Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse No. 73. Wien, Samstag den 12. November 1864 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2023

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

No. 73. Wien, Samstag den 12. November 1864 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 12.11.1864
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Hofoperntheater. („Der schwarze Domino.“ — Fräulein Artôt.)

Ed. H. Ein zweifaches Dankvotum vor allem Andern an Fräu lein Artôt , zunächst für sie selbst und ihr Wiedererscheinen in Wien, dann für den „Schwarzen Domino,“ dessen Erweckung ihr Verdienst ist. Auf die Gefahr hin, von wirklichen und affectirten Musikpietisten sträflicher Neigungen angeklagt zu werden, bekenne ich mich zu dem Vergnügen, das mir Auber’s bessere Opern jederzeit be reiten. Der „Domino“ steht zwar nicht ganz oben auf dem Plateau von Auber’s Schöpfungen, er blüht nicht mehr in der vollen Frische und Ursprünglichkeit des „Maurer,“ „Fra Diavolo“ und der Stummen,“ allein zu den anziehendsten und charakteristischesten Pro ductionen des geistreichen Componisten müssen wir ihn doch noch un bedingt zählen. Der „Domino“ beschließt gewissermaßen die bessere Hälfte von Auber’s Thätigkeit, macht also einen Einschnitt in diese Carrière, deren rasches, gleichmäßiges Fortströmen so wenig Anhalts punkte zur Periodisirung gibt. Eigentliche Entwicklungs-Perioden, durchgreifende Wandlungen des Styls hat Auber nicht aufzuweisen, und die chronologische Folge seiner Opern spottet mitunter jedes Ver suchs, das Wachsthum seines Talentes daran zu messen. Neben und zwischen seinen besten Werken stehen oft die allerschwächsten. Auch seine musikalische Herkunft war anfangs nicht so rein und un gemischt, als man jetzt leicht annehmen könnte. Im Großen und Ganzen genommen erkennt man allerdings Auber sofort als die directe Fortsetzung Boyeldieu’s. Gibt es doch we nig große Kunstgebiete, in welchen eine so merkwürdige Ein heit und Stetigkeit der Entwicklung herrschte wie in der fran

zösischen Opéra comique, wie sie von Grétry , Philidor und Monsigny begründet, von Isouard und Boyeldieu auf eine größere poetische und musikalische Höhe gehoben, endlich von Auber, Adam, Thomas etc. weitergeführt wurde. Auber’s erste, nicht durch gefallene Oper „La bergère châtelaine“ (1820) ist ein schwacher, verwässerter Boyeldieu, mit einigen aufleuchtenden Momenten von Eigenthümlichkeit. Als Auber nach zwei durchgefallenen einactigen Opern diesen ersten Erfolg genoß, zählte er bereits 38 Jahre, war also das gerade Gegentheil eines frühreifen Genies. Um diese Zeit begann Rossini Europa zu beherrschen. Die Manier desselben nahm plötzlich einen erstaunlichen Einfluß auf Auber , sei es, daß dieser wirklich davon widerstandslos bezaubert war, sei es, daß er eine weitere Carrière in anderer Weise nicht mehr für möglich hielt. Thatsache ist, daß seine nächste Oper „Der Schnee“ (1823) nicht Au ber’s eigene Sprache, sondern ein verdorbenes Rossinisch spricht. Die Arien sind — dem Gebrauch der französischen Oper ganz zuwider — mit Coloratur überhäuft; diese Coloratur ist die specifisch Rossinische, daneben die Triolenketten, Orchester-Crescendos und Felicità-Schlüsse, wie man sie frischweg aus dem „Tankred“ abschreiben kann. Einzelne Nummern von anmuthigstem, echt französischem Reiz blühten inzwi schen, recht eigentlich Blümchen im Schnee. Große scenische Ge wandtheit und dankbarste Ausstattung der Rollen thaten das Uebrige, um der Oper glänzende Erfolge zu verschaffen. Die Sonntag nahm damit Wien und Berlin im Sturm. Heutzutage erscheint uns dieser Erfolg aus der Partitur allein kaum mehr erklär lich. Auber lebt darin wie ein Amphibium, seine musikalische Indivi dualität und jene Rossini’s sind eigentlich so verschieden, wie Land und Wasser. Nun, sollte man glauben, würde Auber in dieser für ihn so erfolgreichen Rossini’schen Manier fortarbeiten. Das gerade Gegentheil geschah. Gleich die Oper des folgenden Jahres, „Leocadia“,

enthält sich aller Coloraturen, und die nächstfolgende — Auber schrieb jährlich eine, auch zwei Opern — „Der Maurer“, läßt von Rossini’scher Manier kaum eine Spur mehr finden. Im „Maurer(1825) haben wir im besten Sinne echt französische Musik und zum erstenmal den echten Auber , wie wir ihn seither kennen und lieben gelernt. Der „Maurer“ ist das Ideal von einem musikalischen Genre bild; leider nur noch einmal, und nicht mit gleichem Gelingen, hat uns Auber (in der „Braut“) das gemüthliche Kleinleben des Bürger thums geschildert. Der „Maurer“ darf neben dem idealen „Fra Dia volo“ als die schönste Blüthe des Auber ’schen Talentes betrachtet werden, beide behaupten jederzeit einen Ehrenplatz in der Geschichte der komischen Oper.

Drei Jahre nach dem „Maurer und Schlosser“ erschien Auber’s Meisterwerk im ernsten Style: „Die Stumme von Portici.“ Und was finden wir zwischen diesen Beiden? Die flache, wieder von Rossini’schen Anklängen wimmelnde „Fiorella“, welche die Ueberra schung nicht ahnen läßt, welche gleich darauf das erstaunlich gewach sene Talent ihres Componisten in der „Stummen“ der Welt bereiten würde. Die in der ganzen Welt epochemachende „Stumme“ (1828) war Auber’s erster Versuch in der „großen Oper“! Ein merkwürdig Beispiel, wie ein doch immerhin begrenztes Talent mit der Größe seiner Aufgabe zu wachsen vermag. Niemand würde dem leichten Chansonier der komischen Oper einen so fortreißenden dramatischen Zug, so glänzenden Pathos und solche Beherrschung großer Situatio nen zugetraut haben. Sogar Leidenschaft und Innigkeit, die beiden schwächsten, oft auch ganz mangelnden Elemente Auber’scher Musik, leuchten manchmal in der „Stummen“ mit überzeugender Kraft em por, am schönsten in den Melodramen Fenella’s.

Die „Stumme von Portici,“ welche über ihrem Lorbeer noch die Krone einer großen geschichtlichen Bedeutung trägt, stand an der

Spitze der nun folgenden Richtung. „Tell“ und „Die Hugenottenverdanken ihr mächtige Anregung selbst im rein musikalischen Theil. In Auber’s Laufbahn nimmt die „Stumme“ eine ähnliche Stelle ein, wie Wilhelm Tell“ unter den Werken Rossini’s. Nur daß Rossini mit dieser überraschenden, mächtigen Wendung seine Carrière beschloß, während die analoge Erscheinung bei Auber in dessen erste Periode fällt. Noch eine zweite bedeutsame Aehnlichkeit verbindet diese beiden exceptionellen Schöpfungen: weder „Tell,“ noch die „Stumme,“ obgleich sie den höchsten Aufschwung, die äußerste Anstrengung darstellen, deren Auber’s und Rossini’s Talent fähig war, können als die voll kommenste, eigenthümlichste Blüthe derselben gelten. Beide Compo nisten leisteten hier ihr relativ Höchstes auf einem Gebiete, das nicht ihre eigenthümliche Domäne war. Der „Barbier“ und „Fra Diavolosind in sich abgerundeter und eigenthümlicher, sie sind vollkommenere Kunstwerke auf ihrem Gebiet, als „Tell" und die „Stumme.“ „Du weißt, lieber Gott,“ schrieb Rossini auf das Manuscript seiner neuen Messe, „daß ich für die opera buffa geschaffen wurde.“ Rossini selbst weiß das auch, und Auber besitzt die gleiche Selbstkenntniß. Trotz des fabelhaften Erfolges der „Stummen“ kehrte Auber sogleich zur komi schen Oper zurück. In der langen Reihe seiner 42 Opern begegnen uns nur noch zwei ernste: die „ Ballnacht “ (Gustave) und der Verlorene Sohn “ (L’enfant prodigue). Ein drittes für die große Oper geschriebenes Werk gehört eigentlich nur wegen der über wiegenden Betheiligung des Ballets dahin, es ist die halb panto mimische Oper „Der Gott und die Bayadere,“ deren Heldin Zoloé gerade wie Fenella nicht zu singen hat.

Unmittelbar auf die „Stumme“ folgte die einst hochbeliebte, heute bereits sehr verblaßte „Braut" und nach dieser der köstliche „Fra Diavolo“ (1830). Was nun die nächsten 7 Jahre bringen („La Baya dère,“ „Le philtre,“ „Le serment,“ „Gustave,“ „Lestoq,“ „Le cheval

de bronze,“ „Le chaperons blancs,“ „L’Ambassadrice,“ „Le Domino noir“) bewegt sich wieder bergauf, bergab. Auber’s Erfindung zeigt sich noch stellenweise von unversehrter Anmuth und Frische, allein sie ermüdet schon häufiger und beginnt ihre Zuflucht zu oberflächlichem Geplauder oder raffinirten Effecten zu nehmen. Der „Schwarze Domino“ (1837), wol das Beste, was Auber seit dem „Fra Diavolo“ geschrieben, dünkt uns ein Abschnitt, ein Uebergangspunkt, wenngleich kein scharf mar kirter. Auber’s Liebenswürdigkeit und Esprit zeigt sich hier noch in vollem Glanze, aber bereits mit entscheidender Bevorzugung des Pi kanten und Frivolen. Die Epoche vom „Maurer“ bis zum „Dominoin Bausch und Bogen betrachtet, oder noch besser in ihren Spitzen, bildet die wahre Blüthen- und Erntezeit von Auber’s Talent. So reizende Partien sich auch in den folgenden Opern noch finden, besonders in den Krondiamanten,“ „Teufels Antheil“ und „Haydée,“ das Versiegen der Erfindung, das Fabriksmäßige der Technik, die Herrschaft lockerer Tanz rhythmen ist nicht mehr zu bemänteln. Der kläglichste Sturz findet eigent lich schon unmittelbar nach dem „Domino“ statt, in dem „Feensee,“ einem unbegreiflichen Machwerk, worin der Componist sich zum bloßen Hand langer des Maschinisten und Balletmeisters hergibt. Auch Scribe’s Texte nehmen nun entscheidenden Einfluß auf die neue Wendung. Seine Opernbücher werden ausgearbeitete Lustspiele von so complicirter In trigue, daß die Musik sich nirgends mehr lyrisch auszubreiten vermag, sondern, von der Handlung gehetzt, nur nebenherlaufend oder sprung weise sich geltend machen kann. Wir erinnern an die „Sirene,“ die Barcarole,“ den „Duc d’Olonnes“ und Aehnliches. Die Besseren die ser Werke, welche, wie gesagt, noch immer viel Anmuthiges und Geist reiches enthalten, errangen in Paris noch reellen Erfolg und drangen selbst nach Deutschland. Die letzte Auber’sche Oper, welche dies von sich rühmen konnte, allerdings mehr in Folge des fremdartigen Rei zes ihrer Ausstattung, als durch die Macht ihrer Melodien, war

der verlorene Sohn“ (1850). Seither spinnt Auber nur noch die dünnen weißen Fäden eines musikalischen Altweibersommers. Nichts von diesem Gespinnst der letzten 14 Jahre fand mehr aufrichtigen Beifall, noch weniger drang es über die Grenzen Frankreichs. Nur die Bewunderung für solche noch im höchsten Alter rege Schaffens lust, und die Pietät für eine so blüthenreiche Vergangenheit breiten ihren verklärenden Schimmer darüber.

Wir sind vom „Schwarzen Domino“ weiter abgekommen, als dem Leser vielleicht lieb ist; nicht immer kann man dem Anlaß wi derstehen, von dem einzelnen Werk aus in weitem Bogen ein ganzes Künstlerleben zu überschauen, das wie eine Landschaft vor uns aus gebreitet liegt. Der „Schwarze Domino“ ist so recht, was wir „liebens würdig“ nennen: all’ seine Vorzüge erscheinen uns größer durch die Anspruchslosigkeit, mit der sie auftreten. Scribe , den ein freundliches Geschick eigens für Auber geschaffen zu haben scheint, gerade wie diesen für jenen, hat hier mit der ihm eigenen Geschicklichkeit eine anziehende Handlung erfunden und gestaltet, ohne in den Fehler sei ner spätern Opernbücher, die verwickelte Intrigue, zu verfallen. Auber’s Musik dazu vereinigt alle Vorzüge, die ihn zum Meister des musikalischen Conversations-Lustspiels machen. Zu seinen frü heren Opern, namentlich zum „Maurer“ und „Fra Diavolo“, verhält sich der „Domino noir“ ungefähr, wie jene frühern Arbeiten sich zu Boyeldieu verhielten. Das gemüthliche, idyllische Element einer seits, das chevalereske anderseits erscheint zurückgedrängt gegen das Pikante, geistreich Plaudernde.

Der Tanzrhythmus herrscht vor, aber in so graziöser Form, daß er selten den Eindruck des Trivialen macht. Das Geheimniß ruht in der durchgehends waltenden Einfachheit und Mäßigung. Leichte Melo dien, welche von italienischen, mitunter auch von deutschen Compo nisten (Flotow) durch lärmende Instrumentirung und pompöse Schluß

cadenzen aufgedonnert werden, gaukeln bei Auber immer nur wie leichte Schmetterlinge über dem Wasserspiegel. Bei aller Lebendigkeit, mit der das Dramatische sich abspielt, wird doch nichts aufdringlich oder plump pathetisch. Wo Töne aus tiefen, vollem Herzen erklingen sollen, da behilft sich Auber allerdings stets mit Surrogaten, doch verräth die Wahl derselben wenigstens eine zarte Hand. Der erste Act des „Domino“ bietet der Musik am wenigsten Entfaltung und dies Mißverhältniß zwischen dem gesprochenen und gesungenen Wort wird in deutschen Vorstellungen ungleich lästiger als in französischen. Dafür besitzt dieser erste Act in dem Eingangsterzett „Tout est pré paré“ ein allerliebstes ausgeführteres Musikstück, das den Typus Auber schen Styls ausgezeichnet repräsentirt. Auber’s größte Virtuosität ruht in jenem zwischen Gesang und Declamation schwebenden Genre, das man kurz „musikalische Conversation“ nennen kann. Die Leichtigkeit mit welcher er in Stücken wie jenes Terzett aus erzählendem Geplau der in gesangvolle Melodie übergeht, unmerklich wieder in raschen Dialog umbiegt und so fort, ist bewunderungswürdig. Größere Ensemble sätze gerathen dem Componisten in der Regel sehr dürftig; immerhin hört sich der lärmende Cavalierschor im 2. Act von der Bühne besser an, als er sich Schwarz auf Weiß liest. Sehr hübsch ist das kleine Duettino Angela’s mit Juliano; glänzend und dabei von feinster Zierlichkeit die „Ronde Arragonaise.“ Sie wird nur von Angela’s zweiter Solonummer übertroffen, der erzählenden Arie im 3. Act. In den Couplets des Gil-Perez und dem schnatternden Nonnenchor erhebt sich Auber’s Laune zum wirksamsten, köstlichen Humor. Am Ende der Oper entläßt uns der letzte Tact so freundlich befriedigt, wie der erste uns heiter angeregt und gestimmt hat.

Die Aufführung der Oper erhielt durch das Auftreten Fräulein Artôt’s eine glänzende Zierde. Es dürfte gegenwärtig kaum eine virtuosere und geschmackvollere Darstellerin der „Angela“ geben, als

Fräulein Artôt. Wer einen Begriff von Gesangskunst und einigen Sinn dafür hat, den mußte die Leistung der berühmten Sängerin von Anfang bis zu Ende mit freudiger Bewunderung erfüllen. Die treffliche, besonders im mezza voce reizende Tonbildung, die aus gebildete Virtuosität bei ruhiger, spielender Beherrschung aller Schwie rigkeiten, die geistreiche Feinheit des Details, endlich über dem Gan zen der wohlthuende Hauch seiner Bildung und echten Zartgefühls, — eins reicht dem andern die Hand, um ein meisterhaftes Gebilde fleckenlos hinzustellen. Wenn wir hin und wieder in Spiel und Ge sang (z. B. in der Arragonaise) etwas lebhaftere, kräftigere Farben wünschten, so sind wir vielleicht selbst schon durch die deutsche und italienische Vortragsweise etwas verwöhnt. Das Deutsche sprach Fräulein Artôt mit unverkennbar fremdem Accent, doch recht fließend und nicht unverständlich. Fräulein Artôt wurde vom Publicum ehrenvoll ausgezeichnet. Ihre Leistung hätte noch weit leb hafter gewirkt, wäre ihre Umgebung eine bessere, im Ton der Con versations-Oper geübtere gewesen. An der schleppenden, ungefügen Prosa, an dem eckigen, verlegenen Spiel der meisten Mitwir kenden war deutlich zu erkennen, wie sehr entfremdet unser Opern personal diesem Genre ist. Am besten löste noch Fräulein Bettel heim (Brigitte) ihre Aufgabe. Der prachtvolle Klang ihrer Stimme elektrisirte das Publicum in den Couplets am Anfang des dritten Actes. Ihr Spiel hätten wir, namentlich im dritten Act, ruhiger und vornehmer gewünscht. Herr Walter sang die Partie Horazio’s recht hübsch; was ein guter Schauspieler aus dieser Rolle machen kann, schien er kaum zu ahnen. Ganz vergriffen war die Besetzung des Grafen Juliano durch Herrn Dalfy . Die Rolle ver langt einen gewandten Darsteller von gewinnendem Aeußern und freiem, vornehmen Anstand. Ein Weniges Deutsch sprechen soll er auch können. Die Kehrseite von alledem den ganzen Abend

auf der Bühne zu sehen, war geradezu störend. Ueberhaupt wäre es weit zweckmäßiger gewesen, die Rolle, wie dies in ganz Deutschland der Fall ist und auch in Wien stets der Fall war, einem Bariton zuzutheilen. Im französischen Original ist allerdings Juliano als Tenor bezeichnet, die Partie ist aber nicht nur (etwa mit wenigen ganz unwesentlichen Punctirungen) von jedem Bariton zu bewältigen, sie gewinnt offenbar, wenn sie von dem Tenor Horazio’s sich durch die Klangverschiedenheit abhebt. Herr Rokitansky sang den Gil- Perez sehr gut und mit großem Beifall; wir bedauerten nur, daß er durch eine ganz unpassende Maske das Charakteristische dieser komischen Figur vernichtete. Der Klosterökonom Gil-Perez ist kein Geistlicher, aber ein geistliches Geschmäckchen muß er behalten; man muß ihm an Kleidung, Mienen und Haltung anmerken, daß er sein Lebelang in frommer Behausung und Umgebung gelebt. Nur dann können die so drollig zwischen Salbung und Lüsternheit schielenden Strophen, womit der würdige Klosterökonom Gott für das in Aussicht stehende Souper dankt, im rechten Licht erscheinen und volle Wirkung ma chen. Hölzl hat die Rolle seinerzeit in diesem Sinne meisterhaft ge spielt, ohne den mindesten Anstoß zu erregen. Herr Rokitansky aber sah aus wie ein frisch eingefangener Räuberhauptmann, dessen kindische Furcht vor dem Teufel man ebensowenig begreift, wie seine lateinischen Brocken.

Frau Schäffer-Hoffmann gab die Haushälterin Claudia; bei einiger charakteristischer Komik im Spiel hätten wir den Mangel an Stimme gern verschmerzt. Sehr anständig gaben die Fräulein Dillner und Kohler zwei Nebenrollen, sowie Herr Lay die kleine Buffopartie des Lord Elfort. Schade nur, daß die Oper hier nicht in modernem Costüm gegeben wird; ein Engländer mit Schnurr- und Knebelbart, Federhut und Degen ist kein Engländer mehr, am wenig sten für die komische Oper.