Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse No 523. Wien, Dienstag den 13. Februar 1866 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Stoxreiter, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2023

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

No 523 Wien, Dienstag den 13. Februar 1866 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 13. Februar 1866
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Concerte.

Ed. H. Es war gegen Ende des Jahres 1846, als Robert und Clara Schumann nach ihrem ersten Concert im Musikvereinssaale von einigen wenigen Getreuen nach Hause geleitet wurden. Die Stimmung war allerseits nicht die beste. Weder den mäßigen Besuch des Saales hatten wir erwartet, noch die mäßige Zustimmung, womit das Publicum Schu mannʼsB-dur-Symphonie (von ihm selbst dirigirt) und sein A-moll-Concert (von Clara gespielt) entgegennahm. Es waren dies die ersten in Wien aufgeführten Compositionen von Schu mann, bekanntlich zwei seiner größten und schönsten. Zog man von der Summe des Beifalls den kleinen Minoritäts- Fanatismus der „Getreuen“ und die persönliche Höflichkeit ab, so blieb ein Erfolg übrig, der sich eigentlich nur für mikroskopische Betrachtung eignete. So sehr die begleitenden Freunde bemüht waren, ihrem Entzücken den wärmsten Aus druck zu leihen und damit einen schwachen nachträglichen Sciroccohauch auf die Kühle des Publicums zu fächeln — das Künstlerpaar hatte nur zu richtig beobachtet, und Frau Clara, die nicht den eigenen, sondern nur den Lorbeer ihres Gatten im Auge hatte, verrieth eine bedenkliche Traurigkeit. „Sei guten Muthes,“ sprach Schumann ihr tröstend zu, „in zehn Jahren wird das ganz anders sein.“ Er hatte richtig prophe zeit und sogar den Zeitpunkt ziemlich genau getroffen, von dem eine allgemeinere Anerkennung und Verbreitung der Schumannʼschen Musik in Wien datirt werden kann.

Schumann war nach einer fast zehnjährigen eclatanten Thätigkeit als Componist und Schriftsteller und trotz eines früheren Aufenthaltes in Wien, wo er mehrere Tondichtun gen herausgegeben hatte, den Wienern ein unbekannter Mensch geblieben. Als er im Jahre 1846 mit seiner Gattin Wien besuchte, sprach man von ihm nur als von dem „Mann der Clara Wieck“, und seine wenigen Verehrer zitterten vor einer möglichen Wiederholung jenes Vorfalls bei einem aus wärtigen Hofconcert, wo eine hohe Person nach Claraʼs Produc tion sich mit der huldreichen Frage an ihren Gatten wendete: „Sind Sie auch musikalisch?“ Es wollte fast scheinen, als sei Schumann auch noch im Jahre 1846 vergeblich in Wien gewesen. Allein das Samenkorn war dennoch nicht im Winde

verweht, es ruhte und wuchs im Herzen der kleinen Davids bündler-Gemeinde, die hier (der Sache, wenn auch nicht dem Namen nach) entstanden war, um nach den befruchtenden Stürmen von 1848 allmälig zu Aller Nutzen und Freude sichtbar aufzugehen. Langsam genug geschah dies allerdings. Man erinnere sich, wie zaghaft die „Gesellschaft der Musik freunde“ erst im December 1854 ein Werk von Schumann vorführte (die C-dur-Symphonie), wie langsam man (1856 und 1857) zur B-dur- und D-moll-Symphonie vorschritt und sich endlich 1858 an die „Peri“ wagte, die längst in ganz Deutschland beliebt, ja sogar in Amerika wiederholt auf geführt war. Hellmesberger hatte längst den „letzten Beethoven“ öffentlich gespielt und wagte sich noch nicht an Schumann; im November 1852 brachte er das erste Schumannʼsche Quartett, und erst volle sechs Jahre später das dritte. Am unbegreiflichsten war die lange Vernachlässi gung Schumannʼs von Seite der Pianisten. Dreyschock, Willmers, Evers, Schulhoff und andere gefeierte Vir tuosen concertirten in Wien in den Jahren 1850 bis 1855 (!), ohne ein einziges Stück von Schumann in ihr Programm aufzunehmen. Als ein bekannter in aristokratischen Kreisen gefeierter Wie ner Virtuose einmal interpellirt wurde, weßhalb er Schumannʼs Compositionen ganz ignorire, erwiderte der große Clavierpauker: „Warum soll ich in meinen Concerten Sachen von Schumann spielen? Seine Frau spielt auch nichts von meinen Compo sitionen.“

Wenn Karl v. Lützow kürzlich in einem Aufsatz über die Wiener Baugeschichte den „verspäteten Charakter“ derselben betonte, so können wir diesen treffenden Ausdruck ganz analog auf das frühere Musikleben Wiens anwenden. Wie Schu mann, so hatte vor ihm Mendelssohn, nach ihm Ri chard Wagner einen sehr verspäteten Einzug bei uns ge halten; Wien nahm von diesen Männern erst Notiz, nachdem sie ein Jahrzehnt in ganz Deutschland bekannt und gefeiert waren. Dafür hat Wien seine musikalische Verspätung jederzeit durch eine desto wärmere und anhaltendere Pflege des ein mal Erkannten wieder gutgemacht, so daß Clara Schumann das Wiener Publicum heute mit Recht als das theilnehmendste und verständigste rühmen und ihm selbst die schwerfaßlichsten Compositionen ihres Gatten mit voller Zuversicht vorführen darf. Bei der qualitativ und quantitativ so bedeutenden Aus

bildung des musikalischen Dilettantismus und speciell des Clavierspiels in Wien kann die Concertgeberin mit größerer Sicherheit als irgendwo anders annehmen, daß ein ansehn licher Theil ihrer Zuhörer auch mit den noch nicht öffentlich gespielten Compositionen Schumannʼs bekannt sei. So hat Frau Schumann in ihrem letzten Concert zum erstenmal die Humoreske“ op. 20 vollständig und mit glänzendem Er folg vorgetragen. Das Stück gehört der ersten Periode Schu mannʼs an, in welcher die wunderbarste Inspiration mit ju gendlich wilder Gährung im Streite lag oder richtiger zu unwiderstehlichem Zusammenwirken sich verband. Trotz ihres Singular-Titels und der Abwesenheit bestimmter Unter- Abtheilungen (wie sie die „Keisleriana“ und „Davidsbündler tänze“ haben) bildet die „Humoreske“ nicht eine untrennbare Einheit, sondern eine Reihe von sechs (wenn man will sieben) Charakterstücken, verschieden nach Tonart, Tempo und Aus druck. Wahrscheinlich bezog sie der Componist durch einen be stimmten poetischen oder psychologischen Zusammenhang näher aufeinander, als deren rein musikalische Verbindung uns jetzt errathen läßt. Die Factoren des Humors sind darin mehr selbstständig auseinandergelegt, als verschmolzen, und zwar waltet der sentimentale vor dem launigen, das Idealmoment vor dem Realmoment vor. Gegenüber solchen höchst subjectiven Ergüssen einer in ihrem Reichthum schwelgenden Phantasie verstummt das nachschildernde Wort — genug, daß wir innigere Herztöne, blitzendere Geistesfunken, berauschendere Klänge in keiner anderen Composition Schumannʼs erlebten. Hat man dies merkwürdige Stück auch nur einmal gehört, so wird man, seltsam befremdet und bezaubert, den Eindruck schwerlich wieder loswerden. Beschäftige man sich aber jahrelang damit, und man wird immer neue Schönheiten und die alten jedesmal schöner finden.

Wie schon der Titel „Humoreske“ andeutet und der Inhalt vollauf bestätigt, stand der Componist damals unter der heftigsten Einwirkung eines Dichters, der auf Schumannʼs musikalische Phantasie, sowie auf seinen literarischen Styl einen entscheidenden Einfluß geübt hat: wir meinen Jean Paul. Von diesem Einfluß hat sich Schumannʼs Musik allerdings später befreit, als sie in jene Phase der Abklärung und Formschönheit trat, die wir als seine zweite Periode bezeichnen. Aber an seiner persönlichen Begeisterung für Jean Paul ließ Schumann selbst in späteren Jahren nicht mäkeln; der wort

karge, freundlich vor sich hin sinnende Mann konnte in sol chem Falle sehr heftig werden. So gaben einmal die Musiker und Kunstfreunde Hamburgs dem als Gast anwesenden Schu mann ein Festsouper. Nachdem der erste Toast auf das ge feierte Künstlerpaar ausgebracht und in allgemeinem Jubel allmälig verhallt war, erhob sich Schumann, um etwas Außerordentliches zu begehen, nämlich zu sprechen. Athemlose Stille. Der Redner pries das glückliche Zusammentreffen die ses Festes mit einem Tage, welcher Deutschland zwei der größten Genies geschenkt habe: es sei heute der 21. März, der Geburtstag Sebastian Bachʼs und Jean Paulʼs, dieser unsterblichen Beherrscher der Musik und der Poesie! Er erhob sein Glas, und die Gesellschaft that mit freudigem Zuruf Bescheid. Allein der Dämon der Kritik, der oft am nächsten, wenn die Begeisterung am höchsten, war auch bei diesem Künstlermal gegenwärtig und erhob sich langen Halses und funkelnden Blickes in Gestalt des geistreichen Grädener, damals Directors der Hamburger Sing-Akademie. Den Ruhm Jean Paulʼs, so sprach er, wolle er nicht antasten, noch irgend welche Sympathien für diesen Dichter; allein dagegen müsse in einem Kreise deutscher Musiker protestirt sein, daß Jean Paul mit dem gewaltigen Sebastian Bach in Einem Athem genannt und als ein Ebenbürtiger verehrt werde. Grädener war eben im besten Zuge, diesen Gedanken weiter auszuführen, als Meister Robert schon aufgesprungen und ohne ein Wort zu sagen zum Saal hinausgestürzt war. Vergebens suchte man ihn, und der Rest des Abends verfloß in sehr herabgemunterter Stimmung. Am folgenden Morgen eilte Grädener (aus dessen Munde wir die Geschichte haben) mit einigen musikalischen Würdenträgern zu Schumann, den man mittelst aller erdenklichen Erklärungen endlich versöhnte.

Die „Humoreske“ kann, ganz abgesehen von ihrer enor men technischen Schwierigkeit, überhaupt nur von Jemandem gespielt werden, der sich, verwandten Geistes, vollständig in diese eigenthümliche Gedankenwelt hineingelebt hat. Wie sehr Frau Schumannʼs Kunst hier am rechten Platze und von ganz einziger Wirkung war, braucht kaum erst gesagt zu wer den. Möchte sie unseren Wunsch nach einer Wiederholung der Humoreske“ im Laufe ihrer Concerte erfüllen! Was Frau Schumann außerdem von Compositionen ihres Gatten vor trug, ist aus ihren früheren Productionen bekannt: die D-dur Novellette Nr. 2, das „Nachtstück“ in F-moll, op. 12 (beides

wol in allzu raschem Tempo), endlich das liebliche Schlummer lied aus den „Albumblättern“.

Das dritte Concert der Frau Schumann erzielte eine harmonischere Gesammtwirkung als das zweite, welches, an sich zu langwährend, überdies zu viel ernste, düstere Stücke aufeinanderfolgen ließ. Alle acht Lieder aus Schumannʼs Frauenliebe und Leben“ hinter einander zu singen, war ein interessantes Experiment, an dessen günstigem Erfolg Fräulein Bettelheim ein großes Verdienst hatte. Im Allgemeinen scheint uns die Häufung vieler, namentlich gleichartiger Com positionen von Schumann in Concerten nicht rathsam; speciell gegen den genannten Cyklus erheben sich überdies noch andere Bedenken. Die Auseinanderfolge zweier umfangreicher Par tien Variationen (von Beethovenop. 36 und von Ernst Rudorff) verstieß gleichfalls gegen die Gesetze musikalischer Oekonomie. RudorffʼsVariationen für zwei Pianoforte(von Frau Schumann mit Fräulein v. Asten gespielt) haben uns trotz mancher geistreichen Figuration und manchen sinnigen melodischen Zuges einen unerquicklichen Eindruck hin terlassen. Sie sind eine directe Nachbildung Schumannʼs und die Nachahmer Schumannʼs beginnen uns, im Lied wie in der Claviermusik, peinlich zu werden. Ist es an sich schon bedenklich, eine so ganz individuelle, bis zum Krankhaften sub jective Erscheinung wie Schumann zu copiren, so wirkt es vollends verstimmend, wenn seine Nachahmer sich mit conse quenter Beharrlichkeit gerade an jene Eigenheiten und Ma nieren ihres Vorbilds festklammern, welche an diesem selbst mitunter schon bedenklich sind. Dahin gehört der Mißbrauch mit Synkopen und Vorhälten, mit Dissonanzen, rhythmischen und harmonischen Härten. Rudorff scheint es besonders auf die Synkopen und rhythmischen Verschiebungen aller Art abgesehen zu haben, und zwar mit solchem Erfolg, daß man mitunter nicht errathen kann, wohin der gute und der schlechte Tacttheil falle, ob man Perioden von vier zu vier oder von drei zu drei Tacten höre u. s. w. Wir erinnern beispiels weise gleich an das Thema mit seinen langsamen Triolen, an das synkopirte Hinken der zweiten Variation und Aehn liches. Den günstigen Eindruck des 6/8-Tact-Allegrettos, das einen freundlichen, lebhaften Abschluß des Ganzen bilden könnte, erwürgt der Componist mit eigener Hand, indem er noch ein unerwartetes langathmiges Adagio hinzufügt, das natürlich viel distinguirter „aussieht“. — Sehr schön spielte

Frau SchumannSchubertʼsB-dur-Sonate; auf gleicher Höhe stand ihr Vortrag des Adagio in Beethovenʼs B-dur- Trio (op. 95), während uns die andern Sätze nicht immer die volle Energie und den kräftigen Humor der Tondichtung wiederzugeben schienen. Endlich ist noch die meisterhafte Aus führung eines Scarlattiʼschen Sonatensatzes und der be kannten E-dur-Variationen von Händel hervorzuheben.

Einen erhöhten Reiz gewann das dritte Concert Frau Schumannʼs durch einige Gesangsvorträge des Herrn Wal ter, welche das Auditorium entzückten.

Vergebens hatten wir uns gefreut, Frau Schumann ein neues Clavierquintett von J. Brahms in Hellmesber gerʼs letzter Quartettsoirée vortragen zu hören. Ohne daß es irgend eine Aufklärung darüber erhalten hätte, wurde das Publicum mit einer alten Sonate von Mozart (für Clavier und Violine) für die versprochene Novität entschädigt. Wir bedauern diese Aenderung um so lebhafter, als Frau Schu mann einen großen Werth darauf legte, das Brahmsʼsche Quintett dem Wiener Publicum vorzuführen, und als von unseren tüchtigen Clavierspielern wol keiner gerade für Brahmsʼ Compositionen ein gleiches Verständniß mit gleicher Liebe vereinigt. Warum das Quintett trotzdem weg blieb, sowie das als Ersatz vorgeschlagene A-dur-Quartett von Brahms — wir wissen es nicht. So viel wissen wir aber und geben es Herrn Hellmesberger zu beherzigen, daß das Publicum auf das monatelang vorher veröffentlichte Programm ein Recht hat. Es ist sehr schön, interessante Novitäten ins Programm zu setzen, nur muß man sie auch wirklich spielen. Abgesehen von dieser Reclamation, ist der achten Quartettsoirée alles Rühmliche nachzusagen. VolkmannʼsG-moll-Quartett und Beethovenʼs B-Quartett op. 130 wurden ganz vorzüglich ausgeführt, so daß der Beschluß des ganzen Cyklus kaum glänzender sein konnte. Wenige Tage später konnte sich Herr Hellmesberger auch an der Spitze des von ihm geleiteten Conservatoriums dem Publicum in rühmlicher Weise präsentiren. Die jungen Musiker, die Geiger vor Allem, hiel ten sich sehr wacker und ernteten ebenso rauschenden Beifall, als ein junger vortrefflicher Clavierspieler, Herr J. Rubin stein, dessen Vortrag des schwierigen ersten Clavierconcerts von Liszt verdientes Aufsehen erregte.