die gnäd'gen Herren von Bern!“

Ich wollte mich losmachen, die Soldaten aber ergriffen mich links und rechts und schleppten mich ins Haus, und der Onkel watschelte lachend hinterdrein.Drinnen saß ein Sergeant gespreizt an einem Tische,drehte seinen Schnurrbart und streckte mir dann die Hand entgegen. Und nun ...“

„Ich will's nicht anhören ...“ unterbrach ihn Jenny.

„Wein haben sie mir eingeschüttet; ich habe immer mein‘ gesagt ...“

„Laß mich ins Haus gehen ...“

„Alles haben sie mir versprochen, wenn ich ihnen folge: Wein und Mädchen, so viel ich wolle ...“

„Und darauf hast du eingeschlagen! Pfuil Und du wagst noch vor ein unbescholtenes Mädchen zu treten und ihm zu sagen ...... pfui! geh!“

„Höre mich! ich habe nicht „jas gesagt! Als ich am folgenden Tag erwachte, mit wüstem Kopf und trockenem Schlund, bogen sich lachende Schnurrbärte und verwitterte Backen über mich. Dir ist die Zunge über Nacht zu Rindsleder geworden, Lucien, rief mir Sebastian zu, ‚da, thu' einen ehrlichen Soldatenzug und schmiere das Lederzeug!‘ Und ein anderer: ‚Sauf, Bruder, den Durst ersäuft man, so weit des Teufels Hand reicht!“Ich stieß die Gläser zurück, stand auf und schickte mich zum Gehen.

„Wohin, Kamerad?“ rief der Sergeant, sich breit vor die Thüre stellend.

„Ich will Arbeit suchen.“ erwiderte ich.

„Und dein Wort? Hast du's im Wein ersäuft?“

„Ich verstehe euch nicht?“

„Du hast Handgeld genommen!“

„Ich? Handgeld? Das ist gelogen!“

„Du hast „ja‘ gesagt und das Geld eingesteckt!“

„Er sagte das bestimmt und ich wußte nicht, was ich denken sollte. Da klopfte mir einer auf die Tasche:Münzen klangen darin: ich war verloren, das fühlte ich. Wohl tobte ich gegen den Sergeanten, gegen Sebastian und alle; was half's! Zuletzt verlangte ich,vor den Landvogt geführt zu werden, um ihm ihre Schändlichkeit zu erzählen, und man that mir den Willen und lachte dazu. Ich geriet vom Regen in die Traufe! Wie ein Toller fuhr er auf mich los: ‚Zu Hause reißt das Gesindel aus, säuft mit den Soldaten,was der Schlund führen mag, verpfändet sein Wort und ist gemein genug, es im Handumkehren zu brechen!Schafft mir den Lümmel aus den Augen und muchkst er sich noch, so peitscht ihm die Schwarte rot und blau.“

Man führte mich hinaus, ich konnte nichts entgegnen, die Thränen erstickten mir die Stimme. Draußen stand Sebastian, lachte und suchte mich zu trösten:„Pfui! Jetzt heult mir der Junge noch! Da möchte man doch alle Heiligen in die Hölle fluchen und alle Teufel aus dem Boden beten! Pfui! Ein rechtes Faß tropft nicht, Lucien! Das ist ein schlechtes Faß, das Wasser läßt!“ Dann wurde er friedsamer und klopfte mir beschwichtigend auf die Achsel: „Laß es gut sein,Junge: aller Anfang ist schwer.“

„So wurde ich Soldat. Und nun? Ist's meine Schuld allein? Wär's nicht ein anderer auch geworden?Und ich soll es nun bis ans Ende meiner Tage büßen?Nein, Jenny, nein, du mußt mich halten! Sieh, ich will wieder ein rechter Mensch werden, stoße mich nicht hinab! Von dieser Stunde hängt es ab: um deinetwillen vermag ich alles, hilfst du aber nicht, so laß ich es gehen, wie es will, und wenn ich ein Teufel und der Teufel aller Teufel würde!“Er hatte die letzten Worte in heller Leidenschaft ausgestoßen; Jenny, erschreckt, wußte nicht, was sie erwidern sollte. Sprach er im Ernste so, oder war alles Verstellung? War ihm wirklich zu helfen? Mußte sie sich opfern? Sie konnte es nicht, ihr Herz hing ja an einem andern.

„Jenny, Jenny, erbarme dich meiner! sag' mir ein gutes Wort, strecke deinen Arm aus, daß ich mich daran halte! Sei gut! du bist schön, sei auch gut!“

„Thu' mir nicht so weh, ich kann ja nicht!“

„Du kannst, wenn du nur willst! Wenn einer am Ertrinken ist und man steht am Rande des Teiches,zögert man, sich in die Flut zu werfen? Hole mich heraus! o, es ist bitter im Schlamm zu ersticken und zu verderben!“

Sie hatte Lucien noch nie so sprechen hören, sie vergaß halb, daß es des Soldaten Stimme war, die so bebte, und sie wurde gerührt. Aber gleich wehrte sich die Liebe in ihr gegen den Eindringling: man legt das eigene Herz nicht leicht auf den Altar der Barmherzigkeit.„Es kann nicht sein, Lucien!“

„Sag's noch nicht Jenny! Sieh', als ich Soldat war, fern in Marseille, und mein Leben vergeudete, wie der verlorene Sohn sein Gut, in schlechter Gesellschaft und bei rohen Kameraden, da war mir jeden Abend,wenn ich mich auf der Pritsche ausstreckte, es sei mir an dem verflossenen Tage ein Stück Rechtschaffenheit von Leib und Seele gefallen. Nun fühle ich, daß mir noch ein gutes Restchen blieb, aber ich fühl' auch, daß ich es mir heute selber aus der Brust reißen und mit den Schuhen zerstampfen werde, wenn du mich zurückstößt.“

Der Ton seiner Stimme hatte plötzlich umgeschlagen,es war wieder der Soldat, der sprach. Das gab Jenny die Besinnung zurück.

„Wie soll man zu dir Vertrauen fassen, wenn du so sprichst? Wem seine Rechtschaffenheit nicht werter ist,als alles, wer sie in übler Laune selbst mit den Schuhen zertreten möchte, dem gebe ich meine Liebe nicht: ich fürchte die Laune, in der er sie zerstampft!“

„Besinne dich, Jenny! Sieh', ich kann lieben, heiß,wie die Kohle brennt, aber ich kann auch hassen, scharf,wie mein Messer schneidet! Jenny, nimm mich an, ich möchte nicht, daß du mein Messer schmecktest!“

Er näherte sich ihr und raunte ihr zu, und seine Stimme bekam einen heiseren Klang: „Du weißt nicht,wie Liebe thut! Jenny, Mädchen, werde mein!“

„Rühr' mich nicht an! Das also ist deine Liebe!Geh, oder ich schreie den Vater heraus!“

„Thu's nicht, wenn er dir lieb ist! Mein mußt du werden, Jenny, ich bin schon mit andern fertig geworden! Mein, mein!“

Unheimlich klangen die Worte und ihr Ton war noch böser als ihr Sinn.

Er wollte Hand an sie legen, sie aber erhob den Spaten und schwang ihn über seinen Kopf, so daß er,von der unerwarteten Bewegung überrascht, zurückwich.„Hüte dich, elender Heuchler!“

Die beiden standen sich einen Augenblick regungslos gegenüber, sie drohend, er unentschlossen und lauernd.

Da knirschte der Schnee. Es war Marcel, der auf die beiden zuschritt. „Jetzt weiß ich, warum Lucien dir nachstellt: du hast das Soldatenblut in den Adern, das ihm fehlt!“ rief er

Jenny schien der Zuruf vom Himmel zu kommen,sie ließ den Spaten sinken und atmete auf. Sie hätte aufschreien mögen vor Lust, wie sie den Geliebten kommen sah, breitschultrig und hoch. Der Vollmond stieg oben aus einem Bergsattel empor, groß wie eine Feuersbrunst, und hauchte sein frostiges Licht hinab ins Thal, übersäte die ganze Halde mit funkelnden Demanten und blies oben am Himmel den kleinen Sternen die Lämpchen aus. Düster im Glanz stand Marcel.

„Geh' ins Haus, Jenny!“ sagte er, indem er seinen Kittel auszog und auf den Schnee warf. Das Mädchen sah, was kommen sollte, trat zwischen die beiden Männer und flehte Marcel an: „Geht im Frieden auseinander, es giebt auf dem glatten Schnee ein Unglück!“

Marcel schüttelte den Kopf und schob sie beiseite,und zu dem Soldaten gewendet: „Du verstehst mich,und wie es ausfällt, so sei's!“

In jenen abgeschiedenen Alpenthälern gelten noch die einfachen Naturgesetze, nach denen der Hirsch den Hirsch und der Stier den Stier anrennt: der Kampf entscheidet, wer der Liebe froh werden solle.

Marcel streift die Hemdärmel zurück. „Wehre dich!“rief er und ging mit vorgebeugtem Körper und ausgestreckten Armen auf den Rivalen los, bedächtig und unheimlich.Lucien wich einige Schritte zurück; der Kampf mit Marcel mochte ihm unlieb sein, denn er hatte am letzten „Bergdorf“*) dessen unbändige Kraft kennen gelernt:keiner war ihm stark genug gewesen in Rötschweiler und den deutschen Nachbarthälern.

„Wehr' dich!“ rief ihm Marcel zu, und als der andere weiter zurückwich, wiederholte er den Ruf:„Wehr' dich, oder das ganze Thal soll auf dich speien!“

Der Soldat fuhr mit der Hand in die Tasche, und x) Älplerfest.als er fie herauszog, blitzte das Mondlicht darauf: er hatte sich mit dem Messer bewehrt. „So komm', wenn es dich gelüstet!“ rief er höhnisch.

Marcel wallte das Blut ob der Feigheit: in den Bergen schändet das Messer den, der es im Kampfe braucht; die Faust ist die ehrliche Waffe, das Messer ist ein friedfertiges Gerät. Er stürzte, die Schneide verachtend, auf den Gegner los; der Stahl zuckte nach ihm und er merkte, wie ihm gleich das Blut am Arm herunterfloß. Aber schon hatte er den Schurken erfaßt,ihn mit gewaltigem Ruck in die Höhe gehoben, und warf ihn nun mit einem Fluche nieder. Dumpf schlug der Körper auf dem Schnee auf. Jenny stieß einen Schrei des Entsetzens aus; der Sieger aber warf sich auf sein Opfer und würde es erwürgt haben, hätte ihn das Mädchen nicht zur Besinnung gebracht.

„Töte ihn nicht!“ Und sie klammerte sich an ihn.„Du blutest ja, komm' ins Haus, daß wir nachsehen!Sieh', wie der Schnee sich färbt!“

„Es ist am Arm und hat nichts zu sagen; laß' mich den Schurken zertreten, wie man eine Spucke mit dem Schuh zertritt!“

Mit Mühe hinderte sie ihn an zornmütiger That.Endlich wich sein Knie von der Brust des Soldaten und lockerte sich seine grimmige Faust.„Er regt sich ja nicht!“ rief Jenny aufs neue geängstigt und wollte sich mit dem Ohnmächtigen zu schaffen machen; Marcel aber hielt sie zurück und rief:„Rühre den Buben nicht an und habe keine Angst um ihn! ein Rechtschaffener könnte so liegen bleiben, das Aas nicht, es hat seinen Heiligen in der Hölle!“

„Laß' ihn!“ befahl er ihr nochmals, als sie Lucien aufrütteln wollte.

Dann bückte er sich nach dem Messer, das der Soldat fortgeworfen hatte, um sich nicht selbst zu verletzen,und schritt dem Hause zu, eine dunkle Linie auf den weißen Grund zeichnend.

Jenny, der Marcel doch mehr am Herzen lag, als der Soldat, eilte ihm nach.

Die Verletzung war am Oberarme, hart an der Schulter, und erwies sich weniger gefährlich, als das herausquellende Blut hatte glauben lassen. Jenny und ihr Vater wuschen die Wunde sorgfältig aus und banden sie dann mit Leinenzeug fest und säuberlich zu.In einer Viertelstunde war alles besorgt, und der Bursche, wieder ruhig geworden und nun stolz auf seinen Sieg über das Messer, rief seinen Wundärzten zu: „Nun wollen wir uns erst recht einen frohen Neujahrstag machen! Am Schreißen‘ soll mich mein Arm nicht hindern! Jenny, zieh' deine leichtesten Schuhe an,daß es dir flink über die Bretter gehe, und ihr, Vater Jaquot, spielt nicht den Brummbär, sondern sagt: ‚So geht in Gottes Namen!““

„Ich wollte, wir schauten nach Lucien!“ sagte Jenny.

„Laß' ihn liegen und rüste dich zum Tanz!“

Sie aber eilte hinaus und die beiden Männer folgten ihr.

Lucien hatte sich halb aufgerichtet. Wie er die drei nahen sah, erhob er sich ganz und rief ihnen zu:„Heute habe ich den Spott, ein andermal sollt ihr ihn haben! Ich hatte die Rechtschaffenheit im Sinn, ihr wollt, daß ich ein Schurke werde; wohlan, ihr sollt euern Willen haben! Für euch will ich der Schurke sein, und stellt er euch einmal ein Bein, so flucht ihm meinetwegen, wie er euch jetzt flucht. Rache will ich, Rache für mein verpfuschtes Leben! Rache an euch! Seid darauf gefaßt! Und wenn es euch je zu wohl ist, so denkt an mich und an die Rache, wie ich allezeit an euch und die Rache denken will!“ Er hob die drohenden Fäuste in Kopfeshöhe und hinkte dann davon, ins Dörfchen hinab.

Marcel schleuderte ihm seinen Hohn nach; Vater Jaquot aber schüttelte den Kopf und sagte: „Du hättest nicht mit ihm raufen sollen, er ist ein verwegener Mensch.Mir ahnt nichts Gutes!“ „Was soll mir der Tagedieb?“ lachte Marcel. „Ein bellender Hund beißt nicht; ich aber werde mich für alle Fälle vorsehen ... von morgen, oder doch von übermorgen an! Heute jedoch will ich ein Leichtsinn sein und schreißen und mich froh machen für ein ganzes Jahr! Jenny, werde lustig, und ihr, Vater Jaquot,seid nicht so griesgrämig! Soll ein Jahr gesegnet sein,so darf man es nicht mit saurem Gesichte antreten!“

Der Alte erwiderte nichts und trat ins Haus.

„Jenny, thu' mir den Gefallen: komm' zum Tanz!Ich habe dich ja erobert! Ich bin froh darüber und muß der Freude Luft machen!“

Der Tag hatte ihr viel Angst und Besorgnis gebracht: Joachims Überfall, Luciens Werbung, und nun die Furcht, der Soldat möchte sein Rachewerk schon an der Schryßeten beginnen; selbst des Geliebten Nähe und Frohmut waren nicht imstand, die düstern Schatten aus ihrer Brust zu verscheuchen. Und doch war es ihr unmöglich, Marcel seine Bitte abzuschlagen, denn je mehr Wolken sich über ihrer Liebe türmten, desto leidenschaftlicher wurde diese, sie war wie der Stahl, der unter dem Hammer sprüht und sich dabei festet.

Vater Jaquot gab endlich seine Einwilligung zum Tanz, mürrisch zwar und einsilbig, und als die beiden sich zum Gehen schickten, rief er ihnen nach: „Das aber DDDDD mag es sein; ein Tollen drei Tage und drei Nächte lang dulde ich nicht! Und noch eins: nachher sei's,wie es vorher war! Ich will kein Liebeln hinterdrein!Ich und Gabriel können Jenny nicht entbehren, und du Marcel mußt erst lernen, auf einem Wege zu gehen,ohne nebenaus zu treten! Eine Liebelei nachher giebt's nicht! Ihr versteht mich!“

Marcel kränkte des Alten Rede, und er ging mit einem kurzen „Gute Nacht“ davon, Jenny mit sich ziehend.Sie schritten wortkarg in den „Grund“ hinab, der „Tanne“ zu. Die Verstimmung wurde erst verjagt durch die Klänge der Geigen, die bald gedämpft und sehnsüchtig, bald frohlockend und leidenschaftlich durch die Scheiben drangen, in einem Fluge mit dem Lustgejauchze der Tänzer und dem übermütigen Stampfen der Sohlen.

„Es ist ein Walzer, wir tanzen ihn hier auf dem Schnee!“ sagte Marcel; der Vorschlag dünkte Jenny lustig und schon horchte sie auf den Takt der Musik,„Da mein linker Arm halb lahm ist, mußt du dich wacker an mir festhalten, Kind!“ Auch gegen dieses Begehren fand sie keinen triftigen Grund und willfahrte gehorsamst. Nun glitten die Füße über den demantenen Schnee, der Mond übergoß die Tänzer mit seiner milden Lichtflut, und ihre Herzen stimmten sich auf den nämlichen süßen Ton, jenen Traumaccord, der denjenigen erklingt, die mit der Seele tanzen.

Als der Walzer abbrach, traten sie ins Haus und drehten und wiegten sich, und eines freute sich des andern, bis die Gestirne erblaßten und über die geisterhaften Häupter der Berge ein rosiger Schimmer flog,den strahlenden Wintertag verkündend, der einherkam,um das bleiche Mondlicht und die gespenstigen Nachtschatten zu verscheuchen. Die meisten der jungen Leute achteten nicht auf den Tag: „Laßt den Bogen fliegen!“riefen sie den Geigern zu und schwangen sich, daß die Diele schwankte. Jenny und Marcel dagegen schritten im Morgengrauen die Halde hinan, schweigsam, wie sie am Abend hinabgestiegen waren; aber es war nun keine Mißstimmung, die ihnen das Wort in der Brust festhielt: es war jenes stille Glück, das keine Worte braucht,um sich zu verkünden: eines wußte, was das andere fühlte, auch wenn die Lippen nichts verrieten.

Oben vor der Hütte hielten sie an und suchten nach einem Geplauder, um das Auseinandergehen hinauszuschieben, wie Liebende ja zu thun pflegen. Jenny zeigte mit der Hand nach den dunklen Flecken im Schnee,die Marcel mit seinem Blute gemalt hatte. „Ich werde den gestrigen Abend nie vergessen.“

Das Bergdorf. „Das Blut ist für dich geflossen, Jenny, und solches Blut bindet, wie man sagt. Ist es dir unlieb, daß es meines ist?“

Sie schwieg, er faßte ihre Hand und fuhr fort: „Dein Vater hat gesagt, es solle zwischen uns keine Liebelei sein: er hat recht, aber Liebe soll sein, Jenny, unverbrüchlich und wahr: ich gelobe sie dir, thu' mir ebenso, thu's!“

Nun hatte sie das Geständnis vernommen, nach dem sie sich so sehr gesehnt hatte: wie oft hatte sie sich in den letzten Wochen diesen Augenblick ausgemalt! wie sie ihm an den Hals springen und die Arme um seinen Nacken legen wolle ...

Jetzt erfuhr sie, wie Traum und Wirklichkeit sich narren: die Freude vermochte nicht aufzulodern, es war ein namenloses Bangen, was ihr die Brust nun auf einmal füllte. War es das Wort „Liebelei“, was sie so stimmte? „Liebe, unverbrüchlich und wahr,“ hatte er gesagt. War es sein Ernst? Und war er solcher Zuneigung fähig? Wenn er mit ihr nur sein Spiel triebe.wie er es mit andern schon getrieben? Waren es die Ereignisse der letzten Tage, die in ihrer Seele nachhallten und ihr das eben noch so wonnig empfundene Glücksgefühl erstickte? Joachims Wahnsinn, an dem Marcel seine gute Last trug? Luciens Drohung und des Vaters: „Mir ahnt nichts Gutes!?“„Du schweigst, Jenny? Siehe ich habe gemeint, du liebest mich, wie ich dich liebe: sage mir, daß es kein Wahn war!“

Nun ermannte sie sich: „Du hast dich nicht getäuscht,aber ich bin traurigen Herzens, daß es so ist!“

Jenny!“

„Liebe, unverbrüchlich und wahr: ich könnte fie halten, meiner bin ich sicher, aber ...“

„Aber meiner nicht? Willst du das sagen, Kind?Was habe ich dir gethan?“ Er ließ ihre Hand fahren.

„Du weißt, was dir alle Welt vorwirft. Spielen mit mir lasse ich nicht!“

„Bei meiner Seele, ich meine es ehrlich und treu!Glaube mir!“„Marcel, du hast mir den Bruder aus dem Grab geholt, von jenem Abend an liebte ich dich; jetzt aber deucht mich, es sei mehr Gabriel zu lieb, als um deinetwillen!“„Jenny, was treibt dich zu solcher Rede, wann habe ich dir weh gethan?“

„Nie, aber mir bangt, du möchtest es nachholen.Und glaube mir, hätte ich die Gewißheit, daß du mir nur einen Augenblick, nur einen Augenblick untreu werden könntest: ich risse mir die Liebe aus der Brust, wie man sich einen schlechten Fetzen vom Gewand reißt, und

6*müßte ich auch sterben daran! Sag', hast du noch Keiner Treue geschworen und dein Wort dann gebrochen?“

„Nein, Jenny!“

„Auch in der Fremde nicht?“

„Auch in der Fremde nicht.“ Er sagte es ohne Zögern und Überlegung.

„Und willst von Stund an ...“

„Jenny, was will ich anderes, als dein eigen sein mit jedem Herzschlag von Stund an bis ans Ende?Glaube an mich, Jenny, und sei mir gut, wie den ganzen Abend. O, wie schön war es, wie froh war mir der Mut! Jenny, sei wieder gut!“

„Du kennst mich nicht! Ich bin meine Mutter selig:du weißt es, sie hatte Mannsblut in den Adern: sie war es, die den letzten Wolf in Rötschweiler erschlug,und sie starb, als Fayets Haus niederbrannte und sie die lahme Gertrud, die in den Flammen schrie, herausholen wollte, da die Männer zu feig waren. Ein Dachbalken erdrückte sie. Ja, ich bin wie sie! Und fände ich einmal Untreue an dir, mir mangelte der Mut nicht,ein Ende zu machen mit dir und mit mir auch!“

Drohend und hochaufgerichtet hatte sie es gesagt und Marcel stand sprachlos da. Jennys Zornmut war aber zugleich mit den heftigen Worten entflohen, auf einmal schlug die Härte in Weichheit um, sie eilte auf den Geliebten zu, umklammerte seinen Nacken und brach an seiner Brust in Thränen aus.

„Mache mich nicht elend,“ flehte sie. „Sieh', ich liebe dich mehr, als ich es zu sagen weiß, und kann ohne dich nicht sein. Zürne meinen Worten nicht und sei mir gut, wie ich dir gut bin!“

Er umfing sie mit seinem heilen Arm und wiederholte seine Liebesschwüre, bis ein Mund den andern schloß und die Seelen wiederum keiner Worte bedurften,um sich zu sagen, wie ernst und froh, wie bewegt und ruhig zugleich sie nun waren. Als die beiden wieder Augen hatten für die Welt um sie herum, da schossen eben die ersten Sonnenstrahlen auf die höchste Spitze des Gebirges und blitzten ab, wie von einem Silberspiegel.

Marcel wies mit der Hand zu dem Glanz empor:„Es ist wie ein Stern.“

„Ein Stern der Hoffnung!“ ergänzte sie.

Der Glanz mahnte sie zur Trennung, denn nun waren sie vor Jennys Vater nicht mehr sicher.

„Ich hole dich nachts wieder zum Schreißen,“ sagte Marcel, „wie sollen wir es sonst aushalten!“

„Hast du des Vaters Worte vergessen?“ sagte sie,ohne es ernst zu meinen.

„Er ist mir nicht ganz grün, du mußt ihn jetzt herumbiegen und ihm glaublich machen, daß es, so weit das Gebirge reicht, keinen bravern und zähmern und ...“

„Da werde ich mich hüten!“ rief sie und eilte ins Haus.Als der Tag, der ihnen so schön angebrochen war,versunken war, stiegen die beiden wieder hinab zur „Tanne“. Vater Jaquot hatte sich zwar lange widersetzt,und hätte sich Gabriel nicht auf die Seite der Schwester gestellt, sie hätte ihn trotz ihrer Geschicklichkeit schwerlich herumgebogen.

Der zweite Tanzabend war den Verliebten noch seliger als der erste, denn das Glück, das gestern noch einem Zimmerwerk glich, dem nicht recht zu trauen war,schien jetzt gefestet und gefügt fürs ganze Leben, jedem Sturm ein Trotz und jedem Wetter eine Wehr.

Die Alten, die an den Wänden saßen, an ihren Pfeifen zogen und zuschauten, verfolgten gerne mit den Blicken die aneinander gelehnten schönen und starken Gestalten Jennys und Marcels, die, wie ein Bild der Gesundheit und Kraft, über die Bretter schwebten.Selbst diejenigen, die dem Burschen nicht ganz hold waren, freuten sich an dem Anblick, denn die Älpler,die an Steinstoßen, Schwingen und Ringen ihre Herzenslust haben, besitzen ein empfängliches Auge für die Vorzüge des menschlichen Leibes und sind geneigt, der Schönheit und Kraft eine Ausschreitung zu verzeihen.

Mitternacht kam heran, der Tanzboden wogte und brauste und klang, und jede Brust flog; da fuhr in die Lust, wie von der Geisterstunde ausgestoßen, eine verstörte Gestalt, bleich und unheimlich. Es war Joachim.Man hatte ihn zu Hause eingeschlossen, er aber hatte sich frei gemacht. Er stellte sich an eine Wand, sah in den Tanz hinein und verfolgte das stattlichste Paar mit stieren Augen, und wenn es sich an ihm vorbeidrehte,erhob er die Faust und stieß Worte aus, die im Brausen des Raumes untergingen, aber zornig sein mußten. Sein Kamerad Lorenz, der bei den Alten saß, weil er nicht den Mut gehabt hatte, ein Mädchen zu schreißen, obschon er vor Sehnsucht nach einem Weibchen fast verging, schritt auf ihn zu und wollte ihn bewegen, den Tanzboden zu verlassen; der Hintersinnige aber wies ihn weg, starrte in die wogenden Tänzer und schwang die Faust. Die Tanzfreude stockte bei dem Anblick.

Ein paar Burschen, denen ein Störenfried jetzt nicht willkommen war, ergriffen ihn endlich und schoben ihn hinaus. Da schrie er, daß es den Tanzlärm übertönte:„Jenny! Jenny! rette mich! Du hast mir gewunken am Altar! Ich bin der Champod!“

Jenny war bei den stieren Blicken und dem gellenden Schrei alle Lust vergangen; aber Marcel riß sie fort in den betäubenden Strudel. Sie ahnte, daß der Verrückte noch nicht von der Verfolgung lassen werde und wendete den Blick beim Drehen ängstlich nach der Thüre und den Scheiben. Dort stand er schon vor dem Fenster und starrte hinein, als käme er von der Totenpredigt, und wie sie an ihm vorbeitanzte, erhob er wieder die Fäuste und schlug sie durch das Glas, und prasselnd und klirrend flogen die Scherben in den Saal. Er rannte zum nächsten Fenster und zum dritten, überall das gleiche Werk der Zerstörung anrichtend: in wenigen Augenblicken war alles geschehen. Als er beim letzten war, streckte er die zerfetzten und blutigen Fäuste in den Saal und schrie: „Meister, ich fluche dir, du Brautschelm, du Brautschelm!“

Man eilte hinaus, Marcel voraus, nicht um ihn zu strafen, sondern zu bändigen; der Verrückte verschwand aber in der Nacht und wurde den ganzen Winter in Rötschweiler nicht wieder gesehen.

Der Auftritt hatte allen die Festfreude zerscherbt;besonders den Mädchen kam das Geistergesicht nicht mehr aus dem Sinn. Die Geiger stimmten noch ein paarmal ihre Weisen an, die lustigsten und raschesten; aber ihre übermütigen Klänge thaten den meisten in den Ohren weh: der Saal lichtete sich nach und nach, gedämpfte Stimmen entfernten sich von der „Tanne“ und verloren sich in den Hütten, und bald entschlief auch der letzte Ton im Dörfchen.

Als der dritte Morgen des neuen Jahres über die Felsgräte nach Rötschweiler hinuntersah, lag es da,äußerlich friedlich und träumerisch wie sonst, innerlich unbehaglich und verdrossen.oachims Raserei und Verschwinden gaben in RötschJ weiler Anlaß zu vielem Reden und Mutmaßen,man glaubte allgemein, er habe sich ein Leides angethan.Die Zungen ergingen sich besonders weidlich und unfreundlich über Marcel, obschon er an dem Unglück des Kühers keine größere Schuld trug, als mancher andere.

Am schärfsten urteilte der Vater Jaquot über ihn,seit er bemerkt hatte, daß seine Tochter jedesmal die Farbe wechselte, wenn der Name des Burschen genannt wurde. Er war nicht blind für Marcels gute Eigenschaften, aber es ging ihm wie den andern: er hatte kein rechtes Zutrauen zu ihm.

„Mich nimmt Wunder, ob sich einmal ein Rötschweiler Mädchen an den hängen wird. Die, welche ihn nimmt, mag sich auf Disteln gefaßt machen: er ist ein Übermut, und der springt über anderer Leute Köpfe,bis er ein Bein bricht.“

Wenn Jenny das rechte Wort der Entgegnung nicht fand, oder, um die schlimme Laune des Vaters nicht zu schüren, es nicht auszusprechen wagte, nahm sich statt ihrer Gabriel des Freundes an: „Ohne den Übermut läge ich mit meinem gebrochenen Beine oben in der Krähenschlucht unter dem Schnee. Vergiß das nicht,Vater, und schilt mir den Übermut nicht gar zu grausam!“ Dieser Einwand entwaffnete den Alten jedesmal für einen Tag oder zwei.

Endlich konnte Jenny ihre Heimlichkeit und des Vaters Reden nicht mehr ertragen und sie erklärte ihm,wie es zwischen ihr und Marcel stehe. Daß das Verhältnis schon so weit gediehen, hatte der Alte nicht gedacht. Er geriet rechtschaffen in Zorn, darüber besonders,daß solches Spiel hinter seinem Rücken abgekartet worden war. Seine Jenny, die sonst die Aufrichtigkeit selber war. hatte Hand zu solcher Schelmerei geboten!

„Es hilft alles nichts! Ihr müßt die Sache wieder voneinander scheren!“ sagte er. Und als Jenny trotziglich den Kopf schüttelte, setzte es in der Hütte viel Lürm und Gepolter ab: der Alte that, als wollte er seine Holzschuhe durch alle Böden stampfen und die Fäuste durch Diele und Dach stoßen, und schnaubte dabei so dick geratene Worte, als hätte es gegolten, die Wände auseinander zu blasen. Jenny aber blieb fest.

Als Jaquot einige Tage später Marcels Vater in den Wald gehen sah, nahm er eine Art auf die Schulter und schlug den nämlichen Weg ein. Wie von ungefähr stieß er zum andern und fing an, mit ihm zu plaudern über dies und das, über Holzschlag und Viehwinterung.Als sie ihren Vorrat an Weisheit und Wissen ausgetauscht hatten, sagte Jaquot zum Nachbar: „Sei nicht allzu fleißig und gönn' dir bald Feierabend!“ Dann schickte er sich zum Gehen, drehte sich aber nochmals um und fragte: „Sag', was schafft dein Bub im Berg diesen Winter?“

„Warum die Nachfrag', Nachbar Jaquot?“

„Ich seh' ihn all die Zeit fast täglich an meinem Haus vorbei nach der Höhe gehen.“

„Mag sein, daß er da oben Lärchen schlägt.“

Jaquot wußte, daß Marcel keine Lärchen schlug:das hätte sein wunder Arm noch nicht zugegeben; aber er that, als merke er die Lüge nicht, und fragte in gleichgültigem Tone:

„Will er für sich ein Haus bauen?“

„Du fragst seltsam, Nachbar, er hat ja das meine.“

„Man sagt, der Neujahrstanz habe ihm so wohl gefallen, daß er sich seither etwa den Hochzeitstanz überlege!“

„Er hat mit deinem Kind getanzt.“

„Das weiß ich auch, Nachbar, und weil die Unterhaltung es nun so gegeben hat, könnten wir uns ja gleich sagen, wie wir's meinen oder zu halten denken.“

Der alte Roux spuckte in die Hände und rieb sie am Arxthelm, um Zeit zur Überlegung zu gewinnen,und betrachtete zugleich seinen Nachbar, dessen Gedanken er gerne erforscht hätte.

„Ja, was ist da zu sagen, Nachbar Jaquot? Ich habe drei Schürzen im Haus, das ist mehr als genug.Die Töchter sind erwachsen, oder doch so viel als erwachsen, und meine Alte führt den Besen noch trotz einer Jungen und würde den Stiel noch nicht gerne aus der Hand lassen ... Was ist da zu sagen? Alle Achtung vor deiner Tochter, die wär' mir schon recht, aber ich kann noch keine Sohnsfrau brauchen. Du weißt, was man sagt: Zwei Weiberröcke können so viel Wind machen,daß es das beste Dach vom Haus lüpft!‘ Mein Dach liegt mir recht, wie es ist.“

„Du sprichst, wie es mir lieb ist, Nachbar Roux.

Wir müssen die zwei auseinander halten. Du hast deine Sache gesagt, ich will die meine sagen. Ich habe nur eine einzige Schürze im Haus und mag sie nicht flattern lassen. Wie sagt man doch? „An einer guten Schürze hat sich schon manches Haus aufrecht erhalten.“Mein Haus steht mir recht, wie es steht. Alle Achtung vor deinem Sohn, aber es ist mir lieber, er suche seine Frau in einem andern als in meinem Haus. Und wer weiß? Vielleicht plaudern wir da in den Wind und es ist ihm gar nicht ernst mit dem Heiraten: es hat schon manches Finklein gepfiffen und hat den Frühling doch nicht gemeint. Lebe wohl, Nachbar Roux.“

Er ging. Der andere spuckte wieder in die Hände,schlug unwillig die Axt einer Tanne in die Wurzeln und ließ sie im Holz stecken, um sich seinen Gedanken zu überlassen. Jaquots Worte ärgerten ihn. Er hatte schon verstanden, wie das gemeint war, was der Schalk über Marcel gesagt hatte, und das Schlimme war, er mußte den Hieb auf sich sitzen lassen. Der Zorn regte sich in ihm, zuerst über Jaquot, dann über das leichtfertige Wesen seines Sohnes. „Das muß sein Ende nehmen,sonst wird er das Gespött von ganz Rötschweiler.“ Wäre der Nachbar nicht schon so weit gewesen, er hätte ihn zurückgerufen, um die Angelegenheit mit ihm ohne Schalkheit und Verstellung zu besprechen; denn das sagte er sich: „Ist eine imstande, Marcel Zügel anzulegen, so ist es Jenny.“Als am Abend Marcel sich zu Bette begeben wollte,rief ihn sein Vater an; „Sag', die Zungen wetzen sich,scheint's, wieder weidlich an dir! Man sagt, du laufest mehr die Halde hinauf, als eben recht ist. Wie lange willst du noch des Teufels Narrheit reiten? Was ist zwischen dir und Jaquots Jenny?“

„Was soll sein?“

„Nur keine Ausflüchte!“„Ja nun! eine Narrheit, Vater, ist's nicht! ich habe ihr mein Wort gegeben und meine, nichts Tolles gemacht zu haben.“„Dein Wort gegeben? So? Und meinst wohl, wir werden nun Ja und Amen dazu sagen, ich und meine Alte,und dir noch danken? Lauf' dir erst die Narrensohlen ab und dann denke ans Heiraten!“ So wetterte er noch eine Weile und verschwand dann.

Die folgenden Tage paßte er auf, wo der alte Jaquot sich etwas zu schaffen mache. Endlich sah er ihn die Halde herabsteigen, über das Eis des Flusses schreiten und jenseits in einer Schlucht verschwinden. Er ging ihm nach, den hallenden Schlägen der Art folgend, und sagte ihm nach den unerläßlichen Umschweifen, er habe sich nun die Sache mit Marcel und Jenny überlegt und finde sie etwas weniger stachlig als zuerst; er habe auch mit Marcel ein ernstes Wörtchen gesprochen und der Bursche scheine die Heiratsgedanken nicht nur auf der Zunge, sondern unter dem „Brusttuch“*) zu haben.

*

Weste.

„Kurz““, schloß er, „mich dünkt, die beiden wollen sich zu Gerechtem haben, und ich bin zu dir herausgekommen,um zu sehen, ob wir Alten nicht auch einig werden könnten.“Nun war es Jaquot, der den Axthelm einrieb und dabei nach geschickten Worten suchte, um das, was ihm an Marcel mißfiel, zu sagen und doch den Nachbar nicht zu verletzen.

Der alte Roux gab die Fehler seines Sohnes zu,beschönigte sie aber und meinte, eine rechte Frau werde ihn schon in die Schuhe stellen, wie es eine Gattung habe und sein müsse; er traue Jenny das Beste zu.

So redeten sie her und hin und wurden endlich gleicher Meinung.

„Aber,“ sagte Roux, als er des andern Hand in der seinen hielt, „das bleibt einstweilen zwischen uns beiden,und wenn ich zu einem Rate gut bin, so wollen wir thun, als gälte es uns, Berge zwischen den beiden aufzuwerfen und Thäler zu graben. So werden sie wie Kitt zusammenhalten.“

„Du sprichst wahr,“ erwiderte Jaquot, „will man zwei Eisenstücke tugendhaft zusammenschweißen, so muß man darauf schlagen, je mehr desto besser.“

Die beiden gingen auseinander und mieden sich von'da an. Zu Haus türmten sie Berge und wühlten sie

Thäler auf zwischen Jenny und Marcel und erreichten ihren Zweck. Scharf war der Kampf besonders im Hause Roux, denn der alte Fuchs hütete sich, seine Frau in das Geheimnis einzuweihen, hetzte sie vielmehr gegen Jenny auf: „Was? du willst schon eine Junge ins Haus lassen! daß sie alle Zeit hinter dir her sei und dir mit dem Besen um die Waden fahre?“

Vater Jaquot dagegen lamentirte, weder er noch Gabriel verstünden Kraut zu kochen und Speck zu sieden;drum könne er Jenny nicht aus dem Hause lassen: sie werde doch nicht glauben, daß er in seinen alten Tagen ein Leben führen wolle, wie ein Hund vor einer gefrorenen Suppe!

„Und wenn Marcel nach der Hochzeit zu uns zöge?“fragte Jenny eines Tages schüchtern. „Er würde die schwere Arbeit verrichten und du und Gabriel die andere,und es ginge uns leicht, wie es den Mücken in der Sonne geht.“Ihr Vater schüttelte den Kopf, dachte aber: „Das habe ich mir längst überlegt! da bekäme auch der Nachbar nicht zu viel Röcke ins Haus und sein Dach wäre sicher.“Als Jenny ein paar Tage darauf wieder Sturm lief,wandte er ihr unwillig den Rücken und brummte:„Meinetwegen! wenn es doch erzwungen sein muß.“Sprach's und ging ihr aus den Augen; über sein runz

Das Bergdorf. 7 98liches Gesicht aber flog die Zufriedenheit und verzog ihm die Falten zu einem Lächeln.

Als der Widerstand im einen Hause gebrochen war,erlahmte er bald auch im andern, und lange bevor Rötschweiler sich in sein blumiges Gewand steckte, herrschte wolkenlose Lenzfreude in der Hütte am Flusse und in der andern an der Halde.

Als es im Dörfchen offenkundig wurde, daß Marcel und Jenny Brautleute geworden, hatte manches Mädchen, das auf den Burschen gezählt hatte, ein bitteres Stündchen auszukosten. Die meisten aber waren froh,daß das Treiben nun sein Ende genommen hatte. Wo Bitterkeit eingekehrt war, wurde sie gemildert durch die fromme Überlegung, Marcel werde es nicht fertig bringen,von einem Tage zum andern eine bessere Art anzunehmen,so daß man leichtlich noch einen Spaß erleben könne,wie ja der Wind zuweilen Schnee und Hagel hinter den Bergen hervorblase, wenn man den sonnigsten Frühlingstag erwartet habe.

Bald kam der Mai durchs Thal gewandert. Den sonnigen Halden entlang schritt er, und wo er die Sohle hinsetzte, ward der Boden lebendig und sproßte und blühte und grünte. Die Hirten schauten zu den Höhen empor und rüsteten sich zur Alpfahrt, die bald wieder das ganze Völklein auf die Berge ringsum zerstreuen sollte.Am Tag vor dem Aufstieg nahmen Jenny und Marcel in froher Stimmung voneinander Abschied und verabredeten, wie sie sich täglich aus der Ferne grüßen wollten. „Jedesmal wenn die Sonne zur Rüste gegangen ist,“ sagte Marcel, „setze ich den Trichter an und blase den Alpsegen über die Triften, und hell soll er schallen bis an dein Ohr.“

„Ich aber zünde die Laterne an, trete vor die Hütte auf den Rain und schwenke das Licht her und hin. Das mag dir mein Grüßen sein.“

„Im Juli aber soll es ein fröhliches „Bergdorf“geben! Da wollen wir tanzen, wie an der Schryßeten!Den Rasen fegen wir weg mit den Sohlen!“

Mitten im Sommer nämlich, wenn die Herden auf den obersten Weiden gehen, auf den grüngelben Flächen,die im Blau des Himmels zu schwimmen scheinen, kommt die ganze Thalschaft eines Sonntags bei der höchsten Sennhütte zusammen und feiert in Freuden ihr Sommerfest. Das nennen die Rötschweiler das „Bergdorf“ und freuen sich den ganzen Sommer darauf. Und ist ein Mütterchen selbigen Tages nicht imstande, dem Spiel und Tanze der Jungen zuzusehen, weil ihm der Weg,den es voriges Jahr noch ging, zu beschwerlich geworden, so betet es sein „Unservater“ inniger als sonst,von Todesahnen erfaßt.Lustig erklang das Thal am Tag der Alpfahrt, als wäre jedes Blumenglöckchen klingend geworden. Jenny stand vor ihrer Hütte und sah den Fußpfad hinab, denn Marcel mußte mit seinem Zuge des Weges kommen.Um das Haus am Fluß wimmelte es, wie an einem Viehmarkt; allmählich kam Ordnung in das Gewirr und nun bimmelte und schwankte es in langem Zuge empor,erst stockend und zaghaft, dann immer dreister. Voraus schritt die schönste Kuh, selbstbewußt und hoffärtig, mit der tiefsten Glocke, die sie an einem gestickten Halsbande trug, und mit Blumenkränzen um das leichte Gehörn.Neben ihr ging Marcel, im Sonntagsstaat, mit weithinschallendem Jauchzen und Jodeln der Geliebten sein Nahen verkündend. Hinterdrein, ein Stück hinter dem andern, die meisten bekränzt und alle mit Glocken verADDDDleibig und doch leicht auf den fast zierlichen Füßen.Einige hatten Melkeimer zwischen den Hörnern, bildeten sich darauf etwas ein und trugen den Kopf hoch. Mitten unter ihnen der Stier, verschlossen und mürrisch, den Kopf etwas verdreht, als plane er einen Anschlag mit den kurzen, seitwärts stechenden Hörnchen; stramm setzte er die mächtigen Füße auf, wie wenn er es von einem Drillmeister gelernt hätte. Den Kühen folgte das „Schmalvieh“: die Kälber und Ziegen, Schafe und Schweine,die Lorenz, der Knecht, mit einem Stock zu Paaren trieb.Die Kälber wendeten sich von Zeit zu Zeit rückwärts,um dem Stall ein kräftiges „Lebewohl“ zuzurufen; darauf antworteten vorn die lebenserfahrenen Kühe mit fröhlichen Trompetenstößen, die etwa sagen mochten: „Wie seid ihr närrisch! als ob der Stall etwas Apartes wäre, vornehmer als die sonnige Höhe und das saftige Kraut!“Den Schluß des Zuges bildete „Manni“, das Pferd,einen niedrigen Wagen schleppend, auf dem der riesige Milchkessel und das übrige Sennereigeräte, sowie Dinge zum Beißen und Brechen, wie Brot und geräucherter Speck Platz gefunden hatten. Der alte Roux führte das Pferd am Zügel, seine Frau und die zwei stattlichen Töchter, Luise und Helene hießen sie, folgten dem Wagen,von Zeit zu Zeit, wo der Weg gar steil und holperig war, mit den Armen stoßend, um „Manni“ die Arbeit nicht gar sauer werden zu lassen.

Wie Marcel an der Kirche vorbeikam, gesellte sich einer zu ihm und schritt an seiner Seite aufwärts. Es war Lucien.„Du fährst zu Berg, du hast es gut“, sagte er;„mir aber läuten die Herdenglocken ins ‚, Elend*). Was sollte ich hier anfangen? Ich nehme wieder Sold und

*)

Ausland.ziehe nach Frankreich. Wir haben uns gehaßt und gestritten, ich habe dich im Zorn gestochen und komme nun, dir alles abzubitten. Wir sind Vettern, es sollte zwischen uns kein Groll sein, besonders jetzt nicht, da ich gehe und vielleicht nie wiederkehre. Schlag' ein, wir wollen Frieden machen, ehrlich und lauter. Jenny steht nicht mehr zwischen uns, ich habe sie mir aus dem Sinn geschlagen.“

Marcel, der im Grunde eine harmlose und friedfertige Natur war, mißfiel die Rede nicht; er reichte Lucien die Hand und wünschte ihm Glück zu der Reise ins Elend. Plaudernd schritten sie nebeneinander bis zu Jaquots Hütte. Jenny und Marcel machten es kurz mit dem Abschied: ein Händedruck, ein Ineinanderlachen der Augen und schon waren sie auseinander, und weit übers Dörfchen hin schallte des Burschen Jauchzer und schreckte jenseits des Flusses in den Flühen ein Echo auf.Das Mädchen blieb stehen, um den ganzen Zug zu mustern und den zukünftigen Eltern und Schwestern frohe Alpfahrt zu wünschen. Lucien hielt sich in einiger Entfernung von ihr; als sie allein waren, trat er näher.

„Ich gehe aus der Heimat,“ sagte er.

„Du gehst in die Fremde? Da wünsche ich Glück auf den Weg!“„Du hast es eilig mit deinem ,Glück auf den Weg!““erwiderte er finster. „Du fragst nicht erst, wie es sonsten wohl Brauch ist: ‚Wo hinaus?‘ und ,warum? und ‚wann die Heimkehr?‘ Bei Gott! Du hast es eilig! „Gehe bald und kehre nimmer!‘ Gelt, das bedeutet dein ‚Glück auf den Weg!“

„Ich meinte es nicht so; hier ist meine Hand zum Abschied. Zieh' du hin in Frieden und in Frieden laß'mich zurück!“

Er schlug ihre dargestreckte Rechte mit der seinigen auf die Seite, daß es klatschte, und raunte ihr zu:„Ich bettelte am nämlichen Abend bei dir um mein Glück und hängte dir einen Fluch an. Auf das Glück pfeif' ich, den Fluch aber schmeiße ich dir zum andern Mal zu! Das wollte ich dir heute sagen und damit zahl' ich dein ‚Glück auf den Weg!‘ Zittere den ganzen Sommer lang; denn ehe er zu Ende geht, sollt ihr mich erfahren, du und der andere! Die Gelegenheit wird sich finden!“

Er grüßte sie zum Hohn nach Soldatenweise, und aus seinen sonst nicht unschönen Zügen grinste der Schuft.Bald verschwand er hinter einem Rain. Jenny, erschreckt, blickte noch lange nach dem Abhang, hinter dem er versunken. Sollte sie Marcel nacheilen und ihn warnen?Unten im „Grund“ erschien Lucien wieder, er schwenkte rechts ab und wandte sich thalabwärts, Rötschweiler und seinen Bergen den Rücken kehrend. Jenny wurde leichter und jetzt lachte sie schon über den ohnmächtigen Droher und über ihren eigenen Schrecken. Was hatten Marcel und sie von dem Prahler zu fürchten, wenn er draußen war, hundert Meilen weit weg und mehr?

Tags darauf stieg sie mit dem Vater und dem Bruder, der nun wieder leidlich gehen konnte, in die Maiensäße hinauf. Und nun gingen Abend um Abend die Grüße von Alp zu Alp: von der einen sang der weithin klingende Segensspruch, feierlich und klar; von der andern winkte das geschwungene Licht durch die Nacht, zitternd wie ein liebendes Herz. Nur wenn das Gebirge im Nebel steckte, mußte Jenny auf ihr Grüßen verzichten; um so andächtiger lauschte sie dem Ruf des Geliebten, der in der trüben Luft noch deutlicher zu ihr drang als sonst, und lieber und geheimnisvoller und weicher zugleich, fast wie ein Lied vom Himmel.

Nach einigen Wochen verließ man die Maiensäße und stieg höher, und immer höher in die Berge hinauf,dem Frühling folgend, der allgemach zu den Gipfeln emporklomm. Schon zählte das junge Volk in müßigen Augenblicken die Tage bis zum „Bergdorf“, da es jubeln und tanzen und ringen wollte nach Herzenslust. Indessen blieb ihm nicht viel Zeit, das Sommerfest vorauszuträumen: an Arbeit fehlt es den rüstigen Händen im Gebirge nie: wer nichts mit dem Melkeimer und dem Käsekessel zu schaffen hatte, der schlug Tag für Tag die Sense durchs Kraut oder zog den Rechen auf dem „Mähder“*); denn die Heuernte dauert in diesen Bergen drei Monate lang. Die beschwerlichste Arbeit wartete auf Marcel, der nun anfing, den Käse aus den Alpen ins Thal und hinunter nach dem Marktflecken zu schaffen,wo ihn ein Großhändler kaufte, um ihn über Genf nach Lyon zu fahren. Käsehändler von Rötschweiler war seit langen Jahren Marcels Vater gewesen; wie aber das Alter über ihn kam und ihm das Geschäft zu mühselig machte, überließ er es seinem Sohne, der dazu nicht nur die nötige Kraft, sondern auch den rechten Kopf zu haben schien.

In den Tagen vor dem „Bergdorf“ brachte Marcel die erste Fuhre Käse auf den Markt. Mit Lorenz trug er die schweren Scheiben aus den zerstreuten Hütten ins Thal hinab, wo der Wagen sie aufnahm. Am Donnerstag in der Frühe band er den letzten Käse auf seinem Reffe fest, einen Laib von wohl drei Zentnern, den er selber bereitet hatte und auf den er sich etwas ein

*)

Mähwiese. bildete: war er doch wohlgeraten, ohne Risse und gut bis in den Kern. Er kauerte vor dem Traggestelle nieder und legte sich in die Riemen; seinen Vater, der ihm beim Aufstehen behilflich sein wollte, wies er lächelnd weg und erhob sich fast mühelos mit der Last. Wohlgelaunt rief er dem Alten sein „B'hüt Gott“ zu und schritt dann hinaus in den tauigen Morgen, den vom Regen ausgewaschenen Pfad hinab, seiner unbändigen Kraft froh. Unterhalb der Hütte graste das Vieh. Auf einer kleinen Erhebung, abseits von den andern, stand der schwarz und weißgefleckte Stier, die Nüstern hoch,den Kopf unbeweglich in die Ferne gerichtet, die frische Luft einziehend und leicht dampfend ausstoßend: wie ein gewaltiger Kriegsherr stand er da, der Fleisch gewordene Trotz, ein Bild unverwüstlicher Kraft, eiserner Gesundheit und brutalen Wohlbehagens.

Marcel blieb stehen und sah zu ihm hinüber, denn „Brummi“ war sein Liebling; und wie er ihn so betrachtete, zuckte es ihm in den Armen, den Kampf zu wagen mit der gewaltigen Bestie und das Stärkste was den Boden tritt, niederzuwerfen, wie er am „Bergdorf“,wollte, behender und müheloser als letztes Jahr. Und auf dem ganzen langen Wege träumte er vom Schwingen und Steinstoßen und wie er die Gegner fassen und lüpfen und drehen und in den Rasen werfen wolle.Die Last auf dem Rücken merkte er nicht, er war sich nur seiner Kraft und Gesundheit bewußt. So träumte er bis in die Nähe des Dörfchens; da weckte ihn das Rasseln eines Wagens und ein Peitschenknall. Er stand still und sah hinab. Die Leute auf dem Fuhrwerk mußten ihn auch bemerkt haben, sie schwenkten die Hüte, und gleich erhob sich rauher Männergesang, den eine helle Frauenstimme begleitete. Marcel kannte das Lied, es war keines, das ihn froh stimmte:

„Du dort im Hirtenhemd,

Senne, herbei!

Schlecht steht der Stab deiner Hand:

Schlag' ihn entzwei!

Büchsen und Säbel sind besserer Staat,

Zieh' in die Ferne und werde Soldat!“

Es war das Lied, das die Werber der Herren von Bern sangen; man hörte es ungern in den Bergen.Marcel sah schärfer nach dem dahinrasselnden Wägelchen und erkannte nun die roten Soldatenröcke.

.Am Sonntag ist Kirchweih im Marktflecken,“ sagte er zu sich, „was gilt's, die Kerle wollen sich dort einnisten, um einen guten Fang zu thun! Das elende Gesindel! Aber die Weiber? Zwei mögen dabei sein: was sollen die?“

Sie wußten es selber nicht, sie waren von ungefähr mit den Werbern zusammengekommen; denn der Zufall wandelt auf jeder Landstraße und macht sich gern ein Vergnügen mit fahrendem Volk. Das eine der Mädchen,die mit den Soldaten fuhren, war lange Zeit mit einer wandernden Seiltänzertruppe im Land umhergezogen,hatte sich da oft in Lagen befunden, wo man leicht Schaden nehmen kann, hatte manchen Hupf oder Sprung in die Höhe und wohl auch etliche auf die Seite gethan.Sie hieß Amanda, hörte es aber lieber, wenn man sie bei ihrem Künstlernamen „Libelle“ nannte. Den hatte sie bekommen, weil sie so leicht und flink war wie eine Wasserjungfer. Allmählich kriegte sie das Leben bei der Truppe satt, denn der Direktor war ein gar brummiger Mann, und sie träumte sich ein Stückchen Freiheit zurecht und lief eines Tages davon, um eigene Wege zu suchen. Es war in Thun. Als sie vor das Städtchen kam, sah sie ein Mädchen vor sich wandeln, das ging in Landestracht, trug ein Bündelchen in der Hand und schritt eifrig aus. „Die scheint den Sinn, wie ich, in die Weite zu richten,“ dachte die Libelle und verdoppelte die Schritte, um sich ihr anzuschließen. Sie wünschte ihr einen guten Tag und fing mit ihr zu plaudern an über den lachenden Sommermorgen und die dummen Leute, die sich in den welken Gersten- und Roggeniäckern den Rücken unmäßig zerkrümmten. Das Bauern-

3 mädchen schien nicht zum Schwatzen aufgelegt zu sein und sagte nicht viel mehr als „ja“ und „nein“. „Wohin geht die Reise?“ fragte nach einiger Zeit die Libelle.Die andere deutete mit der Hand nach den Bergen.„Dorthin will auch ich,“ sagte die Seiltänzerin, der jede Straße recht war. Die beiden schritten dem Simmenthal mit seinen grünen Matten und dunkeln Tannenwäldern zu und drangen immer tiefer in die Bergwelt hinein, die eine schwatzend und lachend und wohlgemut,die andere wortkarg und in sich gekehrt. Von Zeit zu Zeit, wenn sie durch ein Dörfchen kamen, fragte Verena,so ließ sich das Bauernmädchen nennen, eine Frau oder einen alten Mann nach dem Wege nach Rötschweiler.Die Leute ließen sich den Ort zweimal nennen, besannen sich und deuteten dann thalaufwärts: „Geht fürbaß und fragt weiter hinten wieder!“ Und die beiden gingen fürbaß drei Tage lang.

Endlich wußte einer genauen Bescheid; er wies sie nicht mehr thalaufwärts, sondern über den Berg. Als sie auf der Höhe des Passes ankamen und jenseits das Thal sich senken sahen, setzten sie sich nieder, um zu rasten. Da fing Verena zu weinen an, und nun brachte die Libelle aus ihr heraus, was sie schon lange gerne erfahren hätte. Ihre Begleiterin kam aus dem ebenen Land. Vor einigen Jahren war ein Äülpler in das Haus ihres Vaters gekommen, um von ihm zu lernen,wie man aus Land und Vieh den größten Nutzen ziehe;denn der Landvogt hatte den Hirten gesagt, ihre Alpwirtschaft sei altväterisch, sie sollten sich anderswo etwas umsehen. Dieser Hirt nun war an einem Herbsttage fortgezogen, um bald wieder zu kommen, wie sie meinte,hatte aber seither nichts mehr von sich hören lassen.Sie wußte nicht, war er tot oder treulos, und hatte sich ohne Wissen der Eltern auf den Weg gemacht, um ihn zu suchen. Je näher sie dem Orte kam, wo ihr Gewißheit werden sollte, desto ärmer ward ihre Zuversicht, und jetzt, im Anblick der Berge, auf deren einem er sein mußte, wenn er noch lebte, übermannte ihr Elend sie dermaßen, daß ihr die Augen überliefen und sie ihr Geheimnis der Libelle preisgab, obschon sie kein Vertrauen zu ihr hatte und sich schon längst von ihr losgemacht hätte, wäre die Seiltänzerin nicht wie eine Klette gewesen. Die Libelle suchte sie zu trösten,was ihr schlecht geriet, denn die Worte kamen ihr nicht DDDDD vor ihr saß, schien ihr ein lächerliches Ding zu sein;sie begriff so etwas nicht.

Unten im Thal war ein großes Dorf; da verbrachten die beiden die Nacht. Am Morgen darauf wies man sie eine Straße, die über einen kleinen Höhenzug führte:jenseits liege Rötschweiler. Wie sie das Dorf aus den Augen verloren hatten, holte ein Wagen sie ein, von dem dreiste Schnurrbärte zu ihnen herablachten: es waren Soldaten. Die hielten an und bombardierten die Mädchen mit scherzhaften Reden. Hop! saß die Libelle neben ihnen und rief ihrer Gefährtin zu, es sei auch noch ein Plätzchen für sie frei. Verena schüttelte den Kopf. „Wohin will sie reisen?“ fragte man. „Nach Rötschweiler.“

„Dahin fahren auch wir!“ rief einer, den sie Lucien nannten, „steig auf, so kannst du die Schuhe sparen!“Zögernd nahm sie die Einladung an. Die Werber,sehend, daß sie nicht in froher Laune war, suchten sie durch Neckereien heiter zu stimmen; da aber alles nichts derfing, hielten sie sich zur andern, die redlichen Willen zeigte, ihnen eine lustige Fahrt zu machen.

Der Wagen rasselte an Rötschweiler vorbei; von der Höhe sah man einen Sennen steigen und die Werber suchten ihn mit ihrem Liede zu ärgern. Lucien hütete sich,Verena zu sagen, daß sie am Ziele sei: er sah, daß es kein unschönes Mädchen war und hoffte, sie werde sich schon noch in muntere Laune versetzen lassen, um ihm und andern die Zeit zu kürzen. So fuhr sie ahnungslos an den Bergen vorbei, auf denen ihr Geliebter sein mußte.

Als die Soldaten unten im Marktflecken sich eingenistet hatten und mit Verena schön thun wollten, wie mit der andern, ward sie knurrig und griff nach ihrem Bündel, um den Weg nach Rötschweiler zu suchen.Lucien lachte sie aus: „Du hast das Nest schon gegrüßt,es liegt drei Stunden weiter oben ihm Thal: ich wünsche viel Vergnügen zu der Reise und zu der Nacht auch!Wenn du glaubst, du treffest jemand in Rötschweiler,der dir eine Suppe koche, so bist du übel beraten!Das saubere Völklein ist oben' in den Bergen, drei,vier Stunden über dem Dörfchen und mehr.“

Da beschloß Verena, rechtschaffene Leute aufzusuchen,um bei ihnen die Nacht zu weilen und am folgenden Morgen früh nach den Bergen aufzubrechen.

„Du kommst noch früh genug zu deinem treulosen Schatz!“ rief ihr die Libelle lachend nach.

„Hat sie einen Schatz in Rötschweiler?“ fragte Lucien.

„Freilich! den will sie suchen gehen! Darum eben hat sie den weiten Weg gemacht!“

„Woher kommt sie?“ „Von Dietstetten.“

„Von Dietstetten? Ohol ich verstehe!“ lachte Lucien;„sie trifft es gut! Ich wünsche Marcel Freude zu dem Besuch! Donnerwetter! Das muß ein Spaß werden!Daß ich nicht dabei sein kann!“ Er erklärte den Soldaten, wie es sich verhalte.

Oben in Rötschweiler hatte unterdessen Marcel einen Wagen mit Käse beladen und wartete nur noch auf Lorenz, um nach dem Marktflecken zu fahren. Endlich kam der Knecht mit dem schwerbepackten Pferde daher,sich tief in die Knie niederlassend, als hätte er, und nicht das Tier die Last zu tragen gehabt. Marcel und Lorenz nahmen „Manni“ seine Bürde ab, spannten es vor den Wagen und fuhren dann dem Fluß entlang abwärts, auf staubiger Straße, vom Sonnenbrand übergossen. Als sie um eine Bergnase bogen und zu der Stelle kamen, wo sich plötzlich der Blick in den untern Teil des Thales öffnet, und man die Kirche des Fleckens und das weiße Gemäuer der Landvogtei sieht, bemerkte Marcel einen Mann, der unweit des Weges an einem Heuschober lag. „Was liegt ihr in der Sonne bei der Hitze!“ rief er hinüber, „sucht doch den Schatten auf!“Da regte sich der andere, blickte nach dem Fuhrwerk und verkroch sich rasch hinter dem Heuhaufen, wie ein vom Gewissen Gepeinigter.

„Sahst du das Bein, Meister?“ rief Lorenz.

„Mich dünkt, es ist Joachim,“ erwiderte Marcel und schritt auf den Heuschober zu. Der Hintersinnige suchte sich zu verbergen, indem er nach Art eines Maulwurfs sich in den Haufen bohrte. Marcel zog ihn hervor.„Was thust du hier? Wie du aussiehst? Kein Fetzen ist ganz an deinem Leibe, und abgemagert bist du! Wo hast du dich herumgetrieben all die Zeit?“ Er gab

Das Beradorf. 8 keine Antwort. Da kam auch Lorenz herbei. „Du hast keine Arbeit, gelt?“ sagte er zu seinem Kameraden.„Wohin willst du gehen?“

„Ich weiß es nicht.“ „Hast du Hunger?“ „Ja.“

„So komm' mit uns, der Meister nimmt dich schon mit. Nicht wahr, Meister?“

„Ich nehme dich gerne wieder auf, Joachim!“ bestätigte Marcel.

Joachim aber entgegnete: „Ich mag nicht.“

„So wie du bist, stellt dich kein Meister ein.“ Der Küher schwieg.

„Noch ein paar Wochen, und wir rücken dem Winter zu: wie willst du da leben?“ „Ich werde betteln gehen.“

Nun fuhren Marcel und Lorenz mit scharfen Worten über ihn her und die halfen mehr als die freundlichen.Nach einigem Zögern folgte er ihnen zum Wagen; sie setzten ihn darauf, ohne ihn zu fragen, ob es ihm so lieb sei, und fuhren weiter. Marcel war herzlich froh,den Burschen eingefangen zu haben; seit der Schryßeten hatte er nie an ihn denken können, ohne vom Gewissen geplagt zu werden. Er schien ihm wieder vernünftiger geworden zu sein, und das freute ihn doppelt.

Als Joachim auf dem Wagen das Brot verschlungen hatte, das Lorenz aus seiner Tasche gezogen, wurde er munterer und gestand seinem Kameraden, das „schmale“Leben habe ihn heute auf die Straße nach Rötschweiler getrieben und auch die lange Zeit nach dem lieben Vieh, aber er wäre nicht ganz hinaufgegangen: er sei schon mehr als ein Mal auf halbem Wege wieder umgekehrt. Und nach einer Weile: „Ist's im Blei zwischen ihnen?“ Lorenz verstand nicht. „Ob's in der Ordnung sei zwischen Jenny und dem dort?“ In dem Augenblick wendete sich Marcel nach den Knechten und Lorenz blieb die Antwort schuldig.

Sie fuhren in den Flecken ein. Auf dem Marktplatze fielen ihre Blicke auf die Fahne des Standes Bern, die aus einem Hause hing. Unter ihrem Geflatter, vor der offenen Thüre, saß ein Tambour auf seiner Trommel, rauchte aus einer Pfeife und blinzelte mit den Augen.

„Da sind sie also!“ brummte Marcel.

„Sahst du ihn drinnen sitzen?“ fragte Lorenz.

„Wen?“„Lucien, Lucien Camard, er hat den Kopf nach uns zestreckt und ist aufgesprungen!“

„Laß ihn und dreh' die Augen auf die andere Seite!“rief ihm Marcel zu und schmitzte dabei „Manni“ unter den Bauch, um schnell an dem Hause vorbeizukommen.

8*„Du wärest einfältig genug, dich fangen zu lassen!“sagte er im Weiterfahren.

Unten im Dorf vor einem schönen Hause hielten sie an. Da wohnte der Großhändler. Der prüfte den Käse Stück um Stück; Marcel und seine Knechte ließen die schweren Scheiben auf einem Brette in den Keller rollen, wo des Großhändlers Burschen sie in Empfang nahmen.

„Ihr habt Werber ins Land bekommen!“ sagte Marcel, als das Geschäft besorgt war.

„Die Pest über das Gelump! Wie manche brave Mutter wird weinen, wenn es wieder abzieht, und wie mancher Vater wird den Himmel herunterfluchen?“

„Daß es immer noch solche Narren giebt! Weiß denn nicht ein jeder, daß er draußen verliederlicht oder verkrüppelt oder verfault!“„Ja, freilich, Vorteil haben nur die gnädigen Herren in Bern, denen sich die Taschen mit Pensionsgeldern füllen. Aber was wollt ihr? Die Welt ist und bleibt ein Narrenland! Am nächsten Sonntag kommen die Älpler aus den Bergen zum Tanz und lassen sich berauschen sie ertragen ja den Wein nicht und am Abend zappelt ein halbes Dutzend an den Angeln oder mehr. So war es letztes Jahr, so wird es heuer wieder sein. Das kenne ich nun bald.“

Marcel stieg mit den Knechten auf den Wagen.Als er am Hause seines Vetters Favrod vorbeifuhr,stand der unter der Thüre und rief ihm zu: „Warum so eilig, Vetter?“„Um dem Mütterchen einen braven Sohn heimzubringen!“ gab Marcel lachend zurück und ließ die Peitsche klatschen, so daß „Manni“ ein paar Schritte trabte, obschon der Weg stieg.

„Dem Mütterchen einen braven Sohn!“

Das Mütterchen war ihm Jenny, so hatte er sich gewöhnt, sie zu nennen, und bei dem Kosenamen durchwehte ihn immer ein Vorgefühl des häuslichen Glückes,das im Winter bei ihnen Gast werden sollte.

Auf dem Marktplatz standen gespreizt die Werber und kreischten und lachten. Marcel zwickte das Pferd,die Soldaten aber hielten es an und Lucien streckte seinem Vetter die Hand entgegen. „Steig' ab! du kommst mir gelegen: wir wollen einen Abschiedstrunk thun!“

„Ich muß heimkehren, ich habe noch manches zu besorgen!“

„Es ist noch früh am Tage! Und hat der Fuhrmann ein gut Tränklein im Leib, spürt das Pferd auch etwas davon in den Füßen. Steig' ab!“

„Ich kann nicht! Die Hand vom Zügel dort vorn!“

„Was für ein Sauertopf bist du geworden! Nicht ein einziges gutes Stündchen magst du dir gönnen,auch nicht, wenn dich ein alter Freund dazu einladet!Hei! wie waren wir einst gute Kameraden! Als Knaben haben wir zusammengehalten wie die Finger an der Hand. Verübte einer einen schlimmen Streich, empfing der andere die Schläge dafür! Ist es so oder nicht?Sieh', an diese Dinge erinnert man sich, wenn man für immer aus der Heimat zieht und da drängt es einen nach Aussöhnung, wenn die alte Freundschaft aus dem Leime gegangen ist.“

„Wir haben verziehen und vergesfen! Was soll es noch?“

„Die Hand hat es gethan, dein Herz noch nicht, ich seh' es dir an!“

„Geschwätz! Gebe ich die Hand zu etwas, so mein'ich es ehrlich!“

Nun mischten sich die anderen Soldaten drein. „So stierköpfig kann nur ein Senne sein! Camard bietet dir Freundschaft an und du dafür die Faust in die Zähne schlagen! Reich' die Peitsche deinem Knechte und steig' ab! Eine rechtschaffene Versöhnung will begossen sein! Die Freundschaft hat es wie das Gras: ist sie verhagelt und erfroren, so muß es darauf gießen, sonst wird es nimmer gut! Holt Gläser herbei!“„Nichts da!“ rief einer, „unter dem Dache soll's geschehen! Seht ihr nicht, wie die Leute schon durch die Scheiben gaffen und die Nasen zwischen Thüre und Pfosten hervorstrecken! Wollen wir denen eine Augenweide sein?“

„Gebt mir die Zügel frei!“ rief Marcel und ließ die Schmitze ob ihren Köpfen sausen.

„Dein Rößlein soll traben, sobald du unserem Kameraden Bescheid gethan hast!“

„Schlägst du mir's ab, so muß ich glauben, zwischen uns beiden stehe der Haß noch!“

„So bringt den Wein her! Ich steige nicht ab!“

„Zwei Schritte sind dir zu viel, da es Versöhnung gilt? Zwei Schritte zu viel zu einem Becher Wein, der besser ist, als der Herrgott im Himmel und seine Engel allsamt!“ rief der Tambour die Trommel rührend.

„Als ich dich daherfahren sah, hat mir das Herz gelacht, Marcel, und ich habe mich gefreut, mit dir ein Stündchen plaudern zu können von den Bubenjahren und von unsern Streichen. Erinnerst du dich noch an den Satan von Ziege, die ihr einst hattet, die dich alle Tage ein paar Mal über den Haufen warf und dir mit den Hörnern die Hudeln“*) übel zurichtete? Du

*Lumpen, Kleider.warst noch ein Knirps, nicht viel größer als jetzt dein Zeigefinger ist; ich aber, der ich vier Jahre älter war,meinte, ein Riese zu sein. Nu, der Ziege wurde ich Meister und habe dich mehr als einmal unter ihr hervorgezogen. Und wie ich dir dann ein für alle Male aus der Not geholfen, weißt du es noch?“

„Wie sollte ich nicht! du hast sie über einen Felsen hinuntergestoßen und wurdest von meinem Vater, und am Abend noch von dem deinigen bis aufs Blut geprügelt.“„Du aber hattest Ruhe vor dem Satan, und das war die Hauptsache!“

Die Erinnerung machte Marcel das Herz warm.

„So redlich habt ihr es getrieben, und jetzt wollt ihr aneinander vorbei und auseinander gehen, wie ein roter Hund und ein schwarzer!“ riefen die Soldaten.

Marcel reichte Lorenz die Peitsche. „Sieh' zum Pferde und jage ihm die Bremsen und Fliegen vom Leib, ich komme gleich wieder!“

„Sollen die beiden derweil dürsten auf ihrem Wagen?Ein Schluck bei der Hitze würde wohl keinen umbringen!“„Sie sollen auch ihr Teil haben, aber ich bezahle die Zeche!“„Ja, ja, den Gefallen kann man dir thun! Wer wird den Käsehändler von Rötschweiler die Zeche nicht zahlen lassen!“Marcel trat mit den Soldaten ins Haus. „Warum sollte ich schließlich nicht?“ dachte er und verließ sich auf seine Nüchternheit.

.Gehen wir in den hintern Raum!“ sagte Lucien,„hier kann einem ein jeder Laffe ins Maul sehen.“ Er schlug ein schweres Tuch zurück, das anstatt der Thüre die Oeffnung deckte, und schob Marcel vor sich her.In dem Raum saß ein Mädchen und strickte. Es war die Libelle. Um ihr ein ehrbares Aussehen zu geben, hatte ihr Lucien in der Nachbarschaft ein Strickzeug suchen lassen.Als die Männer eintraten, wollte sie sich züchtiglich entfernen. „Bleiben Sie nur, Jüngferchen,“ sagte Lucien,„wir wollen Sie nicht vertreiben.“ Da setzte sie sich wieder, züchtiglich, wie sie sich erhoben hatte. Sie spielte ihre Rolle gut.

„Das also ist die eine von den beiden,“ dachte Marcel, „ich habe sie mir weniger manierlich und auch weniger hübsch vorgestellt.“

„Ist das auch ein Werber?“ fragte er Lucien lachend.

„Was erlaubst du dir für unhöfliche Späße! es ist die Tochter des Sergeanten,“ flüsterte der andere ihm zu, „eine achtbare Dame!“„Ich sah euch schon in Rötschweiler,“ sagte Marcel,„mich dünkte aber, es seien zwei Mädchen bei euch gewesen.“„Da hast du nicht recht gesehen! der Sergeant hat nur eine Tochter,“ erwiderte Lucien; bei sich aber dachte er: „Wenn der Hase läuft, wie ich will, sollst du die andere bald genug sehen!“ Als er nämlich Marcel das Dorf hinunter fahren sah, war ihm rasch der Plan gereift, den Kameraden einen Spaß, sich selber aber süße Rache zu verschaffen. Da er Verena dazu brauchte,hatte er einen Soldaten ausgeschickt, um sie zu suchen und herzuschaffen, unter der Vorspiegelung, es biete sich für sie eine treffliche Gelegenheit, nach Rötschweiler zu fahren. Verena war noch nicht erschienen und nun galt es, Marcel bis zu ihrer Ankunft hinzuhalten;Lucien war fest entschlossen, sich sein Wild nicht entgehen zu lassen und sollte er auch Gewalt anwenden müssen.„Bringt Wein her!“ rief er den Soldaten zu.

„Und nun, Vetter, stoß an auf unsere alte Freundschaft! An und aus in einem Zug und nachher die Nagelprobe! Kameraden, greift zu und thut mit, und Sie, Fräulein, darf ich Sie auch bitten?“ Sie dankte ablehnend, wie es einem sittsamen Mädchen wohl ansteht.

Die Gläser klangen und waren im Nu leer und klangen wieder zusammen. „Laßt mich nun ein wenig mit meinem Vetter in Ruhe plaudern! Nein, Sie sind nicht gemeint, Fräulein, Sie stören uns gar nicht, im Gegenteil! Bleiben Sie doch!“

Als sich die andern Soldaten entfernt hatten, um das vordere Gemach zu besetzen und nötigenfalls den Ausgang zu versperren, fragte Lucien seinen Gast mit gedämpfter Stimme: „Nun, hast du die Tochter des Sergeanten angeguckt? Wie gefällt sie dir? Sieh', die will ich heiraten.“

„Wirklich? Seid ihr schon einer Meinung? nein?“

„Doch, doch, aber wir lassen uns nichts anmerken.“

„Und der Sergeant?“

„Der will schon! es ist alles zusammengefügt wie ein Melkeimer, es fehlt nur noch der Reif!“

Marcel drehte verstohlen die Augen nach dem Mädchen und meinte: „Aber die ist ja noch ein Kind und so zart und zierlich! du zerbrichst sie, wenn du sie anrührst.“„Ach, geh' mir! Amanda, hören Sie, was mein Freund sagt!“

„Ja, ich höre! reden Sie nur!“

„Nein, kommen sie etwas näher und leiften Sie uns Gesellschaft.“

Sie erhob sich und kam herbei.

„Und nun?“ „Wenn du es sagst, gehe ich augenblicklich davon!“sagte Marcel, der sich vor dem feinen Bräutlein seiner Rede schämte.

„Wenn du es so meinst, so schweige ich! Sie aber,Fräulein, dürfen doch in unserer Nähe bleiben, sonst langweilt sich mein Freund.“

„Ach, ich langweile mich selber schrecklich!“ sagte sie und lächelte Marcel sauersüß an. Dann rückte sie sich einen Stuhl zurecht, setzte sich dem Sennen gegenüber und schlug die Beine übereinander, so daß ihr winziges Füßchen fast seine Knie berührte. Er rückte etwas weg;sie that ebenso und lächelte dabei und fing wieder zu stricken an.Eine kleine Weile herrschte Stille in dem Gemach;man vernahm nichts, als die Musik der Stricknadeln,die aneinander schlugen oder sich rieben. Marcel betrachtete die Finger des Bräutleins und ihn dünkte,Jennys Hände könnten viel flinker mit dem Nadelwerk umgehen.

„Können Sie auch stricken?“ fragte das Mädchen,wie es sein Interesse an der Arbeit wahrnahm.

Lucien lachte: „Schauen Sie doch seine Finger an,wie sollten die stricken können! Etwas so Dünnes wie eine Stricknadel merken die nicht einmal: es muß schon ein Sensenbaum oder ein Gabelstiel sein!“„Du hast es nicht erraten: ich habe die Kunst einmal gelernt.“

„Und Sie verstehen sie noch? das wäre lustig!“

„Ich weiß es nicht! es ist nun lange her, da mich meine Mutter in den langen Winterabenden in die Unterweisung nahm; ich war ein kleines Bübchen, später hätte ich mich des Gewerbes geschämt. Übrigens müßt ihr nicht meinen, ich sei ein großer Meister geworden in dem Handwerk: ich habe, glaube ich, kein einziges Paar Strümpfe fertig gebracht. Doch, eines! Die Mutter hatte mir weißes Garn gegeben, aber seltsam: als die Strümpfe fertig waren, sahen sie aus wie Rußsäcke.“Die Libelle lachte und sagte, er müsse ihr zeigen,wie er es noch fertig bringe. Er sträubte sich; sie aber redete ihm so freundlich zu, daß er ihr schließlich das Strickzeug abnahm. Man kann doch einem Bräutlein nichts abschlagen, wenn es so gar artig bittet.

„Richtig, der Anfang ist recht! Den Faden zwischen den kleinen Finger und dem Reiffinger durch, jetzt um den Zeigefinger gewickelt, nicht zu kurz gefaßt und nicht zu lang. Und nun die Nadel hineingestochen. Famos!Nummer eins! Halt! nun geht es nicht mehr so! Die Masche muß verkehrt abgenommen werden! Oho! das kann er nicht mehr! Das hat er vergessen! Das werde ich Ihrem Mütterchen sagen, wenn ich es antreffe. Das wird eine Freude haben!“

Sie lachte, wie sie das sagte, faßte Marcels in das Garn verstrickte Hände in die ihrigen, so gut es ging,und drückte sie herzhaft. Marcel dünkte, das Bräutlein thue nicht just zimperlich, und machte sich los.

„Hei! wie er Arme hat,“ sagte sie zu Lucien gewendet. „Sehen Sie einmal her!“ Sie war aufgestanden und hatte ihren zierlichen Arm an Marcels angelegt.„Wie eine Stricknadel neben einem Weberbaum!“ Die Schmeichelei that dem Sennen nicht weh in den Ohren und er warf einen selbstgefälligen Blick auf das Paar ungleicher Arme. Die Libelle erriet mit ihrem Instinkt seine Eigenliebe. „Damit werden wir ihn hinhalten,“dachte sie und that, als ob sie gar nicht faßte, daß auf dieser kleinen Welt die Arme so unheimlich dick geraten können. Wie sie für ihr Erstaunen nicht Worte genug fand, belehrte sie Lucien:„Sie müssen wissen, daß er der stärkste Senne und der gefürchtetste Schwinger in unseren Bergen ist.Schauen Sie nur, wie er breit ist über die Schultern!Machen Sie ihn böse, so ist er imstand, uns das Dach über den Köpfen wegzublasen.“

Marcel, dem das Gerede nun doch zu bunt wurde,machte Miene, sich zu verabschieden. Das Mädchen hielt ihn aber manierlich zurück und bat ihn mit freundlichen Blicken und einem Geplauder, durch das das Lachen klang, ihr erst eine Probe seiner Kraft zu geben.A sagte sie, das komme daher, daß der Herrgott sie selber so schwach und leicht gemacht habe wie ein Lüftchen oder ein Blättlein.

„Lucien steht mir an Kraft nicht nach,“ erwiderte Marcel.

„Er sagte ja selber, Sie seien der Stärkste; machen Sie mir ein Kunststück vor!“„Laß dich doch nicht so lange bitten, Vetter! Was ein hübsches Mädchen wünscht, thut man, wenn es nichts Böses ist, so weit es zweierlei Leute giebt, und manchmal auch, wenn es etwas Schlimmes ist!“

„Wollen wir häkeln!“

„Nein, nein, meine Finger sind mir zu lieb,“ meinte der Soldat, du mußt „dein Kunststück schon ohne mich versuchen! Ich weiß dir eines: bist du imstand, mein Bräutlein frei empor zu heben, wie man am Bergdorf den Stein hebt?“

„Auf freier Hand? Nein, da mache ich nicht mit,“rief die Libelle und zog sich mit geheuchelter Schüchternheit in eine Ecke zurück. „Er würde mich in Scherben gehen lassen!“„Nein, Jungfer, ich traue mir das Kunststück zu;aber mich dünkt, es schicke sich nicht für euch und mich.“

„Hört den Pfiffikus! Da er's nicht wagt, will er sich mit glatten Worten behelfen. Lucien, zeige ihm,wie man das macht!“

Dies sagend hüpfte sie auf einen Stuhl, leicht, wie ein Spätzlein fliegt, und rief: „Da, Lucien, hebe mich samt dem Stuhle in die Höhe und mache dem Sennen etwas Rechtes vor, nach Soldaten Art!“

Lucien, dem alles recht war, was die Zeit vertrieb,bückte sich, ergriff den Stuhl und hob ihn mit Aufwand aller Kraft vom Boden. Das Mädchen machte der Kunst, der es entlaufen war, Ehre und balancierte meisterlich. Da es aber gewahrte, wie schwere Arbeit es dem Soldaten machte, erlöste es ihn, indem es ihm auf die Schultern hüpfte, seinen Kopf mit einem Arm umschlang und ihm, zum Dank für seine Mühe, im Haar kraute. Dabei sah es Marcel mit lächelndem Mund und verführerischen Augen an und schien zu sagen:„Gelt, Hirtenjunge, ein Rößlein mit einer solchen Reiterin möchtest du auch gern sein!“ Sein Gesicht schien „nein“!zu sagen. Das verdroß die Libelle. Wie ein Spätzlein setzte sie auf den Boden, stellte den Stuhl vor Marcel,hüpfte darauf, so daß ihr Kopf in die Höhe des seinigen kam und wies ihm die Zähne und machte ein grimmiges Gesicht und Augen, aus denen ein Teufelchen guckte.„Sie sind ein Brumm-Brumm-Brummbär!“ knirschte sie zwischen den Zäͤhnen, mußte aber gleich ob des Unsinns so hell auflachen, daß auch Marcel angesteckt wurde. Diesen Augenblick wollte sie benutzen, um ihm auf die Schulter zu springen, wie sie vorher dem Soldaten gethan; er aber erriet ihre Absicht und hielt ihr die ausgespreiteten Hände entgegen.

Der Spaß ging ihm zu weit, er begriff nicht, wie Lucien seine Braut so gewähren lassen konnte. „Am Ende ist es nur eine schlechte Dirne,“ dachte er und sah sich nach seinem Hute um.

Lucien sah ein, daß Marcel auf diese Weise nicht länger zu halten war und sich nicht von der Dirne umgarnen ließ, wie er gehofft hatte. „Du mußt ihr den Übermut nicht zu hoch anrechnen,“ sagte er, „sie hat eben eine heitere Art und ist in einer Stadt aufgewachsen, wo mancher Scherz erlaubt ist, der in den Bergen als unschicklich gilt. Meine darum nicht etwa,sie habe die Leichtfertigkeit im Blut! Wenn es sein muß, kann sie ernst sein, wie der Rötschweiler Pfarrer.Fräulein, seien Sie nun noch ein Weilchen recht artig mit meinem Vetter, ich hole noch eine Flasche Wein,und vom guten, die wollen wir zum Abschied ausstechen!Ich bin gleich wieder da!“

Das Bergdorf. 130 „Ich trinke keinen Tropfen mehr,“ sagte Marcel,dem es in der Gesellschaft recht unbehaglich wurde.

„Doch, du mußt mir noch einmal Bescheid thun und auch einen Bissen essen, nachher lasse ich dich ziehen!“Mit diesen Worten verschwand Lucien, ohne auf Marcels Entgegnung zu hören, durch den Vorhang. Als er schnell noch einen Blick in den hintern Raum warf, sah er, wie die Libelle den Sennen mit graziöser Handbewegung und gewinnendem Lächeln einlud, am Tischchen Platz zu nehmen, und wie er widerstand.

Lucien gab seinen Kameraden mit einem Zwinkern der Augen zu verstehen, daß der Eber durchbrechen wolle. Sie wußten, was sie zu thun hatten, ließen ihre Becher und schnallten ihre Seitengewehre um. Nun erst bemerkte Lucien, daß Lorenz am Tische saß. Den hatten die Soldaten, wie es zu ihrem Gewerbe gehörte,ins Haus gelockt, indem sie ihm vorspiegelten, Marcel habe sie nach ihm geschickt und gesagt, er habe einen kühlen Trunk wohl verdient an dem Tag, Joachim sei ja alt und groß genug, um „Manni“ allein die Fliegen zu stäuben.Der Knecht war den Gesellen nur zögernd und mißtrauisch gefolgt, ihnen in einem fort bedeutend: „Aber anwerben lasse ich mich nicht! selb nicht!“ Und die andern beschwichtigten ihn: „Was fällt dir ein! Einen, wie du bist, kann man im Dienste gar nicht brauchen! Sei ohne Sorgen!“Er hatte schon einige Gläser geleert, als sich Lucien zu ihm gesellte, und die Schlücke waren ihm wohlgeraten,denn es war ein heißer Tag, an dem kein Lüftchen flog thalauf und thalab.

„Das ist recht, daß du eingetreten bist, Lorenz,“sagte Lucien, ihm auf die Schultern klopfend. „Wie sagt man doch in Rötschweiler:Hat der Herr eine gute Stund',Merk's auch der Knecht, der geplagte Hund!So ist es gut und soll es sein! Stoß' mit mir an!“Dies sagend setzte er sich an den Tisch, die Augen beständig auf den Vorhang gerichtet, mit Lorenz gemütlich plaudernd, aber wie ein Tiger zum Sprunge bereit.Er hatte geglaubt, Marcel werde ihm auf den Fersen folgen:die Libelle aber schien ihr Geschäft trefflich zu besorgen.

„Ihr habt ein Mädchen da drinnen?“ flüsterte Lorenz.

„Hast du's schon gerochen? Ja, du lockerer Zeisig,mach' Äuglein, wie du willst, das ist nicht für dich!Die Meister, die haben's gut.“

„Sie saß dir auf der Achsel!“ sagte Lorenz lächelnd und malte sich die Wonne aus, die man unter einer solchen Laft haben müsse. „Wie weißt du das?“ „Der Trommler hat mich durch den Vorhang gucken q* lassen.“ „Gelt, das ist ein anderes Leben!“ „Warum saß sie dir auf der Schulter?“

„Das ist in Frankreich so Brauch: jeder Soldat er Lust hat, mit sich herum, auf dem Habersack oder auf der Achsel, wie es ihm oder ihr lieber ist.“

„Aber das muß ja mühselig sein?“ erwiderte Lorenz etwas ungläubig.

„Mühselig? Für einen Burschen, wie du bist? Hast du nicht gesehen, wie klein sie ist? So ein Ding ist leichter als eine Feder auf einem Mädchenhut!“

„Und so treibt ihr's auch beim Exerzieren?“

„Ei, freilich! Da sitzt das Mädchen auf dem Tornister, wie ein Reiter im Sattel und hält sich an den Ohren seines lieben Tierchens fest; und schreit der Offizier linksum!“ so zupft es das linke Ohr, und schreit er „rechtsum!“ so zieht es am rechten Ohr, und der Soldat braucht gar nicht zu horchen, er thut einfach,wie ihn sein Schätzchen zupft. Gelt, das ist ein lustiges Exerzieren!“„Kommt nun aber der Krieg, so hört das wohl auf?“„J warum nicht gar! Da kann man sie erst recht nicht entbehren! Denn so ein Mädchen, auch wenn es noch leichter wäre als ein Schneeflöckchen, kann eine große Kunst! Es kann wahrsagen! Kommt es zum Kampf,so schaut es dir am Morgen in die Hand und sagt zu dir: „Zieh! es geschieht dir heute nichts‘ oder: Bleib'hübsch zu Hause, sonst setzt es Löcher in die Haut!“Und hat es gesagt: „Zieh!‘ so kann dir eine Kugel oder ein Bajonett durch den Leib fahren, du merkst es nicht und die Haut ist ganz nachher wie vorher! Freilich darf man die Dingerchen nie böse machen, sonst sind sie in ihrer Falschheit imstande, dir zu sagen: ZZieh!“‘ grad an dem Tage, da sie ein artigeres Schätzchen suchen wollen!“

„Aber da hat man ja im Kampfe die beständige Angst, das Mädchen könnte es anders gesagt haben, als es in der Hand stand, und man könnte es nachher der Haut doch ansehen!“

Die Soldaten, die um den Knecht herumstanden,lachten und rüttelten sich.

„Sie kommt!“ rief einer und wies mit der Hand nach der Thüre. Der Lärm verstummte. Lucien atmete auf und ging Verena, die mit einem Soldaten hereintrat, entgegen. „Du triffst es gut!“ sagte er. „Im Hinterstübchen sitzt der Käsehändler von Rötschweiler und dort auf dem Platze steht sein Wägelchen. Tritt da hinein und bring' ihm dein Anliegen vor: es ist einer,der mit sich reden läßt.“

Verena näherte sich dem Vorhang. Mit pochendem Herzen faßte sie ihn an, um ihn zurückzuschlagen, denn dahinter war ja einer, der ihr sagen konnte, wie es um den Geliebten stand. Welches Wort sollte sie vernehmen:treu, oder tot, oder verloren? Da sie zögerte, schob Lucien sie hinein und pflanzte sich am Thürpfosten auf,um alles mitanzusehen. Den andern gab er ein Zeichen,sie sollten den Knecht unterhalten, er werde ihnen rufen,wenn es etwas Rechtes zu sehen gebe; da begannen die Soldaten ihr Lied zu singen, und der Tambour schlug den Takt dazu:

„Du dort im Hirtenhemd,

Senne, herbei!

Schlecht steht der Stab deiner Hand:

Schlag' ihn entzwei!

Büchsen und Säbel sind besserer Staat,

Zieh' in die Ferne und werde Soldat!“

Wie sie den Kehrreim kreischend wiederholen wollten,huschte die Libelle durch den Vorhang mit Marcels Hut auf dem Kopfe. Sie stieß gegen Lucien, der ihr mit der Hand ein Zeichen gab, sie möchte sich zu den andern begeben.„Die ist ihm auf der Schulter gesessen,“ sagte Lorenz zum Tambour, und seine Äuglein glänzten.

„Soll sie dir den Gefallen auch thun?“

„Was fällt euch ein! Sie käme ja nicht zu einem Knechte!“„Aber wahrsagen soll fie dir! Komm' herbei, Libelle,und schau', wie es um den Lebensfaden dieses Stalljunkers steht!“Das Mädchen warf Marcels Hut in eine Ecke,setzte sich ohne weitere Verabredung auf Lorenzens Knie feierlich darbot. Sie betrachtete sie, fuhr mit dem Fingernagel den verschlungenen Linien nach und schien sehr nachdenklich. Wie sie so überlegte, kratzte und kitzelte sie mit ihren Nägeln und Fingerspitzen die rauhe Handfläche, unabsichtlich, so wenigstens meinte der Knecht, der fast vor Wonne verging, und dem das Stillsitzen sauer ward.Er hat ein Leben zähe wie ein Lederriemen,“ sagte sie endlich, „und wird älter als Methusalem; aber er ist die längste Zeit Kuhhirt gewesen: Soldat wird er werden!“„Nein, nein!“ rief er geängstigt. Die Soldaten aber stimmten aufs neue ihr Lied an: „Du dort im Hirtenhemd, Senne herbei!“ Das Mädchen kreischte, sie sollten schweigen mit ihrem Gebrüll, bis sie dem Knecht die volle Wahrheit gesagt habe: sie müsse ihm noch berichten, wie es um seine Liebe stehe,ob ihn auch ein Mädchen leiden möge. Er schüttelte verzweiflungsvoll den Kopf; sie that, als sähe sie es nicht, und versenkte den Blick in die Hand.„Droben in den Bergen nicht eine, armer Junge;aber im Thal ... wer weiß?“ Sie ließ seine Hand fahren und fuhr mit ihren zierlichen Fingern nach seinem Schnurrbarte, den er wachsen ließ, wie er von selbst geriet. „Du solltest ihn etwas besser drehen und wichsen,daß man Erdbeeren daran stecken könnte,“ sagte sie und machte sich gleich ans Werk. „Sieh', nun schaust du schon viel hübscher aus, und wie wäre es erst, wenn du einmal sauber gewaschen und hoffärtig gekämmt wärest! Ich wollte den Schlingel bald in Ordnung haben!“ Dies sagend, gab sie ihm mit dem Zeigefinger einen Nasenstüber und hüpfte davon.

„Das wäre eine für dich,“ sagte der Tambour zu Lorenz. Der sah ihn, seine Nase reibend, mit einem sprechenden Blick an: „Mich? ein so niedliches Wesen!“

„Laß mich sorgen! Libelle, höre, was ich dir sage:so einen Mann solltest du haben!“

„Damit ich ihm das Ungeziefer aus dem Balg suche!“

„Nein, das müßtet ihr nicht, ich habe schon lange keine ... keine ... es ist ein garstiges Wort.“

„Will ich einen Mann, so soll er ein Soldat sein!“

„Das kann Lorenz werden! Ift er etwa nicht groß und stark genug? Oder hat er ein krummes Bein wie der andere, der draußen steht, oder einen Höcker, wie der Herr Landvogt? Sieh' ihn dir doch an!“Nun trat das Mädchen mit Kennermiene vor Lorenz,bat ihn aufzustehen und musterte dann Stück um Stück,sich zuweilen nach den andern drehend und mit den Augen zwinkernd, wie um zu sagen: „Ihr habt recht,den hat der Herrgott rechtschaffen aus den Händen gelassen.“ Als sie aber einen Blick auf die Beine warf,wurde ihr Gesicht bedenklich. „Mich dünkt, der Schneider habe ihm die Hosen seltsam geschnitten, die Knie sind gar ungeraten.“

„Die werden in Soldatenhosen anders aussehen!“sagte der Tambour zu dem Mädchen und dann zu dem Knechte: „Du gefällst ihr! stecke dich in eine Montur und sie folgt dir, wohin du willst! Farbiges Tuch macht alle Mädchen toll! Reicht einen Soldatenrock! So, und nun ziehe deinen Kittel aus und laß sehen, wie dir das Zeug paßt!“

„Ich lasse mich nicht anwerben!“

„Sei unbesorgt! wir wollen nur sehen, wie dir der Rock steht! Wer spricht vom Anwerben?“

Im Nu stak Lorenz in dem Tuch mit den glänzenden Knöpfen und warf einen Blick des Erstaunens über die Pracht; er wurde fast stolz auf sich.

„Nun, Libelle, steht ihm das Soldatenzeug übel an?“Wieder musterte ihn das Mädchen mit ihrem frechen Spatzengesicht, drückte ihm Arme und Knie zurecht und gab ihm wie von ungefähr leichte Stöße in die Rippen und Lenden, oder kitzelte ihn mit ihren Katzenpfoten unter den Armen. Das that ihm unsagbar wohl, aber er verzog keine Miene, um sich seine heimliche Wonne nicht anmerken zu lassen, fürchtend, die andern möchten neidisch werden.

„Du gefällst mir,“ sagte sie, „du mußt Soldat werden,den Käse sollen andere machen und auf ihren Buckel laden. Was die Beine anbetrifft, habe ich keine Sorge:in 14 Tagen sollen sie straff sein wie ein Flintenlauf!Ist's abgemacht? Wirst du Soldat?“ Sie streckte ihm die Hand entgegen, er aber schüttelte den Kopf.

Der Tambour, der zu Lorenz besonders freundlich war, ergriff ein Glas, hielt es ihm an die Lippen und begann zu singen, und die andern mit ihm:„Milch füllt die Adern dir:

Fad ist der Saft!

Trink' aus dem Glas einen Schluck Männlicher Kraft!

Milch ist für Kinder und Ammen gut,Aber der Wein ist des Mannes Blut!“„Saufe, Lorenz, der Wein ist des Mannes Blut!Milch kannst du noch oft genug trinken! Und thu' nicht so zimperlich mit der Libelle! merkst du nicht, wie sie zu dir hält: Wein und Liebe, Hölle und Teufel, das ist das Leben!“„Wein ist ein Kühletrank,

Liebe ist Glut:

Hast du ein Dirnchen im Arm,

Dann trinkst du gut!

Küssen und saufen und raufen durchs Land,Hei! Der Soldat hat den herrlichsten Stand!“Sie sangen die letzte Strophe zweimal und das Mädchen begleitete sie mit ihrer hohen Stimme, legte dabei die Hand über Lorenzens Schulter und schmiegte sich an ihn an. Er verstand die Worte, die beim Singen undeutlich gesprochen wurden, nur halb, aber er meinte,es müsse etwas Liebes, etwas recht Liebes sein, was sie an seiner Seite sang, und es ward ihm fast sehnsüchtig und weich zu Mut bei dem rauhen Gebrüll.Hing nicht an seiner Schulter, was er sich so lange gewünscht hatte: ein Weibchen mit Katzenpfoten, das ihn allerliebst in die Rippen stoßen und unter den Armen kitzeln konntes? Er stieß sie schüchtern mit den Ellbogen an, um ihr auch etwas Liebes anzuthun, und sie erwiderte den Stoß herzhaft.

Das Lied brach ab und statt der rauhen Kehlen klangen kecke Becher. Durch die Thüre drang ein Schatten und dann ein neugieriger Kopf: es war Joachim,den Gesang und Larm angelockt hatten.

„Komm', Krummbein,“ rief ihm einer zu, „komm'und trinke auf das Wohlergehen deines Kameraden, er will Soldat werden!“

„Nein, das will ich nicht! Ich habe einen Meister!“„Laß den! Kommst du mit uns, so bist du selber dein Herr und. Meister! Verstehst du das denn nicht mit deinem dicken Kopf? Mit uns ist freies Leben!Wein und Mädchen sind mit uns und in Höll und Verdammnis fahre, wer wider uns ist!

Küssen und saufen und raufen durchs Land,Hei! der Soldat hat den herrlichsten Stand!“

„Nein, ich bin kein Tölpel! ich habe einen Meister!“ sagte Lorenz halb zu sich, halb zu den andern.„Freilich! er hat einen Meister,“ rief Lucien mit gedämpfter Stimme den Soldaten zu. „Kommt alle her und schaut ihn euch an! Lorenz, und du, Joachim,kommt und seht!“ Wie alle um ihn standen, riß er den Vorhang zurück und ihre Blicke sielen auf Marcel,an dessen Hals das Bauernmädchen hing und die Lippen auf seine Wange drückte in leidenschaftlicher Erregung

Als Verena, von Lucien geschoben, in den hintern Raum trat, um den Käsehändler um ein Plätzchen auf seinem Wagen zu bitten, erblickte sie einen Burschen, der ihr den breiten Rücken zukehrte und die Libelle, die durch den Tisch von ihm getrennt war, aufforderte, ihm seinen Hut auszuliefern. Den hatte sie sich aufgesetzt und hielt ihn mit über den Kopf geschlagenen Armen fest. Sie rief lachend: „Herr Käsehändler, ich scherze wirklich nicht! Wir zwei würden ein herrliches Paar abgeben: wir passen zusammen wie zwei Nußschalen! Ja, ja! Würden wir zusammenhalten, wir wären glücklich wie der König von Frankreich! Höre, wie ich es meine: wir zögen von Stadt zu Stadt und würden uns dem Volke zeigen: du hast Arme wie Eisenstangen, damit würdest du mich in die Luft heben, ich würde darauf tanzen wie auf dem Seil und es würde Dukaten auf uns regnen! Steinreich würden wir! Und gern wollten wir einander haben! Gern haben! Du würdest mich vor den Leuten auf den Händen tragen und ich dich heimlich, ja, ja, auf diesen meinen kleinen Händen den großen Brumm-Brumm!“

.Du bist ein gemeines Weib, und ich hab' dich für etwas Ehrbares gehalten! Gieb mir den Hut, oder ich zeige dir, was meine Hände taugen!“

.Du willst mich nicht? Nun, so gefällt dir vielleicht die dort besser!“ rief die Libelle und huschte an ihm vorbei in den vordern Raum.

Als sich Marcel umwendete, war er nicht wenig erstaunt, einer andern gegenüberzustehen; er hatte sie bei dem Lärm, den die Soldaten machten, nicht eintreten hören.

„Marcel, du?“ stieß Verena hervor, erschrocken und erfreut zugleich.

Er sah sie schärfer an. „Das ist ja die Verena von Dietstetten! Wie kommst du hierher?“ Sie fand keine Worte auf seine Frage; das seltsame Zusammentreffen lähmte ihr die Zunge.

„Sei mir gegrüßt,“ sagte er und reichte ihr die Hand. „Wie steht es zu Hause? Sind Vater und Mutter wohl und die Brüder auch?“

„Es geht ihnen gut!“ brachte sie endlich hervor.

„Ist jemand mit dir?“ „Nein, ich bin allein!“

„Aber, um Himmelswillen, wie kommst du in diese Gegend und in dieses Haus?“

„Ich wollte einmal nach dir sehen, Marcel.“

Nun erriet er den Grund ihrer Reise. „Ist sie von Sinnen,“ dachte er, „begriff sie denn nicht, daß ich sie nicht zum Heiraten gern hatte? Wie muß ich ihr das begreiflich machen?“ Da er etwas sagen mußte,fragte er sie: „Aber warum wählst du gerade den Sommer? Da hat man in den Bergen keine Zeit, zu seinen Gästen zu sehen, wie sich's gebührt, und die Herberge in den Alphütten oben ist auch nicht bequem für deinesgleichen!“Diese Rede zeigte ihr, das all ihr Hoffen und Sehnen und Lieben verschwendet war, und ihre Reise eine Thorheit. Sie kam ihm ungelegen! Der Schlag war zu stark, sie kämpfte wacker mit sich, aber die Thränen rollten ihr doch aus den Augen und es war ihr, als lege sich eine eiserne Faust um ihre Kehle.

„Du weinst? Ist dir etwas Böses wiederfahren?Kann ich dir in etwas helfen?“

Bei den milden Worten wurde ihr Weinen zum Schluchzen. Sie faßte sich jedoch nach einer Weile und sprach:„Du hast die Zeit vergessen, da du bei uns warest.“

„Nein, Verena, sicherlich nicht! Ich ...“

„Mach' keine leeren Worte! Ich fühle es jetzt: du hast damals mit mir nur ein Spiel getrieben, und das war nicht gut. Bin ich so schlecht, daß ich zu nichts als zur Kurzweil tauge? Du bist ein Nichtswürdiger!“

„Verena, rede nicht so hart! Sieh' ...“

„Vater und Mutter sahen nicht gern, daß wir zusammenhielten, das merktest du so gut wie ich, bist aber deswegen zu mir nicht minder freundlich geworden!Was konnte ich da anderes denken, als daß du mir wohl,recht wohl gesinnt seiest?“„Ich wollte die Alten etwas necken! Mich belustigten die scheelen Augen, mit denen sie uns beobachteten und doch nie Anlaß fanden, uns etwas vorzuwerfen. Und warum sollte ich es verschweigen? ich war dir ja wirklich gut, wie rechte Kameraden sich gut sind.“

„Kamerad nur warst du mir? du hast scheint's vergessen, wie wir Abschied nahmen! Ich muß es dir wohl erzählen!“

„Ach, nein, laß das, ich weiß ja alles ...“

„Laß mich reden, nachher soll's an dir sein! Es war im Herbst, wir heimsten Birnen ein. War's nicht so? Du warst oben auf dem Baume und schütteltest die Äste, ich war unten und las zusammen, was herabfiel. Dann stiegst du herunter und halfst mir die Körbe in den Sack leeren. Es dämmerte in der „Hostet‘),als wir mit der Arbeit zu Ende waren. Zetzt wird es lange währen, bis ich wieder Birnen schüttle,‘ sagtest du, vielleicht das ganze Leben nie wieder. ‚So habe ich sie dir auch zum letzten Mal aufgelesen,“ sagte ich. Ja, in meinem Bergnest oben ist es den Birnen und Apfeln zu rauh, da gehen sie zu guten Leutchen,wie du bist, fuhrst du weiter. Du siehst, ich habe jedes Wort behalten.“

„Verschone mich, Verena,“ sagte Marcel, der wie auf einer glühenden Pflugschar stand.

Nein, ich rede! Von guten Leutchen sprachst du

)Baumgarten.und ich darauf: „Und doch willst du wieder dort hinauf ziehen? gelt, es zieht dich etwas anderes heim?“ Du lachtest: ‚Du meinst wohl, mein Herz sei oben?Nein, Kind, das habe ich alleweil bei mir, man muß Sorge zu dem Dinge tragen! Wer um sein Herz Sorge trägt,‘ sagte ich, ‚hat keines! Wer ein rechtes hat, der verliert es, er weiß nicht wie. Ich muß gehen,‘ sagtest du hinwieder, sonst geht es mir hier gerade so, wie du sagst“‘‘ Und du strecktest mir die Hand entgegen: „Wir wollen jetzt gleich Abschied nehmen, es ist besser so, als morgen vor allen andern. Du warst all die Zeit gut zu mir, Verena, ich danke es dir;wenn es der Himmel will, werden wir schon wieder einmal zusammenkommen. Gehab' dich wohl, und liesest du unter diesem Baume wieder Birnen auf, so denke ein wenig an mich, jedes Jahr ein Mal nur!““Marcel suchte sie wieder zu unterbrechen; sie aber ließ ihn nicht zum Worte kommen und fuhr fort: „Du drücktest, dies sagend, meine Hand so stark, daß es mich schmerzte; ich glaubte, du meinest es im Herzen, wie mit der Hand, und mußte bitterlich weinen. ‚Greine nicht, sagtest du mir, ‚liegen auch Schneeberge zwischen zweien, was macht das aus? Man kann über die Gipfel und Gräte hinweg denken und sinnen. Das sprachst du so lieb, daß es in mir jubelte und jauchzte und ich Das Bergdorf. 10 dir um den Hals fiel. Du hieltest mich fest, und ich war selig und meinte, du seiest es auch.“

Marcel konnte nichts entgegnen. Er hatte selber oft an jenen Augenblick gedacht: da hatte er zum erstenmal erfahren, wie Mädchenküsse thun. Der erste war ein unschuldiger gewesen, er hatte ihn nicht geraubt, er hatte nur genommen, was ihm freundlich und wie von selbst an die Lippen kam, und das mundete so gut und süß, daß er sich erfrechte, selber zu nehmen. Daß Verena damals ans Heiraten dachte, als sie die Arme um seinen Nacken schlang, ahnte er nicht; wie hätte ihm auch so etwas durch den Sinn fahren können? Er war neunzehn Jahre alt und sein Kopf voller Jugend, Leichtsinn und Ungebundenheit: man küßt sich, meinte er wohl,weil man sich so ein Vergnügen machen kann, ohne etwas auszugeben, ein Vergnügen, das einem warm und lieblich bis in den letzten Winkel der Brust dringt. Aber sich deshalb gleich für Zeit und Ewigkeit binden? Nein,das wäre ja Thorheit! Wer möchte da noch küssen!

Wie Verena Marcel schweigsam und an alte Tage sinnend dastehen sah, erwachte in ihr die Zuversicht.„Seither“ fuhr sie fort, „habe ich stündlich an jenen Augenblick gedacht und täglich erwartet, du werdest es in den Bergen nicht aushalten und wiederkehren, mir nochmals die Arme öffnen und sie für immerdar um mich schließen. O, wie schön war es, Marcel, unter dem Birnbaum. Weißt du noch, wie plötzlich ein Windstoß kam, das Geäst rüttelte und das welke Laub auf uns herabblies, aufs Gewand, ins Haar, wie Schneeflocken, und wie wir uns fester hielten und es uns durchschauerte, süß bis ins Herz?“

Verena näherte sich ihm, und da er sichtlich unschlüssig war, in alter Erinnerung lebte und zugleich auf eine milde Art sann, ihr seine Verlobung mitzuteilen, flackerte in ihr die Hoffnung wieder auf, er sei ihr noch nicht verloren, die lange Trennung habe seine Liebe nur eingeschläfert, aber sie werde erwachen, wie unter dem Birnbaum, sobald ihre Lippen die seinigen berührt hätten. Wie Marcel ein passendes Sätzlein meinte gefunden zu haben und es ihm schon auf der Zunge schwebte, legte sie sich an seine Brust, und ihre Arme fanden wie einst den Weg um den Hals. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küßte ihm leidenschaftlich die Wange, da er die Lippen wegwendete: sie war entschlossen, alles zu wagen, um alles zu erringen.

Er suchte ihre Arme zu lösen, sie aber umklammerte ihn mit aller Kraft; die Begierde, sich den Geliebten zu erobern und die Furcht, er möchte wieder entrinnen, erregten in dem einfachen Mädchen die helle Leidenschaft,und Marcel spürte, wie ihre Brust gegen die seinige

10*drängte, als säße der Sturm drin und hätte sich vorgenommen, die Schranken zu brechen, um auch in seinem Herzen zu wühlen und zu wüten und zu rasen. Und er hörte ihre vor Erregung entstellte Stimme: „O,Marcel, Marcel, liebe mich wie einst, liebe mich, wie ich dich liebe, mach' mich nicht elend, mach' mich nicht unselig ...“

So hing sie an ihm, als die Werber in den Raum drangen, und Lucien den Knechten zurief: „Da schaut ihn euch an, euern Meister, wie er das Mädchen herumreißt und küßt und verführt! Ha, ha, ha! das ist gelungen! O, der Hund!“

Marcel begriff, wie sehr er bloßgestellt war; der Unwillen erfaßte ihn und er schüttelte Verena von sich.„Sie ist von Sinnen!“ sagte er, wie um sich zu entschuldigen.Das Mädchen, einsehend, daß nun alles verloren war, brach in Thränen aus, ließ sich auf einen Stuhl sinken und verhüllte das Gesicht.

Lucien trat zu ihr hin und sagte: „Gelt, Mädchen,er hat dir Hoffnung aufs Heiraten gemacht? Wir wollen dir helfen! Sprich, hat er dir Hoffnung gemacht?“

„Jal!“ schluchzte sie in ihrer Verzweiflung, sich über ihr Wort keine Rechenschaft gebend.

„Verena, vergiß die Wahrheit nicht!“ rief Marcel.„Das Wörtchen muß ihm freilich unlieb sein!“lachte Lucien. „Armes Mädchen, er hat schon einen Schatz, oben in Rötschweiler!“

Sie schrie auf bei dem Wort und sank dann in sich zusammen und saß da, wie das Mensch gewordene Elend.

„Ihr habt es alle gehört, Knechte, und ihr, Kameraden, er hat ihr das Heiraten versprochen, und jetzt wirft er sie von sich, wie man eine garstige Spinne abschüttelt. Er hat ihr Gewalt angethan! schaut sie nur an in ihrem Jammer! Sagt der euch nicht alles? Und all ihr Lohn ist ein Fußtritt! Es ist empörend!“

„Ich habe ihr nichts versprochen und habe ihr nichts gethan! Das weiß sie so gut wie ich! Euch aber geht alles nichts an!“

„Dir glaube, wer mag! Ich sah euch durch den Vorhang zu: bist du ein Mann, so machst du sie zu deiner Frau!“

„Du bist ein Schuft!“

„Ja, ja, nenn' ihn wie du willst!“ riefen die Soldaten, „Lucien hat doch recht! Ein Weib ist kein Wurm, den man zertritt und dann fürbaß geht!“

„Gebt mir Raum, ihr Spitzbuben, daß ich gehe!“

Sie versperrten ihm den Weg. Er sah, daß sie es darauf abgesehen hatten, ihm seinen guten Namen zu vernichten, und der Zorn lohte in ihm auf. Sein Blick fiel auf die Roßpeitsche in Joachims Händen; er entriß sie dem Knechte und drang auf die Werber ein. Sie aber zogen ihre Seitengewehre und schienen nicht übel Lust zu haben, zuzustoßen.

Verena, durch das Geklirr der Säbel erschreckt, sah auf und erkannte die Gefahr. Sie sprang empor, stellte fich abwehrend den Klingen entgegen und flehte: „Tötet ihn nicht! Um's Himmels willen, tötet ihn nicht! Ich bin ja an allem schuld!“

Die Libelle, die kühleres Blut hatte und an dem Auftritt ein Vergnügen fand, schob Verena auf die Seite,und fing an, vor den Soldaten auf und ab zu tanzen,wobei sie die Füße zuweilen bis an die Säbelspitzen aufwarf. Ihr Gebahren dämpfte das beim Anblick der geschwungenen Peitsche in Wallung geratene Soldatenblut.

Marcel herrschte Lorenz und Joachim an: „Her zu mir, Knechte!“ Sie zögerten; er sah sie mit flackernden Augen an, die konnte Lorenz nicht ertragen und er trat vor.„Faß einen Stuhl! der Knecht stehe zu seinem Meister! Und nun laßt uns frei, oder wir schlagen drein!“Die Soldaten erwarteten den ersten Streich in ruhiger Haltung; da hüpfte die Libelle herbei, stellte sich neben die Hirten und, eine Stricknadel in die Höhe haltend,rief sie den Werbern zu: „Platz! oder ich steche euch alle zu Tod!“Im vorderen Raume erklangen Stimmen. Leute aus der Nachbarschaft, denen das Lärmen und Kreischen aufgefallen war, hatten sich herein gewagt, und manche verspürten Lust, den unwillkommenen Gästen, die ihnen die gnädigen Herren von Bern geschickt hatten, mit den Fäusten zuzusetzen, wenn immer es anginge. Die Soldaten aber wollten mit ihnen keinen Streit.

„Seit unbesorgt, ihr Leute, es soll in eurem Flecken kein Blut fließen. An uns liegt die Schuld nicht, daß es so unmanierlich zugeht. Sind da die beiden Hirten bei uns eingetreten, haben unsern Wein getrunken, haben die Mädchen herumgerissen und begehrlich mit ihnen gethan ....“

„Das lügst du! Glaubt ihm nicht!“

„Ihr hört ihn! Sauber ist er, sauberer als ein Engel! Ihr seid meine Zeugen, Soldaten, und ihr,Knechte! Sagt! Hat er diese Landstreicherin in seinen Pranken gehabt, oder nicht?“

„Ja! Das hat er!“

„Ich bin keine Landstreicherin!“ stöhnte Verena.

„Nein, bei Gott nicht!“ schrie Marcel, „es ist die Tochter meines Meisters zu Dietstetten.“

Die Soldaten lachten, und Lucien rief den Einheimischen zu: „Das hat er gut ersonnen! Er ist so dumm nicht, wie ich glaubte! Wenn wir es nur nicht besser wüßten! Wir haben die Dirne gestern oder vorgestern auf der Straße aufgelesen und ihr aus Erbarmen ein anständiges Kleid gekauft, denn sie ging in Fetzen.Entlaufene Keßlerware ist's!“

Verena, empört, wollte sich erheben und auf ihn losstürzen, sank aber vernichtet zusammen. Was sie thun wollte, unternahm Marcel; die Soldatenklingen jedoch starrten ihm entschlossen und grimmig entgegen. Da wendete er sich an die Bauern: „Glaubt ihm nicht! Er ist ein Halunke und jedes seiner Worte eine Lüge!“ Er sah nur ungläubige Gesichter, denn alle wußten, daß das Mädchen auf dem Wagen der Werber zu ihnen gekommen war.

„So ist es auch erlogen, daß du mir versprachst, Handgeld zu nehmen, wenn ich dir die Landstreicherin ver

Marcel war sprachlos. Die Peitsche in der Hand schien ihm zu sanftmütig: er riß Lorenz den Stuhl aus den Händen und drang auf Lucien ein; aber er hatte alle gegen sich, selbst die Bauern.

„Hört, was sein Knecht sagt!“ rief Lucien. „Sprich,Lorenz, hast auch du keines der Mädchen begehrt? Gieb Antwort! Gieb ehrliche Antwort, sag ich!“„Doch,“ sagte die aufrichtige Haut unter allgemeinem Gelächter.„Ihr hört's, der bekennt! Von dem andern begehren wir es nicht, wir thäten ihm zu viel Ehre an! Er mag gehen zu seinen Kühen und Kälbern! Er hat versprochen, Soldat zu werden: es gelte nicht, er ist zu

Marcel schäumte, aber er vermochte nichts gegen die Menge. Zu den Umstehenden, deren Zahl beständig wuchs, war auch sein Vetter Favrod getreten. Der drängte sich vor und sagte zu dem Wütenden: „Laß es gut sein! Du hast eine Thorheit begangen, komm'mit mir hinaus und geh' deiner Wege!“

.So glaubst auch du, ich habe etwas Unrechtes verübt? Das Mädchen ist keine Dirne! Ich habe es schon gesagt: sie ist von Dietstetten und meines Meisters Tochter!“„Ja, ja, es ist schon gut: Geh' jetzt deiner Wege!“

Der Argwohn des Vetters schnitt Marcel in die Seele. „Ich schwöre dir einen heiligen Eid, daß es so ist!“Die Werber lachten; die Libelle aber, der bei aller Verdorbenheit ein Stückchen Herz geblieben war, protestierte mit kreischender Stimme: „Das heiße ich den Scherz zu weit getrieben! Es verhält sich alles so, wie der Käsehändler sagte: er hat nichts Schlechtes begangen!“Alle lachten und einer rief: „Er hätte der Dirne etwas D hätte!“

„Bei meiner Ehre, er that es nicht!“ eiferte die Libelle.

„Die Kleine schwört bei ihrer Ehre für die Ehre der andern! Ha, ha, ha! Metzenehre, Eiterschwäre! Das kennt man!“

Favrod ergriff Marcels Arm: „Komm mit mir! du thust einem leid!“

„Bei Gott, ihr thut mir unrecht,“ stöhnte der Bursche.

„Komm', komm' mit! Du solltest längst nicht mehr hier sein!“

„Bringt ihn seiner Jenny heim, Favrod!“ rief XE „Seiner Jenny heim!“ Das Wort durchfuhr Marcel wie Gift. Er ballte die Faust, um den Rufer zu züchtigen, aber sie schien ihm auf einen Schlag kraftlos geworden zu sein; denn die Ahnung kam ihm, daß dieser Auftritt noch schlimmere im Gefolge haben würde.„Komm'!“ drängte der Vetter, und er folgte mechanisch.Seine Gedanken waren nicht mehr bei den Werbern,sie waren oben in den Alpen. „Was wird sie sagen?Was wird sie sagen? Nun ist es aus!“

„Das ist der Schwingerkönig von Rötschweiler!“rief ihm Lucien hohnlachend nach. Er hörte es nicht,so wenig wie Verenas Schluchzen und das Gerede des Vetters an seiner Seite.

Durfte er Jenny wieder unter die Augen treten?Er hatte ihr an der Schryßeten gesagt, er habe noch keiner seine Liebe verpfändet: hatte er damals gelogen?Hatte Verena ein Recht auf ihn? Er war sich jetzt selber nicht klar. So viel nur fühlte er, daß er ihr gegenüber im Unrecht stand, und daß ihr um seinetwillen heute maßlose Schmach angethan worden war; aber es war nicht Mitleid, was er für sie empfand, es war Grimm und Groll. „Was mußte mir die Spinne über den Weg laufen!“

Auf dem Marktplatze angelangt, wollte er den Weg thalaufwärts einschlagen. „Wo hast du dein Fuhrwerk?“fragte Favrod.

„Was sagst du?“ „Wo du dein Fuhrwerk habest!“„Es steht auf dem Platze.“ „Wo?“

Richtig, es war fort. Als Joachim, dem Gesang und Geschrei folgend, ins Haus getreten war, setzten die Mücken und Fliegen „Mamni“ so arg zu, daß es Reißaus nahm und der Heimat zustrebte.

„Und deine Knechte? Willst du sie in der Höhle lassen? Warte, ich will sie rufen!“„Nein, ich gehe selber!“

Drin bei den Werbern war der Lärm aufs neue losgebrochen. Lucien, den Sieg über den Gegner ausbeutend, hatte ihm all seine Galle nachgespuckt und dann auch Verena mit beißendem Hohn überschüttet. Da nahm sich die Libelle der Hilflosen, Vernichteten und Ratlosen an und bewarf den Soldaten mit den derbsten und mißtönendsten Ausdrücken, die sie auf dem Pflaster der Städte und Städtchen aufgelesen hatte, zum großen Ergötzen alles Volkes. Wie sie mit ihrem Geschimpfe das Gegenteil von dem erreichte, was sie wollte, geriet sie in Raserei, griff nach Gläsern und Flaschen und warf alles zu Scherben, bis man ihr mit Händekraft die Unschicklichkeit ihres Betragens zu fühlen gab.

Als Marcel unter die Thüre trat, fiel sein Blick auf Verena. „Nimm das Mädchen dort mit dir nach Hause, Vetter,“ sagte er zu Favrod, „spanne morgen dein Roß an und fahre mit ihr nach Dietstetten.“

Der Angeredete betrachtete ihn ungläubig.

„Es ist, wie ich sagte: es ist die Tochter meines Meisters,“ versicherte Marcel.

„Ich will dir den Wunsch erfüllen!“

Nun rief Marcel nach seinen Knechten: „Lorenz!Joachim!“

Lorenz trat vor: „Ich komme nicht mit dir, Meister,ich gehe mit den Soldaten.“

„Bisft du von Sinnen?“ schrie ihn Marcel an, „zieh'diesen Schurkenrock aus, oder ich schlage dich mit der Peitsche windelweich.“ Lorenz wollte wiederholen: „Ich komme nicht!“ aber er sah, wie es in des Meisters Armen zuckte, und da er einem festen Willen und zorniger Gebärde nie widerstehen konnte, gehorchte er.

„Und nun hinaus und heimwärts!“ Lorenz ging,von den Werbern gehöhnt.

„Adee, Schatz!“ rief ihm die Libelle nach, die das seelische Gleichgewicht schon wieder gefunden hatte. Da wandte er sich nochmals um und streckte ihr die Hand entgegen. Man lachte, und die Libelle hüpfte auf ihn zu und schlug ihre Hand klatschend in die seine.

„Auf Wiedersehen, Schatz!“ sagte sie lustig. Er sprach ihr das Wort nach: „Auf Wiedersehen!“ und schritt fürbaß mit seinen haltlosen Knien.

Derweil hatte sich Marcel nach Joachim umgesehen.Dort stand er in einer Ecke und neben ihm Lucien,der ihm eifrig zuredete: „So mußt du's machen, mir zu lieb und dir nicht minder! Hei, das wird ein Spaß werden, ein Heidenspaß!“

„Kommst du, oder kommst du nicht?“ rief Marcel dazwischen.„Er kommt nicht! Heute nicht; aber vielleicht morgen oder übermorgen!“ lachte Lucien.

„So mag er bleiben!“ knurrte Marcel und ging.

Wie vom Sturmwind gefaßt, eilten die zwei Sennen das Thal hinauf, Rötschweiler zu. Marcel fuhr es wie ein Messer durchs Herz, als er, um einen Bergvorsprung biegend, die ersten Hütten des Dörfchens erblickte. Dort an der Halde, von der Abendsonne bestrahlt, mit brennenden Fensterscheiben, stand Jennys Häuschen, in das er im Winter ziehen wollte, um mit seinem „Mütterchen“ zu hausen. Seine Zähne knirschten vor Wut gegen sich selbst und den Elenden, der ihn so tief in den Morast gestoßen, und knirschten auch gegen Verena.„Nun hält mich das ganze Thal für einen unsauberen Burschen, ich mag sagen, was ich will: ich habe Ehre und guten Namen besudelt .... ich darf Jenny nicht mehr unter die Augen treten. Und was habe ich verbrochen? Nichts! ... Nichts?“ Er sann: „Heute vielleicht das Schlimmste nicht, aber es ist, wie Verena sagte: ich habe ein Spiel mit ihr getrieben, und jetzt rächt es sich und zerfrißt mir mein Glück, das ich schon glaubte in den Händen zu haben. Ist der Leichtsinn so sträflich, daß es mir so bitter ergehen muß?“ Er sah wieder nach Jennys Häuschen hinauf und eine Thräne schlich ihm über die Wange. „Wie soll ich es ihr sagen?“

Als sie zu Hause ankamen, stand „Manni“ mit dem Wagen vor dem Stalle und nagte gelangweilt am Thürpfosten. Lorenz versetzte ihm einen Fausthieb in die Rippen, Marcel aber schickte den Knecht weg und führte das Tier ins Haus, um es zu füttern.

Es war zu spät, um in den Berg hinaufzusteigen;die beiden mußten im „Grund“ übernachten und legten sich schlafen, ohne ein freundliches Wort ausgetauscht zu haben. Marcel fand den Schlaf nicht; je länger er über seine Lage nachdachte, um so deutlicher kam ihm die Gewißheit, daß er seine Strafe verdient habe. Der Groll auf Verena fiel auf ihn zurück und die Schmach,in der er sie gesehen, fing an, ihn unsäglich zu drücken.Was hatte sie verbrochen? Sie hatte ihm vertraut, das war ihre ganze Schuld.

Furchtbar sah er das Gewitter sich über ihm zusammenballen. Wie sich wehren? Der Schein und die Meinung der Leute, alles war gegen ihn, und er ahnte,wie scharfes Gericht die einfachen Bauern über ihn halten würden. Ihnen aus den Augen gehen! Fliehen! Das wäre feig und ein Geständnis! Wenn sich der Vorfall verheimlichen ließe? Wenn er dem Knechte das Wort abnähme .... Nein! so würde der Meister des Knechtes Knecht! Und was hülfe es? Der ganze Marktflecken war ja unterrichtet und jeder Wind konnte die schlimme Geschichte thalaufwärts tragen. Und vielleicht war das Unheil schon auf den Füßen: was hatte Lucien mit Joachim abgemacht? Es gab keine Rettung, er mußte die Schmach kommen lassen; aber wie sie ertragen? Wie Jenny und den Eltern unter die Augen treten?

Von der Unruhe getrieben, erhob er sich nach Mitternacht, ging zum Flusse hinab und warf sich in die kalten schäumenden Fluten und kämpfte mit ihnen und stieß gegen sie, bis ihm die Kraft erlahmte. Abgekühlt und ermattet streckte er sich aufs Lager aus und wurde ruhiger; denn die in der Erschöpfung abgestumpfte Seele vermochte nicht mehr so scharf nach sich selber zu stechen,wie zuvor. Er suchte sich zu überreden, die Sache sei so schlimm nicht, wie er sie sich die ganze Zeit vorstellte,auch der schärfste Richter könnte ihm kein Haar krümmen!Mit diesen Sophistereien schlief er endlich ein. Als er erwachte, stand schon die Sonne über dem Thal. Er sah nach Lorenz. Der war fort. Das beunruhigte ihn und weckte in ihm wieder das Bangen vor dem Unheil,das nach ihm schlich. Wohin war der Knecht gegangen?„Manmni“ wieherte im Stall, als es seinen Tritt hörte.Er band es los und stieg mit ihm bergwärts, der Alpe „Fontana“ zu, wo die Seinen eben waren. Sein Blick war nach innen gekehrt; der Berg hätte vor ihm einsinken können, er hätte es nicht gesehen. Nebelklumpen stiegen dann und wann vom Flusse auf, strichen an den Bergwänden empor, hüllten Mann und Roß in ihre grauen Schleier, die Sonne verdunkelnd, und hingen plötzlich wie durch Zauber gehoben hoch in der blauen Luft, zur Gutwetterwolke geballt, kaum dicht genug, um einen Schatten auf den sonnigen, leuchtenden Berg zu werfen. Marcel sah das Spiel nicht; für Himmel und Wolken, Sonnenschein und Schatten war er blind, nichts war für ihn da, als das wiedererwachte wüste Gefühl in Kopf und Brust, das Gefühl einer Schuld, die der Verstand leugnete, das Gefühl aber anerkannte.

Wie anders war er gestern zu Thal gestiegen: mit sauberem Herzen und gesundem Gewissen!

Herdengeläute weckte ihn aus seinem Grübeln. Er sah vom Wege auf; in einer Mulde gingen die Kühe,abseits stand wieder „Brummi“, der Stier, den Kopf nach Marcel gerichtet, unbeweglich wie ein Felsblock.Gestern hätte der Hirt mit ihm ringen mögen, er dünkte sich dem unvernünftigen Vieh gleich an Kraft und unendlich überlegen durch etwas Besseres. Und nun? Er beneidete die Bestie um ihre innere Gesundheit, um ihre Ruhe und ihr Gewissen. Es kam über ihn ein solcher Grimm gegen sich selbst, daß er auf den Stier losging und ihn mit den Fäusten mißhandelte, hoffend, er werde sich gegen ihn wenden, ihn mit den Hörnern zu Boden

Das Bergdorf. 11 schleudern, und, sich seiner erbarmend, mit den Hufen zermalmen. Aber „Brummi“, der von seines Meisters Hand noch nie etwas anderes als Salz und etwa einen freundschaftlichen Klaps bekommen hatte, begriff ihn nicht;er ließ sich nicht aus dem Gleichmut bringen, sondern wandte sich, die Haut schüttelnd, weg und trabte davon,den andern demütigend.

Als der Bursche sich der Alphütte näherte, sagte seine Schwester Luise zu ihrer Mutter: „Sieh' doch, wie Marcel seltsam daherkommt!“

„Das ist ja Lorenz am gebeugten Gang!“

„Mutter, siehst du nicht mehr scharf?“

„Ja, wahrhaftig, er ist's! Der Bub*) arbeitet uns zu streng und meint immer, er könne sich nicht genug aufladen; kein Wunder, wenn es ihm den Rücken beugt!“

Nachdem Marcel den Frauen den Gruß geboten und „Manni“ das Geschirr vom Halse genommen, fragte er so unbefangen, als es ihm geriet: „Wo ist der Knecht?“

„Wie sollen wir das wissen?“

„Ist er heute nicht heraufgestiegen?“

„Wir sahen ihn nicht.“

Marcel ging ihnen aus den Augen. Ja, das Unheil war am Werk! Gegen Abend sah er unten an der

*Sohn. Alp jemand den Wettertannen nachschleichen. Er erkannte ihn, es war Joachim. Er ahnte, was der Küher betrieb:er war in der Frühe aufgebrochen und in den Teil des Berges hinaufgestiegen, wo Jenny und die Ihrigen eben sömmerten, und nun war er auf dem Wege, die Kunde von seiner Schmach überallhin zu tragen, entstellt, verleumderisch, wie sie ihm Lucien vorgesagt hatte. Die Lust überkam ihn, dem Unheil nachzueilen und es über eine Fluh zu stürzen, aber er überwand sich.

Die Sonne war schon zur Rüste gegangen, als Lorenz sich in der Alp einfand. Da er ganz niedergeschlagen war, fragte die alte Roux ihren Sohn: „Was ist euch Männern gestern oder heute geschehen? Es ist ja keiner mehr, wie er ging!“

„Was soll mit uns geschehen sein?“ sagte er und schritt davon.

„Habt ihr euch gezankt? Hat der Knecht über sein Maß getrunken?“ rief sie ihm nach.

„Nein!“ gab er zurück.

Später erfuhr man, warum Lorenz so früh aufgebrochen und so spät wiedergekehrt war. Er hatte in der Nacht den Plan gefaßt, sich anwerben zu lassen.Aber er fand die Werbergesellschaft anders, als er sie sich all die Zeit vorgestellt hatte: die Seiltänzerin war noch am Abend des stürmischen Tages aufgebrochen, um

11* ihr Glück anderswo zu suchen. Die Soldaten wollten nun freilich Lorenz an sich locken, er aber hätte einen Soldatenrock nur angezogen, um der Libelle. besser zu gefallen, und kehrte, da sie verschwunden war, ernüchtert in seine Berge zurück, mit dem festen Entschluß, das Glück,ein Weibchen zu besitzen, den andern zu überlassen. IV.ener Samstag, der dem Bergfeste vorausging, schwebte J wie Silberglanz durch das Gebirgsthal und sank am Abend hell aufglühend hinter die Felszacken hinab.Lange noch zitterte ein Wiederschein seines aus Lichtfäden gewobenen Kleides am Abendhimmel, und das Gebirge zeichnete darauf seine dunkelnden Massen wie auf Goldgrund. Da und dort, sich in Glut und Geflimmer verzehrend, schwebte ein leichter Wolkenstreifen dahin, als hätten die Bergzinken von dem vorbeischwebenden Gewand ein Fetzchen, eine Franse, einen Faden losgerissen.

Wie oft ist so der Tag über Rötschweiler und seine Alpen hinweggezogen und hat sich so der Abend auf Thal und Gebirge gesenkt, als etwas Alltägliches, Selbstverständliches von keinem Auge bewundert in seiner himmlischen Pracht! Und wie oft wird das gleiche Schauspiel ebenso herrlich und ebenso unbeachtet über das Land schweben und in der Ferne versinken! Wie oft noch werden die Herden ihren alltäglichen Gang machen, an den Halden auf und an den Halden ab,und hinter ihnen drein die Hirten, mit dem immer gleichen Zuruf, den ein Geschlecht dem andern übergiebt und der sich so wenig ändert, wie unten im Dörfchen der Klang der Vesperglocke.

Gleichmäßig vergehen den Hirten die Tage und Wochen und Jahre; gleichmäßig wandeln sie ihr Leben ab, wie die Sonne am Tag ihren Bogen und die Sterne bei Nacht ihre Strecken. Diese Gleichförmigkeit spiegelt sich in ihrem Charakter wieder. Sie hangen am Alten:an Vätersitte und altem Erwerb, an ererbten Pfaden und überkommenem Erdgrund. Selbst was hie und da das tägliche Einerlei durchbricht, die Schryßeten, die Alpfahrt, das Bergdorf, gehört zu dem seit grauen Zeiten geregelten Getriebe, wie die Wandelsterne, die nur von Zeit zu Zeit, aber immer berechenbar, am Nachthimmel erscheinen, zur Weltordnung gehören.

Nur dann und wann dringt etwas Fremdes in das Thal ein und versetzt es in Aufregung, so wie ein Krankheitskeim, der in eine Wunde dringt, den Körper durchfiebert, oder wie ein Hagelwetter, das alle Jahrzehnte einmal diesen friedfertigen Erdenwinkel heimsucht, die Bewohner erschreckt und ihnen verkündet, daß zwischen Himmel und Erde nicht lauter Segen und Frieden schwebe. 167b4

Manchmal ist es ein Viehsterben, was sie in Bestürzung versetzt, manchmal ein Felssturz, der eine Alp überschüttet, manchmal ein Mensch, der aus ihrem eigenen Blute ist und doch nicht ihre Art hat und der sie ängstigt,gleich einem jener seltsamen, aus dem Himmel tauchenden und doch die himmlische Ordnung durchbrechenden Nebelsterne, von denen man glaubt, sie weissagen Hunger und Krieg.

Aber alles geht vorbei. Die Pestilenz zieht ab, wie sie kam; ist eine Alpweide verschüttet, so sömmert man das Vieh anderswo und schickt sich in den Verlust: die Menschen, die nicht in das Thal passen, verschwinden von selber, wie am Himmel die Kometen und die fallenden Sterne: sie ziehen in die Ferne, oder fallen tief. So folgt immer der kurzen Aufregung die lange Gleichförmigkeit und das Leben verläuft im Kleinen so, wie sich aus der rechten Höhe alles Menschenlos und Völkerschicksal ausnehmen muß: die Geschlechter folgen sich,wie die Wellen im Meer, ein ewiges Gewoge; zuweilen kommt wohl ein Sturm und peitscht die Wasser auf und lüftet die Tiefen, aber bis zum folgenden Morgen hat sich alles geglättet und über die Fläche gleitet wieder das alte Auf und Ab, der gleichförmige, melodische Wellenschlag

Über der Alp „Fontana“, wo die Roux im Juli die Herde sömmerten, lag an jenem Samstag vor dem „Bergdorf“ etwas Fremdes, Unheimliches, das Gemüt Ängstigendes, als hätte hinter jedem Wolkenschatten,dem lachenden Himmel zum Trotz, ein Blitz und ein Donnerschlag gelauert. Marcel und Lorenz gingen dumpf ihres Weges und schienen lieber einen Umweg zu machen,als einander entgegenzutreten. Nur der alte Roux merkte nichts; denn schon lange Zeit hatte er im Sommer für nichts mehr Augen, als für sein Vieh und sein Weidgras; seine Frau und die Töchter dagegen steckten die Köpfe zusammen und flüsterten und vermuteten und ängftigten sich. Indessen fehlte es nicht ganz an tröstlichen Gedanken: man war ja an der Schwelle eines jener Freudentage, die von Gott oder den Menschen dazu gemacht worden sind, um den Geplagten das Sorgenjoch abzunehmen.

Als sich das Thal schon mit Dunkelheit gefüllt hatte und nur die Höhen noch schimmerten, schritt der alte Roux der Hütte zu, um sich die verdiente Ruhe zu gönnen. Vor der Thüre stand Luise und fragte ihn:„Wird das Wetter uns morgen wohl mögen, Vater?“Er stand still, musterte den Himmel und dann die Felsberge jenseits des Thales; denn diese sind die Wetterpropheten der Älpler: erscheinen sie glatt, oder sinken am Abend die Wolken lotrecht von ihren Kämmen ins Thal, so bedeutet das Regen. Heute war keines der bösen Zeichen zu sehen: gleich schmalen grünlichen Kähnen,langsam und arbeitsmüde, kamen die in der Abendkühle sich bildenden Wolken daher gesegelt und legten sich in langen Reihen an die schroffen Bergwände, wie die Nachen ans bergende Ufer, und blieben unbeweglich stehen, fast alle in gleicher Höhe, nur die Enden zerfaserten nach und nach und verschmolzen mit den Kähnen vorne und hinten.

„Es wird morgen kein Wölkchen am Himmel stehen,“sagte Vater Roux und trat in die Hütte. Das Mädchen freute sich über die Auskunft, denn es erwartete viel Freude vom Bergdorf: da sollte es René sehen, von dem es seit dem Winter in jedem müßigen Stündchen träumte und in manchem unmüßigen auch. Wird er mit ihr tanzen? Wie wird es ihm beim Schwingen ergehen? Einer der Stärksten ist er nicht, aber flink wie ein Eichhorn! Wenn er nur keinen Gang mit Marcel wagt! dem wäre er nicht gewachsen. Und wenn gar ihr Bruder in der Schlechtwetterlaune wäre, die er den ganzen Tag herumtrug: es könnte wahrlich ein Unglück absetzen. Sie mußte vorher mit Marcel darüber reden.Aber nein! dann wäre ja alles verraten!

Wie sie so überlegte, kam Marcel auf die Hütte zu.Auch er hatte nach dem Wetter ausgeschaut und hätte mit der Faust in die friedfertigen Wolkenkähne fahren mögen. Er hatte gehofft, es werde nach den heißen Tagen Unwetter eintreten, so ungastliches, daß man das Bergdorf nicht würde abhalten können; aber das Hundewetter kommt nur, wenn es einem das Heu oder das Haus ersäufen kann.

Marcel bangte vor dem Feste: da wird das Unheil auf ihn losfahren, er ahnte es. „Soll ich mich dahin begeben, wo es auch hinkommt? Thu' es nicht, es wäre Thorheit! Aber dann richte ich mich selbst, und man hat recht, mich einen Feigling zu schimpfen.“

Nein, er mußte dem Unheil entgegentreten und ihm die Zähne weisen. Wer zeugte wider ihn! Joachim, der Verrückte! Mit dem wollte er fertig werden und mit den andern auch. „Aber wenn auch sie mich verdammt ...“

Als er so brütend vor der Hütte stand, die Augen nach den verblassenden Bergspitzen gerichtet, ohne sie zu sehen, kam Luise auf ihn zu und reichte ihm den Trichter.„Willst du den Alpsegen heute Nacht nicht blasen? Hörst du, wie es hell tönt von der Alp Tschira herab?“

Er fuhr zusammen. Die gute Schwester ahnte nicht,wie wehe sie ihm that. Er horchte eine Weile auf die fernen feierlichen Klänge und blickte hinüber nach der Stelle, von wo nun bald Jennys Laterne ihm winken sollte. Er hätte vor Luise in den Erdgrund versinken mögen: er hatte den ganzen Tag sein Gewissen geschweigen wollen und verachtete sich am Abend noch mehr als er es am Morgen gethan.

„So blas doch, Marcel!“ sagte die Schwester so gut und freundlich, als es ihre helle Stimme konnte.

Er trat etwas vor, setzte den Trichter an den Mund und wollte rufen: „Gott und Vater im Himmel oben,schirm' mir alle meine Lobensr) “ Aber der Ton erstarb, ehe er recht angeklungen hatte: statt des Alpsegens brachte der Trichter nur ein Stöhnen hervor,als hätte dem Rufer in dem Augenblick eine Kugel die Kehle durchbohrt.

„Um's Himmels willen, was ist dir?“ rief Luise. Er antwortete nicht, sondern warf das Instrument in den Rasen und schritt tiefatmend von der Hütte weg. Sein Auge spähte hinüber nach Jennys Licht, aber es winkte nicht an jenem Abend, wie es auch Tags zuvor nicht gewunken hatte: sie wußte also, was vorgefallen war und zürnte und hatte vielleicht auf immer gebrochen.Was für ein Wiedersehen wird das morgen sein!

Als er sich nach einer unruhig durchträumten Nacht erhob, riß es ihn wieder hin und her: „Geh' ich, oder gehe ich nicht?“ Endlich brach er doch auf, nachdem er

*Kühe.die andern lange auf sich hatte warten lassen. Es war ihm zu Mute wie einem Verurteilten, den man zum Galgen hinaufführt, der vom Hügel seinen Arm nach ihm ausstreckt.

Nur Lorenz blieb in der Hütte zurück. Er wollte die Festfreude den andern überlassen und that Marcel einen Gefallen damit: so war ein Zeuge weniger.

Auf der Alp Tschira war schon ein buntes Treiben,als der alte Rour mit den Seinen nahte. Jodelnd und singend stiegen die Sennen von allen Seiten herauf und heran und begrüßten einander aus der Ferne mit gellenden Jauchzern, die lustig von allen Flühen und Wänden wiederhallten. Vor der Sennhütte kosteten einige Knaben das Vergnügen der Erwachsenen voraus,indem sie muiteinander rangen oder Steine zu heben suchten. Mädchen, große und kleine, flochten sich farbige Kränze aus tiefblauen Enzianen und Glockenblumen,roten Primeln und Alpennelken, und wanden sie ins Haar. Mitten auf dem ebenen Rasenplatze, wo getanzt werden sollte, stand der große Milchkessel: auf dem versteht man eine seltsame Musik zu machen und tanzt dazu den „Kessitanz“.

Marcel saß die Angst im Herzen, als er sich der Hütte näherte; jetzt sollte er erfahren, was Joachim seit gestern ausgerichtet hatte. Wenn die Angst unbegründet wäre? Wenn er sich die Sache schlimmer vorstellte, als sie war? Nein, man hatte ihn schon gerichtet: der erste Blick verriet es ihm. Er sah, wie sich die Leute nach ihm drehten, einen Augenblick nur, um gleich wieder die alte Haltung anzunehmen; er erriet an ihrem Rücken die Blicke, die sie sich zuwarfen.

Es ist üblich, sich die Hand zu reichen, wenn man sich fast zwei Monate lang nicht gesehen hat. Man versagte Marcel die Hand nicht, aber man zog sie schneller als sonst wieder aus der seinigen und drückte so wenig herzhaft zu, als hätte man etwas Unsauberes daran gespürt, sie im Verdacht gehabt, räudig zu sein.

Es kochte in ihm und würgte ihn; er hätte in den Haufen schreien mögen: „Ihr thut mir unrecht! Bei meiner Seele, ich bin nicht, wie ihr denkt!“ Aber er durfte es nicht, wenn er auch fühlte, daß das stumme Urteil ihm Kraft und Mut und Selbstachtung tötete.Wenn sie mit ihm gesprochen hätten, er hätte sich verteidigen können; aber sie schwiegen und wichen ihm aus,und das zerriß ihm die Brust wie Gift.

Joachim war schon da. Er hatte seine zerlumpten Kleider mit bessern vertauscht, die ein Senne ihm zu dem Feste geschenkt oder geliehen hatte. Die Ankommenden schüttelten ihm kräftig die Hand; solche, die die unsaubere Geschichte nicht von ihm selber erfahren hatten, hefteten fragende Blicke auf ihn oder zogen ihn aus dem Gedränge,und andere folgten nach, um seine Aussagen nochmals zu hören.Luise wendete sich an ihren Bruder: „Was steckt in der Luft? Es ist gar nicht wie sonst; es giebt ein Unglück an diesem Bergdorf.“ Sie war mit Rens zusammengetroffen, aber es war kein heiteres Wiedersehen zewesen, er hatte sie so seltsam angesehen.

Marcel zuckte die Achseln und wollte gleichgültig sein, aber um seinen Mund zuckte es wie Schmerz oder Ingrimm; um jemand bei sich zu haben, fing er mit der Schwester zu plaudern an und hielt sie zurück, als sie sich entfernen wollte, wohl um Rens etwas näher zu sein.

Hinter einer Erdwelle tauchte Gabriel Jaquot auf,etwas mühsam an einem Stocke gehend. Sein Vater und Jenny folgten ihm. Da und dort glitt ein spöttisches Lächeln über ein Gesicht, als sie nahten. „Hab'ich's nicht gesagt, Marcel werde seine Haut nicht von einem Tag zum folgenden ändern? Jetzt hat sie die Bescherung. Wohl bekomm's!“

Jenny war blaß. Der stolze Nacken hätte sich gerne grad gehalten, aber es gelang ihm nicht; die Augen strengten sich an, den Leuten frisch ins Gesicht zu sehen,aber senkten sie sihh zu Boden. Man sah es ihr an, daß sie ein Schluchzen mühsam in der Brust verschloß.Sie hatte mit ihrer Liebe gerungen zwei Tage und zwei Nächte lang, aus der Brust wollte sie sie reißen und würgen, und fühlte nach jedem unseligen Kampf,daß es ihr nicht gelungen war. Der Liebe zur Seite stellte sich immer die Hoffnung: es kann nicht sein, es kann so schlimm nicht sein.

Unterwegs hatte sie sich vorgenommen, Marcel entgegenzutreten, als wüßte sie nichts, und ihn dann in einem günstigen Augenblicke zur Rede zu stellen. Wie sie ihn aber mit einem flüchtigen Blicke entdeckte, von den andern gemieden, scheinbar trotzig und doch dem Zusammenbruche nahe, unfähig das schlechte Gewissen zu verbergen, da empörte sich ihr Innerstes und ihr Stolz, und sie mied ihn. Ihr Vater that wie sie; Gabriel dagegen hinkte auf Marcel zu und schüttelte ihm die Hand, kräftig, als hätte er den Gruß vieler ausrichten müssen. Er zog ihn von Luise weg und sagte zu ihm,und die Angst machte die Zunge zittern: „Gelt, du bist ihr nicht treulos geworden? Sag', es sei erlogen!“

.Erlogen,“ erwiderte Marcel dumpf. Der andere hinkte hinweg, seiner Schwester nach und sagte ihr etwas ins Ohr, wohl das Wort „erlogen“; aber das schien ihr keine Freude zu bringen. Wie sie sich wegwandte stieß sie auf Joachim, der raunte ihr zu: „Du hast mir am Taufstein gewunken!“ Sie maß ihn mit flammenden Augen und er schlich davon mit seinem scheuen Blick.

Derweil hatten die Sennen der Alp Tschira Eimer mit Milch und Molken vor die Hütte auf den Rasen gestellt und große Holzlöffel daran gehängt, damit, wer Durst oder Hunger verspüre, sich laben könne. Die Spiele begannen. Die Sennen zogen die mit Stickereien gezierten Kittel aus, streiften die Hemdärmel zurück und zeigten den Kindern und Jungfrauen selbstgefällig ihre sonnverbrannten, nervigen Arme. Aus der Hütte wurden Alpenrosenkränze für die Sieger getragen. Auf einem ebenen Platze lagen zwei rundliche, vom Wasser eines Bergbaches glatt geschliffene Steine, von denen der eine 70 Pfund, der andere doppelt so viel wiegen mochte. Um die Steine, einen weiten Kreis bildend,setzten sich die Sennen, die sich um den Preis mühen wollten; vor ihnen einige ältere Männer, eckige, wetterharte Gestalten, wie aus Granit gehauen; das waren die Kampfrichter, von denen jeder einmal in jüngeren Jahren zum Schwingerkönig ausgerufen worden war.Hinter dem Kreise standen die Zuschauer.

Einer der Sennen, den die Ungeduld brannte, trat in die Mitte des Ringes und langte nach dem kleinen der Steine, wälzte ihn auf die flache Rechte und hob ihn frei in die Höhe, bis er hoch über dem Kopfe schwebte. Dann senkte er ihn langsam mit geschickter Drehung von Hand und Arm bis fast auf den Boden,um ihn wieder und wieder zu heben, und einer der Kampfrichter zählte laut dazu: „Einmal, zweimal, dreimal “

Die Zuschauer feuerten den Sennen durch Zurufe an: „Wehr' dich, Rens! Keine Hast! So ist's gut!“

Nach und nach erlahmte der Arm, der Stein zitterte leicht beim Aufsteigen, als hätte ihn die Furcht vor einem Sturz erfaßt, aus dem Zittern ward ein Schwanken,und nachdem er mühsam zum zehnten Mal die Höhe erklommen hatte und sich wieder bis zu den Schultern gesenkt hatte, fiel er bei der Drehung der Hand herab und schlug dumpf auf den Boden.

Nach dem ersten versuchte ein zweiter seine Kraft und so alle der Reihe nach. Marcel hatte seinen Kittel auch ausgezogen, aber er hielt sich in den Reihen der Zuschauer, sah zu und litt unsäglich. Das Jahr zuvor hatte er in allen Kraftspielen die andern übertroffen,vier Kränze errungen und nicht gewußt, wohin mit all den Ehrenzeichen und wohin mit seinem Jubel. Und nun! „O, daß ich herkam! Thu' ich nicht mit, so D mir statt Sieg Demütigung und Spott.“ Nein, Sieg konnte ihm heute nicht lachen, er war innerlich gelähmt,

Das Bergdorf. 12 er war ein Eichstamm, dem die Fäulnis das Mark zerfraß. Ein unterdrücktes Stöhnen entwand sich seiner Kehle; die Umstehenden sahen sich nach ihm um.

Alle Semnen hatten den Stein gehoben. „Wünscht noch einer mitzuthun?“ rief einer der Kampfrichter, indem er sich rings umsah.

Marcel rang nach einem Entschluß. „Ich muß!“dachte er, „Herrgott, bin ich feig geworden! Ich muß,ich muß, zu was sonst kam ich her!“ Hastig, vor Aufregung bebend, trat er in den Kreis und bückte sich nach dem Steine. Es entstand eine Bewegung unter den Zuschauern und Kämpfern. „Wird er die Stirne haben?“so hatte man sich den ganzen Morgen gefragt. Unwillen erfaßte alle: „Ein solcher Schandbube kämpft um den Kranz und wird vielleicht wieder Schwingerkönig! Nein,es soll ihm nicht gelingen, eher stoße ich ihm den Stein von der Hand!“

Schon hatte er das Gewicht gehoben, etwas hastiger,als man es für gut hält. Alle betrachteten die herausquellenden Muskeln seines Armes, der hochaufgestreckt und mächtig über den Kopf ragte. „Er wird es wieder allen zuvorthun“ sagte sich jeder, „er hat Arme wie aus Eisen geschmiedet! Daß sie grad' einem solchen Buben gehören müssen!“ Der Arm senkte sich langsam wieder, krümmte sich im Ellbogen und unheimlicher noch als zuvor trat der knorrige Muskel des Oberarms hervor.

Lautlos standen die Zuschauer da, mit unfreundlichen Blicken, jeder entschlossen, ihm den Kranz von der Stirne zu reißen und zu zertreten, wenn er es so weit brächte, sich einen aufzusetzen. Der Stein ging in die Höhe und senkte sich; der Eifer des Wettkampfes und die auf ein Ziel gelenkte Energie ließen Marcel seine innere Zerrissenheit vergessen; daß kein Zuruf in anfeuerte, beachtete er nicht. Der Beste vor ihm hatte den Stein zwölf Mal emporgehoben, das mußte ihm auch gelingen und mehr. Der Kampfrichter hatte eben unwirsch sein „elf Mal!“ gerufen, und wieder senkte sich der Stein. „Daß er ihm fiele!“ so wünschte ein jeder. „Soll ich auf ihn losstürzen und ihm auf den Arm schlagen?“ Die Aufregung zuckte auf allen Gesichtern und in allen Muskeln, die Menge rings herum war wie eine Wetterwolke vor dem ersten Donnerschlag.Da erklang eine Stimme, bebend aber vernehmlich:„Laß ab, für die Schande giebt's keinen Kranz!“

Es war eine Mädchenstimme, Marcel erkannte sie,obschon sie vor Erregung entstellt war; es durchfuhr ihn wie ein Schlag, er schwankte, und der Stein fiel schwer zu Boden.12

Nun brach ein Sturm los, nicht der Entrüstung,sondern der Freude, der hellaufflackernden Schadenfreude: „Gut sol! gut so!“ schrien alle und klatschten wie wahnsinnig in die Hände, und einige stießen gellende Jauchzer aus.

Marcel sah um sich mit starren Augen und las auf allen Gesichtern die Gewißheit, daß ihn seine Gemeinde nicht mehr zu den Unbescholtenen zählte, denen allein man den Siegeskranz von Herzen gönnt. Er erwiderte nichts, er konnte mit jener Mädchenstimme nicht rechten,mit jeder andern, mit ihr nicht. Gebrochen trat er aus dem Kreis und hielt mit Mühe die Thränen zurück,Thränen der Wut und salzigere noch: Thränen der Zerknirschung.

Zwei andere Augen aber weinten wirklich und ein tapferes, in Liebe und Weh sich windendes Herz blutete und wünschte zu brechen.

„Zieh' deinen Kittel an, trotte nach Hause und melke die Kühe!“ rief einer Marcel nach, als er aus dem Ring trat. Das hätte der Verspottete am liebsten gethan, aber der Ruf gerade hielt ihn zurück, und noch etwas anderes: er mußte mit Jenny reden, die ihn so grausam gestraft hatte, er mußte ihr alles erzählen,sie überzeugen, daß es so schlimm nicht war, er mußte sie um Verzeihung bitten, sie an sein Herz drücken, um daran wieder gesund zu werden. O, wenn sie ihn nur hören wollte!

Die Sennen, ohne sich weiter um Marcel zu bekümmern, setzten ihre Spiele fort. Sie maßen und erprobten nun ihre Kraft am großen Stein, der mit beiden Händen gehoben wurde, hierauf wurde gesprungen und gelaufen, und den Schluß bildete der volkstümlichste und beliebteste Wettkampf der Älpler, das Schwingen.Mit aufgeregter Seele folgte Alt und Jung dem wechselreichen Spiel mit seinen unerwarteten Wendungen und Ausgängen, mit seinen Kunstgriffen und Listen. Man sah es den Zuschauern an, wie sie mit ganzem Herzen bei der Sache waren: sie zuckten mit Händen und Füßen,verdrehten oder reckten den Leib, als hätten sie so dem Freunde im Ring helfen, ihm die Kraft ihrer eigenen Muskeln leihen können. Schallende Rufe belohnten einen gewandten Griff oder einen Kniff, der den Angriff des Gegners vereitelte. Pochenden Herzens sah man hin, wenn einer, von schwellenden Armen in die Luft gehoben, im Kreise geschwungen wurde, und hell brauste jedesmal die Menge dem Sieger entgegen.

Ein Senmnbub reichte denen, die sich bis zur Erschöpfung abgemüht hatten, erfrischende Milch aus einem Eimerchen oder einen Schluck Branntwein.

Immer aufregender und immer hartnäckiger wurde 182 das Ringen, denn wer geworfen worden war, wurde vom weiteren Wettkampf ausgeschlossen, so daß bald nur die Gewaltigsten übrig blieben und das ganze Spiel endlich in einem Zweikampf gipfelte. Dieses ,Ausschwingen‘ war immer das große Geschehnis des Bergdorfes‘. Alle Köpfe reckten und alle Schultern drängten sich, wenn die beiden Kämpfer in den Kreis traten,sich, wie es üblich ist, zuerst die Hand reichten, zum Zeichen, daß es ein friedlicher Kampf sein solle, um dann gleich mit Wucht einander anzufassen. Die Zuschauer teilten sich in zwei Parteien und kannten sich nicht mehr vor Aufregung; bei diesen Spielen vergessen die Hirten ihre Gelassenheit und ruhige Gemütsart.Jeder Griff, jede Wendung wird von vielfältigen Zurufen der Besorgnis oder der Aufmunterung begleitet;manchmal beginnen zwei Hitzköpfe außerhalb des Ringes einen lärmenden Zank, ja werden handgemein und zerzausen sich den beiden andern zu Ehren und wälzen sich im Rasen, bis ihnen die Kraft versagt,oder ein aufbrausendes Geschrei ihnen verkündet, daß das Schauspiel im Kreise eine neue Wendung genommen habe.Das Ausschwingen‘ dauert oft lange, und doch geht kein Griff und kein Kniff verloren: hundert Augen fangen sie auf und prägen sie dem Gedächtnis ein, und nach Jahren noch erzählt man sich, wie der Baptist den Benedikt im zweiten und dritten Gang geworfen, nachdem er im ersten unterlegen war, und die meisten ihn schon für verloren gehalten hatten.

Der Sieger in diesem letzten Kampfe wird als Schwingerkönig ausgerufen. Zwei Sennen heben ihn auf ihre Schultern und tragen ihn durch das Volk;alle jauchzen ihm zu, auch die nicht ausgenommen, die für den andern Partei genommen hatten: nachdem der Ausgang entschieden hatte, hielt man es mit dem Siegbegnadeten, wie es in der Welt gemeiniglich zu geschehen pflegt.Die Sonne war schon lange wieder ins Abrutschen geraten, als die Kraftspiele zu Ende waren und endlich auch für die Mädchen die Gelegenheit kam, sich die Lust aus dem Leibe zu hüpfen und zu springen und zu tollen.Die Klänge einer Handharmonika schallten lustig über die luftige, sonmige Alpenweide und lockten zum Tanz.Schon hatten einige Burschen ihre Mädchen eingefangen und drehten sich mit ihnen auf dem Rasen.

„Halt! halt!“ rief es von allen Seiten, „erst den Kessitanzl Was ist das für eine neue Ordnung? Begann man je die Alplust anders, als mit dem Kessitanz? Wer macht die Musik dazu?“

Ein Senne näherte sich dem gewaltigen Kupferkessel, es war René. Er sah in denselben hinein, musterte den Boden ringsum und rief dann in die Menge: „Der Harnischlappen ist nicht da!“ Mit dem Harnischlappen,der aus Eisenringen geflochten ist, ähnlich wie die alten Panzerhemden, wird in gewöhnlichen Zeiten der Kessel sauber und blank gescheuert, heute jedoch sollte er dazu dienen, dem Gefäße Tanzmusik zu entlocken.

Der Meistersenne von der Alp Tschira rief Renés zu:„Ich habe ihn ins RKessit hineingelegt; er wird schon in der Nähe sein!“ Sprach's und ging, um selber nachzusehen.

Unterdessen war unter einer Gruppe von Burschen eine Aufregung entstanden: sie redeten eifrig, fast drohend auf Joachim ein und drängten ihn nach dem Kessel. Er schien unschlüssig, sie aber bestürmten ihn, bis er endlich ging. Er hielt etwas in der Hand: es war der Harnischlappen.

Rens wollte ihn dem Küher entreißen, die Burschen aber riefen: „Laß ihm das Ding! er weiß, was er zu thun hat!“Joachim hinkte auf den Kessel zu, zögerte noch eine Weile und fing dann an, mit dem Harnischlappen darauf loszuschlagen, daß das Kupfer ächzte und unwillig schrie. Alles wurde aufmerksam und begriff sogleich,was das bedeuten sollte.

Die von Rötschweiler waren nämlich des Glaubens, 185 daß, wenn man den Käjekessel schlage, die boösen Menschen unsägliche Schmerzen leiden und sich angeben müssen.

Marcel, der all die Zeit nach Jenny gespäht und nach rechten Worten gesucht hatte, um sich bei ihr wieder in Gnaden zu bringen, klang der Kessel wie ein Todesurteil. Er ahnte, was nun über ihn kommen sollte.Ja, der Aberglaube hatte recht: der Klang zerriß ihm Ohr und Herz: jetzt wurde er gerichtet.

Ein altes Weibchen, das sich in der Nähe des Kessels niedergesetzt hatte, erhob sich, hielt die Hände mit ausgespreiteten Fingern in die Höhe und schrie mit kreischender Stimme:„Kessi, Kessi, dich schlag' ich!Ein schlecht Gewissen, das plag' ich!Wer es hab', wer es hab', frag' ich!“Joachim, von dem Gekreisch wieder zum hellen Wahnsinn gebracht, schlug wie ein Rasender auf den Kessel. Die Alte fing ihren Reim aufs neue an und nun stimmten ein paar Weiber mit ihr ein, und wie sie ihn zum dritten und vierten Mal begann, da ward die ganze Menge angesteckt: Jung und Alt, Groß und Klein, das ganze Bergdorf schrie, und es klang unheimlich durch die wilde und doch sonst so friedfertige Gebirgswelt und klang von den Felswänden zurück, als würde dort ein Hexensabbath abgehalten; und das Vieh, das an den Abhängen graste, hob den Kopf auf und fing an traurig in den ungewohnten Lärm hineinzubrüllen.

Immer aufs neue begann das „Kessi, Kessi, dich schlag' ich!“ und immer gewaltiger und unheimlicher schallte es, und höher und höher stieg die Aufregung der Menge. Joachim wütete beim Kessel, die Finger schonte er nicht, er schlug sie sich blutig an dem Metall, dessen ächzender Klang durch Mark und Bein drang und dem der Haufe mit seinem „Kessi, Kessi, dich schlag ich!“immer fanatischer und immer rasender antwortete.

Aller Augen hingen an Marcel, der bleich, mit wogender Brust und gespannten Muskeln dastand und in die Menge starrte. „Ihr thut mir unrecht!“ schrie er, und seine Stimme durchdrang den Höllenlärm. „Hört mich an! Bei meiner Seligkeit, ihr mißhandelt mich!“

Das Geschrei hörte einen Augenblick auf, gleich aber kreischten die Weiber wieder, die der alten Sprüche Meister waren:„Er zeigt sich an, er zeigt sich an!Kessi hat seine Pflicht gethan!“und wieder stimmte das ganze Bergdorf ein, selbst die Kinder,die ein Gruseln überlief und die am liebsten geweint hätten.

„Nein! ich klage mich nicht an! verteidigen bloß will ich mich und verlange, daß ihr mich hört!“Hundertstimmig schrie man ihm entgegen:„Wer sich entschuldigt,Der sich beschuldigt!“„Hört mich an! ich bin nicht schuldig, wie ihr glaubt! Ich habe nichts gethan, was euch ein Recht giebt, mir meine Ehre tot zu schlagen! Ich schwöre einen heiligen Eid, daß ich ...“

„Schlag' den Kessel, Joachim! Noch ist er nicht weich genug!“„Kessi, Kessi, dich schlag' ich!Ein schlecht Gewissen, das plag' ich!Wer es hab', wer es hab', frag' ich!“„Ihr brüllt wie's Vieh und wie Vieh stampft ihr das Recht in den Grund! Ihr glaubt dem Verrückten dort, und mich wollt ihr niederbrüllen!“

Wieder begann das Geschrei: „Kessi, Kessi, dich schlag' ich! . ..“ Da traten einige alte Männer vor,bedeuteten dem Volk mit den Armen, es möchte schweigen.Dann rief einer: „Hören wir ihn an! das ist billig!“Man verstummte, und Marcel würgte folgende Worte heraus:

„Ihr kennt Lucien, den Soldaten ...“

„Ja, ja, rede nicht von ihm, sprich von dir!“

„Wir haben uns an der Schryßeten gerauft, er stach mich in den Arm und ich warf ihn auf den Schnee.Da schwur er mir Rache, und wie ich letzten Donnerstag heimwärts fahren wollte, hat er mich in ein Haus gelockt unter dem Vorwand, die Aussöhnung zu feiern.Ich ahnte nicht, daß er Schlimmes im Schilde führte und war zu wenig auf der Hut.“

„Ja, ja!“ lachte man.

„Es war noch eine Dirne da, von der er mir sagte,es sei seine Braut, und die beiden haben mich länger hingehalten, als mir lieb war. Wie ich mich endlich losmachen wollte, trat ein anderes Mädchen herein.Das kannte ich, es war die Tochter meines Meisters zu Dietstetten. Sie hatte mir zu lieb den weiten Weg in die Berge gemacht, denn ....“

„Das mag dir der Satan glauben!“ rief man ihm zu.

„Es ist so, wie ich sprach! Ich thue einen Eid darauf!“

„Glaub's, wer mag! Wo ist Joachim? Joachim rede!“

„So traut ihr dem Halbverrückten mehr als mir?Lucien hat ihn mit Lügen gestopft“

„Du fürchtest ihn, darum willst du ihn nicht reden lassen!“ Man drängte Joachim vor, der fing an zu kreischen: „Er hat mir die Jenny gestohlen, und sie hat mir am Altar gewunken; er soll sie mir geben!“

„Rede von dem fremden Mädchen und ihm! Was sahst du, und was that er?“

„Sie hing ihm da herum

„Das leugne ich nicht!“

„Und dann hat sie ihm so gemacht.“ Man begriff und lachte und dachte: „Das hat er nicht ersonnen!“

„Ich habe dennoch nichts Schlechtes gethan!“ schrie Marcel. Gelächter unterbrach ihn.

„Hört mich an!“

„Wir haben genug von deiner Rede! Es ist faule Ware!„Dort kommt der rechte Zeuge!“ rief einer. Etwas Rotes stieg den Fußpfad herauf, es war Lucien. Die Ungewißheit hatte ihn getrieben, er mußte sehen, ob Joachim seinen Auftrag ausgeführt habe. „Er ist zu blöd,“ hatte er sich die ganze Zeit gesagt und sich endlich entschlossen, den Weg unter die Füße zu nehmen, um den Wagen, wenn es nötig sein sollte, selber ins rechte Geleise zu bringen.

Wie der Rotrock nahte, und ihm alle mit Spannung entgegenschauten und Marcel sich ganz verloren sah, faßte Jenny, die mit zerrissener Seele hinter dem Volke stand,einen Entschluß, der ihre Qual linderte. Sie war durch Marcels Verteidigung in der Überzeugung bestärkt worden, daß er mit ihrer Liebe übel gehaust habe. Aber wie sie den Anstifter all des Unglücks kommen sah, um sein Opfer völlig zu zerhacken, schlug sich ihr Herz wieder auf des Geliebten Seite. „Es kann so gar schlimm nicht sein! Er ist leichtsinnig und unbesonnen,ja! aber er war es, so Gott will, zum letztenmal.Ich will ihm helfen, und gelingt es mir, so werde ich ihn besser aus dem Sumpfe ziehen, als er hineinsank!“Sie trat vor die Menge und rief mit bebender Stimme: „Wer giebt euch ein Recht, hier zu richten?Wer hat geklagt? Hätte jemand Grund dazu, so wäre ich es wohl! Scheuert vor eurer Thüre! Ich glaube Marcel mehr, als dem Narren dort, den ein Schurke aufgereizt hat. Dort naht er, der alles angezettelt und mit Schlauheit zu Ende geführt hat. Den ...“

„Hör' auf!“ rief einer, „du bist zu klein, um diesen Schandfleck zuzudecken!“

Und ein anderer: „Spare deinen Atem! Eine Schneeflocke macht keinen schwarzen Hund weiß!“ Einer der ültesten aber trat ihr näher und wendete sich ernst zu ihr: „Du magst ihn gut und rechtschaffen finden, das steht dir frei; wir aber lassen nichts Säuisches in unserer Thalschaft groß werden. Du verstehst mich: nichts Säauisches!“„Recht so, recht so!“ riefen die Umstehenden. Marcel wollte auf den Graubart eindringen, aber Jenny hielt ihn zurück, und die Burschen stellten sich ihm entschlossen entgegen.Lucien kam herbei. Man forderte ihn auf zu erzählen, was am Donnerstag vorgefallen sei.

„Es thut mir leid, daß ich meinen Verwandten, den Roux, etwas Übles berichten muß, Respekt vor der Familie; aber es ist eben, wie man zu sagen pflegt:Es ist kein Kartenspiel so fein, es ist eine Sau dabei!“

„Laß das und sag', was wir wissen wollen!“

„Wenn ihr's kurz wünschet, kann ich es auch kurz erzählen: Marcel Roux, mein Vetter, hat am Donnerstag mit einer Landstreicherin geschätzelt, etwas mehr als ehrbar ist, ihr versteht mich! und hat mir versprochen,Handgeld zu ...“

Marcel ließ ihn nicht ausreden, er drang auf ihn ein, und hätten nicht die Männer einen Knäuel um den Rotrock gebildet, er würde ihn erdrosselt haben.

„Mit der Faust schlägt man kein Unrecht aus der Welt,“ rief man ihm zu, „und die Schande ringt auch den Stärksten zu Boden! Geh' deiner Wege, wir wissen genug und wollen mit dir nichts mehr zu schaffen haben!Trage deine Gemeinheit dahin, wo sie niemand in die Nase stinkt!“

Diese Worte schürten Marcels Zorn zu hellen Flammen, er brach mit den Fäusten in ihre Reihen ein;der Soldat aber wich zurück und duckte sich hinter die Rücken anderer. Alles schrie: „Schlagt ihn zu Boden!Schlagt ihn zu Boden!“ Und die alten Weiber, die nichts Kräftigeres zu thun wußten, fingen wieder an zu kreischen:Kessi, Kessi, dich schlag' ich!Ein schlecht Gewissen, das plag' ich!

Aus dem Knäuel der Männer trat Baptist, der Schwingerkönig hervor, warf seinen Kittel von sich und rüstete sich zum Kampf. Er hielt es für seine Pflicht,seine bewährte Kraft nützlich zu machen. Marcel sah,was er vor hatte. Der Kampf dauerte kaum ein paar Augenblicke: wie eine Lawine stürzte sich Marcel auf den Gegner, vor Wut schnaubend, und warf ihn dröhnend vor den Füßen der andern nieder, die kaum Zeit zum Sehen hatten. Hierauf ging er davon, langsam und unheimlich, wie ein abziehendes Wetter. Keiner wagte ihm zu folgen, und kein Wort flog ihm nach.

Als er den Heimweg mehr als zur Hälfte in dumpfem Groll zurückgelegt hatte, erblickte er vor sich seine Eltern und Schwestern. Sie hatten sich unbemerkt davongeschlichen, um nicht länger Zeugen der Schande ihres Sohnes sein zu müssen. Er sah es den gebeugten,unsicher schreitenden Gestalten an, wie tief ihnen seine Schmach in die Seele schnitt.

Wie waren sie bis auf diesen Tag stolz auf ihn gewesen! Er konnte ihnen nicht vor das Gesicht treten und setzte sich hin an den Rand des Pfades, drückte die Hände in die Augen, kräftig, als hätte er etwas Mächtiges zurückdrängen müssen. Die Wangen wurden ihm dennoch naß.

Er trat erst in die Hütte, als drinnen jeder Lichtschein erloschen war. Stöhnend warf er sich auf sein Lager; schlafen konnte er nicht. Da, es mochte nach Mitternacht sein, rüttelte ihn ein ungewohnter Lärm aus seinem Brüten: es waren Menschenstimmen, die Kuhgebrüll und Schweinegegrunze nachahmten. Die Burschen von Rötschweiler waren noch am Werk: sie meinten, Marcels Stolz sei noch nicht geohrfeigt genug und konnten es nicht verschmerzen, daß der Verfemte ihren Schwingerkönig geworfen; so hatten sie nach dem Tanz den weiten Weg nach der Alp Fontana gemacht,um die Rache recht gar werden zu lassen. Brüllend und grunzend und mit Kuhschellen einen Höllenlärm verübend, zogen sie ein halbes Dutzend mal um die Hütte,standen dann still und fingen das Werberlied zu singen an,das Lucien unterwegs für den Anlaß zurechtgestutzt hatte:„Du dort im Hirtenhemd,

Freund warst du mir;

Heute veracht' ich dich,

Schmutziges Tier!

Wer eine schamlose Dirne umfah't,

Zieh' in die Ferne und werde Soldat!“Das Bergdorf. 13 Wiederum begann das Grunzen und Brüllen und zog um die Hütte, und mit ihm das rasende Geheul der Kuhschellen, und wie es schwieg, erklang das Lied wieder,dessen Refrain die Hirten unermüdlich wiederholten:

„Wer eine schamlose Dirne umfah't Zieh' in die Ferne und werde Soldat!“

So ging das Lärmen wohl eine halbe Stunde lang.Das Vieh, das teils im Stall, teils unter den Wettertannen übernachtete, wurde unruhig und brüllte mit den Burschen um die Wette und rüttelte die Glocken am Hals, und es war, als wäre das Totenvolk auf der Alp Fontana eingekehrt, um sein Unwesen zu treiben.Endlich zogen die Krakeeler davon, wie sie gekommen waren, und der Lärm verlor sich in der Ferne. Einer folgte den andern nicht, er näherte sich der Hütte,öffnete die Stallthüre ohne langes Tasten, wie einer,der auf Fontana wohl Bescheid weiß. Es war Joachim.Als er wieder heraustrat, drang ein Lichtschimmer mit ihm ins Freie, wurde aber durch die zugeworfene Thüre ins Haus gebannt, auf daß er wachse und sich mit eigener Kraft Luft schaffe.

Oben auf seinem Boden hatte sich Marcel während des Unfugs in die Kleider geworfen. Er wollte erst hinabsteigen, um wie ein Eber unter die Ruhestörer zu fahren; aber er hätte das Übel nur noch schlimmer gemacht. Wie sich der Lärm verloren, knarrte die Thüre neben ihm; seine Mutter trat herein, mit einem Licht in der Hand. Ihre Augen waren rot, und die ganze Gestalt war ein Bild des Jammers. Sie nahm sich zusammen und sagte mit sicherer Stimme: „Marcel,es geht nimmer. Vorn in der Kammer weint dein Vater wie ein kleines Kind, ich habe ihn noch nie so gesehen. Die Schande tötet ihn. Es geht nimmer,Marcel! Zieh' du aus dem Thal, zieh' ins Elend! ich,deine Mutter, rate dir dazu ...“

Die Stimme überschlug ihr: „Der Himmel weiß,daß ich dich nicht gern forttreibe, aber es ist besser, du gehest; in Rötschweiler kannst du nicht mehr bleiben.Du bist noch jung und hast gute Arme und die Welt ist groß. Geh' und bleibe rechtschaffen! geh' in Gottes Namen! ...“

Die Worte schnitten Marcel ins Herz. O, wegen nichts, wegen so viel wie nichts mußte solches Unglück über ihn kommen!

„Aber, Mutter, hälst auch du mich für so schlecht,wie mich die andern halten?“

„Nein, Marcel, aber alles ist gegen dich, und du weißt es ja wohl etwas drückt dich selber, und das können wir nicht aus der Welt schaffen, du nicht

13*und ich nicht; drum geh', damit man es vergesse und nicht dein Leben lang mit den Fingern nach dir deute.“Er brütete vor sich hin und sagte endlich: „Nein,ich gehe nicht, ich kann euch nicht allein lassen, ihr werdet alt, die Arbeit aber wird deshalb nicht minder, und ihr würdet euch zu Tode mühen.“

„Wir sind ans Arbeiten gewöhnt und werden Knechte einstellen, bis es geht. Hier habe ich die Barschaft mitgebracht, die wir gerade haben, die giebt dir der Vater, damit es dir draußen leichter gehe.“

Marcel sträubte sich; sie aber war beharrlich, und es erdrückte den Sohn schier, wie er das tapfere Mutterherz sich selber so zerreißen sah.

Auf einmal fing im Stall das Vieh, das sich wieder beruhigt hatte, laut und kläglich zu brüllen an. Marcel und seine Mutter horchten auf: „Was geht durchs Haus? es ist wie Wind!“ Ein Schreckensruf drang zu ihnen: es war Lorenzens Stimme, der auf dem Heuboden ob dem Stalle schlief. Marcel stürzte hinaus und schrie: „Feuer! Feuer!“ um die andern, wenn sie etwa schliefen, zu wecken. Der Stall brannte schon lichterloh.Lorenz schlug oben den Laden des Heubodens auf und ließ sich an der Wand auf die Erde gleiten. Meister und Knecht suchten nun das Vieh aus den Flammen zu treiben und hatten ein verzweifeltes Werk: denn die Tiere waren wie wahnsinnig und strebten dem Feuer und dem Tode zu und mußten mit Schlägen ins Freie getrieben werden.

Nun eilte auch der alte Roux herbei, während die Frauen Geräte und Kleider aus dem Hause schafften.

Nach wenigen Minuten füllte das Feuer die ganze Hütte, schon war es aufs Dach gestiegen und der Wind wirbelte die ersten flackernden Schindeln in die Luft.Das brennende Heu füllte den Stall mit so dichtem Rauch, daß man nicht mehr hereindringen konnte, ohne zu ersticken, und doch zog es die Männer in die Flammen wie mit Stricken: denn drinnen brüllten zwei Kühe entsetzlich im Todeskampf, von Rauch und Flammen gemartert. Man konnte ihnen nicht helfen, man mußte sie sich zu Tode brüllen lassen, und das thut einem Hirten weh, der im Vieh fast seinesgleichen sieht.

Wie die Leute ratlos in die Feuersbrunst starrten und die Frauen die Hände rangen, eilte eine Gestalt an ihnen vorbei, dem Stall und dem durch Mark und Bein dringenden, allmählich erstickenden Viehgebrüll zu.Es war Joachim. Hinter einem Felsen versteckt hatte er zujehen wollen, was für Arbeit das Fetzchen Zunder verrichte, das er ins Heu gesteckt hatte. Er wollte sich weiden an dem Werke der Rache.

Lucien hatte ihm gesagt: „Geh' von Alphütte zu Alphütte und sag', Marcel sei ein Schandbube, und ich weissage dir, daß Jenny von ihm läßt und am Bergdorf dein wird.“ Er hatte gethan, wie man ihn geheißen; Jenny aber hatte trotz alledem zu Marcel gehalten: jetzt wollte er sich rächen: heute Nacht seine Hütte,morgen die ihrige! Er mußte lachen hinter seinem Felsen,als er Marcels „Feuer, Feuer!“ hörte. An eines aber hatte er nicht gedacht: an das Vieh, an das selbe Vieh,das er einst mit Liebe gestriegelt und getränkt und gefüttert hatte. Nun hörte er es brüllen im Stall, immer entsetzlicher, und sah, wie man es mit Knütteln aus dem Tode treiben mußte, und wie es immer und immer wieder ins Verderben rennen wollte. Verzehrende Reue fraß an ihm, wie die Flammen an den Balken.

Sie hatten das Rettungswerk aufgegeben, und noch brüllte es aus dem Stalle: er hielt es nicht mehr aus:nein, Vieh hatte er nicht verbrennen wollen, es durfte keines in den Flammen bleiben, dafür wollte er selber

Wie er in den Stall rannte, eilte ihm Marcel nach,um ihn zurückzuhalten; aber in dem Augenblicke stürzte drinnen der Heuboden herunter, eine dichte Rauchwolke fuhr Marcel aus der Thüre entgegen und raubte ihm den Atem; oben aber flog, wie durch Pulver getrieben,das Schindeldach in die Luft: hoch empor schlug die Lohe, ihre Schranken sprengend, und eine Flammensäule stieg prasselnd aus dem Haus, schleuderte die glühenden Schindeln gegen den Himmel und streute rings umher einen Glutregen, den der Wind wie Graupelstreifen fortwehte, in die von blutigem Schein durchwobene Nacht hinaus. Wie beim Alpenglühen röteten sich die Flühen, und geisterhaft strebten die Wettertannen aus dem Dunkel zu ihnen empor.

Als die Burschen, die kurz zuvor um das Haus gelärmt und getobt hatten, herbeieilten, um Hilfe zu leisten, trafen sie nur noch einen formlosen, flackernden und rauchenden Haufen, unter dem Joachim neben den beiden Kühen begraben lag und zu Asche verbrannte.

Am folgenden Tage zogen die Roux mit der Habe,die ihnen geblieben, den Berg hinunter, in eine andere Hütte. Als sie sich wieder eingerichtet hatten, sagte der Alte zu Marcel: „Ich denke, du kannst jetzt gehen.“

Marcel sah ihn mit fragenden Blicken an: „Jetzt? da ein Haus abgebrannt ist, und ihr mich nötiger habt als je?“

„Das Haus bauen wir im Frühjahr im ‚Gemeinwerk wieder auf, du kannst jetzt gehen.“ Da schickte sich Marcel zur Abreise.

In der Abenddämmerung schritt er davon; Mutter und Schwestern sahen ihm nach und weinten. Als er ihnen aus den Augen war, schlug er, statt thalwärts zu schreiten, einen Pfad ein, der empor führte: er konnte nicht scheiden, ohne Jenny dafür gedankt zu haben, daß sie am Bergdorf für ihn eingetreten war.Als er in der Dunkelheit Jaquots Hütte nahte, ging auf einmal vor ihm ein großer, lieblicher Stern auf,der aber nicht ruhig im Dunkel schwebte, wie die andern, sondern sich her und hin schwang. Da stieg Marcel vpochenden Herzens zu dem guten Stern hinan und faßte ihn in die Arme, wie er sich auch sträubte,drückte ihn ans Herz und weinte und schluchzte wie ein Kind.Jenny hatte nicht gewußt, daß in der vergangenen Nacht Marcels Hütte zu Asche geworden, und hatte zu ihm hinauf gegrüßt wie in den guten Zeiten, nicht in Freuden zwar, sondern nur um ihm zu bedeuten, daß ihm in seinem Unglück etwas geblieben sei: ein Herz,das ihn nicht ganz verurteilte und nicht allen Glauben an ihn verloren hatte.

Da erzählte er ihr alles, wie es sich zugetragen hatte, und schonte sich nicht.

Es war eine herbe Abschiedsstunde, ein Auseinandergehen wie fürs Leben.

Jenny machte keinen Versuch, ihn zurückzuhalten.„Geh',“ sagte sie, „in der Heimat bist du gestorben; auferstehst du jenseits der Berge wieder, so wird es mich froh machen. Derweil aber will ich dich betrauern,wie man Tote betrauert. Ich heiße dich nicht, mir treu zu bleiben, thust du's nicht aus freien Stücken, so verhüte der Himmel, daß unsere Wege je wieder zusammenführen: tritt nie wieder vor mich hin, wenn es dir nicht im Gewissen steht, daß du beständig geworden bist.“

„Das gelobe ich dir.“

„Und versprich mir noch eines: geh' nach Dietstetten zu Verena und bitte sie um Verzeihung.“

„Du rätst gut.“

„Und prüfe dich, und ist sie dir mehr, als ich dir bin, so bleibe bei ihr.“

„Jenny, wie bist du hart geworden!“

Beim Schein der magern Mondsichel schritt er davon,auf bösen Wegen, mit bitteren Gefühlen, aber guten Gedanken Über die beiden Alpen, wo Roux und Jaquot sömmerten, schlichen nun trübe Tage, auch dann, wenn ein wolkenloser Himmel sich über das Thal wölbte und die Nebel, die etwa hinter den Bergrücken aufstiegen,in Luft zerflossen, ehe sie einen Schatten auf die sonnigen Halden werfen konnten.Hie und da an einem Sonntage fiel ein neugieriger Besuch in Roux' Hütte ein: alle trafen es übel. der Alte war wortkarg und die Frauen klagten über Schnupfen und Kopfweh: das komme von dem frischen gärenden Heu, das die Hütte fülle, das mache ihnen die Augen so rot. Ein Alpsegen klang nicht wieder über Roux'Weide und Herde: der Segen schien mit der Freude für immer geflohen zu sein. Wie ein Blitzstrahl eine Eiche,so hatte das Unglück diese erst noch so glückliche Familie getroffen und bis ins Mark verwundet, und die andere,der Jenny angehörte, nicht minder.

Sonst aber kehrte in den Bergen von Rötschweiler der Friede wieder ein, wie die Ruhe in einen Körper,aus dem das Fieber gewichen ist. Es verbreitete sich das Gerücht, Marcel sei nach Frankreich gezogen und in ein Regiment eingetreten; damit gab man sich zufrieden, das war ja das Los, das er verdient hatte. V.* Sommer verstrich, die Sonnenscheibe schrieb einen immer kleineren Bogen an den Himmel, als erlahmte der Arm, der sie hinter den Bergen emporwerfen mußte. Der Frost ward Herr in der Höhe;die Hirten froren und ließen sich ins Dörfchen hinabdrängen, von Stufe zu Stufe, und bald stieg drunten im Grund wieder Rauch aus den Hütten. Der harte und doch so süße und „heimelige“ Winter hielt seinen Einzug, tobte zuerst unbändig durchs Thal, um dann auf einmal ein freundliches Gesicht zu machen und jede Brust mit Festfreude zu füllen; denn das ist ja seine rechte Aufgabe in jenen Bergen: die Herzen einander näher zu bringen und zusammenzukitten, nicht mit Eis,sondern mit Liebe.

Der Weihnachtsabend kommt mit seinen Bräuchen V Vater Jaquot sitzt vor dem Ofen und träumt im Halbschlaf. Gabriel ist zu Nachbarsleuten gegangen; die Winterruhe hat seinem Beine wohl gethan, und seit er weniger hinkt, sind ihm Heiratsgedanken gekommen; ja,er hat fast im Sinne, an der Schryßeten ein Tänzchen zu wagen und möchte heute die Laune des Mädchens ausförscheln, das ihm vor allen andern wohlgefällt,und es fragen, ob es nicht eine kleine Schwäche habe für Leute, die etwas hinken, sonst aber rechtschaffen und grad seien.Jenny zieht kein Bengelchen aus dem Holzstoß, aber sie sinnt an jene Wintertage zurück, mit denen ihr kurzes Glück und ihr langes Weh anfingen. Sie denkt an Joachim, dessen Asche der Herbstwind über die Alp Fontana und den Berg säete; sie denkt an Marcel,der nun in der Fremde umherirrt, vielleicht ohne Brot und ohne Hoffnung ...., den vielleicht der Schnee irgendwo begrub.

Sie greift auch nicht zu Bibel und Kreuzschlüssel,sie hat ja vor einem Jahre die Wahrheit erfahren: sie ift seither gestorben, mehr als einmal. Und doch regt sich die Hoffnung in ihr, die kann in der gesunden Jugend nimmer sterben, und sie fragt sich schüchtern, ob wohl eines Tages einer ins Thal einlenke, um ihr die verlorene Freude wieder zu bringen

Nach dem Jahre der Aufregung kamen ruhigere Zeiten, wo alles seinen alten gemächlichen Gang ging:Lenz und Alpfahrt, Bergdorf und Schryßeten, sie kamen und vergingen und man hatte nachher nicht viel darüber zu sagen, und das war ein gutes Zeichen. Aus der Ferne freilich, langsam und ungewiß sich im Thal verbreitend, kam eine Kunde von unerhörten Dingen, die in Frankreich geschehen: wie man einem König den Thron zerschlagen habe und, obschon er kein schlechter Mensch sei, Lust verspüre, ihm ans Leben zu gehen. Und wie die kleinen Leute mit den Großen umgehen wie die Wölfe mit den Schafen, und des Würgens kein Ende sei. Aber Frankreich ist weit weg, weit jenseits der Berge, mag es dort brodeln und überschäumen, so lange es will, wenn nur zu Hause die Sennen sorglich über den Käsekessel wachen, daß die Milch nicht überlaufe;dam ist es schon recht und gut.

Mit Sorgen im Herzen sahen nur Jenny und die Roux in die Ferne. Wie ging es Marcel draußen?Es kam kein Gruß, es kam kein Zeichen von ihm ins Thal. Lebte er noch?

Endlich nach drei Jahren, als der Winter aus vollen Backen den ersten Schnee an die Bergwände blies,brachte der Käsehändler aus dem Marktflecken ein zusammengelegtes und versiegeltes Papier und überreichte es Jenny. Am gleichen Abend noch wußte es das ganze Dorf: sie habe einen Brief bekommen, der müsse von Marcel geschrieben sein. So war es. Aber die Braut erfuhr nicht viel, denn Meister im Schreiben waren die Hirten von Rötschweiler nie: sagen könnten sie's schon,aber schreiben! Das Gekritzel auf dem Papier war ja immer etwas anderes, als das, was man sagen wollte!Das ist gut für den Landvogt und seinen Schreiber!Marcel berichtete, er sei jetzt am Genfersee, lerne Reben bauen und Wein keltern, befinde sich wohl und lasse grüßen, sie und die Seinen unten am Flusse. Ob er es zu etwas Rechtem bringe, und wann er zu kommen gedenke: davon kein Federzug. Etwas aber stand noch unter dem Namenszug, was Jenny gerne las: Marcel schrieb, sie solle sich um Verena keine Sorge mehr machen:die sei jetzt in Diesbach und habe einen Mann.Wieder verstrichen drei Jahre. Je im Herbst und Frühling kam ein Brief, jeder länger und besser geschrieben als der frühere, aber keiner enthielt das Wort:„Ich habe das Glück gefunden, kommt und teilt es!“Der erste rechte Glücksbote, der Jenny kam, war ein Soldat. In Frankreich waren die Schweizerregimenter eines nach dem andern aufgelöst worden und die Söldner,die nicht als Nationalgardisten ferner im Dienste der Franzosen bleiben wollten, kehrten in die heimatlichen Dörfer und Thäler zurück, um noch lange dem Herrgott den Tag und den Leuten das Brot abzustehlen, und um meistens als verkommene Trinker zu enden. Einst ließ sich auch einer in Rötschweiler sehen. Er habe etwas auszurichten von einem sterbenden Kameraden, sagte er.Er sei in Marseille im Regiment „von Ernst“ gestanden,sein Nebenmann habe Lucien Camard geheißen, der sei nun tot und lasse die grüßen, so ihn gekannt. Sie hätten zuletzt böse Zeiten gehabt miteinander. Die Marseiller hätten die Schweizer auf den Tod gehaßt,weil sie zum König hielten, und so seien Feindseligkeiten entstanden und immer ärger geworden, bis endlich das Regiment für gut gefunden habe, die Stadt zu verlassen und nach einem kleinen Orte zu ziehen, den man Aix nenne. Dorthin seien ihnen aber die Marseiller in bewaffneten Haufen nachgezogen, ein ganzes Heer, und hätten Kanonen vor der Kaserne aufgestellt. Die Offiziere hätten wegen der Kapitulation mit den Führern der andern unterhandelt, da habe das Gesindel mir nichts,dir nichts eine Kanone abgefeuert, und Lucien Camard,der eben vor dem Kasernenthor Wache gestanden, sei von einem Splitter getroffen worden und noch selbigen Tages verschieden. Bevor er die Augen geschlossen, habe er zu ihm gesagt: „Kamerad, wenn du es überlebst und in die Heimat kehrst, so steige nach Rötschweiler hinauf du mußt halt den Weg erfragen und sage den Leuten, wie ich gestorben sei, und sag' ihnen auch, ich hätte an Marcel Roux behalte den Namen! nicht ganz recht gehandelt, und möchte jetzt, da es mit mir aus ist, es wäre unterblieben. Sag' ihnen, Marcel habe an jenem Tage nichts Unehrbares begangen, ich und die Soldaten hätten eben unsere Schalkheit ausgelassen an ihm und der Verena von Dietstetten. Sie sollen wieder gut machen, was ich verbrochen, und Marcel selber möge mir verzeihen, wenn er es könne!“

Die Nachricht ging von Haus zu Haus. Die Hirten zuckten die Achseln. „Wer konnte das wissen? Es zeugten zwei wider einen und der Schein sprach auch nicht für Marcel! Was haben wir gethan? Wir wollten unsere Gemeinde nicht verludern lassen, das haben wir so von den Alten gelernt: darum haben wir ihm zugesetzt. Hat er es nicht ganz so verdient, um so so besser für ihn. Kehrt er wieder in die Heimat zurück, so soll alles, was uns anbelangt, vergessen und verziehen sein.“So sagten sie unter sich und schienen kalt, innerlich aber war es ihnen leid; denn die Rötschweiler sind von guter Art und ihre Herzen weicher, als sie es haben wollen.Jenny hatte nie Freude an Soldaten gehabt; diesen einen aber bewirtete und beschenkte sie freigebig. O, sie hätte das Thal hinaus und bis an den Genfersee rufen mögen: „Komm! Komm! es ist ein Glück aus der Fremde hergereist und hat dich gesucht und nicht gefunden!“

Mitten in der Freude überfiel sie eine unsägliche Angst und Sehnsucht, denn Marcel hatte diesen Herbst kein Lebenszeichen von sich gegeben, obschon sie zweimal an ihn geschrieben und den Brief jedesmal selber nach dem Marktflecken getragen hatte, damit er ja seinen rechten Weg gehe. Hatte er den Winter nicht erlebt?Nein, gestorben konnte er nicht sein, es hätte sie gar zu elend gemacht! Aber er war im Unglück und schämte sich, das zu gestehen. Sie wollte aufbrechen und trotz des Winters die für die Bergleute unendlich weite Reise an den Genfersee unternehmen. Der Vater aber hielt sie zurück und Gabriel fand das rechte Wort des Trostes:„Glaube mir, Jenny, er wird diesen Winter kommen,er will uns überraschen, drum hat er nicht geschrieben.“Da schickte sie sich drein, schrieb wieder einen Zettel und durch ein wildes Schneegestöber trug sie ihn nach dem Flecken, sich weigernd, den Bruder oder den Vater den Gang machen zu lassen.

Nun hatte sie wieder Zeit und Grund zum Sehnen und Hoffen.Das Jahr ging zur Neige; es war wie ein Gefäß,das man umgeschüttet hat, und die letzten Tage fielen herab, wie die letzten Tropfen aus dem Glase, bedächtig,

Das Bergdorf. 14 einer langsam nach dem andern. Weihnachten war wieder vor der Thüre. Da kam ein Bote über den Schnee und klopfte an Jaquots Hütte. Er hatte einen Brief in der Hand. Marcel meldete, er werde heimkehren,sie sollten nicht erschrecken, wenn er anklopfe.

Nun zog die helle Freude in die Hütte an der Halde ein. Am Weihnachtsabend sollte wieder Gasterei sein,wie vor sechs Jahren. Ja, sechs Jahre lang hatte das Haus keinen rechten Freudentag erlebt! Dieser eine aber sollte so viel gelten, wie alle, die ausgeblieben waren,zusammen. Denn es wußten zwei Leutchen ihres Glückes kein Ziel: außer Jenny noch Gabriel; der hatte nun ein Bräutlein gefunden, nicht jenes, das er früher gemeint hatte: das mochte die hinkenden Leute nicht leiden:nein, ein anderes, und wie ihn dünkte, ein noch viel hübscheres: es war Marcels Schwester Luise. Auch ihre erste Liebe war, wie es zu gehen pflegt, ein kurzer Lenz ohne Sommer gewesen: Rens hatte eine andere gefreit und sie ihn vergessen, und sie dankte jetzt dem Himmel,daß er es so fügte.

Zur gleichen Stunde, wie vor sechs Jahren, traten die Gäste ins Haus, mit demselben Gruß und den nämlichen Gebärden. Man aß und trank, und was in einem Körbchen von Hand zu Hand ging, schien dasselbe Brot zu sein, wie damals, und fast gleich wie einst,flossen beim Essen die Reden und gingen die gemächlichen Gedanken her und hin.

Die Uhr an der Wand that ihre elf Schläge. Der alte Jaquot öffnete das Kästlein an der Wand und entnahm ihm die Bibel und den Kreuzschlüssel. „Du machst den Bund, Magdalena, du hast das in den Fingern!“ Die Alte lächelte und that, ohne ein Wort zu sagen, was man sie hieß, und das Orakeln begann.Magdalena machte wieder den Anfang:„Gott und Vater, fage mir wahr,Mach' durch dein heilig Wort offenbar,Wie lang ich noch leben mag Jahr um Jahr!“Wie sie den Schlüssel auf den Daumen gesetzt und den Spruch hergesagt hatte, klopfte es draußen an die Thüre. Darob vergaß die Alte, was sie sonst immer zu thun pflegte, nämlich dem Bund unbemerkt einen leichten Stoß zu geben, damit er herunterfalle und sie des Zählens überhebe. Der Schlüssel blieb ruhig auf dem Daumen und ließ ihr Zeit, wohl noch dreißig Jährchen zu ihren 75 hinzuzählen. Sie merkte es erst,als Jenny, eine Ampel in der Hand, durch die Stubenthüre verschwand. Da überlief die Alte plötzlich die Angst, nun habe sie zum letztenmal die Bibel befragt:für sie habe der Fall des Bundes immer Leben bedeutet,nun, da er ruhig geblieben, weissage das ihr Tod. Ihr

14* ward fast traurig zu Mute, und sie vergaß das Lächeln.So hatte in der Vorurteilslosesten der Aberglaube doch endlich sein Gartenbeetchen bestellt gefunden.

Magdalene konnte ihrem Trübsinn nicht lange nachhangen: unter der Thüre erschien Jenny wieder, mit strahlenden Augen, und neben ihr die stämmige Gestalt Marcels. Er schien in den sechs Jahren noch bäumiger geworden zu sein, aber auch ruhiger; im Gesicht trug er einen Vollbart und zwischen den beiden Augenbrauen hatte sich eine tiefe, senkrechte Furche gegraben. Der Glanz der Augen aber war ruhig und heiter; man sah es ihm an: Schmerz und Kampf hatten ihn geläutert und gefestigt, er war ein Mann geworden, der in sich selber seinen Halt fand, wie ihn der Berg in seinem Granit hat.

Man begrüßte ihn freudig, die harten Hände der Sennen griffen nach der seinigen, und mit kräftigem Druck baten sie ihm etwas ab, besser als es Worte vermocht hätten. Seine Schwester Luise, die an Gabriels Seite sich schon glücklich genug wähnte, konnte beim Anblick des langersehnten Bruders ihren Jubel nicht mehr bezwingen und warf sich schluchzend an Marcels Brust, obschon solches in Rötschweiler nicht Sitte ist.

Als Marcel auf die dringlichsten Fragen geantwortet hatte, sagte er zu den Leuten, um einer endlosen Beichte zu entgehen, sie sollten doch ihr Bibelspiel nicht vergessen. Da ging denn der Bund wieder von Hand zu Hand, weissagte lange Jahre oder drehte das Leben ab,je nachdem die Hände, die ihn hielten, geschickt oder täppisch waren. Als die Reihe an Jenny kam, sagte sie,sie mache diesmal nicht mit; Marcel aber flüsterte sie ins Ohr: „Ich will lieber thun, was du mir vor sechs Jahren rietest! Weißt du es noch? Du sagtest: „Willst du was thun, so bete zum Himmel, daß er uns gleich lang leben lasse, mich und dich, und mit uns ....Liebe und Treue und Glück!‘ War es nicht so?“ Er drückte ihr die Hand und über sein Auge senkte sich ein leichter Schleier, wie um das Glück, das darin leuchtete,vor neugierigen Blicken zu verhüllen.

Lange nach Mitternacht saß man noch beieinander,man ließ Marcel keine Ruhe, er mußte erzählen, was er draußen gesehen und gehört und erlebt hatte, denn in Rötschweiler staunt man den noch an, der ein Stück „Elend“ gesehen hat.

Was Marcel aber das Herz ganz füllte, das sagte er erst, als die andern gegangen waren, und er mit Jenny allein vor der Hütte auf und ab ging, auf dem reinen Schnee, unter dem flimmernden Sternenhimmel.Da erzählte er sein Ringen draußen mit der rauhen Welt, sein Darben und sein Stolpern über mißlungene Pläne, und die lange Kette der Enttäuschungen. Und bei dem Kämpfen und Ringen die rastlose Sehnsucht nach ihr und der verlorenen Heimat, und der brennende Wunsch, sich gerechtfertigt vor sie und die Gemeinde stellen zu können, um die Achtung, die man ihm versagt, erhobenen Hauptes zu erzwingen. Und er erzählte ihr, wie diese Sehnsucht und dieser Wunsch ihm den Nacken hochgehalten und den Arm gestählt hätten, bis er endlich auf das Flecklein Erde gestoßen, das ihm dazu geschaffen schien, sein Lebensglück zu herbergen. Zwei Jahre lang hatte er danach getastet und gesucht: er fand es am Genfersee, wo er bei einem alten kinderlosen Landwirt in Dienst trat. Da hatte er vieles zu lernen in Feld und Weinberg, aber er fand sich darein, und bald ließ ihn der Alte auf dem Gute schalten und walten, wie einen Sohn. Nun aber vor einem Monat war zwischen zustande gekommen, mit dem beide ihnen ein Kaufvertrag zufrieden waren. Der Bauer zog mit seiner gebrechlichen Frau in das nahe Städtchen; dort wollte er sein Leben beschließen; Marcel aber war nun in sein Heimatthal hinaufgestiegen, um sich sein Hausmütterchen zu holen.Es waren sonnige, leuchtende Tage, die zwischen Weihnachten und Neujahr über Rötschweiler und seinen Schnee schwebten, aber noch heiterer als durchs Thal leuchtete es in der Brust der Liebenden. Am Berchtoldstage, wie sich in der „Tanne“ das ledige Volk dem Tanz und der Freude hingab, kehrte Marcel in seine neue Heimat zurück. Vier Monate später, als die Lenzsonne das Thal grün gefärbt hatte und sich das Hirtenvölklein zur Alpfahrt rüstete, kam er wieder angesprengt auf einem Wagen, vor dem zwei glänzende Rappen stampften. In dem Kirchlein, wo Lebenden und Toten gepredigt wird, ließ er sich mit Jenny trauen, und mit ihnen zugleich Gabriel und Luise. Marcel lud das ganze Dörfchen zu Gaste, und es war kein Haus, das unterlassen hätte, an dem Freudenfeste teilzunehmen.

Tags darauf fuhren die Sennen zu Berg, Marcel aber mit seinem Glücke zum Thal hinaus. Auf dem Wagen hinter dem jungen Ehepaare saßen der alte Rourx, seine Frau und Helene, die jüngere Tochter; sie folgten Marcel in das liebliche „Elend“, in die neue Heimat mit dem blauen See und den Rebgeländen, die er ihnen mit so leuchtenden Farben geschildert hatte. Ihre Weiden hatte Gabriel gekauft.

Über die Waadt brachen unruhige Zeiten herein:das Unterthanenland, sich der früheren Freiheit erinnernd,raffte sich auf, um sich vom Drucke der Herren von Bern loszuringen. Marcel nahm an den Freiheitsbestrebungen regen Anteil, denn er hatte nicht vergessen,wie viel Unglück die Werber der gnädigen Herren über manche Hirtenfamilie gebracht hatten; auch hatte er in seinen trüben Wandertagen manches Unkraut entdeckt,dessen Keim ein Wind aus Bern gebracht hatte.

Aber er ließ sich nie zu leidenschaftlichen Thaten hinreißen: er wußte, daß Leidenschaft Leidenschaft herausfordert, und auf sein friedliches Haus wollte er kein Wetter herabtrotzen.

Die Freiheit wurde errungen; nach Jahren kam auch der Friede wieder ins Land, und die Waadt ward,was Marcels Heim all die Zeit schon gewesen war:ein glückliches Idyll.