Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse No. 869. Wien, Mittwoch den 30. Januar 1867 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2024

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

No. 869. Wien, Mittwoch den 30. Januar 1867 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 30.01.1867
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Hofoperntheater. („Der Nordstern“, von Meyerbeer.)

Ed. H. Das Hofoperntheater hat den seit dem Rücktritte Fräulein Wildauer’s zurückgelegten „Nordstern“ von Meyer beer nunmehr neu besetzt wieder auf die Scene gebracht. Jahrelang hatten wir die Oper nicht gehört, und als nun die ersten Töne der Ouverture mit ihrem soldatisch-ehernen Schritte wieder an uns vorüberzogen, da weckten sie alte, liebe Erinnerungen. Wir glaubten uns über zwanzig Jahre hinweg ins Theater an der Wien versetzt, vor uns die Zelte des schlesischen Feldlagers und Jenny Lind, das Tambourin in der Hand, als Vielka. Ja, der Weg zum „Nordsternführt über eine geliebte Leiche, über Meyerbeer’s ältere und bessere Oper: „Das Feldlager in Schlesien“ (in WienVielkagenannt), welche der Meister hingeopfert, um mit ihrem glän zendsten Geschmeide den „Nordstern“ zu schmücken. Meyerbeer pflegte zwar mit großem Eifer hervorzuheben, der „Nordsternsei eine ganz neue, selbstständige Oper, in welche er blos neun Nummern aus dem „Feldlager“ herübergenommen — für die Existenz des letzteren war dies zu viel und zu wenig. Zu viel, als daß das „Feldlager“ nach dem Verluste seiner be deutendsten und imposantesten Musikstücke noch fortexistiren könnte; zu wenig, um uns einzureden, es sei uns das ur prüngliche Werk dennoch in neuer Form erhalten. Wir geste hen gerne unsere Vorliebe für das „Schlesische Feldlager“. Mögen auch Jugendeindrücke und die unaustilgbare Erinne rung an Jenny Lind einen Theil daran haben, ein größerer gehört doch dem Gedanken, daß an keinem anderen Werke Meyerbeer’s die deutsche Nation so unmittelbar interessirt war, als eben an diesem. Das „Feldlager“ war — abgesehen von dem längst verschollenen Singspiel: „Die beiden Khalifen“ — die einzige deutsche Oper unseres berühmten Landsmannes; sie war es nicht blos der Sprache, sondern auch dem Inhalt und dem Geiste nach. Ungleich knapper und bescheidener als

Robert“ und die „Hugenotten“, enthielt das „Feldlagerdoch Musikstücke, deren dramatische Kraft und blendende Technik jene Opern geradezu voraussetzt. Nicht minder werth voll aber als diese (theilweise in den „Nordstern“ ver pflanzten) einzelnen Stücke erschien uns der biedere, gemüth volle deutsche Ton, der einen großen Theil der Musik zum Feldlager“ durchzog und welcher sonst bei Meyerbeer nur äußerst selten und leise anklingt. Im „Feldlager“ zeigte der Meister zum erstenmale unwiderleglich, daß er auch diesen Ton in seiner Gewalt habe. Gerade die einfacheren, herzliche ren Gesänge sind aber im „Nordstern“, sämmtlich weggeblie ben. Dieser „Nordstern“ ist ein zweideutiges Kind, das bei der Geburt seiner schöneren Mutter das Leben kostete. Aber, selbst abgesehen von dem rein musikalischen Verluste, bleibt es eine Art nationaler Felonie, daß Meyerbeer seine einzige deutsche Oper in Stücke hieb, um daraus, nach Atreus’ Ma nier, eine pikante Schüssel für die Pariser zu bereiten. Daß Meyerbeer nach verschiedenen entmuthigenden Erfahrun gen in Deutschland sich entschloß, seine Wirksamkeit von Paris aus, dem Centralpunkte des europäischen Opernwesens, zu versuchen, war ihm aus praktischem Gesichtspunkt damals nicht ganz zu verargen. Wußte er doch, daß eine dort reussirende Oper bald den Weg über alle Bühnen machen werde. Nach dem aber „Robert“ und „Die Hugenotten“ von Paris aus diese Reise um die Welt so glänzend vollbracht und die fernere Carrière ihres Schöpfers für alle Fälle sichergestellt hatten, waren seine folgenden Opern vollkommen sicher, nun mehr von Berlin oder Wien aus ebenso rasch den Weg in andere Sprachen und andere Länder zu finden. Das war der Zeitpunkt, wo Meyerbeer die Schuld an sein Vaterland hätte zahlen können und sollen. Als er, durch eine besondere Fest gelegenheit veranlaßt, für BerlinDas Feldlager in Schle sien“ schrieb, hielt er die Münze zu dieser Zahlung in Hän den — er ließ sie einschmelzen, um abermals französisches Geld daraus zu prägen. Ob Meyerbeer auf dem Gipfel seines Ruhmes niemals die Sehnsucht empfand, eine deutsche

Oper zu schreiben? Er versicherte es mit größter Lebhaftig keit, als wir ihn einmal zu interpelliren wagten. Nur dem Mangel an guten und bereitwilligen Textdichtern in Deutsch land gab er die Schuld des Versäumnisses. Umgekehrt klag ten wieder diese, es sei unmöglich, mit Meyerbeer zu arbei ten, unmöglich, ihn zufriedenzustellen. Rellstab wußte, Bauernfeld und Holtei wissen davon zu erzählen. Letz terer insbesondere scheute keine Mühe und kein Nachdenken, um Meyerbeer durch ein deutsches Libretto anzulocken. Er bot ihm unter Anderem das treffliche Sujet: „Des Adlers Horst“ an (später von Gläser componirt), aber Meyerbeer, „welcher stets ein europäisches Renommée vor Augen hatte“, stieß sich daran, daß die Handlung in den schlesischen Bergen spielen sollte. Diese Localität dünkte ihm zu uninter essant; vor dem schottischen Costüme der ursprünglich zu Grunde liegenden Schopenhauer’schen Novelle scheute er sich aber aus Furcht vor einem Vergleich mit der „Weißen Frau Auch Bürger’s „Leonore“ begann Holtei auf Meyerbeer’s Wunsch als große phantastische Oper zu bearbeiten; er machte schließ lich sein bekanntes melodramatisches Liederspiel daraus. . Der Zug ist nicht nur bezeichnend für Meyerbeer, er wirft auch speciell auf die Entstehung des „Nordsternein erklärendes Licht. Der Grund, weßhalb Meyerbeer sein Feldlager“ cassirte, lag einfach in dem stark betonten preu ßischen Element des Textbuches. Eine Verherrlichung Fried rich’s des Großen auf der breiten Unterlage einer Schilde rung deutschen Kriegslebens, und verwebt mit einer einfachen Herzens- und Familiengeschichte, erschien ihm zu eng und in teresselos für sein „europäisches“ Publicum. Statt Preußen wählte er Rußland, ein Tausch, der uns sehr mißglückt scheint. Oder sollten wirklich irgend einem gebildeten Publicum Basch kiren und Kalmücken näher stehen, als die Preußen des sieben jährigen Krieges? ein russisches Feldlager uns lebhafter in teressiren, als ein deutsches? die Silhouette des großen Fritz unbedeutender sein, als eine Carricatur vom Czar Peter? Wir vermochten für unser Theil uns für deutsche Sitte und

Geschichte selbst in dem etwas verzerrenden specifischen Preußen thum zu erwärmen; für den Kriegsruhm der Kosaken ver mögen wir es nicht. Rellstab’s Textbuch zum „Feldlagerwar nicht gut, das steht außer Frage, Scribe’sNordsternist zehnmal schlechter.

Wir haben uns daran gewöhnen müssen, in den meisten „historischen“ Opern lediglich eine Speculation auf den Reiz der Trachten und Decorationen zu finden, wobei der geschichtliche Kern der Handlung nach Belieben mißhandelt wird. Aber ein größe rer Scandal ist mit historischen Persönlichkeiten und Thatsachen bis her nicht getrieben worden, als in Scribe’s Textbuch zum „Nord stern“. Dieser rohe Trunkenbold Petroff, welcher fortwährend zwischen bestialischem Zorn und schwächlicher Sentimentalität, zwischen Axt und Flöte taumelt, hat mit dem gewaltigen Re formator Rußlands ebensowenig gemein, als der irrsinnig ge wordene Recrut des „Nordstern“ mit der nur zu verständigen Kaiserin Katharina. Die historischen und dramatischen Un wahrscheinlichkeiten häufen sich von Scene zu Scene mit einer Schnelligkeit und gipfeln im dritten Act zu einer Höhe des Unsinns, vor welcher selbst ein Köhlerglaube zurückweicht und der Antheil des willigsten Zuschauers erstirbt. Scribe, der geistreichste Operndichter unserer Zeit, scheitert hier an der Zumuthung Meyerbeer’s, Scenen aus dem „Schlesischen Feld lager“ in einen völlig heterogenen Stoff gut oder übel ein zufügen. Die klägliche Maskerade, welche Meyerbeer selbst mit diesen Feldlager-Stücken vornehmen mußten, ist nicht min der merkwürdig, ja sie steht in der Musikgeschichte einzig da. So hat der imposante Soldatenchor in C-moll im „Feld lager“ die Begeisterung der für ihren König kämpfenden Truppen zum Inhalt; nach einer prachtvollen Steigerung gipfelt sich dieser Enthusiasmus in dem hellen C-dur-Trio: „Die Trommel dröhnt, die Fahnen weh’n!“ Im „Nord stern“ ist dieser Chor zu einem „Chor der Verschworenengeworden, welche, Wuth und Rache schnaubend, sich gegen ihren Feldherrn zusammenrotten. („Assez d’opprobres, assez d’affronts!“) Da jedoch der lustige Aufschwung

des C-dur-Trios doch gar zu schlecht zu einem finsteren Complot paßte, wird er im „Nordstern“ durch den Witz motivirt, daß ein Officier plötzlich über die Bühne eilt und den Verschworenen zuflüstert, der General nähere sich, um Revue zu halten. Da stellen sich die Verschworenen eiligst in Reih’ und Glied und singen den Generalstab mit dem C-dur-Trio an. So ist der Chor durch den neuen Text in zwei Gegensätze zerschlagen worden: finstere Rachsucht und officiell erheuchelter Jubel — dieselbe Musik, die im „Feld lager“ als ungebrochener Ausdruck eines schönen Gefühls, der muthigen Soldatentreue, erklang. — Der Grenadier marsch mit Trommeln und Pfeifen (dessen Motiv wirklich aus dem siebenjährigen Kriege stammt und von den Garde- Grenadieren in Potsdam noch heute zu hören ist) breitete über die Scenerie des „Schlesischen Feldlagers“ eine histo rische Färbung von unvergleichlicher Lebendigkeit. Dies so geistreich angebrachte kriegerische Rococco verliert unter Tataren und Baschkiren allen Sinn und Reiz. Was soll man aber vollends dazu sagen, wenn der biedere Dessauer marsch, dessen Melodie und Bedeutung jedes Kind in Deutschland kennt, im „Nordstern“ als „heiliger Marsch der Russen“ ertönt! Wir können die peinliche Empfindung kaum beschreiben, welche dieser musikalische Vaterlandsverrath eines der gefeiertesten Söhne Deutschlands jedesmal in uns aufwühlt. Schließlich wollen wir nur noch der wesent lich veränderten Bedeutung gedenken, welche die be rühmte Flöten-Arie der Vielka in dem Munde Katharina’s annimmt. Im „Feldlager“ ist diese Scene ein heiteres Genrebild: Vielka ermuntert ihren Geliebten, das aus dem Gartenzimmer des Königs erklingende Flöten-Concert nachzuspielen, und hilft durch Mitsingen der Melodie dem schwächeren Musikgedächtniß Conrad’s nach. Die Scene bietet den seltenen Fall der dramatisch motivirten Stellung eines Virtuosenstücks in der Oper, und Vielka singt die schwierigen Flöten-Passagen mit jener leichten, siegesfrohen Sicherheit nach, welche den echtesten und gewinnendsten Charakterzug der

Virtuosität bildet. Dies reizende Flöten-Wettspiel, das im Feldlager“ keine andere Bedeutung anspricht, als Freude am Musiciren, dient im „Nordstern“ zur methodischen Heilung einer Irrsinnigen! Peter der Große und der Tischler Georg blasen von beiden Seiten des Saales das Flöten-Concert, während die geisteskranke Katharina, bleich und irren Blickes, die bekannten Töne in ihrem verwirrten Gedächtnisse aufsucht und nachzusingen trachtet. Mit welcher ins Widerliche ver kehrten Empfindung man die „Flöten-Arie“ in dieser Situa tion hört, ist nur zu einleuchtend. Rellstab hat in seinem Text zum „Feldlager“ das Flötenspiel Friedrich’s des Großen (eine weltbekannte historische Reminiscenz, welche, auf Czar Peter übertragen, gar keinen Sinn hat) als ein glück liches Auskunftsmittel benützt, die Gegenwart des gro ßen Fritz anzudeuten, dessen wirkliches Erscheinen auf der Bühne durch eine strenge Etiquette verboten ist. Wie lange noch werden die Höfe aus kleinlichen Rück sichten der Dichtkunst ein so reiches nationales Stoff gebiet und sich selbst einen so mächtigen Hebel patriotischer Begeisterung entziehen? Werden wir es noch erleben, daß die glorreichen Gestalten unserer Maria Theresia und Jo seph’s des Zweiten vor dem begeisterten Volke lebendig werden? Maria Theresia ist allerdings schon einmal als Heldin einer Oper gefeiert worden. Die Geschichte ist sehr wenig be kannt und dürfte namentlich für den österreichischen Leserkreis nicht ohne Interesse sein. Der französische Maler Frago nard hatte in den Zwanziger-Jahren dieses Jahrhunderts ein großes Bild: „Maria Theresia mit dem kleinen Joseph auf dem Arme“, in Paris ausgestellt, welches durch seinen dramatischen Effect den Poeten Bernard zu einem Opern text begeisterte. Dieses nach der großen Kaiserin betitelte Libretto wurde von der Theater-Jury einstimmig approbirt, angenommen und dem durch seine Romanzen berühmt ge wordenen Tondichter Felix Blangini zur Composition anver traut. Blangini (welcher in seinen 1834 erschienenen Memoiren ausführlich davon erzählt) componirte die Oper; Madame

Branchu, die treffliche dramatische Sängerin, sollte die Maria Theresia singen und studirte eifrigst die Rolle mit Garat. Die Proben hatten unter R. Kreutzer’s Leitung begonnen; der Tag der Aufführung nahte. Da wird Blan gini plötzlich mitgetheilt, daß im Ministerrath das Verbot von „Marie-Thérèse“ beschlossen worden sei. Nie mand weiß sich das Verbot zu erklären, das keinerlei Moti virung enthielt. Blangini eilt zur Censurbehörde, diese versichert, gänzlich unschuldig zu sein. Endlich erlangt der un glückliche Componist eine Audienz bei dem General-Director der Polizei, welcher ihm nach einigen ausweichenden Phrasen begütigend zuflüstert: „Die ganze Sache läßt sich noch arran giren, wenn Sie aus dem Söhnchen, mit welchem Maria Theresia vor dem ungarischen Landtag erscheint, eine Tochter machen.“ Man fürchtete nämlich, daß die feierliche Ansprache der Kaiserin: „Voilà l’enfant de la patrie!“ und ihr „beim Grab des Vaters und bei der Wiege des Sohnes“ geleisteter Schwur napoleonische Demonstrationen hervorrufen und man das Söhnlein auf dem Arm Maria Theresia’s als eine An spielung auf den jungen König von Rom begrüßen würde. Blangini hatte zu viel Respect vor der Weltgeschichte, um sich zu dieser Aenderung zu bequem (Meyerbeer’sNord stern“ war noch nicht erschienen), und so ist denn seine Marie-Thérèse“ zwar im Clavierauszug gedruckt, aber nie mals aufgeführt worden.

Was die Aufführung des „Nordstern“ im Hofopern theater betrifft, so gebührt Herrn Beck, welcher die übrigen Mitspielenden weit überragte, das erste und unbeschränkteste Lob. Sein Czar Peter war schon bei den ersten Vorstellun gen, also vor zehn Jahren, eine Figur voll Energie und Le bendigkeit; seither hat Beck die Rolle in den musikalischen Details noch sorgfältiger ausgearbeitet und (wie namentlich die Zeltscene darthat) ganz auffallende Fortschritte als Schau spieler gemacht. Kaum wird ein zweiter Sänger dieser im Grunde widerlichen Rolle so viel Wirkung und Reiz abge winnen, als Herr Beck, dem auch die Gunst des Publicums sich im vollsten Maße zuwendete. Fräulein Murska hatte als Katharina insoferne einen erschwerten Stand, als ihr die

frühere Darstellerin dieser Rolle, Fräulein Wildauer, im Spiele weit überlegen war. Dies zeigte sich am auffälligsten in den ersten Couplets („Le bonnet sur l’oreille“), deren Vortrag schauspielerisches Talent und einigen Humor ver langt. Nach dieser ohne alle Wirkung verklungenen Nummer steigerte sich aber die Leistung Fräulein Murska’s bis zum Ende. Katharina ist wesentlich Coloratur-Partie, ihre zahl losen Triller und Rouladen erheben gewichtigere Ansprüche, als die paar schwachen dramatischen Anläufe. Fräulein Murska schwamm somit fast ununterbrochen in ihrem eigensten Elemente und übertraf nicht blos, wie zu vermuthen war, die Gesangs-Virtuosität ihrer Vorgängerin, son dern näherte sich in der höchsten Region ihrer Triller und Passagen mitunter den berühmtesten Künstlerinnen. In einigen Stellen des dritten Actes athmete ihr Gesang auch eine Wärme und Empfindung, wie wir sie bei Fräulein Murska noch selten wahrgenommen. Ohne Zweifel wird ihre noch nicht ganz ausgearbeitete „Katharina“ im Laufe einiger Re prisen sich noch wesentlich vervollkommnen. Dasselbe gilt von Fräulein Tellheim, die sich als Prascovia sehr niedlich präsentirte, aber ihrer Aufgabe noch nicht vollkommen sicher schien. Herr Mayerhofer spielt und singt den Gritzenko im zweiten und dritten Act vortrefflich; die Arie im ersten bietet ihm einiges Unbequeme. Die sehr unbedeutende Rolle des Georg war durch Herrn Prott und die stark zusammen gestrichene des Danielowitz durch Herrn Erl genügend besetzt; freilich würde die letztgenannte Rolle, die in den Ensembles des zweiten Actes von Wichtigkeit ist, durch eine frischere Stimme unendlich gewinnen. Das originelle Marketenderin nen-Lied wurde von den Fräulein Benza und Siegstädt allerliebst gesungen und gespielt. Fräulein Benza, welche dem Eifer, der sie stets auszeichnete, allmälig auch die nö thige Mäßigung beizugesellen beginnt, erfreute überdies durch sehr charakteristische Haltung. Das Ensemble der von Herrn Proch dirigirten Oper klappte vollkommen in dem schwierigen zweiten Finale; im ersten Act sündigten die Männerchöre einigemal stark gegen die Reinheit der Intonation.