Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse No. 180. Wien, Dienstag den 28. Februar 1865 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2023

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

No. 180. Wien, Dienstag den 28. Februar 1865 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 28.02.1865
font-style:italic; font-weight:bold; Deutsch Transkribus OCR und Lektorat. Transformierung der Daten des Transkribus TEI-Export mit "editions.xsl". Daten, Orte, Personen, Werke ediert. Letztkorrektur für Zwischenrelease.
Hofoperntheater. (Fräulein Stehle als Gretchen. — „Der Prophet.“ — Die lustigen Weiber von Windsor.)

Ed. H. Es ist etwa vier Jahre her, daß ein junges Mädchen, welches eben seine Lehrzeit in einem Pensionat zu Augsburg vollendet hatte, zu den Eltern heimkehren sollte. Ein langgenährter, übermächtiger Drang zur Bühne ließ aber die Kleine den Heimweg nicht sofort antreten. Jetzt oder nie mußte sich ihr Herzenswunsch, Sängerin zu werden, entscheiden, ein Wunsch, dem die Einsprache der Eltern entgegenstand. Das Mädchen fuhr heimlich nach München und suchte den ihr gänzlich unbekannten General-Musikdirector Lachner auf, da mit sein Ausspruch über ihr Talent und ihre Zukunft entschei den möge. Der vielgeplagte Mann mag sich mit einiger Re signation ans Clavier gesetzt haben, allein mit einem Freuden ruf stand er auf, nachdem er die Fremde gehört. Sophie Stehle , so hieß das Mädchen, erhielt von Meister Lachner nicht blos die Bestätigung eines ungewöhnlichen Talentes, son dern auch sogleich einen Engagements-Antrag zum Münchener Hofoperntheater. Die Zustimmung der Eltern ließ unter sol chen Verhältnissen nicht auf sich warten, und das junge Mäd chen, das nie zuvor eine Bühne betreten hatte, war Prima donna in München. Ihr einziger Gesangslehrer war eine junge Dame in Augsburg gewesen, die, von einem berühmten Sing meister gebildet, selbst einer bedeutenden Theaterlaufbahn ent gegenging, als eine unglückliche Entstellung durch Brandwun den sie davon abschnitt. Sophie Stehle hatte bald eine Reihe lyrischer Partien studirt und eroberte, ohne sich durch die nie dern Weihen der „Vertrauten“ „Brautjungfern“ u. dgl. durch arbeiten zu müssen, gleich als Pamina, Zerline, Cherubim, Emme

line, Benjamin, die Herzen der Münchner. Ihre Beliebtheit wuchs plötzlich zur Berühmtheit, als die junge Sängerin Gounodʼs Margarethe“ in München auf die Bühne brachte und mit ungemeinem Erfolge sang.

In dieser Rolle trat auch Frl. Stehle am verflossenen Dienstag zum erstenmal vor das Wiener Publicum. Das ge drängt volle Haus, das dem Gaste mit Spannung entgegensah, schien gleichwol nicht gesonnen, die Ekstase des bairischen Pa triotismus auf guten Glauben hinzunehmen. Keine Hand rührte sich zum Willkomm, keine Hand nach der Begegnung im zwei ten Act, selbst der „König von Thule“ fand nur ein Echo freund lich murmelnder Zustimmung. Nun folgte die Scene mit dem Schmuck, das Garten-Quartett, das Liebes-Duett mit Faust, und auf diesen drei Stufen schwang sich die junge Künstlerin in dreimaligem immer höheren Flug zu so glänzender Wir kung auf, daß mit dem Schluß des Actes einer der großar tigsten und echtesten Erfolge errungen war, deren eine deutsche Sängerin sich hier rühmen kann. Und was war es, das mit so elektrischer Schnelligkeit und Gewalt durch die Reihen zuckte? Die in jedem Hörer mit fehlloser Sicherheit aufsteigende Em pfindung, hier keine gedrillte Opernpuppe vor sich zu haben, sondern ein Talent von Gottes Gnaden, „eine Natur“, wie Goethe gesagt hätte. Man sah die junge Sängerin von ihrer Aufgabe erfüllt und begeistert und in dem dargestellten Charakter vollständig aufgehen. Kein Ton, kein Wort, das nicht aus tiefem Herzensgrund emporquoll, keine Bewegung, die nicht — im Geist und im Gemüth der Künstlerin ausge reift — mit der überzeugenden Kraft des Erlebnisses hervor brach. Eine große Gesangskünstlerin wird kaum Jemand in Frl. Stehle erblickt haben, obwol die nach so kurzer und we sentlich autodidaktischer Thätigkeit von ihr erreichte Stufe die Wahrscheinlichkeit eines weiteren, raschen Fortschreitens anneh

men läßt. Mit der letzten Ausbildung der Gesangstechnik hat es bei unsern Landsmänninnen überhaupt ein zweifelhaft Be wenden. Von deutschen Sängerinnen haben vielleicht nur Ger trud Schmehling (Mara) im vorigen und Henriette Sonn tag in diesem Jahrhundert an die Höhe großer italienischer Künstlerinnen gereicht. Mein persönliches Erleben reicht nicht so weit hinauf, daß ich mich einer deutschen Sängerin von der ausgebildeten Gesangstechnik einer Viardot, Artôt, Alboni, Tre belli, Patti etc. entsinnen könnte. Hatte doch selbst das moderne Ideal einer deutschen Sängerin, die Schröder-Devrient , keineswegs über eine vollkommene Gesangstechnik zu verfügen. Es ist hier nicht der Ort, abzuwägen, wie viel die physiologi schen Grundlagen, wie viel der Charakter unserer Sprache und Musik, wie viel endlich unser zerfahrener, unsicher experimen tirender Gesangsunterricht an dieser Erscheinung Schuld trägt. Wenn wir einen allgemeinen nationalen Charakterzug deutscher Sänger darin erblicken, mehr durch tiefe Empfindung und dra matische Charakteristik, als durch vollendete Stimmbildung und Virtuosität zu wirken, so seien damit keineswegs diese Schwä chen an Frl. Stehle beschönigt, die ja ihre namhaftesten deut schen Colleginnen in der Gesangskunst noch nicht erreicht — nur unberechtigte Maßstabe wünschten wir damit zu beseitigen. Frl. Stehleʼs Gesang bewegt sich in zierlichen, colorirten Gängen etwas schwer und ungleich (was allerdings nicht von dem sehr hübschen Triller gilt, ihre Cantilene ist nicht frei von dem Hinüberziehen oder Schleifen der Töne.

Noch dringender möchten wir Fräulein Stehle auf ein Drittes aufmerksam machen, auf die geringe Schattirung und Modulation ihrer Stimme. Der Tonstrom fließt bei ihr fast ununterbrochen in gleicher Fülle und Farbe: eine kräftig schöne Fülle und Farbe, aber doch eine und dieselbe. Durch mannig faltigere Schattirung des Klangs, durch häufigere Verwendung

des Mezza-voce und Pianissimo würde die sinnliche Schön heit und die Ausdrucksfähigkeit dieses köstlichen Materials noch um Eins so mächtig wirken.

Die Stimme Fräulein Stehleʼs ist ein weicher, vol ler, jugendlich kräftiger Sopran, dessen dunkler, an manche Altstimmen erinnernde Timbre etwas eigenthümlich Gewinnen des, Ueberzeugendes hat. Bis ins hohe a etwa ist die Stimme gleichmäßig, leicht ansprechend und entwickelt, höher hinauf er heischt sie einige Anstrengung. Doch weiß Fräulein Stehle auch da vollständig durchzudringen, wenn es noththut, wie die mit voller Kraft gesungene Kerkerscene im 5. Act bewies. Von unschätzbarem Werth ist Fräulein Stehleʼs correcte, in jeder Silbe deutliche Aussprache, ein Vorzug, den wir in sol cher Ausbildung kaum bei einer anderen deutschen Sängerin antrafen. Die eigentliche Seele ihrer Kunst, den tiefempfun denen, warmen Vortrag Fräulein Stehleʼs, haben wir bereits eingangs nach Gebühr hervorgehoben. Hand in Hand mit dieser siegreichen Beredsamkeit ihres musikalischen Vortrags geht eine schauspielerische Begabung und Entwicklung, wie sie bei Opernsängern nur äußerst selten vorkommt. Man kann nicht behaupten, daß Fräulein Stehle durch ihre Gesichtszüge gerade für dramatische Wirkungen begünstigt sei, eher findet sie an der starken Musculatur der Wangen einigen Widerstand. Es gibt hagere Gesichter und hagere Stimmen, die, ohne schön zu sein, dem dramatischen Ausdruck durch ihre Beweg lichkeit ungemein entgegenkommen, jeden inneren Vorgang wie durch einen dünnen Schleier durchschimmern, jede Empfindung sofort an die Oberfläche treten lassen.

Fräulein Stehle , deren ganze Erscheinung allerdings im Thau der Jugend schimmert, ist in ihren physiognomischen Wirkungen fast ausschließlich auf ein lebhaft sprechendes Auge und einen freundlichen kleinen Mund angewiesen. Und dennoch fesselt sie durch Spiel und Mimik nicht weniger als durch

ihren Gesang. Wir haben es hier nicht blos mit schönen Ein zelheiten zu thun: der ganze Charakter Gretchenʼs war aus Einem Guß, die etwas realistische, mitunter genrehafte Auf fassung vollkommen am Platz und von lebensfrischer Wahrheit.

Am hervorragendsten dünkten uns, wenn wir die Einzel heiten doch nennen sollen, die Scenen im Garten und im Kerker. Vor Valentinʼs Leiche schien uns Fräulein Stehle et was zu viel zu spielen, eine Gefahr, vor welcher wir die geistreiche Darstellerin beizeiten warnen möchten. Wenn einer unserer kritischen Collegen die erste Begegnung minder gelun gen fand und ihm überhaupt kein „Gretchen“ hierin noch ganz genügen konnte, so darf man wol nur unter Hervorhe bung des mehr als „mildernden“ Umstandes zustimmen, wel cher in der eigentlichen Schwierigkeit dieser Scene liegt. Wäh rend im recitirenden Drama Faustʼs Ansprache und Gretchenʼs Erwiderung einander Schlag auf Schlag folgen, muß in der Oper Gretchen durch volle zehn Tacte Andante stille stehen, ehe sie ihre gleichfalls sehr zögernde Antwort beginnen kann. Gerade diesen Moment in so langer musikalischer Dehnung vollkommen passend und im Geiste der Goetheʼschen Scene auszufüllen, dünkt uns eine Aufgabe, die der größten Schau spielerin zu schaffen gäbe.

Ueberblicken wir schließlich Fräulein Stehleʼs Leistung in ihrem Totaleindruck, so sehen wir die Schöpfung eines be deutenden ursprünglichen Talents vor uns, in welchem jugend liche Begeisterung mit durchdringender Reflexion, reiche, wenn gleich nicht völlig ausgebildete Naturmittel mit Geist und Empfindung sich zu unmittelbar ergreifender Wirkung ver einigen. Wie diese einzelne Leistung sich zu Fräulein Stehleʼs ganzer Kunstsphäre verhalte, können wir natürlich noch nicht wissen, und mehr als vorschnell wäre es, über die Bedeutung dieser Künstlerin ein letztes Wort aussprechen zu wollen, nach dem uns kaum das erste Wort vergönnt ist. Wir haben des

halb, in steter Erwartung einer zweiten Rolle Fräulein Stehleʼs, diesen Bericht so lange hinausgeschoben. Es scheint aber leider in dem Räderwerk unseres Opernmechanismus wieder stark zu stocken, sonst hätten nach dem glänzenden Er folg ihres ersten Auftretens unmöglich volle vier Tage bis zu dem zweiten und gar zehn Tage zwischen der ersten und der zweiten Rolle Fräulein Stehleʼs verfließen können.

Ein zweites theatralisches Ereigniß der verflossenen Woche war Fräulein Bettelheimʼs Auftreten als „Fides“ im Propheten“. Fräulein Bettelheim , eines der glänzendsten Talente unseres Operntheaters, zugleich dessen kräftigste, frischeste Frauenstimme, hat sich in wenigen Jahren von den ersten Anfängen zur anerkannten Künstlerin, zu einem der ersten und unentbehrlichsten Mitglieder des Instituts aufge schwungen. Bisher in das enge Repertoire reiner Alt-Partien eingedämmt, fand Fräulein Bettelheim im „Propheten“ zum erstenmal Gelegenheit, eine dramatische Partie von größter Ausdehnung und Bedeutung zu singen. Die jugendliche Künst lerin ist den hohen dramatischen und musikalischen Anfor derungen der „Fides“ in überraschender Weise gerecht worden. Meyerbeer setzte die Rolle bekanntlich für eine Stimme so ungewöhnlichen Umfangs, daß man meistens nur die Wahl hat, sie mit einer kräftigen Höhe und matter, verblasener Tiefe zu hören, oder umgekehrt — unten rund und oben spitz. Bei Fräulein Bettelheim klangen die tiefen und mittleren Chorden schöner, als wir sie je gehört, die in die hohe Sopran lage hinaufreichenden Töne wurden zwar mit einiger An spannung und nicht mit der unvergleichlichen Resonanz der tiefern Töne, dennoch aber mit Kraft und Sicherheit ange schlagen. Fräulein Bettelheim sang die Partie ohne irgend welche Abänderung, bewies somit vollauf, daß ihre Stimme sich auch weit über die eigentliche Alt-Region aufzuschwingen und die Anstrengung größter Rollen auszuhalten vermöge.

Die Frage, ob ein solches Heraustreten aus der Stimmlage nicht mit der Zeit schädlichen Einfluß gewinnen könne, hat mit dem Verdienst der jüngsten Leistung Fräulein Bettelheimʼs nichts zu schaffen. Ganz unerwähnt kann diese Gefahr nicht lassen, wer aufrichtigen Antheil an Frl. Bettelheimʼs Zukunft nimmt. Die Natur übt in ihrem musikalischen Haushalt eine unerbitt liche Oekonomie, was sie an einem Ende sich abtrotzen läßt, das raubt sie dafür an dem andern. Altstimmen, die sich zu Sopranen, Bassisten, die sich zu hohen Baritons hinauftreiben, verlieren die Kraft und Schönheit ihrer tiefen, mitunter auch der ganzen Stimme. Wir erinnern an die Stimme Francilla Pixisʼ, Johanna Wagnerʼs, Staudiglʼs und „die unzäh ligen Andern, die ihren Tod in gleichem Wagstück fanden.“ Wir können sogar die Meinung nicht verhehlen, daß, seit unser trefflicher Bassist Schmid mit Leichtigkeit das hohe Fis (in den „Hugenotten“ sogar das G) anschlägt, seine tiefen Töne nicht mehr ganz in jenem wunderbaren, ehernen Metall er dröhnen, das ihnen früher eigen war. Was Frl. Bettelheim betrifft, so weiß sie dies Alles ebenso gut wie wir, und wird gewiß keinen andern als den zweckmäßigsten und vernünftigsten Weg einschlagen.

In dieser Zuversicht können wir uns daher des großen und verdienten Erfolges als „Fides“ unbeirrt erfreuen. In der letzten Vorstellung des „Propheten“ waren noch zwei Rol len neu besetzt. Herr Rokitansky gab den Grafen Ober thal in Spiel und Gesang ganz vortrefflich; in dem Terzett des dritten Actes kam sein guter Triller ihm vortheilhaft zu statten. Weniger erbaut waren wir von Herrn Dalfyʼs Jonas.“ Herr Campe der frühere Darsteller dieses inter essanten Schlingels, durchschnitt mit dem Zinkenton seiner schar fen Tenorstimme die Ensembles (und nur in Ensemblestücken hat Jonas mitzuwirken) weit kräftiger und wußte über haupt die ganze Figur charakteristischer hinzustellen. Das zahl

reich versammelte Publicum nahm die Vorstellung — so viel von derselben bei der überlauten Conversation in den Logen der linken Seite zu hören war — mit großer Befriedigung auf.

Die Wiederaufnahme von Nicolaiʼs komischer Oper: Die lustigen Weiber von Windsor“, mit theilweise neuer Be setzung, schien dem Publicum viel Vergnügen zu machen. In der That sollte man dies, trotz allʼ seiner Schwächen liebens würdige Werk niemals völlig vom Repertoire verschwinden lassen. Der Dichter des Stückes, Mosenthal , hat hier auf dem unverwüstlichen Grund der Shakespeare ʼschen Fabel ein Textbuch geliefert, das in der Literatur der deutschen komischen Oper äußerst wenige Rivalen hat. Der Componist, Otto Nicolai , gab seinerseits diesem letzten Werk den eigen thümlichsten und freiesten Aufschwung, dessen sein feines, aber unselbstständiges Talent überhaupt fähig war. Die Ouverture, das erste Frauenduett, das Duett zwischen Falstaff und Herrn Bach“, die Elfenmusik im letzten Finale sind allerliebste Musikstücke, vieler geistreicher, anmuthiger Einzelheiten gar nicht zu gedenken. Wir hören die Oper niemals ohne Ver gnügen, und doch auch niemals ohne Bedauern. Letzteres gilt der unseligen Zersplitterung und Zerfahrenheit von Nico laiʼs Talent, das bei einiger Concentration so Erfreuliches, ja seiner Sphäre Bedeutendes hätte leisten können. Da aber Nicolai seine Erfolge in ehrgeiziger Hast auf den verschieden artigsten Wegen suchte, heute Kirchen- und morgen Theater musik schrieb, heute italienische Opern, morgen deutsche, heute Tragisches, morgen Komisches, konnte er in allen diesen Fächern es nur zu glücklichen Anfängen und Einzelheiten, in keinem zu etwas Ganzem und Vollkommenem bringen. In den „lusti gen Weibern“, herrscht ein Durcheinander aller Style und Geschmacksrichtungen, eine Ungleichheit in dem Werth der ein zelnen Nummern und der Art der Ausarbeitungen, die höch stens bei dem (weit trivialeren) Flotow ein Seitenstück fin

det. Manche Nummern der „lustigen Weiber“ beginnen in echt deutscher, mitunter ganz Mozartʼscher Weise, um alsbald einem wälschen Opernsatz, einer französischen Romanze, oder auch einer Polka Platz zu machen. Die Stimmen Spohrʼs und Verdiʼs, Weberʼs und Auberʼs, Lortzingʼs und Donizettiʼs ertönen bunt durcheinander.

Wie konnte derselbe Mann, der in der Ouverture eine so feine Instrumentirungskunst entwickelt, in der Oper selbst jeden Augenblick den rohesten Lärm begehen, mit Posaunen und großer Trommel die Stimmen decken und den eigent lichen Lustspielton vernichten? Wie vermochte der Componist des trefflichen ersten Frauenduetts unmittelbar darauf die matte, triviale Arie der Frau Fluth folgen zu lassen? Einige mal sinkt Nicolai aus feiger Gefallsucht so tief (z. B. in dem Liebesduett mit obligatem Violinconcert), daß sein unberufe ner Mitarbeiter, Herr Proch , ihn förmlich mit der Hand erreicht.

Frau Dustmann sang die „Frau Fluth“ äußerst sorg fältig und spielte mit einer frischen Laune, die bei einer stets in ernsten Partien beschäftigten Künstlerin auf das ange nehmste überraschte. Der lebhafte Beifall, den Frau Dust mann fand, war um so ehrenvoller, als „Frau Fluth“ be kanntlich zu den beliebtesten Rollen der Wildauer gehörte. Wir sind nach diesem glücklichen Versuch überzeugt, daß mehr als Eine Rolle aus Fräulein Wildauerʼs Repertoire in Frau Dustmann eine sehr gute Repräsentantin finden würde. Fräu lein Tellheim gab zum erstenmale die kleine, überdies noch zusammengestrichene Rolle der „süßen Anna“; wir können nicht viel mehr von ihr melden, als daß sie sehr hübsch aus sah. Die vorzüglichen Leistungen der Herren Schmid und Mayerhofer , dann Fräulein Bettelheim ʼs sind bekannt.