Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse No. 746. Wien, Donnerstag den 27. September 1866 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2023

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

No. 746. Wien, Donnerstag den 27. September 1866 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 27.09.1866
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Blaubart.“ Komische Oper in 3 Acten und 4 Bildern von J. Offenbach.

Ed. H. Ueber Offenbach’s „Blaubart“, der kürzlich im Theater a. d. Wien zum erstenmale in Scene ging, hat ein Mitarbeiter dieser Zeitung bereits sein Urtheil nach der Ge neralprobe abgegeben. Es lautete ungefähr dahin, daß der Text schlecht und die Musik nicht gut sei. Auch in dieser Kürze läßt der Ausspruch an Rundung und Vollständigkeit wenig zu wünschen übrig, und wir würden uns der Mühe einer nachträglichen Ausführung desselben überhoben sehen, wenn nicht der Umstand, daß gerade Offenbach solchen Sumpfweg wandelt, ein Wort des Bedauerns verdiente. Offenbach hat bekanntlich vor zehn Jahren in einem kleinen Local der Champs Elysées seine Carrière begonnen, mit ein actigen Singspielen, die von drei bis vier Darstellern gege ben, von einem winzigen Orchester begleitet und von allem scenischen Prunk entblößt waren. Die vom Ausstellungspalast heimkehrenden Spaziergänger besuchten das jugendliche Thea ter anfangs als eine Curiosität, fühlten sich aber bald von den pikanten, einschmeichelnden Melodien, von der graciösen Heiterkeit dieser anspruchslosen Operetten immer mehr ge fesselt. Der Name des bishin unbekannten Componisten ver breitete sich schnell, durch kein anderes Hilfsmittel als sein eigenes Verdienst, und nach wenigen Jahren waren die Offen bach’schen „Bouffes“ erklärte Lieblinge der Theaterwelt. Das deutsche wie das französische Publicum ergötzte sich gleich mäßig an den anmuthigen Genrebildchen: „Die Hochzeit bei Laternenschein“, „Das Mädchen von Elifonzo“, „Fortunio’s Lied“, „Herr und Madame Dénis“, „Daphnis und Chloë“, Die Zaubergeige“ etc., ja sämmtliche Bühnen, die das Sing spiel und die kleine komische Oper cultiviren, leben seit jener Zeit vorzugsweise von Offenbach’s Melodien. Ein so großer Erfolg mit so bescheidenen Mitteln ist ohne eine gewisse künstlerische Bedeutung des Gebotenen undenkbar. Wir haben seinerzeit gerne das Verdienst dieser anspruchs losen Compositionen hervorgehoben, einmal, weil es über haupt nichts so Kleines ist, eine Unzahl netter Singspiele voll Melodie und heiterem Esprit aus dem Aermel zu

schütten, sodann weil uns das hochmüthige Nasenrümpfen der Kritik am wenigsten für Deutschland passend schien, das auf diesem Felde seit Menschengedenken selbst nichts leistet. Damals, als Offenbach klein anfing, war er am größten. In dem Maße, als er später sein Talent in die Breite zog und zu großen, lärmenden Opern zwang, wurde es schwächer und kleiner. Zwei seiner größeren Stücke, „Orpheus“ und Helena“, zeigten ihn musikalisch noch frisch und erfindungs reich, die melodiösen Reize und die glückliche parodistische Komik der Musik überdeckten das Unzureichende der musika lichen Bildung Offenbach’s und verhalten diesen burlesken Götter- und Helden-Opern überall zu großem Erfolge. Nur floß dieser Erfolg — und dies scheint uns bemerkenswert — durchaus nicht mehr so rein aus dem musikalischen Verdienste der beiden Novitäten, wie früher bei den einacti gen Singspielen: die Reizmittel äußeren Prunkes und einer theils lüsternen, theils frechen Sinnlichkeit wirkten hier als bedenkliche Factoren schon mit. Den früher genannten klei nen Operetten lag stets — sie mochten noch so flüchtig con cipirt, noch so knapp eingerahmt sein — ein bestimmter, ein heitlicher Gedanke zu Grunde, sie hatten „einen Sinn“, das Komische steigerte sich allenfalls bis zum Possenhaften, ließ aber nach Muster des älteren französischen Singspiels dem Ernst, der Empfindung, ja der Rührung angemessenen Raum. Letztere Elemente fallen im „Orpheus“ und der „Helenaschon gänzlich hinweg, das Grotesk-Komische, die üp pige Sinnlichkeit und die schneidende Parodie be haupten hier allein das Feld in seiner ganzen Breite. Demungeachtet läßt sich nicht leugnen, daß in bei den Travestien noch eine bestimmte dramatische Idee thätig ist, welche ihren Stoff einheitlich aufbaut und geschickt glie dert. Dies ist nicht mehr der Fall bei zwei anderen größeren Sing spielen Offenbach’s, welche sich dem absoluten Blödsinne hin geben und dadurch als die wahren Vorläufer des „Blaubarterscheinen, wir meinen „Die Seufzerbrücke“ und „Ge novefa von Brabant“ (Magellone). Den Inhalt dieser Stücke bildet jener carnevalstolle, gemüthlose, sich zu Exces sen peitschende Unsinn, der sich vor jedem vernünftigen Mo ment fürchtet und uns ein sittliches Interesse an den han delnden Personen geradezu unmöglich macht. Musikalisch konnten diese zwei gesungenen Narrenhäuser noch allerlei Hüb

sches und Wirksames aufweisen, auch hatten sie die verblüf fende Neuheit der Gattung für sich — mildernde Umstände, die dem „Ritter Blaubart“ nicht zu statten kommen. „Blau bart“ ist die äußerste Potenzirung eines Genres, welches Offenbach nach jenen beiden Versuchen nicht wieder hätte be treten sollen. Der souveräne Unsinn, die Frivolität und Häß lichkeit haben in diesem Libretto ihren letzten ästhetischen Schleier abgeworfen, und da Offenbach’s Talent, im Zustand erschreckender Verarmung, nicht mehr vermag, diese Blößen musikalisch zu verdecken, so bleibt als Total-Eindruck des Blaubart“ nur Ueberdruß und Langweile.

Seltsam, daß Offenbach im Anfang seiner Carrière, als die Noth ihn leicht hätte dazu treiben können, dem Publicum unwürdige Concessionen zu machen, einfach und aufrichtig schrieb, während er jetzt, wo sein gesicherter Ruf ihm volle künstlerische Freiheit gewährt, sich wie ein geschminkter Clown geberdet. Wir dächten, Offenbach’s Partituren hätten nunmehr auch seine Kasse hinreichend gefüllt und der Componist könnte ruhig daran gehen, fortan etwas für seinen künstlerischen Namen zu thun. Offenbach’s Talent ist durch übermäßiges und gehetztes Produciren ohne Frage vor der Zeit ermattet und zerfahren, es bedarf unumgänglich der Ruhe und Concentration, um — nicht etwa ideale Höhen — sondern nur jene Stufe wieder zu erreichen, die es anfangs innegehabt. Die wählerische, ge wissenhaftere Arbeit hätte nun zu ersetzen, was an Jugend frische etwa unwiederbringlich verloren ging. In der Partitur des „Blaubart“ ist fast nichts mehr originell und beinahe Alles trivial. Sie ist kein neuer „Offenbach“, sondern eine Ausbeutung des alten. Dabei hat die pikante Grazie der früheren Offenbach’schen Melodie jenem widerlichen cadaverösen Lächeln Platz gemacht, das man mitunter im Ballet an alten Tänzerinnen beobachten kann. An die fein instrumentirende Hand von ehemals erinnern nur mehr Einzelheiten (wie das hübsche Decrescendo des Marsches zu Anfang der Ouverture); die Triangel, die große Trommel, gestimmte Glocken und Holzgeklapper führen nunmehr das große Wort im Orchester. Noch wollen wir an Offenbach nicht verzweifeln, in seiner unerhörten Productivität hat er nicht selten nach einer miß lungenen Arbeit eine überraschend glückliche gebracht — aber sein „Blaubart“ ist ein Memento mori; noch ein oder zwei solche Werke, und der Componist steht am Leichenstein seines

musikalischen Rufes. Es ist aber nicht einmal so sehr die be klagenswerthe Armuth an Erfindung, was wir ihm diesmal verübeln, als die Unwürdigkeit des ganzen Genres. Das Libretto der Herren Meilhac und Halévy soll eine Trave stie der Blaubartsage sein. Mit Grétry’s berühmter Oper hat die Offenbach’sche Tra vestie nichts zu schaffen. Ein hiesiger Musik-Referent, der bei Gelegen heit der letzteren viel von Grétry spricht, erzählt uns, dieser sei Küchenjunge am Hofe Ludwig’s XIV. gewesen! Offenbar verwechselt der Herr Collega den guten Grétry mit dem 126 Jahre früher verstorbenen Lully, der aber seinerseits wieder keinen „Blaubartcomponiert hat. Reden ist Silber . . . . . Es wird dazu eigentlich erst im dritten Acte; der erste ist an die Blaubartgeschichte nur durch einen losen Faden willkürlich geknüpft, und der zweite Act hängt mit den beiden andern so ganz und gar nicht zusammen, daß er unbeschadet der dramatischen Entwicklung wegbleiben könnte. Schon die Exposition flickt sich aus lauter altem Trödel zusammen: eine als Kind ausgesetzte und wiedergefun dene Prinzessin, ein Prinz als Schäfer verkleidet, die Krönung einer ausgelassenen Bauernmagd als Rosenkönigin u. dgl. Musikalisch scheint uns der erste Act noch der natürlichste und frischeste. Das Liebesduett fließt ohne neue Gedanken, aber rasch und anmuthig dahin, in den Couplets des Hof- Chemikers steckt viel gute Wirkung, jedenfalls mehr als die holprige deutsche Uebersetzung und Herrn Rott’s unzureichen der Gesang davon aufkommen lassen. Auch das Auftreten Blaubart’s läßt sich gut an, nur wird der Eindruck durch den albernen Refrain: „Bla, bla, bla, Blaubart“ (wozu die Trabanten geheimnißvoll hineinzusummen haben) verdorben. Ueberhaupt greift Offenbach im „Blaubart“ auffallend häufig zu solchen komischen Nothbehelfen. Nirgends aber unterscheidet sich der urwüchsige, natürliche Einfall so schnell und instinctiv vom Ausgeklügelten und Erzwungenen, als im Bereich der Komik, und so antwortet denn auch nur selten ein herzliches Lachen auf die angestrengten musikalischen Witze im „Blau bart“. Der zweite Act schildert den Hof eines dünkelhaften Despoten, der seine Höflinge tyrannisirt, auch nach Laune köpfen läßt, aber vor seiner Frau und Tochter zittert — Alles unsäglich matt und verbraucht. Die Couplets des Kammer herrn Oskar (Herr Friese) und der Königin (Fräulein Meyer) klingen nicht einmal mehr Offenbachisch,

sondern wie aus einer alten Wiener Posse. Im Fi nale müssen die Höflinge dem König nach dem Tact die Hand küssen. Herr Suppé und Genossen haben dieses rhythmische Schmatzen bereits in Duettform verwendet, nun bringt Offenbach solch musikalischen Unflath gar im gan zen Chor! Der dritte Act enthält in seiner ersten Hälfte die eigentliche Blaubartgeschichte. Ritter Blaubart hat das stall duftige Rosenmädchen Boulotte aus dem ersten Act geheiratet und will sie nun, wie seine früheren fünf Weiber, aus dem Rechtstitel des Ueberdrusses hinrichten. Die Scene in dem schwarz ausgeschlagenen Verließ, wie das geängstigte Weib, um Gnade bittend, sich zu Blaubart’s Füßen windet, dann Gift nehmen muß und hinsinkt, endlich als vermeintlich todt von Blaubart mit kaltem Hohn beschaut und befühlt wird — die Scene hat für unser Gefühl so viel des unvertilgbar Gräßlichen, daß einige eingestreute Spässe und Lerchenfelder Kraftwörter es nicht paralysieren können. Der Eindruck ist himmelweit verschieden von der befreienden Macht echter Komik und herzlich vergnügten Lachens. Offenbach’s Musik, die den zweiten Act hindurch gänzlich lahm gelegen, rafft sich in dem großen Duett (Blaubart und Boulotte) zu einigen gelungenen Momenten auf. Sie helfen uns leider nicht darüber hinweg, daß das Duett, meist im pathetischen Styl der Gro ßen Oper gehalten, den Ernst der Scene eher verstärkt als aufhebt und so das Unpassende der ganzen Situation nur fühlbarer macht.

Wir wollen einräumen, daß eine rücksichtslosere, das Aeußerste wagende Komik in Spiel und Gesang hier Man ches bessern und die zwischen Grauen und Spaß unleidlich schaukelnde Situation vielleicht völlig auf Seite des letzteren zu reißen vermöchte, wie von der Pariser Darstellung behaup tet wird — etwa ein Blaubart à la Nestroy oder Scholz, nicht à la Dawison und Roger, wie der Swoboda’sche. Und dennoch kann man es hier den Darstellern kaum ernst lich verübeln, daß sie noch zu viel Discretion und Schön heitssinn besitzen, um sich zur vollständigen Carricatur zu verzerren.

Auf die Mordscene folgt wieder der Spaß. Aber welch salzlos kindischer Spaß! Der Hof Chemiker Popolani, ein wissenschaftliches Genie, das unsere Redtenbacher, Schröt ter und Hlasiwetz weit hinter sich läßt, treibt der erstarr

ten Boulotte die Wirkungen des Giftes mittelst der Elektrisir- Maschine aus. Auf diese Art hat der Würdige bereits fünf Frauen Blaubart’s gerettet und allmälig als liebliche Hand bibliothek zu eigenem Gebrauche in einem Seitenflügel des Schlosses verborgen. Mit Champagnergläsern in der Hand kommen diese Wunder der modernen Chemie nun zum Vorschein und singen mit Boulotte ein Trinklied, das (von Holzgeklap per im Orchester begleitet!) jedenfalls unter den zwanzig bis dreißig Trinkliedern Offenbach’s die unterste Stelle ein nimmt. Der Vorhang fällt und ein vierter Art führt uns zu den Hochzeitsfeierlichkeiten an König Bobèche’s Hof. (Wann wird, beiläufig gefragt, die willkürliche Confusion von „Bild“ und „Act“ einmal aufhören, und wieder Act heißen, was ein Act ist?) Blaubart’s Frauen erscheinen als Zi geunerinnen maskirt auf dem Feste, jagen Blaubart den nö thigen Schreck ein und vermälen sich sofort mit den vom König vermeintlich gemordeten, aber gleichfalls „chemisch“ re staurirten fünf Cavalieren; Boulotte versöhnt sich mit Blaubart, als wäre nichts Unangenehmes zwischen ihnen vorgefallen. Das einzig Amüsante in dem Act ist ein von Herrn Swo boda und Herrn Szika sehr drollig getanztes Duell. Dieser wirksame und wenigstens neue Unsinn vermag jedoch kaum mehr das Gähnen der Zuschauer gegen den Schluß dieser „komischen Oper“ aufzuhalten, welche in ihrer Gänze noch etwas länger dauert als die „Hugenotten“ oder die Afrikanerin“ im Kärntnerthor-Theater.

Die Stimmung des Publicums schien uns im Ganzen sehr lau, der stellenweise hervorbrechende Beifall galt vorzüg lich den äußerst anziehenden Leistungen der Herren Swoboda (Blaubart) und Blasel (König Bobèche), denen sich mit wirk samer Komik die Herren Jäger (Cavalier Alvarez) und Rott (Popolani) anschlossen. Die Costüme waren nach allerliebsten Zeichnungen von Franz Gaul glänzend ausgeführt; von den neuen Decorationen machte namentlich die erste (Landschaft mit Blaubart’s Schloß) schöne Wirkung; auch die Verdienste des Capellmeisters J. Hopp um die musikalische Ausführung verdienten alle Anerkennung — und so fehlte denn zur Treff lichkeit des Ganzen nichts weiter, als ein guter Text und eine gute Musik.