Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse No. 1089. Wien, Donnerstag den 12. September 1867 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2024

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

No. 1089. Wien, Donnerstag den 12. September 1867 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max 12.09.1867
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Das Patti-Concert im Carltheater.

Ed. H. Nicht ohne Erstaunen gewahrten gestern die Be wohner Wiens eine verfrühte Kette musikalischer Zugvögel, welche sich an einem der wärmsten Septembertage plötzlich in Ascher’s Musentempel niederließ, um am folgenden Morgen mit Windeseile wieder fortzuziehen. Diese Wander- und Wun dervögel erscheinen dicht geschaart um einen Anführer von un scheinbarem Gefieder und großer Weisheit, den sie Ullman rufen; sie selbst nennen sich Carlotta Patti, Lefort, Auer, Popper und Willmers. Wenn Eine Schwalbe leider noch keinen Sommer macht, so macht gottlob ein Vir tuosen-Besuch auch keine Concertsaison, und wir dürfen uns ruhig noch einige Wochen in grüneren Landschaften, als die Tuchlauben“ sind, herumtummeln. Dieses Trostes theilhaf tig, constatiren wir mit doppeltem Vergnügen, daß die frühe Virtuosenkitte am 10. September von den Wienern mit offe nen Armen aufgenommen und unter zärtlichen Liebkosungen entlassen wurde.

Carlotta Patti, die schmetternde Lerche der Gesell schaft, ist hier aus einer langen Reihe von Concerten wohl bekannt. Sie hat sich unverändert beibehalten, was dem Publicum sichtlich lieb war — weniger uns Recensenten, die wir Neues über die vielbesprochene Sängerin kaum vorzutra gen wüßten. Wie vor zwei Jahren, so erregte auch diesmal das kleine Silberglöckchen ihrer in schwindelnder Höhe so reinen und sicheren Stimme Bewunderung; wie damals glitzer ten ihre Triller, Staccatos und Passagen; wie damals, so spricht auch jetzt ihr Gesang zum Ohr, nicht zum Herzen — recht eigentlich ein glänzend heiteres Spielwerk der Kunst. Virtuosin im eminenten Sinne und obendrein wieder Specia lität innerhalb dieses Virtuosenthums, sieht Carlotta Patti sich in einen ziemlich engen Kreis von Productionen gebannt. Mit Ausnahme einer Bravour-Tarantella von Bevignani haben wir alle ihre Nummern oft und oft von ihr gehört: die Entrée-Arie der „Linda von Chamounix“, die Schlußarie der „Sonnambula“ und die Lachcouplets („Manon Lescant“) von Auber. Daß virtuose Specialitäten, von deren sinn

lichem Zauber man sich anfangs gern überraschen und um gaukeln läßt, durch verlängerten Verkehr und häufige Wieder holungen an Wirkung kaum gewinnen können, vielmehr sich leicht abstumpfen, liegt in der Natur der Sache. Wer wird uns demnach verargen, wenn wir von den Bravourstücken Carlotta’s diesmal keinen selbstständigeren Eindruck als den einer freundlichen Erinnerung an ihren ersten Besuch empfin gen? Der Künstlerin gereicht es darum nicht weniger zum Lob und Vortheil, daß das Publicum ihre oft gehörten Vor träge mit gleichem Beifall aufnahm, wie vor zwei Jahren. Insbesondere übte das „Lachlied“ wieder seine unwiderstehliche, wahrhaft erheiternde Wirkung. Es ist die frischeste und eigen thümlichste Production Carlotta’s; sie colorirt die Aubersche Zeichnung mit Naturtönen von einer musikalischen Kühn heit, welche an die äußerste Grenze des Realismus streift, aber durch ihre Naivetät und unfehlbares Gelingen jedes Bedenken entwaffnet. AdelinaPatti, welche in Paris das Lachlied im „Barbier von Sevilla“ vorzutragen pflegt, singt es feiner und gemäßigter, aber weit entfernt von der packenden Wirkung Carlotta’s.

Von den mitwirkenden Künstlern gebührt dem Pianisten Herrn Willmers aus dem Titel der Anciennetät die Nen nung an erster Stelle. Als er vor etwa 25 Jahren zuerst in Oesterreich erschienen war, umgab ein gewisser exotischer Schim mer das blond umwallte Haupt des jungen Dänen, der mit seiner Transscription: „Flieg’, Vogel, flieg’!“ und anderen Süßigkeiten viel Glück machte. Bei aller Anerkennung seiner eleganten Technik, insbesondere seines berühmten Trillers, ha ben wir Willmers’ Spiel damals schon nur in den mäßigsten Gaben vertragen können. Es lag eine ungemeine Leere und Mattseligkeit in diesem Spiel, wie in den einander aufs Haar ähnlichen Compositionen. Wie dürftig der musikalische Gehalt dieser Productionen war, erkannte man deutlich, als Willmers nach einigen Jahren wieder und wieder kam, in stets gleicher Weise trillerte und den „Vogel“ zum Fliegen einlud. Als der Componist sich eines Morgens vergeblich nach einem Hahn umschaute, der noch nach diesem „Vogel“ krähe, warf er sich auf größere, ernstere Compositionen, ohne damit mehr zu reussiren, als sein gleichmäßig vorangegangener College Evers. Es war jedenfalls wohlgethan, wieder zu den eleganten kleineren Sa

lonformen zurückzukehren, in welchen sich Willmers freier und gewandter bewegt. Offen gestanden, hätten wir aber seine alten Trillerstückchen noch immer lieber gehört, als die neue „Steie rische Phantasie“ und „Ungarische Episode“ (eine Art „Flieg’, Csardas, flieg’!“), womit Herr Willmers sich in dem Patti-Concerte producirte. Wen interessiren noch derlei mit Passagen plump überladene, durch und durch veraltete Transscriptionen ohne Geist und ohne Ende? Herrn WillmersTechnik hat übrigens nichts von ihrer ehemaligen Geläufigkeit eingebüßt, und so nahm denn das Publicum den alten Be kannten mit großer Freundlichkeit auf. Was wir schon wieder holt erlebt, daß ein hier erbleichender Stern in einem anderen Welttheile mit neuem Glanze ausgeht, dürfte sich demnächst auch an Willmers vollziehen. Er hat eine sehr schmeichelhafte Einladung erhalten, als erster Professor des Clavierspiels am Conservatorium in Newyork einzutreten gegen einen Jahres gehalt von 3600 Dollars und vollständige Reisevergütung. Es gibt also noch Conservatorien — sehr weit von hier — wo man gute Clavierlehrer auch gut bezahlt.

Ein zweiter von Herrn Ullman hier vorgeführter Künstler, der Sänger Jules Lefort aus Paris, bietet uns wenig Stoff zum Erzählen. Er gehört zu jenen stimmlosen Baritonisten, deren verständig und geschmackvoll accentuirter Gesang — eine Art verschämtes Declamiren — in französischen Salons be liebt ist. Seine Stimme entbehrt zu sehr der Fülle und des Wohlklangs, um in größeren Räumen zu wirken; sein Vor trag, dem eine geschickte Verwendung des Falsets und eine deutliche Aussprache zu statten kommt, ist durchwegs anständig. Die Anständigkeit ist aber bekanntlich nichts Zündendes, am wenigsten in der Musik. Ueberdies war Gounod’s gedehnte und kraftlose Melodie „Le Vallon“ keine glückliche Wahl.

Von den gegenwärtig bei Ullman engagirten Künstlern sind die zwei jüngsten ohne Frage die bedeutendsten: Popper und Auer. Ersterer, uns bereits als einer der tüchtigsten Cellisten bekannt, hat seinem Rufe durch den virtuosen Vor trag eines (leider sehr gehaltlosen) Goltermann’schen Con certes neuerdings Ehre gemacht. Sein schöner, gesangvoller Ton konnte sich am besten in dem „Adagio“ von Molique gel tend machen, seine Geläufigkeit und Ausdauer in einer Etude eigener Composition, welche „Le papillon“ betitelt und in

ihrer ununterbrochenen Sechzehntel-Bewegung dem „Perpetuum mobile“ von Paganini nachgebildet ist. Leopold Auer, Concertmeister in Düsseldorf, erfreut sich bereits seit mehreren Jahren der glänzendsten Erfolge in Deutschland und England. Deutsch-Ungar von Geburt, ist er ein Landsmann Joachim’s und war zuletzt dessen Schüler. In dem Vortrage der bekann ten „Ballade und Polonaise“ von Vieuxtemps, eines Spohr’schen Andante und eines Capriccio von Paganini entfaltete Auer ebenso solide als glänzende Eigenschaften: schönen, gesangreichen Ton und reine Intonation, bedeutende Bravour in allen Stricharten und Lagen, ruhigen, edlen Ausdruck im Adagio, Kühnheit, Kraft und Ausdauer im Allegro. Auer dürfte bald neben Joachim und Laub der dritte große Violinspieler aus Oesterreich sein. Hoffentlich hören wir ihn einmal unter günstigeren Verhältnissen, und wenn er sich bleibend in Wien niederlassen wollte, wie das Gerücht sagt, so könnten wir uns zu diesem Gewinn nur gratuliren. Nicht ver schweigen dürfen wir, daß sämmtliche Solovorträge in dem gestrigen Concerte unter dem Accompagnement eines jungen Herrn litten, welcher wahrscheinlich alles Andere besser versteht, als Clavierspielen.

Der wahrhaft überraschende Erfolg von Ullman’s Concert, das der schönen Jahreszeit zum Trotz das Haus über und über füllte, hat die Geschicklichkeit dieses rastlosen Concert-Unter nehmers neuerdings bewährt. Die Concerte, die er unmittelbar zuvor in Linz, Salzburg, Laibach, Graz und Preßburg gegeben, sollen 40,000 fl. eingetragen haben; Brünn, Olmütz, Troppau, Krakau, Lemberg und Czernowitz, die nunmehr an die Reihe kommen, versprechen ähnliche Erfolge. Nur eine so geschickte Combination und Administration machen es möglich, mittleren und kleinen Städten, die sonst jahrelang keinen berühmten Virtuosen zu Gesicht bekommen, dieses Vergnügen reichlich und wohlfeil zu verschaffen und den Künstlern selbst im Laufe weniger Wochen beträchtliche, sichere Einnahmen zuzuwenden. Dies geht freilich nur die industrielle Seite der Kunst an, nicht die Kunst selbst; aber einmal zugestanden, daß das ge schäftliche Interesse bei Virtuosen-Reisen mehr als je im Vor dergrunde steht, muß man die Idee der Ullman’schen Asso ciations-Concerte modern und praktisch finden. Ullman, dem ein rastloses Arbeiten, Speculiren und Organisiren

Lebensbedingung ist, wird kaum dabei stehen bleiben. Im Café Helder in Paris, wo Ullman allabendlich mit Moriz Strakosch seine Domino-Partie hatte (sie spielten mit einem Eifer, als hätte Jeder seine Patti einge setzt) habe ich in Gesellschaft Schulhoff’s den unerschöpflichen Reise-Erzählungen Ullman’s oft mit dem lebhaftesten Ver gnügen gelauscht. „Ich wette,“ neckten wir ihn einmal, „Sie haben für den nächsten Winter schon einen ganz besonderen großen Plan.“ — „Einen Plan?“ rief Ullman, die Hand akustisch ans Ohr legend; „zwanzig! hundert!“ Und nun entwickelte er verschiedenartige Projecte, worunter der Plan, mit einer Auswahl der besten deutschen Schauspieler in Paris zu ga stiren, uns besonders glücklich ausgedacht schien. Ullman hatte eben eine äußerst einträgliche Tournée durch Frankreich beendet, bereitete seine gegenwärtige Concertreise durch Oester reich vor und stand gleichzeitig in lebhaften Unterhandlungen für eine große Tour nach Amerika. „Ich habe vorerst mit Alexander Dumas abgeschlossen; in Europa ziehen seine Causerien nicht mehr, aber in Amerika läßt sich etwas damit machen. Außer Dumas engagire ich die Déjazet.“ — „Die Déjazet?“ fiel ich erschrocken ins Wort, „dies wider wärtige alte Weib, das mit erloschenem Blick und tausend Runzeln jugendliche Rollen spielt? Vielleicht noch vor 10 oder 15 Jahren . . .“ — „Nein, da hätte ich sie nicht brauchen können; jetzt ist sie 70 Jahre alt (das muß immer auf dem Anschlagzettel stehen), achtzigjährig wäre sie mir für Amerika vielleicht noch lieber. Mein emsigstes Suchen geht aber nach einem ausgezeichneten, berühmten Clavierspieler, der noch nicht in Amerika bekannt ist. Wenn Sie mit mir für sechs Monate nach Amerika gehen,“ fuhr er, zu Schulhoff gewendet, fort, „will ich Ihnen die allerglänzendsten Bedingun gen zugestehen.“ Und wirklich offerirte er eine Summe, mit der man Verwaltungsräthe verlocken könnte. Schulhoff glaubte mit Rücksicht auf seine Kränklichkeit ablehnen zu müssen; er könne nicht für seine Leistungsfähigkeit einstehen und würde oft vielleicht unmittelbar vor dem Concert absagen müssen. „Das thut nichts,“ beschwichtigte Ullman, „das wird Sie dem Publicum nur noch interessanter machen. Man wird Sie für einen noch größeren Künstler halten, wenn Sie manchmal außer Stande sind, zu spielen.“ Ich weiß nicht,

ob Schulhoff diese ebenso scherzhaft vorgebrachten als ernst ge meinten Worte vielleicht noch beherzigen wird. Jedenfalls wer den an seiner Statt Dutzende von namhaften Virtuosen sich mel den zum Eintritt in Ullman’s wilde verwegene Jagd.