Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse No. 793. Wien, Dienstag den 13. November 1866 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2023

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

No. 793. Wien, Dienstag den 13. November 1866 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 13.11.1866
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Concerte.

Ed. H. Die „Philharmoniker“, sowie die „Gesellschaft der Musikfreunde“ haben den Winter-Cyklus ihrer Productio nen eröffnet. Mit feinem Sinn war das Programm des er sten Gesellschafts-Concertes aus Compositionen von Beethoven, Schubert, Weber, Spohr und Mendelssohn zusammengestellt — durchwegs moderne Tondichter, die ein verwandter Zug der Romantik miteinander verbindet. Wie wir vernehmen (denn leider hörten wir das Concert nicht selbst), wurde das Eröffnungsstück, Spohr’s Ouvertüre zum „Berggeist“, sehr kühl aufgenommen. Eine große künstlerische Bedeutung des Werkes können wir allerdings nicht dieser Aufnahme ankla gend entgegenhalten, doch hat es stets anziehend und harmo nisch auf uns gewirkt. Gewiß wäre das gänzliche Verschwin den Spohr’scher Musik aus den Concerten als ein Verlust und ein Unrecht zu beklagen. Für unser Theil wenigstens bekennen wir, daß wir gerade seit dem Seltenwerden Spohr’scher Musik uns jedesmal angenehm berührt fühlen, wenn diese Entfremdung von Zeit zu Zeit durch eine Com position seiner besseren Periode (vor 1846) unterbrochen wird. Spohr ist nicht nur ein tüchtiger Meister, sondern eine wahrhaft liebenswürdige und eigenthümliche Individualität, freilich auch eine einseitige, sich gern wiederholende, weßhalb denn auch am besten genießt, wer sie mäßig genießt. Kaum zwei Decennien ist’s her, daß man vor einem allzu eifrigen Spohr-Cultus noch warnen mußte, und jetzt bedarf es schon einiger Anstrengung, um die Werke des Meisters vor dem Schicksale gänzlichen Verschallens zu retten! — Frau Marie Wilt sang mit entschiedenem Erfolg die große Arie der Reiza aus Weber’sOberon“ und die Arie mit Chor aus Men delssohn’s unvollendeter Oper „Loreley“. Letzteres Stück, zuletzt im Jahre 1855 von Fräulein Tietjens hier gesun gen, erschien einem großen Theil des Publicums als Novität. Bei aller Bewunderung technischer Vorzüge konnten wir uns doch für diese „Loreley“ niemals erwärmen. Das Stück ist glän zend im Sinne des Bestechenden, denn seinem unleugbaren äußeren Effect liegt kein entsprechender substanzieller Gehalt zu Grunde. Speciell vom musikalischen Standpunkt erscheint

die technische Meisterschaft in der übersichtlichen Anordnung des Ganzen, wie in der glänzenden Darstellung alles Einzel nen bewundernswerth, während die eigentliche musikalische Kern gestalt, die melodische Erfindung, von geringer Bedeutung ist. Dra matisch angesehen, dünkt uns das Phantastische allzusehr den Aus druck des Gefühls zu überragen, die Leidenschaft mehr angeflogen, als aus der Tiefe hervorbrechend. Das märchenhafte Element steht hier gegen das menschliche im entschiedensten Vortheil; neben den kühlen, aber blendenden Nixen-Chören tönt die Klage des Mädchens nicht warm und tief genug. Man ver gesse nicht, daß dieser Aufruf der Wassergeister den Höhen punkt in Leonorens Herzens-Tragödie bildet; das Aeußerste ist an ihr gefrevelt worden, „der Menschheit ganzer Jammer faßt sie an“. Dafür fehlen der Mendelssohn’schen Composition die entsprechenden Töne. Die beiden wichtigsten und für den Componisten verpflichtendsten Stellen in Leonorens Klage waren vielleicht die Verse: „Für meine Liebe hat er mich zer treten; weil ich ihm Alles gab, däucht’ ich ihm nichts“ — dann der Ausruf: „Nimm hin zum Pfande, nimm hin den Brautring!“ In Mendelssohn’s Composition klingen sie conventionell und gemacht; Worte wie diese mußten wie heiße Thränen in die kühle Fluth fallen. Auch die beiden größeren Gesangssätze Leonorens, das Andante in Fis-moll und das Schluß-Allegro in E-dur: „Es sei!“ athmen mehr rhetori sches Pathos als wahre Leidenschaft. Das Beste bleibt jeden falls der einleitende Chor der Wassergeister, von anmuthigem Schaukeln fortschreitend bis zu wogendem Gebrause, das ganze Bild übergossen mit den effectvollsten Farben der Orchestrirung.

Bekanntlich hat Mendelssohn von dem ganzen Gei bel’schen Libretto „Loreley“ nur diese Eine Scene voll endet. Es macht einen tragischen Eindruck, den Tondichter sein ganzes ruhmvolles Leben hindurch rastlos und fruchtlos nach einer Oper ringen zu sehen. Von seinen dramatischen Jugendarbeiten: „Cammacho“ und „Heimkehr aus der Fremde“ hat die erstere im Theater gar kein Asyl, die letztere nur ein sehr flüchtiges gefunden. Seitdem hatte Mendelssohn nie aufgehört, nach einem würdigen Operngedicht zu streben und darüber mit Poeten wie Immermann, E. Devrient, Geibel u. A. aufs eifrigste zu unterhandeln. Durch Zufall stießen wir kürzlich auf einen neuen, noch nicht bekannt ge

wordenen Beitrag zu diesem Tantalus-Capitel in Mendels sohn’s Leben. Es ist ein eigenhändiger Brief Mendels sohn’s an den Dichter Bauernfeld, den er gleichfalls um einen Operntext angegangen hatte. Das Schreiben (datirt Berlin, am 10. Juli 1838) bezieht sich auf ein nicht näher bezeichnetes Libretto, das ihm Bauernfeld zugeschickt, ohne den Componisten damit befriedigen zu können.

„Ich wünschte mir,“ schreibt Mendelssohn, „zum Anfang keine Zauber-Oper, oder vielmehr, ich traue mir in diesem Fache nicht genug Talent zu, während ich im rein ernsten oder rein heiteren Styl mit mehr Zuversicht arbeiten würde. Schwebt Ihnen nun ein ernster, historischer oder ein intriguanter oder ganz heiterer menschlicher Stoff vor, so bitte ich, theilen Sie ihn mir mit.“ Das Bauernfeld’sche Libretto hieß, wie uns der Dich ter freundlichst mittheilt: „Der Geist der Liebe“, und war eine richtige Zauber-Oper in phantastisch-orientalischem Costüme, mit Nixen, Feen und Dämonen. Es ist bemerkenswerth, daß Mendelssohn in seinem Briefe an Bauernfeld (sowie ein mal später gegen Otto Prechtler) gerade die phantastisch- märchenhaften Stoffe ablehnt, für welche ihn die allgemeine Stimme auf Grund seines herrlichen „Sommernachtstraumvorzüglich befähigt und eingenommen glaubte. Im Grunde mag ihn weniger ein Mißtrauen in sein Talent, als die rich tige Ueberzeugung geleitet haben, daß die Zeit der Nixen- und Elfendramen vorüber sei. War doch eben unter Anderm der früher erwähnte Spohr’sche „Berggeist“ mit seinen großen musikalischen Schönheiten an einem kindischen Geistertext ge scheitert. Spohr’sBerggeist“ ist eine Art verdoppelter „Hanns Hei ling“, indem nicht blos der regierende Berggeist, sondern zugleich auch sein Kammerdiener „Droll“ sich nach irdischer Liebe sehnt. Wir sehen sie selbander zur Erde aufsteigen, daselbst schreckliches Unheil anrichten und schließlich, mit irdischen Körben beglückt, sich wieder in ihre geo logische Reichsanstalt zurückziehen. Und siehe da, am Ende spielt die seltsame Ironie des Schicksals Mendelssohn doch wieder eine Nixen-Oper, die Loreley“, in die Hände. Müde des Suchens und Harrens, versöhnt er sich damit, entschließt sich zur Composition, beginnt diese gerade bei der Nixenscene und stirbt darüber.

Von Schubert brachte das Gesellschafts-Concert jenes bezaubernde Symphonie-Fragment (H-moll), das im vorigen Jahre zur ersten Aufführung gelangt war und dessen Ent

deckung wir Herrn Herbeck verdanken. Damals stand es noch sehr in Frage, ob die im Privatbesitz befindliche Partitur der Musikwelt je zugänglich sein werde; heute können wir mit Vergnügen melden, daß Herr Spina die beiden Schu bert’schen Symphoniesätze für seinen Verlag erworben hat und sie demnächst in Partitur und Clavier-Auszug (von C. Reinecke) veröffentlicht. Ueberhaupt zeigt jetzt Spina’s Verlag eine rühmenswerthe Thätigkeit für Schubert; im Laufe der letzten Monate erschienen die Ouvertüren zu „Fierabras“, Alphons und Estrella“, „Rosamunde“ (nebst zwei Entre actes) und die „Italienische“ in C in Partitur und Clavier- Arrangements, ferner die Cantate „Lazarus“ in sehr sorgfäl tigem Clavier-Auszug von Herbeck, endlich die erste voll ständige, kritisch redigirte Sammlung von Schubert’s Män nerchören. Hofcapellmeister Herbeck hat die Redaction dieser neuen Ausgabe übernommen und derselben auch ein langes „Vorwort“ vorgedruckt, das sich über seine kritische Methode und das vorgefundene musikalische Material kurz faßt, um sich dann desto fesselloser in fast hymnenartigem Preise Schubert’s zu ergehen. Durch die Wohlfeilheit dieser Sammlung ist Schubert’s Chormusik selbst den kleine ren Vereinen zugänglich gemacht und durch die von Herbeck beigefügten Vortragszeichen Studium und Ausführung wesent lich erleichtert. Die Menge dieser nuancirenden Vortragszeichen ist uns etwas groß vorgekommen; liegt doch für den Musiker die Besorgniß vor einer allzu detaillirten, koketten Vortrags weise sehr nahe. Indessen bescheiden wir uns gerne vor der praktischen Erfahrung, welche Herbeck wahrscheinlich zu der Ueberzeugung geführt hat, daß kleine, minder geschulte Vereine reichlicher Vortragszeichen bedürfen, um einen Schubert’schen Chor nicht allzu monoton herabzusingen. Von einigen dieser Winke darf man sich heilsame Wirkung versprechen, so wird z. B. die Bezeichnng: „Allegretto assai tenuto“ mit dem Beisatz: „Nicht abgehackt, sondern immer gebunden zu sin gen“, den zweiten Theil der „Nachtigall“ nach Möglichkeit vor dem allzu derben Hervorheben der Trivialität retten, welche dem Stücke un leugbar anhaftet. Ebenso dürften die Vereinfachungen, welche Herbeck dem Tenorpart im „Dörfchen“ vorgesetzt hat, auch minder geübten Sängern die Composition mundgerecht machen, ja sie scheinen uns selbst, abgesehen von dieser Rücksicht, den unpassenden und altmodi schen Opernrouladen des Originals vorzuschieben. So führt denn

Herbeck seine verdienstvolle Thätigkeit für Schubert unermüd lich fort, und wie oft schon wir ihm dafür gedankt, wir werden kaum so bald zu danken aufhören können.

Das erste der vom Hofopern-Capellmeister Dessoff ge leiteten „Philharmonischen Concerte“ ging am 11. d. unter dem gleichen Andrange von Hörern vor sich, welcher seit mehreren Jahren diese Productionen auszeichnet. That sache ist es, und eine unleugbar erfreuliche, daß die Philhar monischen Concerte seit sechs Jahren, also seit dem Eintritt Herrn Dessoff’s, einen anständigen Reinertrag abwerfen, was unter dessen Vorgängern nicht der Fall war. Unter Ni colai’s Nachfolgern, Reuling und Proch, fanden die Phil harmonischen Concerte äußerst geringen Anklang; unter Eckert errangen sie zwar lebhafte künstlerische Anerkennung, nicht aber eine hinreichende Betheiligung des Publicums. Eckert brachte in der Saison 18541855 nur zwei Phil harmonische Concerte zu Stande, in der Saison 18561857 drei, im Winter 18551856 nur Eines. Hierauf wurde das Unternehmen, hauptsächlich aus pecuniären Rücksichten, durch zwei volle Jahre sistirt, um noch einmal im Januar 1860 von Eckert im Hofoperntheater aufge nommen zu werden, aber leider mit abermals un günstigem Kasse-Erfolg. Das Programm vom 11. d. brachte eine neue Orchester-Suite von Raff und an bekannten Composi tionen Beethoven’s achte Symphonie, Weber’s „Oberon“-Ouver türe und Berlioz’ „Römischen Carneval“. Die Aufführung war durchaus fein und exact; das Allegretto der Beethovenschen Symphonie mußte wiederholt werden. Die Ouvertüre zum „Römischen Carneval“, überwiegend auf grandiosen Schall-Effect berechnet, litt unter der Ungunst des Locals, das kein eigentliches Fortissimo aufkommen läßt. Man konnte dies recht deutlich an dem bekannten Schlag vor dem Allegro der „Oberon“-Ouvertüre wahrnehmen, der im Redoutensaal wie ein Donnerkeil ins Publicum fährt, während er im Kärntner thor-Theater bei gleichem Kraftaufwand etwa die Hälfte die ser Wirkung erzielt. Raff’sC-dur-Suite, op. 102, besteht aus fünf Sätzen. Der erste bringt eine breite, pompöse „In troduction“ und darauf eine sehr trockene Fuge mit äußerst physiognomielosem Thema und unruhiger Durchführung. Es folgt ein „Menuett“, unbedeutend in den Themen, aber von

graziöser Haltung und sehr pikanten Details. Aehnliches läßt sich von den beiden folgenden Sätzen, den besten der Suite, sagen, einem gesangvollen „Adagietto“ und einem recht niedlichen, elfenartig plaudernden „Scherzo“. Der gegen das frühere wieder abfallende Schlußsatz ist ein „Marsch“, von nicht origineller Erfindung, aber sehr effect voller Mache. Unter den Orchesterwerken der neudeutschen Schule und unter den Raff’schen speciell nimmt die Suite eine beachtenswerthe Stelle ein. Gegen die „Preis-Symphoniedesselben Componisten gehalten, erscheint uns die „Suiteals erfreulicher Fortschritt, sie verzichtet auf die ermüdende Länge und Ueberfüllung, wie auf allzu starke harmonische und rhythmische Torturen. Raff hat in dieser Suite sich größerer Klarheit und Einfachheit beflissen, also einen Weg eingeschla gen, zu welchem wir dem begabten Componisten nur gratu liren können. Das Werk hat uns auf das anregendste be schäftigt, durch viele schöne Einzelheiten erfreut und über rascht; einen bestimmten, starken und nachhaltigen Eindruck haben wir aber nicht mit fortgenommen. Es ist dies ein Charakterzug dieser ganzen modernen Schule, deren Prin cip wir „Emancipation des Details“ nennen möchten. Sie bringt es über die geistige Anregung und das momentane Gefallen nicht hinaus bis zur vollen, nachhaltigen Befriedi gung. Es fehlt ihrer Musik bei allem Glanz und Esprit an jener inneren Nothwendigkeit und überzeugenden logischen Gewalt, welche die Tondichtungen der Classiker, besonders Beethoven’s, auszeichnet. Wir haben nicht ein natürliches Werden und Wachsen der Ideen vor uns, sondern ein musi kalisches Machen. Immerhin haben wir, wie gesagt, an Raff’sSuite“ eine anziehende neue Bekanntschaft gemacht, für welche wir den „Philharmonikern“ zu Dank verpflich tet sind.

Schließlich erwähnen wir noch der Festliedertafel des „Wiener Männergesang-Vereins“, welche Samstag im Sophienbad-Saale zu lebhafter Befriedigung des zahlreichen Publicums stattfand. Von den Chören, die sämmtlich unter Leitung des neuen Chormeisters Herrn Weinwurm sehr präcis zusammengingen, trug ein reizender kleiner Chor von Engelsberg: „Die Liebe als Nachtigall“, den Preis davon.