Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse No. 836. Wien, Freitag den 28. December 1866 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
Georg-Coch-Platz 2 1010 Wien Österreich Wien
Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2023

Sie dürfen: Teilen — das Material in jedwedem Format oder Medium vervielfältigen und weiterverbreiten

Bearbeiten — das Material remixen, verändern und darauf aufbauen und zwar für beliebige Zwecke, sogar kommerziell.

Der Lizenzgeber kann diese Freiheiten nicht widerrufen solange Sie sich an die Lizenzbedingungen halten. Unter folgenden Bedingungen:

Namensnennung — Sie müssen angemessene Urheber- und Rechteangaben machen, einen Link zur Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden. Diese Angaben dürfen in jeder angemessenen Art und Weise gemacht werden, allerdings nicht so, dass der Eindruck entsteht, der Lizenzgeber unterstütze gerade Sie oder Ihre Nutzung besonders.

Keine weiteren Einschränkungen — Sie dürfen keine zusätzlichen Klauseln oder technische Verfahren einsetzen, die anderen rechtlich irgendetwas untersagen, was die Lizenz erlaubt.

Hinweise:

Sie müssen sich nicht an diese Lizenz halten hinsichtlich solcher Teile des Materials, die gemeinfrei sind, oder soweit Ihre Nutzungshandlungen durch Ausnahmen und Schranken des Urheberrechts gedeckt sind.

Es werden keine Garantien gegeben und auch keine Gewähr geleistet. Die Lizenz verschafft Ihnen möglicherweise nicht alle Erlaubnisse, die Sie für die jeweilige Nutzung brauchen. Es können beispielsweise andere Rechte wie Persönlichkeits- undDatenschutzrechte zu beachten sein, die Ihre Nutzung des Materials entsprechend beschränken.

Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

No. 836. Wien, Freitag den 28. December 1866 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 28. December 1866
font-style:italic; font-weight:bold; Deutsch Transkribus OCR und Lektorat. Transformierung der Daten des Transkribus TEI-Export mit "editions.xsl". Absätze und Umbrüche ref in rs ausfüllen Letztkorrektur für Zwischenrelease.
Concerte. (Viertes Philharmonie-Concert. — Quartett von Hellmesberger. — Fräulein Joёl.)

Ed. H. Der zweite Weihnachts-Feiertag brachte diesmal wie alljährlich ein „Philharmonisches Concert“. Musikalische Psychologen oder Physiologen mögen nach den Gründen for schen, warum unser sonst so elastisches Concert-Publicum jedesmal an diesem Tage ganz eigenthümlich müde und zerstreut erscheint. Die Thatsache selbst steht uns fest. Insbesondere für Novitäten ist der Stephanstag ein dies nefastus; Hil lerʼsE-moll-Symphonie mußte dies gestern erfahren. Wir glauben keineswegs, daß die Composition zu anderer Zeit ein enthusiastisches Publicum gefunden hätte; ein etwas theil nehmenderes aber hatten wir doch gehofft. Ferdinand Hiller soll nun einmal in Wien kein Glück haben. Werke seiner Composition, welche im übrigen Deutschland schöne und blei bende Erfolge errangen, gingen hier spurlos vorüber, wie die Ouverturen in A-moll und zu „Phädra“, das Oratorium Saul“, mehrere Chorstücke und nun die E-moll-Symphonie. Hillerʼs Opern sind hier unbekannt geblieben; die Annahme der „Katakomben“ und des „Deserteur“ beim Hofoperntheater scheiterte in jüngster Zeit an Aeußerlichkeiten. An das Oratorium Die Zerstörung Jerusalems“, dies frischeste und kräftigste Werk Hillerʼs, dem wir bei vollkommener Aufführung jetzt noch günstigen Erfolg prophezeien möchten, dachte Niemand, seit wir überhaupt große Chorvereine und durch sie die Möglichkeit stattlicher Oratorien-Aufführungen besitzen. Einen wirklichen Succeß hatte in Wien nur sein allerkleinstes Stück, das von Clara Schumann eingeführte Clavier-Impromptu: „Zur Guitarre“. Für Hiller ist in Wien der rechte Zeitpunkt verpaßt worden; wir meinen die Periode des leidenschaftlichen Mendelssohn-Cultus. Das verwandte, wenn auch schwächere Aroma der Hillerʼschen Musik wäre damals auf geneigtere

Sinne gestoßen. Daß Hillerʼs Musik kein Trunk von der Quelle ist, das spürt Freund wie Feind am ersten Schluck. Der höher liegende Quell, der Hillerʼs Talent durch verbor gene Canäle speist, ist Mendelssohn. Nun will uns seit einiger Zeit diese Quelle selbst nicht mehr so frisch und stär kend dünken, wie vordem — eine Wandlung, welche mit ver doppelter Schwere die abgeleiteten Talente, wie Hiller, Gade, Benett, Reinecke, trifft. Mit kühler Anerkennung salutirt man jetzt Productionen und Eigenschaften dieser Künstler, welche man vor 15 bis 20 Jahren sympathisch em pfunden hätte.

Das Wiener Publicum hat von Natur und ununterbro chen beeinflußt von Haydn, Mozart, Beethoven und Schubert, einen entschiedenen Zug zum Ursprünglichen, Erfinderischen, namentlich zum Melodisch-Originellen in der Musik, ein Zug, den man nur beglückwünschen kann und der sich in hohen wie niedrigeren Kunstregionen (z. B. in der Vorliebe für die italienische Oper) übereinstimmend ausspricht. Diese Richtung trifft offenbar das Wahre, denn die schöpferische, originelle Kraft ist und bleibt das Erste in der Musik, das Talent wiegt schwerer als die gebildete Technik. Demungeachtet darf man es bedauern, daß mitunter Compositionen von geistreicher, vornehmer Individualität und feinster Durchbildung in Wien nicht die Anerkennung fanden, welche ihnen anderwärts in Deutschland gezollt wurde und die sie vom künstlerischen Standpunkte vollauf verdienen. Die Zahl der musikalischen Original-Genies ist eine sehr kleine, und wenn man conse quent die Arbeiten der feinen Bildung als ungenügend ab lehnt, wird dem Concert-Repertoire bald der nothwendigste Zufluß fehlen. Am strengsten verhält sich unser Publicum gegen Novitäten symphonischer Gattung. Daß dabei unwillkürlich immer an Beethoven gedacht wird, das ist unser und der Componisten Unglück. Beethoven verdirbt jeder modernen Sym phonie das Spiel, er hat factisch „alle Neun“ gemacht. Ob wir wohl daran thun, diesen höchsten Maßstab an alle Productionen

unserer Epigonenzeit zu legen, scheint uns sehr zweifelhaft. Es gibt, wie in der schönen Literatur so auch in der Musik neben den großen genialen Dichtern eine andere zahlreichere Gruppe, welche wir als die der angenehmen, liebenswürdigen Erzähler bezeichnen möchten. Es sind Talente von geringer Naturkraft, aber feiner Bildung, die von oben herab zu behandeln das hörende Publicum noch weniger Ursache hat, als das viel reicher bedachte lesende. Und doch ist letzteres viel toleranter und dankbarer. In der Musik finden wir heutzutage Publicum und Kritik erstaunlich streng geworden. Ersteres hat das volle Recht, nur seinem unmittelbaren Impuls zu folgen. Die Kritik hingegen, so meinen wir, sollte zweierlei nicht verges sen. Einmal, daß man überhaupt sich hüten muß, die künst lerische Production systematisch zu entmuthigen. Sodann, daß gerade im Fach der reinen Instrumental-Musik wir ausschließ lich auf Deutschland verwiesen sind. Während unsere Opern bühnen einen wesentlichen Succurs aus Frankreich und Ita lien besitzen und an einem zeitweiligen Schmollen der deut schen Opern-Componisten nicht zu Grunde gehen werden, ruht die gesammte Production symphonischer Musik in den Hän den einiger weniger deutschen Tondichter. Gewöhnt man sich Letztere einfach an dem Felsen Beethoven zu zerschellen und für Novitäten wie die jüngst gehörten von Reinecke und Hiller nur Worte des Hohns und der äußersten Gering schätzung zu haben, so raubt man gleichzeitig — bis nicht ein zweiter Beethoven erscheint — dem Publicum die Mög lichkeit, Neues zu hören, und den Künstlern die Lust, Neues zu schaffen.

HillerʼsSymphonie (op. 67) trägt den Geibelʼschen Refrain: „Es muß doch Frühling werden!“ als Motto. Der poetische Kriegsplan des Ganzen, das allmälige Durchringen aus Frost und Winterstürmen zu fröhlichem Sonnenschein, zu Veilchen und Lerchen liegt in diesen Worten vorgezeichet. Mit feinem und consequentem Sinn hat ihn der Componist durchgeführt; schade nur, daß er nach langem Wintermarsch

uns schließlich doch einen echt deutschen Frühling bescheert, dem man ohne Regenschirm und Ueberrock keinen Augenblick traut. Der erste Satz, ein stürmisches Allegro in E-moll, das schon durch den Stoff an die Einleitung zu Mendels sohnʼs „Walpurgisnacht“ erinnern muß, hat Spannung und energischen Fluß, geistreiche thematische Verwendung aller Mo tive und Motivchen, ist aber etwas lang ausgesponnen. Die beiden mittleren Sätze sind die gelungensten: ein zartes, sin gendes Adagio (C-dur, 3/8) mit reizend ausklingendem Schluß und ein lebhaft prickelndes Scherzo in schnellem Zweivierteltact, das in Motiven und Instrumentirung aller dings stark an Mendelssohnʼs „Sommernachtstraum“ mahnt. „Befreit vom Eis sind Strom und Bäche“ — nun möchten wir im letzten Satz den Frühling ungestört mit voller Freu digkeit genießen. Aber das Finale (E-dur, 9/8) bringt es nicht zur vollen Blüthe, es will eben noch immer „Frühling wer den“. Fast Alles hing hier von einem glücklichen Thema ab, und daß gerade für den Finalsatz Hiller kein frischeres und bedeutenderes fand, wird verhängnißvoll für den Total-Eindruck der ganzen Symphonie. Als Curiosität sei er wähnt, daß im Adagio dem Componisten das Mißgeschick widerfahren mußte, eine Reminiscenz aus einem Werke zu bringen, das erst später componirt und ihm wahrscheinlich zur Stunde noch unbekannt ist. Dies Werk ist VerdiʼsBallo in maschera“, und die Stelle die sich zärtlich emporhebende Melodie Amaliaʼs „Mi difendi dal mio cor“ in dem Liebesduett des zweiten Actes. Das Unglück wäre nicht groß, eigentlich gar keines, hätten wir nicht gerade jetzt die Verdiʼsche Oper auf dem Repertoire und ihre Melodien im Ohr. Ein ähnliches, weit schlimmeres Unheil ist bekanntlich Rubin stein in seinem G-dur-Concert passirt, das er (noch aus dem Manuscript) im Jahre 1857 hier öffentlich spielte und dessen Andante vollständig mit dem Gebet aus „Dinorah“: „O heilʼge Jungfrau“, begann. Meyerbeerʼs Oper erschien zwei Jahre später, und Rubinstein mußte das Andante, eines seiner besten Stücke, gnadelos cassiren, um nicht des Plagiats an einer Oper beschuldigt zu werden, die ihm gar nicht, aber nur zu bald der ganzen Welt bekannt war.

Mußte Hillerʼs Symphonie sich mit einem Succès dʼestime bescheiden (nur Adagio und Scherzo fanden lebhafteren An klang), so können wir trotzdem die Wahl des Stückes von Seiten der Philharmonischen Gesellschaft nicht anfechten. Ein Mann von dem Namen und Verdienste Hillerʼs hat den gegründetsten Anspruch auf Beachtung; die Symphonie speciell

ist in allen deutschen Musikstädten, auch im Ausland, mit bestem Erfolg gegeben worden. Sie ist keine epochemachende geniale Schöpfung, aber die Arbeit eines echten Künstlers, dessen Geist und Charakter, dessen glänzende Bildung und technische Meisterschaft über jedem Zweifel stehen. Hiller ist als Musiker wie als Schriftsteller und Dirigent eine Zierde seines Vaterlandes, und wer jemals seinen anregenden Um gang genoß, der wird auch die lebhaftesten Sympathien für den trefflichen, liebenswürdigen Menschen gern bekennen.

Wir haben noch der übrigen Nummern des Philharmo nie-Concerts zu gedenken. Den Anfang machte die „Hebriden- Ouverture“ von Mendelssohn; dann folgte Mozartʼs Serenade für Blas-Instrumente in B-dur (Nr. 361 bei Köchel), deren Finale auf Verlangen wiederholt wurde. Von den sieben Sätzen dieser Composition wurden nur vier ge spielt, mit Recht, wie uns dünkt; denn so viel Schönes die Serenade enthält — das Adagio als Schönstes obbenan — so sind doch ihre Bestandtheile von zu ungleichem Werth und wird die Klangfarbe der Harmoniemusik (obendrein ohne Flöten und Trompeten) auf die Länge allzu monoton und ermüdend. Fräulein v. Murska sang die F-dur-Arie („As when the dove laments her love“) aus Händelʼs Schäferspiel: „Acis und Galathea“ mit entzückender Weich heit. Die von ihr eingestreuten, poetisch wie musikalisch moti virten Triller wird Niemand Fräulein Murska verübeln; eher dürfte man sich wundern, daß Händel nicht schon durch das fortwährende „Girren“ des Textes selbst auf den Triller verfiel. Herr Capellmeister Dessoff hat die äußerst dürftige Original-Begleitung durch Hinzufügung von Blas-Instrumen ten ebenso discret als wirksam verstärkt. Die Ausführung aller Stücke, besonders der Hillerʼschen Symphonie, gelang vorzüglich — leider war ein Christgeschenk, das wir dem trefflichen Orchester dringend gewünscht, ausgeblieben: ein Paar neue Pauken.

Wollen wir mit ruhigem Gewissen und ohne Rückstände das neue Jahr herankommen sehen, so müssen wir zunächst den Namen einer Wiener Pianistin nachtragen, welche in Hellmesbergerʼs vierter Quartett-Soirée mit glücklichstem Erfolg debütirte. Fräulein Gabriele Joël, so heißt das junge Mädchen, spielte (von Herrn Hellmesberger virtuos begleitet) BeethovenʼsKreuzer-Sonate“ mit kräftigem Anschlag, sicherer Technik und feurigem, mitunter noch etwas ungestüm vordrängendem Ausdruck. Sie wurde mehrmals gerufen.