Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 533. Wien, Freitag den 23. Februar 1866 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Stoxreiter, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2023

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 533. Wien, Freitag den 23. Februar 1866 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 23.02.1866
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Theater und Concerte. Brahma und Bayadère“. — „Die Schäfer“. — Concerte von Cl. Schumann, J. Pollak, und K. Josika. — Akademischer Gesangsverein. — Männergesang-Verein. — Philharmonisches Concert.)

Ed. H. In Erwartung des noch immer nicht fertig ge zimmerten Linienschiffs der „Afrikanerin“ konnten unsere Opernfreunde sich in der verflossenen Woche mit zwei kleine ren musikalischen Fahrzeugen unterhalten. Nagelneu kamen im Theater an der Wien OffenbachʼsSchäfer“ und gleich zeitig unter etwas verblichener Flagge „Brahma und die Bayadère“, von Auber, im Harmonie-Theater angesegelt. Musikalisch betrachtet, ist „Le Dieu et la Bayadère Die der Theater-Censur mit Recht verübelte Uebersetzungs prüderie „Brahma und die Bayadère“ ist jedenfalls eine sehr alte. Die Oper wurde im Kärntnerthor-Theater stets unter diesem Titel ge geben (1832, 1852), desgleichen auf den meisten deutschen Bühnen. Freilich hat die Censur mit ihrem „Brahma“ gerade den Unrechten erwischt, denn nach der indischen Mythologie kommt Brahma niemals auf die Erde, sondern nur Vischnu und Siva. eine der schwächsten Opern des französischen Meisters. Von der melodischen Frische des im gleichen Jahre geschriebenen Fra Diavolo“ (1830) hat die „Bayadère“, kaum einen Hauch; auf einige pikante Rhythmen, ein oder das andere charakteristische Ritornell (wie das G-dur-Andantino beim Einschlummern des „Unbekannten“) beschränkt sich die ganze Ausbeute, welche der Musiker aus diesem verwelkten Kram von Couplets-, Marsch- und Quadrillen-Melodien mit nach Hause nimmt. Die Schuld liegt nicht an dem angeblich un verhältnißmäßigen Vorherrschen des Tanzes in diesem Stück, das man fälschlich als „ein Ballet, in welchem auch gesungen wird“, bezeichnen hört. Es ist im Gegentheil „eine Oper, in welcher auch getanzt wird“, und zwar kaum mehr, als in den modernen großen Opern französischen Ursprungs. Dem eigent lichen Ballet, den Tänzen, ist in Auberʼs Partitur ein sehr mäßiger Raum angewiesen, weßhalb auch die meisten Bühnen, um das Ballet reichlicher zu beschäftigen, zahlreiche Tanz-Ein lagen vornahmen; es geschah dies auch im Harmonie-Theater. Das Charakteristische dieser Oper liegt darin, daß die Haupt person (wie in der „Stummen von Portici“) nicht singt oder spricht; während aber Fenella blos auf Mienen- und Geberden spiel angewiesen ist, hat die Bayadère neben der Pantomime

auch noch von rechts- und berufswegen den Tanz. Dichter und Componist verwenden ihn als dramatisches Motiv sehr geschickt in jener Scene des zweiten Actes, wo der „Unbe kannte“ absichtlich Zoloё durch Zurücksetzung kränkt. Zu tan zen aufgefordert, bietet Zoloё ihre beste Kunst, ihre glühendste Empfindung auf, während ihr Heißgeliebter, eifrig mit den andern Bayadèren kosend, sie kaum eines Blickes würdigt. Immer tiefer und heftiger tanzt die Arme sich in den Schmerz hinein, und schließt endlich — mit einem Strom von Thrä nen. Das ist recht dramatisch empfunden und ein unvergleich licher Vorwurf für eine Künstlerin, deren Talent nicht blos in den Beinen steckt. Den Beinen der Sig nora Conti gebührt alle Hochachtung, aber eine dra matische Künstlerin tragen sie nicht. Rachele Conti ist eine Virtuosin des Tanzes, kühn, sicher und graziös. Allein wie schon ihr Tanz fast ausschließlich auf der Bein- und Fußbravour beruht, die schöne Beredtsamkeit der Arme gänz lich vernachlässigend, so sinken ihre dramatischen Ausdrucks mittel vollends zum Unbedeutenden herab, wo sie lediglich durch die Pantomime, als Schauspielerin, wirken soll. Solche Momente bietet schon der erste, weit mehr noch der zweite Act in Fülle; eine geistvolle Darstellerin kann hier die ganze chromatische Scala der Empfindungen und Leidenschaften, der Schilderung und Ueberredung mit immer neuen Accenten durchspielen. Fanny Cerrito, Fanny Elsler und Marie Taglioni haben dies vermocht und für den Erfolg der Oper in Frank reich, England und Deutschland mehr gethan, als der Com ponist. Signora Conti vermag es nicht; ihre Mimik reicht über die anständige Ausfüllung der vorgezeichneten allgemein sten Umrisse nicht hinaus. Gleich bei dem ersten Heraustre ten dieser Tänzerin wollte uns ihr breit lächelnder Mund und ihre noch breiter lächelnde Coiffüre wenig Gutes für die charakteristische Auffassung der Bayadère weissagen — und wir hatten in diesen Sternen richtig gelesen. Immerhin war die Leistung der Signora Conti wenigstens technisch tadel los, selbst glänzend, was man keinem ihrer Mitspieler auch nur entfernt nachsagen kann. Der ganze musikalische Theil der Vorstellung befand sich auf dem Standpunkte des Dilet tantischen, ja zum Theile des Schülerhaften. Die Rollen stellen sämmtlich nur mäßige Ansprüche an die Sänger, keine davon ist eine sogenannte große Partie. Gerade deßhalb dürfte aber das Publicum vollkommen Ausreichendes wol er warten und verlangen. Mit solchen Kräften sind Opern-Vor

stellungen in Wien für die Dauer unmöglich, darüber wolle das Harmonie-Theater sich ja keine Illusion machen. Auch an den nothwendigsten Winken der Regie schien es zu fehlen, so erschien z. B. der Unbekannte, der nach der Natur der Rolle und der ausdrücklichen Weisung des Textbuches, „in einfachster Kleidung, in einen Mantel gehüllt“, auftreten muß, in reichgesticktem Sammtkleide mit goldenem Diadem und Armspangen. Dieser Anzug allein tödtete sofort die Wahrscheinlichkeit der ganzen Exposition und warf einen schwe ren goldenen Schatten auf die uneigennützige Hingebung der armen Bayadère.

Ungleich befriedigender in jeder Hinsicht gestaltete sich die jüngste Novität des Wiedener Theaters, Offenbachʼs drei actige Burleske: „Die Schäfer“. Es ist dies nicht sowol ein Stück, als eine Nebeneinanderstellung dreier genreartig aus geführter Stückchen oder Bildchen, deren erstes eine Idylle aus der mythologischen Zeit darstellt, während das zweite das gekünstelte, seidene Schäferwesen unter Louis XV., das dritte endlich den derbsten Bauernrealismus von heute schildert. Die Figur des Liebesgottes, welcher unter allerhand Verkleidung den Draht der Intrigue dirigirt, vermittelt eine Art Zusam menhang zwischen den drei Sittenbildern. Daß die Idee die ser parodistischen Schilderung dreier so contrastirender Schä ferwelten eigenthümlich und anziehend sei, räumen wir gerne ein, wie auch, daß der Dichter sie nicht ohne Geist ausge führt habe. Hingegen macht sich der Mangel an fortschrei tender Handlung in jedem der drei Bilder sehr bemerkbar; es geschieht nichts, rückt nichts von der Stelle, und für das fehlende Interesse an den Thatsachen tritt auch keineswegs ein gesteigertes Interesse an den Charakteren ein, die ja von jeder Entwicklung abgeschnitten sind. Man muß sich eben an ein zelne gelungene Figuren halten, episodisch sind sie alle. Die Musik, welche schon an diesen Mängeln des Textbuchs nicht unbedeutende Hindernisse vorfindet, hat überdies eine ganz spe cielle Schwierigkeit auf ihrem eigensten Gebiet zu besiegen. Sie muß nämlich den Charakter des Idyllischen das ganze Stück hindurch vorwalten lassen, wofür sie allerdings traditio nelle und leichtverständliche, aber ziemlich begrenzte und ein förmige Ausdrucksmittel besitzt. Die Klänge der Oboё und Clarinette, der dudelsackartig schnurrende Baß, der hüpfende Sechsachtel-Tact, das Alles hält nicht lange vor und wird bald monoton. Dieser Gefahr ist auch Offenbach nicht entgan gen, im ersten Acte zumal, wo die langsamen Tempi und der

sentimentale Ton vorherrschen. Einzelne anmuthige Nummern würden, herausgehoben aus diesem ländlichen Einerlei, in an derer Umgebung wahrscheinlich viel besser wirken. Das Beste im idyllischen Ton hat sich Offenbach überdies im ersten Act seines „Orpheus“, dann in „Daphnis und Chloё“ selbst vor weggenommen. Jeder Act der „Schäfer“ bringt einige hübsche Einzelheiten: der erste Daphneʼs Klage („Myriamne nʼest plus) und das Quintett in As-dur, der zweite die Couplets „Jʼai perdu mon mouton“ und Erosʼ Lied von der sich dre henden Erde, der letzte das Krautsuppenlied und das komische Jammerterzett. Diese Nummern und die trefflichen Leistungen der Fräulein Geistinger und Fischer, der Herren Swo boda, Knaack, Blasel und Rott verhalfen der Novität zu einem entschiedenen Erfolg.

Mit „Orpheus“ und der „schönen Helena“ sind „Les Bergers“ musikalisch nicht zu vergleichen, selbst manche von Offenbachʼs einactigen Operetten („Fortunio“, „Fagotto“, „nis“) wiegen an Ursprünglichkeit und Frische der Erfindung die ganze Schäferei vom Tempel der Diana bis zum Kuhstall der Sincère auf. Dafür ist die sorgsame, feine Hand anzu erkennen, mit welcher der Componist die etwas mageren Me dien gestaltet und durch pikante Instrumentirung gehoben hat; desgleichen die lobenswerthe Einheit des Styles, die er über das Ganze, selbst über jeden einzelnen Act zu breiten wußte. Vergleicht man damit die plumpe Rohheit seiner ihn plündernden Nachahmer (z. B. in Wien), so wird man selbst vor Werken wie „Les Bergers“ und „Coscoletto“ eine Art künstlerischen Respects empfinden. Auch die letztgenannte Ope rette gehört entschieden zu den schwächeren Offenbachʼs, und dennoch wüßten wir gegenwärtig keinen zweiten Componisten, der das Vergiftungssextett oder das Duett „Coscoletto“ im zweiten Acte hätte machen können. Der verächtlich wegwerfende oder sittlich entrüstete Ton, in dem die deutschen Musiker und Kritiker über Offenbach sprechen, scheint uns sehr un passend. Es gibt kein Städtchen in Frankreich oder Deutsch land, das sich nicht an Offenbachʼs Operetten herzlich erfreut und erheitert hätte, seine Melodien sind populär diesseits und jenseits des Oceans. Dabei prätendirt er keinerlei Unsterblich keit für seine Werke: ehe eines davon Zeit hat, zu veralten, hat er drei neue fertig. Wenn das gar so leicht ist, machtʼs ihm nach, ihr deutschen Componisten! Ohne Offenbach gäbe es seit 15 Jahren thatsächlich kein melodiöses, heiteres Sing spiel mehr, wir wüßten kaum noch, was es heißt, bei einer dramatischen Musik lustig sein und lachen. Seien wir ihm

dankbar dafür, er ist nicht blos ein ergötzlicher, sondern — wie die Dinge jetzt stehen — ein nothwendiger Componist.

An Concerten fehlte es nicht in den letzten Tagen. In Ehrbarʼs Salon spielte der Violinspieler Herr Pollak mit vielem Beifall. An Beifall fehlte es auch Herrn Kolo man Josika nicht, der im Musikvereinssaal als „Lieder sänger“ auftrat. Wir glauben, daß es ein schlechter Rath schmeichlerischer Freunde war, was Herrn Josika zu diesem faux-pas bewog. Die Liedertafel des Akademischen Gesang vereins machte mit einigen neuen humoristischen Compositio nen des liebenswürdigen Engelsberg Furore.

Der Männergesang-Verein hingegen zeigte sich dies mal in geistlichem Gewand, nämlich mit einer vortrefflichen Aufführung des Cherubiniʼschen Requiems für Männer stimmen, unter Leitung des Herrn Hofcapellmeisters Herbeck. Letzterer hat, wie wir bei diesem Anlaß gerne nachtragen, kürzlich eine von ihm componirte große Messe in der Burg capelle zur Aufführung gebracht, die uns von sachkundigen Hörern als ein ganz ausgezeichnetes Werk gerühmt wurde.

Ein leidiges Unwohlsein, das uns von dieser Aufführung fern hielt, hat uns auch um Frau Schumannʼs fünftes Concert, das als eines der schönsten gerühmt wird, und um das letzte „Philharmonische Concert“ gebracht. Die Haupt nummer des letzteren hatten wir glücklicherweise in einer Probe kennen gelernt: Esserʼs zweite Orchester-Suite in A-moll, welche sich bei der Aufführung einer so glänzenden Aufnahme erfreute. Die Hand des Meisters verleugnet sich darin in keinem Tact.

Es dürfte heutzutage sehr wenig Componisten geben, welche die Kunst, polyphon zu schreiben, mit solcher Leichtig keit, Correctheit und Eleganz handhaben, wie Esser. Tritt diese Kunst ehernen Schrittes, voll Kraft und Nachdruck im ersten Satze auf (wol dem bedeutendsten des Werkes), so klei det sie sich in den beiden folgenden in das anmuthigste, flie ßendste Gewand. Diese mittleren Sätze, ein in den mannich fachsten, reizendsten Klangfarben schillerndes Allegretto und ein äußerst interessant (mitunter etwas concertmäßig) variir tes Andante wirken mit unmittelbarem Reiz auf das große Publicum, während sie gleichzeitig dem Musiker von Fach zu hören und zu denken geben. Das Finale, ein brillantes Allegro, schien uns gegen die früheren Sätze etwas abzufallen, sein Feuer ist jedenfalls etwas äußerlicher Natur und die Instrumentirung mitunter stärker als die Gedanken. Jeden falls wurde uns durch die Esserʼsche Suite ein Werk von

hohem künstlerischen Rang und günstigster Wirkung — ein Gewinn für alle Concert-Repertoires. Es ist eine überraschend neue Seite, die Esser mit seinen zwei Orchester-Suiten so plötzlich hervorgekehrt hat, er, der bis jetzt fast nur durch eine große Zahl von Liedern bekannt war, die zum großen Theil anmuthig, warm und dankbar, zum Theil aber auch ziemlich unbedeutend und physiognomielos sind. Wir gratuliren dem trefflichen, als Künstler wie als Mensch gleich verehrungs würdigen Mann von ganzem Herzen zu diesem neuen Auf schwung, diesem neuen Erfolg.

Für die Vorführung von Beethovenʼs Liederkreis „an die entfernte Geliebte“ konnte man Herrn Dr. Gunz und Herrn Capellmeister Dessoff nur dankbar sein. Das Werk gilt für den Höhepunkt von Beethovenʼs Lieder-Composition und wurde seit zwanzig Jahren (wo Erl, von Liszt accom pagnirt, es vortrug) hier nicht gehört; es dürfte vielen der jüngeren Concertbesucher neu gewesen sein. Dem Vortrag des Herrn Gunz soll, wie wir hören, nicht die nöthige Wärme innegewohnt haben (er hat, wie ein Witzkopf äußerte, die Lie der zwar nicht verhunzt, aber „vergunzt“); trotzdem glauben wir, daß der geringe Eindruck, den diese Composition heutzu tage hinterläßt, zum größeren Theil in ihr selbst liegt. Beetho ven, in allen anderen Kunstformen seiner Zeit revolutionär vorauseilend, verhielt sich gerade im Liede sehr conservativ, mitunter reactionär. Wir glauben oft Haydn und Mozart, ja Gyrowetz, Weigl und Winter zu vernehmen. Etwas Unfreies, Bürgerliches, mitunter sogar Triviales steckt in der Mehrzahl der Beethovenʼschen Lieder. Bald an das älteste, einfachste Strophenlied anlehnend, bald in italienisirende Opern- Cadenzen verfallend, ist Beethoven im Lied fast niemals ganz Er selbst. Nur einzelne Accordfolgen, Rhythmen, Melodien theilchen verrathen ihn. Das Lied ist die einzige Kunstform, die erst nachBeethoven einen ungeahnten Aufschwung nahm. Schubert war es vorbehalten, unvergängliche Zaubergärten auf einem Gebiete zu pflanzen, über welches Beethoven kaum seinen Schatten geworfen. Von allen Liedern Beethovenʼs ist einem Volke nur Eines ans Herz gewachsen: die „Ade laide“, die der Meister verbrennen wollte. Beethovenʼs Zeit genossen haben mit richtigem Instinct diese süßeste, zärtlichste Melodie, zu der ihn jemals ein Gedicht begeistert hatte, unter ihren Schutz genommen und mit einer beispiellosen Populari tät bekränzt. „Adelaide“ ist das einzige Lied von Beetho ven, dessen Verlust eine Lücke in dem Gemüthsleben unserer Nation zurücklassen würde.