Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse No. 721 Wien, Samstag den 1. September 1866 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2023

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

No. 721 Wien, Samstag den 1. September 1866 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 01.09.1866
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Waffenruhe am Clavier. II. Abbé Liszt. Abbé Vogler.

Ed. H. Wir hatten diesmal nichts Neues zu vier Hän den, sondern wechselten einander einzeln am Clavier ab: ein Spieler, ein Hörer. Mehrere Clavier-Compositionen aus Liszt’s neuester geistlicher Periode erregten vorzugsweise unser Interesse; kann doch Niemand, der je mit dem merkwürdigen Mann verkehrte, selbst dem nachwirkenden Zauber seiner Persönlichkeit sich entwinden. Und eben diese Persönlichkeit beschäftigte uns auch heute lebhafter als deren musikalische Spenden.

Die Hefte durchblätternd, erinnerten wir uns eines Brie fes von Alexander v. Humboldt an Varnhagen, worin Ersterer ungefähr ausspricht, er sei alt genug geworden, um selbst über das Ungereimteste nicht mehr zu erstaunen. „Nur,“ so schließt der Brief, „nur der ungarische Ehrenmönch bleibt mir räthselhaft.“ Jene von Humboldt angespielte Ehrenauf nahme Liszt’s in den Status eines ungarischen Klosters, das sich ihm äußerst gastfrei erwiesen hatte, war nicht viel mehr als ein Act der Höflichkeit von beiden Seiten, ohne bindende Consequenzen. Warum sollte der phantasievolle Me tamorphosenmann, der in Jena im deutschen Studenten wamms, in Pest im verschnürten Magyarenrock mit Säbel und Sporen, anderswo wieder anders auftrat, nicht auch einmal den poetischen Contrast des Klosterhabits empfinden und sich für einen Tag zum Capuziner träumen? Als jedoch Liszt vor etwa einem Jahre in Rom wirklich die Weihen empfing, machte es mit Recht einige Sensation, denn nach seinem Lebenslauf und Temperament schien der berühmte

Pianist nicht eben vorzugsweise zum Geistlichen prädestinirt. Indeß — wer vermöchte in das Innerste eines Menschen herzens zu blicken! Wer wäre vermessen genug, über einen Schritt zu urtheilen, der nur über einen Abgrund von Ge müthskämpfen hinweg denkbar ist und verleugnungsstark ein Leben in zwei Hälften bricht?

Wir hatten ernstlich versucht, uns diesen Schritt aus Liszt’s Wesen psychologisch zu erklären, und gelangten dahin, ihn auffallend zwar, aber nicht unbegreiflich zu finden. Wäre es denn wirklich so unnatürlich, daß ein leicht erregbarer, phantastischer Mensch, der, seit seiner Kindheit von einem Triumph zum andern geworfen, in einem wildbewegten Leben alle Genüsse, Ehren und Aufregungen bis zum Uebermaß durchgekostet hat, sich in seinem 55. Jahre schmerzlich über sättigt und unbefriedigt fühle? Daß er von dem rauschend sten Weltgenuß in den Gegensatz einer ascetischen Frömmig keit verfalle und den Blick von dieser ihm nur zu bekannten Welt nach einer andern, ungekannten wende? Wir glaubten in der That, Liszt sehne sich, mit der weltlichen Tracht auch alles weltliche Trachten abzulegen, und werde, unbekümmert um den Schmerzenschrei der feinen Gesellschaft, fortan in frommer Beschaulichkeit ausruhen. Was geschah, war gerade das Um gekehrte. Liszt, der sich vor seiner Priesterweihe eine zeitlang hinter den Sixtinischen Weihrauchwolken verborgen gehalten, tritt rasch und munter in die sündhafte Welt heraus. Er eilt von Rom nach Pest als König eines ihm vorbereiteten Mu sikfestes, dirigirt dort im geistlichen Kleid seine „Heilige Elisa beth“ und entzündet durch sein Clavierspiel das magyarische Publicum. Hierauf stürzt er sich in den künstlerischen Stru del von Paris, bringt seine Festmesse mit großem Pomp zur Aufführung und soll dort sogar — wie witzig ist das Leben! — durch sein heiliges Clavierspiel ein Frauenzimmer zur Tugend bekehrt haben.

Das Weltkind Liszt spielte wunderbar, der Abbé spielt Wunder.

Liszt hat seit seiner Priesterweihe ziemlich viel Clavier stücke publicirt: Transscriptionen aus Mozart’s Requiem und aus Pergolese’s geistlichen Melodien, eine Hymne an den Papst, endlich zwei „Legenden“ für Clavier, die uns be sonders charakteristisch erscheinen. Sie behandeln ein Wunder des heiligen Franz von Assisi („La prédication aux oiseaux“) und eines vom heiligen Franz de Paula („St. François de Paule marchant sur les flots“). Wie uns das französische Vorwort ausführlich erzählt, traf Franz von Assisi einst auf der Heerstraße eine Menge Vögel und hielt ihnen eine Predigt. Die Vögel hörten aufmerksam zu und rührten sich nicht vom Flecke, obgleich der Heilige, unter ihnen wandelnd, sie mit dem Talar streifte; erst nachdem er ihnen den Segen ertheilt, flogen die Vögel genau in Kreuzes form nach den vier Weltgegenden davon.

Dem heiligen Franz de Paula versagten einst in Mes sina einige Schiffer die Aufnahme in ihr Boot; der Heilige achtete nicht darauf und ging trockenen Fußes über das Meer. Zur ersten Legende bemerkt Liszt gar bescheiden, daß seine geringe Geschicklichkeit und vielleicht die engen Grenzen des musikalischen Ausdruckes im Clavier ihn genöthigt hät ten, hinter der wunderbaren Ueberfülle der Vogelpredigt sehr zurückzubleiben, weßhalb er „le glorieux pauvret du Christ“ um Vergebung anfleht.

Sieht man nach alledem die beiden Musikstücke selbst an, so findet man zwei gewöhnliche brillante Concert-Etüden, deren eine als musikalisches Motiv das Vogelgezwitscher, die andere das Meeresbrausen nachahmend fortspinnt. Die Stücke sind dankbar für den Virtuosen und nicht ohne pikantes Dissonanzengewürz; natürlich sorgt die Vogelpredigt für die Bravour der rechten Hand, der Wogenspaziergang für die

der linken. Diese Compositionen könnten natürlich ebensogut „Les amours des oiseaux“ und „Souvenir des bains d’Ostende“ heißen, und hätten vor zehn Jahren wahrschein lich auch so geheißen. Vielleicht führt uns Liszt nach und nach auch die übrigen Heiligen in derselben gefälligen Ma nier vor. Vorläufig müssen wir bekennen, daß diese Appreti rung des Heiligenscheins für den Concertsaal, diese getriller ten und gehämmerten Mirakel uns einen unsäglich kindischen Eindruck machen.

Wir waren, wie gesagt, wirklich der Meinung, der Abbé Liszt werde seine Weltentsagung ernsthaft nehmen und den musikalischen Salonbestrebungen von ganzem Herzen Adieu sagen. Haben wir hierin geirrt, so war noch ein zweiter Weg denkbar: die vollständige Trennung des Künstlers vom Geist lichen. Manche seiner Freunde äußerten wiederholt die Mei nung, Liszt habe durch die neue Standeswahl hauptsächlich eine vollständige materielle Unabhängigkeit erreichen wollen. So wenig wir dieser Motivirung beifallen möchten, welche zu Liszt’s allezeit nobler, uneigennütziger Denkart nicht wohl stimmt, so wenig hätten wir, falls sie wahr ist, ein Recht, ohneweiters darüber abzuurtheilen. Mannichfache, uns unbe kannte, vielleicht sehr erhebliche Umstände mögen hier zusam mengewirkt haben, und Umstände sind, nach Rahel, die Minister der Götter. In diesem zweiten Fall (daß nämlich nicht Glaubensbedürfniß, sondern triftige äußere Motive Liszt dem geistlichen Stande zuführten) wäre es uns nur natürlich erschienen, wenn er als Componist der Kunst welt gegenüber seine Geistlichkeit gar nicht betont, sondern als eine rein innere, häusliche Angelegenheit ignorirt hätte. Er wäre für den Vatican der neue Abbé, für die Musik welt der alte Liszt geblieben, derselbe Liszt, welcher mit sei nen Symphonien Shakspeare, Goethe und Byron, mit seinen Clavierstücken lediglich die moderne Virtuosität gefeiert hat.

Wir hätten ihm den Muth zugetraut, seine Musik unton surirt zu lassen. Gerade diese Verquickung geistlicher Titel mit weltlichem Inhalt, dieses Abbé-Spielen und Liszt-Sein, oder Liszt-Spielen und Abbé-Sein, ist es, was uns an der neuesten Phase des ausgezeichneten Mannes nicht recht behagen will. Die Salon-Bigotterie der „Legenden", zusammengehalten mit der Hast des Componisten, sich dem ungarischen, französischen, deutschen Publicum im Abbémäntelchen vorzuführen und so mit einem neuen Reiz ausgestattet, die langgemiedene Oeffentlich keit wieder aufzusuchen, mußte die Vertheidiger seines wahren geistlichen Berufes befremden. Wenn seine „Heilige Elisabethein aus frommer Begeisterung entsprossenes, zur Ehre Gottes geschaffenes Werk ist, warum sträubt sich Liszt gegen die von unseren Musikfreunden so sehr gewünschte Aufführung der selben in Wien? Dem Künstler bieten doch die ausführenden Kräfte und die musikalische Bildung Wiens zum mindesten nicht geringere Garantien als Pest; und dem frommen Die ner der Kirche kann unmöglich das Herz daran hängen, ob der äußere Erfolg des Werkes überall von vornherein so ge sichert sei, wie er es in Ungarn war. So vereinigt sich nicht Weniges zu dem Anscheine, als pfropfe Liszt weltliche Rei ser auf geistlichen Stamm.

In dieser seltsamen Stellung und Thätigkeit hat Abbé Liszt in der Musikgeschichte einen Vorgänger von frappanter Aehnlichkeit: den berühmten Abbé Vogler. Es nimmt uns Wunder, diese Doppelgängerschaft noch nirgends hervorgeho ben zu finden. Abbé Vogler (geboren 1749, † 1814) war ein Mann von unbestreitbarer Genialität und glänzender Vielseitigkeit; eine Erscheinung, mit der verglichen zu werden Liszt sicher nicht zur Unehre gereicht. Berühmt als Schrift steller und Componist, als Clavier- und Orgelvirtuose, spielte Vogler durch sein geistreiches, originelles Wesen eine glän zende Rolle in der Gesellschaft und übte auf seine Schüler

und Verehrer eine Art Zauber. In der schildernden, poetisirenden Tendenz seiner Musik deutet er gewissermaßen auf die Zukunftsmusik; er spielte auf der Orgel den „Tod Herzog Leopold’s in den Fluthen“, die „Belagerung von Jericho“ u. dgl. Seinen Verehrern war Vogler geradezu ein Wundermann, seinen Gegnern ein geistreicher Charlatan. Vogler’s Erfolge in Wien in den Jahren 1803 und 1804 repräsentirten für jene Zeit ungefähr den Liszt-Enthusiasmus unserer Tage. Da dirigirte er heute ein Oratorium im Wie dener Theater, gab morgen ein Orgelconcert und celebrirte am dritten Tage mit größtem Pomp ein Hochamt in der St. Peterskirche, während eine Messe seiner Composition vom Chor herabbrauste. Der eitle Abbé war stets mit einem breit schößigen schwarzen Frack, schwarz-atlassenen Beinkleidern, ro then Strümpfen und Schuhen mit gelben Schnallen ange than. Das Großkreuz des Ludwig-Ordens trug er links auf der Brust und rechts hinten das schwarzseidene Abbémäntel chen. Ein gewisses Maß von Charlatanerie konnte Abbé Vogler in keinem seiner Fächer entbehren, namentlich wußte er seinen künstlerischen Nimbus trefflich durch den geistlichen zu erhöhen.

Forkel’sAlmanach erzählt, wie Vogler, „wenn er bei Jemandem spielt, zuvor sein Betbuch hinschickt, und nach dem er eine Weile dagewesen ist, plötzlich aufsteht, in ein an deres Zimmer geht, wo er keine Seele neben sich leidet, und da aus seinem Buche betet“.

Zu solch eitlem Comödienspiel wird Liszt — unseres Erachtens der aufrichtigere und bedeutendere Künstler — ganz gewiß nie herabsinken. Aber die äußere Aehnlichkeit und die innere Verwandtschaft zwischen diesen zwei merveilleusen Na turen ist unverkennbar, und so leisten uns beide Abbés glei cherweise den Dienst, einer den anderen zu erklären.