Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse No. 1253. Wien, Dienstag den 25. Februar 1868 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2024

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

No. 1253. Wien, Dienstag den 25. Februar 1868 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 25.02.1868
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Concerte.

Ed. H. Unbeirrt von dem lärmenden Ufertreiben des Faschings zieht der stattliche Strom unserer Concertmusik ruhig weiter. In früheren Jahren war der concertfeindliche Einfluß des Carnevals viel größer, d. h. viel kleinstädtischer. Der be rauschende Duft der Walzer, dieser musikalischen Nachtviolen, schien auch tagsüber die Luft zu durchzittern, und Beethoven kam wochenlang nicht auf gegen den Einen Strauß. Jetzt hält er sich siegreich gegen härtere Belagerung, denn „wir sind Drei“! Das Strauß-Trifolium versammelt Nachts seine Ver ehrer, die classische Musik die ihren bei Tag, und siehe da, es sind recht häufig dieselben. Held des Tages ist gegenwärtig der Florentiner Quartettverein“, bestehend aus den Her ren Jean Becker, Masi, Chiostri und Hilpert. Flo renz übt das Recht der Taufe eigentlich nur als die Stätte der ersten Vereinigung dieser vier Musiker. Das Wesentlichste, höchste und tiefste Stimme, also Kopf und Fuß des Quar tetts, ist deutsch: Becker aus Mannheim, Hilpert aus Nürnberg. Den beiden Italienern in der Mitte gebührt das nicht geringe Verdienst vollständiger Assimilirung. Am Morgen nach der ersten, schwach besuchten Production des Beckerʼschen Quartettes zeigte sich in allen Wiener Blättern eine so er freuliche Uebereinstimmung bezüglich der Vortrefflichkeit dieser Leistungen, daß die zweite und dritte Soirée bei gedrängt vol lem Saale stattfanden. Und wahrlich, ein so vollkommener Musikgenuß zählt zu den seltenen Festen. Was das Florentiner Quartett auch immer vortrage, es ist in den reinen, goldenen Strom der Schönheit getaucht. Zunächst frappirt den Hörer der Zauber des Wohllautes, die „materielle“ Schönheit des Tones möchten wir sagen, bestände sie nicht gerade in dem gänzlichen Abstreifen alles Materiellen. Wir hören den reinen, absolut schönen Ton, ohne an seinen Entstehungsjammer durch Roßhaar, Holz und Darmsaiten gemahnt zu werden. „Klang

schönheit. Ist denn das gar so viel? Versteht sich die nicht von selbst?“ hören wir mitunter fragen. Man sollte es glau ben, und doch ist dieser Vorzug bei einem Saitenquartett nicht viel häufiger, als die Vollkommenheit der Stimme und Into nation beim Sänger. Vorerst besitzen die vier Künstler wun derschöne Stimmen, und zwar aus den geheimnißvollen Werk stätten von Joseph Guarneri, Amati und Maggini; so dann verstehen sie aber auch zu singen. Der Zusammenklang dieser vier Instrumente, der im leisesten Geflüster wie im Sturme des Fortissimo wie aus Einem Bogen quillt, hat etwas Zauberhaftes. Man denke dabei nicht an irgend ein ko kettes Raffinement; wir hören durchweg einen reifen, gesunden, männlichen Ton, einen reifen, gesunden, männlichen Vortrag. Die „Florentiner“ liefernd den besten Beweis — und man hält ihn leider noch hie und da für nothwendig — daß man mit Geist und Empfindung vortragen könne, ohne jemals zu scharren oder zu winseln. Wie für ihre Tonbildung das erste Princip Schönheit ist, so für ihren Vortrag Klarheit. Beethovenʼs letzte Quartette sind uns niemals so durchsichtig und verständlich entgegengetreten wie in der Beckerʼschen Ausführung. Das verwirrende Geflecht dieser Polyphonie, das unbequeme Dunkel dieser oft labyrinthischen Periodisirung und Rhythmik, hier erscheinen sie wie von mil dem Sonnenlicht durchleuchtet. Durch ein Studium und Zu sammenüben von wahrhaft aufopferndem Fleiße haben die vier Künstler sich diese schwierigen Compositionen so vollkommen zu eigen gemacht, daß stets an rechter Stelle diese oder jene Stimme, dieses oder jenes Motiv hervortritt und das Zu sammenspiel Aller mit der Empfindlichkeit einer Goldwage arbeitet. Es versteht sich, daß wir die demokratische Gleichbe rechtigung der vier Spieler, von denen keiner sich ungebühr lich vordrängt oder sich demüthig verkriecht, als Cardinal tugend schätzen. Am schwersten mag sie dem Primgeiger, Herrn Becker, gefallen sein, welcher (ein Schüler von Alard und Ernst und bedeutender Virtuose) seine Carrière als Concert spieler mit starker Hinneigung zum Bravourspiel begonnen

hatte. Er hat es rühmlich erreicht, sich im Interesse des Ganzen zu verleugnen, unterzuordnen. Trotz dieser Gleichheit liegt es in der Natur des Quartetts, daß die erste Violine und das Cello sich am meisten geltend machen: Jean Becker und Hilpert sind auch die bedeutendsten unter den vier Col legen. Becker hat sich jüngst in einer Sonate von Rust als Solospieler von großer Technik bewährt, dem die mannichfach sten Stricharten, der schönste Triller, alle Künste des Pizzi cato und Flageolet zu Gebote stehen. Hilpertʼs Violoncell belauscht man mit ungetrübtem Vergnügen; es vergißt nie seine Bedeutung als tragender Grundpfeiler des Quartetts, verliert sich nie in jenes ewig klagende Tremoliren, das uns so manchen gewandten Cellisten gerade im Quartett verleidet. Pizzicatotöne von so unvergleichlicher Fülle und Reinheit wie die Hilpertʼs haben wir noch nicht gehört. Der beste von den vier Spielern bleibt aber doch immer: alle Vier zu sammen. Es wäre ewig schade, wenn dies Quartett getrennt würde — möchten doch die schmeichelhaften Anerbietungen, welche wiederholt an einzelne Glieder desselben ergehen, ungehört verhallen!

Der Florentiner Verein spielte bisher (in 3 Productionen) 3 Quartette von Beethoven (A-dur op. 132, B-dur op. 130, F-dur op. 135), je ein Quartett von Haydn Mozart, Schubert(D-moll), Schumann (A-dur) und Mendelssohn (E-moll). Aus letzterem hat sich ein Motiv ganz sonderbar in den zweiten Satz des Schumannschen eingeschlichen. Claviervorträge waren keine aufgenommen, und dennoch erschien Niemandem die an sich starke Dosis von drei aufeinanderfolgenden Quartetten lästig. Am dritten Abende trugen drei kleinere Nummern beinahe den Preis da von. Zuerst eine Serenade von Haydn, aus einem seiner frühesten Quartette (G-dur 3/8) gezogen, ein zärtlicher Gesang der Violine, durchgehends von den drei tieferen Instrumenten pizzicato begleitet. Dies Pizzicato, das manchmal wie der leiseste Guitarrenton klang, war bewunderungswürdig im Tone wie in der feinen Anschmiegung an den Gesang. Das liebens würdige, hier ganz unbekannte Stück mußte wiederholt werden

und darf in einer der nächsten Productionen nicht fehlen. Es folgte ein Scherzo von Cherubini (aus dem Es-dur- Quartett Nr. 2), worin der in seinen Quartetten an Haydn anknüpfende Altmeister wahrhaft prophetisch auf Men delssohn hinübergreift. Endlich erregte eine Violin sonate von Rust, von Herrn Becker virtuos vorgetragen, großes Interesse. Friedrich Wilhelm Rust (ge boren 1739 in Wörlitz, ꝉ 1796 in Dessau) war als Violin spieler ein Schüler Franz Bendaʼs, als Componist von mehr als vierzig Clavier- und ebensoviel Violin-Sonaten eine Art modernisirter, mitunter auch verzopfter Sebastian Bach, Die von Becker vorgetragene (zweisätzige) Sonate, ein ernstes, tüchtiges Stück, ist merkwürdig durch ihre vorgeschritte Violin-Technik. Es kommen Flageoletstellen und Pizzicato-Be gleitungen mit der linken Hand vor, die wir bei S. Bach und manchen seiner Nachfolger noch nicht antreffen — fast schöpften wir Zweifel, wüßten wir nicht, daß Becker die So nate ohne Zuthat, genau nach dem Originale spielt. Die Aufnahme des Florentiner Quartetts von Seite des Publicums war geradezu enthusiastisch. Und nichts als Lob? wird mancher Leser fragen. Wo bleibt der Tadel, ohne welchen eine ordent liche Kritik sich nicht wohl sehen lassen kann? Auf die Gefahr hin, den Tadel auf uns selbst zu lenken — wir haben keinen für das Beckerʼsche Quartett. Daß wir ein Stück um einen Ge danken schneller oder langsamer gewünscht, irgend einen Einsatz oder Uebergang ein bischen anders uns gedacht haben — was will das sagen gegen den reinen, hohen Genuß, den die Kunstvollendung dieses Quartetts uns durch drei Abende gewährt hat? Wir wollen auch gerne einräumen, daß unter Joachimʼs Bogen manche Beethovenʼsche Stelle ergreifender, pathetischer klang und bei Hellmesberger irgend welche elegante Phrase noch zierlicher und verbindlicher lautete. Das Beckerʼsche Quar tett bleibt trotzdem das vollkommenste, das wir je gehört, und das letzte, dem wir entsagen möchten. Wenn dem Florentiner Quartett vielleicht eine ästhetische Gefahr droht, so liegt sie in

dem möglichen Uebertreiben seines größten Vorzugs: der for malen Schönheit. In der Natur dieses Princips liegt es, daß es sich leicht isolirt, verengt und der Schönheit zuliebe die charakteristischen Gegensätze abschwächt, die Leidenschaft zähmt, ja die kostbarsten Diamantspitzen der Genialität abschleift. Bis jetzt bemerkten wir höchstens leise Andeutungen dazu, die zu keinem Tadel berechtigen, aber vielleicht zu einem freundschaft lichen Fingerzeig.

In Herrn Hellmesbergerʼs siebenter Quartett-Soirée kam ein neues Streichquartett von Volkmann in Es-dur zur Aufführung. Wie alle Compositionen dieses Tondichters, athmet dasselbe einen ernsten, selbstständigen Geist, der den Hörer interessirt und zum Nachdenken zwingt. Was wir zu meist an ihm vermissen, ist sinnliche Frische und frei pulsiren des Leben. Er neigt zur Grübelei, zu einem gewissen gräm lichen Mysticismus, für welchen das musikalische junge Deutsch land in dem späteren Beethoven nur zu viele Anknüpfungs punkte fand. An Klarheit und Logik läßt das neue Quartett kaum etwas zu wünschen, aber der Quell der Erfindung floß etwas spärlich und intermittirend. Der erste Satz hat bei durchaus männlicher Haltung nicht genug Schwerkraft der Themen; bei so geringem Einsatze ist im Spiel kaum viel zu gewinnen. Dasselbe gilt von dem langen, Grau in Grau gemalten Adagio. Interessant ist das Scherzo, als die con sequenteste und klarste Durchführung des Fünfviertel-Tactes, die wir bisher kennen. Ein geistreiches Experiment, aber von zweifelhafter Wirkung: das Ohr des unvorbereiteten Hörers wird nur zu oft ärgerlich nach dem ihm fehlenden sechsten Achtel haschen, anstatt befriedigt zu constatiren, daß der Tact schon mit dem fünften abschließt. Das Finale erreicht durch seine rasche Triolenflucht die meiste Lebendigkeit. Volkmannʼs Quartett sprach an, ohne jedoch einen tieferen Eindruck zu hinterlassen. In SchubertʼsB-dur-Trio spielte Fräulein Marie Geisler den Clavierpart mit Beifall.

Das letzte „Philharmonische Concert“ (unter Herrn

Dessoffʼs Leitung) brachte als Novität ein „symphonisches Tongemälde“, „Wallenstein“ betitelt, von Joseph Rhein berger. Der Beifall, den diese Composition in München und Leipzig errang, bot hinreichenden Anlaß, sie auch dem Wiener Publicum vorzuführen. Auf dem Gebiete der sympho nischen Musik wird überdies so wenig producirt, daß selbst das Halbgelungene Anspruch auf Beachtung und freundliche Ermunterung erheben darf. Es ist kaum wohlgethan, wenn die Kritik in solchem Falle durch allzu schneidige Strenge zugleich die Producenten abschreckt und die Concert-Institute, welche ohnehin meist die Tendenz zu classischer Versteinerung haben. Rheinberger ist ein ernst strebender, gebildeter Künstler und eine namentlich im Contrapunkt tüchtig geschulte Kraft. Gar Vieles in seiner „Wallenstein“-Symphonie berechtigt zu schönen Hoffnungen für seine weitere Laufbahn. In dieser Sym phonie leidet sein Talent zunächst durch den unausbleiblichen Con flict zwischen den selbstständigen Formgesetzen reiner Instrumental musik und den Anforderungen der bestimmten poetischen Auf gabe. Der Musiker, der sich mit einem poetischen Programme einläßt, erfährt nur zu bald, daß es ihm mit der linken Hand ebensoviel entzieht, als es ihm mit der rechten gegeben. Der lockende Vortheil ist augenfällig: ein Stück von dem bunten theatralischen Realismus des Rheinbergerʼschen „Scherzo“ würde man in einer Symphonie schwerlich gelten lassen, in einem „Wallenstein-Gemälde“, läßt man es nicht blos gelten, sondern zeichnet es vorzugsweise aus, weil der Titel „Wallen steinʼs Lager und Capuzinerpredigt“ darüber steht und uns zu der lebhaften Musik fertige, bestimmte Bilder entgegenbringt. Dieser Satz ist der gelungenste der Symphonie, er hat frische, prägnante Themen, lebhaften Zug und fügt durch die Einfüh rung des alten Soldatenliedes „Wilhelm von Nassau“ zu der glücklichen Localfärbung auch noch eine historische. Minder günstig waren dem Componisten die drei anderen Sätze; hier stellt sich ihm der Nachtheil des poetischen Programmes entgegen. Sätze mit der Ueberschrift „Wallenstein“, „Thella“,

Wallensteinʼs Tod“ bedingen eine gewisse musikalische Allge meinheit, welche den Hörer bald zu verdrießen beginnt, wenn er darin nicht directe Anknüpfungspunkte an jene Schillerʼschen Charaktere vorfindet. Der Componist müht sich abwechselnd, musikalisch unabhängig und dann wieder dramatisch illustrirend zu schreiben, und geräth dadurch in eine Unentschiedenheit und rhapsodische Unruhe, welche weder der Symphonie, noch dem „Wallenstein“ gedeihlich werden kann. So treten uns im Finale starke, musikalisch unerklärbare Ge gensätze entgegen, eingeschobene Sätze von contrastirender Ton- und Tactart, Rhythmik und Instrumentirung. Was habe ich mir hier zu denken? fragt der Hörer unwillkürlich. Was be deutet das? Da ihm Niemand antwortet, verliert er die Stimm mung. Abgesehen von dem Verhältniß zum Programme, trifft die Symphonie zunächst der Vorwurf einer zu großen Länge aller Sätze. Ferner sind die Motive mehr mosaik artig zusammengesetzt, als organisch aus sich heraus entwickelt. Eine Reihe von Motiven löst sich ab, um zu verlöschen, ehe sich eines davon im Hörer festgesetzt hat; man vermißt den Eindruck des Nothwendigen, Logischen. Dies und die musikalische Schwäche mancher Themen sind der Hauptmangel der „Wallen stein“-Symphonie. Es fehlt ihr an Vollendung des künstlerischen aues, wenn auch keineswegs an glücklichen Einfällen, fein ge arbeiteten und trefflich contrapunktirten Partien. Wie die Symphonie vorliegt, halten wir für eigentlich lebensfähig daran nur das Scherzo, das sich auch isolirt als wirksame Concert nummer empfiehlt. Für lebensfähig und vielversprechend halten wir jedoch das Talent des Componisten, der auf richtigerem Wege auch zu schöneren Zielen gelangen wird.

Sonntag Mittags gab Herr Hermann Riedel, absol virter Zögling des Wiener Conservatriums, ein Concert, worin er sich als Componist und Clavierspieler vorführte. An einem Tage wie der Faschingsonntag, wo so viele Wiener ihr Geld für andere Säle als für den des Musikvereins brau chen, überies in einer an musikalischen Genüssen so reichen

Saison mußte der Anblick des vollen Saales für den jungen Concertgeber von glücklichster Vorbedeutung sein. Die Compo sitions-Proben Herrn Riedelʼs verrathen ohne Frage Talent — ein Talent, das aber noch zu sehr in voller Gährung be griffen ist, um ein Urtheil über den Grad seiner Intensität oder sein specielles Gebiet zuzulassen. In dem Clavier-Trio, das der Componist mit den Herren Hellmesberger und Röver ausführte, finden sich einzelne glückliche Gedanken, Momente von Wärme und Leidenschaft, auch manche Probe tüchtiger Arbeit, aber dies Alles durcheinanderwogend in einer Unruhe und Uebertreibung, welche einen befriedi genden Total-Eindruck unmöglich macht. Die größte Furcht aller Anfänger, mißverstanden zu werden, läßt Herrn Riedel gleich sam jedes Wort doppelt unterstreichen und dreimal wiederho len, ein Nachdruck überbietet den anderen, alle drei Instru mente sind ununterbrochen in angestrengter Arbeit, die Sätze dehnen sich zu ermüdender Länge. Nach diesem Trio darf man den Componisten wol zur Schumannʼschen Schule zählen. Diese Richtung, namentlich in ihren späteren Abzweigungen, ist als Vorbild nichts weniger als ungefährlich. Wir möchten Herrn Riedel dringend an Mozart und den früheren Beet hoven weisen. Einige Lieder des Concertgebers, von Herrn Walter überaus zart vorgetragen, gewinnen, ohne besonders originell zu sein, durch Wärme der Empfindung und maßvol len Ausdruck. Als Pianist entfaltete Herr Riedel eine tüchtige Technik, charakteristische Auffassung und Energie. Der Anschlag ist etwas hart, mitunter stechend, der Vortrag mehr kräftig als elegant und ausgeglichen. Die Schubertʼsche A-moll- Sonate spielte Herr Riedel sehr befriedigend; Schumannʼs schwierige G-moll-Sonate übersteigt derzeit noch seine Kräfte. Herr Riedel wurde vom Publicum auf das freundlichste aus gezeichnet. Besonderen Dank schuldet er Frau Gabillon und Herrn Walter, welche durch ihre Vorträge das Concert zierten und bei Herrn Riedelʼs musikalischer Confirmation gleichsam Pathe standen.