Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse No. 1122. Wien, Dienstag den 15. October 1867 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

No. 1122. Wien, Dienstag den 15. October 1867 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 15.10.1867
font-style:italic; font-weight:bold; Deutsch Transkribus OCR und Lektorat. Transformierung der Daten des Transkribus TEI-Export mit "editions.xsl". Formatierung. Alle Daten, Personen, Werke, Orte ediert. Letztkorrektur für Zwischenrelease.
Hofoperntheater. („Iphigenia in Aulis“, von Gluck.)

Ed. H. Nach beinahe sechzig Jahren schritt am 12. Octo ber 1867Iphigenia in Aulis“ wieder über die Bühne des Kärntnerthor-Theaters. Soll man mehr darüber erstaunen, daß dieses in Paris schon im Jahre 1774 mit unerhörtem Er folg gegebene Meisterwerk in Wien so spät erst — am 14. De cember 1808 — zur Aufführung kam, oder daß es zwei Jahre darauf (1810) bereits auf Nimmerwiedersehen von unserer Bühne verschwunden war? Will man der Unempfänglichkeit des Wiener Publicums für Gluck nicht allein die Schuld auf bürden, so muß man daran erinnern, daß hier ein Großer durch einen Größeren verdrängt war. Die Wiener Bevölke rung machte die Bekanntschaft der Aulisʼschen Iphigenia zu einer Zeit, wo ihr Mozartʼs Opern längst in Fleisch und Blut übergegangen waren. Gegen die Farbenpracht der Mo zartʼschen Bilder mußten die reinen, strengen Contouren Gluckʼs blaß und leblos erscheinen, dieselben Contouren, welche zu ihrer Zeit nach Lully und Rameau den Eindruck höch ster Fülle und Lebendigkeit gemacht hatten. Um das Jahr 1808 herrschten in Wien neben Mozartʼs Opern vorzüglich die Novi täten von Méhul, Cherubini, Catel, Lesueur und anderen französischen Componisten. Diese hatten Gluckʼs dramatische Principien in sich aufgenommen, sie musikalisch ge mildert, geschmückt, popularisirt. Einer Zeit, deren Lieblings Componisten auf den Schultern Gluckʼs standen, konnte er selbst unmöglich in seiner wahren Größe erscheinen. Historische Bildung und Auffassung ist eine Errungenschaft unserer Tage; sie hat sich insbesondere im Gebiete der Kunst unendlich erwei tert und vertieft. Wir glauben heute noch wie unsere Groß eltern, daß Mozartʼs musikalisches Genie jenem Gluckʼs unendlich überlegen war, aber wir glauben nicht mehr, daß Gluck dadurch überflüssig geworden und einfach „abgethan“ sei. Bei aller Mozart-Begeisterung erkennen und fühlen wir wieder die eigene Größe Gluckʼs, an dessen strenger Architektur eine

unbefangene Betrachtung sogar Bogen wahrnimmt, welche sich stolzer und großartiger wölben, als bei Mozart. In den ersten vierzig Jahren dieses Jahrhunderts war Berlin die einzige Stadt, welche den Opern Gluckʼs eine consequente Pflege wid mete; es gereicht ihr zur Ehre, trotz Rahelʼs Spott über den „für Gluck auswendig gelernten Beifall“ ihrer Landsleute. Seit den letzten zwanzig Jahren beginnt allenthalben ein leb hafteres Interesse für Gluck zu erwachen. Speciell mit der Iphigenia in Aulis“ gingen Dresden, Karlsruhe, Darmstadt (und neuestens Berlin) voran; in Paris hat man kürzlich Alceste“ aus dreißigjährigem Schlummer erweckt und harrt gegenwärtig der „Armida“. Gluckʼs „Orpheus“ erscheint bereits auf nicht wenigen Bühnen. Wien hat von Gluckʼs Opern die einzige „Iphigenia in Tauris“ nicht gänzlich ver schwinden lassen.

Die uns jetzt wiedergewonnene „Iphigenia in Auliskann füglich als ein erster Theil zu jener unserem Publicum wohlbekannten größten Schöpfung Gluckʼs angesehen werden. Das Gedicht ist eine Umarbeitung aus dritter Hand. Der Ver fasser des Gluckʼschen Libretto (Rollet) hat nämlich Racineʼs gleichnamiges Trauerspiel als Grundlage theilweise wörtlich be nützt. Racineʼs (1674 erschienene) Tragödie ist ihrerseits wieder eine Umdichtung des griechischen Trauerspieles von Euripides, eine Uebersetzung desselben nicht nur in die Sprache, sondern auch in die höfische Empfindungs- und Aus drucksweise des damaligen Frankreich. Den Ausgang bildet überall der hellenische Mythos, daß Agamemnon, durch die Feindseligkeit der Diana und durch göttliches Orakel getrieben, als Heerführer der Griechen seine Tochter Iphigenia opfern soll, um dadurch von den Göttern günstigen Wind zur Fahrt nach Troja zu erhalten. Trotz des Flehens ihrer Mutter Klytämnestra, trotz der Drohungen ihres Verlobten Achil les kniet Iphigenia bereits unter dem gezückten Opferbeil. Da erklärt plötzlich der Oberpriester Kalchas: der Eifer der Griechen und die Tugend Iphigeniaʼs haben den Zorn der Götter versöhnt. Durch ein Wunder entzündet und verzehrt sich der Scheiterhaufen, Iphigenia ist gerettet und ein günstiger Fahr wind bläht die Segel der griechischen Schiffe. Dieser Schluß

des Gluckʼschen Librettos verbessert schon einigermaßen Ra cineʼs Drama, in welchem eine unglückselige Zwischenfigur und Tochter Helenaʼs, Eriphile, anstatt Iphigeniens zum Opfer fällt, worauf diese sich mit Achill vermält. Noch anders und weit poetischer hat Richard Wagner in seiner (der Wiener Aufführung zu Grunde gelegten) Bearbeitung den Ausgang gestaltet, indem er, auf die griechische Mythe zurückgehend, die Göttin Diana erscheinen läßt, welche Iphigenien in einer Wolke zu sich emporhebt und nach Tauris bringt. Das Text buch hat den Vorzug, daß es dem Componisten in ausgepräg ten Gestalten und starken Situationen Stoff zu dramatischer Charakteristik bietet. Gluck hat übrigens ungleich mehr für diese gethan, als der Dichter. Die Personen des Letzteren er scheinen theils schwankend und bedenklich im Handeln, theils thatlos, undramatisch; die Handlung schreitet dürftig, stockend und ohne rechte Höhenpunkte vorwärts, endlich prallt das trei bende Grundmotiv des Ganzen (ein Orakel, welches zu An fang das Opfer will und es schließlich nicht will) an unserer Denk- und Gefühlsweise ziemlich machtlos ab. Im Vergleich zur Taurisʼschen Iphigenia hat die von Aulis den Vortheil größerer scenischer Abwechslung und Lebendigkeit; in jeder anderen Be ziehung stellen wir „Iphigenia in Tauris“ höher. Sie kommt in der Dichtung dem Geiste der Antike ungleich näher und entfaltet in der Musik mehr Reichthum, Eigenthümlichkeit und Tiefe der Empfindung. Die Composition ist freier in melo discher, prägnanter in instrumentaler Beziehung. Wir können den Leser füglich mit den historischen Daten wie mit der musi kalischen Analyse eines monumentalen Werkes verschonen, über das längst so viel Ausführliches und Treffendes geschrieben ist. Im Raume beschränkt, wie wir es diesmal sind, müssen wir selbst die Beleuchtung der allerhervorragendsten Seiten dieser Oper für eine andere Gelegenheit versparen.

Der Eindruck der Gluckʼschen Oper auf die Zuhörer war gewaltiger und unmittelbarer, als wir zu hoffen gewagt. Der Beifall des sehr zahlreichen, ungemein aufmerksamen Publicums steigerte sich in den Hauptmomenten der Oper bis zum Enthusiasmus. Er ist uns ein Pfand dafür, daß Gluck in Wien nicht mehr der Vergessenheit anheimfallen kann.

Wenn „Iphigenia“ vorgestern einen wirklichen, nicht blos einen achtungsvollen Scheinerfolg errung, so hat daran die Be arbeitung von Richard Wagner ein nicht geringes Ver dienst. Sie verräth eine Meisterhand, sowol in ihrem posi tiven Thun als in ihrem Unterlassen. Eine feine conservative Empfindung für das Charakteristische der Vergangenheit und der klarste Blick für das Bedürfniß der Gegenwart haben hier Hand in Hand zusammengewirkt. Wir wissen, daß zahlreiche, auch gewichtige Stimmen gegen jede Modernisirung dieser Art Zeter schreien. Handelte es sich um ein „historisches Concert“ oder um eine Aufführung vor Fachmusikern und Gelehrten, jener Protest wäre im vollsten Rechte. So aber fragt es sich lediglich, ob man redlich beabsichtigt, der Gluckʼschen Musik Eingang und lebendige Wirkung im großen Publicum wieder zugewinnen, oder nicht? Im ersteren Falle halten wir eine mit Verständniß und Bescheidenheit unternommene Bearbei tung nicht nur für erlaubt, sondern für nothwendig. Es macht freilich bessere Figur in der Kritik, über die kleinste Aende rung Wehe zu rufen und jede geopferte Note als unersetz lichen Verlust zu beklagen. Aber ein größeres Verdienst um Gluck erwirbt sich der Praktiker, der mit Aufopferung einiger Aeußerlich keiten eine Gluckʼsche Oper zum Siege führt, als jene Puristen, welche von ihrer classischen Höhe herab lieber zusehen, wie sie durchfällt. Wagner mußte in seiner Bearbeitung nach allen Richtungen thätig sein. Zunächst danken wir ihm die bessere Uebertra gung des Textes aus dem Französischen und damit die eigent liche Wiedereinsetzung der Recitative in ihren wahren Sinn und Gehalt, welcher durch die übliche schlechte Uebersetzung mitunter ganz verloren ging. Sodann verstärkte er die In strumentirung, mit deren Dürftigkeit und Monotonie sich unser Gehör nicht mehr befreunden kann. Einer solchen Nach hilfe bedurfte speciell „Iphigenia in Aulis“, wo Gluck z. B. die Posaunen consequent vermeidet, die er in „Alceste“ und Orfeo“ mit so großartigem Effecte verwendet. Die von Wagner vorgenommenen Kürzungen treffen vorzugsweise die Balletmusik, welche einen großen Raum in allen drei Acten der Original-Partitur einnimmt, sodann die Festchöre mit ein zelnen Strophen des Patroklus, einer Griechin, eines Grie

chen etc. im ersten und zweiten Acte. Zwei Arien der Iphi genia, eine des Achilles, kleinere ariose Sätze des Agamemnon und zahlreiche Recitative sind gestrichen. Von alledem ist nur die Weglassung der Es-dur-Arie Iphigeniaʼs („Adieu! con servez dans votre âme“) zu bedauern; Esser hat sie wie der aufgenommen, hingegen die von Wagner beibehaltenen Arien Iphigeniaʼs (F-dur) im zweiten und des Achilles (D-dur) im dritten Acte gestrichen. Die Zusätze von Wag nerʼs Hand beschränken sich in den beiden ersten Acten auf kleine Orchester-Vorspiele von vier oder acht Tacten. Es be rührt uns eigenthümlich nüchtern und befremdend, ein großes Gesangstück ohne irgend ein Ritornell anheben oder zwei Arien unmittelbar, durch keinen Accord getrennt, auf einander folgen zu sehen; Wagner hat diesen Uebelstand mit geringen Mit teln trefflich beseitigt. So benützt er das rasche Staccato-Motiv (aus dem ersten Griechenchor) als Vorspiel zu diesem Chor und hierauf wieder zur Einleitung in Kalchasʼ Recitativ; manchmal bewirkt er die Ueberleitung einer Nummer zur an deren durch eine einzige Note, z. B. durch das von A-moll nach C-dur führende H vor dem Chore „Que dʼattraits,“ im ersten Acte. Im dritten Acte hingegen mußte Wagner sich eine größere Freiheit und einige wesentliche Zusätze erlauben. Von ihm sind die überaus schönen Abschiedsworte Iphigeniaʼs: „Nun führt zum Altare mich“, sammt dem Nachspiele, dann die ganze Erscheinung der Artemis und der die Oper kraft voll abschließende Ruf des Volkes: „Nach Troja!“ — meister hafte Züge, welche den dramatischen Effect ungemein steigern, ohne sich selbstständig vorzudrängen. Ein vortrefflicher Clavierauszug der Wagnerʼschen Bearbei tung (von H. v. Bülow) ist im Musikhandel erschienen.

Die Aufführung der „Iphigenia“ ist eine der sorgfältigst vorbereiteten und durchgeführten, deren wir uns am Hofopern theater erinnern. Die Sänger sind mit Leib und Seele bei der Sache. Wäre es angesichts der Fremdartigkeit und Schwierig keit der Aufgabe nicht unbillig, einen absoluten Maßstab an zulegen, so müßten wir allerdings gestehen, daß keiner der Mit wirkenden jenen Styl ganz eingehalten habe, in welchem wir

uns Gluckʼs Musik und die griechischen Heroengestalten ge sungen und gespielt denken. Gluck verlangt einen der Antike verwandten dramatisch-declamatorischen Styl, der, groß und gehal ten, sich nirgends an den Moment hingibt, sondern das ganze Gebilde auf einer weit überschauenden Höhe hält. Die Lebens wärme, welche der Darsteller dem Momente einzuhauchen hat, muß vom Mittelpunkte der Leistung ausstrahlen, vom richtig gefaßten dramatischen Charakter aus, sie darf sich nicht an der lyrischen Bedeutung des Momentes entzünden. Trotz der höchsten Erschütterung der Seele sollen diese classischen Gestalten jene erhabene Ruhe behalten, jenen großartigen Schmerz, in welchem Winckelmann vorzugsweise den Adel griechischer Götter bildungen erkennt. Dahin ging das höchste Streben der an tiken Kunst, und davon darf auch die antikisirende der Gluck- Racineʼschen Tragödie sich nicht lossagen. Nichts liegt diesem Style ferner, als die moderne Oper, welche unsere Sänger fast ausschließlich darauf anweist, die subjective Empfin dung vorzudrängen und durch leidenschaftliche Glanzmomente zu wirken. Man muß zufrieden, sehr zufrieden sein, wenn diese moderne Darstellungsweise wenigstens von so wahrer, kerniger Empfindung getragen und in so bescheidene Grenzen gedämmt erscheint, wie es bei unserer „Iphigenia“-Vorstellung der Fall war. Stellen wir uns auf den gegebenen Boden, so müssen wir zuerst Herrn BeckʼsAgamemnon als eine der großartigsten Leistungen rühmen. Selten hat ein so begeisterter Beifall das Theater durchbraust, als nach Beckʼs großer Scene im zweiten Acte. Ein Arie bildet in der Regel den ungünstigsten Actschluß: so gespielt und gesungen wie von Herrn Beck, wirkte die Arie Agamemnonʼs mit der Gewalt eines Finale. Das tönende Erz seiner Stimme, gebändigt durch edlen, fein abgestuften Vortrag, die energische Declamation, das klare und sichere Exponiren der mannichfachen, diesen Monolog durchkreuzenden Gegensätze — Alles wirkte hier zu einem erschütternden Seelengemälde zu sammen. Wenn Beckʼs Meisterleistung uns noch etwas zu wünschen übrig läßt, so ist es eine größere Mäßigung im ersten Acte. Hier würden wir eine gefaßtere, vom Schmerze minder durchwühlte Haltung vorziehen, aus dem Gesichtspunkte des Styls sowol als der dramatischen Oekonomie, nämlich um

für den Höhenpunkt der Rolle im zweiten Acte die nöthige Steigerung frei zu behalten. Die Klytämnestra der Frau Dustmann stand in ihrer imposanten Maske und ergreifen den Darstellung BeckʼsAgamemnon trefflich zur Seite. In ihrem tiefen Studium dieses Charakters hat Frau Dust mann sich nicht auf das Gluckʼsche Libretto beschränkt, das Klytämnestra nur als liebevolle Mutter vorführt; ihre Auffas sung versinnlichte zugleich das stolze, leidenschaftliche Weib, in dessen Seele bereits die Keime des künftigen Verbrechens sprie ßen. Wenn die Aufregung der ersten Vorstellung sich gelegt hat, welche bei Frau Dustmann fast regelmäßig einige Be einträchtigung der Stimmmittel und eine größere Heftigkeit des Spiels hervorruft, wird ihre Klytämnestra eine durchaus voll giltige Leistung sein.

Fräulein Benza, bisher nur im Besitze neben- oder untergeordneter Rollen, bewies als Iphigenia die überraschend sten Fortschritte. Ihre Leistung, anfangs etwas ungleich und unsicher, wuchs mit der Größe der Aufgabe und erreichte im dritten Acte eine ansehnliche Höhe. Laute der tiefsten Empfin dung und ergreifende dramatische Einzelheiten kamen hier zum Vorschein. Ausgesprochenes dramatisches Talent, eine jugendlich kräftige Stimme und eine gewinnende Persönlichkeit versprechen Fräulein Benza eine bedeutende Zukunft. Was ihr mangelt und wonach sie vor Allem zu streben hat, läßt sich in Einem Worte sagen: Mäßigung. Die heftigen realistischen Accente, mit welchen sie so häufig den klaren Spiegel der Tonfluth trübt, sowie das übermäßige Aufbieten der Stimmkraft sind Flecken, die ihre wohl angelegte und lebensvolle Iphigenia noch entstellen, hoffentlich nicht für lange. (Daß Iphigenia nach dem tröstend ruhigen Abschied von ihrer Mutter gefaßt, mit edler Würde dem Tode entgegengeht, nicht aber nach krampfhaftem Einknicken sich besinnungslos hinschlep pen läßt, sollte sich von selbst verstehen, wenn es auch nicht ausdrücklich in Wagnerʼs Partitur stände.) Herr Walter, in dessen Gesang die declamatorische Kunst weniger ausgebildet ist, als der anmuthige Fluß der Cantilene, begegnet im Achilles einer schwierigen und wenig dankbaren Aufgabe. Die Rolle (für jene künstlich in den Alt hinaufge

zwängten Tenorstimmen geschrieben, die man „Haute-contres“ nannte und die jetzt selbst in ihrem Heimatlande Frankreich ausgestorben sind) steht an musikalischer Bedeutung den übri gen Hauptpartien weit nach und ist überdies hier stark zusam mengestrichen. Bei der rühmlichen Sorgfalt, die Herr Wal ter darauf verwendet, dürfte es ihm vielleicht nicht schwer fallen, den Zorn des Achilles künftig mehr noch durch mimische Mittel als durch übermäßiges Forciren der Stimme zu ver sinnlichen. Nennen wir ferner die gelungene Ausführung der kleineren Rollen durch die Herren Draxler, Neumann und Lay, so haben wir — keineswegs noch unsere ganze Schuld abgetragen. Denn ein ganz besonderes Lob gebührt dem exacten Zusammenwirken des Chors und Orchesters (unter Esserʼs Leitung), sowie der trefflichen Mise-en-scène. Iphigenia“ war reich ausgestattet, nicht blos mit schönen Decorationen und Gewändern, sondern auch ausgestattet mit einem lang vermißten Kapital von Geist und künstleri schem Verständniß. Die Wahl der Oper selbst und ihre Be setzung geschah allerdings unter der früheren Direction; sie wurde schon zur Zeit des „artistischen Beiraths“ (1861) von Esser vorgeschlagen. Als Mitglied diese Beiraths war ich mit dem Antrage auf die Einstudierung von GluckʼsArmida“ vorangegangen, welche durch ihren modernen Stoff und ihren scenischen Reiz noch größere Gewähr für einen allgemeinen Erfolg zu bieten schien. Dieser allseitig mit Wärme unterstützte Vorschlag scheiterte jedoch an den Einwendungen der ökonomischen Theaterbehörde, welche in einem ziffermäßigen Zusam menstellung die Ausstattungskosten als momentan unerschwinglich dar stellte. Gestützt auf den großen Erfolg der „Iphigenia“, glaube ich, jene Petition um GluckʼsArmida“ jetzt publicistisch wieder aufnehmen zu dürfen. Aber wer der Vorstellung vom 12. Oc tober aufmerksam gefolgt ist, mußte wahrnehmen, daß ein neuer Geist auf der Bühne walte, und wer den Proben beigewohnt hat, der weiß, daß dieser neue Geist sich Franz Dingelstedt nennt. Die Zeit wird wol bald kommen, wo wir die Thätig keit des gegenwärtigen Directors genauer zu würdigen vermö gen; für heute nehmen wir von der Mustervorstellung der Iphigenia“ gerne den Anlaß, ihn vertrauensvoll und herzlich zu begrüßen.