Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse No. 451. Wien, Mittwoch den 29. November 1865 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Stoxreiter, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2023

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

No. 451. Wien, Mittwoch den 29. November 1865 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 29.11.1865
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Die Ullman’schen Concerte und Carlotta Patti.

Ed. H. So wären denn auch bei uns die berühmten Ullman’schen Wanderconcerte ins Leben getreten. Außer ihrem Leitstern, Carlotta Patti, und den ihm folgenden heiligen drei Königen der Instrumental-Virtuosität, Vieuxtemps, Piatti und Jaëll, interessirt uns noch die ganze Form dieser Unternehmung an sich. Sie ist etwas durchaus Neues und Fremdartiges. Durch ihren eminent geschäftlichen, also ungemüthlichen Charakter und das große Geräusch, mit dem sie allerorten einzieht, hat Herrn Ullman’s Concertgesell schaft sich in Deutschland zahlreiche Gegner gemacht. Auch hier hörten wir sie täglich mit den Schlagworten „Schwindel“ und „Humbug“ von vornherein und ungehört verdammen. Die Sache ist wol werth, ruhiger betrachtet zu werden. Wir glauben, daß man über Schwindel und Humbug nur dort klagen kann, wo eine Täuschung, eine Uebervortheilung des Publicums stattfindet. Dann sind Ullman’s Concerte alles Andere eher, als ein Schwindel. Ist uns doch nirgends ein Concert-Unternehmen vorgekommen, das dem Publicum für so geringes Geld eine solche Serie glänzender Namen und Leistungen geboten hätte. An Einem Abend genießen wir die vereinten Kunstleistungen von vier bis fünf Virtuosen euro päischen Rufes, welche einzeln zu hören das Publicum sich sonst glücklich genug schätzte; an ihrer Spitze eine neue glän zende Berühmtheit, welche von Director Hye in London für eine einzige Concertsaison die Kleinigkeit von 3000 Guineen erhält. Wenn Herr Ullman uns diesen Reiz und jene Treff lichkeit durch verdoppelte und verdreifachte Eintrittspreise ent gelten ließe, dann könnte man — noch immer nicht von Schwindel sprechen, höchstens von einer Ausnützung des Pu blicums. Nun hört aber das Publicum bei Herrn Ullman die ganze illustre Künstlergesellschaft um den gewöhnlichen,

einfachen Preis, den auch der mittelmäßigste Concertgeber für seine Person hier prätendirt. In diesem Zusammen wirken auserlesener Künstler liegt aber noch ein eigener, ein höherer Reiz, als dieser blos finanzielle. So oft noch zwei berühmte Virtuosen gleichzeitig in Wien concertirten, vernahm man auf Schritt und Tritt den Wunsch: Würden doch ein mal Beide zusammenspielen! In den seltenen Fällen, daß dies ausnahmsweise geschah, und Liszt mit Ernst, Clara Schumann mit Jenny Lind, Vieuxtemps mit Dreyschock aus Collegialität oder zu wohlthätigen Zwecken einmal ein Duo ausführten, wurde der Saal förmlich gestürmt. Der Grund, weßhalb sich trotzdem niemals zwei Virtuosen zu gemeinsamen Concertreisen verbanden, war: ihr Stolz. Wer mochte Gold und Beifall mit einem Nebenbuhler theilen? Eine Folge die ser Isolirung war, daß man bei jedem Concert eines be rühmten Virtuosen stets eine Anzahl sogenannter Zwischen- oder Ausfüllnummern in den Kauf bekam, welche durch ihre Mittelmäßigkeit gehörig abstechen mußten. Dieses von den Concertgebern so schwer zu beschaffende und von den Hörern so wenig geachtete Füllwerk ist in Ullman’s Concerten gänzlich beseitigt, da jede Nummer von einem ausgezeichneten Künstler ausgeführt wird, so daß wenigstens die gleich vor treffliche Exequirung aller Musikstücke eine gewisse Har monie über das etwas bunte Programm breitet. Die Associa tion berühmter Virtuosen hat ihre Zukunft; die „Gesammt- gastspiele“ namhafter Schauspieler sind eine analoge moderne Erscheinung.

Ein Umstand, der viele Musikfreunde gegen die Ull man’sche Unternehmung einnimmt, ist die eigenthümliche Haft des Erwerbes, das schnelle Reisetempo, in dem die Gesellschaft Deutschland nach allen Richtungen überzieht, in einem Monat mehr Concerte gebend, als früher ein Virtuose in der ganzen Saison. Das hat allerdings wenig Gemüthliches und mög licherweise viel Unangenehmes — für die Künstler. Bleiben wir aber beim Publicum. Was verliert dieses durch den

Umstand, daß die Künstler, welche es heute entzücken, vor wenig Tagen noch in Berlin oder München concertirt haben und bereits für die nächste Woche in Graz oder Pest ange kündigt sind? Das sind heutzutage Spazierfahrten, vor wenig Decennien waren es Reisen. Wenn wir in der Jugend geschichte, der patriarchalischen eisenbahnlosen, des Virtuo senthums blättern und die unaufhörlichen weiten Reisen eines Lolly, Tarnovich, Steibelt, später noch eines Hummel und Paganini bedenken, so werden wir kaum zweifelhaft sein, wer um des Concertirens willen mehr Reiseplagen er duldet habe, die Alten oder die Jungen.

Aber die entsetzlichen Reclamen dieses Herrn Ullman! Auch damit ist’s nicht so arg. Wir haben bis jetzt in den Wiener Blättern zwar eine Unmasse Anzeigen und Inserate des Herrn Ullman, aber keine einzige unbescheidene Anprei sung seiner Künstler angetroffen. Herr Ullman braucht, um auch nur seine Kosten zu decken, ein außerordentlich großes Publicum, und ein solches läßt sich ohne zahlreiche und auf fallende Annoncen nicht herbeilocken. Eine für Concertzwecke bisher unerhörte Benützung der Publicität ist noch immer keine „Reclame“ im tadelnden Sinn. Wir wollen dies gar nicht der Tugend des schlauen Impresario zugute schreiben, offenbar kennt er Deutschland hinlänglich, um zu wissen, daß man mit englischen und amerikanischen Puffs die Meinung des Publicums und der Kritik in Wien, Berlin, München nicht gewinnt, vielmehr sich sie entfremdet. Von Ullman’s sogenannten Reclamen kennen wir blos eine in Berlin ge druckte Broschüre von wenig Seiten: eine kleine Sammlung von Recensionen über Carlotta Patti, größtentheils aus der Feder bekannter und allgemein geachteter Kritiker. In einigen einleitenden Worten spricht Herr Ullman den Wunsch aus, der Hörer möge, um seine Erwartungen nicht getäuscht zu sehen, von dieser Sängerin ja nicht Vorzüge erwarten, welche ihr versagt sind. „Leidenschaftlicher Ausdruck“ sei ihr fremd, sie sei „keine dramatische Sängerin“ und habe ihren

großen Ruf „nicht durch das, was die strenge Kritik veredelte Kunst nennt, wie eine Sonntag oder Jenny Lind“, son dern als eine Specialität erlangt. Das ist gewiß nichts we niger als eine freche Schönfärberei.

In England und Amerika, wo die öffentliche Aufmerk samkeit, gewohnt, mit Schüreifen und Thorbalken gekitzelt zu werden, die gröbsten Mittel der Reclame erwartet, wo selbst der Gebildete den Champagner nicht ohne Branntweinzusatz mag, geschweige denn den Concertzettel — dort versteht Herr Ullman allerdings stärkere Register aufzuziehen. In Amerika fand sein Erfindungsgeist das richtige Terrain; was er dort Alles ausheckte, um Geld und Ruhm zu machen, erscheint uns Kindern der alten Welt mitunter geradezu unglaublich. Als die berühmte Sonntag, welche von Ullman nach Amerika engagirt war, in Newyork eintreffen sollte, beschlossen die Musiker dieser Stadt, ihr eine Serenade zu bringen. Ullman erbot sich dem Comité dieser Musiker, die Serenade selbst leiten und die Kosten tragen zu wollen. Er verkün digte sofort durch Inserate und Placate an den Straßenecken, daß die von den Newyorker Musikern zur Begrüßung der großen Sängerin vorbereitete Serenade um Mitternacht bei Fackelschein mit einem Orchester von 400 Musikern und 1000 Sängern stattfinden werde. Die Herren vom Comité eröffneten ganz erschreckt Herrn Ullman, daß man in ganz Newyork kaum ein Orchester von 150 Mann zusammenbrin gen könne und daß seine Annonce sie Alle der Lächerlichkeit preisgebe. Ullman beschwichtigt das Comité mit der Mit theilung, er habe die sämmtlichen Orchester von Boston, Baltimore und Philadelphia telegraphisch verschrieben und scheue für den gedachten Zweck gar keine Unkosten. Das Re sultat dieses Manövers war, daß 200,000 Menschen, begierig, dies Gratisconcert zu hören, zusammenliefen und alle Zu gänge zum Unionplatz, an welchem die Sonntag wohnte, der maßen verstopften, daß nicht einmal die 80 wirklich engagir ten Musiker sich hindurchdrängen konnten. Es entstand ein fürchterliches Geschrei und Gepfeife, aber Herr Ullman hatte seinen Zweck erreicht, er hatte 200,000 Menschen auf die

Beine gebracht, die von der Sonntag redeten. Solche Spässe, in Amerika bewundert, sind bei uns gottlob unmöglich.

Wie kommt es nur, wird man fragen, daß die als Dame und Künstlerin so vornehme Sonntag, daß die ausge zeichnetsten Virtuosen nach ihr sich gern diesem Unternehmer engagirten? Diese zweite Frage, das Verhältniß der con certirenden Künstler zu einem mit ihrem Talent speculirenden Unternehmer, ist etwas bedenklicher, als die früher beleuchtete über das Interesse des Publicums. Wir gestehen unverholen, daß diese Art künstlerischer Leibeigenschaft uns stets einen unangenehmen Eindruck gemacht hat, und daß wir diese sub jective Empfindung niemals ganz verloren haben, noch ver lieren werden. Gerade deßhalb hielten wir es eben für Pflicht, die durch ihre Neuheit uns frappirende und dadurch vielleicht ungerecht stimmende Erscheinung der modernen Associations-Concerte möglichst unbefangen von beiden Seiten zu betrachten. Fragt man die engagirten Künstler selbst, so vernimmt man fast durchaus, daß sie sich dabei wohl und zufrieden befinden. Sie beziehen, unabhängig von den Tages einnahmen, einen sehr namhaften fixen Gehalt und den voll ständigen Ersatz der Reisekosten. In unserer Zeit, wo die Virtuosen-Concerte längst eine undankbare und mißliche Speculation geworden sind, muß dem Künstler ein sicheres Budget sehr willkommen sein. Es ist für den einzelnen Virtuosen gar kostspielig, gegenwärtig Concerte zu geben, es ist aber auch nebenbei sehr mühevoll, zeitraubend und ver drießlich, all die nothwendigen Vorbereitungen dazu selbst zu treffen. „Ich würde mit Vergnügen jedes Concert dreimal hinter einander spielen,“ so sagte uns mehr als Ein Virtuose, „wäre ich dadurch der Mühen und Sorgen enthoben, die mir das Arrangement eines einzigen verursacht.“ Diesen Wunsch erfüllt die Ullman’sche Unternehmung vollständig; die Künstler spielen etwas öfter als sonst, sind aber aller Sorgen ent hoben. Der Unternehmer ist ihr Reisemarschall, Secretär und Bankier.

Die in englischem Geist und lakonischer Kürze abgefaßten Contracte kommen uns Deutschen etwas seltsam vor. „Herr

Vieuxtemps oder Herr Jaëll verpflichtet sich für sechs Monate oder ein Jahr in Herrn Ullman’s Concerten zu spielen, wo und wann es diesem zweckmäßig erscheint, gegen ein monatliches Honorar von so und so viel tausend Francs und Vergütung der Reisekosten.“ Fiele es Herrn Ullman ein, drei Concerte an einem Tag zu geben, so hätten Herr Vieuxtemps und Herr Jaëll nicht das leiseste Recht, dagegen zu protestiren. Hier muß das persönliche Vertrauen eintre ten und sich vor die gefährlichen Mündungen des Contractes stellen. Der Künstler weiß eben, daß dieser nicht so scharf geladen ist, und daß Herr Ullman unbillige Forderungen nicht stellen wird. Er weiß überdies, daß, wenn er durch Krankheit verhindert würde, an einem oder an zehn und zwölf Concerten mitzuwirken, seine Gage ungeschmälert fort läuft. Vor zwei Jahren hatte Herr Ullman einen berühm ten deutschen Cellisten für drei Monate engagirt; nach den ersten 14 Tagen wurde dieser durch einen Schlaganfall ge lähmt, erhielt aber trotzdem seinen Gehalt für die ganze Zeit ausbezahlt. In Berlin sollen Herrn Ullman durch ein län geres Unwohlsein Carlotta Patti’s Tausende von Gulden entgangen sein, der Sängerin entging kein Heller. Das sind, meinen wir, für den reisenden Künstler Dinge von Werth und Wichtigkeit.

Die Gewohnheit macht, daß wir im Bühnenwesen, ins besondere bei den italienischen Opern-Gesellschaften, dasjenige kaum mehr bemerken, was uns an den Concert-Associationen noch so sehr befremdet. Auch dort dasselbe Princip des ge meinschaftlichen Reisens und Producirens, der Herrschaft des zahlenden Unternehmers über seine Künstler. In London verwendet der Director der italienischen Oper von Her Majesty’s theatre seine Opernsänger nach Belieben in den verschiedensten Städten Großbritanniens auf der Bühne und im Concertsaal, und hat das Recht, ihnen jede Mitwirkung in öffentlichen oder Privat-Akademien zu untersagen. Von allen Kunstzweigen hat aber von jeher das musikalische Vir tuosenthum die geschäftliche Seite, die Tendenz nach Geld gewinn, am wenigsten verleugnet. Schon der alte Forkel,

der im Allgemeinen den Concerten eine große künstlerische Mission zugesteht, definirt (1783) die Virtuosen-Concerte als solche, „die blos zum Gelderwerb gegeben werden“. Der Virtuose reist in der Regel, um Geld zu verdienen.

Die musikalischen Institute, bei welchen der tiefere künst lerische Gehalt als Hauptsache, die echte Kunstpflege als Selbstzweck erscheint, sind die stehenden Orchester-, Chor- und Kammer-Concerte. Die Virtuosen-Concerte als solche waren es niemals. Nur vereinzelte Virtuosen gab es und wird es hoffentlich immer geben, welche die höchsten Ziele der Kunst verfolgen, und diese werden auch künftig allein reisen. Die Ullman’schen Concerte haben das leichte, glänzende Genre, die Virtuosität par excellence, somit die Unterhaltung eines größeren Publi cums im Auge. Wenn sich jetzt mehr als früher die geschäft liche Tendenz des Virtuosenthums bemerkbar macht, so liegt dies theils in dem allgemeinen praktischen Zug der Gegen wart, theils in den stark gesunkenen Cursen des ehemals florirenden Virtuosenthums. Diese Blüthenzeit (die Liszt- Thalberg’sche Epoche) währte nicht lange, noch weniger war sie von Anbeginn da. Wenn wir in einer Wiener Correspon denz der Leipziger Musikzeitung vom Jahre 1803 lesen: „Die Künstler haben hier einen bitteren Kampf zu bestehen; oft hilft ein Theil des kunstliebenden Publicums und das Wohl wollen einiger Fürsten dem Bedrängten durch Subscription aus der Klemme,“ so ist damit ein alter, langwährender Zustand bezeichnet, der das ältere Virtuosenthum nicht in beneidenswerthem Lichte zeigt. Zu Anfang dieses und im Verlauf des vorigen Jahrhunderts mußten selbst große und berühmte Künstler sich dazu bequemen, wochenlang vor ihrem Auftreten in allen möglichen Soiréen zu spielen, um sich da durch Zuhörer für ihr eigenes Concert zu sichern. Dann gingen sie mit den Eintrittskarten oder dem Subscriptions bogen in den Häusern der Adeligen und Reichen förmlich hausieren. Dies war die Gepflogenheit der „guten, alten Zeit“ — wir finden sie mühseliger und demüthigender, als die Stellung von Ullman’s engagirten Künstlern, die nur an die Trefflichkeit ihrer Leistungen zu denken und sonst um nichts und um Niemanden sich zu kümmern haben. An die

Stelle der großmüthigen Aristokraten und Bankiers ist jetzt das große Publicum getreten, und alle geschäftliche Thätigkeit und Berechnung concentrirt sich in der Person des Unter nehmers. Indem dieser, als Geschäftsmann von Fach, seine Aufgabe überdies mit mehr Geschick und Erfolg löst, als der Künstler es vermöchte, so befördert er gleichzeitig das Interesse seines Geschäfts, der Virtuosen und des Publicums.

Dies wären etwa die Gesichtspunkte, welche für die viel angefeindete Form der Associations-Concerte sprechen. Wir geben sie lediglich als Thatsachen und ohne einen ungebühr lichen Nachdruck darauf zu legen; der Leser möge sie nach Gefallen abwägen, allein erwägen muß sie, wer über das Ganze urtheilen will. Wir erblicken in diesen Associations- Concerten eine neue, interessante Culturerscheinung, die aller dings nur aus dem leidigen Geschäftsgeist der Gegenwart sich herausgebildet hat, aber auch erst bei der jetzigen Vervollkomm nung des Weltverkehrs und der imposanten Masse des mo dernen Publicums möglich ward. Sie tritt mit einer Sicher heit und einem Erfolg auf, die ihren Einfluß auf die künftige Gestaltung der Virtuosen-Concerte außer Zweifel setzen.

Nachschrift. Soeben hat das erste „Patti-Concert“ einen großen Erfolg errungen. Die dichtgefüllten Räume des großen, vortrefflich hergerichteten Dianasaales boten einen festlichen Anblick. Carlotta Patti eroberte na mentlich mit dem Schattenwalzer aus „Dinorah“ das Publicum im Sturm. Noch größere Sensation erregten die Lachcouplets aus Auber’sManon Lescaut“, welche die Künstlerin am Schlusse zugab. Carlotta Patti steht durch wunderbare Naturgaben und eine blendende, wenn auch sehr einseitige Virtuosität als ein Unicum in der Gesangswelt da, mit unleugbaren Mängeln nach der idealen, seelischen Seite der Kunst hin, mit unerhörten Eigenthümlichkeiten in deren sinnlichem Elemente. Wir müssen uns für heute mit der Constatirung des großen Erfolgs begnügen, den Carlotta Patti und ihre trefflichen Collegen, Vieuxtemps, Jaëll und Piatti, fanden, uns ein eingehenderes Urtheil für den nächsten Bericht vorbehaltend.