Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse No. 1235. Wien, Freitag den 7. Februar 1868 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

No. 1235. Wien, Freitag den 7. Februar 1868 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 07.02.1868
font-style:italic; font-weight:bold; Deutsch Transkribus OCR und Lektorat. Transformierung der Daten des Transkribus TEI-Export mit "editions.xsl". Formatierung. Edition aller Personen, Werke, Orte, Daten. Letztkorrektur für Zwischenrelease.
Romeo und Julie“ von Gounod (Erste Aufführung im Hofoperntheater am 5. Februar d. J.) I.

Ed. H. Die neueste Oper von Gounod ist hier mit einem Effect gespielt und mit einer Wärme aufgenommen worden, wie sie der persönlich anwesende Componist nur wün schen konnte. Das Publicum hatte große Erwartungen an das Werk, aber auch eine große Vorliebe für den Tondichter mitgebracht. Ist doch seit den „Hugenotten“ keine Oper so entschiedener Liebling des Wiener Publicums geworden und geblieben, wie GounodʼsFaust“. Gerade vor sechs Jahren (am 2. Februar 1862) hielt „Faust“ seinen Einzug in Wien, mit einer Wirkung, deren bis heute ungeschwächte Kraft den Triumph jenes ersten Abends an Werth noch überbietet. In gleicher Weise eroberte und behauptet „Faust“ auf allen ande ren Bühnen das Feld. Deutschland insbesondere begrüßte GounodʼsFaust“, trotz mancher Schwächen und Flecken, freudig als eine der liebenswürdigsten Opern-Productionen un serer Zeit, als ein Werk, das in glücklicher Verbindung deut schen und französischen Musikstyles neben glänzendster Technik einen feinen Geist, ein echtes, warmes Gemüth offenbart. Es leuchtet von selbst ein, daß der Sänger des Liebesduettes im Faust“ sich unwiderstehlich angelockt fühlen mußte von der Tragödie, „die die Liebe selbst geschrieben“, von Shakespeareʼs Romeo und Julie“. Für die musikalische Eignung dieses Gedichtes braucht Gounod nicht erst zu plaidiren, das thut die Musikgeschichte, indem sie ein gutes Halbdutzend „Romeo“- Opern verzeichnet. Auf eine Vergleichung derselben mit Gou nodʼs Werk müssen wir hier verzichten, schon deßhalb, weil solche Versuche ohne Notenbeispiele ihren besten Werth verlie ren. Nur einige Punkte möchten wir berühren, welche nicht blos Gounodʼs Arbeit, sondern die verschiedene Auffassungs weise ganzer Literatur-Perioden, sowie den großen Fortschritt beleuchten, den unsere Zeit in dem dramatischen Theile der Opernmusik gemacht.

Bendaʼs dreiactige Oper „Romeo und Julie“, vor nahezu 100 Jahren ein Lieblingsstück der Deutschen und von Forkel hoch über die Gluckʼschen Opern gesetzt, ist das rich tige „deutsche Singspiel“. Sie beschäftigt nur vier singende Personen, verwendet sehr viel gesprochenen Dialog, hat weder Finales noch größere Ensembles, nur einen kurzen Chorsatz zum Schluß. Die Oper beginnt gleich mit der Arie Juliens vom „flammenhufigen Gespann“ und dem Liebesduett, das Gounod im vierten Acte bringt; alles Frühere schien also dem Componisten unbrauchbar. Außer dem Liebespaare hören wir blos Capulet (kleine hohe Bariton-Partie) und Laura, eine verjüngte „Amme“ in Soubretten-Format, welche Arien wie „Ehrlichkeit und Treue sind mein höchstes Gut“ vorträgt. In der Schlußscene erwacht die scheintodte Julie, bevor Romeo Gift genommen, die Beiden umarmen sich unter den Glück wünschen der herbeieilenden Verwandten und empfehlen sich als Verlobte. Im dramatischen Ausdrucke, namentlich der Reci tative, steht das alte Bendaʼsche Singspiel immer noch höher als die italienischen Bearbeitungen von Zingarelli (1796), Vaccaj (1826) und Bellini (1830). Die Existenz dieser Opern ruhte auf zwei bis drei süßen Melodien, ihren Erfolg verdankten sie den größten Gesangskünstlern und schönsten Stimmen Italiens. Wie diese Componisten mit Shakespeareʼs Tragödie umsprangen, ist schmählich; sie war ihnen ein Nagel wie ein anderer, Cantilenen und Triller daran aufzuhängen. Das wälsche Kleeblatt dachte offenbar wie der Musikant in Shakespeareʼs „Romeo“: „Meiner Treu, die Sachen könnten besser aussehen, aber sie klingen doch gut.“ Außer den beiden Liebenden und Capulet haben die italienischen Componisten aus Shakespeare nur noch den „bestimmten Bräutigam“ eingeführt; Bellini fügt den „Arzt“ Lorenzo als kleine Nebenrolle bei. Die Rolle des Romeo schrieben sowol Zingarelli als Vaccaj und Bellini für eine Sopranstimme; die Musik dieser drei lyrischen Tragödien besteht fast durchwegs aus weibisch-süßlichen Melodien, die sich unter einer Schmucklast von Trillern und Passagen wiegen. Bei Zingarelli liegt die musikalische Charakteristik noch so sehr in der Kindheit, daß man seine Romeo“-Ouverture vor jeder komischen Oper spielen könnte.

Der schwächste Componist besitzt heutzutage ein feineres Ge fühl für den charakteristischen Ausdruck, als es damals Cele britäten wie Zingarelli besaßen. BelliniʼsMontecchi und Capuletti“, allerdings reicher und ausdrucksvoller als die Opern jener beiden Vorgänger, sind im unbestrittenen Besitze der Preismedaille für musikalische Langweile und Charakter losigkeit. Wie ernst und edel steht Gounod da gegen jene drei auf Juliens Grab unter Rosenbüschen girrenden Turtel tauben! Man braucht nur Gounodʼs Personen-Verzeichniß anzusehen (Mercutio!), um den fundamentalen Unterschied und den dramatischen Fortschritt zu bemerken, welcher seine und die gegenwärtige Opernauffassung überhaupt von jenem älteren Verfahren trennt.

Ob man in Deutschland abermals gegen Gounod das crimen laesae majestatis an Shakespeare aussprechen wird, wie früher an Goethe? Wir könnten auch diesmal den An klägern nicht beitreten. Zu allen Zeiten war die Tragödie gro ßer Dichter ein unangefochtenes Stoffgebiet für die Componi sten; von Profanation möchten wir nur sprechen, wo Dramen so geistlos, willkürlich und frivol zersungen wurden, wie die Schillerʼschen durch Verdi. Triviale Musik ist dasjenige, was profanirt. Uebrigens hat man bisher kein einziges Bei spiel, daß eine Opernmusik, sei sie die beste oder die schlech teste, ihr classisches Original verleidet oder verdrängt hätte. Vorzuziehen wäre es freilich, wir hätten Textdichter von hin reichend schöpferischer Phantasie, um neue Stoffe für die Oper zu gestalten; da aber auf diesem Gebiete die Erfindung versiegt scheint, muß man sich mit der Geschicklichkeit zu friedenstellen, welche Dramen von bedeutendem Inhalte und populärer Wirkung für den Tondichter nachzubilden versteht. Geschicklichkeit und literarischen Anstand muß man der Bear beitung „Romeoʼs“ von Barbier und Carré nachrühmen. Man kann dem Libretto und der Musik gar Manches vorwer fen, nicht aber den Librettisten oder dem Compositeur, daß sie Shakespeare für frivole Effecte blos ausbeuten wollten. Sie hielten sich möglichst treu an das Original. Die einzigen nen nenswerthen Zusätze sind der „Page“ (eigentlich eine Umwand lung des Bedienten Balthasar) und die Hochzeitsfeier Juliens

mit Paris im vierten Acte. Der Page war nothwendig, um eine Sopranstimme für die Ensembles zu gewinnen, das Hoch zeitsfest, um zwischen die traurigen Scenen des vierten Actes und die Todtengruft im fünften Acte ein halbwegs erfrischen des Bild einzufügen. Bemerkenswerth ist schließlich die Aende rung, daß bei GounodJulie, im Sarge erwachend, ihren Romeo noch am Leben trifft, während sie ihn bei Shakespeare bekanntlich bereits todt zu ihren Füßen hingestreckt findet. Den englischen Dichter leitete ein tiefes und zartes Gefühl bei die sem Schlusse, aber für den Musiker ist er unmöglich. Ohne ein letztes Schlußduett zwischen Romeo und Julie kann keine Oper dieses Namens existiren, wie denn auch Gounodʼs Vor gänger, Zingarelli, Vaccaj, und Bellini, die gleiche Abänderung vornahmen und vornehmen mußten. Uebrigens ist auch in Shakespeareʼs Tragödie gerade dieser Ausgang vielfach angefochten worden; Weisse behauptete sogar (in seiner Ueber setzungs-Vorrede), Shakespeare müsse nach einer schlechten Ueber setzung der Original-Novelle gearbeitet haben, welche die Haupt-Katastrophe — das Erwachen Juliens, während Romeo noch lebt — vergessen habe.

Welchʼ reiche musikalische Quelle aus dem Shakespeareʼ schen Gedichte fließt, bedarf keines Nachweises. Aber auch be denkliche Nachtheile für die Opernwirkung überkommt der Com ponist direct aus dem Original. Shakespeareʼs Liebesdrama ist gewissermaßen Ein großes Duett. In der Oper, welche alle lyrischen Elemente noch breiter entfalten muß, wird alles Licht auf die Träger derselben, auf die beiden Liebenden, fallen und sämmtliche übrigen Personen tief in den Schatten stellen.

Das Duett „Romeo und Julie“, legt sich in Gounodʼs Oper in 4 einzelne Duette auseinander, welche einen großen Raum des Ganzen einnehmen. Sie skizziren gleichsam die Lebensgeschichte dieser Liebe zwischen Romeo und Julie von deren erstem Keimen bis zur tragischen Vernichtung, und ver halten sich zu einander in ihrem Fortgange etwa wie die 4 Jahreszeiten oder die 4 Altersstufen. Es sind dies: die erste Begegnung auf dem Balle, die Balcon-Scene im zweiten Acte, das große Liebes- und Abschiedsduett im vierten, endlich das

letzte Wiedersehen in der Gruft. Der erfindungsreichste Com ponist würde hier der Gefahr der Monotonie und Wiederholung kaum entgehen können; Gounod hat seine beste Kraft daran gesetzt, die vier Liebesduette sind die Sterne seiner Oper geworden. Diese Sterne fließen aber zu einer Art von Milch straße zusammen, deren Licht eine blasse, flimmernde Einfärbig keit über das ganze Bild ergießt. Ein zweiter Nachtheil der Oper liegt darin, daß von allen fünf Acten nur der erste mit einer vollen Chorwirkung abschließt. Den zweiten Act endigt Romeo allein, den dritten gleichfalls, obwol der auf der Bühne versammelte Chor der beiden feindlichen Parteien einen kräftigen, breiteren Abschluß nahe genug legte. Zu Ende des vierten Actes fällt der Chor nur mit dem kurzen Ausrufe: „Morte! juste ciel!“ ein, den ganzen fünften Act endlich spielen nur die beiden Hauptpersonen. Ein Chorabschluß des letzten Actes liegt zwar bei Shakespeare fertig da: die Versöh nung der feindlichen Familien an den Leichen ihrer Kinder; Gounod ließ ihn jedoch unbenützt, um die eigenthümliche und einheitliche Stimmung seines Duetts nicht ganz zum Schluß zu stören und überdies einen Act auszudehnen, der eine noch längere Dauer schwer vertragen hätte.

Die Sorgfalt und Gewandtheit, die wir dem französischen Libretto nachgerühmt, äußert sich nicht blos in dem scenischen Bau, sondern noch mehr in der Diction. Die Verse sind flie ßend, der Ausdruck gewählt ohne Ziererei, viele Stellen sind aus Shakespeare fast wörtlich sehr geschickt übersetzt. Vergleicht man, wie die Herren Barbier und Carré diese Stellen aus dem Englischen übertrugen und wie hingegen Herr Theo dor Gaßmann sie deutsch wiedergab, so steht die deutsche Uebersetzungskunst wahrhaft bettelhaft hinter der französischen zurück. Was soll man zu Versen sagen wie folgende: „Nie habʼ ich dich gereizt oder dir gegrollt — Doch lernen dich lieben gewollt!“ (Im Französischen: „Je ne tʼai jamais offensé — Tybalt, des haines le temps est passé!“) Oder zu folgender Tristan-Isolderei: „Stets dir nahʼ sein, du Engel, werdʼ ich — All mein Dasein ist für dich nur Huldigung — Durchstrahlʼ mein Dunkel, du Himmelglanzumlohte!“ (Im

Originale heißt die Stelle: „Où va mon coeur, où vont mes yeux — Dispose en reine de ma vie — Verse en mon âme inassouvie, — Toute la lumière des cieux!“ Der verwundete Mercutio ruft bei Gounod aus: „Soutenez- moi!“ Herr Gaßmann glaubt aber einen Fetzen aus Shake speare anbringen zu müssen und übersetzt: „Ich bin ein stiller Mann“ — was hier geradezu einen komi schen Effect macht. Wir haben diese Proben auf Gerathewohl herausgestochen, um (wie wir leider schon so oft gethan) auf die Stümperei der deutschen Text-Ueber setzungen aufmerksam zu machen. Die Deutschen sind aner kannt die ersten Uebersetzungskünstler, wo es sich um große, ernste Aufgaben handelt; was den kleinen Markt, den Tages bedarf, vor Allem aber die Oper betrifft, wird in der ganzen Welt nicht so schlecht übersetzt, als bei uns. Wie viel kann man hierin von den Franzosen lernen! Wenn der Franzose aus dem Deutschen oder Englischen übersetzt, so wird er manch mal Ausdrücke und Satzverbindungen ändern, vielleicht auch mißverstehen, aber was er niederschreibt, wird klar, fließend und gut Französisch sein. Er wird lieber von dem Wortlaute des Ori ginals abweichen, ehe er seine eigene Sprache von oben und von unten rädert. Dafür fehlt den deutschen Alltagsübersetzern alles feinere Gefühl, jedes Wort und jede Wendung wird sklavisch wiedergegeben; wie der Leser sich dann aus dem barbarischen Kauderwälsch zurechtfinde, das ist seine Sache. Gereimte Textbücher zu einer gegebenen Musik zu übersetzen, ist keine leichte Aufgabe; man gebe sie daher nur Leuten, welche Deutsch können und Musik verstehen. Nachdem das Eigenthumsrecht der Verleger von Gounodʼs „Romeo“ sich auch auf die Li brettos erstreckt, durften im Hofoperntheater keine anderen Textbücher verkauft werden, als die autorisirten des Darm städter Uebersetzers. Glücklicherweise ging die Direction nicht gleichgiltig an diesem Sprach-Attentate vorüber und übersetzte für die Aufführung die schlimmsten Stellen aus dem Gaß mannʼschen ins Deutsche, so daß wir in „Romeo und Juliedoch wenigstens bessere Verse zu hören bekommen, als zu lesen und zu kaufen.