Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse No. 1225. Wien, Dienstag den 28. Januar 1868 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2024

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

No. 1225. Wien, Dienstag den 28. Januar 1868 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 28.01.1868
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Musik. („Figaro’s Hochzeit“. — Fräulein Edelsberg als Fides und Valentine. — Concerte.)

Ed. H. Mozart’s Geburtstag (27. Januar) wurde im Hofoperntheater durch eine Wiederholung von „Figaro’s Hoch zeit“ gefeiert. Nachdem die gegenwärtige Besetzung dieser Oper vor Kurzem besprochen wurde, gestattet man mir wol heute einige allgemeine Bemerkungen. Sie sind der Nachhall eines persönlichen Erlebnisses, nämlich einer Aufführung von Beaumarchais’ Lustspiel „Le mariage de Figaro“, die ich im Sommer in der Comédie Française sah und deren Bild mich nun Scene für Scene die ganze Mozart’sche Oper entlang verfolgt hat. Aus der bloßen Lectüre dieses be rühmten Stückes bildet man sich kaum eine Vorstellung von der geistig berauschenden Wirkung, die es von der Bühne herab hervorbringt. Diese Erfahrung kann man nur noch in Paris machen, wo der „Barbier von Sevilla“ und „Figaro’s Hochzeit“ von Beaumarchais — Lustspiele, die zu der besten aller Zeiten gehören — niemals vom Repertoire ver schwunden sind. In Deutschland hatte man beide Stücke aus politischer Aengstlichkeit vom Theater möglichst ferngehalten; wo sie dennoch zur Aufführung kamen, wurden sie bald durch die siegreichen Opern-Bearbeitungen von Mozart, Pai siello und Rossini für immer verdrängt. So sehr die so cialen Zustände sich seit Beaumarchais geändert haben, die demagogischen Blitze, die aus seinen zwei Figaro-Comödien zucken und einst die Welt in Brand stecken halfen, sie schla gen in Paris noch immer prasselnd ein. Dem deutschen Thea ter-Besucher, der den Melodien des Mozart’schen „Figaroandächtig lauscht, fällt es kaum mehr in den Sinn, welch merkwürdige politische Rolle das französische Urbild dieser Oper einst gespielt. Schon das erste (1775 aufgeführte) Lust spiel von Beaumarchais: „Le barbier de Séville“, wol das ergötzlichste Intriguenstück seit Molière, war eine demo kratische That. Während sonst auf der Bühne wie im Leben regelmäßig die Niedriggeborenen gefoppt und verspottet wur den, wendet sich hier plötzlich das Blatt, ein simpler Barbier leitet keck die Fäden der Intrigue und triumphirt durch seine geistige Ueberlegenheit über die Reichen und Großen. Dieses Thema des Widerstandes, im „Barbier“ mehr angedeutet und präludirt, bricht nun in „Figaro’s Hochzeit“ in vollen

Accorden los. „Une folle journée, ou: Le ma riage de Figaro“ wurde im Jahre 1781 vollendet und eingereicht, aber erst nach dreijährigem unausgesetzten Kampf gegen zahllose Verbote und Hindernisse gelang es Beau marchais, die Comödie zu Aufführung zu bringen. Natürlich war ganz Paris in fieberhafter Spannung und belagerte am Tage der ersten Vorstellung (27. April 1784) das Théâtre Français vom frühen Morgen. Vornehme Damen aßen ihr Mittagbrot in den Logen und Garderoben der Schauspielerin nen, um frühzeitig auf ihre Plätze zu gelangen. Das Stück spielte von halb 6 bis 10 Uhr, eine bishin unerhört lange Dauer. Der Erfolg war stürmisch. „Die Hochzeit des Figarowurde durch 68 Abende nacheinander gegeben und hat in acht Monaten dem Theater an 300,000 Francs, dem Autor über 40,000 Francs reinen Gewinn getragen. Der Grundgedanke der socialen Gleichberechtigung und der Ueberlegenheit des Geistes ist mit glänzendem Witz und rücksichtsloser Kühnheit entwickelt. Es ist eine treffende Bemerkung von St. Beuve, daß die damalige Gesellschaft ihren Untergang nicht in dem Grade verdient haben würde, hätte sie nicht an dem Abende und hundertmal nacheinander mit Entzücken dieser frechen Ver spottung ihrer selbst beigewohnt. Noch unbegreiflicher bleibt, daß der Hof selbst das Stück 1785 in Petit-Trianon spielte; die Königin gab die Rosine, der Graf v. Artois den Figaro. Beaumarchais’ „Figaro“ war aber, wie sich Napoleon spä ter ausdrückte, „la révolution déjà en action“.

Mozart (oder sein Textdichter L. da Ponte) folgt dem Gange des französischen Lustspiels mit merkwürdiger Treue. Wenn der Vorhang im Théâtre Français auffliegt und wir Figaro mit dem Zollstab das Zimmer ausmessen sehen, wäh rend Susanne vor dem Spiegel ein kokettes Hütchen probirt, so glaubt man unwillkürlich, die Beiden würden das Mozartsche Duett anstimmen. Wir hören in der That dessen Worte, wenn auch nur gesprochen. Bartholo und Marzelline treten hierauf ein, zwischen dieser und Susanne entbrennt der Zwei kampf mit immer tieferen Knixen und spitzeren Worten. Che rubin klagt Susannen sein Herzeleid, entwendet das rothe Seidenband, versteckt sich hinter den Lehnstuhl beim Eintritt des Grafen u. s. f. — Alles wie in der Oper. Der zweite Act beginnt mit dem Gespräche zwischen der Gräfin und Susanne, welche schließlich den bittenden Cherubin introducirt. Wäre nicht Mozart’s Pagen-Romanze so vollendet in ihrer Art, man müßte bedauern, daß er das wunderbar volks

thümliche Originalgedicht nicht beibehielt, dessen Rhythmus schon Musik ist, und sehr herzklopfende obendrein. „Auprès d’une fontaine, (Que mon coeur, que mon coeur a de peine!) Songeant à ma marraine, Sentais mes pleurs couler etc.“ Im dritten Acte nimmt den breitesten Raum die Proceßscene ein, eine beißende Satyre auf theils lächerliche, theils gewis senlose Jurisdictionsformen. Diese unmusikalischeste Partie des Lustspiels erscheint in der Mozart’schen Oper sehr gekürzt, so daß der dritte und vierte Act Beaumarchais’ in den dritten von Mozart zusammengezogen sind. Der letzte Act bringt hier wie dort übereinstimmend das Intriguenspiel der Verkleideten im Garten, dies tolle Hinüber und Herüber, das schließlich einer bequemen Erhellung und Versöhnung Platz macht. Der lange Monolog Figaro’s zu Anfang dieses Actes ist vielleicht das merkwürdigste Stück in dem Werke von Beaumarchais. Figaro, im Dunkel auf einer Steinbank sitzend, harrt Su sannens, von der er sich betrogen wähnt. In dieser Pein des Wartens läßt er seine ganze Vergangenheit in raschen Bildern vor seinem Geiste Revue passiren. Wie er als elternloser Find ling überall gegen Härte und Vorurtheil gekämpft, alle Ge werbe, Künste, Beschäftigungen nacheinander versucht, überall den von Geburt oder Protection Bevorzugten weichen mußte, trotz Fleiß und Talent dem Hunger und durch freisinnige Reden dem Kerker verfiel, bis er in das Haus des Almaviva gekommen, wo ihn jetzt der Strudel der Intrigue zu Boden reißt. Diese dunkle Lebensgeschichte, bald erhellt durch lustige Witzfunken, bald durch die rothen Blitze eines grollenden Hu mors, ist für sich ein kleines Drama, der Ernst des ganzen Stückes concentrirt sich darin.

So sehen wir alle Figuren und Scenen Beaumarchaisin unserer gesungenen „Hochzeit des Figaro“ treulich beibehal ten, ja wie an der Fensterscheibe nachgepaust. Aber das Beste und Eigenthümlichste des Originalstückes ging verloren: der beispiellos schlagfertige und von einer bestimmten politischen Idee getragene Dialog. Dieser Dialog ist bei Beaumarchais ein unausgesetztes geistiges Turnier, in welchem die geschicktesten Stöße immer noch geschickter parirt und zurückgegeben werden. Die zahlreichen epigrammatischen Spitzen des Lustspiels sind in Frankreich sprichwörtlich geworden. Die Musik muß sie fal len lassen, was sollte sie auch damit? Man dehne eines dieser witzigen Apercus zu einer Dauer von vier bis fünf Secunden

aus, wie sie die Musik braucht, und es wird langweilig. (Wie ungeduldig macht uns z. B. in der Oper die Wiederholung von: „Er ist sein Vater, er sagt es ja selbst.“) Mit dem geistvollen Dialog ist diesem Lustspiele die Hälfte seiner Bedeu tung und Anziehungskraft genommen; in die andere Hälfte theilen sich die Charaktere und die Handlung. Was die Charaktere betrifft, so erfuhren sie eine nothwendige Alteration schon durch das Wesen der Musik, welche Witz und Reflexion zu Gunsten der sich ausbreitenden Empfindung zurückdrängt. Man muß Coquelin als Figaro, die beiden Schwestern Brohan als Susanne und Gräfin gesehen haben, um den ganzen Ab stand zu ermessen. Am meisten litt durch die Opernbearbeitung die bedeutende Physiognomie Figaro’s; am wenigsten der Page Cherubin, für dessen süße, morgendämmernde Regungen die Musik Farben besitzt, welche dem Dichter mangeln oder doch diesem Dichter mangelten. Bartolo, Basilio, Antonio, Don Curzio, Marzelline, Fanchette sind auch im Original keines wegs Hauptrollen, aber sie expliciren sich doch in einigen er götzlichen Gesprächen, man weiß, wer sie sind und was sie wollen. In der Oper hingegen stehen sie nur im Wege und bringen eine lästige Buntheit und Unruhe in die Scene, ohne irgendwie unsere Theilnahme zu erregen. Von BeaumarchaisLustspiel bleibt somit in dem Opern-Libretto nicht viel mehr als die sauber abgeschälte Hülse des Factischen: die Handlung. Sie allein hätte kein Lustspiel berühmt gemacht. Der Oper bietet sie neben einigen wirksamen Situationen auch sehr un günstige und schwierige. Dahin gehören fast alle Scenen, welche die Handlung vorwärtsschieben und motiviren, wie der Proceß Marzellinens, das Erkennen Figaro’s als Bartolo’s und Marzellinens Sohn u. dgl. — sie sind in der Oper ge radezu unverständlich.

Vielleicht hätte Mozart von den beiden Figaro-Stücken Beaumarchais’ den „Barbier von Sevilla“ zur Composition gewählt, wäre nicht Paisiello (1784) ihm hierin mit Glück zuvorgekommen. Der „Barbier“ bietet der Musik ein ungleich günstigeres Feld, die lyrischen Elemente walten vor, die Hand lung ist einfacher, gemüthlicher. Es war ein bedeutsamer Fin gerzeig, daß Beaumarchais selbst den „Barbier“ ursprünglich als Opern-Libretto geschrieben hatte, was ihm mit „Figaro’s Hochzeit“ kaum beigefallen wäre. Die Vergleichung des Mo zart’schen Librettos mit dem Original-Lustspiel macht erst recht deutlich, welch schwierige Aufgabe dem Tondichter zuge fallen war und wie Außerordentliches er durch die eigenste

Kraft seiner Kunst geleistet. Die reine Schönheit der Mo zart’schen Musik hat das Libretto mit einem idealen Geiste er füllt. Aber der Geist Beaumarchais’ ist es nicht. Mo zart’s „Figaro“ dünkt uns überhaupt mehr das Ideal einer vollkommen schönen Musik, als einer eminent komischen Oper. Alles Lustspielmäßige, Komische darin läßt sich wirksamer, sprudelnder denken. Mozart’sdeutscher Sinn beschwichtigte lieber die Buffo-Elemente und bevorzugte die ruhigen, senti mentalen. Seine volle Resonanz findet Beaumarchais’ Conver sationston doch wol nur in romanischem Blut. Deßhalb meinte ein scharfsinniger Schriftsteller vor 50 Jahren, eine Hochzeit des Figaro“ in echt Beaumarchais’schem Geist hätte eigentlich von Paisiello und Cimarosa ge meinschaftlich componirt werden müssen. Von Rossini und Auber, würden wir heutzutage richtiger sagen. —

Die musikalische Ausbeute der letzten Woche war, der Faschingsstimmung angemessen, nicht sehr reichlich. Das Phil harmonie-Concert vom 26. d. M. spendete zwar keine neuen Compositionen, brachte aber die bekannten (besonders Lachner’sE-moll-Suite) durch eleganteste Ausführung zu voller Geltung. Frau Wilt sang mit kräftiger Stimme, aber etwas larmoyantem Vortrage die E-dur-Arie der Ilia aus Mozart’s „Idomeneo“, deren langer und langsamer Honigfluß unser Ohr bald so sehr übersättigt, daß es, wie Tannhäuser im Venusberge, förmlich „nach Bitternissen“ schmachtet. — In der letzten Quartett-Soirée gefiel eine von den Herren J. Rubinstein und Hellmesberger gespielte „Suite“ von Karl Goldmark noch entschiedener, als bei ihrer ersten Auf führung vor zwei Jahren. — Indessen setzt Fräulein Phi lippine v. Edelsberg ihr Gastspiel im Hofoperntheater mit günstigem, ja sich steigerndem Erfolge fort. Das Publi cum scheint, wie dies oft bei neuen Erscheinungen geschieht, mit den Eigenthümlichkeiten der Künstlerin allmälig vertrauter und für ihre Vorzüge wärmer geworden zu sein. Die letz ten Vorstellungen des „Prophet“ und der „Hugenottenhaben dies dargethan. Zwar erheischen Fides und Va lentine, die eine Rolle nach der Tiefe, die an dere nach Höhe des Umfangs hin kräftigere Stimmmittel, Fräulein Edelsberg hat aber in den meisten Scenen durch ihre effectvolle Darstellung darauf vergessen gemacht. Als Fides erzielt Fräulein Edelsberg schon durch ihre Maske einen be deutenden Eindruck; in dem dunklen faltigen Kleide, den wei ßen Schleier um das Haupt, gleicht sie in ruhigen Momenten

einer Mater dolorosa von Tizian. Im Einklange damit standen ihre ausdrucksvollen und plastischen Bewegungen, ins besondere in der Domscene. Hier gipfelte jener Vorzug, der uns bei der Edelsberg am meisten imponirt: ihre genaue Kennt niß und Beherrschung der Bühne. Mit welcher Sicherheit und Freiheit waren die Pausen mit stummem Spiele ausgefüllt! Als Valentine fiel Fräulein Edelsberg schon im zweiten Acte durch vornehme und geschmackvolle Repräsentation auf. Im Duette des dritten Actes änderte sie wohlweislich die selten ge lingende und niemals schöne Stelle mit dem lang ausgehaltenen hohen C, das dann wie eine müde Sternschnuppe herabfließt. Alle Valentinen, welche dieses Kunststückes nicht mit vollkom menster Leichtigkeit und Sicherheit gewiß sind, sollten es ruhig umgehen; der Zuhörer steht, wie wir versichern können, keine kleine Angst dabei aus. Im vierten Acte war Fräulein Edels berg allerdings mehr äußerlich effectvoll, als innerlich tiefbewegt und rührend, allein auch hier erreichte ihre farbige Darstellung, ihr Talent des „Machenkönnens“ das gewünschte Ziel. Fräu lein Edelsberg wurde nach dem vierten Acte mit Herrn Adams (der ihr als Raoul wacker zur Seite stand) dreimal gerufen.