Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse No. 214. Wien, Dienstag den 4. April 1865 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

No. 214. Wien, Dienstag den 4. April 1865 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 04.04.1865
font-style:italic; font-weight:bold; Deutsch Transkribus OCR und Lektorat. Transformierung der Daten des Transkribus TEI-Export mit "editions.xsl". Namen, Daten, Orte, Werke ediert und referenziert. Letztkorrektur für Zwischenrelease.
Italiensche Oper. („I Lombardi“ von Verdi.)

Ed. H. Die italienischen Sänger, sonst untrügliche Herolde von Veilchenduft und Frühlingswärme, sind heuer zwischen Schneebarricaden frierend bei uns eingezogen. Auch mit ihrer ersten Vorstellung, den „Lombardi alla prima crociata“, haben sie die leidige Kälte nicht besiegt. Das Wiener Publicum, das diesen Verdiʼschen Kreuzzug bereits vor mehr als einem Decennium ohne sonderliches Vergnügen mit machte, wird sich kaum danach gesehnt haben, neuerdings unter den Polkaklängen der Regimentsbande zum heiligen Grab zu marschiren. Die „Lombardi“ erschienen in der Scala unmit telbar nach dem „Nabucco“ und vor dem „Ernani,“ also zu einer Zeit, wo Italien, aber nur Italien, Giuseppe Verdi als ein neues glänzend aufsteigendes Gestirn feierte — im selben Jahre (1843), wo sein „Nabucco“ in Wien mißfiel und von der Kritik mit verächtlichem Hohn zurückgewiesen wurde.

Die Italiener hatten Verdi gleich bei seinem ersten Auftreten als eine epochemachende Erscheinung enthusiastisch begrüßt und damit wenigstens insofern Recht gehabt, als Verdiʼs Musik sich seither auf allen europäischen Opernbühnen durchsetzte und seit 20 Jahren das italienische Repertoire ohne Rivalen beherrscht. Es fiele einem Deutschen schwer, in „Nabuccooder den „Lombardi“ die Elemente jenes ganz neuen und ori ginellen Styls herauszufinden, den die Italiener sofort daran priesen. Wir bemerken kaum einen wesentlichen Unterschied zwischen diesen ersten Opern Verdiʼs und den gleichzeitigen

eines Mercadante, Pacini, Donizetti, höchstens ein derberes Dreinfahren, mit kecker Rhythmik und Instrumentirung. Die Italiener, die, mit den feineren Unterschieden ihrer eigenen Musik natürlich genauer vertraut, in zwei einem deutschen Ohr kaum unterscheidbaren Opern verschiedene Stylrichtungen nachweisen (gerade wie die Neger sich untereinander sehr unähnlich vorkommen, während sie für den Europäer alle Ein Gesicht haben), die Italiener bewiesen an den ersten Ver suchen Verdiʼs jedenfalls die feinere Spürnase. Eine Mai länder Correspondenz im „Sammler“ vom Jahre 1839 be richtet über die Aufführung von Verdiʼs erster Oper Oberto, Conte di S. Bonifacio“ in der Scala und huldigt im Ton prophetischen Entzückens dem „neuen Genie.“ Die Entscheidungsgründe klingen uns ebenso unbegreiflich, als das Urtheil selbst. „Verdi,“ so schreibt der Correspondent, „hat den rechten Weg eingeschlagen, den Weg der Rührung, der reineren Gefühle. So wie Bel lini, so meidet auch Verdi jedes ohrenbetäubende Geräusch. So haben Wenige begonnen! — Das Fortschreiten hängt nur von ihm ab.“ Nun, daß Verdi seither bedeutend fortgeschrit ten, müssen selbst die Gegner ihm bezeugen; sein Talent ist an Eigenart und Ausdehnung gewachsen, seine Arbeit wurde unter dem Einfluß französischer, sogar deutscher Musik ernst hafter und gewählter. Seine besten neueren Opern müssen wir, so Vieles darin uns auch abstößt, im Großen und Gan zen gelten lassen, oder wenn sie uns im Großen und Gan zen auch abstoßen, wir müssen ihre Einzelheiten gelten lassen. Den „Lombardi“ fehlt das spätere kosmopolitische Element Verdiʼs, die Rücksicht auf französische und deutsche Hörer noch gänzlich, sie sind nur von einem national-italienischen Publicum zu genießen. Schon das Libretto — Herr Themistokles

Solera verdient einen Kranz von Stechpalmen dafür — bereitet uns in seiner Abgeschmacktheit und Unverständlichkeit eine arge Geduldprobe. Im ersten Act war es uns unmöglich, zu enträthseln, was der eine Bruder und was der andere wolle, wer die Mutter und wer die Tochter sei, woher die Feindschaft und wofür die Rache. Nur das Eine wird schließ lich klar, daß Pagano (hinter der Scene) seinen Vater um bringt, anstatt seinen Bruder und über diesen Mißgriff un tröstlich Mailand verläßt. Im 2. Act finden wir die ganze Gesellschaft in — Antiochien wieder, ohne daß Einer (auch nicht das Publicum) weiß, wie der Andere hingekommen. Bruder Arvino zieht als Kreuzritter gen Jerusalem, Bruder Pagano lebt als Eremit in einer Höhle, Giselda (des Ersteren Tochter) herrscht als Favoritin im Serail des Sultans. Als neue Personen erscheinen der in Giselda verliebte antiochische Prinz Oronte und seine Mutter, eine langweilige alte Dame, die nur da ist, um sich die Liebesgeschichte ihres Sohnes in Arienform vorsingen zu lassen. Im 3. Act ist Alles auf dem Kreuzzug begriffen: der Eremit Pagano, noch immer uner kannt, führt Arvino und dessen Krieger, Giselda folgt ihnen als Nonne, Oronte als Kreuzritter. Während wir im 2. Act die christliche Giselda als Sultanin fanden, sehen wir jetzt Oronte als christlichen Cavalier; sie haben sich für ihre Liebe neue Klei der, aber keine neuen Melodien beigeschafft. Oronte wird tödtlich verwundet, von Giselda in eine Höhle geführt und von Pa gano getauft; seine Seele steigt auf einer langen und schwie rigen Violincadenz zum Himmel auf. Was soll nun im vier ten und letzten Act geschehen? Nur Pagano kann noch aus helfen, indem er sich gleichfalls verwunden läßt, stirbt und von den Seinen — merkwürdig spät — erkannt wird. Zu vor hat noch Giselda eine Vision, sie sieht himmlische Geister

(durch ein Tableau dargestellt) und hört die Stimme des ver ewigten Oronte (von ihm selbst nach Art des Trovatore- Ständchens in der zweiten Coulisse gesungen). „Es war kein Traum!“ ruft sie nach dem Verschwinden dieser Erscheinungen, und singt das lustig-freche Allegro in F („Non fù sogno“) das, später in „Ernani“ eingelegt, dem Hörer gar wohlbekannt entgegen klingt. Wir hören also hier eine Nonne ihre reli giösen Gefühle mit denselben Tönen ausdrücken, in welchen die feurige Elvira ihre Leidenschaft für den Banditenjüngling austobt. Dieses Allegro ist eine der ersten Originalknospen des späteren specifischen Verdi-Styls; es beginnt, als wenn Je mand plötzlich durch das Fenster hereinspringend uns eine schallende Ohrfeige versetzte.

Die Musik zu den „Lombardi“ ist theils roh und tri vial, theils matt und langweilig, ein abgestandener Trank, gegen den „Traviata“ und „Trovatore“ wie Rheinwein schme cken. Nur wenige Nummern heben sich vortheilhaft heraus, wie die A-dur-Arie des Oronte im zweiten Act („La mia letizia infondere“) und das Finalterzett im dritten Act („Qual voluttà trascorrere“). Hin und wieder gibt es auch ein kleines Arioso, das, an sich unbedeutend, durch die Stimme und die Kunst des Sängers zu einiger Wirkung gelangt. Wahrhaft kannibalisch und von höchster unbeabsichtigter Komik sind die Männerchöre mit Begleitung der Regimentsbanden. Eine schöne „Cultur“, die diese Kreuzritter nach Osten tragen!

Die Aufführung der Oper war sehr lobenswerth, trug jedoch mehr den Charakter des Anständigen als des Glänzen den. Imposante Stimmmittel, Temperament und dramatische Gestaltungskraft bringt keiner der drei Hauptdarsteller mit, weder Frau Lotti della Santa (Giselda), noch die Herren Graziani (Oronte) und Angelini (Pagano). Alle drei

aber schätzen wir als tüchtig geschulte Künstler, welche ihrer Mittel vollständig Herr sind, allen Unarten und Roheiten ferne stehen und vor Allem — singen können. Die Blüthen zeit ihrer Stimme liegt hinter ihnen, seit dem vorigen Jahre jedoch hat diese, wie wir mit Vergnügen bemerkten, eine wei tere Einbuße bei keinem von ihnen erlitten. Herr Graziani nimmt in dieser Trias entschieden die erste Stelle ein; seine gewinnende Persönlichkeit, sein wohllautendes Organ und die edle, liebenswürdige Grazie seines Vortrags erzielten auch diesmal den besten Eindruck und sicherten ihm ungetheilten Beifall. Unmittelbar nach den Herren Ferenczy , Wachtel und Steger klang uns Grazianiʼs Gesang doppelt wohl thuend. Schade nur, daß man den Sänger und das Ge sungene oft so schwer auseinanderbringt! Herr Angelini ist ganz der frühere tüchtige, starre Sänger, die rauhe Tu gend vom vorigen Jahr. Bei Frau Lotti della Santa machen sich die Schäden des Organs am meisten geltend; in der Höhe klingt ihre Stimme, namentlich im Forte, scharf und gellend, an Leidenschaft und schauspielerischem Talent fehlt es überdies dieser Sängerin vollständig. Dennoch schla gen wir ihre Vorzüge keineswegs niedrig an. Die Solidität und Sicherheit ihrer Technik, ihr guter Geschmack und ein durchgehender Zug von Anspruchslosigkeit und bescheidener Zurückhaltung nehmen für Signora Lotti ein, mit ihr we nigstens versöhnend, wo sie nicht entzücken kann. Die kleineren Rollen wurden von Fräulein Dillner und den Herren Guidotti , Milesi und Lay sorgfältig durchgeführt. Herr Hellmesberger erregte mit dem virtuosen Vortrag des Violin-Concerts im 3. Acte (ein „Solo“ schlechtweg kann man das kaum mehr nennen) stürmischen Beifall.