Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse No. 1219. Wien, Mittwoch den 22. Januar 1868 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2024

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

No. 1219. Wien, Mittwoch den 22. Januar 1868 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 22.01.1868
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Hofoperntheater. („Oberon“, „Figaro’s Hochzeit“. Fräulein Ehnn.)

Ed. H. Nach längerer Pause und mit theilweise ver änderter Besetzung hörten wir „Oberon“ und die „Hochzeit des Figaro“. In beiden Vorstellungen that der Zuhörer wohl daran, sich mehr an die Schönheit der Musik als an den Styl der Darstellung zu halten, welche im besten Falle gelun gene Einzelheiten bot. Auf beiden Opern lastet überdies, dicht wie auf wenigen, der Staub und Rost der Salvi’schen Sce nirung. Man kann von der gegenwärtigen, mit Novitäten vollauf beschäftigten Direction nicht verlangen, daß sie jetzt, in den letzten Tagen unseres ehrwürdigen Opernhauses, die alten Stücke noch neu scenire. Aber im neuen Hause werden sie hoffentlich eine zweite Jugend erleben. Insbesondere ist „Obe ron“ eine der schwierigsten Aufgaben für die Regie. Diese hat hier den Dichter nicht blos ordnend und schmückend zu begleiten, sie muß selbstständig, productiv eintreten, um seinen Fehler nach Möglichkeit zu verbessern. Das Ziel ist würdig und lohnend: die Rettung einer der edelsten Tondichtungen, die je unter dem Gerölle eines verderblichen Librettos seufzte. C. M. Weber war nicht blind für die auffallendsten dieser Fehler, aber es war zur Aenderung zu spät, für die Londoner Aufführung wenigstens, die er um wenige Tage überlebte. „Die Einführung so mancher Hauptschauspieler,“, schrieb We ber an den Textdichter Planché, „die Weglassung der Musik in den wichtigsten Momenten, alles dies nimmt dem „Obe ron“ den Namen einer Oper; es wird ihn für alle übrigen Theater in Europa unfähig machen. Das ist sehr schlimm für mich.“ Für eine Regie von mehr als bloßer Routine öffnet sich hier ein bedeutendes Feld. Nur vorläufig möchten wir die Frage anregen, ob sich nicht Manches von der schö nen Balletmusik aus Weber’s verschollener „Sylvana“ zur Ausstattung pantomimischer Scenen im „Oberon“ verwenden ließe, der gegen den Schluß hin geradezu im Librettosand ver

siegt? Einen glücklichen Staatsstreich bemerkten wir schon in der letzten Vorstellung: die Sultanin Roschane, die sonst mit ihrem Stückchen Dialog regelmäßig dem Gelächter des Publicums verfiel, ist jetzt (gleich der Titania) zur pantomi mischen Figur umgewandelt und einer Tänzerin zugetheilt. Wenn es doch thunlich wäre, auch dem Almansor und dem Babekan, und wie alle diese mahomedanischen Cavaliere heißen, das ewige Stillschweigen aufzuerlegen! Von den Haupt darstellern ist Frau Dustmann als eine vorzügliche Rezia bekannt; sie war an dem Abend allerdings mehr bei Seele als bei Stimme. Dafür war Herr Zottmayer ganz bei Stimme — bei der seinigen leider. Dieser „Hüon von Bordeaux“ ver rieth in Gesang und Spiel ein ausnehmendes, nur zu einsei tig cultivirtes Talent für das Hölzerne, nebst sehr unchristli cher Wahlverwandtschaft mit den genannten Herren Babekan, Almansor etc. In Herrn Lay besitzen wir keinen hervorragen den, aber einen ganz annehmbaren Scherasmin; als einer der wenigen „Sprecher“ dieser Bühne ist er wirklich schätzbar. Fräulein Benza, eine der muntersten Fatimen, deren wir uns hier erinnern, sang zum erstenmal die bisher mit Unrecht weggelassene Arie im dritten Act: „Arabien mein Heimat land“ — eine der schönsten Inspirationen Weber’s. Wir ha ben an ihrem hübschen Vortrage nur auszusetzen, daß sie den Refrain: „Al al al al!“ wiegend und tänzelnd sang, die Fingerspitzen am Schürzensaum, während dieser Ruf doch offen bar das Rößlein der Fliehenden anfeuern soll. Schade, daß der Elfe Puck bis auf das Nothdürftigste zusammengestrichen wird, eine interessante belebende Figur, für welche eigentlich die vereinigten Talente einer Tänzerin und Sängerin zu wün schen wären. Fräulein Gindele gab die Rolle recht sorgfäl tig, aber ohne charakteristische Färbung. Durch ihre muthwillige Hübschheit scheint sie für den „Puck“ wie geschaffen; sie spielte ihn aber nicht mit Laune, sondern mit einem langen feierlichen Lilienstengel in der Hand und einigen Nebenabsichten auf Heiligsprechung im Herzen. Oberon erschien diesmal zur an genehmen Ueberraschung des Publicums in der Person des Herrn Walter, dem die Rolle auffallend viel Spaß zu ma

chen schien. Ueber die Partie Oberon’s war Weber selbst nicht recht einig; wir plaidiren für den vielfach geglückten Ver such, die Rolle in der Sopranlage von einer jungen Dame singen zu lassen.

Die Vorstellung von „Figaro’s Hochzeit“ entbehrte in empfindlichem Grade der Freiheit und natürlichen Sicherheit, welche das musikalische Lustspiel erfordert. Die besten Kräfte unserer Oper sind darin beschäftigt, aber der Conversations- Styl ist nicht ihre beste Kraft. Am fühlbarsten trat dies bei Frau Wilt (Gräfin) hervor, deren Leistung, im Spiel und Dialog ängstlich hilflos, nur den rein musikalischen Maßstab zuließ. Aus dem Gesichtspunkte des Concertgesanges erschien der Beifall wohlverdient, welchen Frau Wilt nach dem Vor trage ihrer beiden Arien erntete. Das Dictir-Duett wurde auch diesmal langsamer und sentimentaler genommen, als sich aus dem Texte oder der Musik rechtfertigen läßt. Herrn Mayer hofer’sFigaro ist sorgfältig studirt und gewandt ausgeführt; der zündende Funke des Humors will aber nicht hervorsprin gen. Den Grafen singt Herr Beck vorzüglich; man setzt sich gern über die geringe Kluft hinweg, die zwischen seinem Spiel und der aristokratischen Eleganz Almaviva’s liegt. Nebst Beck erhielt den lebhaftesten Beifall Frau Dustmann, deren Su sanne als eine sehr hübsche Leistung bekannt ist. Die alte Marcelline, eine lästige Erscheinung in der Oper, bekam dies mal durch Fräulein Benza einen belebenden Anflug von Humor; das Mädchen ist eine geborne Schauspielerin. Im Oberon“ wie in „Figaro’s Hochzeit“ gehörte ein reichlichster Antheil an dem Erfolg und Applaus unserem bewährten Or chester, das sich besonders zusammenzunehmen scheint, wenn Esser’s milder, magistraler Ernst leitend und theilnehmend über dem Ganzen waltet.

Fräulein Bertha Ehnn, nunmehr Mitglied des Hof operntheaters, sang den Pagen als zweite Antrittsrolle. Die junge Künstlerin bewährte ihr schönes Darstellungstalent, ohne jedoch strengeren Anforderungen bezüglich der Gesangstechnik zu genügen. Die Verbindung der Töne, die Oekonomie des Athems waren nicht tadellos, die Intonation der höheren Töne

häufig zu tief. Die nicht große, aber jugendfrische, sympa thische Stimme wird leicht in der Höhe bei einigem Nachdruck schrill. Der Verstand lehrt Fräulein Ehnn stets die richti gen Umrisse, die Empfindung liefert ihr beredte und schöne Farben, aber von dem fertigen Bilde wird Niemand sagen: Das hat ein Meister gemalt. Es fehlt die Sicherheit im Technischen. Und Mozart’sche Musik ist es vor Allem, die wie ein unbarmherziger Mittagssonnenschein die kleinste Lücke, den leichtesten Flecken der Gesangskunst offenbart, Mängel, die in der romantischen Dämmerung moderner Opern kaum merk bar sind. Da kann die wankende Kunst sich an einem Wald von Contrasten und Effecten jederzeit anhalten. Man konnte das im Faust“ und in der „Afrikanerin“ wahrnehmen. Für das Gret chen sind Jugend und Spieltalent, Schwung und Wärme der Em pfindung so entscheidend, daß eine mit diesen Gaben ausge stattete Sängerin leicht ein reizendes, mitunter hinreißendes Bild davon ausführen wird — und das ist Fräulein Ehnn’s Gretchen. Ihr Ausdruck ist warm und wahr, namentlich in der Gartenscene von überzeugender Innigkeit. Dazu kommt eine überraschend freie und bezeichnende Action und eine wohl thuend deutliche Aussprache. Vor der Gefahr des Zuviel-Spie lens möchten wir Fräulein Ehnn beizeiten warnen und bei spielsweise an das zu häufige unschöne Benetzen der Finger am Spinnrade, an das übertriebene Paradiren und Liebäugeln vor dem Spiegel (bei Faust’s Eintritt) und Anderes erin nern. In der „Afrikanerin“ stieß der Gesang schon häufiger auf Klippen, namentlich im Schlummerlied und der zweiten Hälfte der Sterbescene; der forcirte Klang und die zu tief schwebende Intonation der hohen Töne machten sich empfind licher bemerkbar. Fräulein Ehnn spielte die Selica sehr gut und fand für manche, oft aus wenigen Worten bestehende Stelle einen überraschend wahren und eigenen Ausdruck („...so sterb’ auch ich“ — zu Nelusko; „die Verachtung“ — zu Vasco im vierten Acte u. A.). Zur vollen Wirkung des Dra matischen fehlt dieser Selica vielleicht nur das Impo sante der Persönlichkeit. Die Individualität Fräulein Ehnn’s dürfte in Rollen „di mezzo carattere“ und in der Spiel

oper ihr eigenstes Feld finden. Ihr gewandtes, munteres Spiel als Cherubin spricht ganz dafür, wenn auch die heraus fordernde Indolenz, mit welcher der vom Grafen entdeckte Cherubin im Lehnstuhle sich reckelt, kaum richtig ist. Für dies mal müssen wir uns auf diese wenigen, von der Oberfläche der ersten Bekanntschaft abgeschöpften Bemerkungen beschrän ken; ein Talent wie Fräulein Ehnn will in einem größeren Rollenkreise und öfter gehört sein, um mit Sicherheit abgeschätzt zu werden. Der hochgehende Enthusiasmus, mit dem Fräulein Ehnn im Sommer hier gefeiert wurde und dessen Wogen bis ins Marsfeld hinüberspritzten, unsere österreichische Colonie allarmirend, er ist uns, offen gestanden, bis jetzt nicht völlig gerechtfertigt erschienen. Es wird Alles davon abhängen, ob Fräulein Ehnn die Mängel ihrer Gesangstechnik durch ernstes Studium beseitigen und so die Erwartungen vollständig er füllen werde, zu welchen ihre glänzenden Anfänge berechtigen. Vor ihrem Talente aber haben wir einen zu großen Respect und an dessen Aeußerungen ein zu lebhaftes Vergnügen, als daß wir nicht jetzt schon das Engagement der jungen Künst lerin als einen Gewinn für unsere Oper schätzen und begrüßen sollten.