Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse No. 152. Wien, Dienstag den 31. Januar 1865 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2023

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

No. 152. Wien, Dienstag den 31. Januar 1865 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 31.01.1865
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Concerte.

Ed. H. Unsere diesjährige Concertsaison charakterisirt ein auffallendes Zurücktreten der Virtuosen- und Einzel-Concerte hinter die großen cyclischen Productionen der Orchester- und Kammermusik. Sie spiegelt hierin im Kleinen nur den Cha rakter wieder, den das Concertwesen seit einem Decennium überhaupt angenommen hat, und der eben in jenem entschiede nen Vorherrschen der großen Formen und Gesammtmittel vor den Leistungen des Einzelnen besteht. Die Concerte haben eine größere Tiefe des Inhalts und Breite der Form gewonnen, und ersetzen durch diese Qualität reichlich, was sie an absoluter Menge einbüßen. Wurde doch diese oft erstaunliche Menge nur durch das Uebergewicht der Virtuosen-Concerte und jener kleinen Einzel-Productionen verursacht, welche, von wenig Nutzen für die Kunst, überdies durch ihre unruhige Beweglichkeit die Theilnahme an größeren, ernsten Kunstleistungen störend beein trächtigten. Nach längerer Pause sind jüngst zwei Concert geber aufgetreten, jeder mit einem einzigen Concert: der Sänger Reichardt und die Pianistin Hauffe . Es sind zwanzig Jahre her, seit Herr Alexander Reichardt am Hofopern theater engagirt war; nach seinem Austritt aus demselben be suchte er uns noch einmal (1850) als Liedersänger. Die Zeit, welche an Herrn Reichardt’s Aeußern fast spurlos vorüber gegangen ist, scheint ihre Rechte ausschließlich an seiner Stimme geltend zu machen. Diese Stimme, welche Kraft und Fülle niemals besessen hat, finden wir jetzt auch des Schmelzes und Wohllauts beraubt. Nur im Pianissimo und der geschickten Ver wendung des Falsetts klingt Reichardt’s Tenor noch einigermaßen angenehm; das mindeste Crescendo oder Forte genügt, um dessen eigenthümlichen Kehl- und Nasenlaut auf das unwillkommenste vor zudrängen. Herr Reichardt hatte sein Programm vorsichtig gewählt: auf dem Gebiete zärtlicher Lyrik und virtuoser Coloratur. Sein Liedervortrag ist nicht ohne Empfindung und Eleganz, wenn auch

mitunter, wie in Schubert’s „Neugierigen“, ans Süßliche und Manierirte streifend. Wirksamer erschien uns Reichardt’s an dere Specialität, die leichte, flüssige Coloratur, für welche ihn eine ungemeine Schmiegsamkeit der Kehle und günstige Ver bindung des Brustregisters mit der Kopfstimme vorzüglich be fähigen. Herr Reichardt glänzte mit seinem Passagenwerk in dem reichcolorirten Duett aus Rossini’sCenerentola,“ das er mit Fräulein Bettelheim vortrug. Die Fortschritte dieser begabten jungen Künstlerin in der Ausbildung des Mezzavoce und in der Coloratur sind uns dabei auf das angenehmste aufgefallen. Herr Reichardt wurde von dem Publicum sehr freundlich begrüßt und nach jeder Nummer gerufen. Von den sogenannten „Zwischennummern“ hörten wir Reinecke’s gra ziöses Impromptu (über ein Motiv aus Schumann’s Manfred“) für 2 Claviere. Die Schwestern Malwina und Caroline Tietz führten es mit ziemlich schwachem An schlag, aber so correct, sauber und zierlich durch, daß sie leb haftesten und wohlverdienten Beifall ernteten. Wenn jedes der beiden Mädchen für sich kaum bedeutende Wirkung zu erzielen vermag, so ist doch ihr überraschend präcises Zusammenspiel von bestem Effect, und sie thun wohl, sich hierin, nach dem Vorbilde der Schwestern Ferni , eine Specialität zu schaffen.

Den rühmlichen Erfolg Fräulein Hauffe’s im letzten philharmonischen Concert haben wir bereits gemeldet. Gerecht und vollständig konnte man diese Künstlerin jedoch erst in dem Concerte würdigen, das sie Samstag Abends im Musikvereins saal gab. Ihr Vortrag des Schumann ’schen Concerts bei den Philharmonikern ließ weder schöne Einzelheiten, noch tüchtige musikalische Bildung im Allgemeinen vermissen, aber er schien uns in den beiden ersten Sätzen beeinträchtigt durch eine allzu weichliche, in kleinen Accenten, Rallentandos und Smorzan dos sich wiegende Auffassung. Die künstlerische Verwandtschaft Louise Hauffe’s mit Clara Schumann, welche, durch physiogno mische Aehnlichkeit unterstützt, sich unwillkürlich aufdrängt und in Fräulein Hauffe’s Concert im besten Sinne sich bewährte, hielt gerade an jenem Mittag im Kärntnerthor-Theater nicht

Stich. Clara Schumann spielt das C-moll-Concert ihres Gatten vollständig im Tact, das „Andantino gracioso“ leb hafter, das Ganze mit jener gleichmäßig feinen und scharfen Rhythmik, die alles Verschwommene ausschließt. Der musika lische Charakter eines Stückes spricht sich keineswegs mit solcher Schärfe aus, daß der ausübende Künstler nicht Spielraum fände für seine eigenthümliche Auffassung, ohne jenen zu ver letzen. Clara Schumann nahm den ästhetischen Gehalt jener Composition vorzugsweise mit dem Geiste auf, Fräulein Hauffe überwiegend mit dem Gemüthe. Bei dem überwiegend zarten, weichen Charakter des Schumann’schen Stückes scheint uns letzteres wenigstens gefährlicher. Daß dieser leichte Schatten die Gesammtleistung keineswegs verdunkelte, bewies der reichliche Beifall, — daß er mehr in gefälliger Stimmung als in der eigentlichen Kunstanschauung Fräulein Hauffe’s seinen Grund hatte, ihr eigenes Concert. Hier leuchteten die reichen Vorzüge der Künstlerin ungetrübt im reinsten Licht. Die Schönheit ihres kraftvollen und bei aller Kraft doch weichen, gesangvollen Anschlags, die sichere, durchgebildete Technik, die richtige und feine Auffassung bei gewissenhafter Correctheit jedes Details wirkten zum erfreulichsten Bilde zu sammen. Bei Fräulein Hauffe’s Spiel hat man sofort die Empfindung, eine echt künstlerische, wahrhaft musikalische Natur vor sich zu haben, die ebenso fern von Koketterie und puppen hafter Dressur, als von genialthuender Nachlässigkeit steht. Fräulein Hauffe spielte Schumann’s E-dur-Quartett, Beethoven’s B-dur-Trio und die „Variations sérieusesvon Mendelssohn (ein Programm ohne jedwede gefallsüchtige Concession) durchaus vorzüglich. Nur die Variationen hätten wir etwas gemäßigter im Tempo gewünscht. Wir wiederholen dringend den Wunsch, daß bei Clavier- Productionen im Musikvereinssaal der Deckel des Pianos ganz ab genommen und nicht blos aufgestützt werde. In dieser hier üblichen Praxis wird der unter einem Winkel von 45 Graden geneigte Deckel zu einer Schallwand, welche die ganze Tonstärke ins Parterre wirft und die Zuhörer im Cercle auf den verdumpften und verschwommenen Hall reducirt. Frau Passy-

Cornet sang einige ihrer Vortragsweise sehr fernliegende Lieder von Schumann und die oft gehörte russische „Nachti gall,“ letztere mit vollständigem Erfolg. Den Ensemblestücken kam die treffliche Mitwirkung der Herren Hellmesberger , Dobihal und Röver zu statten. Fräulein Hauffe erfreute sich eines zahlreichen Auditoriums und einer Aufnahme, wie sie so schmeichelhaft seit lange kein Pianist hier gefunden.

Aus der Zahl der kleineren Productionen von halbpri vatem Charakter nennen wir die im Salon des Hofclavier machers Ehrbar stattfindenden Compagnie-Concerte der Her ren Kremser (Piano) und Hofmann (Violine), die sich vielen Beifalls erfreuen, dann das Concert der talentvollen Geschwister Sophie und Friedrich Raczek , deren bedeutende Fertigkeit auf der Violine Aufmunterung und Anerkennung verdient.

Die Quartettcyklen von Hellmesberger und von Laub nähern sich ihrem Ende. Beide Künstler scheinen ihrem Hörerkreise den Abschied recht schwer machen zu wollen. Laub sind wir für die Vorführung von Beethoven’s Quartetten opus 95 und 132 zu besonderem Dank verpflichtet. Cheru bini’s Es-dur-Quartett interessirt mehr als es erfreut und befriedigt. Cherubini’s vergöttertes Vorbild Haydn erscheint hier mit den Elementen einer neuern Romantik, der Quartett styl mit dem dramatischen in einer Mischung vereinigt, die nicht den Eindruck des Organischen, Ursprünglichen macht. Be müht, sein Bestes in einem seiner Nationalität und seinem Entwicklungsgang fremden Genre zu geben, fühlt sich Cheru bini trotzdem durch diese Form genirt. Die lange Ausdehnung der Sätze, besonders des Adagio, spricht hier eher für als gegen diese Vermuthung. Laub dürfte das Werk wahrschein lich des Scherzo halber gewählt haben, das er und seine drei Genossen mit wahrhaft glänzender Bravour vortrugen und auf Verlangen wiederholten. Fräulein Marie Geisler spielte mit Laub eine Mozart ’sche Sonate. Kein glücklicher Gedanke war es, dies Stück statt des versprochenen D-moll-

Trio’s von Schumann einzuschieben, hört es sich doch in seiner planen, spielseligen Weise gar zu veraltet an. Der Virtuosität bietet diese Hausmusik überdies nicht die geringste Aufgabe. Fräulein Geisler konnte demnach nur eine klare, correcte Auffassung und einige Passagen-Geläufigkeit zeigen; dies that sie redlich. Auch mit Hellmesberger möchten wir schmollen, daß er uns statt des versprochenen neuen Clavierquartetts von Rubinstein dessen oftgehörtes B-dur-Trio gab. Das neue Quartett wurde in verschiedenen Städten mit großem Beifall gege ben, und falls es diesen Beifall nicht verdiente oder in Wien nicht fände, so kann man die Verantwortung ruhig dem Componisten aufbür den. Rubinstein’s Ruf und unsere Armuth an Novitäten sind dafür wol groß genug. Lobende Erwähnung verdient Herrn Derffel’s sehr beifällig aufgenommener Vortrag der Schu bert’schen A-moll Sonate in Hellmesberger’s siebenter Soirée. An diesem Abend hörten wir auch ein älteres Streichquartett von Herbeck , das zum erstenmal von derselben Gesellschaft im Jahre 1857 vorgeführt worden ist. Wir können uns kurz auf dasjenige berufen, was wir damals zum Lobe dieser geist reichen charakteristischen Composition ausgesprochen. Herbeck’s Quartett hat (besonders in den zwei mittleren Sätzen) wahr haft bedeutende Partien, gegen welche einige raffinirte Stellen, die vielleicht aus Herbeck’s anhaltender Beschäftigung mit Beethoven’s letzten Quartetten zu erklären sind, wenig in Be tracht kommen. Das Quartett, ganz meisterhaft gespielt, fand verdiente Anerkennung. Hoffentlich hören wir Herbeck’s neues Quartett, das ursprünglich angesagt war, im nächsten Winter. Die Last von musikalischer Beschäftigung, welche auf dem für das Wiener Musikleben so rastlos thätigen Componisten ruht, hat ihn an dem letzten Abschluß des Werkes gehindert. Wäre es nicht grausam, ihm noch einen größeren Wirkungs kreis zuzumuthen? Und dennoch haben wir einen derartigen Wunsch. Er betrifft die Leitung der Kirchenmusik in der Hof burgcapelle. Herbeck ist bekanntlich durch die Gnade des Kaisers zum Vice-Hof-Capellmeister ernannt, aber so viel wir

wissen, ist sein Einfluß auf die Hofcapelle ein sehr unter geordneter und zufälliger. Nun scheint uns dieses mit den besten Kräften ausgestattete Institut bezüglich seiner kirchlichen Aufgabe einer Reform in echt künstlerischem Geist bedürftig. Bekanntlich ge noß die Kirchenmusik in der Burgcapelle stets einen so ausge zeichneten Ruf, daß jeder in Wien angekommene musikalische Fremde sich zuerst dahin führen ließ. Diesen Liebesdienst er wiesen wir vor Kurzem auch einem musikkundigen Reisenden. Wer schildert dessen Erstaunen, als er daselbst eine Messe mit sentimentalen Flügelhorn-Solos hörte! Unseres Wissens ist dies profane Instrument, der Liebling Verdi’s und der Re giments-Capellmeister, bisher in keine deutsche Kirche gekommen, am wenigsten in die kaiserliche Burgcapelle. Die Hauptrolle in dem Repertoir der letzteren scheinen jene äußerst weltlichen Compositionen zu spielen, welche bei den hiesigen Musikern unter dem schelmischen Titel „Eisenbahnmessen“ bekannt sind, da ihr Verfasser sie auf seinen täglichen Sommerfahrten zwi schen Baden und Wien zu schreiben pflegt. Zwischen Baden und Mödling soll gewöhnlich ein Satz, zwischen Mödling und Hetzendorf ein zweiter fertig werden, besonders boshafte Leute behaupten sogar, der Componist habe eine eigene Kyrie-Sta tion, eine Credo-Station u. s. w. Dies halten wir jedoch für eine neidische Erfindung schwerfälligerer Tonsetzer. Keine Er findung ist aber die Geschichte mit dem Flügelhorn und der von unsern witzigen Orchestermitgliedern erfundene neue Gat tungsbegriff „Cavalleriemessen“. Hof-Capellmeister Herbeck hat durch längeren praktischen Kirchendienst, durch mehrere sehr gediegene Kirchen-Compositionen, endlich durch die besten Ora torien-Aufführungen, deren sich Wien rühmen kann, seinen Beruf dargethan, große kirchliche Aufgaben in echt künstleri schem Geist zu lösen. Möge es ihm gelingen, diese Kraft auch in voller Freiheit zum Frommen der Hofburgcapelle bewäh ren zu dürfen.