Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse No. 889. Wien, Mittwoch den 20. Februar 1867 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2024

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

No. 889. Wien, Mittwoch den 20. Februar 1867 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 20.02.1867
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Concerte. (Philharmonisches Concert. Herr Epstein. — Frl. Magnus. Quartett-Soirée.)

Ed. H. Sollte es noch Jemand wagen, die bluttriefende Medea“ als Oper zu bearbeiten, so müßte er wol auch eine Ouverture dazu ersinnen. Sich jedoch gerade diesen gräßlichen Stoff für eine Concert-Ouverture auszuwählen, wie Bar giel thut, dünkt uns minder nothwendig. Unsere neueren Compo nisten scheinen unersättlich am Tragischen — wo schreibt noch Jemand eine Ouverture, über welche Frohsinn und Lebens freude sich sonnenhell ergössen? Unsere Vorfahren vermieden die düstersten Schatten des Tragischen in der Musik, selbst wo der Gegenstand sie forderte: Gluckʼs Ouverture zu „Orfeo“, die von Cimarosa zu den „Horaziern und Curiaziernund Aehnliches könnte man füglich vor einer Opera buffa spielen. Im Gegensatze dazu benützen wir die vollständige stoffliche Freiheit, welche die moderne Erfindung der Concert- Ouverture uns darbietet, fast nur für Nachtgemälde und Tragödien. Sollte wirklich das Heitere sich gar nicht mehr für den „distinguirten“ Tondichter schicken und nur den Tanz componisten überlassen bleiben? Dann wird man allmälig Tanzmusik in den Concertsaal ziehen und das Publicum wird jubeln, wie im letzten Philharmonischen Concerte, als nach Bargielʼskolchischer Kindermörderin die „Auffor derung zum Tanze“ wiegenden Schrittes hereinschwebte. Die Philharmoniker können diese Composition getrost in jedem Fasching wieder bringen — sie ist auch gar zu bestrickend in dem seligen Rausch ihrer jungen, unter dem Tanzen aufblü henden Liebe. Die Instrumentation von Berlioz wirkt am schönsten in ihren einfachsten Intentionen: dem Alterniren der Geiger mit den Bläsern, dem Gesang der Oboe und des Cello, in der lieblichen Monotonie der tactweise nachschlagen den Hörner; was uns jedesmal mißfällt, ist nur das pfei fend herabgleitende Unisono der Flöten und Harfen — ein gemeiner Klang, wie von einer jener Miniatur-Drehorgeln, mit welchen man den Gesangsunterricht talentvoller Gimpel und Canarienvögel zu unterstützen pflegt. Die Schlußnummer

großer Concerte gilt als Ehrenplatz; die Philharmoniker hat ten ihm deßhalb SchumannʼsSinfonetta“ (Ouverture, Scherzo und Finale) angewiesen. Trotzdem litt das poetische Helldunkel dieses liebenswürdigen Bildchens unter der Nach wirkung der unsäglichen Helle, die Weberʼs „Aufforderung zum Tanze“ verbreitet hatte.

Es folgte Mozartʼs herrliches Clavierconcert in C-dur (Nr. 467 bei Köchel); Herr Epstein spielte es, und sich damit die wirksamste Empfehlung seines eigenen Concertes. Als geschmackvoller Pianist wie als trefflicher Lehrer hochge schätzt, nimmt Herr Epstein überdies noch einen speciellen Platz in der neueren Geschichte des Wiener Concertlebens ein. Er ist nämlich der Einzige, welcher systematisch durch eine Reihe von Jahren Mozartʼsche Clavierconcerte zum öffent lichen Vortrag wählt und sie einer leider drohenden Verges senheit entreißt. Von Mozartʼs Clavier-Compositionen sind unzählige rettungslos und nicht unverdient vom Zeitstrom fortgeschwemmt; höchstens der Clavierlehrer und der Geschichts forscher kümmern sich noch darum, das Publicum nimmer mehr. Anders verhält es sich aber mit den (Wiener) Con certenMozartʼs; sie bezeichnen den Höhenpunkt seines Cla vierstyles und übertreffen weit seine übrigen Solostücke, mit einziger Ausnahme der wunderbaren C-moll-Phantasie, welche direct auf Beethoven nicht nur hinweist, sondern geradezu wie ein Wunder in dessen zweite Periode hineinragt. Mit gutem Recht kann Mozart der Schöpfer der modernen Cla vierconcerte heißen, wie ja das Fortepiano selbst erst unter ihm zum concertfähigen Instrument wurde. Herr Epstein spielte das Concert streng im Geiste der ihm wahlverwandten Composition, mit fleckenloser Klarheit und Anmuth; höchstens daß im ersten Satz das Passagenwerk nicht bis zur letzten technischen Vollendung herausgearbeitet war und die linke Hand sich schwächer erwies. Das von Herrn Epstein selbst veranstaltete Mittagsconcert bot den erfreulichen Anblick eines gedrängt vollen Saales. Wie so oft schon, müssen wir den Concertgeber ob der Zusammenstellung des Programmes rüh men. Er spielte ausschließlich Compositionen, die sehr selten gehört und dennoch sehr hörenswerth sind. Welche Wohlthat für den Musiker, den kritisirenden zumal, aus dem Einerlei

des gewöhnlichen Clavier-Repertoires herauszukommen! Da präsentirte sich gleich als Einleitung ein Clavier-Trio von Haydn. Nicht allzu Viele der Anwesenden dürften von der Existenz Haydnʼscher Clavier-Trios gewußt und sehr Wenige eines dersel ben gehört haben. Und doch sind allein bei Breitkopf 31 sol cher Trios erschienen. Der Eindruck, den wir von dem E-dur- Trio (Nr. 4 der Breitkopfʼschen Sammlung) empfingen, reicht über das blos historische Interesse entschieden hinaus. Auf fallend ist zunächst der gehaltene, ernste, ja pathetische Aus druck, der das Ganze durchzieht und es trotz aller Kürze der Form und aller Einfachheit der Motive von den meisten Quartetten und Sonaten Haydnʼs unterscheidet. Der erste Satz erhält durch die bei Haydn seltene Verwendung der Chromatik einen Anflug edler Sentimentalität. Das Alle gretto in E-moll steht an der Stelle eines Andante; seine zierlich gekräuselte Melodie stützt sich auf einen ernsten Basso continuo, der später in die rechte Hand über das Thema verlegt ist. Menuett oder Scherzo fehlt gänzlich. Der letzte Satz beginnt zwar heiter, in mäßigem Dreiviertel-Tact, hält sich aber fern von der kirchweihartigen Popularität der meisten Haydnʼschen Finalsätze; überdies nimmt der Mittelsatz in Moll, ein klagender Gesang der Violine, sogar einen unge wöhnlichen Raum ein. Die Vorführung des Haydnʼschen Trios war ein dankenswerther Einfall, sie zeigte uns den Meister in einer uns neuen Form und mit neuen Nuancen seines Charakters.

Das „Andante für Piano und Streichquartett“ von Field ist eines seiner zartesten, stimmungsvollsten Notturnos. John Field kannte nur ein sehr kleines Feld musikalischen Ausdrucks, aber dieses beherrschte er als wahrer Poet. Das von Epstein gewählte As-dur-Andante bestätigt dies. Die Stimmung des Ganzen und mancher vereinzelte Klang mahnt schon unverkennbar an Chopin, wie denn überhaupt Field in der merkwürdigen Uebergangsbrücke vom classischen zum romantischen Clavierstyl einen wesentlichen Bogen darstellt. Das Quintett gefiel sehr; das gesangvolle Thema hätten wir mit breiterem und tieferem Anschlag gewünscht, Herr Epstein liebt es, den Ton nur leicht zu streifen, statt ihn an solchen Stellen mit der Wurzel herauszuziehen; desto mehr kam ihm

seine Spielweise mit zartem, flachem Anschlag in den schnellen Passagen zu statten, die sich wie Perlen abrollten. Ein drit tes Stück, für das wir Herrn Epstein zu danken haben, war SchubertʼsPhantasie-Sonate“ in G-dur (op. 78). Warum verfällt so selten ein Concertspieler auf diese Idylle in Tönen, über welcher ein blauer Himmel fast wolkenlos träumt, wäh rend unten kein Zug weder des Mißmuths noch der derben Lustigkeit den seligen Frieden trübt! Schumann preist sie unter allen Schubertʼschen Sonaten als „die vollendetste in Form und Geist“ — mit einiger Vorliebe vielleicht, denn die größere Meisterschaft und Genialität der A-moll-Sonate dünkt uns evident. Aber an innerer Harmonie der Stim mung und feinem Geschmack mag die G-dur-Phantasie obenan stehen. Dieser Einheit zuliebe vermeidet es Schubert sogar, die vier Sätze in dem gewöhnlichen Contrast gegen einander abzuheben, er mildert durch einen gemeinsamen Zug von sanfter Beschaulichkeit ihre Gegensätze, so daß das Ganze in der That nur Ein großes Stimmungsbild abgibt. Wenige Musikstücke Schubertʼs drängen dessen Verwandtschaft mit Beethoven so stark ans Licht und zugleich auch wieder die Verschiedenheit ihrer Naturen. Darüber ist längst Treffendes gesagt worden, und Besseres als wir zu bringen vermöchten. Warum sollte man aber nicht auch einmal kurz sagen dürfen: Schubert ist Beethovenʼs Frau? Herr Epstein spielte die Phantasie mit feiner Empfindung, ja manche Stellen, wie das schalkhaft lispelnde H-dur-Trio, unvergleichlich schön. Mehr breite und kräftige Schattenstriche hätten wir freilich auch in diesem Vortrag gewünscht, die zarten Linien wären auf solchem Grunde nur um so schöner erschienen.

Noch ein viertes großes Stück brachte Herr Epstein als Schlußnummer: BeethovenʼsQuintett für Clavier und Blasinstrumente (op. 16). Das Quintett ist in seiner Klangschönheit und Abrundung eine freundlich ansprechende Composition, aber in dem Lorbeerkranze Beethovenʼs doch nur ein schwaches Reis. Wir sind gewohnt, bei dem Namen Beethoven an ganz andere Musik zu denken. Der junge Beethoven stand damals noch im Schachte Haydnʼs und Mo zartʼs, ja er hatte für sein Quintett sogar eine bestimmte Composition Mozartʼs, dessen köstliches Es-dur-Quintett, sicht lich zum Vorbilde genommen. Das Mozartʼsche Quintett ist

zweifellos genialer und bedeutender, es steckt eben der voll kommene, der ganzeMozart darin, in der Nachbildung nur der beginnendeBeethoven. Und doch standen beide Meister genau im selben Alter: Mozart schrieb sein Quintett (1784) mit 28 Jahren, Beethoven das seinige (1798) ebenfalls. Welchen enormen Unterschied begründete aber die ungewöhn lich frühzeitige Entwicklung Mozartʼs! Der Componist des Don Juan“ stand mit 28 Jahren auf der Höhe seiner Kunst und seines Genies, leider auch schon tief am Abhange seines Lebens. Beethoven war als angehender Dreißiger noch nicht einmal Er selbst. Später erst führte er auf eigen stem Grund und Boden jene Wunderbauten auf, die uns den wahren Maßstab für seinen Genius an die Hand gege ben. — Trotz der sehr vorgerückten Stunde wurde das (von den Herren Epstein, Kleinecke, Uhlmann, Ibener und Otter vortrefflich gespielte) Quintett noch mit unge schwächtem Vergnügen gehört und vorzüglich das Andante applaudirt, welches ein berühmter französischer Kritiker (Scudo) ganz ernsthaft für Variationen über die Arie: „Batti, batti“ aus „Don Juan“ angesehen und dergestalt verewigt hat. — Eine neue Erscheinung in Herrn Epsteinʼs Concert war die von Stockhausen gebildete Sängerin Fräulein Helene Magnus aus Hamburg. Obwol durch äußerste Be fangenheit in der Entfaltung ihrer Mittel sichtlich beengt, hat die junge Dame durch ihr erstes Auftreten sich doch mit einem Schlage einen Namen erobert. Der große Erfolg die ser Künstlerin gereicht nicht blos ihr, sondern auch dem Pu blicum zur Ehre, welches hier weder durch den Reiz der Stimme, noch durch irgend welche Bravour bestochen wurde. Als Fräulein Magnus zu dem ersten Lied: „Mignon“ von Schubert, den Mund öffnete, erschien ihre Stimme als ein schwacher Silberfaden. Aber dieser Silberfaden spann allmälig ein ergreifendes Seelengemälde und hielt bald die ganze Hörer schaft umstrickt. Fräulein Magnus besitzt einen Mezzo-Sopran von geringem Körper und Umfang, die Tiefe und Mittellage sind verschleiert, etwa von D oder E an wird das Organ heller und kräftiger, findet aber bald seine Grenzen, wenig stens verriethen das hohe G und As schon einige Anstrengung. Materiell somit wenig begünstigt, übt diese Stimme dennoch einen unwiderstehlichen, fast unerklärbaren Zauber. Sie scheint

eben alles grob Irdische abgestreift zu haben und nur der letzten, feinsten Verkörperung des Fühlens und Denkens sich zu assimiliren. Klänge es nicht affectirt, wir möchten den Gesang der Magnus ein musikalisches Athemholen der Seele nennen. Der Eindruck, den Fräulein Magnus mit dem ersten Liede hervorgebracht, befestigte und erhöhte sich noch durch die fol genden; Fräulein Magnus hatte schon mehr Muth und Stimme gewonnen und sang die drei ersten Nummern aus Schumannʼs „Frauenliebe“ mit so tiefem Verständniß und so zarter, inniger Empfindung, wie wir sie kaum zuvor gehört. Mit dem sichersten Anschlagen der Grundstimmung eines je den Liedes ging die feinste, durch treffliche Aussprache unter stützte Zeichnung des Details Hand in Hand. Wir freuen uns, Fräulein Magnus demnächst in mehreren Concerten zu hören und dann eingehender über sie berichten zu können, als nach einem ersten Auftreten möglich ist.

In der achten Quartett-Soirée der Herren Hellmes berger, Dobyhal, Röver und Kranczewits hörten wir eine neue Violin-Sonate in A-dur von J. Raff. Es wird uns eigenthümlich schwer, zu Raffʼs Musik ein intimes Ver hältniß zu gewinnen. Alles was wir von diesem gewandten, fruchtbaren Componisten kennen gelernt, hat uns mehr oder minder interessirt, nichts davon vermochte uns aber das Ge fühl reiner Befriedigung und ästhetischen Behagens zu gewähren. Genau so erging es uns wieder mit der neuen Sonate, die eine Art musikalischer Wüste mit kleinen Oasen repräsentirt. Fast alle vier Sätze beginnen hübsch, der erste und vierte so gar mit einem Feuer, das man für echt hinnähme, verlöschte es nicht gar so schnell. An interessanten Einzelheiten herrscht kein Mangel: glückliche Anfänge, die nirgends hinführen; effectvolle Schlüsse, die von nirgends herkommen, dazwischen eine Meute von Passagen, die rastlos wie Jagdhunde ihrem eigenen Schatten nachlaufen. Es fehlt dem Ganzen die eigent liche Triebkraft. Das schöpferische Unvermögen des Witzes kann über diesen Mangel nicht täuschen, geschweige denn hin weghelfen. Constatiren müssen wir den reichlichen Applaus des Publicums, der jedoch weniger der Composition als deren brillanter Ausführung durch Fräulein Pauline Fichtner und Herrn Hellmesberger zu gelten schien.