Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse No. 388. Wien, Mittwoch den 27. September 1865 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2023

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

No. 388. Wien, Mittwoch den 27. September 1865 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 27.09.1865
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Der österreichische Adel und die Musik. II.

Ed. H. Von der kunstliebenden Aristokratie gelangte die Musikpflege in die Hände des bürgerlichen Dilettantenthums. Beide Perioden gehen unmerklich in einander über. Mit der Ent lassung der Privatcapellen hatte der österreichische Adel keineswegs aufgehört, Musik zu pflegen und in großartiger Weise zu unterstützen. Im Gegentheil, der Adel erscheint am Ausgang des vorigen und zu Anfang dieses Jahrhunderts als die oberste und glänzendste Schichte des musikalischen Dilettantenthums in Wien. Er besoldete keine eigenen Capellen mehr, aber er musicirte selbst. Nicht ohne Freude und patriotischen Stolz kann man jener Zeit gedenken, wo in den höchsten Kreisen auch die größte Musikliebe herrschte und mit dem Adel der Geburt so gern der Adel des Talentes und der Bildung sich verband. Die Wiener Aristokratie stand überall an der Spitze, wo Erhebliches für die Tonkunst geschah. Sie hat zwar nicht, wie der Prager Adel im Jahre 1808, ein Conservatorium errichtet, aber sie darf sich anderer Thaten rühmen, die ein Conservatorium aufwiegen. Man kennt die beiden Monumente, die der öster reichische Adel sich in der Geschichte der Musik gesetzt hat, das eine, indem er Haydn’s „Schöpfung“ und „Jahreszeiten“ er warb und zuerst aufführte — das zweite, indem er durch eine lebens längliche an keine Gegenleistung geknüpfte Pension von 4000 fl. Beethoven eine unabhängige, sorgenfreie Existenz sicherte. Die Adeligen, welche im Jahre 1799 die Aufführung der Schöpfung “ veranstalteten und für Haydn ein Honorar von 500 Ducaten zusammenschossen, waren: die Fürsten Eszterhazy, Trauttmansdorff, Lobkowitz, Schwarzenberg, Kinsky, Liechtenstein, Lichnowsky, die Grafen Marschall, Harrach, Fries, Freiherr v. Spielmann und van Swieten. Die Pensions-Urkunde zu Gunsten Beethoven’s, ddo. 1. März 1809, war ausgestellt vom Erzherzog Rudolph (1500 fl.), Fürst Lobkowitz (700 fl.) und Fürst Kinsky (1800 fl.).

Aus Mozart’s Briefen kennen wir die hervorragende Rolle, welche in den Achtziger-Jahren der Adel in dem Wie ner Musikleben spielte, den ununterbrochenen herzlichen An theil, den die liebenswürdige Gräfin Thun , Graf Hatz feld , Fürst Lichnowsky (später Beethoven’s Freund und Gönner) und Andere an Mozart’s Leben und Schaffen nah men. Während Mozart nur wenige öffentliche Concerte gab, ist die Zahl seiner Productionen in den Privatconcerten des hohen Adels eine sehr große. Bereits im Winter 1782 war Mozart beim Fürsten Galitzyn auf alle Concerte enga girt, im nächsten Winter spielte er regelmäßig bei demselben, bei Graf Johann Eszterhazy , bei Graf Zichy . In einem Briefe vom Jahre 1784 theilt er seinem Vater mit, daß er vom 26. Februar bis 3. April fünfmal bei Galitzyn, neun mal bei Eszterhazy zu spielen habe. Die Mitwirkung in die sen aristokratischen Soiréen gehörte überdies zu Mozart’s besten Einnahmsquellen. Die Cavaliere schaarten sich in den Jahren 1780 bis 1803 in musikalischen Angelegenheiten meist um den Freiherrn Gottfried van Swieten , der, ein ernster, langer, feierlicher Mann, beinahe das Ansehen eines musika lischen Oberpriesters in Wien genoß. Die Musiken, die Sonn tag Morgens bei ihm gemacht wurden und an denen Mo zart theilnahm, waren nicht für Zuhörer berechnet. Der Hausherr und die wenigen Mitwirkenden hatten dabei ledig lich den Zweck, classische Werke kennen zu lernen (vorzüglich von Händel und Bach), die man damals in Wien nicht öffentlich zu hören bekam. Von weitgreifendem Einflusse wa ren hingegen die großen Aufführungen Händel ’scher Ora torien, welche van Swieten mit bedeutenden Vocal- und In strumentalkräften ins Werk setzte. Mehrere Kunstfreunde aus dem hohen Adel erklärten sich auf Swieten’s Anre gung zur Tragung der Kosten bereit; es waren die Fürsten Lobkowitz, Schwarzenberg, Dietrichstein, die Grafen Apponyi, Batthyany, Franz Eszterhazy, also zum Theil derselbe Kreis von musikalischen Aristokraten, welchen wir zehn Jahre später für die Aufführung von Haydn’s „Schöpfung“ zusam menwirken sehen. Diese Akademien fanden im Saal der k. k.

Hofbibliothek statt, deren Vorstand van Swieten war, hin und wieder auch im Palais des Fürsten Schwarzenberg auf dem Mehlmarkte. Der Zutritt war unentgeltlich und stand nur geladenen Gästen zu. Die Proben wurden im Hause Swieten’s gehalten, der alle Vorbereitungen mit großem Eifer betrieb. Die Mitwirkenden gehörten größtentheils der Hof capelle und dem Opern-Orchester an; Dirigent war anfangs Joseph Starzer , nach dessen Tode (1787) Mozart , der junge Weigl accompagnirte am Clavier. Mozart lieferte für diese Aufführungen 17881790 seine bekannten und lange Zeit alleinherrschenden Bearbeitungen des „Messias“, dann der Cantaten „Acis und Galathea“, „Alexanderfest“ und der „Ode auf den St. Cäcilientag“ von Händel . An diese Concerte in der Hofbibliothek schlossen sich einzelne große Productionen im Schwarzenberg’schen Palast, gleichfalls vor einer geladenen Gesellschaft, wie die berühmten ersten Aufführungen der Schöpfung“ (1799) und der „Jahreszeiten“ (1801). Diese Aufführungen waren keine regelmäßig wiederkehrenden, doch gab es deren in der Regel jährlich einige. Sie waren veran staltet von einer Gesellschaft Hochadeliger, deren „beständiger Secretär“ van Swieten war. Eine weitere Abzweigung war das sogenannte „adelige Liebhaber-Concert“, oder „Cavalier-Concert“, das unter dem Protectorat des Fürsten Trauttmansdorff sich im Jahre 1806 bildete, und mit der denkwürdigen Aufführung der „Schöpfung“ im Universitätssaal am 27. März 1808 abschloß, bei welcher Haydn zum letztenmal öffentlich erschien. Hiemit endet die thätige Mitwirkung des hohen Adels an großen Musikauf führungen. Die Musikpflege desselben zog sich aus den gro ßen Formen der Orchester- und Chorcomposition mit seltener Ausnahme ganz in die kleine behagliche Kammermusik zurück. Es ist bekannt, wie einflußreich und fördernd die Musikpflege des Adels auch in dieser Form für Beethoven wurde. Seine Quartette, Trios und Sonaten haben in den Häusern Lichnowsky’s, Rasumowsky’s, der Grafen Fries und Bruns wick zum größten Theil ihre erste Aufführung und begeister teste Aufnahme gefunden.

Ein lebendiges, aus unmittelbarer Anschauung gemaltes Bild des Musiktreibens in den Wiener Adelskreisen geben uns die „Vertrauten Briefe“ des preußischen Capellmeisters J. Fr. Reichardt , der in den Jahren 1808 und 1809 in Wien verweilte. Es war die Zeit des letzten glänzenden Auf flackerns des aristokratischen Musikcultus, dieser erlöschenden Flamme. Reichardt kam aus einem hochgebornen Concert in das andere, und bei Concerten blieb es nicht. Im Hause des Fürsten Lobkowitz wurden italienische Opern aufgeführt, durchaus von Dilettanten und mit schönstem Erfolge. Rei chardt, dessen Oper „Bradamante“ dort vollständig probirt wurde, nennt das Lobkowitz’sche Haus „die wahre Residenz und Akademie der Musik“. Beethoven’s „Eroica“ erlebte ihre erste Aufführung im Palast des Fürsten Lobkowitz, welcher Beethoven die Partitur abgekauft hatte. Bei Lobkowitz, er zählt Reichardt, „kann man zu jeder Stunde in dem besten schicklichsten Locale Proben nach Gefallen veranstalten, und oft werden mehrere Proben in verschiedenen Sälen und zu gleicher Zeit gehalten“ — ein sprechendes Zeugniß, daß es dem Fürsten nicht blos um prunkende Ostentation zu thun war. Kann es endlich ein liebenswürdigeres Zeit- und Sit tenbild geben, als den Fürsten Lichnowsky bei der Probe von Christus am Oelberg“? „Es war eine schreckliche Probe,“ erzählt Ries. „Sie hatte um 8 Uhr Früh (im Theater an der Wien) angefangen, um halb 3 Uhr war Alles erschöpft und mehr oder weniger unzufrieden. Da ließ Fürst Karl Lich nowsky, der vom Anfang an der Probe beiwohnte, kaltes Fleisch, Butterbrot und Wein in großen Körben herbeiholen, freundlich ersuchte er Alle, zuzugreifen, was nun auch mit beiden Händen geschah und den Erfolg hatte, daß die Leute wieder guter Dinge wurden. Nun bat der Fürst, das Ora torium noch einmal durchzuprobiren, damit es Abends recht gut ginge und das erste Werk dieser Art von Beethoven würdig vor’s Publicum gebracht würde — die Probe fing also wieder an.“

Diese eifrige musikalische Thätigkeit des Adels würde

schon alles Lob verdienen, wenn sie auch nur den Adel selbst gebildet und erfreut hätte. Aber die wohlthätige Wirkung er streckte sich noch weiter. Sie äußerte sich (ermöglicht und be fördert durch die vorangegangene französische Revolution) auch in dem socialen Verhalten, indem sie die Künstlerwelt und den gebildeten Mittelstand mit dem hohen Adel verband. Die Musik bewirkte diese freie Annäherung in einem Grade, von dem unsere demokratisch doch so vorgeschrittene Zeit keine Ahnung mehr hat. Schon der Umstand, daß Reichardt , ein einfacher Capellmeister und keineswegs Berühmtheit ersten Ranges, in diesen vornehmsten Kreisen um die Wette einge laden und fetirt wurde, spricht für deren Kunstinteresse und Liebenswürdigkeit. In den Soiréen bei Fürst Lobkowitz traf Reichardt wiederholt kaiserliche Erzherzoge, namentlich Rudolph und Ferdinand , daneben Componisten, Gelehrte, Virtuosen — Alles ohne beengende Etiquette mit einander verkehrend. Erzherzog Rudolph (Beethoven’s großmüthiger Freund und Beschützer) nahm keinen Anstand, diese Gesell schaften stundenlang mit seinem trefflichen Clavierspiel zu erfreuen, die Gräfin Kinsky sang u. s. w. Waren Musiken bei den Bankiers-Familien Pereira, Arnstein oder Henik stein, so konnte man gleichfalls darauf zählen, Kunstfreunde aus dem höchsten Adel, Lobkowitz, Kinsky, Dietrichstein, dort anzutreffen. Es unterliegt keinem Zweifel, daß wir in dieser Hinsicht Rückschritte gemacht und keine Kreise mehr haben, in welchen die Musik eine so schön vermittelnde, social nivelli rende Kraft ausübt. Musikliebe und Musikpflege spie len im Leben der gegenwärtigen Aristokratie nicht die Rolle von ehemals, von großen Concert-Aufführungen bei oder gar von dem hohen Adel ist nirgends mehr zu verneh men. Letzteres kann man allerdings der Aristokratie nicht ein seitig zum Vorwurf machen. Hat doch in dem Maß, als das Concertleben sich zur vollsten Oeffentlichkeit entwickelt hat, auch der Musikbetrieb im Mittelstand sich in engste Schran ken zurückgezogen. Die Concerte in Privathäusern, von welchen das alte Wien täglich widerhallte, haben ebenso

wie die in den Palästen aufgehört. Man besucht Concerte, aber man veranstaltet keine mehr, man hört alle neuen Quartette und Symphonien, aber man spielt sie nicht mehr selbst. Ehemals war auch der kaiserliche Hof ohne alle Osten tation mit dem schönsten Beispiel vorangegangen. Es ist be kannt, welch’ entschiedene musikalische Begabung und Bil dung insbesondere den Kaisern Karl VI., Leopold I., Jo seph II. und dem Erzherzog Rudolph eigen war und welche bedeutende Stelle in ihrer Tagesordnung die eigene Ausübung der Tonkunst einnahm. Hat nun auch seither der kaiserliche Hof niemals seinen Schutz der Musik entzogen, so gehört es doch längst der Geschichte an, daß österreichische Kaiser und Erzherzoge sich als Tonkünstler selbst hervorgethan und ihre Freude darin gefunden haben, bei ihren regelmäßigen Musik partien mitzuwirken. Die Concerte mit großem Orchester, welche im Lustschloß Laxenburg unter Salieri’s oder Weigel’s Direction oft gegeben wurden, in denen Kaiser Franz die erste Violine spielte und die Kaiserin (Maria Theresia von Neapel) sang, hörten mit dem Tode der Letzteren (1807) gänzlich auf. Der Kaiser verlegte sich nun aufs Quartett spielen. Das Streichquartett auf Schloß Persenbeug, das aus dem Kaiser Franz , Graf Wrbna , Feldmarschall-Lieute nant Kutschera und Capellmeister Eybler bestand und dem an ruhigen Abenden unten die Schiffer auf der Donau lauschten, es war der letzte schwache Nachklang aus der musi kalischen Kaiserzeit.

Auch ohne äußerlich hemmende Einflüsse wäre das fröh liche Concertiren in den Adelspalästen Wiens allmälig vor der anwachsenden Macht des modernen öffentlichen Musik lebens geschwunden. Die politischen Calamitäten, besonders das für Wien so tief schmerzliche und demüthigende Kriegs jahr 1809 trugen aber noch besonders dazu bei, jene musi cirende Freudenzeit definitiv zum Abschluß zu bringen. Man kann das Jahr 1809 als den entscheidenden Wendepunkt, als das Sterbejahr jener schönen aristokratischen Bestrebungen ansehen.