Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse No. 586. Wien, Mittwoch den 18. April 1866 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2023

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

No. 586. Wien, Mittwoch den 18. April 1866 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 18.04.1866
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Musik. (Italienische Oper. — Mozart-Concert.)

Ed. H. Die Abwechslung deutscher mit italienischen Opernvorstellungen in derselben Saison erweist sich als eine glückliche Idee. Eine neue ist sie keineswegs; im Gegentheil war diese Form italienischen Gastspiels am Hofoperntheater herrschend, bevor die regelmäßigen, ausschließlich italienischen Stagiones zu drei oder zwei Monaten hier eingeführt wur den. In der Geschichte des Hofoperntheaters bildet das wech selnde Verhältniß der italienischen zur deutschen Oper eines der interessantesten Capitel voll fruchtbarer Anregungen für historische und ästhetische Betrachtung. Ein Feuilleton darf sich mit diesem reichen Stoff freilich nicht einlassen, umsoweniger als anscheinend äußerliche und geringfügige Details dabei von Wichtigkeit und nicht wohl zu übergehen sind. Nur mit wenigen Strichen möchte ich hier die historische Erinne rung an jenes wechselvolle Verhältniß skizziren. Es scheint mir in vier Perioden sich natürlich zu gliedern. Anfangs die alleinige Herrschaft der italienischen Oper. Sodann, nach er folgter Entwicklung und Anerkennung der deutschen Oper, das gleichzeitige feste Engagement einer italienischen und einer deutschen Truppe. (Einzelne Mitglieder der letzteren wurden, wie jetzt noch, auch in den italienischen Vorstellun gen verwendet.) Je nachdem der Zeitgeschmack und die Gunst des Hofes sich mehr der einen oder der anderen Gattung zu wendete und man bald mit der einen, bald der anderen Ge sellschaft unzufrieden war, entschloß man sich, im Kärntner thor-Theater nur eine italienische oder nur eine deutsche Truppe zu halten (dritte Periode). So wurde z. B. im Jahre 1787 die deutsche Oper entlassen und herrschte durch acht Jahre die italienische allein; im Jahre 1795 sehen wir wieder italienische Sänger neben den deutschen eingeführt; endlich (1806) die italienische Oper definitiv aufgelöst. Von diesem Zeitpunkte (vierte Periode) sind die Deutschen die alleinigen, ansässigen Herren im Hause; die Italiener er scheinen nur mehr zeitweilig als Gäste. So wurde im Herbst 1816 die zuvor auf dem Münchener Theater gastirende ita lienische Gesellschaft nach Wien eingeladen, um für die Man gelhaftigkeit der deutschen Oper einigermaßen zu entschädigen.

Diese Truppe konnte sich mit den früher in Wien gehörten kaum messen, doch besaß sie einzelne gute Kräfte und ein ge rundetes Ensemble; sie war es endlich, durch welche Wien zuerst Rossiniʼsche Opern („Inganno“, „Tancredi“) ken nen lernte. Die Erinnerung daran wirkte durch die nächst folgenden Jahre nach; überdies brachten die restaurirten po litischen Verhältnisse Oesterreich wieder Italien näher, und so bereitete sich jene glänzendste Vertretung italienischen Ge sanges in Wien vor, die im Frühling 1822 unter Bar baja ihren Anfang nahm. Barbaja, der das Hofopern theater vom December 1821 bis zum 1. Mai 1828 als Pächter leitete, beobachtete das eben jetzt wieder eingeführte System, deutsche und italienische Opernvorstellungen mit einander wechseln zu lassen. Die Abwechslung gestaltete sich damals ungleich reicher, indem die italienische Truppe nicht auf die Opera buffa beschränkt war, sondern (gleich der deutschen) sowol tragische als komische Opern spielte. Das Personal beider Gesellschaften war vorzüglich, und so konnte man heute eine Mozartʼsche, Cherubiniʼsche oder Weberʼsche Oper mit der Schröder, Sonntag, Ungher, Grün baum, morgen eine Rossiniʼsche mit der Colbrand, Fodor, mit David, Donzelli, Rubini, Lablache und am drit ten Abend ein Ballet mit der Elsler oder Taglioni sehen. In Abwesenheit der Italiener, ja manchmal schon neben ihnen, rivalisirten die Deutschen sogar auf deren eigenstem Gebiet, wie denn Rossini selbst im Früh ling 1822 die deutsche Aufführung seiner „Cenerentolahier mit Rath und That unterstützte. Erst unter Duport (1830) begann die seither beibehaltene Uebung einer drei monatlichen ausschließlich italienischen Opernsaison, während welcher die deutschen Sänger beurlaubt waren. Unter Barbaja war die italienische Saison von ver schiedener, meist längerer Dauer; sie währte z. B. im Jahre 1822 vom 13. April bis 24. Juli, im Jahre 1823 sogar vom 13. März bis 28. September.

Zu Gunsten der gegenwärtig wieder aufgenommenen Form sprechen — für jetzt wenigstens — mancherlei Gründe. Die auffallend spärliche und erfolglose Productivität der ita lienischen Componisten macht derzeit eine ausschließliche italie nische Saison zu einer Saison ohne Novitäten, also zu einem höchst ermüdenden Theaterabschnitt. Mit dem Mangel an guten Novitäten verbindet sich die zunehmende Noth an be

deutenden Gesangskünstlern aus Italien. Zum Glück sind gerade für die Opera buffa und semiseria ausgezeichnete Sänger noch immer zahlreicher und leichter zu beschaffen, als für die große Oper, die in Darstellung und Composition seit langer Zeit mit jener nicht mehr wetteifern kann. So ist es möglich, mit einem auserlesenen Sängerquartett, wie Artôt, Calzolari, Everardi und Zucchini, eine Reihe kleinerer Muster-Vorstellungen zu geben, während die Zusammenstellung einer gleich vortrefflichen Gesellschaft für tragische Opern alleror ten mit den größten Schwierigkeiten kämpft. Indem die Italiener bei dieser dramatischen Wechselwirthschaft das heitere Fach culti viren, fällt die ernste Oper naturgemäß den deutschen Sän gern anheim, welche darin ihrerseits wieder ungleich stärker sind, als in der komischen und der Spiel-Oper. Auf diese Art wird gegenwärtig dem Publicum ohne Frage viel und Interessantes geboten; stünde auch das (uns jedenfalls gleich giltigere) Ballet auf derselben Höhe, so dürfte die Direc tion sich aller drei Fächer mit einiger Genugthuung rühmen. Das Einzige, worauf wir, allem Anscheine nach, verzichten müssen, sind Novitäten — weder die deutsche noch die italie nische Oper machen irgendwie Miene dazu. Es wäre eine falsche Entschuldigung, wollte man die Gleichzeitigkeit zweier Opern-Gesellschaften als Hinderniß für die Vorbereitung neuer Opern geltend machen. Gerade in diesem Punkte leistete die Direction Barbajaʼs Außerordentliches, und es ist gut, wenn wir — als Mittel gegen Hochmuth — uns die That sache zu Gemüth führen, daß Barbaja in dem Zeitraume von drei Jahren und vier Monaten 79 neue Vorstellungen, näm lich 23 deutsche Opern und Singspiele, 29 italienische Opern und 27 Ballette auf die Bühne brachte.

Die beiden italienischen Vorstellungen, welche dem Barbiere“ folgten, waren RossiniʼsCenerentola“ und DonizettiʼsElisir dʼamore“. Wir brauchen hier nur einfach jenes seltene vierblätterige Kleeblatt wieder zu nennen, um uns die Versicherung der Vortrefflichkeit beider Vorstel lungen zu ersparen. Hat die „Cenerentola“ trotzdem etwas weniger gezündet, als der „Barbiere“, so liegt der Grund in dem Werke selbst, das durch seine stillstehende Handlung ermüdet und in der glänzenden Aeußerlichkeit seiner Musik bereits etwas vergilbt ist. Trotzdem die „Cenerentola“ den Vortheil größerer Ensemblestücke und außerdem einige blen dende Nummern für sich hat, bleibt ihre Wirkung hinter der

größeren Frische und Wahrheit des „Barbier“ zurück. Zu unab lässig übergießt sie den Hörer mit Trillern und Rouladen; alle singenden Personen theilen sich gleichmäßig darein, sind Colora turfürsten von Haus aus und wiegen sich mit breitem Be hagen auf dem goldgestickten, schwellenden Kissen ihrer Ueppig keit. Dieser übermäßige und theilweise veraltete Luxus gibt der Musik zur „Cenerentola“ unleugbar einen Rococco- Charakter. Aus der stark parfümirten Atmosphäre dieses Prunksaales treten wir in einen kleinen Garten voll Blu men, Wiesengeruch und frischer Luft: das ist der „Liebes trank“. Was an der italienischen Musik eigenthümlich und liebenswerth ist, tritt uns hier unbeirrt entgegen. Wie süß, ungesucht und in der Hauptsache auch immer dramatisch sind diese Melodien! Ein natürliches Ebenmaß, wie es nur der italienischen Kunst eigen, verbindet sich hier mit reizender Frische und einer genial zu nennenden Leichtigkeit. Wie hübsch contrastirt das idyllische Element gegen das soldatische, und beide wieder gegen ihre gemeinsame köstliche Folie, den medi cinischen Charlatan! Die Musik ist anmuthig, leicht, melodiös — somit alles das, was die Pedanten verachten.

Ein Freund Mendelssohnʼs, Chorley, erzählte einmal im „Musical World“, wie eines Tages in London ein Kreis von „gelehrten“ Componisten und Musikkennern den „Liebes trank“ in gründlicher Entrüstung verurtheilte; wie Men delssohn anfangs stumm und unruhig sich auf seinem Sessel hin- und herbewegte und schließlich, um sein Votum gedrängt, ausrief: „Ich weiß nur, meine gelehrten Herren, daß ich sehr froh wäre, hätte ich den „Liebestrank“ componirt!“ Wir kennen eine große Anzahl kleiner deutscher Componisten die sich durch ein solches Geständniß heute noch grenzenlos entehrt fühlen würden.

Kaum erinnert man sich einer so vorzüglichen Auffüh rung des „Elisir“, als es die gegenwärtige im Hofopern theater ist. Dies einheitliche, schlagfertige Zusammenwirken von vier so eminenten Künstlern (Artôt, Calzolari, Everardi und Zucchini) gewährt einen seltenen Genuß. Wie glänzend und zierlich Fräulein Artôt die Adina singt, hat sie in meh reren Bruchstücken aus dem „Liebestrank“ bereits bei ihrem ersten Gastspiele im Kaitheater gezeigt; das Ganze hielt, was jene Hälfte versprach. Ihrer ganzen Persönlichkeit entspre chend, welche, vorwiegend französisch, sich mehr dem Elegan

ten, Feinen und Pikanten zuneigt, als der beherzten, natur frischen Naivetät, hat Fräulein Artôt auch die Pächte rin Adina um eine Stufe höher und vornehmer ge nommen, als wir sie uns denken. Allerdings mochte ne ben Calzolariʼs äußerst realistischem Nemorino diese Verfeinerung der Adina auffallender hervortreten, als sie beabsichtigt war, wie wir denn auch wahrzunehmen glaub ten, daß eine momentane Ermüdung Fräulein Artôt an jenem Abende hinderte, im Gesange kräftigere Farben anzu wenden. An dem Duette mit Dulcamara hing vielleicht der Coloraturschmuck allzu reichlich, die Meisterschaft der Ausfüh rung müßte aber selbst die griesgrämigste Kritik entwaffnen. Fräulein Artôt erntete nach jeder Nummer stürmischen Beifall. Einen außerordentlichen Erfolg hatte Herr Calzo lari als Nemorino. So viel Treffliches wir auch von die sem Künstler gewärtigen durften, er hat unsere Erwartungen nach zwei Seiten hin noch übertroffen. Einmal durch seinen wahrhaft seelenvollen Vortrag der einfachen Cantilenen, wel cher Calzolari, ganz abgesehen von seiner erstaunlichen und ihm dennoch entbehrlichen Coloratur, als vollendeten Sänger kennzeichnet; sodann durch sein äußerst lebendiges und charak teristisches Spiel. Die Darstellung war, wie gesagt, entschie den realistisch, kein idealer Schäferjüngling, sondern ein Bauernbursche, wie wir deren auf Tritt und Schritt in der Lombardei begegnen, stand vor uns, gutmüthig, beschränkt, von Liebe und Aberglauben doppelt confus gemacht. Vom Gehen und Stehen an, vom Lachen und Weinen, bis zu dem bunten wollenen Sacktuche und der abwechselnd im Munde oder in der Hand herumgedrehten Kornähre, war Alles in dieser Figur dem Leben abgelauscht. Mitunter ging Calzolari in seinem Realismus zu weit (z. B. mit dem lauten Heu len im ersten Finale), derlei Licenzen verschwanden aber vor dem Eindrucke des ganzen so entschieden gefaßten und meisterhaft ausgeführten Bildes. ZucchiniʼsDulcamara übertrifft noch den Doctor Bartolo und Don Magni fico. Etwas Ergötzlicheres als seine erste Arie vom Char latankarren herab kann man auf der Bühne kaum mehr hören. Welchʼ ein „Charlatan“, dieser Künstler! möchte man ausrufen, oder umgekehrt.

Die Rolle des „Belcore“, in der Oper etwas spärlich bedacht, rückte durch Everardiʼs maßvolle und liebenswür

dige Darstellung dicht an die Seite der Hauptrollen. Zu dem trefflichen Ensemble der (vom Capellmeister Dessoff diri girten) Oper trug endlich noch Frl. Dillner als „Gia netta“ ihr bescheidenes Theil bei. Ungünstig schien uns nur, daß man die Oper mit der eingelegten Arie Adinaʼs (von Beriot) schließen läßt. Nach dem Original und der früheren hiesigen Einrichtung besteigt zum Schlusse Dul camara noch einmal seinen Wagen und nimmt, vom Chor refrain begleitet, mit einigen witzigen Couplets (über das Barcarolenthema) Abschied. Das gibt der Schlußscene ungleich mehr Farbe und Leben.

Gerne möchten wir hier noch gegen einige Vorstellungen der deutschen Oper, namentlich das mit vielem Beifall fort gesetzte Gastspiel Frl. Stehleʼs unsere kritische Schuldig keit thun. Für heute reicht der Raum nur eben hin, um dem großartigen Mozart-Festconcert vom letzten Sonn tag gerecht zu werden. Es entsprach vollkommen den allge mein gehegten Erwartungen. Das colossale (etwa 120 Streich- Instrumente und doppelte Harmonie enthaltende) Orchester erzielte unter Herbeckʼs energischer Führung, insbesondere mit der Egmont-Ouverture eine Wirkung, wie sie kaum mehr zu überbieten ist. Auch Mozartʼs C-dur-Symphonie mit der Fuge wurde, in etwas bedächtigen Zeitmaßen zwar, aber um so stylvoller und durchsichtiger zu Gehör gebracht. Es spen deten sodann der Männergesang-Verein mit Schu bertʼs „Widerspruch“, der Singverein mit Mozartʼs „Ave verum“ und dem altdeutschen „Jägerlied“ Perlen ihres Re pertoirs. Alle Vocal- und Instrumentalkräfte vereinigten sich endlich in der Schlußnummer (Marsch und Chor aus den Ruinen von Athen“) zu festlichem Pomp. Das Quintett aus dem ersten Acte von Mozartʼs „Così fan tutte“ vor getragen von Frl. Stehle, Frau Leeder, den Herren Cal zolari, Everardi und Rokitansky) verfehlte auch dies mal seine einschmeichelnde Wirkung nicht, obgleich die etwas schwere Tonbildung und nachdrückliche Gesangsweise Frl. Stehleʼs sich gerade für diese Composition nicht sonderlich eignet. Frl. Artôtʼs Vortrag der F-dur-Arie (Susanne) aus „Fi garoʼs Hochzeit“ war ein Muster vollendeter Gesangskunst und edelsten Vortrags; wer auch nichts Anderes als dieses einfache Andante von der Artôt gehört, müßte in ihr die Sängerin allerersten Ranges sofort erkennen und bewundern.

Eine besondere Zierde ward dem Mozart-Concert durch die beiden vielgenannten, noch ungedruckten Compositionen von Rossini: „Titanengesang“ und „Weihnacht“. Können wir sie auch nicht im eminenten Sinne „bedeutend“ nennen — der bescheidene Meister selbst ist der Letzte, der dies thun würde — so bewundern wir doch die Kraft und Frische, welche hier Rossini in seinem hohen Alter noch an den Tag legt.

Die Compositionen erinnern keineswegs an den specifisch Rossiniʼschen Opernstyl, sie sind ungleich ernster und gesam melter im Ausdruck, sorgfältiger in der Ausführung, insbe sondere der harmonischen. Am meisten verwandt zeigen sie sich zu einigen Nummern im „Tell“: das Weihnachts lied mahnt an die Schweizerchöre der Introduction, der Ti tanengesang an das Unisono im Rütlischwur. „La nuit de Noël“, ein pastoraler Wechselgesang zwischen einer Baß stimme und gemischtem Chor, wirkt bei aller Anspruchslosig keit reizend durch süßen Wohllaut und stimmungsvolle Ruhe. Um so schroffer und energischer hebt das Nachtstück an, das Le chant des Titans“ überschrieben ist — ein wuchtiges Unisono von vier Baßstimmen, zuerst über heftig figuriren den Contrabässen, dann umstürmt vom ganzen Orchester. Ganz am Schluß, nach dem Ausruf: „Mort à Jupiter!“ erdröhnen drei Tamtamschläge, ein theatralischer, aber glück licher und charakteristischer Effect. Durchaus kräftig und ein heitlich in der Stimmung, sehr interessant in einigen rhyth mischen und harmonischen Einzelheiten, scheint uns dieser Bassistensturm bei mäßiger Originalität der Motive, doch unbedingt vornehmer als das ihm musikalisch verwandte Er leuchtungsgebrüll der Bischöfe in der „Afrikanerin“. Beide Compositionen gefielen sehr — möchte Rossini sich ent schließen, sie zum Besten unseres Mozart-Denkmals drucken zu lassen! Die Wirkung des „Weihnachtsgesangs“ litt einiger maßen durch die angegriffene und unsichere Stimme des Solo sängers und die gegen das Clavier zu starke Chorbesetzung; im „Titanengesang“ hingegen erwies sich die Zahl von vier Sängern zu schwach gegen den Anprall dieses Orchesters. Um den Vortrag der Soli haben die Herren Rokitansky, Hrabanek, Panzer und Lirnberger, um die Beglei tung die Herren Lorenz und Zellner sich verdient ge macht. Wie zu erwarten, hatte sich zu dieser imposanten

Aufführung auch ein imposantes Auditorium eingefunden, welches, von dem Gebotenen lebhaft befriedigt, alle Mitwir kenden, insbesondere den um das Mozart-Concert hochverdien ten Dirigenten Herbeck, durch stürmischen Beifall aus zeichnete.