Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse No. 665. Wien, Samstag den 7. Juli 1866 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2023

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

No. 665. Wien, Samstag den 7. Juli 1866 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 07.07.1866
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Die Wohlthätigkeits-Concerte in Wien.

Ed. H. Die Leser, welche uns kürzlich auf unserem Friedhofsgang durch die Reihen verblichener patriotischer Concerte freundlich begleiteten, entsinnen sich, daß diese politisch-musikalischen Demonstrationen sich meistens Wohl thätigkeits-Akademien zu ihrem Schauplatz erwählt hatten. Schon bei dieser Specialität mußte die große Zahl der zu wohlthätigen Zwecken gegebenen Concerte auffallen. In der That bilden seit dem Anfang dieses Jahrhunderts die Wohl thätigkeits-Akademien einen integrirenden Bestandtheil des Wiener Concertlebens. Sie haben nicht immer durch ihren künstlerischen Werth, wol aber durch ihre eigenthüm liche Physiognomie, durch die Stabilität ihrer Widmungen, durch Besonderheiten des Ortes und der Zeit Anspruch auf einige Beachtung.

Als eines der erfolgreichsten Mittel, die allgemeine Mildthätigkeit in Anspruch zu nehmen, hat man in Wien seit jeher auch die Concerte verwendet. Wir erinnern, daß bei der Gründung der „Gesellschaft der Musikfreunde“ diese den humanitären Zweck ihrer Bestrebungen fast ebenso stark als den künstlerischen betonte; eine Rücksicht, die sich im Laufe weniger Jahre allerdings verlor, da die erste Sorge der Gesellschaft die sein mußte, selbst fortzubestehen und die Kosten ihrer großen Concerte aus dem Ertrag zu decken. Ein Wohlthätigkeitszweck, der ausnahmsweise die musicirenden Concertgeber selbst an ging, hat auch die „Tonkünstler-Societät“ und deren Con certe ins Leben gerufen. Die vier jährlichen Akademien dieses Vereins für den Witwen- und Waisenfonds der Musiker waren die ersten stehenden („festgesetzten“) Concerte in Wien und blieben es über das erste Decennium dieses Jahr hunderts hinaus. Kaum hatte ein öffentliches Concertleben sich zu bilden begonnen, als einzelne, besonders begünstigte Wohlthätigkeits-Institute das Vorrecht errangen, alljähr lich eine Akademie zu ihrem Vortheil zu veranstalten, d. h. von mildthätigen Künstlern aufführen zu lassen. Die beson

dere Begünstigung bestand in dem Monopol der betreffenden Akademie auf einen bestimmten theaterfreien (Norma-)Abend und auf die Benützung eines der beiden Hoftheater oder des kaiserlichen Redoutensaales.

Das erste dieser Institute war der sogenannte „Hof theatral-Armenfonds“, d. h. die Versorgungskasse armer oder verunglückter Mitglieder des untergeordneten Personals der beiden Hofbühnen. Die erste Akademie für diesen Fonds wurde am 25. December 1796, und zwar im großen Redou tensaale gegeben; auf Befehl des Kaisers hatte sie alljährlich stattzufinden. Seit dem Jahre 1800 ungefähr begegnen wir dieser Akademie im Burgtheater zur Fastenzeit und ein halbes Jahrhundert später im Hofoperntheater mit der Beschränkung auf den Pensionsfonds dieser Bühne, neue stens in vermehrter Ausgabe von zwei bis drei Vor stellungen. Nach dem Vorgange der Hoftheater gab auch das Theater an der Wien vom Jahre 1805 an bis in die Zwanziger-Jahre eine oder zwei Akademien jährlich für seinen eigenen „Theater-Armenfonds“. Sie hielten in den ersten Jahren eine entschieden classische Richtung fest, indem größ tentheils ein ganzes Oratorium das Programm bildete. (In den Jahren 1805 bis 1809Mozart’s, „Davidde penitenteund „Requiem“, Händel’sMessias“, „Timotheus“ etc.) Auch die Aufführung ganzer Opern (in Concertform) war für Wohlthätigkeitszwecke an Normatagen erlaubt und zu Anfang des Jahrhunderts beliebt. (1801Mozart’s „Titus“, 1805Winter’s „Tamerlan“ etc.)

Für den „Bürgerspitalsfonds“ (Versorgungs haus zu St. Marx) fand seit Beginn dieses Jahrhunderts jährlich eine Akademie statt; die erste im Jahre 1801, wobei Joseph Haydn die „Schöpfung“ dirigirte. Sie hing mit der Errichtung der neuen „Bürgerspitals-Wirthschafts-Com mission“ zusammen, die im Jahre 1800 (als starke Passiva den alten Bürgerspitalsfonds gefährdeten) sich über Aufruf des Kaisers Franz bildete und für freiwillige Beiträge Sorge trug. Diese Akademie, anfangs im großen Redoutensaal, und zwar stets am 25. December abgehalten, verlor zu Anfang der Dreißiger-Jahre wahrscheinlich in Folge strengeren Kir

chenregiments den lange innegehabten ersten Weihnachtsfeier tag; nach verschiedenen Provisorien ist sie jetzt definitiv in das Hofoperntheater und zwar auf den Norma-Abend des Feiertags Mariä Verkündigung verlegt. Die Concerte für das Bürger versorgungshaus standen in großem Ansehen und erfreuten sich in künstlerischer wie in pecuniärer Hinsicht vieler Berücksichti gung. Der Wiener Magistrat ertheilte mitunter auf Antrag der unaussprechlichen „Bürgerspitals-Wirthschafts-Commis sion“ besondere Auszeichnungen an Künstler, deren Mitwir kung bei diesen Akademien sich vorzugsweise ersprießlich ge zeigt hatte; so erhielt der Hofopernsänger Weinmüller das Bürgerdiplom, die Sängerin Anna Milder den goldenen Salvatorpfennig, Joseph Haydn (1803) die zwölffache gol dene Ehrenmedaille. Sein überaus bescheidenes Dankschrei ben für diese „großmüthige Behandlung“ beginnt Haydn mit der Versicherung, er schätze sich sehr glücklich, „zur Erquickung der verarmten Bürger und Bürgerinnen etwas durch seine Kenntnisse in der Tonkunst beizutragen“.

Regelmäßig war auch die jährliche Akademie für die „öffent lichen Wohlthätigkeits-Anstalten“ (bald nach Beginn dieses Jahrhunderts), welche erst im Burgtheater, von 1813 an im Kärntnerthor-Theater am Leopoldstag (15. November) stattfand. In den Zwanziger-Jahren finden wir diese Aka demie regelmäßig am Ostersonntag im großen Redouten saal, jetzt wieder im Hofoperntheater meistens im März, und zwar nicht mehr durch ein Concert, sondern durch eine voll ständige Opernvorstellung repräsentirt. Das vortheilhafte Monopol auf den Leopoldstag ging auf die Akademie für das Spital der Barmherzigen Schwestern über; mit dem Tode des Unternehmers dieser Akademien, Dr. Wache (1862), hör ten letztere auf.

Neben den Bürgerspitals-Akademien waren die ange sehensten jene der „Adeligen Frauen“. Der hohe Rang der Gründerinnen, der Schutz des Hofes, endlich auch der etwas weitere und freiere Gesichtskreis in ihren Humanitäts zwecken verhalf dieser Gesellschaft zu besonderem Ansehen und ihren Akademien — am Aschermittwoch jeden Jahres im Kärntnerthor-Theater — zu glänzenden künstlerischen Illustra

tionen. „Die Gesellschaft der adeligen Frauen zur Beförde rung des Guten und Nützlichen“ (so lautete ihr voller Titel) wurde im Jahre 1811 nach einem von Joseph Sonnleith ner gemachten Plan gegründet. Die Fürstinnen Caroline Lobkowitz und Odescalchi stellten sich an die Spitze und hatten binnen wenigen Wochen 160 Damen vom hohen und höchsten Adel zusammengebracht. Anfangs rein aristokratischen Ursprungs, nahm diese Gesellschaft, einmal constituirt, doch Frauen aller Stände auf. Jedes Mitglied zahlte einen jähr lichen Beitrag ganz nach Willkür. Aus diesen Beiträgen durfte aber kein Fonds gebildet werden, „die menschli chen Herzen sollen das wahre Stammkapital sein“, wie der Aufruf sich sinnig ausdrückt. Die Gesellschaft hatte ihre Thätigkeit, um diese nicht zu zersplittern, in jedem Jahre vorzüglich Einem Gegenstande zu widmen. Zunächst wurden als wohlthätige Zwecke ins Auge gefaßt: das Taubstum men-Institut, Erziehung blinder Kinder, Versorgung von Findlingen, öffentliche Schwimmschulen und Ver breitung der Bienenzucht. Almosen an einzelne Per sonen waren gänzlich ausgeschlossen. Die Concerte dieses Ver eins, an dem ein eigenthümlicher poetischer Zug nicht zu verkennen ist, verlieren wir um die Mitte der Zwanziger- Jahre aus den Augen, jedenfalls hörte um diese Zeit ihre regelmäßige Abhaltung auf. Ob das gleichzeitige Ver bot aller Concerte am Aschermittwoch die Ursache war, können wir nicht sagen. Der Verein selbst existirt noch in aller Stille. Musikhistorisch interessiren uns die „Adeligen Frauen“ insbesondere dadurch, daß sie den ersten Anstoß zur Grün dung der „Gesellschaft der österreichischen Musik freunde“ gaben, indem sie die großartige Aufführung des Händel’schen Oratoriums „Timotheus“ durch Dilettanten (am 29. November 1812 in der Winter-Reitschule) veranlaßten.

Die gewöhnlichen Locale für die größeren Wohlthätig keits-Akademien waren die beiden Hoftheater und die Redou tensäle, da der kaiserliche Hof sie zu diesen Zwecken unent geltlich einräumte. Einige Wohlthätigkeits-Concerte hingen durch ihre Widmung mit dem schönen, der Musik äußerst günstigen Universitätssaal zusammen, der sich aus nahmslos nur „wohlthätigen“ Productionen erschloß. Dazu

gehörte vornehmlich die alljährliche Akademie für „Witwen von Mitgliedern der juridischen Facultät“, meist von Di lettanten ausgeführt und in der Regel vom Hofsecretär I. Mosel dirigirt. Ihre Programme zeichneten sich vor jenen anderer Wohlthätigkeits-Akademien durch ein ernsteres Prin cip aus; insbesondere cultivirten sie Beethoven, der einige male auch persönlich als Dirigent mitwirkte. Die letzte die ser „juridischen“ Akademien fand 1840 statt.

Im Universitätssaal fanden auch durch einige Jahre Concerte für die Witwen medicinischer Facultätsglieder statt, sowie alljährlich eine Akademie für das „Hand lungs-Kranken-Institut“, d. h. für mittellose Kranke aus dem Handelsstande. Beide Classen von Akademien haben seit lange aufgehört. Wir erwähnen noch von regelmäßigen, bis auf den heutigen Tag erhaltenen Wohltätigkeits-Produc tionen die beiden Theater-Vorstellungen für den Invaliden fonds (jährlich am 18. October in beiden Hoftheatern) und aus neuester Zeit die jährliche Akademie des Journalisten- Vereins „Concordia“.

Es dürfte unsern Lesern aufgefallen sein, daß man von kirchlicher Seite gegen die Wohlthätigkeits-Concerte ehemals weit liberaler vorging als gegenwärtig. Am Aschermitt woch, am ersten Weihnachtsfeiertag, ja selbst am Oster sonntag fanden in den ersten fünfundzwanzig Jahren die ses Jahrhunderts Wohlthätigkeits-Akademien regelmäßig statt. Da an diesen Tagen alle Schauspiele geschlossen blieben, konn ten die mit Akademien bedachten Humanitäts-Anstalten auf eine ergiebige Einnahme zählen. Noch am Ostersonntag 1826 fand eine Wohlthätigkeits-Akademie anstandslos im Redouten saale statt; sofort trat aber eine strengere kirchliche Praxis ein und legte Verbot auf viele früher regelmäßig gestattete Tage. Die Gründe dieses bald verschärften, bald gemilderten Regiments interessiren uns hier nicht weiter, wenn überhaupt von Gründen bei Dingen die Rede sein kann, die heute für erlaubt, morgen für sündhaft erklärt, hier verboten und zwanzig Meilen weiter gestattet werden.

Nur der sehr drückenden Folgen müssen wir erwähnen, welche diese plötzliche kirchliche Correctheit für die „Tonkünst ler-Societät“ herbeiführte. Dieses Institut hatte seit

seiner Gründung (1772) bis zum Jahre 1826 jährlich vier Akademien gegeben, und zwar an den von Maria Theresia ihm ausdrücklich zugesicherten theaterfreien Tagen des Palm sonntag und -Montag, des 22. und 23. December.

Da kam der Societät aus heiterem Himmel eine a. h. Entschließung vom 12. October 1826 zu, welche alle Aka demien an Normatagen verbot, und dazu gehörten jene der Societät erb- und eigenthümlichen vier Concerttage. Ad majorem Dei gloriam mußten gleich die beiden Weih nachts-Akademien von 1826 unterbleiben, und der Kaiser zahlte als Entschädigung dafür 1480 fl.

Nach mehreren Audienzen der Vorstände bei dem Kai ser Franz wurden der Societät die zwei Hofnormatage (Sterbe tag des Kaisers Leopold und der Kaiserin Ludovica) einge räumt, so daß die Pensions-Gesellschaft durch volle zehn Jahre (1826 bis 1835) statt der ihr zugesicherten vier Aka demien nur zwei geben durfte, und diese an weit ungünsti geren Tagen. Manchmal, doch nicht immer, erhielt die „Tonkünstler-Societät“ vom Kaiser eine Entschädigung für die ohne ihr Verschulden verlo renen Akademien. So erhielt sie im Jahre 1827 für den Palmsonn tag und -Montag 1480 fl., für die zwei Weihnachtstage jedoch nichts. Im Jahre 1828 wurde sie für die unterbliebenen Akademien mit 1468 fl., im Jahre 1829 mit 1365 fl. entschädigt. In den Jahren 1830 bis 1835 ist für die zwei verlorenen Akademien in den Acten der Societät gar keine Entschädigung mehr nachgewiesen.

Gleich nach der Thronbesteigung des Kaisers Ferdi nand wendete sich die „Tonkünstler-Societät“ an diesen Mon archen mit einem Majestätsgesuch, worin sie betonte, es seien ihr die vier Normatage „zu einer Zeit (unter Maria The resia) bewilligt worden, wo die Moralität und Religiosität ge wiß auf keiner niedrigeren Stufe standen als jetzt“. Die vier ursprünglichen Akademie-Tage wurden vom Kaiser Ferdinand sofort dem Vereine zurückgegeben, und so lauschte denn am 22. und 23. December 1835, nach zehn Jahren wieder, das Burgtheater den musikalischen Wundern der „Schöpfung“.

Was die künstlerische Physiognomie der Wohlthätig keits-Concerte betrifft, so charakterisirte sie sich weniger durch Classicität, Ernst und Uebereinstimmung, als durch sinnlichen

Reiz und große Quantität des Gebotenen. Zwölf bis vier zehn Stücke bildeten in den Zwanziger- und Dreißiger-Jah ren das übliche Maß eines solchen Programms. Es begann mit einer Orchester-Ouverture, darauf folgten in buntem Ge misch mehrere Declamations-Stücke, vier bis sechs Gesangs nummern, meist italienische Arien und Duette, ebenso viel Solo-Concertstücke für Clavier, Geige, Cello, Flöte oder Horn; zum Schlusse endlich wieder eine Ouverture, seltener ein oder zwei Symphoniesätze oder ein Chor.

Etwa vom Jahre 1810 an bildeten Tableaux oder „Mimisch-plastische Darstellungen“ einen fast unentbehrlichen Bestandtheil solcher Akademien. Die „Gesellschaft adeliger Damen“ wählte hiezu (1811) zum erstenmal Tableaux nach berühmten Gemälden: „Die Königin von Saba“ nach Ra fael, „Die Ohnmacht der Esther“ nach Poussin, „Die Ver haftung des Haman“ nach Vincenz Troyes — „ein Schau spiel, das auf der hiesigen Bühne zum erstenmal gegeben und für den größten Theil der Zuseher ganz neu war“, wie der Sammler“ berichtet.

„Diese Bilder — wie sie Goethe in den „Wahlver wandtschaften“ beschreibt — gewährten einen herrlichen Genuß,“ schreibt Theodor Körner aus Wien. Es wurde nun aller dings bald ein wahrer Unfug mit derlei Tableaux getrieben, am meisten in den zahlreichen patriotischen Concerten während des Befreiungskrieges und der Congreßzeit. Der Mißbrauch kann indeß nicht die Sache selbst ganz verwerfen machen. Das „Mimisch-Plastische“ war ein Element, das, künstlerisch behandelt, immerhin einen Reiz der früheren Wiener Con certe bildete, der uns gänzlich abhanden gekommen ist. Der selben Richtung gehörten die mimischen Darstellungen an, welche Madame Hendel-Schütz und die große Sophie Schröder mit ungemeinem Erfolg in Wien wiederholt gaben. Erstere schien dabei die schöne Form, Letztere den psychologi schen Ausdruck stärker zu betonen. Madame Hendel gab ihre „Kunstdarstellungen“ 1809 im kleinen Redoutensaale. Mit einer weißen Tunica bekleidet und abwechselnd einen weißen und grünen Shawl zur Drapirung verwendend, stellte die schöne Frau plastische Meisterwerke aller Schulen und Zeiten dar. Der „Sammler“ nannte es eine kurze Ge

schichte der bildenden Künste. Die Schröder führte in einer von ihr veranstalteten „declamatorisch-dramatisch-mimisch-pla stischen Mittagsunterhaltung“ am 3. November 1816 im Kärntnerthor-Theater die Medea, Agrippina, Niobe etc. in pla stischen Tableaux vor; im selben Jahre und später brachte sie in einigen Wohlthätigkeits-Concerten ihre „mimisch-plasti sche Darstellung verschiedener Gemüthsbewegun gen“ u. dgl. Noch zu Anfang der Vierziger-Jahre finden wir in Wohlthätigkeits-Akademien „Tableaux“; seit zwanzig Jahren haben sie gänzlich aufgehört, wenn wir nicht etwa als letzten Rest davon die lebenden Bilder zu Schiller’s Glocke“ im Burgtheater ansehen wollen.

Declamationsstücke waren früher ein unentbehrlicher und stark vertretener Bestandtheil jeder Wohlthätigkeits-Aka demie. In dem Zeitraum von 1808 bis 1816 wurde in allen Akademien so viel declamirt, daß das Publicum dessen müde war. „Gottlob, endlich einmal eine Akademie ohne Kunstredner!“ ruft die Wiener Modezeitung nach dem Con cert des Violinspielers Pixis (1816) aus. Mit dem Er scheinen Saphir’s stieg der Anwerth der Declamations- Nummern wieder bedeutend, einerseits durch die Beliebtheit der Saphir’schen Prunk-Rhetorik und seine Fruchtbarkeit in Prologen, andererseits durch die trefflichen Künstler, welche (wie Anschütz, Löwe, Julie Rettich, Louise Neu mann, Amalie Haizinger) damals die Kunst der Decla mation so meisterhaft übten und damit Hunderte von Wohl thätigkeits-Akademien unterstützten. Gegen Ausgang der Vier ziger-Jahre trat abermals eine Reaction ein, sei es aus Ueber druß an den Poesien (den Saphir’schen zumal), sei es aus Mitleid mit den wahrhaft ungebührlich geplagten Declama toren des Burgtheaters.

Gegenwärtig ist die Declamation aus den eigentlichen Con certprogrammen beinahe gänzlich verschwunden und selbst in den Wohlthätigkeits-Akademien nur sehr mäßig vertreten. Decla matoren, welche als solche Akademien geben, wie ehemals Theodor v. Sydow, sind seit dreißig bis vierzig Jahren nicht mehr gang und gäbe; der treffliche Holtei war ein vereinzelter Nachzügler. Erst in neuester Zeit hat der Hofschau spieler Lewinsky, unser Declamator par exellence, etwas

Aehnliches mit der „Vorlesung“ eingeführt, die er alljährlich zu einem wohlthätigen Zweck ohne jegliche fremde Unter stützung abhält.

So sehr auch die Wohlthätigkeits-Akademien jederzeit auf bunte Zusammenstellung bedacht waren, so brachten sie doch in den Jahren 1800 bis 1825 auch vieles Gediegene, ja sie bildeten mitunter die Stätte, wo neue Werke Beethoven’s ihren ersten Einzug in die Welt hielten oder ihn zuerst wie derholten. Beethoven’s Es-dur-Concert wurde zuerst (von Czerny) in einer Akademie der „Adeligen Frauen“ (1812) gespielt; in einer Aka demie für die öffentlichen Wohlthätigkeits-Anstalten (15. November 1808) finden wir eine Symphonie, eine Ouverture und ein Clavier concert von Beethoven, sämmtlich von ihm selbst dirigirt; für die „Theater-Armen“ dirigirte Beethoven (26. Mai 1814) seine „Eg mont“-Ouverture und „Schlacht bei Vittoria“, für das Bürgerspital 1818 seine achte Symphonie u. s. w. Um die Einführung Schubert’s in die Oef fentlichkeit hatten die „Adeligen Damen“ wesentliche Ver dienste; durch den Einfluß ihres ständigen Secretärs, J. Sonn leithner, kamen in der Akademie vom 7. März 1821 der „Erl könig“ und später noch andere Compositionen Schubert’s zur ersten Aufführung.

So lange es in Wien noch keine oder erst aufkeimende stabile Orchester-Concerte gab (Gesellschafts- und Spirituel-Concerte, philharmonische) hatten die Wohlthätig keits-Akademien eine weit größere musikalische Bedeutung. Componisten und Virtuosen ersten Ranges, welche jetzt ge eignetere Schauplätze ihres Auftretens finden, benützten ehe dem mit Freude die Wohlthätigkeits-Akademien, welche ihrer seits wieder sich um gediegene Musik bekümmern mußten, so lange davon dem Publicum anderwärts nichts oder sehr we nig geboten war. In dem Maße nun, als später große sta bile Orchester-Concerte die Pflege classischer Musik übernah men und vervollkommneten, warfen sich die Wohlthätigkeits- Concerte auf das äußerlich Lockende, Leichte und Bunte; glänzende Oberflächlichkeit wurde ihnen nunmehr Princip und Specialität. In diesem Genre erlebten sie ihre Glanzperiode in den Dreißiger-Jahren, unter der vereinten Pathenschaft der Virtuosen, der italienischen Sänger und der Saphir’schen Poesie.