Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse No. 207. Wien, Dienstag den 28. März 1865 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2023

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

No. 207. Wien, Dienstag den 28. März 1865 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 28.03.1865
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Concerte.

Ed. H. Der „Akademische Gesangverein“ hatte die glückliche Idee, uns in seinem sehr zahlreich besuchten Concert nicht blos eine umfangreiche neue Composition, son dern zugleich einen neuen Componisten leibhaftig vorzuführen. Scenen aus der Frithjofssage“ heißt die Tondichtung und Max Bruch der Componist. Als Jüngling mit dem Preis der Frankfurter „Mozart-Stiftung“ gekrönt, wurde Bruch zur weiteren Ausbildung Ferdinand Hiller in Köln anvertraut. Nachdem er sich mit einigen kleineren Compositionen hervor gethan, glückte es ihm, die Erlaubniß Em. Geibel’s zur Composition der „Loreley“ zu erhalten. Geibel , der diesen Operntext bekanntlich für Mendelssohn-Bartholdy gedichtet und in großer Furcht vor schlechten Componisten sorgsam ge hütet hatte, gab diesem jüngsten Bewerber um seine Loreley Gehör. Sein Vertrauen ward nicht getäuscht, denn wo Bruch’s Oper bisher gegeben wurde (in Mannheim, Köln, Hamburg etc.), erwarb sie sich nebst der unbedingten Achtung der Kritik den lebhaftesten Beifall des Publicums. Seither erschienen von Max Bruch ein „Gesang der heiligen 3 Könige“ und eine Flucht der heiligen Familie“ (beides wirksame Concertnum mern), ferner „Zehn Lieder“ und eine sehr hübsche Bearbei tung von „12 schottischen Liedern“ für eine Singstimme. Aus allen diesen Compositionen (sie sind größtentheils in dem trefflichen Verlage C. Sander’s in Breslau erschienen) sprach ein feingeartetes Talent, das, in edler, ernster Richtung fort strebend, bereits eine seltene Herrschaft über die musikalischen Formen und Mittel übte. In den „Frithjofsscenen“ für Soli, Männerchor und Orchester bekamen wir nun das neueste und

nach allgemeinem Urtheil beste Werk des jungen Componisten selbst zu hören.

Es sind sechs Stücke aus Esaias Tegner’s bekanntem Gedicht, die dramatischen Hauptmomente der Erzählung. (1. Frithjof’s Heimfahrt. 2. Ingeborg’s Brautzug. 3. Der Tempelbrand. 4. Frithjof’s Abschied von Nordland. 5. Inge borg’s Klage. 6. Frithjof auf der See.) Die Composition ge hört jener Form und Ausdrucksweise an, die unter Mendels sohn’schem Einfluß Schumann in seinen Chorballaden, Hil ler in der „Loreley“, Gade in „Erlkönigs Tochter“ ausge bildet haben. Namentlich den beiden Letzteren ist Bruch mu sikalisch nahe verwandt. Er hat ein feines Verständniß für alle Wendungen seines Gedichts und weiß für jede Situation charakteristische und wirksame, wenn auch nicht immer eigen thümliche Klänge zu finden. Sein Ohr prüft wählerisch und stößt schlechterdings alles Rohe und Triviale von sich, seine Hand formt und feilt auf das sorgsamste. Der Charakter der Musik ist durchwegs deutsch, nicht sowol in dem urkräftigen Sinn Beethoven’s als in dem zarteren, weichlicheren der Mendelssohn’schen Schule. Der durchaus wohlgefügte Bau neigt mehr zu bequemer Breite, als zu straffer Concentration. Ueberall zeigt sich große Formgewandtheit, Sicherheit und ge naue Kenntniß des musikalischen Effects. Die sinnliche Wir kung ist nicht verschmäht, weder die der überraschenden Klang mischung, noch die derbere der Schallkraft, überall erscheint sie jedoch gerechtfertigt durch den musikalischen und den dra matischen Zusammenhang. Im Ganzen empfangen wir aus Bruch’s Musik mehr den Eindruck einer feinen und gründli chen Bildung, als den einer kräftigen, eigenthümlichen Indi vidualität.

Bruch behandelt den „Frithjof“ in Form und Färbung durchaus dramatisch, selbst in den rein lyrischen Scenen wird

der ruhige Fluß der Empfindung häufig unterbrochen. Dies Untertauchen der Lyrik in die Unruhe des Dramatischen fin det in den „Frithjofsscenen“ ihren formalen Ausdruck, ins besondere in jener zwischen Recitativ und Arioso schwanken den Melodienbildung, die wir aus Schumann’s Balladen und noch markirter aus R. Wagner’s Opern kennen. Wir ge stehen, nur an einem sehr sparsamen Gebrauch dieser Misch form Gefallen zu finden; lange fortgesetzt, verfällt sie unleid licher Monotonie und macht den Hörer, der nach abgeschlos senen Melodien, nach wirklichen Themen verlangt, unruhig. Hierin liegt das einzige wesentliche Bedenken, das wir gegen Bruch’s Composition auszusprechen haben. Wo dieser schwan kende Gesangstyl, das uferlose Melodisiren ohne eigentliche Melodie, festeren musikalischen Gebilden Platz macht, da bie ten uns die „Frithjofsscenen“ die meiste Befriedigung. Da hin gehört vor Allem Ingeborg’s erster Gesang auf dem cha rakteristischen Hintergrund des düstern Hochzeitsmarsches, dann die ausdrucksvollen ersten Strophen von „Ingeborg’s Klagen.“ Der „Tempelbrand“ ist von einschlagendem Effect, werthvoller scheint uns trotzdem der kurze einleitende Priesterchor in Es-moll. Den Chorsatz für Männerstimmen behandelt Bruch vortrefflich, mit großer Vorliebe verwendet er nach Mendels sohn’s Vorbild in der „Antigone“ das Unisono der Stimmen in vorwiegend recitativischen Gängen. Ein tieferes Eingehen ins Einzelne müssen wir uns für heute versagen und betonen nur noch die Einheit des Styls und der Stimmung, welche die wechselvolle Scenenreihe zu einem wahrhaften Ganzen zu sammenfaßt. Das Publicum nahm die Novität äußerst günstig auf und zeichnete nach jeder Nummer den Componisten und die Mitwirkenden aus. Ein großes Verdienst an dem Erfolge hatte Frau Dustmann , welche — vortrefflich bei Stimme — den Part der „Ingeborg“ sehr ausdrucksvoll sang. Das Au

ditorium fand in dieser Leistung einen neuen Anlaß, sich über das nun entschiedene Verbleiben der geschätzten Künstlerin am Hofoperntheater zu freuen. Herrn Hrabanek’sFrithjofbesaß die gebührende nordische Kraft, der wir nur etwas mehr Mäßigung und Schattirung gewünscht hätten. Das Orchester des Hofoperntheaters mit Herrn Hellmesberger als Solo spieler und der akademische Gesangverein wirkten redlich zu sammen, um Herrn Bruch (der sein Werk selbst dirigirte) zu einem erfolgreichen Debut in Wien zu verhelfen.

Die andere, aus vier Chören bestehende Abtheilung des Concertes leitete der tüchtige Chormeister des Vereins, Herr Weinwurm . Lachner’sSturmesmythe“, die wir bereits aus den Concerten des Männergesang-Vereins (1862) kennen, hat uns diesmal ebensowenig als damals erbaut. Schon die Wahl des Lenau’schen Gedichts dünkt uns unglücklich; eine bildertriefende, unnatürlich reflectirende Personification der Wolken als weinende Töchter der eingeschlummerten Mutter, des Meeres nämlich. Dazu nun eine höchst anspruchsvolle und dennoch sehr dürftige Musik. Nicht hervorragend, aber recht stimmungsvoll ist C. M. Weber’sSchlummerliedüber Verse von Castelli . Wir hoffen, daß nicht auf jedes schlechte Gedicht verstorbener Poeten eine entsprechende Ver längerung des Fegefeuers gesetzt ist. Das „Schlummerliedwurde mit hübscher Schattirung vorgetragen, das „altfran zösische Weihnachtslied“ hingegen etwas schleppend. Den Schluß der Abtheilung und ihren größten Treffer machte Engelsberg’s anmuthiges und melodienfrisches „Pagenliedaus Shakespeare’sWie es euch gefällt.“ „Wie es ihnen gefiel,“ gaben die Hörer durch anhaltenden da capo Ruf zu erkennen, dem auch bereitwillig Folge geleistet wurde.

Das Programm des „vierten Gesellschafts-Con certs“ war interessant in jeder Nummer, wenn auch nicht

in jeder erfolgreich. Berlioz ’ Ouverture zu „König Lear“, op. 4 (seit des Componisten Anwesenheit hier nicht wieder gehört), fesselte durch einen Zug von Großartigkeit und Pathos, welcher mitunter an Beethoven erinnert. Leise rührende Kla gen und grelle Verzweiflungsrufe sprechen hier mit ergreifen der Wahrheit zum Hörer. Das Ganze wirkt trotzdem mehr befremdend und beunruhigend, als ästhetisch erfreulich und erhebend.

Wie in den meisten, insbesondere den frühesten Werken Berlioz’, liegt auch im „Lear“ Erzwungenes, Leeres und selbst Triviales dicht neben den gewaltigsten Impulsen; ein leiden schaftlich bewegtes inneres Leben bringt es zu erschütternden Ausrufen, aber zu keiner zusammenhängenden Sprache. Trotz aller von Herbeck darauf verwendeten Mühe war das Or chester dieser schwierigen Aufgabe nicht vollständig gewachsen.

Es folgte die „Kamarinskaja“ von Glinka , das erste Werk dieses Componisten, das überhaupt hier zur Aufführung gekommen. Michael v. Glinka (geb. 1804, † 1857) ist bekanntlich der erste Tonsetzer, der eine national-russische Oper geschrieben („Das Leben für den Czar“), die das ganze ge bildete Rußland in nachhaltiges Entzücken versetzte. Glinka war unstreitig ein bedeutendes Talent, das, musikalisch durch und durch impregnirt mit den Nationalweisen seines Volks, auf diesem Wege originell wurde. Das Wenige, was wir von Glinka kennen, zusammengehalten mit dem ganzen un stäten Lebenslauf dieses reichen Cavaliers, berechtigt indeß zu der Annahme, daß sein Talent einen starken Rest von Dilet tantismus nie gänzlich überwunden habe. Die „Kamarins kaja“ ist eine Orchester-Phantasie über zwei russische Volks weisen (Hochzeitslied und Kosakentanz). Einige sehr hübsche Contrapunktirungen dieser Themen und die bis zum Glän zenden pikante Instrumentirung interessiren den Hörer; als

Ganzes ist das Stück zu inhaltslos und zu unförmlich, um einen bestimmten Totaleindruck hervorzubringen. Das Publi cum schien die „Kamarinskaja“ lediglich als nationales Curiosum ohne inneren Antheil hinzunehmen. Am selben Tage fiel dieselbe Composition im „Volksgarten“ förmlich durch, obwol sie trefflich einstudirt und überdies ganz getreu in der nationalen Weise wiedergegeben war, deren Studium Herrn Johann Strauß von seinem russischen Aufenthalt her speciell zu statten kam.

Beethoven’s Tripel-Concert in C-dur, op. 56, er scheint von Zeit zu Zeit als gerngesehener Gast. Es ist viel äußerliche Spielseligkeit und veralteter Putz darin, mit Beet hoven’s großen Werken (zum Theil in nächster chronologischer Nachbarschaft) muß man es nicht vergleichen. Allein der lie benswürdigste, echt musikalische Geist strömt so wohlthuend durch diese von Meisterhand gefügte Form, daß man in ver gnügtem Behagen unermüdet lauscht und bewundert. Die Herren Hellmesberger , Schlesinger und Dachs spiel ten das Concert unter reichlichem Beifall; Hellmesberger durchwegs vortrefflich, Schlesinger so weit die anhaltende un natürlich hohe Lage des Violoncellpartes ihn nicht in Colli sion mit der Reinheit des Tons brachte. Der Clavierpartie hätte eine kräftigere und geistvollere Auffassung nicht geschadet. Der Gesang war durch zwei Vocalchöre und Esser’s Ballade „Des Sängers Fluch“ vertreten. Esser hat dies effect volle Paradestück Pischek’s für eine Altstimme mit Beglei tung des Orchesters arrangirt. Die lange, anstrengende Bal lade, von Schumann auf mehrere Singstimmen vertheilt, muß hier von einer Frauenstimme allein, im Kampf gegen eine starke Orchesterbegleitung und fast ohne Ruhepunkt durch geführt werden. Frl. Bettelheim sang uns die langsame Einleitung und den Schluß vollkommen zu Dank, die beweg

teren Sätze, vor Allem der Fluch, klangen zu polternd und zerhackt, dabei undeutlich in der Aussprache. Daß die junge Sängerin dieser anstrengenden Aufgabe so tapfer Stand hielt, ist anzuerkennen und der ihr enthusiastisch gespendete Beifall sicherlich wohlverdient. Aufrichtig freuen können wir uns sol cher Erfolge nicht, die unseres Erachtens auf Kosten der Stimme errungen sind. Die beiden Vocalchöre („Schwedisches Volkslied“ und „die Waldvögelein“ von Mendelssohn ) bil deten der Ausführung und dem Erfolge nach die Glanz nummern des Concerts. Kaum dürfte irgendwo ein gemisch ter Chor die Klangschönheit und feine Schattirung aufzuwei sen haben, welche unser „Singverein“ unter der Leitung Herbeck’s erreicht hat.