Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse No. 1205. Wien, Mittwoch den 8. Januar 1868 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2024

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

No. 1205. Wien, Mittwoch den 8. Januar 1868 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 08.01.1868
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Oper und Concert. (Fräulein v. Edelsberg — Virtuosen-Concerte. — Männergesang-Verein.)

Ed. H. Fräulein Philippine v. Edelsberg, königlich preußische Hofopernsängerin, hat in vier Opern: „Faust“, Die Afrikanerin“, „Der Prophet“ und „Martha“, hier gastirt. Die hervorragende Stellung, welche diese Sängerin zuletzt an den Hofbühnen zu München und Berlin einnahm, mußte das Publicum zu bedeutenden Ansprüchen berechtigen, die Kritik dazu verpflichten. Bei ihrem ersten Auftreten in Gounod’s Faust“ hat Fräulein Edelsberg das Publicum ohne Frage kalt gelassen — das Bedenklichste, was einem Gretchen widerfahren kann. Thatsache ist, daß kürzlich eine Sängerin von unberühmtem Namen, schwächerer Stimme und geringerer Ausbildung (Frau Voggenhuber) in derselben Rolle die Zuhörer ungleich stärker bewegte und erwärmt. Fräulein Edelsberg besitzt sehr beachtenswerthe Vorzüge, aber es fehlen ihr — um die Schattenseite gleich jetzt auszustecken — die Jugendfrische der Stimme und die überzeugende Innigkeit des Ausdruckes. Umfangreich darf man ihre Stimme nennen, die, wo es noththut, das hohe C und das tiefe G anschlägt. Doch scheint dieser Umfang weniger ein vollwichtiges Natur geschenk als ein Zwangsanlehen, das der ursprüngliche Mezzo- Sopran nach der Höhe wie nach der Tiefe hin allmälig durch gesetzt hat — zum Vortheil des Repertoires, das bei Fräu lein Edelsberg nahezu universell ist, zum Nachtheil der Klangschönheit. Die Mittellage ist klangvoll, die Töne über G werden mit leiser Vorsicht berührt oder mit Anstrengung gestürmt, das tiefere Altregister klingt etwas hohl und verblasen. Auch Kraft ist der Stimme nicht abzu sprechen; die Töne haben ein großes Volumen, Rundung und Schwere, allein ohne jenen Schmelz, jenes Metall, das sie ohne Zweifel früher besaßen. Die Zeit scheint ihr neidisches Recht an diese üppige Stimme vorzeitig geltend zu machen. Wer kennt nicht schöne Gesichter und Gestalten, über welche der Frühling des Lebens hinweggezogen und die nur um so bedeutender und fesselnder erscheinen? Blos die Stimme büßt den Verlust des Jugendschimmers am schwersten; sie muß uns künstlich überreden, wo man ihr sonst ohne Beweis glaubte. Eines nur vermag diese verlorene Poesie des Klanges theilweise zu ersetzen: die Poesie des Herzens. Leider vermißten wir ge rade diese, die unentbehrliche Innigkeit und Tiefe der Empfin dung an dem Gretchen Fräulein Edelsberg’s. Sie hatte

Alles richtig angelegt, geschickt ausgeführt, selbst geistreich und effectvoll; es fehlte nichts, was eine vollendete Bühnengewandt heit zu liefern vermag; aber es fehlte die Resonanz des Her zens. Ein äußerlicher, aber sehr bezeichnender Zug ist es, daß Fräulein Edelsberg den größten Theil ihrer Rolle, die Mono loge namentlich, direct an das Publicum richtete. Die senti mentalen und naiven Momente ließen kalt, weil ihnen der Zauber der Ursprünglichkeit abging. Auch läßt solch dunkle und schwere Behandlung des Tones die leisen Vibrationen des Gemüthes schwer durchscheinen; die Stimme Fräulein Edels berg’s bewegt sich meist in gleicher Tonstärke, ohne feinere Schattirungen und Modulation. Hingegen wuchs der Erfolg Fräulein Edelsberg’s in dem Maße, als die Rolle zu tragi scher Größe heranwächst. Die Domscene und jene im Kerker brachte sie zu nicht gewöhnlicher Wirkung; freilich mehr noch durch ihr energisches Spiel, als durch die überzeugende Kraft des Gesanges. Das Publicum schied angeregt, anerkennend, aber nicht tiefer berührt. Es schien sich zu sagen, daß hier eine bedeutende Kraft auf heterogenes Gebiet gerathen und daß diese sichtlich auf das Heroische, Hochtragische angelegte Per sönlichkeit sich erst als Fides und Selica in ganzer Größe aufrichten werde. Aus der Vorstellung des „Prophet“ (die wir leider nicht besuchen konnten) rühmen die Journale ein stimmig die effectvolle Mitwirkung Fräulein Edelsberg’s in der Domscene; im Ganzen seien die Stimmmittel der Sän gerin nicht zureichend und der Erfolg nicht größer als jener der ersten Gastrolle gewesen. In der darauffolgenden Auf führung der „Afrikanerin“ feierte den eigentlichen Triumph eine schlanke, schwarzäugige junge Frau, welche seit Kurzem in Brünn (also thatsächlich in der Wolle) sitzt und vordem unter dem Namen Caroline Bettelheim über Nelusko’s Indianer und zahlreiche Wiener eine glorreiche Herrschaft übte. Wie schwierig es sei, unmittelbar nach solchem Flüchtling diese Throne zu besteigen, mußte nach manch Anderen nun auch Fräulein Edelsberg er fahren. In den drei ersten Acten machte sie gar keinen Ein druck; dem fatalen Schlummerliede fehlte die Grazie und Leich tigkeit in noch höherem Grade, als jüngst der Schmuck-Arie im Faust“. Die eigentliche Rolle beginnt gewissermaßen mit dem vierten Acte, hier erst tritt Selica in den Vordergrund der Scene, um sie im fünften Acte ganz allein zu behaupten. Alles, was Selica im vierten Acte an Recitativen und kurzen Ario sos zu singen hat, gehört zu Meyerbeer’s glücklichsten Inspi rationen, bis zu dem Duett-Allegro in Fis-dur, welches, be stimmt, den Gipfel des ganzen Actes zu bilden, leider nur eine Banalität im schlimmsten italienischen Geschmacke gewor

den ist. Fräulein Edelsberg sah im vierten Acte prachtvoll aus, eine wahre Königin in Schmuck, Haltung und Geberde. Sie spielte mit Feuer und phrasirte ausdrucksvoll, nur in dem Liebesduett bereiteten ihr die hohen Töne Anstrengung. Schade, daß die Leistung wieder im fünften Acte abfiel. Die Scene unter dem Giftbaume verlangt, soll sie mehr als blo ses Effectstück sein, die rührendsten Töne eines liebeswunden, resignirten Herzens. Fräulein Edelsberg sang die ganze Mo nodie mit der Aeußerlichkeit einer direct ans Parterre adres sirten Concert-Arie. — Von allen vier Gastrollen erhebt Nancy in Flotow’s „Martha“, die geringsten Anforderungen, und es kann keine Frage sein, ob Fräulein Edelsberg’s Kunst ihnen gewachsen sei. Dennoch konnte die Leistung keine glänzende heißen. Fürs erste ist die Partie für eine entschiedene Altstimme ge schrieben, d. h. sie taucht nicht blos sporadisch um einen oder den anderen Ton in die Tiefe, wie Selica und Fides, sondern bewegt sich anhaltend in einer Region, wo die Stimme der Edelsberg dumpf und klanglos wird. Sodann reagirt die ganze künstlerische Individualität der Sängerin gegen diese muntere, neckische Figur. Haltung und Vortrag waren zu überlegen, zu nachdrücklich, auch hätten wir in Nancy’s verändertem Beneh men gegen Plumkett gern das Keimen einer aufrichtigen Zuneigung gesehen, anstatt dieser Bajonnet-Angriffe einer ge müthlosen Koketterie. Trotzdem war Nancy für Fräulein Edelsberg keine undankbare Rolle, undankbar wäre nur der Zuschauer, der die plastische Schönheit dieser (zum erstenmale producirten) Arme und Schultern nicht würdigte, und die pracht vollen Toiletten obendrein. Im Uebrigen boten die genannten Vorstellungen nichts Neues, als die Neubesetzung der Bertha (im „Prophet“) durch Fräulein Rabatinsky, welche die Rolle vortrefflich gesungen haben soll. Hingegen hat diese flei ßige, vielbeschäftigte Sängerin den Siebel in Gounod’s „Faustum Vortheile des Ganzen an Fräulein Benza zurückgegeben. Fräulein Rabatinsky’s Stimme wie ihre Persönlichkeit ist zu mädchenhaft zart für den enthusiastischen Studiosus und Beschützer Gretchen’s; Fräulein Benza mit ihrer dunkleren Klang- und Hautfarbe und kräftigerem Realismus paßt un gleich besser dafür.

Joseph Joachim hat Wien verlassen. Er nahm Ab schied an dem kältesten Tage dieses Winters; groß war sein Spiel und groß die Kälte im ungeheizten Redoutensaale. Ihm ist das Wunder gelungen, Frierende warm zuspielen und Zähne klappern in Beifallsjubel zu verwandeln. Joachim begann mit seinem noch ungedruckten zweiten Violin-Concert in G-dur. Es wäre vorschnell, über dies ernste und reich ausgestattete

Werk nach dem ersten Hören zu urtheilen; sicher sind wir aber des Total-Eindrucks, daß es an Erfindungskraft und Schwung das „Ungarische Concert“ des Componisten nicht er reicht. In Joachim’s Schaffen ist die Reflexion von Haus aus stark vorwaltend, seine schöpferische Ader fließt weder rasch noch reich, seine Erfindung ist ernst, vornehm, aber von ge ringer Sinnlichkeit und elementarer Kraft. In seinem „Un garischen Concert“, dessen ersten Satz wir sehr hoch stellen, scheint er den Gipfel seiner Begabung erreicht zu haben. In dem G-dur-Concert steuert er mit noch strengerem Bewußt sein zu noch höheren künstlerischen Intentionen, aber das Schiff läuft nur mit halbgespannten Segeln aus. Joachim’s reformatorische Absicht: die frühere, mehr oder minder strenge Scheidung der Solo-Violine vom Orchester aufzuheben und beide zu Einer symphonischen Einheit zu verschmelzen, liegt klar vor Augen. Das Crasseste der älteren Concert-Schablone, deren Orchester entweder nur unterthänigst begleitete oder in lärmendem „Tutti“ das Signal zum Applaus gab, haben schon Beethoven, Men delssohn und Joachim selbst (in seinem ersten Concerte) besei tigt. Diesmal geht Joachim so weit, daß im ersten Satz die Solo-Violine nicht einmal selbstständig einsetzt und schließt, sondern sich gleichsam unterwegs dem Gesang des Orchesters anschließt, ihn mit reichen Gängen umspielt und unmerklich wieder versiegt. Selbst die Cadenz (wenn der Name hier noch zutrifft) wird discret vom Orchester begleitet. Das ganze Werk ist echt musikalisch gedacht und voll geistreicher Details; in der Verwendung der hohen und höchsten Lagen sowie der Doppel griffe (sogar die Melodie erscheint gerne in Octaven) dünkt uns jedoch zu viel des Guten gethan. Am interessantesten wirkt durch die Neuheit der Form (nicht der Gedanken) der erste Satz, am wohlthuendsten das stimmungsvolle, edle Andante in C-moll. Der äußerlich brillanteste Satz, das Finale, dünkt uns in seinem decimenspringenden Thema etwas banal; auch die Durchführung hat mehr Geschwindigkeit als wirkliches pul sirendes Leben. Die Aufnahme des Werkes konnte nicht glän zender sein, und wenn wir sie zur guten Hälfte dem Spieler vindiciren, so kommt Joachim dabei wenigstens nicht zu kurz. Jedenfalls ist das G-dur-Concert eine von den Compositionen, die man wiederholt zu hören wünscht und welche durch nähere Bekanntschaft nur gewinnen können. In Joachim’s Abschieds concert hörten wir auch eine langwierige „Ossian“-Scene von Th. Gouvy, in welcher die effectvolle und feine Tonmalerei des Orchesters werthvoller ist, als die Gesangspartie. Der Beifall schien zumeist der schönen Baritonstimme und dem tüchtigen Vortrage des Herrn Krückel zu gelten.

Kaum hatten Joachim und sein glänzender Rivale in

der Gunst des Publicums, Anton Rubinstein, uns verlassen, als schon ein neuer Virtuose, der Pianist Zarzycki aus Warschau, angerückt kam. In Paris und London gut ange schrieben, hätte der junge Pole zu günstigerem Zeitpunkte viel leicht auch hier mehr durchgegriffen, als es jetzt der Fall war. Kann man es aber unserer Zeit und unserem Publicum ver denken, daß sie auf dem Felde der Virtuosität wirklich nur mehr das Ausgezeichnetste, das künstlerisch Individuelle und zugleich technisch Vollendete mit Wärme begrüßen und hegen? Herr Zarzycki besitzt als Componist wie als Virtuose Talent, aber dies Talent steht nicht auf eigenen Füßen, überhaupt noch nicht auf festen Füßen; es ist schwankend, unfertig. Als Com ponist betreibt er ein fleißiges, reinliches Grasen auf aller Herren Wiesen; als Spieler gibt er Seb. Bach matt und marklos, Schumann wie Chopin hastig und verschwommen wieder. Und doch verfügt Herr Zarzycki über eine respectable Bravour, zu deren rechter Entfaltung nur die bewußte, künst lerische Persönlichkeit noch zu fehlen scheint. Aus Anlaß der Orchester-Concerte von Rubinstein, Joachim, Zarzycki etc. erlauben wir uns die Interpellation an Herrn Capellmeister Dessoff, ob es wirklich gar keine anderen Ouvertüren mehr gebe, als die Cherubini’schen? Man scheint uns seit Jahren für Jahre damit sättigen zu wollen.

Der Wiener Männergesang-Verein gab Sonn tag sein erstes diesjähriges Concert im großen Redoutensaale. Das Programm war geradezu ein Unicum zu nennen: es ent hielt lauter Novitäten. Seltsamerweise vermochte aber kein einziges Stück einen durchschlagenden Erfolg zu erringen; das sonst leicht bewegliche Publicum dieser Concerte kam aus einer gewissen anerkennenden Achtungskühle nicht heraus. Am mei sten gefiel noch Herbeck’sFroher Morgen“ und zwei Reli quien von Schubert. Herbeck’s Composition ist ein von kleinem Orchester begleitetes Sopranlied, zu dessen zweiter Strophe der Männerchor erst leise, dann kräftiger und reicher hinzutritt. Das Ganze, schlicht und stimmungsvoll, gibt den volksthümlichen Ton des Gedichtes sehr glücklich wieder; wir ziehen es ohneweiters den großen, anspruchsvollen Chören vor, deren Bekanntschaft wir im selben Concerte machten. Fräu lein Helene Magnus, über deren sympathischem Stimm chen der gewohnte Schleier noch etwas dichter aufzuliegen schien, sang die Sopranpartie mit jener gemüthvollen Sinnigkeit und musterhaften Deutlichkeit, die wir an ihr hochschätzen. Die beiden Schubert’schen Chöre: „Rüdiger’s Heimkehrund „Sehnsucht“, fand Herr Hofcapellmeister Herbeck unter einem Wust unbeachteter Skizzen und Papier schnitzel aus Schubert’s Nachlaß. Mit dem Finden

allein war die Arbeit aber keineswegs abgethan. Das uns vor liegende Original-Manuscript von Schubert’sRüdiger(vom Jahre 1823) weist z. B. den Gesang vollständig auf, die Instrumentirung aber nur auf der ersten Seite, mit Aus nahme einiger später angedeuteter Eintritte der Bläser. Her beck mußte demnach aus der Physiognomie dieser ersten Seite die ganze Orchesterpartie gleichsam errathen und herauscon struiren. Er hat diese Aufgabe meisterhaft gelöst, nichts Frem des wissentlich hinzufügend, als den Paukenwirbel im Anfang, den wir durchaus nicht vermissen möchten. Nach Schubert’s Ueber schrift des Stückes: „Introduction Nr. 1. Rüdiger, Ritter und Reisige“, sollte dasselbe offenbar die Einleitungsscene einer Oper bilden. Welches Libretto ihm vorlag und ob er mehr davon componirt habe, können wir nicht einmal mit Ver muthungen beantworten. Der einleitende Männerchor: „Auf der Weichsel Silberwogen“, klingt frisch und tüchtig, wenngleich nicht bedeutend; weiterhin bekommt der Weichselchor einen Zopf, nämlich das in ziemlich verblichenem Theaterstyl sich ergehende Tenorsolo, nach welchem die Chorstrophe wieder kräftig ab schließt. Der zweite Schubert-Chor (fünfstimmig): „Nur wer die Sehnsucht kennt“, beginnt mit einem warmen, stimmungs vollen Thema, das nach einem weniger charakteristischen Mittel satz wiederkehrt, schließlich etwas zu oft die Anfangsworte wie derholend. Wir sind Herrn Herbeck für die Bekanntschaft beider Chöre dankbar, wenn sie gleich dem Kranze Schubert’s nur ein unscheinbar Blättchen einflechten.

Zwei Chöre von R. Schumann (aus op. 33) waren von geringer Bedeutung; um diese „Lotosblume“ und den Träumenden See“ zu schreiben, bedurfte es keines Schu mann. Nach Dichtung und Musik gehören beide Chöre über dies zu jener Gattung zitternder Sensitiven-Lyrik, die aus dem Mund von 160 bärtigen Männern stets unnatürlich klingt. Die drei umfangreicheren Chöre mit großem Orchester: „Der Morgen“, von Rubinstein, „Salamis“, von Max Bruch, und „Wächterlied“, von F. Gernsheim, kann man beinahe mit derselben Charakteristik erledigen: breite Anlage, fleißiges Detail, größtes Aufgebot von Orchester- und Stimm-Effecten und in alledem doch ein geringer musikalischer Kern. Alle drei Componisten — von denen Gernsheim an dritter Stelle steht — breiten eine viel zu lange und reiche Decke über ihre kurze Erfindung. Das Publicum, von diesen anspruchsvollen Arbeiten innerlich unberührt, versagte ihnen übrigens nicht die äußeren Zeichen der „Achtung“. Die Herren Herbeck und Weinwurm theilten sich in die Direction des durchwegs mit musterhafter Präcision ausgeführten Concertes.