Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse No. 963. Wien, Dienstag den 7. Mai 1867 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2024

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

No. 963. Wien, Dienstag den 7. Mai 1867 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 07.05.1867
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Musikalische Briefe aus Paris. I. Die musikalische Jury.

Paris, 4. Mai. Ed. H. Es war in den ersten Nachmittagsstunden, den belebtesten und elegantesten der Ausstellung, als jüngst aus einem Seitengang der französischen Bildergalerie ein rasender Trommelwirbel erscholl und die Besucher des Ausstellungs palastes weithin in Aufregung versetzte. Mit dem Rufe: „Was ist geschehen? Was bedeutet das?“ stürzten die Massen dem Trommelschall entgegen, nach der etwas versteckt liegenden Seitengalerie. Hier sahen sich die erregten Gemüther plötzlich durch zwei ausgespannte Stricke und zwei aufrechte Sergents de Ville von einer kleinen Herrengesellschaft abgetrennt, welche, die Trommler vor sich und die Notizbücher zur Hand, ruhig um ein Tischchen herumsaß. Es war unsere musika lische Jury, vor welcher Trommel-Erfinder und Trommel- Verbesserer ihre rasselnden Instrumente producirten. Das Publicum aber stand erstaunt dahinter und mochte entnehmen, wie der Kampf um eine Bronce-Medaille den Tambour ge nau so heftig begeistern kann, wie der Sturmlauf gegen eine Festung. Es war ohne Zweifel der populärste Moment in dem öffentlichen Lebenslauf unserer Jury. Allerdings hatten wir einiges Aufsehen und viele Theilnahme schon an den vorhergehenden Tagen erregt, wo uns jedesmal von 10 bis 4 Uhr nur Blech-Instrumente vorgeblasen wurden. Man wollte bemerken, daß damals die Jury-Mitglieder noch lange nach Schluß der Sitzung auffallend laut sprachen; die Po saunen hatten Jedem von uns eine leichte Taubheit als An denken hinterlassen. Die Tage der Violinen und Guitarren trugen einen milderen, gebildeteren Charakter, welcher in der folgenden Periode der Flöten und Clarinetten sogar einen Zug ländlicher Zufriedenheit und Lebensweisheit annahm. Na menlose Wehmuth bemächtigte sich hingegen unseres Kreises nach Anhörung von 40 bis 50 Harmoniums; die Gefühlvolle ren von uns zerdrückten beim Abschied eine Thräne im Auge, die Anderen ballten krampfhaft die Faust in der Tasche. Es war vielleicht der schlimmste Tag.

Kehren wir für einen Augenblick an das grüne Tischchen

zurück, zu welchem uns die rebellischen Trommeln gelockt, und betrachten uns die Persönlichkeiten der Jury. Als Präsi dent fungirt der Senator und General der Nationalgarde, Mellinet. Ein wahrer Charakterkopf, dieser 64jährige Hau degen mit dem Jugendfeuer in Blick und Bewegung, das der grauen Haare wie der tiefen Narben zu spotten scheint, die sein Gesicht entstellen.

Der hitzige General, der bei Magenta sich mit 3000 Mann stundenlang gegen den drei- bis vierfach überlegenen Feind behauptete und noch keinen Schritt wich, als ihm be reits zwei Pferde unter dem Leibe erschossen waren, er ist im Umgang die Herzlichkeit, Güte und Bescheidenheit selbst. Vom Kriegerstand hat er im Frieden nur die Geradheit und Energie beibehalten, nichts von jenem Uniformdünkel, der in anderen Staaten eine so empfindliche Scheidewand zwischen Militär und Civil aufrichtet. „Dites Général!“ unterbrach Mellinet einige der Aussteller, welche ihn mit dem (ihm gebührenden) Titel „Excellenz“ ansprachen. Was den General, der seinen musikalischen Dilettantismus offen eingesteht, in die Jury brachte, sind seine großen Verdienste um die Organisirung der französischen Militärmusik; seine Wahl zum Vorsitzenden war vom Anfang her mit Rücksicht auf seinen hohen Rang und sein großes persönliches Ansehen beschlossen — wir hatten sie nie zu bereuen.

Einen eigenthümlichen Gegensatz zu dem hageren, unge stümen General bildet die untersetzte, behaglich gerundete Figur und das fröhlich lächelnde Antlitz des Dr. George Kast ner, Mitglied des Institutes und zahlloser gelehrter Gesell schaften. Straßburger von Geburt, hat Kastner in seiner Jugend auf deutschen Universitäten studirt und promovirt. Deutscher von Aussehen, Bildung und Temperament (er schwäbelt das Deutsche ganz reizend), ist Kastner doch in Deutschland viel weniger gekannt und gewürdigt als hier. Riesiger Fleiß, unterstützt durch eine glückliche Unabhängigkeit, haben Kastner in Stand gesetzt, von Jugend auf ganz seinen Studien zu leben und eine große Zahl sehr umfangreicher Werke zu schreiben. Die Seltsamkeit der gewählten Stoffe und der darin aufgethürmte Wust archäologischer und philo logischer Gelehrsamkeit mögen deren Verbreitung etwas be einträchtigt haben. In einem starken Quartband z. B. han delt Kastner von den sagenhaften „Sirenen“, in einem an

deren von den „Aeolsharfen“ und bringt Alles bei, was irgendwann und irgendwo über diese Gegenstände gesagt und ge schrieben worden. In seinen „Voix de Paris“ notirt er die Ausrufe aller Arten Verkäufer, vom Mittelalter bis auf heute. Ein Werk über die Militärmusik geht bis auf die Egypter, Römer und Griechen zurück, ohne deßhalb irgend eine der modernsten Einrichtungen zu vergessen. Obwol vorzugsweise Polyhistor und musikalischer Archäolog, ist Kastner doch keines wegs der praktischen Seite der Tonkunst ferngeblieben. Als Componist und ausübender Künstler früher sehr thätig, hat Kastner obendrein für jedes existirende Orchester-Instrument eine Schule (Methode) geschrieben, sogar für die Pauken! Dies allein stempelt den Mann zum gelehrten Original; wer ihn näher kennt, weiß überdies, daß dies Original nebst den erstaunlichsten Kenntnissen auch das redlichste, wohlwollendste, uneigennützigste Herz besitzt.

Die Künstlernatur par excellence ist in unserer Jury durch den Componisten Ambroise Thomas vertreten. Eine poetische, nervöse Natur, meist ernst und schweigsam, leicht gereizt, schnell ermüdet, kein Freund der Geselligkeit und Feind der Complimente, ist Thomas keineswegs, was man im Salon einen vorzüglichen Gesellschafter heißt. Mit Un recht nennen ihn Manche einen Misanthropen, ihn, „der sich ohne Groll vor der Welt verschließt“, nur seiner Kunst und wenigen Freunden lebend. Sein hageres, ausdrucksvolles Ge sicht, von grauem Haar und Bart kräftig umrahmt, erzählt von überstandenem Leid und Kämpfen, es erzählt auch von einem liebebedürftigen und liebenswerthen Herzen, das nicht geschaffen war, einsam und hagestolz zu vergrämen. Ambroise Thomas, längst ein Lieblingscomponist seiner Nation, hat eben seinen größten Succeß mit seiner neuesten Oper „Mignon“ er rungen. Dies höchst anmuthige Werk, von dem ich Ihnen nächstens mehr erzähle, wurde bereits gegen achtzigmal nach einander gegeben, ohne daß der Andrang des Publicums nach läßt. Von dieser „Mignon“ hörte ich Thomas während der vier Wochen unseres täglichen Verkehrs ebensowenig die leiseste Erwähnung machen, als von irgend einem anderen seiner Werke. Wie sehr unterscheidet sich diese wahre Bescheidenheit von ihrer Stiefschwester, jener unter Künstlern und Gelehrten zumeist cultivirten eitlen Bescheidenheit!

Den größten Einfluß in der Jury hat Fétis, der ge

lehrte Musikhistoriker aus Brüssel. Man kennt die zahlreichen Arbeiten dieses nun 84 Jahre alten Professors; er is da mit noch nicht am Ende. Eine „Geschichte der Musik“ in sechs Bänden ist unter der Presse, Anderes in Vorbereitung. Das hohe Alter und gelehrte Ansehen des vielerfahrenen, mitunter etwas eigensinnigen Mannes erklären das Ueberge wicht, das die übrigen Jurors, die französischen namentlich, ihm in den Berathungen zugestehen.

Noch zwei Preisrichter, von Würtemberg und von Eng land gesendet, habe ich zu nennen. Der eine, J. P. Schied mayer, der intelligente, vielgereiste Chef einer trefflichen Harmonium-Fabrik in Stuttgart, fühlte sich als Süddeutscher augenblicklich zu Oesterreich hingezogen, wie ja gleicher maßen der Oesterreicher überall, wo es Cultur-Interessen gilt, und unter Fremden noch mehr als daheim, sich als Deutscher fühlt. So gingen denn Schiedmayer und ich fast in allen Vorschlägen und Abstimmungen Hand in Hand, und im Interesse unserer Industriellen habe ich alle Ursache, der Unterstützung Herrn Schiedmayer’s dankbar zu gedenken. Der englische Juror war Lord Fitzgerald, ein reicher, pas sionirter Dilettant, dem wir eine bescheidene und friedfertige Passivität nachrühmen müssen. Zum „Associé“ der Jury war anfangs blos Herr August Wolff ernannt, Chef der berühmten Pianofabrik Pleyel, Wolff und Comp. in Paris; später, mitunter sogar ganz am Schlusse der Jury-Arbeiten, erwirkten noch mehrere der ersten Pariser Fabrikanten das Decret als Associés, mehr aus äußerlichen Gründen (um hors du concours zu sein), als in der Absicht, mitzuarbei ten. August Wolff hingegen, ein Mann von gediegener allge meiner wie musikalischer Bildung und feinsten Umgangsfor men, wurde durch seine Fachkenntniß und unermüdliche Thä tigkeit eine wahre Perle für die Jury. — Eine Revue der ausgestellten Musik-Instrumente muß ich mir für den näch sten Brief vorbehalten. Wenn ich in der Schilderung meiner Collegen etwas redselig geworden bin, halten Sie mir es zugute! War es ja der künstlerische Verkehr und das tägliche Zusammenarbeiten mit diesen Männern, was mich für alle Leiden meiner gehörmörderischen Mission reich entschädigt hat.

Nachschrift. Die Jury der 10. Classe (musikalische Instrumente) hat ihren Vorschlag ausgearbeitet und wird ihn demnächst der zweiten und dritten Instanz (Gruppenjury und Conseil) übergeben, welchen die letzte Entscheidung darüber zusteht.

Für österreichische Aussteller ist beantragt:

A. Die silberne Medaille: 1. für Claviere: Streicher, Ehrbar, Bösendor fer in Wien; 2. für Violinen: Lemböck in Wien; 3. für Blas-Instrumente: Cerveny in Königgrätz, Bock und Ziegler in Wien.

B. Die Bronce-Medaille: 1. für Claviere: Schweighofer Schweighofer, anfangs für die silberne Medaille notirt, wurde in Folge einer nothwendigen Reduction nebst mehreren an deren Fabrikanten in die Bronce-Medaillen eingereiht. , Promberger, Blümel (Wien) und Beregshazy (Pest); 2. für Violinen, Zithern und Guitarren: Bittner (Wien); 3. für Zithern: Kiendl (Wien); 4. für Blas-Instrumente: Tomschik (Brünn), Laus mann (Linz), Bohland (Graslitz).

C. Die ehrenvolle Erwähnung: 1. für Claviere: Cramer, Simon (Wien); 2. für Blas-Instrumente: Farsky (Böhmen); 3. für Orgel: Hesse (Wien); 4. für Zithern: Weigel (Salzburg).

Goldene Medaillen fallen nach dem Reglement auf die ganze (500 Aussteller enthaltende) Classe 10 nur zwei, höch stens drei Stück. Es war unmöglich, eine davon für Oester reich zu gewinnen; ein hierauf zielender Antrag wurde mit allen Stimmen gegen Eine abgelehnt. Ueber den Vorschlag für diese wenigen Goldmedaillen hat die Jury sich noch nicht definitiv geeinigt; wahrscheinlich werden die Claviermacher Broadwood in London, Steinway in Newyork und die Orgelbauer Merklin und Schütze in Paris damit be theilt.