Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse No. 509. Wien, Dienstag den 30. Januar 1866 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Stoxreiter, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2023

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

No. 509. Wien, Dienstag den 30. Januar 1866 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 30.01.1866
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Concerte. (Herr Bottesini und Madame Scalese. Quartett-Productionen. Clara Schumann.)

Ed. H. Dem neuen Harmonie-Theater gebührt das Verdienst, den Wienern einen der berühmtesten Virtuosen der Gegenwart, Giovanni Bottesini, zuerst vorgeführt zu haben. So jung Bottesini noch ist, er sieht seine Herrschaft über den Contrabaß unbestritten und seine Virtuosität von keinem Rivalen, weder in den modernen Concertsälen, noch in den alten Musik-Lexikons, erreicht. Allerdings und mit Recht ist die Baßgeige ein selten gewähltes Concert-Instrument. Seit dem alten Hindle, der in den Zwanziger- und Drei ßiger-Jahren alljährlich sein regelmäßiges Contrabaß-Concert in Wien gegeben, ist unseres Wissens hier Niemand auf dem Orchester-Elephanten geritten. Die Baßgeige verdankt ihre Wichtigkeit im Orchester dem entscheidenden Ernst und Nach druck, womit sie die Conversation der übrigen Instrumente stützt und approbirt; sie selbst ist nicht zum Redner geboren. Wer die Baßgeige zum Solo-Instrument erheben will, ist ge nöthigt, gerade ihre charakteristischen Eigenschaften möglichst abzu schwächen; der Virtuose nimmt ihr die derbe, rumpelnde Kraft, die erhabene Vierschrötigkeit, und dressirt sie zum Violoncell. In der That kann man geschlossenen Auges Bottesini längere Zeit mit der Illusion anhören, einen trefflichen Cellisten zu vernehmen. Er trägt Gesangstellen in der Bariton- und Tenorlage mit weichem, edlem Ton und schmelzendem Ausdruck vor; die schnellsten, schwierigsten Passagen, Triller, chromatische und diatonische Terzenläufe, endlich alle Gaukeleien des Flageolets vollführt er mit größter Sicherheit und Eleganz. Eines nur hätten wir noch gewünscht: daß Bottesini die hohe Lage nicht so unverhältnißmäßig bevorzugt, sondern auch die gewaltige Tiefe des Instruments häufiger producirt hätte. So kann man mitten in der Bewunderung über dieses Vio loncellspiel auf der Baßgeige den Gedanken nicht ganz ab

wehren, warum der Mann nicht lieber gleich zum Cello greife, wo das Alles viel leichter von statten geht? „Eben weil es leichter wäre,“ würde der Virtuose wahrscheinlich antwor ten, „und weil mein Erfolg darauf beruht, das Schwierigere zu vollbringen.“ Wo ungewöhnliche Kraft und Gewandtheit ihre volle Herrschaft über ein widerspenstiges Material pro duciren, da kann und wird der Zoll der Bewunderung nicht versagt werden. Ein widerspenstigeres Material für die Bra vour kann es aber kaum geben, als den Contrabaß, und einen vollkommeneren Bändiger desselben auch nicht, als Botte sini. Glaubt Jemand das Staunen über technische Virtuo sität verlernt zu haben, bei Bottesini’s Productionen wird er es wieder lernen. Daß ein ästhetischer Eindruck, wel cher hauptsächlich aus dem Erstaunen resultirt, kein nachhal tiger sei, bedarf freilich nicht erst des Beweises.

Hingegen verdient Bottesini das ausdrückliche Lob, daß er auch in der Bravour mit Geschmack verfährt und jene bajazzo-artigen Charlatanerien verschmäht, mit denen auf derlei Ausnahms-Instrumenten so gern geflunkert wird. Dahin ge hört z. B. das über Gebühr berühmte Kunststückchen des Pie montesen Langlois, der die hohe Saite des Contrabasses, anstatt sie aufs Griffbrett zu drücken, zwischen dem Daumen und Zeigefinger festklemmte und so mit umgekehrter Hand rasch bis an den Steg rutschte, eine heulende Hexe, die zum Schornstein hinausfährt. Auch die Compositionen Bottesini’s sind, in der gewöhnlichen Form virtuoser Opern-Potpourris, anständig und nicht ohne musikalisches Geschick gearbeitet.

Bottesini’s Contrabaß ist ein dreisaitiger, wie ihn die meisten Solospieler benützen und alle benützen sollten. Der dreisaitige Contrabaß (Quartenstimmung a, d, g) ist nicht nur leichter zu handhaben, sondern gewinnt auch durch den Wegfall der verworren polternden tiefsten Saite an Bestimmt heit und Vollklang des Tones. Im Orchester dürfte die Zu kunft den viersaitigen Baßgeigen gehören, wie sie in ganz Deutschland und Frankreich üblich sind, während man die dreisaitigen nur mehr in den Opernhäusern Englands und

Italiens antrifft. Obwohl Bottesini’s Instrument nicht von größtem Format ist, nimmt es doch eine gewaltige Körper kraft in Anspruch. Eine Production auf der Baßgeige ist kein „Spielen“ mehr, sondern ein Ringen und Raufen, ein An fallen und Niederzwingen des colossalen Gegners. Wenn Botte sini, ein kräftiger, hochgewachsener Mann, sich tief über den Coloß beugend, mit der Linken den langen Weg vom Hals bis zum Steg unaufhörlich zurücklegt, während die Rechte mit mächtigem Bogen die Saiten säbelt, so bewundert man den Athleten in ihm kaum weniger, als den Tonkünstler. Im Presto kam er uns vor wie ein musikalischer van Aken, der eine wildgewordene Bestie bändigt.

Die Aufnahme Bottesini’s in Wien entsprach voll kommen seinem Ruhme. Es ist Thatsache, daß dieser Künstler während der letzten Londoner Saison in jedem Concerte den Sieg über alle mitwirkenden berühmten Virtuosen und Sänger davontrug — eine Wahrnehmung, die den Schwa ger Carlotta Patti’s veranlaßte, gegen das En gagement des von ihm hochgeschätzten und ihm persönlich be freundeten Bottesini für die „Ullman-Concerte“ zu pro testiren. Diese verdunkelnde Wirkung übte die gefeierte Baß geige auch im Harmonie-Theater auf Madame Scalese, die zwar keine Künstlerin ersten Ranges, aber immerhin eine Sängerin von unleugbaren Vorzügen und von günstigem Rufe ist. Melanie Scalese (Schwiegertochter des hier wohlbe kannten Baßbuffo) besitzt eine umfangreiche Altstimme von mehr Kraft und Nachdruck als Schmelz. Ihre Coloratur ist sicher und gleich, aber nicht elegant und zierlich genug. So viel sich aus der stark abgestandenen, formalistischen Arie aus Semiramis“ entnehmen läßt — dem einzigen Stück, das wir von Madame Scalese hörten — entbehrt ihr Vortrag noch der letzten vollendenden Grazie und Feinheit, nicht aber jenes elementarischen südländischen Feuers, das den Italienern oft genug über manche ästhetische Lücke hinweghilft. Die Sän gerin errang lebhaften Beifall. Das zahlreich anwesende Publicum unterhielt sich nach dem Concerte aufs beste an

Barbieri’s Operette: „Ein Abenteuer auf Vorposten“, und an den hübschen Leistungen der talentvollen Sängerinnen Edelsberg und Ullrichs.

Der Musikvereinssaal brachte seit unserem letzten Be richt die sechste und siebente Quartett-Soirée von Hellmes berger. Fräulein Julie v. Asten, die mit Herrn Hell mesberger eine Sonate von J. S. Bach spielte, und Herr Schenner, der mit Schubert’sB-dur-Trio ein ehren volles Debut bestand, wurden wiederholt gerufen. Herr Schenner, als tüchtiger Clavierlehrer bekannt und gesucht, that sich durch kräftigen Anschlag und sicheres, correctes Spiel hervor. Eine gewisse Härte und didaktische Trockenheit wird die Zeit hoffentlich abstreifen. Neu war ein Streichquartett vom k. k. Hof- und Domcapellmeister Herrn G. Preyer, der bereits durch eine Reihe von Jahren sich dem öffentlichen Musikleben ferngehalten hat. Das Quartett bewegt sich mit viel Geschick und Anstand in etwas ausgefahrenen Geleisen einer früheren Geschmacksperiode. Den meisten Beifall errang das Scherzo, eine Art Violin-Etude in raschen Sechzehnteln, welche Herrn Hellmesberger Gelegenheit gab, als Solovirtuose zu glänzen. Das Publikum schied von dem Preyer’schen Quartett ohne Groll, aber auch ohne zärtliches Bedauern.

Mit Jubel wurde Frau Clara Schumann begrüßt, die nach mehrjähriger Abwesenheit Wien wieder mit ihrem Besuch erfreute und Samstag Abends ihr erstes Concert im Musikvereinssaale gab. Der Saal war in allen Räumen gedrängt voll — ein seltener Anblick in so zerstreuender Fa schingszeit und ein schönes Zeichen für die Künstlerin wie für das Publicum.

Mit ganzem Herzen freuten wir uns wieder des edlen, prunklosen und verständnißvollen Spieles der verehrten Frau und, nebenbei gesagt, ihres kräftigen, blühenden Aussehens. Auch ihr Spiel hat seit ihrem letzten Besuch im Jahre 1858 nicht gealtert, im Gegentheil schien uns mancher nervöse Zug von ehedem beruhigt, manche Schärfe gemildert. Das Pro gramm, geziert durch einige sehr beifällig aufgenommene Lie dervorträge Frau Dustmann’s, war vorzüglich.

Frau Schumann spielte das herrliche F-dur-Trio ihres Gatten (mit den Herren Hellmesberger und ver), ein Orgel-Präludium von Sebastian Bach, ein Alle gretto aus Schubert’s Nachlaß, Weber’sAs-dur-Scherzo und ein allerliebstes Impromptu („Zur Guitarre“) von F. Hiller, das wiederholt werden mußte.

In Beethoven’s F-moll-Sonate („appassionata“), einer der schwersten und anstrengendsten Aufgaben, bewunderten wir außer dem tiefdurchdachten Vortrag auch die Ausdauer Frau Schumann’s. Allerdings wird kaum irgend eine Frauenhand den Ansprüchen an physische Kraft entsprechen, welche gerade dieses vulcanisch auflodernde Tonstück in uns erregt. Es ist dieselbe Sonate, mit der Frau Schumann als junges Mäd chen vor nahezu 30 Jahren Grillparzer zu dem bekannten sinnigen Gedicht begeistert und einen neuen, folgenreichen Umschwung in dem gesammten Concertwesen hervorgebracht hat.

Am 14. December 1837 gab Clara Wieck ihr erstes Concert in Wien. Eine halb erblühte Rose mit allem Reiz des Knospens und dabei dem vollen Duft einer entfalteten Centifolie! Kein Wunderkind — und doch noch ein Kind und schon ein Wunder. Es war eine neue, ungeahnte Ansicht der Virtuosität: nachdem diese in Thalberg als weltmännisch vornehme Salonerscheinung aufgetreten war, erschien sie jetzt in Clara Wieck als mädchenhafte Unschuld und Poesie. Bei allem Zauber, den diese Poesie in Clara’s Persönlichkeit und Vortrag übte, blieb doch — man muß historisch getreu sein — die Virtuosität der eigentliche Grund und Maßstab der ihr damals gezollten Bewunderung. „Sie steht mit Thal berg auf gleicher Stufe,“ schrieb man damals; damit war in Wien sicherlich das Höchste gesagt.

Der poetische und romantische Zauber der Virtuosität war in Clara’s Programmen hauptsächlich durch Chopin und Henselt vertreten, welch letzterer kaum aufgetauchte Componist dem Mädchen ein gutes Theil seines schnellen Ruhmes verdankte. Außerdem spielte jedoch Clara Wieck in den Dreißiger-Jahren immer auch ein und das andere flim mernde Bravourstück, am häufigsten das C-dur-Rondo von

Pixis, ihre „Pirata-Variationen“ u. dgl. Auf Grund dieser Erfolge konnte sie es damals schon wagen, hin und wieder in ihren Concerten eine Beethoven’sche Sonate zu spielen (F-moll, D-moll, C-dur und Cis-moll). Dieser schüchterne Anfang war eine That, für die allein ihr der größte Dank, weil unseres Wissens die Priorität, gebührt. Wir haben wenig stens nicht ausfindig machen können, daß in Wienvor Clara Wieck ein Virtuose öffentlich Claviersonaten vorgetragen hätte. In Schuppanzigh’s Quartett-Soiréen, diesem classischen Asyl der Kammermusik und speciell des Beethoven-Cultus, ist nie eine Claviersonate von Beethoven gespielt worden, höch stens hin und wieder eines der Claviertrios. Sogar in den „Abend-Unterhaltungen“ der Gesellschaft der Musikfreunde, die ohne Orchester und mit vorzüglichster Rücksicht auf das Cla vierspiel wöchentlich gegeben wurden, kommt bis zum Jahre 1837 keine Claviersonate vor. Man hat sehr irrthümlicher weise daraus eine der landläufigen Anklagen Wiens wegen „Ignorirung Beethoven’s“ geschmiedet. Beethoven’s Sonaten waren nirgends auf den Programmen der Virtuosen zu fin den, nicht weil sie von Beethoven, sondern weil sie So naten waren. Die Sonate galt noch nicht für concertfähig, sie gehörte zur Kammermusik und wurde im Privatsalon, im Freundeskreis, im Studirzimmer gepflegt. Als mehrsätziges Clavierstück war bei öffentlichen Virtuosen-Productionen nur das Concert hoffähig, wie wir denn in den Zwanziger- und Dreißiger-Jahren Beethoven’s Clavier-Concerte sehr häufig, aber keine seiner Sonaten auf den Wiener Concertzetteln fin den. Die Beethoven’sche Sonate ist erst durch das Bei spiel Clara Wieck’s und bald darauf Liszt’s in die Virtuo sen-Programme, und auch da noch sehr allmälig eingedrun gen. Dies große kunsthistorische Verdienst Clara Schumann’s kommt uns immer in den Sinn, wenn wir sie eine Beetho ven’sche Sonate spielen hören, und deßhalb schien es uns nicht ungeeignet, auch den größeren Kreis unserer Musikfreunde daran zu erinnern.