Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse No. 830. Wien, Freitag den 21. December 1866 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
Georg-Coch-Platz 2 1010 Wien Österreich Wien
Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2023

Sie dürfen: Teilen — das Material in jedwedem Format oder Medium vervielfältigen und weiterverbreiten

Bearbeiten — das Material remixen, verändern und darauf aufbauen und zwar für beliebige Zwecke, sogar kommerziell.

Der Lizenzgeber kann diese Freiheiten nicht widerrufen solange Sie sich an die Lizenzbedingungen halten. Unter folgenden Bedingungen:

Namensnennung — Sie müssen angemessene Urheber- und Rechteangaben machen, einen Link zur Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden. Diese Angaben dürfen in jeder angemessenen Art und Weise gemacht werden, allerdings nicht so, dass der Eindruck entsteht, der Lizenzgeber unterstütze gerade Sie oder Ihre Nutzung besonders.

Keine weiteren Einschränkungen — Sie dürfen keine zusätzlichen Klauseln oder technische Verfahren einsetzen, die anderen rechtlich irgendetwas untersagen, was die Lizenz erlaubt.

Hinweise:

Sie müssen sich nicht an diese Lizenz halten hinsichtlich solcher Teile des Materials, die gemeinfrei sind, oder soweit Ihre Nutzungshandlungen durch Ausnahmen und Schranken des Urheberrechts gedeckt sind.

Es werden keine Garantien gegeben und auch keine Gewähr geleistet. Die Lizenz verschafft Ihnen möglicherweise nicht alle Erlaubnisse, die Sie für die jeweilige Nutzung brauchen. Es können beispielsweise andere Rechte wie Persönlichkeits- undDatenschutzrechte zu beachten sein, die Ihre Nutzung des Materials entsprechend beschränken.

Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

No. 830. Wien, Freitag den 21. December 1866 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 21. December 1866
font-style:italic; font-weight:bold; Deutsch Transkribus OCR und Lektorat. Transformierung der Daten des Transkribus TEI-Export mit "editions.xsl". Absätze und Umbrüche, Fußnoten ref in rs ausfüllen Letztkorrektur für Zwischenrelease.
Faustʼs Verdammung“, dramatische Legende von H. Berlioz. (Aufgeführt von der „Gesellschaft der Musikfreunde“ am 16. December d. J.)

Ed. H. Es war im December 1846, daß Berliozʼ Le gende: „La damnation de Faust“ in Paris zum ersten male, und zwar ohne nachhaltige Wirkung zur Aufführung kam. Seither ruht sie dort in Vergessenheit und wurde auch in Deutschland unter Berliozʼ Leitung nur bruchstückweise gegeben. Etwas unklar als „dramatische Legende“ bezeichnet, gehört „Faustʼs Verdammung“ im Grunde jener Mischgattung an, welche Berlioz unter dem Namen „dramatische Sym phonie“ erfunden hat. In der dramatischen Symphonie „Ro meo und Julie“ versuchte Berlioz die Verbindung selbst ständiger Symphoniensätze (Adagio, Scherzo) mit gesungenen Scenen, wozu als drittes Element noch rein erzählende Reci tative, sodann Prologe und Epiloge hinzutraten — eine Form, die, unorganisch und widerspruchsvoll in sich, kaum eine künstlerische Zukunft hat. Wie dort aus dem Shakespeareʼschen Drama, so hat hier der Componist aus dem Goetheʼschen eine Anzahl von Scenen beliebig herausgenommen, ergänzt, verändert und aneinandergereiht, nur mit dem Unterschiede, daß er das epische Element diesmal fast gänzlich gegen das dramatische und lyrische zurückstellt. „Fast“, sagen wir, denn gänzlich konnte Berlioz sich von der unglücklichen Vermen gung nicht trennen: nachdem Faust und Mephisto im Höllen pfuhl versunken sind, läßt sich ein von Baßstimmen recitirter erzählender „Epilog auf der Erde“ vernehmen, auf wel chen wieder eine Verklärung Gretchenʼs „im Himmel“ sich abspielt. Drama und Oratorium, rein Scenisches und blos Concertmäßiges werden dergestalt untereinandergemischt, daß sich der Standpunkt des Hörers fortwährend verrückt. Die Partitur enthält sogar eine stattliche Reihe eingeklammerter Bemerkungen, wie: „Faust versteckt sich hinter den Vor hang,“ „Mephisto macht die Bewegung eines spielenden

Leiermannes“ etc. Was nützt das in einem rein concertmä ßigen Werke, wo wir doch nur hören und nicht sehen? Ber liozʼ „Faust“ ist eigentlich eine körperlose, phantastische Oper, welche die Bühne verschmäht und sie doch nicht entbeh ren kann.

Berlioz vertheidigt sich in einer Vorrede gegen den Vorwurf, ein Denkmal wie Goetheʼs „Faust“ verstümmelt zu haben („dʼavoir mutilé un monument“). Das mag dem Franzosen so vorkommen, jeder Deutsche hingegen, der seinen Goethe kennt und liebt, muß trotzdem das Berliozʼsche Li bretto als eine Verstümmlung, und zwar als eine recht will kürliche und verletzende empfinden. Es klingt fast komisch, wenn Berlioz in seinem Plaidoyer fortfährt: auch Mozartʼs Don Juan“ und „Hochzeit des Figaro“ müßten dann Ver stümmlungen heißen, weil sie Schauspielen von Molière und Beaumarchais nachgebildet sind! Diese beiden Mo zartʼschen Opern sind eben selbstständige, in sich erfüllte Or ganismen, deren poetischen Unterbau Niemand auf seine Her kunft ansieht. Berlioz aber reißt einem poetischen Orga nismus eine beliebige Anzahl „effectvoller“ Stücke aus, zu dem höchst bedenklichen Zwecke, dramatisch Gedachtes und Ausgeführtes undramatisch nachzubilden. Wenigstens drei Vier theile von Berliozʼ „Legende“ sind Goetheʼs „Faust“ wört lich entnommen, das vierte besteht aus willkürlichen Zugaben, meist unpassender Art, z. B. Faustʼs Versetzung in die „Ebenen Ungarns“ und seine schließliche Höllenfahrt. Letztere soll Gelegenheit bieten zu der crassesten Teufelsmusik, erstere zur Anbringung des „Rakoczy-Marsches“. Wenn Goethe sei nen „Faust“ im zweiten Theil nach Sparta führt, warum (so fragt Berlioz im Vorwort) soll er, der Componist, nicht das Recht haben, ihn nach Ungarn zu führen? Armer Faust! Wir fürchten, du wirst nicht so bald Ruhe finden vor den Mu sikern einer Schule, die sich nur für die höchsten Probleme des Menschengeistes in chromatische Bewegung setzt. Seit Berliozʼ „Faust“-Legende, Wagnerʼs„Faust“-Ouverture und Lisztʼs„Faust“-Symphonie kann sich ja ein anstän diger Componist ohne „Faust“-Partitur kaum mehr sehen lassen.

Gehen wir zur Hauptsache über, zur Musik. Ueber Ber liozʼ eigenthümlichen Standpunkt, über das Stylprincip in seiner Musik, haben wir oft und ausführlich gesprochen. Da der Componist von „Faustʼs Verdammniß“ seinen früheren Anschauungen vollständig treu geblieben, so interessirt uns wol zunächst, in welchem Verhältniß dieses Werk zu den übrigen Compositionen von Berlioz stehe? Und hierauf müssen wir leider antworten, daß von allen größeren Werken dieses Tondichters uns „Faust“ als das schwächste erscheint. In seinen früheren Arbeiten finden wir mehr Ausdruck und Schönheit, und vor Allem ein glücklicheres Verhältniß zwischen der gewählten Aufgabe und der speciellen Begabung. Trotz seines großen Umfanges ist das neuere Werk musikalisch ärmer als seine Vorgänger. „Faustʼs Verdammniß“ hat kei nen Satz aufzuweisen, der sich mit dem Adagio (Liebesscene) aus „Romeo und Julie“ oder mit dem Pilgermarsch aus Childe Harold“ vergleichen ließe, der die furchtbare Energie des Hinrichtungsmarsches, die graziöse Lebendigkeit der Ball scene in der Symphonie fantastique oder das leidenschaftliche Pathos der „Lear“-Ouverture erreichte. Von der „Fee Mab“ brauchen wir gar nicht zu sprechen, denn der Sylphentanz und das Irrwischballet im „Faust“ sind so viel schwächere Nachbildun gen der „Fee Mab“, daß der Abstand dem Hörer von selbst auffallen muß. Und doch gelten diese beiden Stücke nicht mit Unrecht für die besten der Legende. „Harold“, die „Fan tastique“ und „Romeo“ sind von vornherein in dem großen Vortheil, daß die beiden ersteren Werke ausschließlich, das letztere überwiegend aus Orchesterstücken bestehen, während im „Faust“ der Gesang vorherrscht. Das will sagen, Ber lioz hat im „Faust“ den Boden verlassen, aus dem er alle seine Kraft zieht, und sich einem ihm stets unheilvollen, wider strebenden Elemente hingegeben. Sobald Berlioz für Gesang schreibt, schnappt und zappelt seine Musik wie ein Fisch auf heißem Sande. Sein Ringen, die reine Instrumental-Musik zu bestimmter Bedeutung zu steigern, hat etwas Großarti ges; seine Anstrengungen hingegen, für die einfachsten Worte einen entsprechenden melodischen Ausdruck zu finden, sind mitleiderregend. Ob er nun Freude oder Schmerz ausdrücken will, er kommt aus dem engen Ring einer nur ihm eigenen, ebenso dürftigen als unverständlichen Terminologie des Gefühls nicht heraus. Nichts in diesen unabsehbaren Gesangsstrecken erblüht zur schönen, reifen Melodie. Unsangbarere Partien sind kaum geschrieben, kläglichere Me lodien selten erfunden worden, als die Gretchenʼs und Faustʼs, Mephistoʼs und Branderʼs. Unsere Sänger wissen davon zu erzählen, und wir ergreifen gerne den Anlaß, Fräulein Bet telheim, die Herren Walter, Mayerhofer und Hraba nek ob der Selbstverleugnung zu rühmen, mit welcher sie diese gegen das natürliche Musikgefühl so hart ankämpfenden „Melodien“ sich eigen gemacht und vorgetragen haben. Von den drei Hauptpersonen dünkt uns Mephisto die gelungenste; die Instrumentation verleiht ihm die handgreiflich diabolische Charakteristik (ein geller Pfiff des Piccolo, begleitet von einem kurzen chromatischen Grunzen der Posaunen und Fagotte kündigt ihn an) und sein ist das einzige Lied in der ganzen Cantate, das sich gesunder Glieder rühmen kann: die Sere nade. Was soll man aber zu dem zwischen fünf- und drei tactigem Rhythmus taumelnden „Rattenlied“ und zu dem ver schrobenen „Flohlied“ sagen? Kann Jemand in diesen musi kalisch häßlichen, nach Originalität haschenden Liedern wirklich Humor und Geist finden? Uns dünken sie, wie die „Amen fuge“ auf den Tod der Ratte und die ganze Kellerscene, nur widrig und trivial. Edler, aber gestaltloser stehen dieser Gruppe Faust und Gretchen gegenüber, deren Gesang sich meistens in einem Dämmerlicht träumerischen Declamirens be wegt, aus welchem er dann zeitweise blitzartig aufzuckt. Zu einem fertigen Bilde, das uns mit den ruhigen Augen der Schön heit anblickt, kommt es nirgends. Ist sie nicht ausstudirt wi dernatürlich, diese Melodie zum „König von Thule“ mit ihrem hinkenden Rhythmus und den leiernden Bässen? Dies freiwillige Hinken ist nicht die Folge der Uebersetzung, sondern schon im Original beabsichtigt, welches „un roi“, „la mort“ mit kurzer starker Accentuirung des Artikels declamirt.

Gretchenʼs zweites Lied: „Meine Ruhʼ ist hin“ wird nach den ersten Tacten immer verzerrter und opernhafter, sogar kleine kokette Melismen drängen sich vor, wie die aufsteigende Scala auf „seine edle Gestalt“ und die paarweise herabhüpfenden Sech zehntel auf „Händedruck“. Wir halten uns jedoch nicht an solche Einzelheiten, sondern an den unmusikalischen Charakter des Berliozʼschen Gesanges im Allgemeinen und dessen Schwanken zwischen trockener Alltäglichkeit und formloser Ueber treibung. Man kann dies recht deutlich an dem Liebesduett zwischen Faust und Gretchen wahrnehmen, das, so lang es nach Einfachheit und Naturwahrheit strebt, zwar nicht ohne Empfindung, aber ganz schwunglos und gewöhnlich klingt. Später steigert sich die Leidenschaft, complicirt sich die Situation, Mephisto unterbricht die Liebenden und ein Chor boshafter Nachbarn ruft wiederholt: „Hollah! mère Oppenheim!“ Da setzt nun der Componist alle Mittel in Bewegung, die ge wagtesten Rhythmen und Modulationen, den heftigsten drama tischen Ausdruck, die gewaltigsten Orchesterklänge, aber unter dem Eindrucke der Ueberreizung und Unnatur ermüdet das Ohr und erstarrt das Herz. Wir fühlen uns wie in einem eiskalten Hause, wo alle Oefen rauchen.

„Ich bedarf sehr großer Mittel,“ äußerte einmal Ber lioz in richtiger Selbstkenntniß, „um überhaupt etwas her vorzubringen.“ Da es nun mit bestem Willen unmöglich ist, für Gesänge wie der „König von Thule“ oder „Meine Ruhʼ ist hin“ sehr große Mittel in Bewegung zu setzen, so tritt hier die wahrhaft pathologische Lücke in Berliozʼ Orga nismus erschreckend hervor. Man braucht kein Enthusiast für Gounod zu sein, um zu gestehen, daß seine Scenen zwischen Faust und Gretchen in jeder Hinsicht hoch über den analogen Nummern des Berliozʼschen „Faust“ stehen: an Schönheit und Natürlichkeit der Melodie, an Wärme der Empfindung, an maßvoller Durchführung und an dramatischem Leben. Gounod ist keine so eigenthümliche, energische Persönlichkeit wie Berlioz, aber eine weit musikalischere Natur; seiner Em pfindung strömt von selbst der natürliche melodische Ausdruck entgegen, während Berlioz wie ein Taubstummer ringen muß,

um sein — vielleicht stärkeres — Gefühl auch nur verständ lich zu machen.

Wie in Berliozʼ „Romeo“, so sind auch in seinem „Faustdie reinen Instrumentalstücke weitaus die hervorragendsten; leider sind sie hier weder so zahlreich, noch so ausgeführt wie dort. Von dem glänzend instrumentirten Rakoczy-Marsch wollen wir lieber nicht reden; der Jubel, den gerade diese fremde, rhythmisch und melodisch urkräftige Weise inmitten der Berliozʼschen Nummern überall erregt, dünkt uns für den Componisten des „Faust“ wenig schmeichelhaft. Abgesehen von diesem Adoptivkind, sind der „Irrlichtertanz“ und das „Sylphenballet“ die glänzendsten und effectvollsten Stücke des Werkes. Der melodische Stoff ist anmuthig, wenngleich keineswegs hervorragend neu oder bedeutend, An lage und Steigerung natürlich und übersichtlich, die Klang wirkung endlich — das Wesentliche an beiden Stücken — ein Wunderwerk geistvoller und erfinderischer Instrumentation. Wir müssen uns Gewalt anthun, um hier nicht über eine Fülle merkwürdiger Details, die wir aus der Partitur notirten, redselig zu werden. Nach diesen reinen Orchesterstücken sind jene Ensemble-Nummern des Werkes die gelungensten, in welchen durch malende Charakteristik oder sinnlichen Klang reiz die Instrumentirung wenigstens eine hervorragende Rolle spielt. Dahin gehört der dem „Ballet“ vorhergehende Syl phen-Chor, der gespenstische Ritt Faustʼs mit Mephisto und Anderes. Wir würden auch noch die Höllenscene („Pandämo nium“) nennen, wäre hier nicht die grelle Charakteristik ge waltsam zu einem Bombast von Lärm und Häßlichkeit auf gebläht, wie er in der ganzen musikalischen Literatur, Berlioz mit eingeschlossen, nicht wieder vorkommt.

Im Ganzen und Großen glauben wir in „Faustʼs Ver dammung“ ein entschiedenes Sinken von Berliozʼ schöpferischer Kraft wahrzunehmen. Es geht durch das Werk wie ein leich ter Schlaganfall, der Berliozʼ feines, krankhaftes Talent ge troffen, und von dem es sich nicht wieder erholt hat. Vom Faust“ angefangen, der doch erst die Opuszahl 24 trägt, fließt Berliozʼ Productivität sehr spärlich und stockt bald gänz

lich. Er hat seither an größeren Arbeiten nur „LʼEnfance de Jésus-Christ“ geschrieben, eine Cantate, die ihren rasch verflogenen Erfolg bekanntlich einer antiquarischen Mystifica tion verdankte, und die Oper „Les Troyennes“, worin, nach dem Clavier-Auszug zu urtheilen, die verzweifelteste An strengung bereits mit dem vollständigen Bankerott der Erfin dung kämpft. Bei der ersten Aufführung dieser Oper in Paris erbebte das Theater von Beifallssalven, und der Ovationen für Berlioz war kein Ende. Das Publicum wollte dem greisen, hochverehrten Künstler seine vollste Sympathie bezeigen. Die nächsten Vorstellungen aber fanden das Haus leer, Niemand mochte die „Trojanerinnen“ mehr hören. Diese Thatsache fiel uns unwillkürlich bei der Aufführung von Faustʼs Verdammung“ ein, die Berlioz am verflossenen Sonntag in Wien dirigirte. Der stürmische Applaus schien uns mehr dem Manne als seinem Werke zu gelten, wenigstens wollten die einzelnen Physiognomien um uns herum gar nicht zu dem allgemeinen Beifall stimmen. Möglich, daß wir irren. Die Gegenprobe für den wahren Erfolg dieser und ähnlicher Productionen ist leicht: sie besteht in einer baldigen Wiederholung, ohne Beisein des Autors. Es dünkt uns sehr begreiflich, daß Berlioz sich nicht lange Zeit und nur mit der größten An spannung productiv erhalten konnte. War doch gerade das musikalische Talent dieses so vielfach und hochbegabten Geistes von Haus aus krankhaft organisirt, nämlich ganz auf Einen Punkt geworfen: auf den Sinn für instrumentale Klang-Effecte. Alles um diesen sprudelnden Quell herum war gleichsam dürres Land, von dem nur einige Fußbreit mit großer Mühe urbar gemacht werden konnten. In der Instru mentirungs-Kunst ist Berlioz nicht blos Virtuose, er ist darin Poet und genialer Erfinder, eine Specialität ohnegleichen. Aber eine Specialität in einem Gebiete musikalischer Technik zu sein, macht noch nicht den Componisten. Es gibt keine schöne Instrumentation „an und für sich“, die erste Frage bleibt doch immer: was wird denn instrumentirt? Es ist wahr, daß man anfangs, entzückt und berückt von dem neuen Klangzauber, oft gar nicht zu dieser Frage kam; je länger und öfter man aber Berlioz hört, desto mahnender tritt die Frage in den Vordergrund. Mußte doch Schumann selbst, der Berlioz anfangs schwärmerisch begrüßte und damit dessen Triumph

in Deutschland so mächtig vorbereitete, bald die Reaction an sich erfahren; er hat jenes erste Lob nie mehr schriftlich wiederholt und es mündlich oft zurückgenommen. Wir kennen Berlioz seit zwanzig Jahren; noch immer verfolgen wir jedes seiner Werke mit lebhaftestem Interesse und Studium, noch immer entzücken uns die Wunder seiner Klangzauberei. Aber mit jedem Jahre wird uns das Ungenügende seiner Begabung, das Unorganische seiner Kunst klarer und bedeutsamer. Mit der „Liebesscene“ und „Fee Mab“ in „Romeo“ stand Berlioz auf dem Gipfel seines Könnens; „Faust“ bezeichnet schon den An fang des Herabsteigens, den Moment, wo Berlioz selbst mit „sehr großen Mitteln“ wenig Neues mehr erzielen konnte. Sein rein musikalischer Gedankenreichthum war niemals bedeutend, und die glänzende Specialität, die Instrumentirung, mußte doch endlich an die Grenzen ihres Raffinements gelangen. Die ehedem absolute Herrschaft der letzteren mußte sich ferner in dem Maße abschwächen, als geistreiche jüngere Talente sich die modernen Errungenschaften bald zunutze machen und als Rivalen mit Glück auftreten konnten. Wir brauchen blos Liszt und Wagner zu nennen, deren glänzende Instru mentirungskunst im Dienste verwandter Kunsttendenzen mit Ursache ist, daß Berliozʼ Compositionen das Publicum nicht mehr in dem Grade enthusiasmiren, wie vor zwanzig Jahren. Wir bekennen uns offen zu der subjectiven Ueberzeugung, daß Berliozʼ Compositionen eine lebendige, unmittelbare Wirkung auf die musikalische Welt nicht sehr lange üben werden, daß die Begeisterung des musikgebildeten Publicums für dieselben nicht zunehmen wird, sondern abnehmen. Ber lioz wird für den Kunsthistoriker eine der merkwürdigsten und achtungswerthesten Persönlichkeiten, für den Musiker ein unversiegbarer Quell des Studiums bleiben, aber die stimm berechtigte öffentliche Meinung dürfte, wie wir glauben, im Laufe der Zeit eher in der Ansicht zusammentreffen, daß ein Werk wie Berliozʼ „Faustkeine Musik, als daß es die wahre Musik sei. Ahnen wir recht, so wird „Faustʼs Ver klärung“ von Schumann noch jedes Ohr entzücken und jedes Herz bewegen, wenn von „Faustʼs Verdammung“ längst nichts mehr übrig ist, als der Name und die Erinnerung.