Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse No. 310. Wien, Freitag den 2. März 1866 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Stoxreiter, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2023

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

No. 310. Wien, Freitag den 2. März 1866 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 02.03.1866
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Meyerbeer’s „Afrikanerin“. II.

Ed. H. Die Musik zur „Afrikanerin“ trägt in allen Theilen das unverkennbare Gepräge Meyerbeer’s; jeder ihrer Reize, anziehend oder abstoßend, verräth sofort den Schöpfer der „Hugenotten“ mit seiner üppigen Erfindungs kraft, seinem enormen Kunstverstand und all den blendenden Eigenschaften jenes eklektischen, aber eminent dramatischen Styls, den er sich geschaffen. Wir finden alle Vorzüge und Schwächen Meyerbeer’s in der „Afrikanerin“ wieder, nur erreichen jene nicht ihre größte Höhe, letztere nicht ihre tiefste Stufe. Eine „neue Phase“ von Meyerbeer’s Talent, eine ungeahnte Styl-Entwicklung haben wir weder erwartet noch gefunden, wir lassen dies Vorrecht jenen berauschten Dilet tanten, welche in jedem neuen Werk Meyerbeer’s ein nicht blos dem Werth, sondern auch der Gattung nach nie Dage wesenes erblicken. Von allen Opern des Meisters haben die Hugenotten“ die meiste Verwandtschaft mit der „Afri anerin“, in der gesammten Form und Anlage, wie im Aus druck des Einzelnen. Manche Scenen bilden geradezu Pen dants zu Hauptmomenten der „Hugenotten“, so die Berathung des Tribunals mit der Verschwörung und Waffenweihe, die Schiffsscenen mit dem Volkstreiben auf der Schreiberwiese, das Liebesduett im vierten Act mit jenem an gleicher Stelle der „Hugenotten“. Es sind dies mit die gefeiertesten und besten Nummern in der „Afrikanerin“, und dennoch braucht man sie nur mit jenen Gegenbildern zu vergleichen, um sich klar zu sein, wie viel höher Stück für Stück die „Huge notten“ stehen. Die „Afrikanerin“ den „Hugenotten“ gleich zustellen, ist ein unzurechnungsfähiger Einfall der Reclame, an welchen in Jahr und Tag kein Mensch mehr denken wird. Von den Reminiscenzen in der „Afrikanerin“ stammen die zahlreichsten und auffallendsten aus den „Hugenotten“, es ist

als hätten dem Meister davon noch die Ohren geklungen. Wir möchten die „Afrikanerin“ eine Art Abschwächung oder Verdünnung der „Hugenotten“ nennen. Letztere Oper hat Meyerbeer nie wieder erreicht; der „Prophet“ holt sie nur in zwei bis drei Prachtstücken ein, im Uebrigen zeigt er gegen die Hugenotten“ eine Ermüdung und Ueberreizung des schöpfe rischen Vermögens. Und dennoch ist unseres Erachtens selbst der „Prophet“ entschieden bedeutender als die „Afrikanerin“. Bedeutender, wir sagen nicht liebenswürdiger. Die „Afri kanerin“ hat kein Musikstück aufzuweisen, das sich an Ori ginalität und Schwung mit der Domscene oder dem Traum vergleichen ließe, von kleineren im „Propheten“ verstreuten kostbarsten Perlen nicht zu reden. Dennoch spricht uns die Afrikanerin“ in ihrer Totalität sympathischer an, als der Prophet“: sie erreicht nicht dessen imposante Höhenpunkte, sinkt aber auch nicht bis zu dem unleidlichen dramatischen Raf finement, der rhythmischen und harmonischen Verzerrung, der Unnatur und Unwahrheit des „Propheten“.

Die „Afrikanerin“ ist milder, ruhiger, man nimmt nach ihrem letzten Acte einen harmonischeren Eindruck mit sich, als nach dem Schluß des „Propheten“. Den „Nordstern“ und Dinorah“ stellt ihr Genre eigentlich außer Vergleich mit der Afrikanerin“, die rein musikalische Erfindung scheint uns in der „Afrikanerin“ im Ganzen frischer und gesunder, blos in der feineren Ausführung haben jene Beiden Manches voraus. Nur wenige Sätze in der „Afrikanerin“ athmen jenen ab stoßenden haut-goût, den „Dinorah“, „Nordstern“ und „Pro phet“ so freigibig ausströmen; so der Anfang von Ines’ Ro manze, die Echospielereien im Schlummerlied, das Cis-moll- Andante in dem Frauen-Duett des fünften Actes, endlich einige afrikanisch oder diabolisch sein sollende Phrasen Nelusco’s.

Gewohnt, bei Meyerbeer Entzückendes und Abstoßendes in greller Nachbarschaft zu erblicken, gewahren wir in der Afrikanerin“ fast mit Bewunderung eine gleichmäßige Ab dämpfung beider Elemente. Noch ungewohnter sind wir, bei

Meyerbeer so viele Strecken gleichgiltiger, alltäglich und ba nal klingender Musik durchwandern zu müssen. Zahlreiche wohlbekannte Meyerbeer-Phrasen begegnen uns, einige Re miniscenzen sogar, die an den Molière’schen Selbstanfall des Geizigen und Beraubung der eigenen Pferdekrippe erinnern. Freilich fällt uns das Bekannte in Meyerbeer’schen Ideen stets störender auf, als vor 15 und 20 Jahren. Aus diesem Grunde scheint uns der Meister daran nicht wohlgethan zu haben, daß er die „Afrikanerin“ in seinem Pulte altern ließ. Der musikalische Geschmack fließt mit reißender Schnelligkeit, vor Allem in der Oper, alles Neue wird da vom Zeitstrom so rasch assimilirt und generalisirt, daß nur das Hervorra gendste und Individuellste langen Widerstand leistet. Im Laufe der letzten 30 Jahre ist jeder Meyerbeer’sche Zug durch die Allgegenwart seiner eigenen und die Verbreitung ihm nach gebildeter Opern uns so vollständig bekannt, so sehr Gemein gut geworden, daß die Verspätung einer Meyerbeer’schen Oper um 10 oder 20 Jahre ihrer Wirkung immerhin einigen Nach theil zufügen muß. Das wahrhaft Große und Schöne in seinen Opern entzückt noch mit ungeschwächter Frische, und wird es auf lange hinaus; viele seiner Effecte, die einst durch den blendenden Reiz der Ueberraschung gewirkt, wirken aber jetzt nicht mehr in gleichem Maße. Wir können nicht leugnen, daß z. B. Effecte wie das Unisono der Bischöfe im ersten Acte uns heute den Eindruck einer vorletzten Mode machen. Es bedarf nicht der Versicherung, daß wir auch das verspä tete Geschenk Meyerbeer’s mit aufrichtiger Dankbarkeit be grüßen. Die „Afrikanerin“ wird mit Recht einen werthvollen Pfeiler aller Repertoires bilden, ist doch seit 15 Jahren, mit Ausnahme des (uns sympathischeren) „Faust“ von Gounod, nichts erschienen, was sich im Fach der großen Oper mit der „Afrikanerin“ messen könnte. Tausende werden sich an der „Afrikanerin“ erfreuen, und Jedermann wird ihre Vor züge anerkennen, eine Erscheinung jedoch, über die man — für oder wider — nun in großer Aufregung spricht, ist sie nicht mehr.

Meyerbeer soll, wie Freunde von ihm versichern, die Afrikanerin“ für sein bestes Werk erklärt haben. Die Mit theilung mag wahrheitsgetreu sein, aber dies jahrelange Um arbeiten, Aendern und Feilen der Partitur stimmt schlecht zu so unbedingtem Vertrauen. Uns scheint eine natürlichere Er klärung für Meyerbeer’s jahrelanges Zaudern gerade mit der Afrikanerin“ in der Annahme zu liegen, daß der Meister fürchtete, den Erfolg des „Robert“ und der Hugenottendamit nicht zu erreichen.

Aus welcher Zeit die Composition der „Afrikanerineigentlich stammt, ist noch immer nicht ganz aufgeklärt; einen entscheidenden Beweis für die verschiedenen Behauptungen könnte nur die Veröffentlichung der vom Componisten als „Vecchia Afrikana“ bezeichneten älteren Partitur herstellen. Der Verleger der „Afrikanerin“, Herr Bock, erklärt in der Berliner Musikzeitung die jetzige Oper als eine vollständig neue, in den Jahren 1858 bis 1864 entstandene Composi tion, welche mit der ursprünglichen, etwa um 1845 vollende ten Partitur gar nichts gemein hat. Herr Bock, bekanntlich einer der thätigsten und intelligen testen deutschen Musikverleger, hat soeben neben der großen, kostspie ligeren Folio-Ausgabe des vollständigen Clavier-Auszuges der „Afri kanerin“ eine kleinere, billigere Ausgabe in jenem höchst zweckmäßigen Octavformat herausgegeben, das sich endlich auch in Deutschland Bahn bricht. Diese (deutsch-italienische) Ausgabe wird jedem Musik freund, der nicht auf den französischen Text einen besonderen Werth legt, hochwillkommen sein. Wahrscheinlicher dünkt es uns jedenfalls, daß der Meister den melodischen Hauptstoff in die neue Umformung hinübergerettet, als daß er ein in seiner besten Zeit entstandenes und vollendetes Werk gänzlich annullirt habe. Aus inneren Gründen neigen wir uns zu der Annahme, die „Afrikanerin“ sei der Hauptsache nach vor dem „Propheten“ concipirt. Vom „Propheten“ an ist Meyer beer immer raffinirter geworden, am meisten da, wo er am einfachsten sein wollte, in der „Dinorah“ — wie er am Ende seiner Laufbahn zu der melodiösen und rhythmischen Einfachheit der „Afrikanerin“ habe zurückkehren können,

bleibt zum mindesten ein psychologisches Räthsel. Das Vorherrschen der Melodie, der eigentlichen Cantilene, ist ein charakteristisches Merkmal der „Afrikanerin“. Wir untersuchen hier nicht, ob diese Melodie überall neu und be deutend sei, jedenfalls erscheint sie als das leitende Element der ganzen musikalischen Conception. Dadurch nähert sich die Afrikanerin“ mitunter auffallend dem italienischen Opernstyl, ein großer Theil ihrer Melodien ist unverblümt wälsch. Die italienischen Elemente, welche, von so großem Einfluß auf Meyerbeer’s Entwicklungsgang, sich später mit jedem neuen Werke mehr zurückzogen, tauchen in der „Afrikanerin“ mit erneuerter Kraft auf. Nur die Vermeidung der eigentlichen Arienform, zumal der Bravour-Arie, zeigt eine moderne Weiterbildung nach dem „Robert“ und den „Hugenotten“.

Eine Musterung der einzelnen Musikstücke dürfte diese allgemeinen Bemerkungen einigermaßen ergänzen. Die Or chester-Einleitung (keine förmliche Ouverture) könnte „Inesüberschrieben sein, sie reiht zwei Melodien der Ines, die Ab schiedsromanze (H-moll) und den Andantesatz aus dem zwei ten Finale (H-dur), einfach aneinander. Ines eröffnet die Oper mit der Abschiedsromanze „Leb’ wohl“, deren affectirter Melodiengang mit den unschönen, von der Clarinette beant worteten Triolen in eine recht sangbare Melodie ganz italie nischen Charakters („Ihr Lüftchen“) übergeht. Wir ziehen die einleitende kurze Gesangsstelle: „Er kehrt zurück“ der ganzen Romanze vor. Das folgende Terzettino zwischen Ines, Pedro und Diego ist sehr musikalisch empfunden, würdig und wohlklingend. Das (die Berathung) eröffnende berühmte Unisono der Bischöfe wirkt materiell durch die Wucht der Stimmen, das Thema selbst ist nichts weniger als vornehm. Das Auftreten Vasco’s zeigt uns die theatralische „gloire“ der Franzosen in vollster Blüthe. Die einzelnen Theile des Finales sind nicht durchgehends von glänzender Erfindung; aber bewunderungswürdig ist die Kunst, mit welcher Meyer beer diesen Scenencomplex aufbaut, gliedert und steigert; in solcher Anordnung großer Massen und Gegensätze be währt er den Geist und die Energie eines Feldherrn.

Bemerkenswerth für Meyerbeer’s Sorgfalt in den kleinsten Dingen ist das mit prickelndem Geist instrumentirte Ritornell, mit welchem das Orchester die Pause während des Stimmen sammelns im Tribunal ausfüllt. — Der zweite und dritte Act erscheinen dramatisch wie musikalisch als die dürftigsten. Selica’s Schlummerlied ist voll gesuchter Ziererei, origi nalitätssüchtig, aber nicht originell. Nelusco’s Arie beginnt mit einem Andante von edlem Ausdruck, nur allzu sanft und beschaulich für einen „Wilden“; um so fataler macht sich seine Wildheit in dem meckernden, daktylisch abschnappenden Rhyth mus des folgenden B-dur-Allegros geltend. Selica’s Duett mit Vasco, durchaus unbedeutend, servirt lauter aufgewärmte Speisen. Die Scene hebt sich mit dem Eintritt von Ines und Diego; ein meist vocal gehaltenes, breit aushallendes Septett schließt den Act mit bester Wirkung. Die musikalische Ausbeute des dritten Actes, dessen Hauptreiz in der Scenerie des Schiffes liegt, beschränkt sich auf das Gebet „Heiliger Dominik“, das mit dem Hinzutreten der Frauenstim men von reizendster Wirkung wird, und auf Ne lusco’s mehr effectvolle als musikalisch bedeutende „Ballade“. Außerdem gibt es in diesem Act viel unerquickliche Conversation und ein langes Duett zwischen Vasco und Diego, das fast mehr anstrengend für die Sänger, als inter essant für die Zuhörer ist. — Der vierte und fünfte Act, die bedeutendsten der Oper, enthalten glänzende Partien. Gleich der feierliche Aufzug, der — halb Marsch, halb Tanz — den vierten Act eröffnet, gehört zu dem Effectvollsten und Elegan testen, was Meyerbeer auf diesem, von ihm souverän beherrsch ten Gebiet geschaffen hat. Vasco’s Arie vereinigt süßen, schmel zenden Gesang mit auserlesenen Instrumental-Effecten. Das sich anschließende große Ensemble (Selica schützt Vasco, Ne lusco’s Schwur) ist von eminent dramatischer Wirkung. Die Cantilene Nelusco’s in Es-dur („das Opfer mag geschehen“), in welche sich die Stimmen Selica’s und Vasco’s wie frische Blumen einflechten, wirkt (allerdings in italienischer Weise) durch hinreißenden Wohllaut. Hingegen bildet Nelusco’s lei denschaftliches Allegro in E-dur, mit dem echt Meyerbeerisch

hineingehackten „Ruhm’ und Ehr’!“ des Chores einen zwar für den Sänger dankbaren, aber musikalisch sehr banalen Schluß.

Das Duett Selica’s mit Vasco beginnt sehr hübsch über dem aus der Ferne nachhallenden Basso continuo des Prie stermarsches in C-dur, ein Motiv, das noch später bei Vasco’s Verzückung (nach dem Verlobungstrank) geistreich benützt ist. Das Duett, das einige sehr glückliche Züge (es sind die weniger effectvollen) aufweist, würde uns vielleicht besser ge fallen, wäre es nicht so maßlos gerühmt. Die Pariser Kritik hat es bekanntlich dem Liebesduett im 4. Act der „Huge notten“ an die Seite gestellt; ein Vergleich, den vielleicht schon die innere dramatische Unwahrheit der Scene verbietet, der aber auch vom rein musikalischen Standpunkt aus als eine Versündigung an Raoul und Valentine erscheint. Das Finale (Hochzeitschor und Tanz) gibt dem Acte, nach all den aufregenden leidenschaftlichen Scenen einen anmuthigen Ab schluß. Das Duett zwischen Ines und Selica zu Anfang des fünften Actes beginnt vortrefflich, schon das Ritornell ist voll Haltung, der refrainartig in immer neuer Modulation wie derholte Ausruf Selica’s: „Und dennoch liebt er nur dich!“ ungemein schön und ausdrucksvoll. Leider wirft uns bald das raffinirte Cis-moll-Andante („Ihr kennet nun“) mit seinem verstauchten Rhythmus und der fatalen Aehnlichkeit mit dem Frauen-Duett im „Propheten“ aus der Stimmung; sie wird durch das in banalster Weise unisono schließende Allegro in Des-dur keineswegs wieder hergestellt. Es folgt die Scene unter dem Manzenillobaum, die letzte der Oper. Für die Bewunderung des berühmten (in Paris stets wieder holten) Unisono der Streich-Instrumente fehlt uns — wir gestehen es offen — jedes Organ. Daß die Melodie selbst sehr unbedeutend, am Schluß jedes vierten Tactes sogar entschie den trivial ist, dürfte wol allgemein zugestanden werden. Die Klangwirkung einer 16 Tacte langen, von Violoncellen, Bratschen und Geigen (auf der G-Saite) unisono vorgetra genen Gesangstelle hat natürlich etwas Befremdendes und Effectvolles, allein die Absicht dieses „Effects“ um jeden Preis

liegt nicht nur zu unverhüllt dar, der Effect selbst ist sehr äußerlich, unmotivirt, und hat uns (vielleicht ganz indivi duell) vollständig kalt gelassen. Wie durch ein geniales Instrumental-Colorit die schmerzliche, gewitterschwüle Stim mung dieser letzten Scenen mit ergreifender Gewalt ausge drückt werden kann, das hat Meyerbeer wenige Tacte später mit ungleich tieferer, wahrhaft dichterischer Empfindung ge zeigt. Wir meinen die Begleitung der Larghettostelle Selica’s in Des-dur: „Ich haßte nur im Leiden,“ durch Violoncelle, Fagotte und Clarinetten in tiefster Lage. Diese Stelle, ja die ganze erste Hälfte der Scene bis zum Eintritt der „Sphä renmusik“ zittert in einem wunderbaren Helldunkel der Stim mung, in einem leisen und doch tiefbewegten Wogen der Empfindung, wie wir es nie und nirgend wieder bei Meyer beer erlebt haben.

Schade, daß die Scene damit nicht schließt. Der Chor der unsichtbaren Geister und Selica’s kokett-lächelndes Alle gretto in D-dur („Von Wolken getragen“) ist trotz allen Wohlklanges und aller Instrumentalkünste mit tremolirenden Violinen, Harfe und Triangel des Vorhergehenden unwürdig. Aus der reinen Höhe der Poesie müssen wir gnadenlos wie der aufs Operntheater herab. Trotz dieses angehängten, sehr weltlichen Verklärungsflitters wird die Scene unter dem Giftbaum nicht leicht einen Hörer ohne tiefen Eindruck ent lassen.

So flüchtig und unerschöpfend diese Bemerkungen über die Musik zur „Afrikanerin“ sind, so haben sie uns doch schon zu viel Raum weggenommen, als daß wir für heute mit mehr als einigen Worten der Aufführung gedenken könnten. Sie war eine der glänzendsten, deren sich das Hof operntheater rühmen kann. Frln. Bettelheim lieferte als Selica ein bewunderungswürdiges Probestück ihres Talentes und ihrer Intelligenz, sowie ihrer Ausdauer. Im Interesse der Rolle wie ihrer eigenen Person möchten wir der jungen Künstlerin nur einige Mäßigung empfehlen, namentlich in dem Liebesduett überschritt ihr Kraftaufwand mitunter die Grenzen des Schönen. Frln. Bettelheim sah vortrefflich aus

und spielte mit großer Energie; ihrem Gesang fehlte es nicht an Hitze, aber an Wärme. Legt man zu den allgemeinen auch noch die speciellen Schwierigkeiten, welche Frln. Bettelheim aus der ihr viel zu hoch liegenden Partie erwachsen, so kann man über ihre Leistung nur erstaunen und muß ihren großartigen Erfolg als einen wohlverdienten bezeichnen.

Fräulein Murska glänzte als Ines durch die Leichtig keit und Schönheit ihrer hohen Töne, wie durch die Eleganz ihres Vortrags. Dramatisch läßt sich die Rolle schwer über die allgemeinsten Formen erheben. Herr Walter (Vasco) hatte namentlich im vierten Acte schöne Momente; eine mäßigere Anwendung der Stimmkraft wäre ihm übrigens gleichfalls zu empfehlen. Herr Beck feierte als Ne lusco einen wahren Triumph; er wußte diese nicht leicht zu fassende Figur wahrhaft dramatisch zu gestalten und sang von Anfang bis zu Ende mit der ihm eige nen hinreißenden Energie. Die übrigen weniger umfangreichen, aber dennoch wichtigen Rollen waren durchwegs gut besetzt; wir nennen vor Allen Herrn Schmid (Oberpriester) und Herrn Rokitansky (Diego), dann die Herren Hrabanek, Draxler, Kreuzer und Lay. An der Spitze des Baya dèrenzugs tanzte Fräulein Stadelmayer; es wäre schnöder Undank, sie nicht dafür zu loben. Der große Succeß der Afrikanerin“ in Wien ist übrigens nicht blos der Besetzung der Hauptpartien zu danken, sondern auch dem trefflichen Zusammenwirken aller Kräfte des Orchesters, Chores und Ballets, sowie der prachtvollen Scenirung und Ausstattung. Herr Dreilich leistete als Maschinist Außerordentliches, und Herr Brioschi darf auf seine Decorationen (nament lich auf das herrliche Schlußbild) stolz sein. Herr Proch dirigirte, ungebeugt von den anstrengenden Proben, mit rühm lichem Eifer. Daß uns ein großer Theil der Tempi zu langsam vorkam, wollen wir nicht verschweigen. Die Auf nahme der Oper war, wie gesagt, eine enthusiastische, und wenn man nicht säumt, sie zweckmäßig zu kürzen, ist ihr eine dauernde und glänzende Stelle in unserem Repertoire gewiß.