Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse No. 267. Wien, Sonntag den 28. Mai 1865 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2023

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

No. 267. Wien, Sonntag den 28. Mai 1865 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 28.05.1865
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Italienische Oper. („Cenerentola.“)

Ed. H. Als sie in hellen Haufen gen Bavarien zogen, die Musikrichter von Wien, um das neueste „Ideal deutscher Kunst“ zu hören, da sagten wir uns: Bleibe im Lande und nähre dich redlich von italienischen Opern. Aber leider ist nicht jede „redliche“ Nahrung zugleich auch gut gekocht; was uns hier, seit Tristan’s Schiff in München auf der Sand bank festsitzt, gespendet wurde, hätte schwerlich einen der dort Harrenden wieder nach Wien gelockt. Daß wir nicht mehr von der diesjährigen hesperischen Saison erzählen — nicht unsere Schuld ist es, theurer Leser! Das ewige Einerlei läßt sich nicht beschreiben. Wen interessirt es noch, ob Herrn Pandolfini’s schönes Ich sich gestern im seidenen Wamms oder im Harnisch beguckte? Ob die blonde Trauerweide Guidotti sich vorgestern über eine Prinzessin oder ein Bauernmädchen kopfüber beugte? Ob am selben Abend der gewaltige Mongini ärger distonirt hat oder die gutmüthige Lotti ? Oder wünscht etwa Jemand Neues über den „Ballo in maschera“, „Ernani“, „Rigoletto“ und all’ die andern Opern zu erfahren, bei denen jetzt regelmäßig mehr Men schen auf der Bühne als im Parterre zu sehen sind? Seit unserem letzten Berichte über die — nunmehr auch für immer entschlafene — Maschera-Oper von Pedrotti hat nur Eine Vorstellung lebhaftere Theilnahme erregt und sich über das Niveau der letzten Theaterwochen erhoben: Rossini’s Cenerentola“. Wie die Opern „Cenerentola“ und „Bar biere“ einander würdig zur Seite stehen, so auch deren Vor

stellungen am Hofoperntheater. „Cenerentola“ läßt einen duftigen Blüthenregen von Melodien auf uns niedergehen, eine Fülle einfacher, ungesuchter und doch nie fehlschlagen der Effecte; ihre musikalischen Vorzüge, ihr rühriges drama tisches Leben stempeln sie zu Rossini’s bester Opera buffa neben dem „Barbier“.

Nach dem „Barbier“, möchten wir für unser Theil sagen, ohne den alten Streit wieder anfachen zu wollen, in dem am Ende wol nur Vorliebe den Ausschlag gibt. Aus zwei Gründen fühlen wir uns dem „Barbier von Sevilladoch unbedingter zugethan. Einmal ist er ganz aus Einem Guße; wer es nicht weiß, daß Rossini diese Musik in einem Zug schrieb — sie war im selben Monat begonnen und vollendet — der müßte es ihr anhören. Die Erfindung ist noch sprudelnder als in der „Cenerentola“, die Melodie noch süßer, das Leben noch lustiger, der Spaß noch komischer. In die „Cenerentola“ hat der Componist ganze Musikstücke aus seinen früheren Opern „Pietra di Paragore“, „la Gazettaund „il Turco in Italia“ eingefügt, der vielen Anklänge an den „Barbier“ nicht zu gedenken. Sie ist langsamer und nicht aus Einem Stück entstanden, nicht in jenem fast über müthigen Wurf der Begeisterung, welchem wir die lebens strotzende Musik zum Barbier verdanken. Ein zweiter Ge sichtspunkt ist das Verhältniß zum Text. Angenommen, die einzelnen Nummern des „Barbier“ und der „Cenerentolawären einander an absoluter musikalischer Schönheit Stück für Stück vollkommen ebenbürtig oder der Vortheil der „Ce nerentola“ an größeren Ensemblestücken gliche die Ueber legenheit des „Barbier“ in den Arien und Duetten vollstän dig aus. Wir würden uns dann doch der Wahrnehmung nicht verschließen können, daß der — hier wie dort glänzend

repräsentirte — Charakter der Rossini’schen Musik ungleich besser zu den Figuren und Situationen des „Barbier“ als der Cenerentola“ paßt. Rossini war jeder tiefere Herzens ton versagt. Seine Musik ist immer glänzend, geistreich, tändelnd, auch da, wo wir sie innig, rührend oder leiden schaftlich wünschen. In der Sprache des Herzens sind ihm Donizetti, Bellini, auch Verdi unzweifelhaft überlegen, sie haben Accente der Sehnsucht und Leidenschaft angeschlagen, für welche der Leier des Pesaresers vielleicht nicht die Sai ten fehlten, aber jedenfalls die Stimmung.

Rosina, das eitle, zu List und Schelmerei verzogene Trotzköpfchen, stimmt vortrefflich zu Rossini’s Wesen; wir sehen sie in den Funkenrädern der Coloratur wie ein Feuer werk abbrennen. „Aschenbrödel“ hingegen, die liebe, rührende Gestalt, die Jedem von uns aus dem Märchen früh ins Herz hineinwuchs, unser Aschenbrödel denken wir uns doch anders als jene Rosina. Die Stellen, in welchen Rossini’s Cenerentola“ etwas Anderes als Kehlengeläufigkeit zu zeigen vermöchte, sind verschwindend spärlich. Dieses italienische Aschenbrödel“ ist es in der That nur ihrem Kleide nach; ihr Gesang strotzt in Perlen, Sammt und Seide. Ein Ver gleich mit der französischen Oper gleichen Inhalts ist lohnend. Isouard , obgleich ein ungleich schwächeres Talent als Ros sini, ist trotzdem sowol der gemüthlichen Seite, als dem mär chenhaften Zauber des Stoffes ganz anders gerecht geworden, und wir Deutschen mögen keines von beiden gerne missen. Cendrillon“ hat in der That auch auf den deutschen Büh nen eine viel bedeutendere Rolle gespielt, eine weit herzlichere Zuneigung genossen, als die glänzendere „Cenerentola“.

Schon die Umgestaltung der Handlung durch den italie nischen Textdichter Feretti ist charakteristisch. Sei es aus

weiser Furcht vor jeder Rivalität mit dem berühmten Opern gedichte von Etienne , sei es aus richtigem Einblick in Ros sini’s Talent, kurz Feretti rückte sein Aschenbrödel aus der trauten märchenhaften Dämmerung in volles Tageslicht. Der Zauberer Alcidor wird zum fürstlichen Privat-Secretär, der Feenarm, welcher das schlafende Aschenbrödel reichgeschmückt und unerkannt aus ihrer Küche in den Ballsaal trägt, zur bewußten, handgreiflichen Verkleidung, der verrätherisch kleine Pantoffel endlich zum prosaischen Armband, das Aschenbrödel selbst dem Prinzen als Erkennungszeichen einhändigt. Die komischen Figuren des Barons und des Stallmeisters und alle spaßhaften Motive werden stark in den Vordergrund ge rückt. Rossini’sCenerentola“ muß man durchaus als komische Oper auffassen; Dichter, Componist und Zu schauer ergötzen sich an der allgemeinen Verwirrung, an der drastischen Komik, an dem heiteren Glanze der Scene. Ein tieferes Gefühlsleben klingt nicht an; aber „Cenerentolaist liebenswürdig, frisch, geistreich, und insofern in einer auf richtigen Heiterkeit ein Surrogat von Gemüth liegt, nicht ge müthlos. Den ersten Act kann man von diesem Standpunkte fast durchaus trefflich nennen; ein nicht immer wählerischer, aber echt lustspielmäßiger Ton von hinreißender Lebendigkeit weht durch Wort und Musik. Der zweite Act enthält zwei vortreffliche Nummern (das Duett „Un segreto d’importanza“ und das große Sextett in Es-dur), leidet aber durch das pein liche Stocken der Handlung, welche, mit dem ersten Acte so gut wie zu Ende, dort höchstens noch eines entwickelnden Finales bedurft hätte.

Unter den Mitwirkenden standen Fräulein Artôt und Herr Everardi hoch obenan. Diese makellose Flüssigkeit der Coloratur, diese schöne, maßvolle Bildung des Tones,

diese sichere Grazie des Vortrags zeigen uns in der That die Virtuosität von der echten und rechten Seite. Gesangskünstler dieser Art werden immer seltener; daraus erklärt sich auch, daß selbst in Italien die Aufführungen Rossini’scher Opern immer seltener werden. Ursprünglich für einen Contra-Alt geschrieben, ist „Cenerentola“, sowie „Rosina“ und die „Ita lienerin in Algier“, bald in das Repertoire der berühmtesten Sopransängerinnen (Fodor, Mombelli, Cinti, Sonntag etc.) einbezogen und zurechtgemacht worden. Durch ihren bedeuten den Stimmumfang ist Fräulein Artôt in der Lage, die Rolle ganz unverändert zu singen. Wir müßten Oftgesagtes neuerdings wiederholen, um diese ebenso glänzende als maß volle, im Ganzen wahrhaft eminente Leistung Fräulein Ar tôt’s eingehend zu würdigen. Besonders angenehm fiel uns auf, daß Fräulein Artôt keinen Anlaß versäumte, einen herzlicheren Ton wenigstens anklingen zu lassen, wie sie denn auch im Spiele schlicht und liebenswürdig für den Charakter einzunehmen wußte. Von den zahlreichen berühmten Sänge rinnen, welche hier die „Cenerentola“ sangen, sind uns aller dings einige in Erinnerung, welche durch gewaltigere, insbe sondere in der Tiefe ausgiebigere Stimmen und leidenschaft licheres Temperament blendendere Effecte erzielten. Man wird die Schluß-Arie schon siegreicher und schmetternder, gewiß aber nicht zierlicher, feiner und weicher gehört haben, als von der Artôt . Von Everardi muß noch bemerkt werden, daß er den verkleideten Stallmeister nicht nur meisterhaft sang, son dern auch überaus gewandt und mit köstlicher Laune spielte. Schade, daß ihm nicht, wie vor acht Jahren, der lebhafte und virtuose Carrion als Prinz Ramiro zur Seite stand; das Zusammenwirken der beiden Künstler bildete damals einen der vornehmsten Reize der Oper. Herr Guidotti konnte

es mit dieser Erinnerung nicht entfernt aufnehmen, seine Stimme klingt immer etwas heiser, als wäre ein Haar in jedem Tone, seine Coloratur ist mangelhaft, der Vortrag endlich und vollends das Spiel immer gleich matt und geist los. In der „Cenerentola“ nahm er sich übrigens mehr als gewöhnlich zusammen und verdient wenigstens das Lob, nicht gestört zu haben. Den Don Magnifico gab Herr Fiora vanti mit jenem Eifer und künstlerischem Ernst, der alle seine Leistungen kennzeichnet. Seinen Vorgänger Zucchini erreichte er keineswegs, noch weniger durfte man an die ori ginellen Meisterschöpfungen denken, welche ein Galli oder Lablache aus dieser Lieblingsrolle machte. Um gleich der berühmten ersten Arie musikalisch ihr volles Recht zu geben, muß man viel mehr Stimme haben, als Herr Fioravanti . Die kleine Rolle des Alidoro (seine Arie blieb weg) gab Herr Milesi ganz anständig. Ein aufrichtiges Lob gebührt end lich den Darstellerinnen der beiden Schwestern, Fräulein Dillner (die überhaupt unserer Oper von Nutzen werden dürfte) und Fräulein Siegstädt ; sie sangen und spielten sehr präcis zusammen. Die (von Herrn Dessoff dirigirte) Vorstellung zeichnete sich durch ein gutes Ensemble aus, ein Vorzug, auf den wir, namentlich in der komischen Oper, ein ungemeines Gewicht legen. Es webte ein Zug von Ueberein stimmung, Aufmerksamkeit und Genauigkeit in dieser Vorstel lung, welcher die Schwächen einzelner Darsteller mitunter ganz vergessen ließ. Hätte ein unerforschlicher Rathschluß der Direction diese „Cenerentola“ nicht bis zum Thorschluß der Saison verzaudert, sie würde wahrscheinlich einer ansehnlichen Reihe von Wiederholungen entgegensehen.