Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse No. 84. Wien, Mittwoch den 23. November 1864 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2023

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

No. 84. Wien, Mittwoch den 23. November 1864 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 23.11.1864
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Zwei Tonkünstler-Biographien. (Franz Schubert. J. Fr. Reichardt.)

Ed. H. „Was ein Mann für Andere bedeutet, der beste Theil seines Lebens bleibt in dieser Form für die nächsten Geschlechter, vielleicht bis in die fernste Zukunft. Und sowol die, welche ein gutes Buch schreiben, als auch solche, deren Leben und Thun im Buche dargestellt wird, sie beharren in der That lebendig unter uns. Wir dürfen sagen, im Buche dauert das geistige Leben des Einzelnen, und nur der Geist, welcher eingebucht ist, hat sichere Dauer auf Erden.“ Es fügte sich hübsch, daß wir in der Lectüre von Freytag’s anmuthiger Erzählung „Die verlorne Handschrift“ gerade bei den oben an geführten Worten hielten, als man uns zwei neue Biographien überbrachte: Franz Schubert’s und J. Fr. Reichardt’s. Grundverschieden in jedem Bezug, treffen doch beide Tondichter in dem gleichen Anspruch zusammen, als Menschen wie als Künstler „lebendig unter uns zu beharren.“ Für Beide geht dieser Anspruch jetzt gleichzeitig in Erfüllung, ihr Leben und Thun liegt zum „erstenmal zu sicherer Dauer eingebucht“ vor uns.

Wir können hier nur die Absicht haben, unsere Leser auf Kreißle’sSchubert“ und Schletterer’sReichardtaufmerksam zu machen; eine eingehend kritische Beurtheilung der beiden — überdies sehr umfangreichen — Növitäten ge hört in ein Fachblatt. Das Schubertbuch steht uns natürlich näher; nicht nur behandelt es den ungleich größeren Künstler, den Wiener obendrein — auch der Verfasser, Herr Dr. Kreißle von Hellborn, ist Einer von den Unsern und im musikali schen Centrum Wiens als ausübender und schriftstellernder Musiker vortheilhaft bekannt.

Als Beethoven die Augen schloß, ging es seinen Ver ehrern wie Rahel , die bei der Nachricht von Goethe’s Tod gestand, sie habe nie im Ernste daran gedacht, daß auch Goethe

sterben könne. Ehe man sich des Schlages nur recht bewußt, des Verlustes völlig klar geworden, war, ein Jahr nach Beethoven , auch derjenige erblaßt, der inzwischen still und unerkannt dessen Erbschaft angetreten hatte: Franz Schu bert . Wenige Schritte nur liegen zwischen ihm und Beetho ven — in der Kunst, wie auf dem Friedhof. Was in Wahr heit Schubert’s Leben ausmachte, ruht in seinen Tondichtungen; in solcher Fülle liegt es vor uns ausgebreitet, daß es noch kaum überblickt, geschweige denn durchforscht ist. Seine äußeren Schicksale hingegen, die allereinfachsten, die nur immer ein großes Seelenleben einrahmen können, sind mit wenigen Wor ten erzählt. Du kennst, musikliebender Leser, das bescheidene, einstöckige Haus in der Vorstadt Lichtenthal, an welchem seit Kurzem eine Gedenktafel die Vorübergehenden belehrt, daß hier am 31. Jänner 1797 Franz Schubert geboren wurde. Hier wuchs er im Kreise seiner Eltern und Geschwister in gar be schränkten Verhältnissen auf. Sein Vater hatte eine kleine Schullehrerstelle und — neunzehn Kinder. Zum Glück sind die Schullehrer meistens die wahren musikalischen Missionäre im Land und jedes Schulhaus eine kleine Wegkapelle musika lischer Andacht. Im Schubert’schen Hause waren Vater und Brüder wackere Musiker — ihre sonntägigen Gesammt-Pro ductionen mahnen fast an Sebastian Bach und seine Söhne — der junge Franz wurde denn recht eigentlich „von Haus aus“ musikalisch. Seine hübsche Sopranstimme ertönte bald in der kaiserlichen Hofcapelle und verschaffte ihm einen Zög lingsplatz im „Convict“. Diese Anstalt, den allgemeinen ge lehrten Studien gewidmet, war damals für die Zöglinge bei nahe ein Conservatorium in kleinem Styl, gleichsam ein letz ter, weltlicher Nachklang jener segensreichen Sängerschulen, in welchen früher Domcapitel und Klöster für die Heranbildung junger Sänger sorgten. Componirt hat der junge Schubert schon im Convict sehr eifrig, er hatte da immer viel mehr Ideen als Notenpapier.

In seinem sechzehnten Jahre kehrte Schubert ins väter

liche Haus zurück und trat bei seinem Vater als Schulgehilfe ein. Drei Jahre hielt Pegasus im Joche aus, ruhig, wenn auch nicht willig. Und welch ein Joch es für diese hochflie gende Künstlernatur war, kleinen Kindern nicht ohne Beihilfe handgreiflicher Ermahnungen das ABC einzuüben, läßt sich denken. Sein Kopf summte schon wie ein Bienenstock von süßen, blüthenduftigen Melodien. Endlich ward ihm der geistige Druck doch zu unerträglich, und er gehorchte der innern Stimme, die ihn zur Tonkunst rief. Hier, dünkt uns, liegt der einzige ent scheidende Abschnitt in Schubert’s kurzer Laufbahn. Alles was nun folgt, ist einheitliche „zweite Periode,“ ihr Inhalt ein ununterbrochener Strom musikalischen Schaffens. Das freund schaftliche Zusammenleben mit Bauernfeld und Moriz Schwind , der Verkehr mit dem ältern Dichter Meyer hofer übte fördernden Einfluß auf Schubert. Es ist bekannt, daß der hochgebildete Opernsänger Michael Vogl Schubert’s Lieder zuerst in größere Kreise einführte, sowie daß im Jahre 1821 die Herausgabe des „Ersten Werkes“ (Erlkönig) durch Leopold v. Sonnleithner angeregt und ermöglicht worden ist. Früher hatte Schubert seine Lieder in Privatkreisen selbst vorgetragen. Wir möchten den Vortheil betonen, der ihm (namentlich im Vergleich mit Beethoven) daraus zu statten kam, daß er selbst Sänger war und deshalb auch stets sangbar schrieb. Der Erfolg jener ersten Publication war sehr günstig, und bald sah sich Schubert in den Stand gesetzt, unabhängig, wenngleich sehr eingeschränkt, zu leben.

In Geldsachen zeitlebens ein Kind, hat Schubert leider nie verstanden, aus seinen Werken, die bei der unendlichen Leichtigkeit seines Producirens ihm eine sorgenfreie Existenz hätten bereiten können, angemessenen Vortheil zu ziehen. Lec tionen geben war ihm, gerade wie Beethoven, unbezwinglich verhaßt. Ein öffentliches Musikamt hat er nie bekleidet, wenn auch zweimal angesucht. Es war eine Musikdirectors-Stelle in Laibach und die Stelle eines Vice-Hofcapellmeisters in Wien, um die er sich erfolglos bewarb. Eine zeitlang fungirte Schubert als Corre

petitor am Hofoperntheater; „ich passe nicht dazu,“ pflegte er selbst zu sagen. Mit Ausnahme eines Sommeraufenthaltes beim Fürsten Eszterhazy in Ungarn und mehrerer Streifzüge durch Oberösterreich und Salzburg lebte Schubert stets in Wien. Aus jener Villeggiatur in Zélez, die das Herz des jugend lichen Tondichters nicht unbehelligt gelassen — auch eine flüchtige Aehnlichkeit mit dem comtessenschwärmenden Beethoven — stammen in Sch.’s Werken die häufigen reizenden Anklänge an ungarische National-Melodien. Ganz in seinem Lebens element fühlte sich aber Schubert, wenn er mit Vogl Ober österreich und Salzburg durchzog, beide singend und spielend, in den besten Familien, in den stattlichsten Klöstern mit Jubel empfangen und festgehalten. „Als wenn das Sterben das Schlimmste wäre, was uns Menschen begegnen kann,“ schreibt Schubert einmal von solch einem fröhlichen Ausfluge mit Be ziehung auf seinen eben von schwerer Krankheit genesenen Bruder Ferdinand. „Könnte er nur einmal diese göttlichen Berge und Seen schauen, deren Anblick uns zu erdrücken und zu verschlingen droht, er würde das winzige Menschenleben nicht gar so sehr lieben, als daß er es nicht für ein großes Glück halten sollte, der unbegreiflichen Kraft der Erde zu neuem Leben wieder anvertraut zu werden.“ Schubert selbst sollte „diese göttlichen Berge und Seen“ nicht wieder schauen. Von heftiger, kurzer Krankheit hingestreckt, endete Schubert, 32 Jahre alt, am 19. November 1828.

Die Umrisse von Schubert’s Leben, wie wir sie hier flüchtig gezeichnet, mit allem noch erreichbaren Detail auszufüllen und dies Detail urkundlich festzustellen, war das Ziel, welches Herr v. Kreißle sich in seiner Schubert-Biographie gesteckt, und dem er mit rühmenswerther Ausdauer und Gewissenhaftigkeit zuge strebt hat. Von dem zweiten Theil der Aufgabe, der ästhetisch kritischen ganz abgesehen, stößt schon jenes rein biogra phische Unternehmen auf große Schwierigkeiten. Sie liegen hauptsächlich in dem so einfachen bescheidenen Verlauf dieses Künstlerlebens.

„In Schubert’s Leben,“ sagt sein Freund A. Schindler

ganz richtig, „gab es nicht Berg, nicht Thal, nur gebahnte Fläche, auf der er stets in gleichmäßigem Rhythmus sich be wegte. Auch sein Gemüthszustand glich einer spiegelglatten Fläche und war durch äußerliche Dinge nur schwer zu irriti ren. Seine Tage flossen dahin, wie es dem arm Geborenen und arm Gebliebenen in bürgerlicher Sphäre geziemt.“ Nur Jemand, der Schubert in persönlich intimen Verkehr nahe ge standen, und der zugleich ein Stück Poet ist, wäre vielleicht im Stande, uns den stillen, räthselvollen und doch so liebens würdigen Mann so zu schildern, daß er uns Andern lebendig würde. Und dennoch haben zwei Männer, in welchen beide Bedingungen zusammentreffen, es wiederholt abgelehnt, sich an Schubert’s Biographie zu versuchen: Bauernfeld und Franz v. Schober . Auch Herr v. Kreißle verhehlt sich diese Schwierigkeit nicht, doch konnte sie ihn „in keiner Weise abhalten, den verpönten Versuch mit verstärkter Kraft zu wagen.“

„Es ist,“ fährt er in der Vorrede fort, „meine auf Er fahrung gestützte Ueberzeugung, daß in nicht ferner Zeit bei dem allmäligen Heimgang der noch lebenden Zeugen von Schubert’s äußerer Existenz eine Biographie dieses Tondichters schlechterdings zu den Unmöglichkeiten gehören wird, und daß fürder, ungeachtet so mancher unvermeidlicher Lücken, kaum ein Mehreres geboten werden dürfte, als in dieser Darstellung ent halten ist.“ Wir geben dem Verfasser hierin vollständig Recht und können ihm nur dankbar sein, daß er die erhebliche Mühe auf sich genommen, Alles zu sammeln, was an mündlichen und schriftlichen Mittheilungen über Schubert, an Briefen und sonstigen Behelfen aufzutreiben war. Was seine Arbeit zur ge nauen Feststellung von Schubert’s äußeren Erlebnissen und zur Chronologie seiner Werke beibringt, ist höchst schätzbar und macht dieselbe zu einem unentbehrlichen Nachschlage buch für Alle, die sich in dem Gebiet dieser Thatsachen orientiren wollen. Daß uns Schubert’s volle charakteristische Persönlichkeit durch Kreißle’s umfangreichen Band nicht le bendiger geworden ist, als sie es uns aus den bekannten Auf

sätzen von Bauernfeld , Schindler und Meyerhofer , endlich aus den in Kreißle’s früherer „Skizze“ veröffentlich ten 3—4 Briefen Schubert’s bereits war, können wir nicht leugnen. Desgleichen sei offen gestanden, daß des Verfassers Urtheile über Schubert’sche Compositionen sich in zu allgemei nen, allerdings von wärmster Bewunderung dictirten Aus drücken bewegen, um zur tieferen Erkenntniß dieses Tondichters oder einzelner seiner Werke beizutragen. Die Aufnahme aller Aussprüche R. Schumann’s über Schubert war jedenfalls ein glücklicher Gedanke.

Offenbar war es dem Verfasser zunächst darum zu thun, ein möglichst reiches Material zu sammeln und sicherzustellen. Und diese Aufgabe hat er mit der Genauigkeit eines muster haften Registrators gelöst. Niemand, der von dem Werth solcher Arbeit und von deren Schwierigkeit einen Begriff hat, wird Kreißle’s Thätigkeit unterschätzen.

Die Sorgfalt, nichts von dem gesammelten Material verlorengehen zu lassen, hat den Verfasser sogar verleitet, mit unter sehr überflüssige Dinge aufzunehmen, wenn sie ihm nur irgend einen Zusammenhang mit Schubert zu bieten schie nen. Es werden uns die „Personalien“ und Familien-Ver hältnisse keines Menschen erspart, der je in Berührung mit Schubert gekommen, so daß das Buch von unbekannten und unbedeutenden Statisten förmlich wimmelt. Darf das Inter esse, welches speciell die ältere Wiener Generation für derlei haben mag, hierin wirklich entscheidend sein? Noch freigebiger ist der Verfasser mit dem Abdruck von Briefen. Wenn wir ihm den Abdruck jedes nur auffindbaren Briefes von Schu bert’s Hand zugestehen, so zeigen wir uns wol liberal genug. Auch die Briefe von Schwind und Bauernfeld möchten wir, obwol sie überaus häuslichen Inhalts sind, nicht missen, da uns die Persönlichkeit dieser Briefsteller und die Art ihres Verkehrs mit Schubert interessirt.

Was soll uns hingegen der vollständige Abdruck der zahlreichen, rein geschäftlichen Briefe von den Musikverlegern Probst , Schott , Brüggemann , Peters etc., deren In

halt sich mit den zwei Worten wiedergeben ließ: Der Ver leger N. N. nahm die ihm offerirten Schubert’schen Compo sitionen an, oder er nahm sie nicht an. Was sollen uns fer ner ganz unbedeutende Briefe dritter Personen an dritte Per sonen, z. B. des Herrn Jenger an Frau Pachler oder das Schreiben Schober’s an Spaun (S. 228), welches nur in den ersten Zeilen Schubert’s erwähnt, in seinem ganzen weitern Verlauf aber nur von Bagatellen handelt, die keinen Menschen außer Herrn v. Spaun interessiren können. Ueber dies sind diese Briefe nicht etwa (wie bei Jahn ) in den Anhang verwiesen, sondern durchweg in den Text aufgenom men, dessen Fortgang dadurch auf das ermüdendste gehemmt wird. Ein anderer Zug von „Gründlichkeit“, auf den wir gerne verzichtet hätten, findet sich Seite 139, wo uns der Verfasser in Einem Athem von der „poetischen Flamme“ Schubert’s für die Comtesse Eszterhazy und von dem „Verhältniß“ erzählt, das Schubert im Eszterhazy’schen Hause „mit einer Dienerin daselbst“ anknüpfte! Da der Werth eines Buches doch nicht genau mit dessen Papiermasse zunimmt, wird man Kreißle’s neue Schubert- Biographie im Vergleich mit dessen früherer „biographischen Skizze“ kaum in dem Maße reichhaltiger finden, als sie dicker ist. Ein wesentlicher Fortschritt der neuen Bearbeitung liegt hingegen in der besseren Anordnung und Eintheilung, in den Notizen über die Entstehung und erste Aufführung der wichtigsten Schubert’schen Werke, endlich und ganz vorzüglich in der Beigabe eines voll ständigen chronologischen Verzeichnisses der Compositionen Schubert’s. Diese Vorzüge werden Kreißle’s Buch überall eine freundliche, achtungsvolle Aufnahme sichern, umsomehr, als auch die geschmackvolle Ausstattung desselben der bewährten Firma Gerold alle Ehre macht.

Es bleibt uns nur mehr wenig Raum, um dem Leser von dem biographischen Denkmal zu erzählen, das der ver dienstvolle Augsburger Domcapellmeister J. M. Schletterer dem beinahe verschollenen Lieder-Componisten Reichardt ge setzt hat. Gestehen wir es nur, die erste Empfindung, mit der wir das Buch betrachteten, war — Schrecken. Ein gro

ßer dicker Lexikonband, den man beim Lesen wie eine Altar bibel auf den Tisch breiten muß, und als Titelblatt: „Johann Friedrich Reichardt. Erster Band“! Werden denn die deut schen Gelehrten nicht müde, sich selbst um die wohlverdienten Früchte ihrer Arbeit zu bringen? Mit eigener Hand decimiren sie ihren Leserkreis durch jene mißverstandene Gründlichkeit, die oft nur in dem Unvermögen besteht, Wesentliches von Unwesentlichem zu unterscheiden, jenes kurz und dieses gar nicht zu sagen! Schon Jahn’sMozart“ mußte sich den Vorwurf allzugroßer Breite gefallen lassen, und doch handelte es sich da um Mo zart und um weit mehr als seine Person.

Wenn nun vollends Nohl blos für Beethoven’s „ Ju gendjahre “ einen starken Band braucht, Kreißle über 600 Seiten für Schubert, Schletterer endlich noch eine corpu lentere Arbeit über Reichhardt als „Erster Band“ bezeich net u. s. f., dann kann es nicht Wunder nehmen, wenn solche Bücher nicht über den engen Kreis von Musikgelehrten hinaus ins große Publicum dringen, dem sie doch wol zugedacht sind. Und gerade Reichardt (geboren 1751, gestorben 1814) ist durch seine interessante Persönlichkeit und seine überaus reichen Erlebnisse wie geschaffen, ein großes Publicum zu fesseln! Die wichtigsten und buntesten Constellationen der musikalischen, lite rarischen und politischen Geschichte gruppiren sich auf das anschaulichste um diesen beweglichen, geistreichen Mann. Er ist der rechte Romanheld der neueren Musik, ohne Beihilfe von Elise Polko und Heribert Rau . An die Grenzscheide der al ten und neuen Zeit gestellt, persönlich befreundet mit allen nam haften Componisien Deutschlands und Frankreichs, von Ema nuel Bach, Gluck und Gretry bis auf Beethoven, Cherubini und Boyeldieu , der Schwiegersohn Franz Benda’s und Schwiegervater Heinrich Steffens, in lebhaftem Verkehr mit Kant , Hamann und Lavater , sowie mit Goethe , Schil ler und allen Koryphäen der Weimarer Glanzepoche, Capell meister Friedrich’s des Großen und König Jerome’s von West falen, Virtuose, Componist, Dirigent, Theoretiker, Journalist, endlich gar königlicher Salinen-Director, ist Reichardt ein

lebendiges Stammbuch seiner Zeit. Er war Augenzeuge der französischen Revolution in Paris und erlebte, immer gleich frischen Geistes, die Befreiung Deutschlands von der napoleo nischen Herrschaft. Seine Briefe aus Paris (1802) wie die späteren aus Wien (1809) zählen zu den wichtigsten und in teressantesten Aufschlüssen über die musikalischen wie über die gesellschaftlichen Verhältnisse jener Zeit.

Als Tondichter können wir Reichardt unmöglich so hoch stellen, als sein enthusiastischer Biograph es thut, doch bleibt ihm in seinen Liedern und Opern der Vorzug einer damals ungewöhnlichen Bildung und das geschichtliche Verdienst frucht barer Anregung. Reichardt erscheint uns ungleich bedeutender durch die Totalität seiner Persönlichkeit, als durch seine Com positionen. Er war der erste deutsche Musiker, der mit ent schiedenem Beruf schriftstellerisch thätig war, und der hiedurch prophetisch auf die verwandten Künstlernaturen C. M. We ber und Richard Wagner hinweist. Kurz es trifft bei Reichardt Alles zusammen, was einen biographischen Stoff anziehend, reichhaltig und bedeutsam machen kann. Reichardt hat eine Selbstbiographie geschrieben und den Anfang derselben (die ersten 15 Lebensjahre umfassend) in der Berli ner Musikalischen Zeitung von 1805 veröffentlicht. Die Fortsetzung des Manuscripts erhielt Schletterer von der Tochter Reichardt’s, der Frau Hofräthin v. Raumer in Erlangen, und konnte somit dies höchst interessante Schriftstück hier zum erstenmal vollständig veröffentlichen. Wir haben Schletterer’s ersten Band (der leider nur bis zum Jahre 1794 reicht und sich auf die Würdigung des „Musikers“ beschränkt) mit warmem Interesse und mit aufrichtigster Achtung für den Forscherfleiß und die Gewissenhaftigkeit des Autors gelesen. Wenn wir auch im freundschaftlichen Interesse für den Verfasser den Wunsch nach einer bündigeren Abfassung des zweiten Bandes nicht zurückhalten konnten, das Erscheinen dieser Fortsetzung erwarten wir mit Zuversicht und lebhaftem Antheil.