Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse No. 1940. Wien, Donnerstag den 25. Juli 1867 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2024

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

No. 1940. Wien, Donnerstag den 25. Juli 1867 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 25.07.1867
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Musikalische Briefe aus Paris. VI. (Concurs der Fanfaren, Harmonien und Militärmusiken.)

Paris, 21. Juli. Ed. H. Wer, von Musik- und Musikvereins-Passion be seelt, nicht Stimme genug zum Sänger besitzt, hat doch mei stens hinreichenden Athem, um die Clarinette oder Trompete zu blasen. Auf Grund dieser trostreichen Wahrnehmung ent standen wol all die kleineren und größeren Harmoniemusik- Vereine, welche ganz Frankreich überfluthen. Vollkommene Sei tenstücke zu den jüngst hier geschilderten Männergesang-Ver einen, könnten sie schlechtweg als blasende „Orphéons“ bezeich net werden. Jede Stadt und jedes Städtchen in Frankreich hat ihre vollständige „Musique d’harmonie“, oder wenigstens ihre „Fanfare“, so heißt die kleinere, blos aus Blech-Instru menten bestehende Zusammensetzung. Sie recrutiren sich im Allgemeinen aus denselben socialen Schichten, wie die Or phéons: aus Handwerkern, Kaufleuten, kleinen Gemeinde-Beam ten u. s. w.; nur erstrecken sich diese blasenden Genossenschaften etwas niedriger und etwas höher in die Altersclassen, man sieht da zwölf- bis fünfzehnjährige Knaben (wahre Schuster jungen Apollos) neben alten Knasterbärten. Unter Letzteren bilden ausgediente Soldaten ein neues charakteristisches Ele ment — ein sehr wichtiges obendrein, denn solche Veteranen einer Regiments-Capelle werden, sobald sie in ihrem Heimat städtchen sich zur Ruhe setzen, meistens Gründer oder Grund festen einer Civil-Harmoniemusik. Letzerer gegenüber fühlen sich die Orphéons als die individuellere, feinere, wol auch vornehmere Kunstblüthe, als das Conceptspersonal der Tonkunst, neben Registratur und Expedit derselben. Der Regierung wie den Gemeinden sind aber die Blasenden wie die Singenden „gleich liebe Kinder“. Nicht jedes Städtchen kann einer Regimentsmusik theilhaftig, noch

weniger ohne den „Propheten“-Marsch und die „Tell“-Ouver ture selig werden. So werden denn die Fanfaren des Ortes durch Municipal-Beiträge und freiwillige Sammlungen nach Möglichkeit unterstützt. Die Regierung sorgt für regelmäßige Preisconcurse in den Arrondissements und Departements, die dabei errungenen Medaillen reihen jeden Verein in eine höhere oder tiefere „Division“. Diese Bruderschaften von der Regel des Herrn Sax bleiben entweder im bürgerlichen Civilrock, oder sie reihen sich der Nationalgarde, den Sappeurs und Pompiers ihres Ortes ein und dürfen in Uniform ausrücken. Zu dem Wettkampf nach Paris waren natürlich nur die besten und stärksten Vereine aus der Provinz erschienen: Fanfaren von 40 bis 60, Harmoniemusiken von 60 bis 90 Mann und darüber. Was die künstlerische Bedeutung dieser Vereine be trifft, so steht sie, wie jene der Orphéons, erst in zweiter Reihe neben der geselligen. Nur die allerbesten der fran zösischen Harmonie-Gesellschaften leisten musikalisch Tadelloses oder gar Vorzügliches; aber auch die geringste von ihnen darf sich rühmen, einige Seelen dem Trunke und Kartenspiel ent zogen zu haben. Für die Männer der Arbeit hat selbst ein derber Verkehr mit der Kunst etwas Befreiendes, Veredeln des; der Ehrgeiz, einem musikalischen Vereine anzugehören, gibt noch einen weiteren Ruck nach Oben. Das Aufblühen dieser Vereine reicht nicht viel weiter zurück als 20 Jahre, und dennoch bestehen ihrer schon gegen 2000 im ganzen Lande.

Der Vorgang der Jury war ungefähr derselbe wie bei den Orphéons. Sie theilte sich in verschiedene Sectionen, die durch volle zwei Tage gleichzeitig in verschiedenen Localitäten die einzelnen Vereine hörten. Die Jury bestimmte, welche von den Fanfaren und Harmoniemusiken als die besten zu der Be werbung um den großen Preis zuzulassen seien. Diese hatten sich dann in einer letzten Production gegen einander zu mes sen. Zuvor vereinigten sich sämmtliche Vereine (wie früher die Orphéons) noch zu einem „Festival“, das blos aus Gesammt- Productionen bestand. Ganz streng darf man dies Wort nicht

nehmen, denn das Schisma zwischen der alten und neuen (Pariser) Stimmung theilte das Heer dieser Bläser in zwei große Hälften, welche nur immer abwechselnd spielen konnten. Die Regierung, welche das Normal-Diapason in allen Regi mentern, Schulen und subventionirten Theatern im Verord nungswege eingeführt, konnte Privatvereine unmöglich dazu zwingen. Ja, letztere, meist in knappen Geldverhältnissen, stürz ten sich mit Eifer auf die Blas-Instrumente alter Stim mung, welche von den Regimentsmusiken plötzlich um Spott preise verkauft wurden. Das Local der Productionen war aber mals der unglückliche Glaspalast in den Champs Elysées. Nicht nur waren die Harmoniemusiken hier auf den Halbsold des Effectes gesetzt, dessen sie in jedem anderen Locale sicher sind, sie hatten auch noch mit den tückischen Echos des Saales zu kämpfen. Bei marschartigem Rhythmus oder kurz abgebro chenen Accorden hörte man lauter Nachschläge oder hinkende Synkopen. Es war ein unbegreiflicher Fehler der französischen Commission, daß sie für die speciell musikalischen Feste nicht auch einen akustischen Saal, allenfalls eines der großen Theater, bestimmt hatte. Der Componist der preisgekrönten Cantate zog es vor, sein Werk lieber gar nicht, als im Indu striepalaste aufführen zu lassen, und die „Historischen Concerte“, welche den Schluß der Ausstellungsmusiken bilden sollten, fal len aus demselben Grunde weg. „Ce n’est pas une salle sérieuse,“ erklärte das Comité der „Historischen“ und ging auf Nimmerwiedersehen auseinander.

Die Stadt Lille, bereits preisgekrönt im Männergesang, erhielt auch in der Harmoniemusik den ersten Preis, mußte ihn aber nach zwei erfolglosen Abstimmungen mit dem kleinen Orte Turcoing (an der belgischen Grenze) theilen. Von aus wärtigen Vereinen war nur die Harmoniemusik eines kleinen belgischen Städtchens erschienen, Sainte-Marie-d’Oignies. Sie zählte über hundert Mitglieder und spielte den ersten Satz aus Beethoven’s D-dur-Symphonie überraschend gut. Auf meine Erkundigungen nach der Zusammensetzung dieses Orchesters er fuhr ich, daß es fast ausschließlich aus den Arbeitern einer

großen Spiegelfabrik bestehe. Man muß gestehen, daß diese Leute ihre Sache ernsthaft nehmen. Leider hatte der Dirigent dieses Vereins die Tactlosigkeit, ein donnerndes „Refusé!“ zu rufen, als ihm bei der Preisvertheilung der zweite große Preis (statt des erwarteten ersten) zuerkannt wurde. Wenn dergleichen Richter in eigener Sache wüßten, wie viel von der allgemeinen Sym pathie sie durch solche Scenen sofort verscherzen! — Besonderes In teresse erregte auch eine über 40 Mann starke Fanfare, die ihrer stark demokratischen Physiognomie zum Trotz von einem Grafen dirigirt wurde. Der Graf v. Beurges, ein hübscher junger Mann, scheint die gesammte Einwohnerschaft und Umgebung seines Gutes musikalisch gemacht zu haben; die Bildung der Fanfare ist vollständig sein Werk, und er dirigirt sie mit über raschender Sicherheit. Großes und eigenthümliches Aufsehen er regte eine nur 14 Mann starke Fanfare aus Paris, welche der berühmte Instrumentenmacher Sax dirigirte. Im Gegen satze zu den Fabriksarbeitern und Nationalgardisten der Pro vinz sind diese 14 Sax-Bläser ebenso viele Virtuosen, Künstler von Fach, die jeden Tag einzeln als Concertgeber auftreten können. Mit den neuesten Instrumenten von Sax ausgestat tet, war dieser Virtuosenknäuel natürlich in ganz unverhält nißmäßigem Vortheile gegen alle übrigen Vereine. Die Sax’sche Fanfare mußte entweder von vornherein aus der Preisbewer bung ausgeschlossen werden oder sie mußte den ersten Preis mit Stimmen-Einhelligkeit erhalten. Letzteres geschah. Obwol meine Sympathie diesfalls mit den schwergekränkten Dilet tanten-Vereinen ging, mußte ich bekennen, niemals ähnliche Kunststücke auf Blas-Instrumenten gehört zu haben, wie die der Sax’schen Fanfare. Sie spielte den „Carneval von Venedig“, ein eigens für diese Künstler und diese neuen Instrumente gesetztes Bravourstück. Nachdem in einzel nen Variationen sich jeder Solist hervorgethan, ging’s an eine erstaunliche Gesammtbravour: sechs Posaunen bliesen Doppel triller in allen Lagen, während die Saxhorns chromatische Läufe und halsbrecherische Sprünge ausführten. Die raschesten Modulationen in die entferntesten Tonarten wechselten fort

während — überall dieselbe Sicherheit, Reinheit und Leichtig keit. In dieser Hinsicht sind die neuen Sax-Instrumente (mit 6 Pistons und unabhängigen Röhren) die vollkommensten Werk zeuge; für die Kunst dürften sie ein blendendes Unheil werden. Hat man einmal im Orchester Posaunen und Trompeten, welche mit Leichtigkeit die Bravourpassagen einer Flöte oder Clarinette hervorbringen, dann werden auch die Componisten nicht widerstehen können, diese Eigenschaften ans Licht zu ziehen und für die Posaunen clarinettmäßig zu schreiben. Die Sax’schen Blech-Instrumente, an sich vortreffliche Mechanismen, haben zwei unheilvolle Consequenzen im Gefolge: einmal ver leiten sie die Componisten zu einer bravourmäßigen, entarten den Behandlung der Harmonie, sodann verdrängen sie allmä lig ältere typische, in ihrem Klange unersetzbare Instrumente. Nicht nur sind Oboen und Fagotte bereits aus den französi schen Militärmusiken verschwunden, auch die Hörner werden bereits durchwegs durch Saxhorn oder Sax-Otromba ersetzt. Die Civil-Harmoniemusiken und Fanfaren folgen natürlich die sem Beispiele, und es hat mich förmlich wehmüthig gestimmt, die „Freischütz“-Ouverture von den besten Civilgesellschaf ten beim Preisconcurse ohne Waldhörner aufgeführt zu sehen!

Während die Theilnahme an diesen Productionen der fran zösischen Sänger- und Bläservereine eine ziemlich mäßige war, fand der wahrhaft internationale Wettkampf der Militär musiken im Industriepalast unter dem enormsten Andrang statt. Neun Staaten hatten sich daran betheiligt: Oesterreich, Preußen, Rußland, Frankreich, Spanien, Belgien, Holland, Baiern und Baden. Jede der Militär-Capellen hatte zwei Stücke vorzutragen: die „Oberon“-Ouverture (als „Mor ceau imposé“) und eine Composition nach eigener Wahl.

Die Jury bestand aus vierzehn Franzosen (den Gene ralen Mellinet und Rose, den Componisten Ambroise Thomas, Felicien David, Jules Cohen, den Musikschrift stellern Georges Kastner, Oskar Commettart etc.), zwei Spaniern (Romero und de Fuertes) und je Einem Mit gliede aus Preußen (Consul Bamberg), Baiern (Hanns

v. Bülow) und Oesterreich. Es war ein ermüdendes Stück Arbeit, in dem von wenigstens 23,000 Menschen erfüllten hei ßen Saal von 1 Uhr bis gegen 7 Uhr mit Aufmerksamkeit zwanzig Militärmusik-Productionen anzuhören. Meine Lieb lings-Ouverture, „Oberon“, wurde mir bei dieser Gelegenheit so verleidet, daß ich ihr für mehrere Jahre aus dem Wege gehen muß. Aber alle Mühsal wurde reichlich aufgewogen durch den glänzenden Erfolg unserer Oesterreicher. Nie habe ich mit solcher Stärke die Macht des Heimatsgefühls, welches zu Hause so häufig einschlummert oder kritisch ins Gegentheil überschlägt, an mir erfahren, als in dem Augenblicke, wo un mittelbar nach der bewunderungswürdigen Production der Preu ßen sich unsere weißen Waffenröcke im Halbkreis aufstellten. So mag einem Papa zu Muthe sein, dessen Töchterlein zum er stenmal die Bühne betritt; ich blickte auf Zichy, Schäfer und die österreichischen Officiere in meiner Nähe und sah, daß es ihnen Allen genau so ging wie mir. Und nun diese prächtige Leistung und dieser stürmische Jubel! Die Preußen hatten einen Applaus geerntet, der nicht zu überbieten schien; aber nach der Musik der Oesterreicher dröhnte der Saal wie im Orcan, Alles schrie und schwenkte die Hüte und wehte mit den Tüchern. Noch Einen ernsthaften Rival hatten wir zu überstehen, die Pariser Garde, welche, im Besitz trefflicher Virtuosen und neuer Sax’scher Instrumente, mit der Präcision eines Uhrwerkes wetteiferte. Es war in der That nicht leicht, zwischen diesen drei Leistungen zu entscheiden, und so einigten wir uns rasch in dem Entschluß, statt eines ersten Preises deren drei von gleichem Werth an Oesterreich, Preußen und Frankreich zu vertheilen. Fast alle Stimmzettel enthielten die drei Namen in dieser Ordnung, und so wurde auch bei der feierlichen Proclamation der Preise Oesterreich zuerst genannt. Da weder das Los noch die alphabetische Ordnung entschied (denn Frankreich wurde nachPreußen genannt), so darf die österreichische Militärmusik mit Recht diese Bevorzugung als keine blos zufällige ansehen.

Jeder mit den speciellen Verhältnissen Vertraute muß

unter den drei Preisträgern Oesterreich die schwierigste Stel lung, somit das relativ größte Verdienst zugestehen. Oester reich hatte eine ehrliche, wirkliche Regimentsmusik gesendet, durchwegs Soldaten, und zwar mit denselben Instrumenten, die sie im Felde gebrauchen. Hingegen darf man nicht ohne Grund annehmen, daß die anderen Capellen sich durch ein zelne virtuose Künstler ausnahmsweise verstärkt und manche kostbarere Concert-Instrumente benützt haben. Preußen hatte überdies die Musiker zweier Garde-Regimenter vereinigt und dadurch eine Tonmasse entwickelt, nach welcher die der Oesterreicher schwach erscheinen mußte. Die Preußen waren uns an Quantität und Qualität der Instrumente überlegen, wol auch in der unfehlbaren Sicherheit und letzten Feile der Ausführung. In dem Vortrag der österreichischen Capelle hin gegen herrschte mehr Leben und Temperament, mehr Sinnlich keit und musikalische Empfindung. Die siegreiche Capelle dieses Regiments (Nr. 73, Herzog von Würtemberg) ist erst seit wenigen Jahren constituirt, und erst seit zwei Jahren unter der trefflichen Leitung ihres jugendlichen Capellmeisters Zim mermann; der Werbbezirk dieses Regiments ist Eger in Böhmen, ein Beleg, daß das weltberühmte Musiktalent Böh mens sich nicht auf die czechischen Bewohner dieses Landes beschränkt.

Den Oesterreichern, Preußen und der Garde de Paris reihten sich zunächst die Russen, Baiern und die Guides de la Garde impérial von Paris an. Um auch hier kein Verdienst zu kränken, theilte die Jury den zweiten Preis unter diese drei Concurrenten. Die russische Gardemusik hatte die glückliche Idee, ein Potpourri von russischen National-Melodien vorzu tragen, deren einfache und charakteristische Schönheit nach den vielen Virtuosenstücken, „Propheten“- und „Tell“-Phantasien den günstigsten Eindruck machte. Die starke Besetzung der Holz-Blas- Instrumente verlieh der russischen Musik einen eigenthümlichen Charakter von gesangvoller Weichheit und Empfindung.

Die treffliche Ausführung des „Lohengrin“-Marsches

durch die baierische Militärmusik ließ den künstlerischen Einfluß Hanns v. Bülow’s nicht verkennen.

Die französischen Guiden gaben eine förmliche Vir tuosen-Production, den „Carneval von Venedig“, mit einer Unzahl halsbrecherischer Solo-Variationen. Es gilt davon, was oben von der Sax’schen Fanfare bemerkt ist, nur sind von einer Militärmusik solch kokette und läppische Spielereien noch widerlicher. Natürlich wurden alle chromatischen und Triller- Kunststücke der neuen Sax-Posaunen und Flügelhörner aber mals ins Feuer geführt — eine geblasene Reclame. Die Virtuo sität der Solisten ließ übrigens die Zusammensetzung dieser „Regimentsmusik“ etwas zweifelhaft erscheinen; hat doch die französische Armee stets das Institut der „Gagistes“ (Enga gement von Künstlern für drei Jahre) bei ihren Regiments musiken protegirt. Die berühmte Capelle der Pariser Guiden ist die letzte noch bestehende Cavallerie-Musik in Frankreich, und auch sie soll nach Schluß der Ausstellung aufgelöst werden. Kaiser Napoleon hat ganz kürzlich alle Musikbanden der Cavallerie aus Ersparungsrücksichten abge schafft und dadurch allerdings in jedem Regiment 30 Mann und 30 Pferde für den activen Dienst gewonnen. Dieselbe Maßregel hatte aus gleichem Grunde schon Bonaparte im Jahre 1803 durchgeführt, doch war sie für die Dauer nicht aufrechtzuerhalten. Bei der großen Vorliebe der Franzosen für ihre Militärmusiken dürfte auch diesmal über die Cavallerie-Capellen noch nicht das letzte Kreuz gemacht sein. Neben Rivalen wie die sechs Genannten konnten die Militär-Capellen von Baden, Belgien, Holland und Spanien kaum eine hervorragende Rolle spielen. Da sie aber an und für sich doch durchaus respectabel erschienen, so theilte man den dritten Preis zwischen Holland und Baden, den vierten zwischen Belgien und Spanien. Die wahrhaft lie benswürdige Artigkeit der Franzosen konnte es nicht über sich gewinnen, irgend eine dieser weither gereisten Militär-Capellen ganz ohne Auszeichnung heimziehen zu lassen, und so ver doppelte sie freiwillig die Zahl der festgesetzten Preise, damit Jedermann in den Schlußrefrain: „Ende gut, Alles gut“ fröhlich einstimme.