Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse No. 41. Wien, Dienstag den 11. October 1864 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2023

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

No. 41. Wien, Dienstag den 11. October 1864 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 11.10.1864
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Hofoperntheater. („Waldfräulein,“ Ballet von Pallerini .)

Ed. H. Wenn man in Zedlitz ’ „Waldfräulein“ sich etwa tau send Verse tief hineingelesen und mit Herrn Aechter v. Möspelbrunn das erste Dutzend „Versuchungen“ bestanden hat, gelangt man an ein mondbeglänztes, lauschiges Plätzchen, allwo Waldfräulein lieblich aus gestreckt liegt und schläft. Vor ihr steht in Anschauen versunken ein junger „Einsiedel,“ der entzückte Betrachtungen darüber anstellt, „wie zierlich doch des Herren Gnade geformt hat dieser Jungfrau Wade!“

Dieser Vers muß es gewesen sein, der mit der Kraft eines Stichworts Herrn Pallerini bei der Lectüre erfaßte und ihm die Idee einer Verballetirung „Waldfräuleins“ aufdrang. Denn von dem Stimmungszauber, der Waldespoesie, von den sinnigen Gedanken und süßen Empfindungen des Zedlitz’schen Märchens finden wir in Herrn Pallerini’s Ballet gar nichts wieder; „des Herren Gnade“ hat sich darin ausschließlich auf obigen Reim zurückgezogen.

In unserem zweifelhaften Berufe als Balletreferent wagten wir einigemal die Meinung auszusprechen, es wären aus dem Schacht der Volksmärchen noch köstliche Balletstoffe zu holen. Nur müßte der Balletmeister mehr als ein geschulter Handwerker, er müßte ein Stück chen „Tanzpoet“ sein. Ein solcher hätte aus ZedlitzWaldfräulein ohne Zweifel eine Reihe anmuthigster Situationen gewonnen. Unser Bearbeiter hat vielmehr das entgegengesetzte Talent, nämlich eine erstaunliche Fähigkeit bewiesen, dem Gedicht allen poetischen Duft vollständig auszutreiben. Die Charaktere und Situationen sind sämmt lich zur gewöhnlichsten Balletschablone verallgemeint, die eigentlich choreographische Erfindung ist bettelarm, unter den Tänzen und Gruppen nicht das mindeste Neue oder Malerisch-Effectvolle. Mit dem dramatischen Theil hat es noch schlimmere Wege. Gleich das lange „Vorspiel in zwei Bildern“ dünkt uns eine unglückliche Idee. Die halbfürstliche Abkunft Waldfräuleins mag immerhin wichtig ge nug sein, um eine glänzende Ueberraschungs- und Erkennungsscene am Schluß des Ballets zu motiviren. Allein mehr bedarf der Zu schauer nicht, zum wenigsten, daß er in einem eigenen Vorspiel Waldfräuleins Eltern und deren ganze Liebesgeschichte persönlich ken nen lerne und bei dem kleinen Kind förmlich Gevatter stehe. Auch Käthchen von Heilbronn entpuppt sich schließlich als Kaiserstochter,

aber welchem Bearbeiter würde es einfallen, uns die ganze Geschichte ihrer Herkunft als Vorspiel zu credenzen?

Ein Uebelstand, der aus dieser fatalen Doppelgeschichte fließt, ist, daß dieselbe Darstellerin, welche im Vorspiel als unglückliche Mutter mit dem Kind an der Hand erscheint, in den folgenden Acten ihre eigene Tochter geben muß. Der Vorhang geht nach den hiezu erforderlichen 15 Jahren in die Höhe, wir sollen nun das erwachsene Waldfräulein“ in ihrem grünen Versteck belauschen. „O Spessart, edler Forst, du bist Der Wälder Preis zu jeder Frist!“ recitiren wir, gleichsam innerlich präludirend. Welche Enttäuschung! Das der Spessart? Das ein Waldfräulein? Eine gezierte „Ideal landschaft“ wie nach einem schlechten Watteau auf Porcelan gemalt, flimmert in Gold und Rosa vor uns, der Ausblick auf eine heitere (aber gar nicht waldmäßige) Fernsicht wird uns durch häßliche riesen große Pfauenfedern verhüllt, welche den Vordergrund bedachen. Der „Spessart,“ ist förmlich parfümirt und frisirt. „Waldfräuleinerscheint: bin weder Fräulein, weder Wald.

Fräulein Couqui spielt diese Rolle so anmuthig, fein und virtuos, wie jede andere, aber leider in keinem Punkte anders. Etwas in Maske, Mimik und Tanz schärfer Individualisirendes, die reizende Wildheit dieses Naturkindes besonders Charakterisirendes konnten wir nicht wahrnehmen. Waldfräulein spielt mit ihren Nixen „blinde Kuh,“ — was man, beiläufig gesagt, selbst sein müßte, um die in gelben Tunicas, rothen Schärpen und breiten Lorbeerkränzen herumspringenden Herren vom Ballet ruhig anzusehen, — mitten im Spiele erscheint der langerwartete Märchenprinz, „Herr Aechter von Möspelbrunn.“ Er beginnt mit „Waldfräulein“ sofort ein sehr künst liches Pas de deux, in Gegenwart des ganzen sich ringsum postiren den Balletcorps! Haben wir zu viel gesagt, wenn wir Herrn Pallerini eine specifische Poesie-Auspumpungskraft nachrühmten?

Der dritte Act bringt uns in Caprus ’ Hütte. Wir hofften viel Gutes von dem Erscheinen des wackern Ziegenhirten; allein auch er vermochte keine rechte Heiterkeit zu erzeugen, sondern drehte sich selbst mißvergnügt im Kreise alltäglicher Komik. Mit großer Ge müthsruhe sehen wir ihn gegen „Grauweiblein“ den Kürzern ziehen und verwundern uns lediglich darüber, daß das Grauweiblein hier eine braun und hellroth gekleidete junge, hübsche Dame ist! Den Schluß dieses Actes (aber noch lange nicht der Prüfungen des Zu schauers) bildet Aechter’s Abenteuer mit den Rhein-Nixen. Die Decoration zeigt uns, wie das gedruckte Textbuch versichert, „das

Innere der Rheinfluthen.“ Wir sehen Aechter’s Schiff her absinken und den Ritter sammt Gefolge das übliche „Verfüh rungsballet“ mannhaft ausstehen. Die decorative Ausstattung dieser Scene bietet jedem Theater ungemeine Schwierigkeiten, und selbst der anspruchsvollste Zuseher kann hier seine Phantasie von der Pflicht, ein bischen mitzuwirken, nicht ganz dispensiren. Im Hofoperntheater hatten sich aber Maschinist und Maler vereinigt, ein Bild von so grotesker Geschmacklosigkeit zu schaffen, daß die gut müthigste und bereitwilligste Illusion davor entsetzt zurückweicht. Rechts und links „spanische Wand“ von leichtem Silberstoff, dahinter scheußlich geformte Felsenriffe, welche Korallenzweige wie rothe Zungen herausstrecken, oben Alles beklebt mit abgeschmackt bunten Muscheln und Schnecken, unten riesige Schildkröten, um die Nixen herumkrie chend — welcher Anblick! Es wäre uns rühmlicher erschienen, einer schwierigen Aufgabe ganz auszuweichen, als sie so mangelhaft zu lösen.

Der dritte Act endete zu so vorgerückter Stunde, daß ein Theil der Zuschauer sich entschloß, auf den vierten zu verzichten. Letzterer beginnt ganz unmotivirt mit einem Zigeunerballet — „wo Begriffe fehlen“, da stellen sich Zigeuner zu rechter Zeit stets ein. Es folgt das Turnier, bei welchem Waldfräulein vom alten König erkannt und mit Aechter vermält wird — hierauf Tänze, Evolutionen und Wolkenschluß-Spectakel.

Dies also war das lang vorbereitete, mächtig ausposaunte neue Ballet, dessen Libretto die k. k. Wiener Zeitung eine zwei Num mern lange andächtig vorbereitende Analyse gewidmet hatte! Ein langweiliges Ungeheuer, zu nichts Anderem gut, als die Geduld des Publicums zu erproben. Das Publicum war liebenswürdig genug, die ausgestandene Langweile den Künstlern nicht entgelten zu las sen; insbesondere Fräulein Couqui erfreute sich schmeichelhafter Aus zeichnung.

Die Musik zum „Waldfräulein“ hat Herr Franz Doppler geschrieben. Der bewährte Balletcomponist hat diesmal ebensowenig sein Bestes geleistet, als der tüchtige Brioschi im Decorationsfach. Es ist als hätte die anhaltende Beschäftigung mit diesem Ballet alle Künstler gleichsam gelähmt. Auf die Decorationen wie auf die Musik, so fleißig beide ausgeführt sind, drückt die Langweile die ser ganzen Waldfräuleinwirthschaft — eine Empfindung, welcher Brioschi in den gedachten Pfauenfedern, Doppler hingegen in einigen längeren Harfensolos den treffendsten Ausdruck verlie hen hat.