Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse No. 259. Wien, Samstag den 20. Mai 1865 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2023

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

No. 259. Wien, Samstag den 20. Mai 1865 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 20.05.1865
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Hofoperntheater. („Tutti in maschera,“ komische Oper in drei Acten, von Carlo Pedrotti .)

Ed. H. „E un asino il maestro! Il poeta è un asino!“ Diese kraftvollen Ausrufe, welche, fast nach Art eines Mottos, die neue Oper eröffnen und dem Hörer wie der beim Herausgehen unwillkürlich nachklingen, gelten nicht etwa dem Werke des Herrn Pedrotti , sondern einer Car nevals-Oper des „Don Gregorio“, deren Todesurtheil in der ersten Scene von den Gästen eines venetianischen Kaffeehau ses proclamirt wird. Gregorio (Herr Fioravanti ) ist ein lächerlicher alter Componist und Theateragent, der, über den Undank des venetianischen Publicums entrüstet, nach Damas cus auszuwandern beschließt, wohin gerade ein reicher Türke, Abdallah (Herr Boccolini ), eine italienische Operngesell schaft anwirbt. Auch Gregorio’s flatterhafte Frau Dorothea (Fräulein Fabbrini ) meldet sich für Damascus, desgleichen seine Primadonna Vittoria, welche, irregeführt durch vorschnelle Eifersucht, sich mit ihrem Geliebten, dem Cavaliere Emilio (Herr Guidotti ), überworfen hat. Bei dem allgemeinen Zu sammentreffen in Abdallah’s Salon findet sich ein Zettel dieses verliebten Muselmannes an eine ungenannte Dame, welche ihm ein Rendezvous auf dem Maskenball gewähren soll. Sowol Gregorio als Emilio begeben sich, beide von Eifer sucht getrieben, in einer Abdallah’s Costüm getreu copirenden Maske auf den Ball. Gregorio muß von seiner ihn nicht erkennenden Frau sich die unartigsten und fatalsten Wahrhei ten sagen lassen, Emilio hingegen gewinnt in seiner Verklei dung die frohe Ueberzeugung von Vittoria’s unveränderter Liebe. Eben will der zuletzt eintretende wirkliche Abdallah mit seinen beiden Doppelgängern Händel beginnen, als die Mas ken fallen und Alles in Versöhnung und Heiterkeit schließt.

Man sieht, daß dies dürftige Gerüst kaum den Namen einer Handlung verdient. Ein paar komische Scenen lose aneinandergereiht, dazwischen etwas Liebe und Eifersucht, eine bunte Maskerade zum Schluß: das ist der Stoff dieser drei Acte. „Tutti in maschera“ (nach einem Goldoni ’schen Sujet) sind eine Faschingsposse nach Art des „Türken in Italien“ oder der „Italienerin in Algier“, woran sie auch mitunter erinnern. Nur der Italiener ist so genügsam — „naiv“ im lobenden wie im beschränkenden Sinne des Wor tes — sich an einem solchen Libretto zu ergötzen, an einer Handlung, die weder Deutsche, noch weniger Franzosen sich gefallen ließen. Selbst an den besten Buffo-Opern der Ita liener läßt sich die Bemerkung machen, daß eine überaus ein fache Handlung, allenfalls mit ganz bekannten, typischen Fi guren und einigen starken Situationen ihnen wesentlich und vollständig genügend ist. Vor Allem muß die Exposition klar sein. Die feingesponnenen, geistreichen Operntexte von Scribe hätten in Italien keinen Erfolg, ja die wenigsten davon würden verstanden, da die Intrigue sich sehr rasch und com plicirt verwickelt. Hat der Italiener aber die ersten Scenen einmal verstanden und in einer klaren, ausführlichen Expo sition festen Fuß gefaßt, so folgt er auch jedem einzelnen De tail aufmerksam und hingebend. Wie das Textbuch, so ver langt auch die Musik zu „Tutti in maschera“ ein specifisch nationales Publicum. An sich, vom allgemein musikalischen Standpunkt betrachtet, ist diese Composition das Leerste, Un bedeutendste, dabei Trivialste, was uns seit Jahren vorge kommen ist. Ein noch tieferes Sinken der Opera buffa kön nen wir nun uns kaum vorstellen. Die ganze Partitur be steht aus derben Gassenhauern und abgenützten, conventionel len Phrasen, ohne Geist und Anmuth behandelt, von keinem Hauch idealen Empfindens angeweht.

Der Componist lebt darin abwechselnd von fremdem Eigenthum und seiner eigenen Gemeinheit. Die Partie des Gregorio, die eigenlich burlesken Stellen sind aus Abfällen

Rossini’s und Donizetti’s bestritten, für alles Uebrige sorgt Verdi. „Tutti in maschera“ sind recht eigentlich eine sou tenirte Musik, wie man von „soutenirten Frauenzimmern“ spricht. Der immense Einfluß Verdi’s auch auf die komische Oper der Italiener ist eine auffallende und beklagenswerthe Thatsache. Wir haben sie in ihrer ganzen Entschiedenheit zuerst in Ricci’sPaniere d’amore“ (Wien 1853) wahr genommen, wo alle Effecte und Instrumentalmassen der Verdi ’schen Tragödien (einschließlich Posaunen und Orgel) aufgeboten sind, um die Gefühle eines alten Gecken und sei nes einfältigen Töchterleins auszudrücken.

Und doch konnten die beiden Ricci (Luigi und Federigo) in ihren früheren Opern noch für den letzten Ausklang des Rossini’schen Styls gelten. In Pedrotti’s Oper hören wir keinen so starken Lärm, aber noch gemeinere Motive. Die beiden Bravour-Arien der Vittoria im ersten und dritten Acte könnten nicht blos von Verdi sein, sie sind es, mit wenigen Abänderungen und noch derberer Zurichtung. Oben drein sehen sie einander zum Verwechseln ähnlich.

Als Donizetti’s liebenswürdiger „Don Pasquale“ er schien, bemerkte man darin die wiederholte und nachdrückliche Einführung des Walzers in die Gesangspartie als eine Neuerung, und um dieselbe Zeit machte der von der Tado lini in einige Opern eingelegte „Gioja-Walzer“ als eine noch ungewohnte Arienform Aufsehen und Effect. In diesem Punkte haben wir schreckliche Fortschritte gemacht. In Pe drotti ’s Oper ist Alles Walzer, mit Ausnahme einiger Nummern, welche Polkas und Galopps sind. Das beliebteste und frischeste Musikstück der Oper, Addallah’s „Viva l’Italia!“, hat einen alten Strauß ’schen Walzer zum Thema und die übrigen Tanzmelodien — wären es nur auch Strauß’sche! Ein näheres Eingehen erläßt uns wol der Leser; wen könnte das Detail einer Oper interessiren, die in allen Thei len so gleichmäßig ordinär und unbedeutend ist? Dabei sind wir nicht etwa so unbillig den Maßstab von „Barbiere

und „Cenerentola“, „Elisir“ oder „Don Pasquale“ an die Novität zu legen. Wir brauchen sie blos mit einer be liebigen Posse von Offenbach zu vergleichen, um in letzte rer zehnmal mehr musikalische Kunst und komische Kraft, hundertmal mehr Geist und Grazie zu finden. Thatsache bleibt es, daß „Tutti in maschera“ (1854 für Verona ge schrieben) noch zu den besten komischen Opern gehört, die Italien in neuerer Zeit hervorgebracht, und daß sie sich seit zehn Jahren auf den italienischen Bühnen, den kleineren zu mal, erhalten hat. Ein trauriger Beweis für die Verarmung der italienischen Opera buffa!

Umgekehrt erklärt auch diese Armuth wieder den relativen Erfolg von Pedrotti’s Oper in Italien. Ein Opern-Publicum kann nicht vom Tragischen allein leben, so sehr auch dieser Zweig jetzt die Oberherrschaft gewonnen hat. Gesättigt von Gift, Dolchen, Wahnsinn und Brandstiftung, sehnt es sich zeitweilig immer wieder nach einer komischen Handlung, nach anspruchslosen, lustigen Melodien. In Ermanglung des Gu ten nimmt es dann mit dem Erträglichen vorlieb. „Tutti in maschera“ ist eine Faschingsoper, ohne jede höhere Präten sion, burlesk im Texte, grobsinnlich und populär in der Musik, dabei leicht aufführbar und recht dankbar für die Sänger. Routine, praktischer Blick und eine gewisse derbe Geschicklich keit wird Niemand dem Componisten absprechen. Pedrotti ist kein Neuling, etwa ein Dutzend Opern (worunter auch tragische allerkomischester Art) hat er seinem Vaterlande geschenkt, seine „Fiorina“ kam sogar in Wien (1859) mit geringem Er folg zur Darstellung. Wir können begreifen, daß ein nicht sehr wählerisches italienisches Publicum, angeregt und ange heitert von der allgemeinen Faschingsstimmung, nach und neben allem Anderen Abends auch noch eine musikalische Posse wie Tutti in maschera“ mit einigem Ergötzen hinabschlürft. Das gehört zum italienischen Carneval, wie der Trompeter-

Leierkasten zum Ringelspiel. Außerhalb Italiens hat derlei Musik keinen Sinn und keine Lebenskraft.

Fast scheint es, als läge die komische Oper im Sterben. In Deutschland ist sie bereits factisch todt, in Italien spukt sie nur mehr als klägliches Gespenst, in Frankreich tänzelt sie auf den letzten Füßen. Nahezu zwanzig Jahre sind ver flossen seit den „Lustigen Weibern“ von Nicolai und Flo tow’sMartha“, den einzigen namhaften Nachfolgern des ungleich bedeutendern „Czar und Zimmermann“ von Lortzing ; mehr als zwanzig Jahre, seit Donizetti seine letzte komische Oper Don Pasquale“ schrieb und Auber im selben Jahre (1843) mit „Des Teufels Antheil“ seinen letzten wahrhaften Erfolg hatte. Seit dieser Zeit schafft Deutschland im Fach der komi schen Oper so gut wie gar nichts; in Frankreich sorgt zwar das Institut einer eigenen Opéra comique, in Italien die Sitte der Stagione dafür, daß die Production wenigstens leben dig erhalten wird; allein im Grunde ist diese nur mehr ein äußerliches Fortsetzen ohne schöpferische Originalität, ohne künstlerische Meisterschaft, ohne bleibende Erfolge. In Frank reich macht mitunter noch ein pikantes Textbuch eine schwache Musik lebensfähig, in Italien ist seit Rossini und Donizetti in der Opera buffa nichts hervorgebracht worden, was über die gewöhnlichste Routine hinausreichte. Zwar tauchten nach diesen beiden Matadoren noch Dutzende von Namen auf, doch sind ihrer kaum einer oder zwei über Italien hinausgedrun gen, haben sich kaum fünf bis sechs ihrer Opern in Italien selbst zur Noth erhalten.

Wenn wir Cagnoni’sDon Bucefalo“, Ferrari’s Pipelet“, F. Ricci’sIl marito e l’amante“, L. Ric ci’sAvventura di Scaramuccia“, Rossi’sDomino nero“, endlich Pedrotti’sTutti in maschera“ nennen, so dürften wir wol alle namhafteren Erfolge der komischen Oper in Italien seit zwanzig Jahren aufgezählt haben. Daß

Ricci’s Opern schon in der mit welschen Elementen so reichlich gesättigten Atmosphäre Wiens die Lebensluft aus geht, haben wir wiederholt erfahren; Pedrotti und die übrigen kleinen Maestri vermögen noch weit weniger hier fort zukommen.

Das Schicksal von „Tutti in maschera“ am 18. d. M. war kein ganz gerechtes. Die Oper ist nämlich nur halb durchgefallen. Das Urtheil des Publicums wird sich freilich erst in den nächsten Vorstellungen (groß wird deren Zahl keinesfalls sein) zweifellos herausstellen. Am ersten Abend schien es uns, als würde die öffentliche Meinung ge fälscht, von den Galerien wurde nämlich auffallend leiden schaftlich und sehr ungeschickt Alles applaudirt, schon die Ouverture und der erste (haarsträubend gesungene) Männer chor. Parterre und Logen verhielten sich unbeweglich still und spendeten nur den Hauptdarstellern nach einer oder der an dern Nummer Applaus. Er galt hauptsächlich Signora Vol pini , welche sehr nett aussah, sang und spielte. In derlei leichten, halbsoubrettenhaften Rollen des musikalischen Con versationsstückes wird der anmuthige und unaffectirte Gesang dieser Dame stets des freundlichsten Eindruckes sicher sein. Herrn Fioravanti’s bescheidene Stimmmittel waren in Folge anhaltender Unpäßlichkeit noch mehr herabgedämpft; dem überaus fleißigen und sorgfältigen Künstler gelang es jedoch, durch sein wirksames komisches Spiel das Publicum zu erheitern. Signor Boccolini trug Einzelnes recht hübsch, wenngleich mit wenig Stimme vor, dramatisch wußte er der Rolle des Türken keine komische, überhaupt keine Seite abzugewinnen. Signor Guidotti war unter der Mittelmäßigkeit, Fräulein Fabbrini nicht eben merklich über derselben. Das Haus war beinahe leer — ein Er eigniß, dessen man sich bei einer ersten Vorstellung kaum erinnert.