Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse No. 138. Wien, Dienstag den 17. Januar 1865 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2023

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

No. 138. Wien, Dienstag den 17. Januar 1865 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 17.01.1865
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Hofoperntheater.

Ed. H. Das Erscheinen unserer neuen Coloratur-Sän gerin Fräulein v. Murska hat eine leichte Bewegung in die Stagnation des Hofoperntheaters gebracht.

Für uns persönlich war diese Sängerin eine neue Er scheinung, der wir mit nicht geringen Erwartungen entgegen eilten. Dem immensen Beifall gegenüber, den Fräulein Murska hier erntet, befinden wir uns mit unserm disharmonirenden Urtheil in einiger Verlegenheit; wir geben es ungeschminkt als subjectiven Eindruck und mit der vollsten Bereitwilligkeit, uns zu bessern, sobald wir nur immer wahrnehmen, daß — auch Fräulein Murska sich bessert. Die Summe dessen, was an Fräulein Murska’s Gesang überraschend und vorzüglich ist, besteht in fünf hohen Tönen und einem schönen Triller. Als Lucia“ überschritt die Künstlerin das Niveau anständigen Mittelguts in netto zwei Tacten: der Trillerkette vom zweigestrichenen as nach dem hohen des im zweiten Finale. Ihre Höhe, etwa von f aufwärts, ist zwar nicht besonders kräftig, aber silberhell und leicht ansprechend; Mittellage und Tiefe sind matt und klanglos. Die Triller schlägt Fräulein Murska, wie gesagt, ganz vorzüglich, rein und schmetternd, mit deutlichster Distanz beider Töne, höchstens im Nachschlag nicht ruhig und breit genug. Außerdem hörten wir sehr geschmei dige, correcte Scalen, Arpeggien und Staccatos. Die Wir kung des Trillers erreichen indeß ihre Passagen nicht, sie sind leicht, geläufig, aber nicht glänzend, dazu ist schon die Stimme (die von Bravourpassagen doch meist in großem Um fange durcheilt wird) zu unbedeutend. Ueberdies fehlt Fräu lein Murska’s Coloratur die echte, ohne Beseelung nicht denk bare Anmuth, ja mitunter aller Kunstgeschmack. Wir citiren ihre in die Wahnsinnsscene eingelegte endlose Cadenz als Muster geschmackloser Ueberladung. Das richtige Gefühl, hier ihre einzige Stärke zu besitzen, treibt die Sängerin oft zu einer unrichtigen Ausbeutung derselben: als „Lucia“ that sie viel zu viel Zierrath aus Eigenem hinzu, selbst als „Prinzessin“ in Robert“ genügte ihr der von Meyerbeer massenhaft gespen dete Flitter nicht. Immerhin bleibt die Bravour Fräulein Murska’s, auch abgesehen vom Triller, eine sehr bedeutende, sobald man sie nicht mit dem höchsten Maßstabe, sondern an dem Niveau unserer deutschen Primadonnenkunst mißt.

Um sich klar zu machen, was Fräulein Murska von der vollendeten Meisterin unterscheidet, braucht man sich nur die sehr nahe Erinnerung an Fräulein Artôt zurückzurufen. Der gleiche, ja noch enthusiastischere Beifall, der unmittelbar nach der Artôt Fräulein Murska hier zu Theil wurde, könnte uns an dem Urtheil des Publicums irre machen, wüßten wir nicht, wie wechselnd sich dasselbe mitunter zusammensetzt. Noch immer haben wir bisher von Fräulein Murska’s größtem Vorzug, ihrer Coloratur, gesprochen. Glücklich könnten wir uns schätzen, reichte alles Uebrige nur an die halbe Höhe dieser ihrer Spe cialität. Aber nun kommt das gewichtige „Soll“ neben dem bescheidenen „Haben.“ Von der geringen Kraft und Fülle des Organs war bereits die Rede, ein Mangel, der sich überall, wo es nicht auf brillante Kunststücke ankommt, sehr fühlbar macht. Jedoch auch dieses Material vermöchte durch stylvollen Vortrag sich zu bedeutender Wirkung zu erheben, es könnte uns täuschen, ja bezaubern, erschiene es als das schwächliche Ge fäß, durch das erwärmend das ewige Feuer der Empfindung und des Geistes leuchtet. Von dieser Flamme haben wir aber kaum einen Schein wahrgenommen. Fräulein Murska’s Vor trag ergreift in seiner kühlen Gleichgiltigkeit weder das Ge müth, noch interessirt er den Geist. Ebenso begnügt sich Fräu lein Murska’s Spiel mit dem herkömmlichen Apparat der unentbehrlichsten Aeußerlichkeiten; ihre Bewegungen sind fahrig und unedel, die Haltung unruhig, die hübschen, etwas soubret tenhaften Gesichtszüge stehen entweder ausdruckslos fest (und dies ist der bessere Fall) oder sie quirlen in unwahren Schmerzensgrimassen ruhelos durcheinander. Wir sind durch die Schauspielkunst der Coloratur-Sängerinnen gewiß nicht verwöhnt, auch stellen wir an Rollen von der passiven Lyrik der Lucia oder ihren Zwillingsschwestern Amina und Elvira (in den Puritanern) bescheidene dramatische Anforderungen. Der Aus druck liebenswürdiger, unbefangener Jungfräulichkeit in einfach edle Formen ergossen, genügt uns vollständig. Den einzigen Mo ment, wo die Rolle darüber hinausgeht, die Wahnsinnsscene, geben wir ohnehin preis; mit genialem Scharfblick in diese dunklen Tiefen der Menschenseele zu dringen, kann nur sehr Wenigen gegeben sein; was uns die größte Mehrzahl bietet, ist doch nur das mehr oder minder geschickt drapirte, allbekannte Theatercostüm des Wahnsinns. Fräulein Murska’sLuciabrachte im dritten Acte kaum dieses und in den beiden ersten keinen Zug poetischer Phantasie oder auch nur liebenswürdiger Innigkeit. Der Mangel an Grazie und Adel erstreckte sich bis

auf die Kleidung. Guter Edgar! dachten wir, willst du wirklich auf die Standhaftigkeit einer Lucia bauen, die eine so unermeß liche Crinoline und solch’ ein pfiffiges Ungeheuer von rothem Hütchen trägt? — Lucia gilt für Fräulein Murska’s beste Rolle. Ihre „Martha“ fand nicht den gleichen Anklang, nur in den eingelegten, überaus schalen Bravour-Variationen ent fesselte sie, bezeichnend genug, den Enthusiasmus der Zuhörer. Wir hoffen immer noch, Fräulein Murska werde vielleicht im komischen Genre mehr Wahrheit und Lebendigkeit entwickeln, und wünschen es um so sehnlicher, als auf diesem Gebiete Fräulein Wildauer schwer vermißt werden wird. Praktisch, ja vom Augenblicke geboten, war das Engagement Fräulein Murska’s ohne Zweifel — eine künstlerische Bereicherung unserer verarmten Opernbühne, einen idealen Gewinn kön nen wir darin nicht erblicken.

Wir gehören, wie unsere Leser wissen, nicht zu Jenen, die täglich ihren Witz an Herrn Salvi üben und ihn mit oder ohne Grund für jeden Fehler allein verantwortlich machen. Allein die Thatsache dürfen wir ohneweiters constatiren, daß das Hofoperntheater kaum je zuvor sich in einem solchen Zu stand von Fäulniß und Verwirrung befand. Wir haben kein Repertoire, kein vollständiges noch zweckmäßig beschäftigtes Per sonal, keine künstlerisch scenirten und allseitig gerundeten Vor stellungen. Die Monotonie des Repertoires ist nahezu tödtlich. Seit Jahresfrist kam nicht Eine Novität zur Aufführung; die letzte war Offenbach’s unglückliche „Rheinnixe“. Von drei während dieser langen Zeit einstudirten Opern hatte nur der (auf den kleinsten Bühnen heimische) „Fra Diavolo“ Er folg; „Indra“ war eine todtgeborne Reprise, „Maria di Rohan“, die mit Ander und der Wildauer nicht durch zudringen vermochte, stand mit Herrn Ferenczy und Fräu lein Krauß in den Hauptrollen von vornherein aussichtslos. Mit Neid sehen wir das abwechslungsreichere Repertoire der mittleren, selbst der kleinen Opernbühnen, welche mit ihrem ungleich schwächern Personal dem Publicum wenigstens Neues vorführen. Man blicke auf Dresden, Braunschweig, Darmstadt, Prag, auf Karlsruhe, wo Eduard Devrient’s tüchtige, gesinnungsvolle Leitung auch die Oper auf echt künst lerischer Höhe erhält. Gewöhnlich werden wir mit dem Ein wand abgefertigt, ein großes Hoftheater könne nicht so schnell Novitäten einstudiren, als eine kleinere Bühne. Nun, so werfe man einen Blick auf die früheren Jahrgänge unseres Hof operntheaters und man wird sehen, daß ein ungleich reicheres

Repertoir auch hier möglich ist und jederzeit möglich war. Im Jahre 1849 brachte das Hofoperntheater folgende Opern zum erstenmal: „Templer und Jüdin“, „Die Krondiaman ten“, „Hernani“, „Linda von Chamounix“, „Die Barcarole“ (Auber), Maria von Rohan“, „Der schwarze Domino“, „Der Blitz“, „Die Zigeunerin“, „Haydée“, „Jolanthe“ und „Macbeth“ — also zwölf Opern-Novitäten! Holbein brachte in seinem ersten Directionsjahr (vom 9. April 1849 bis Ende März 1850) elf neue Opern (dar unter „Der Prophet“) und vier Ballets. — Im Jahre 1851 gab man fünf neue Opern „Paquita“, „Der Brauer von Preston“, Casilda“, „Giralda“, „Der verlorne Sohn“ — und drei Ballets. Im Jahre 1852 erschienen am Hofoperntheater neu: „Guttenberg“, Die lustigen Weiber von Windsor“, „Brahma und die Bayadere“, Die Tochter der Wellen“, „Indra“. Noch in den letzten Jahren unmittelbar vor Salvi’s Direction, finden wir in der Regel jährlich vier neue Opern. Im Jahre 1858: „Paragraph Drei“, „Königin von Cypern“, „Die Alpenhütte“, „Der Schauspieldirector“, „Königin Topas“, „Lohengrin“. Im Jahre 1859: „Die Rose von Castilien“, Diana von Solange“, „Der Troubadour“, „Tannhäuser“. Im Jahre 1860: „Der Wildschütz“, „Dominga“, „Rigoletto“, „Der fliegende Holländer“ — und nicht so weiter. Ueber die Abfassung unseres Repertoires entscheidet nicht das mindeste künstlerische Princip. Der einzige Gesichtspunkt (natürlich nach der heiligen Rücksicht auf die „graden“ und „ungraden“ Abonnementstage) besteht darin, daß heute eine Oper mit Herrn Beck sein muß, morgen eine mit Herrn Wachtel , dann eine, worin zugleich Frau Dustmann und Herr Ferenczy oder Fräulein Krauß und Herr Walter zu thun haben, u. s. f. Daß eine Oper um ihrer selbst willen gewählt wird, kommt nicht vor. Durch das ewige Ableiern derselben acht bis zehn Rollen werden natürlich die Künstler selbst verstimmt und arbeiten mechanisch. Der Hauptfehler der gegenwärtigen Leitung scheint uns darin zu liegen, daß die Di rection sich zum Beginn der Saison keinen wohlüberlegten, festen Plan macht, nach welchem sie dann consequent vorginge. Man fristet sich von einer Woche zur andern. Heute beginnt man mit dem Einstudiren dieser, morgen jener Oper, um beide wieder „aus Opportunitäts-Gründen“ zu Gunsten einer dritten oder auch keiner dritten fallen zu lassen. Gluck’s Aulische Iphigenia“ und „Armida“ sind seit einigen Jahren, Spontini’sVestalin“ seit mehreren Wochen ausgetheilt, und doch werden alle diese Opern nicht gegeben. Wir sind es müde, alljährlich neue Versprechungen zu lesen — „laßt uns endlich Thaten sehen“. Kommt endlich doch einmal eine Oper heraus, so fehlt die energische Hand eines Regisseurs, der durch technisches Wissen und eine reiche, allgemeine Bildung die nö thige Autorität ausübt. Selbst in der Hausdisciplin und dem technischen Dienst zeigt sich eine gewisse Respectlosigkeit vor der

Kunst; die Künstler (fremde namentlich) klagen über die Un ruhe und fortwährende Störung bei Proben und Vorstellun gen, Klagen, die man von Mitgliedern des Burgtheaters höchst selten vernehmen wird.

Rath- und sorglos läßt man die Ereignisse gegen sich herankommen. So werden, um nur ein Beispiel zu erwähnen, seit mehreren Jahren untauglich gewordene Choristen entlas sen, ohne daß man für den Ersatz derselben sorgt. Geschieht es dann einmal, daß einige der noch vorhandenen erkranken, dann kann man den Scandal erleben, die Chöre (wie jüngst im „Fliegenden Holländer“) ausgelacht zu hören, oder, wie kürzlich im zweiten Act des „Lohengrin,“ nur einen zweiten Tenor und einen ersten Baß auf der Bühne vorzufinden. Wird die Sache etwa doch zu auffällig, so wird der Trumpf „Opern schule“ ausgespielt, d. h. man verstärkt in einzelnen Vorstel lungen den Theaterchor durch die „Eleven.“ Abgesehen davon, daß diesen jungen Leuten eine ganz andere Bestimmung vor leuchtete, als ihre besten Lehrjahre mit dem Auswendiglernen von Opernchören und mit Theaterproben auszufüllen, ist diese Hilfe doch nur eine sehr vereinzelte und mitunter riskirte. So geschah es bei der letzten Vorstellung des „ Don Juan “ (zu Mozart’s Geburtsfeier), daß der alte Chor, gekränkt von der ihm octroyirten Nebenbuhlerschaft, stillschwieg, sobald der junge den Mund aufthat. Dieser aber, unsicher und in der Männerstimmen sehr unbedeutend, konnte des soliden Unter baues nicht entbehren, und so kam es denn, daß bei dieser „Festvorstellung mit doppelten Chören“ — zum erstenmal, seit das Haus steht — der Freiheitschor im ersten Finale ohne Applaus verpuffte. Die Lücken unseres Chorpersonals und andere mögen ihren Grund in einer an sich löblichen, aber oft mißverstandenen Eigenschaft Herrn Salvi’s haben: in seiner Sparsamkeit. „Wir brauchen gar keinen Baßbuffo,“ lautet die Antwort, wenn seit Hölzl’s Abgang um die Ausfüllung dieser empfindlichen Lücke petitionirt wird. Eine ähnliche Aus kunft soll Frl. Bettelheim gelegentlich ihrer (noch schwe benden) Contracts-Erneuerung erhalten haben, „die wenigen Alt partien lassen sich ganz gut mit Mezzo-Sopran besetzen.“ Das mögen sehr passende Grundsätze für den Principal einer rei senden Truppe sein, für den Director einer ersten Hofbühne nimmermehr. „Ein Theater-Director muß das Geld zum Fenster hinauswerfen, dann kommt es verdoppelt zur Thür wieder herein,“ äußerte einmal Herr Treumann gegen uns — und er befindet sich wohl dabei.

Durch den bevorstehenden Austritt Herrn Wachtel’s droht dem Hofoperntheater ein neuer, nicht geringer Verlust. Ob er es unter Herrn Salvi wirklich nicht habe „aushalten

können,“ haben wir nicht zu untersuchen, glauben aber, gestützt auf Wachtel’s Künstlerbiographie, daß er überhaupt sehr ge ringe Lust und Fähigkeit besitze, es mit irgend einer Direction „auszuhalten.“ Wachtel ist zum reisenden Virtuosen, zum singenden „Ehrenpassagier“ und „Mauernweiler“ geboren, nicht für den soliden Verband einer stehenden deutschen Oper. Trotz all seiner Schwächen und Fehler bleibt Wachtel eine durch außerordentliche Mittel hervorragende, glänzende Theatererschei nung. Wir sind nunmehr auf zwei erste Tenoristen angewiesen: auf Herrn Walter , dem man gerne Alles aufhalsen würde, obgleich sein Gestaltungsvermögen ein beschränktes ist, und Herrn Ferenczy , welchem man im Gegentheil kaum eine neue Rolle zuzutheilen wagt. So oft wir noch Herrn Ferenczy hörten, überkam uns eine Art Mitleid. Eine der schönsten Stimmen, von saftigstem, vollem Brustklang, eine schmucke Erschei nung, endlich ein rührender Fleiß und bescheidener guter Wille fechten hier einen schweren Kampf gegen die mangelnde musikalische Anlage und Ausbildung. Herr Ferenczy lernt ebenso schwer, wie er leicht vergißt, singt ebenso gern zu hoch, wie er zu tief singt. Das Bewußtsein dieses fundamentalen Mangels macht ihn ängstlich, so oft er die Scene betritt, sein Blick sucht immer den Tactstock des Capellmeisters und Hand und Fuß zucken in der Ver suchung, heimlich den Tact zu markiren. Das nimmt seinem Gesang alle Freiheit und damit jede lebendige Wirkung auf den Hörer.

Die Aussicht, Herrn Steger bald wieder zu besitzen, ent zückt uns sehr mäßig. Im allergünstigsten Fall wird er so viel Stimme mitbringen, als er zuletzt, vor mehreren Jahren, in Wien besessen, und das war sehr wenig. Und besaß Herr Steger noch irgend etwas außer seiner Stimme? — Daß ge rade Steger jetzt der Mann der Nothwendigkeit sein soll, will uns nicht einleuchten. Nebenbei wäre uns zur Abwechslung ein Sänger, der Deutsch kann und für die deutsche Oper ge bildet ist, wieder einmal recht angenehm. Unsere Oper wird bald unter den deutschen Bühnen eine Art ungarisch-croatische Hofkanzlei vorstellen. Während hier die deutsche Oper sich in tausend Verlegenheiten windet, reist Herr Salvi fleißig im Interesse seiner italienischen Engagements. Ebenso weisen die halbofficiellen Lob- und Vertheidigungs-Artikel stets auf die relativ guten Leistungen der verflossenen italienischen Saison hin. Diese wird uns bald ausführlicher beschäftigen. Heute wollen wir nur auf jenes officiöse Lieblingsmotiv ein- für allemal erwidern, daß selbst eine zehnmal bessere italienische Production in den zwei Frühlingsmonaten uns keinen, gar keinen Ersatz für all’ die Fehlgriffe und Unterlassungssünden bietet, welche durch zehn Monate in der deutschen Oper begangen werden.