Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse No. 781. Wien, Donnerstag den 1. November 1866 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2023

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

No. 781. Wien, Donnerstag den 1. November 1866 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 01.11.1866
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Die Oper in Pacht.

Ed. H. Seit einiger Zeit mehren sich die Gerüchte von einer bevorstehenden Reform in der Leitung des Hofopern theaters. Sie werden im Publicum um so williger geglaubt, als die Unzufriedenheit mit der gegenwärtigen Direction eine allgemeine ist. Noch wechseln diese Reform-Symptome chamäleon artig; bald hört man von der Ernennung eines neuen, wie bisher dem Oberstkämmerer untergeordneten Directors, bald wieder von der Zuweisung der Oberleitung an das Staats ministerium, endlich auch von einer Verpachtung des ganzen Instituts. Das Wort „Verpachtung“ scheint bei einem großen Theil des Publicums, mitunter auch in der Journalistik, einen Schrecken hervorzurufen, den wir nicht ganz begreifen. Neue sten Nachrichten zufolge soll die über die Reform des Hof operntheaters berathende Hofcommission eine Verpachtung für den „verwerflichsten Modus“, ja für etwas „Unmögliches“ erklärt haben. Wir möchten durch einige Daten, zunächst histo rische, einen kleinen Beitrag zur Beurtheilung dieser Direc tionsform geben, natürlich ohne die Anmaßung, damit den Gegenstand zu erschöpfen und die für Wien ziemlich compli cirte Frage spruchreif zu machen.

Von allen Opern-Instituten hat in der Frage nach der besten Directionsweise keines so bedeutende Erfahrungen ge macht, wie die Große Oper in Paris und das Hofopern theater in Wien. Die Geschichte beider ist ein fortwährender Wechsel zwischen den zwei Systemen: Staatsverwaltung und Privat-Unternehmung. Im ersteren Falle administrirt der Staat oder der Hof (wir fassen hier Beides in den Begriff „Staatsverwaltung“) das Theater auf eigene Rechnung durch einen angestellten, vom Hofamt oder Ministerium abhängigen Director, im zweiten führt es gegen einen bestimmten Zu schuß (Subvention), aber auf eigene Rechnung und Gefahr ein unabhängiger Privatmann, der Pächter. Unter beiden For men gab es in Wien wie in Paris günstige und ungünstige Epochen, da nimmermehr das System allein entscheidet, son dern mit ihm stets auch die Persönlichkeit, welche, und die

Bedingungen, unter welchen sie dirigirt. Allein im Großen und Ganzen bietet die Geschichte doch das Resultat, daß die Wiener wie die Pariser Oper ihre glänzendsten Zeiten unter der Leitung von Privat-Unternehmern, also in der Form der Verpachtung erlebt hat. Aus den ersten Zeiten der von Louis XIV. gestifteten Académie royale erwähnen wir nur, daß die alte Monarchie die Glanz-Epoche ihrer Oper den Privat-Unternehmern Lully, dann Francoeur und Rebel verdankte. Der berühmte Schöpfer der französischen Musik, Lully, war ganz eigentlich Pächter ohne Subvention, aber mit den unerhörtesten Privilegien, dabei nur der Person des Königs verantwortlich. Rebel und Francoeur über nahmen die Oper (1757) auf eigene Gefahr und Rechnung unter Oberaufsicht der Stadt Paris, und führten sie, obgleich ohne Subvention, durch vierzehn Jahre zu ihrem und des Publicums Vortheil. Nachher sank das Glück der folgenden Pächter immer mehr, hauptsächlich in Folge des großen, stets wachsenden Pensionsstandes, den jeder Unternehmer von seinen Vorgängern übernehmen mußte, und durch die zuneh mende Abhängigkeit des Directors von der Hof- oder Staats bureaukratie.

Im Jahre 1777 erhielt die Oper zum erstenmale eine Subvention, und zwar jährlich 80,000 Livres von der Com mune. Zwei Jahre später verwaltete die Stadt Paris das Theater auf eigene Rechnung, dann folgten „Directoren“ un ter der Oberleitung des Staatssecretariats u. s. w. Das Re sultat war eine schlechte Opernleitung und ein alljährlich mächtig steigendes Deficit. Napoleon bewilligte für die Oper eine Subvention von 750,000 Francs und ernannte Direc toren mit vollkommener administrativer Freiheit. Hauptsäch lich durch letzteren Umstand und das in vieler Hinsicht treff liche Gesetz über die „Surintendance des grands théâtres“ (1807) hob sich die Oper als kaiserliches Institut unter Na poleon. Unter der Restauration waren die Directoren (Cho ron und Persuis, Viotti, Habeneck, Dupantys, Lubbert) nichts als willenlose Instrumente in den Händen der vorgesetzten Regierungs-Behörden, die Oper sank rasch und der Staat erntete aus seiner Verwaltung ein enormes Deficit. Der Mi nister Graf d’Argout erklärte 1832 in der Deputirten-

Kammer die Administrirung der Oper durch den Staat für ein „gänzlich fehlerhaftes System“. „Es versteht sich von selbst,“ fügte er bei, „daß, wenn die Staats verwaltung sich in ein solches Unternehmen mischt, nothwen dig eine Menge Mißbräuche sich einschleichen. Und wirklich war die Regierung damit so unglücklich, daß die Einnahmen sich merklich verminderten und die Oper aufgehört hat, das Publicum anzuziehen.“ Diese trüben Erfahrungen veranlaßten die französische Regierung, die Große Oper im Jahre 1830 an einen Privat-Unternehmer, Louis Véron, zu verpachten.

Dieser geschickte und thätige Mann übernahm gegen eine Subvention von 700,000 bis 810,000 Francs die Oper auf eigene Rechnung und Gefahr und erzielte nicht nur glänzende Erfolge, sondern auch sehr namhaften Gewinn, was seit Rebel und Francoeur nicht vorgekommen war. Véron’s Pacht gilt jetzt noch in Paris für die Glanzzeit der Großen Oper, und das Urtheil des Publicums erhielt seine officielle Sanction in dem Bericht des Ministers Achille Fould an Kaiser Na poleon (1854), worin ausgesprochen wird, daß dieser Versuch, die Oper wieder der Privat-Unternehmung zu über lassen, „von dem vollständigsten Erfolg gekrönt war“. Die folgenden Pächter waren nicht so glücklich wie Véron; theils verstanden sie ihr Geschäft nicht und ruinir ten sich durch allzu großen Ausstattungs-Luxus, theils litten sie (im Jahre 1848 und den folgenden) schwer unter den Folgen der Revolution. Trotzdem muß man gestehen, daß die Direc tion der Pächter Duponchel, Roqueplan, Léon Pil let nicht sowol unangenehm für das Publicum als für die Pächter selbst war, die stets das Deficit ihrer Vorgänger zu zahlen hatten. Im Jahre 1854 übernahm die Regierung die Oper abermals in eigene Regie und leitete sie durch ange stellte, dem Staatsministerium untergeordnete Directoren. Und abermals machte man die trübe Erfahrung, daß unter diesen angestellten Directoren (Roqueplan, Crosnier, Royer, Perrin) die Leistungen der Oper herabsanken, das Deficit hin gegen sich zu enormer Höhe aufschwang.

Nach zehn Jahren war die Regierung dieses oft erlebten Resultates satt, und Louis Napoleon verfügte neuerdings die Verpachtung des Operntheaters. So steht dieses berühmte

Institut seit 15. April 1866 wieder unter der Leitung eines Privat-Unternehmers (des ehemaligen Directors Roqueplan), der es auf eigene Gefahr und Rechnung führt. Um zu zeigen, daß diese Maßregel nicht aus Ersparungsrücksichten geschehe, sondern um eine bessere Oper zu erhalten, hat Kaiser Napoleon dem neuen Pächter die bisherige Staatssubvention belassen und obendrein 100,000 Francs aus der Civil liste hinzugefügt. Es bleibt eine bedeutsame Thatsache, daß das praktische und theaterkundigste Volk der Franzosen in neuester Zeit abermals zur Verpachtung der Oper zurück gekehrt ist.

Auch in Wien war die Administration der Hofoper ein fortwährendes Hinüber — Herüber von Privat- und Hofregie. Unter Maria Theresia und Kaiser Joseph herrschte die Ver pachtung vor, und zwar waren es hohe Adelige, welche gegen eine Subvention die Theater zu führen übernahmen. Der Er folg erwies sich meistens als unglücklich; sind doch unter Maria Theresia binnen zehn Jahren sieben verschiedene Päch ter zu Grunde gegangen. Diese Mißerfolge beweisen unseres Erachtens nicht sowol, daß die Verpachtung ein falsches Sy stem, als vielmehr, daß Cavaliere selten gute Theater-Direc toren sind. Es verlangt eben dieses Geschäft, wie jedes andere, Männer von Fach. Nunmehr (nach der verunglückten Pachtung des Grafen Kohary, 1776) nahm der Hof das Theater wieder in eigene Regie und begann mit Maßregeln äußerster Sparsam keit, wie man sie sonst gerade Pächtern zuzuschreiben pflegt. Trotzdem zeigten sich die Resultate so ungünstig, daß Kaiser Franz gleich bei seinem Regierungsantritte (1792) die Ver pachtung ausschreiben ließ. Auf Bitten der Künstler stand er wieder davon ab, jedoch nicht für lange; denn schon zwei Jahre nachher wurden die beiden Hoftheater dem Baron Braun überlassen, der sie gegen einen Zuschuß von 40.000 Gulden auf eigene Rechnung verwaltete. Er muthete sich zu viel zu, indem er auch noch das Theater an der Wien über nahm. Als in Folge der Kriegsereignisse die dreifache Theaterkrone den freiherrlichen Pächter zu erdrücken drohte, kauften neun der ersten österreichischen Cavaliere ihm das Pachtrecht ab. Fünf von ihnen übernahmen zugleich die Ver waltung mit Anfang des Jahres 1807, und zwar leitete

Fürst Eszterhazy das Gesammt-Unternehmen, Graf Palffy das Schauspiel, Fürst Lobkowitz die Oper, Graf Zichy das Ballet und die ganze Oekonomie, Graf Lodron die Baulichkeiten. Es war der vornehmste Pächterclub, den man sich denken kann, und gewiß dürfen wir das überwiegend aus Kunstliebe ergriffene Unternehmen als einen Ausfluß jenes rühmlichen Musik- und Theater-Enthusiasmus ansehen, welcher den damaligen hohen Adel Wiens auszeichnete. An gutem Willen fehlte es nicht, und Lobkowitz namentlich hat für die Oper Anerkennenswerthes geleistet; aber die theater feindlichen Verhältnisse vor und während des Befreiungs krieges brachten es dahin, daß der Hof ein immer größeres Deficit zu zahlen hatte, d. h. es aus Billigkeit zahlte, und endlich die Regie der Hoftheater wieder selbst über nahm. Von 1817 bis Ende 1821 verwaltete der Hof die Oper auf eigene Rechnung und mit dem betrübendsten Erfolge. Man gab die Oper abermals in Pacht, und zwar an den Neapolitaner Barbaja. Diesmal hatte man endlich einen Pächter gewählt, der kein fürstlicher Dilettant, sondern ein erfahrener Impresario war, und ihm verdankt das Hofoperntheater seine glänzendste Pe riode. Unter dem Pächter Barbaja nahm unsere Oper die selbe plötzliche Wendung zum Besseren, wie unter dem Päch ter Véron in Paris. Daß Barbaja’s Sorgfalt hauptsächlich der italienischen Oper zugute kam, war damals sehr natür lich: Rossini’s neue Musik, ausgeführt von einer Gesellschaft unübertrefflicher italienischer Sänger, übte zu jener Zeit eine unwiderstehliche Gewalt, der sich keine einzige deutsche Bühne, weder unter Privat- noch unter Staatsverwaltung, entziehen konnte. Trotzdem hat Barbaja, obwol Pächter und Italiener, die deutsche Oper nicht vernachlässigt, seine deutsche Gesell schaft war vortrefflich, und zur Bereicherung des deutschen Opern-Repertoires traf er eine Maßregel, die jeder obersten Hof theater-Direction Ehre gemacht hätte, einer solchen aber nie mals einfiel. Barbaja hatte den Plan gefaßt, die besten deutschen Opern-Componisten zur Production für das Kärnt nerthor-Theater unter den günstigsten Bedingungen anzueifern. Zuerst wurden Beethoven, C. M. Weber, Spohr, C. Kreutzer und Winter mit neuen Opernbüchern bedacht. Daß Beetho

ven von dem ihm angebotenen Libretto (nach Schiller’s Bürgschaft“) nur den ersten und dritten Act componiren wollte und endlich abfiel, war nicht Barbaja’s Schuld; Bar baja’s Verdienst bleibt es hingegen, daß C. M. Weber seine Euryanthe“ eigens für Wien schrieb und daselbst dirigirte. Barbaja’s Pacht dauerte von Ende December 1821 bis April 1828. Nach dem ganz kurzen unglücklichen Intermezzo eines neuen Pächter-Cavaliers, des Grafen Gallenberg (1829), übernahm der Hof die Oper abermals in eigene Verwal tung, um sie jedoch schleunigst wieder in Pacht zu geben. Diesmal war der Pächter Louis Duport (18301836) und nach ihm Balocchino mit Merelli (18211848). Ohne Zwei fel haben diese Pächter dem Geschmack ihrer Zeit Rechnung getragen (die vielen einactigen Operetten unter Duport, das Vorherrschen französischer und italienischer Componisten unter Balocchino), auch wären bei gleicher Tüchtigkeit deutsche Unternehmer italienischen entschieden vorzuziehen gewesen; trotzdem wurden in den 27 Jahren dieser letzten Pachtperiode (18211848) bessere Sänger, ein reicheres Re pertoire und gerundetere Vorstellungen in der deutschen wie in der wälschen Saison vorgeführt, als in irgend einem gleich langen Zeitraum der Hofregie. Etwas von dem Eifer und der Rührigkeit, die jeder Pächter entwickelt, ging auch noch auf die Nachfolger Balocchino’s über: auf Holbein (18481853) und auf Cornet (18531857), welcher von allen angestellten Directoren jedenfalls der tüchtigste Fach mann war. Demungeachtet sank die Opernleitung unter der eigenen Regie des Hofes allmälig herab, stand beträchtlich tief unter Eckert (18571860) und ist schließlich unter Salvi (1861) auf einer Stufe von Trägheit, Unsicherheit und rath loser Bedrängniß angelangt, über welche die Kritik und das Publicum einhellig abgeurtheilt haben. Die Geschichte ist es somit nicht, welche die Verpachtung der Hofoper als den „verwerflichsten Modus“ dargestellt. Im Gegentheil lehrt sie, daß in Wien wie in Paris die Oper sich am besten nicht unter der Hof- und Staatsregie, sondern unter Privatpäch tern befand, falls diese nur tüchtige Fachmänner und im Genuß voller administrativer Freiheit waren.