Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse No. 1165. Wien, Mittwoch den 27. November 1867 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

No. 1165. Wien, Mittwoch den 27. November 1867 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 27.11.1867
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Concerte. (Zweites Philharmonisches Concert. — Joachim und Brahms.)

Ed. H. Componisten, welche sich glücklich auf eine an sehnliche Ruhmeshöhe hinaufgearbeitet haben, pflegen dann außer dem Glanze ihrer Erfindung auch den müheloseren ihres Namens zu nützen und schwächere Jugendwerke zu veröffent lichen, welche früher, ohne den Schutz einer berühmten Flagge, unbeachtet auf hoher See verschollen wären. Das sind Geistes kinder, die nicht sowol dem Namen ihres Erzeugers Ehre ma chen, als selbst durch diesen Namen zu Ehren kommen sollen. Selbst Beethoven, der doch zuerst der wahllosen Vielschrei berei ein Ende gemacht, verschmähte es nicht, von seinem ge sicherten Throne herab zuweilen jugendliche Bagatellen (mit oder ohne diesen Titel) an bittende Verleger auszufolgen. In diesem Punkte gab es kaum ein fleckenloseres Muster von Selbstkritik und Selbstverleugnung, als Felix Mendels sohn. Früh entwickelt und productiv, wie er war, hatte Men delssohn viele größere Jugendarbeiten aufgestapelt, um welche ihn später die Verleger bestürmten und deren günstige Auf nahme zu jener Zeit außer Zweifel stand. Der Meister wider stand aber heroisch; was sein künstlerisches Gewissen nicht als reif und vollgiltig erkannte, gab er nimmermehr an die Oef fentlichkeit. Die im zweiten Philharmonie-Concert zum ersten male aufgeführte C-dur-Ouverture ist ein neuer Beleg für diese Strenge Mendelssohn’s gegen sich selbst. Das Werk stammt aus Mendelssohn’s siebzehntem Lebensjahre und ist erst kürzlich von seinen Erben unter der Opuszahl 101 veröffentlicht worden. Die „Trompeten-Ouverture“ (also genannt nach dem dreimal ausrufenden C der Trompeten zu Anfang und im Verlaufe des Stückes) ist ein interessanter Beitrag zur Entwicklungsgeschichte Mendelssohn’s und eine freundlich überraschende Gabe für Jeden, der mit bescheidenen Erwartungen herantritt. Neben der Klarheit und Logik des musikalischen Gedankens, welche Mendelssohn überall auszeich

nen, weist die Ouverture eine Beherrschung der Form und der Orchestermittel auf, wie sie so früh nur wenige Meister er rungen haben. Sie rauscht in Einem ununterbrochenen Al legrozug schmuck und festlich dahin. Was sie zu sagen hat, ist freilich nicht von besonderer Neuheit oder Bedeutung, sie sagt es auch mit ziemlich vielen Worten. Mendelssohn’s cha rakteristische Physiognomie findet sich hier noch nicht ausgeprägt, höchstens daß der Anfang des Durchführungssatzes in B-dur mit dem leisen Wogen der getheilten Violinen die Romantik der „Hebriden“ und der „Melusine“ vorausspiegelt. Im Gan zen scheint die stark von Mozart’schem Einflusse zeugende Ouverture mehr einer emsigen, ihr Wissen und Können erpro benden Arbeit, als dem Drange der Begeisterung zu entstam men; ja die contrapunktischen Partien des Durchführungs satzes mit ihrer matten Rhythmik und ihrem Rosalien-Ueber flusse haben etwas geradezu Trockenes, Doctrinäres. An Frische und Originalität der Erfindung stehen die jugendliche Ruy-Blas“-Ouverture und selbst jene „für Harmonie-Musikentschieden höher. Immerhin gebührt Herrn Capellmeister Dessoff aufrichtiger Dank für diese interessante Reliquie, desgleichen für eine noch viel ältere Novität, welche er unmit telbar darauf vorführte. Wir meinen Händel’sG-moll- Concert für Streichorchester mit zwei obligaten Violinen und einem Violoncell. Insoweit Händel’s Instrumentalwerke uns den in der Chor-Composition ungleich mächtigeren Meister über haupt zu repräsentiren vermögen, ist das G-moll-Concert ein echter und ganzer Händel. Ohne die Tiefe und den Combina tions-Reichthum ähnlicher Suiten von Bach, besitzt das Werk doch anmuthige und kräftige Ideen in effectvoller Fassung. Es ist das sechste von zwölf großen Concerten, die Händel sämmtlich im Laufe Eines Monats (October 1737), also sehr rasch, geschrie ben und die in England bald größte Beliebtheit erlangten. Dünkt es unserem ernsthaften philharmonischen Publicum nicht seltsam, daß diese Concerte zu Händel’s Zeit als Lieblings nummern in den öffentlichen Concerten von Vauxhall und Marylebone figurirten? Der erste Satz des G-moll-Concertes ist ein sehr ernstes Largo von schöner Breite und Fülle. Es führt

zu einem vierstimmigen fugirten Allegro, dessen chromatisch an hebendes, dann in wunderliche Intervalle gerathendes Thema wol vorzüglich durch seine Eigenart und Schwierigkeit den Com ponisten reizte. Der dritte Satz (der einzige, der die Haupt tonart verläßt) ist eine Chaconne in Es-dur, mit leierartig fortschnurrendem Baß („musette“), ein überaus wirksames, populäres Stück von altfränkisch graziöser Haltung. Nach Burney’s Erzählung war dieser Satz bei dem Componisten wie beim Publicum beständig und vorzüglich in Gunst und wurde von Händel oft zwischen die zwei Theile seiner Ora torien eingeschoben. Dem Wiener Publicum gefiel wider Er warten das kurze darauffolgende Allegro im Drei-Achtel-Tact noch besser, das zur Wiederholung kam. Es wirkt mehr durch die feinen Vortrags-Effecte, als durch besonderen Ideengehalt. Das Concert schließt mit einem energisch einsetzenden Allegro, das mit seiner geringen Modulation und stereotypen Phrasen nicht über eine gewisse conventionelle Stimmung hinauskommt. Das Finale ist von Ferdinand David mit einer Cadenz versehen, die mehr wie ein Ueberbein als wie ein natürlicher Schmuck herauswächst und sehr schwächlich „händelt“, wo sie von dem Recht des Lebenden guten Gebrauch hätte machen können. Das Händel’sche Concert wurde mit unübertreffli cher Feinheit gespielt und mit stürmischem Beifall aufgenom men. Beethoven’sC-moll-Symphonie, deren leuchtendes Antlitz durch einige Sommersprossen in der Horn- und Fagott- Partie nicht entstellt werden konnte, beschloß das Concert, in welchem überdies die Arie der Kunigunde aus Spohr’s Faust“ von Frau Wilt ganz vortrefflich gesungen wurde.

Und nun zu dem zweiten Concerte von Orest und Pyla des, oder, wenn man lieber will, von Joachim und Brahms. Wir wissen, theurer Leser, wie langweilig es sich liest, daß wiederum dieses oder jenes Concert „sehr gut besucht“ war und einen „hohen Genuß“ gewährte. Aber mit dem besten Willen können wir von dem erwähnten Abend-Concerte nicht schreiben, es sei langweilig, barbarisch und glücklicherweise nur von sehr wenig Menschen besucht gewesen. Die Wiener haben eine feine musikalische Witterung und wissen, wo sie ihre

Rechnung finden. Dabei finden auch wieder die Concertgeber die ihrige, und so ereignet sich das seltene Schauspiel von Con certen, welche nicht mittelst einer mörderischen General-Decharge von Freibilletten gefüllt werden und die zartesten Hörerinnen mit den entmenschtesten Kritikern in Einem Gefühle der Freude und Erbauung vereinigen. Das Programm des Concertes konnte vielleicht noch reicher und bedeutender sein — was möchte man nicht Alles gerade von diesen zwei Künstlern vorgetragen hören? Die Ausführung hingegen erfüllte alle Wünsche. Brahms, der diesmal ungleich prägnanter und wirksamer spielte, als im ersten Concerte, gab in der That sein Bestes mit dem Vortrage von drei prächtigen Clavierstücken Sebastian Bach’s. Die elegische Anmuth des „Pastorale“, der ernsthafte und doch so launige Geist der „Gigue“ (dieser frappanten Weissagung auf Schumann), endlich die entfesselte Harmonien fluth der „Phantasie“ wirkten jedes in seiner Weise hinreißend. Wenn Brahms in Tonstücken wie die „Phantasie“ alle Re gister zieht und über einem unabsehbaren, dröhnenden Orgel punkt eine Zauberwelt von Accorden mit „vollem Werk“ er brausen läßt, da ist er geradezu einzig. Auf diesem Felde hat er keinen Nachbar, geschweige denn einen Rivalen. Die Balladen“ von Brahms (op. 10) gehören einer Gährungs- Epoche an, die der Componist bereits hinter sich hat. So charaktervoll der Ausdruck, so geistreich die Clavierbehandlung ist, das Ganze führt doch noch zu viel trübe, ungelöste Ele mente mit sich. Daß die ein großes Publicum gewiß wenig bestechenden „Balladen“ mit einem dreimaligen stürmischen Hervorruf des Componisten ausgezeichnet wurden, ist uns ein guter Maßstab für die Stellung, die Brahms in Wien sich bereits errungen hat. Möchte Brahms nicht einmal die von ihm aufgefundenen und herausgegebenen zwei Stücke von Schumann (Scherzo und Presto passionato) vorführen, welche unserem Publicum leider noch ganz unbekannt sind?

Joachim spielte mit Brahms das „Rondo brillantin H-moll von Schubert, das nach einer sehr stattlichen Einleitung sich ziemlich ungleich fortsetzt und uns weniger be

friedigt, als das jüngst gehörte C-dur-Duo. Ferner Beet hoven’sG-dur-Sonate op. 96. Diese Tondichtung, von allen Violin-Sonaten des Meisters gewiß die tiefste und eigen thümlichste, hat den Beethoven-Auslegern viel zu schaffen ge macht. Lenz, der daraus einen fabelhaften Staub aufwir belt, legt den größten Nachdruck auf den „magyarischen Cha rakter“ des Finale. „Der große Hierophant des Humors“ habe diese Melodie wahrscheinlich auf dem Schloß der Gräfin Erdödy in Ungarn gehört u. s. w. Es wundert uns, noch in keinem Winkel der labyrinthischen Beethoven-Literatur die Bemerkung gefunden zu haben, daß dieses Thema identisch ist mit dem Liede des Jobsen: „Der Knieriem bleibet meiner Treu’“ aus dem „Lustigen Schuster“ von Adam Hiller. Wissentlich hat es Beethoven hier kaum verwendet, denn er ändert den zweiten Theil vollständig; aber unbewußt klang in ihm die Erinnerung an jene Operette nach, die in seiner Jugendzeit ein Lieblingsstück aller deutschen Bühnen war. Es sind den Ungarn bereits so viele Concessionen gemacht, daß wir den „Lustigen Schuster“ unmöglich noch dazugeben können.

Wie herrlich spielte Joachim hierauf „Barcarole und Scherzo“ von Spohr und das Abendlied von Schumann! Das war ein Singen, in dessen reiner, vollendeter Schönheit man schwelgen konnte. Die von leiser Wehmuth angehauchte liebliche „Barcarole“ von Spohr klang unter Joachim’s Bogen zauberhaft. Das „Scherzo“ desselben Meisters be wegte sich edler und natürlicher als bei anderen Virtuosen, die mit gewaltsamem Wohlwollen mehr Humor in das wunder liche Ding bringen möchten, als darin steckt und als der Com ponist überhaupt besaß. Kaum hatte ein zweiter deutscher Componist so wenig Anlage zu Scherz und Heiterkeit, wie Spohr. Seine Scherzos gleichen dem Hofnarren Rigoletto, der sich zu Possen zwingt, während ihm jämmerlich zu Muthe ist. Das von Joachim gespielte Scherzo hat etwas noch rea listischer Schneidendes, Leibschneidendes. So quirlt die forcirte Lustigkeit auf dem Antlitze eines Unglücklichen, in dessen Ein geweide der Teufel gerade eine Tartini’sche Sonate unterm

Steg spielt. Nächst der „Barcarole“ war es das Schu mann’sche Abendlied (Joachim mußte es wiederholen), was den tiefsten Eindruck hervorbrachte. Es waren die schönsten Vorträge Joachim’s, obwol die darauf folgenden „Capricen“ von Paganini hundertmal schwerer sind. Paganini hat uns auf dem Programm Joachim’s ein wenig überrascht, da Letzterer diesen Schöpfer und Schutzheiligen des excentrischen Virtuosen thums sonst nicht öffentlich vorzuführen pflegt. Wem nicht die persönliche Erinnerung an Paganini’s Spiel einen verklären den Schimmer für dessen Compositionen mitgibt, der kann darin nur das Extrem der absolut gewordenen Bravour er blicken. Das Bedenkliche dieser und anderer Paganini-Stücke liegt darin, daß sie selbst von größten Meistern nur beiläufig bewältigt, aber nimmermehr ganz rein, geschweige denn wahr haft schön vorgetragen werden können. Zu viel ist darin gegen den Charakter des Instrumentes gesündigt, als daß es nicht unter dem Bogen seines Bändigers winseln und kreischen müßte. Die Bewunderung für den Virtuosen und das phy sische Unbehagen über die schrillen Töne streiten im Hörer, so daß dieser manchmal mit den zum Klatschen erhobenen Hän den unwillkürlich nach den Ohren fährt. Seine immense Technik bewährte Joachim am glänzendsten in der Pizzicato- Variation und in jener der Terzen- und Septenscalen, die Niemand ihm nachspielt. Die Hetzjagd mit den drei- und vierstimmigen Accorden gegen den Schluß gehört zwar ohne Frage in den Bereich des Wunderbaren, aber vom Wunder ver langen wir, daß es unfehlbar sei. Sehr gern hätten wir von Joachim ein Solo auf der Viola gehört, für welche er selbst eine Reihe interessanter Stücke geschrieben hat. Wäre es nicht in seinen Quartett-Unterhaltungen möglich? Bezüglich dieser Soiréen, welche ein wahres Fest zu werden versprechen, hätten wir noch einen Wunsch, der gewiß kein blos persönlicher ist. In dem Programme ist nämlich Haydn mit zwei Quar tetten bedacht, Schubert hingegen gar nicht. Vielleicht thut Joachim noch nachträglich, was Vater Haydn, falls er noch lebte, zweifelsohne selbst vorschlagen würde.