Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse No. 1360. Wien, Samstag den 13. Juni 1868 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

No. 1360. Wien, Samstag den 13. Juni 1868 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 13.06.1868
font-style:italic; font-weight:bold; Deutsch Transkribus OCR und Lektorat. Transformierung der Daten des Transkribus TEI-Export mit "editions.xsl". Formatierung. ALle Werke, Personen, Daten, Orte ediert. Letztkorrektur für Zwischenrelease.
Eine Biographie Belliniʼs. I.

Ed. H. Es fehlt nicht an biographischen und kritischen Aufsätzen über Bellini, noch weniger an einer stattlichen Pompes funèbres-Literatur, in welcher die Landsleute des früh verstorbenen Maestro ihren Schmerz und seinen Ruhm mit lyrischer Ueberschwenglichkeit feierten. Ein selbstständiges biographisch kritisches Buch über Bellini besitzen wir erst seit wenigen Tagen; es ist von dem französischen Musikschriftsteller Arthur Pougin verfaßt und bei Hachette in Paris erschie nen. Um es gleich herauszusagen, entspricht diese Arbeit nur sehr mäßigen Anforderungen; ihr biographischer Theil fließt aus lauter abgeleiteten, meist schon benützten Quellen; ihr ästhetischer ist ganz dilettantisch, unsicher und phrasenhaft. Doch kann es nicht fehlen, daß in so ausgedehnter Erzählung man ches Interessante mit unterläuft, dessen Quintessenz freilich weniger für ein Buch als für ein Feuilleton ausreicht. Um unseren Lesern Zeit und Geld für das Buch zu ersparen, schreiben wir das Feuilleton.

Ueber die Persönlichkeit und den Charakter Belliniʼs (Pougin hat ihn nicht selbst gekannt) erfahren wir nur die Urtheile Anderer, die alle in dem Lobe seiner Herzensgüte und Liebenswürdigkeit, seiner echten, neidlosen Bescheidenheit über einstimmen. Belliniʼs Züge werden uns durch das bekannte Porträt von Desjardins versinnlicht, das in vorzüglichem Stahlstiche den Band ziert. Der Verfasser reprodu cirt auch mit vollem Rechte die geistvolle Schilderung, die Heinrich Heine von Belliniʼs Persönlichkeit entwirft. Die Stelle aus den „Reisebildern“, die manchem unserer musikalischen Leser vielleicht nicht mehr erinnerlich ist, lautet: „Bellini war eine hochaufgeschlossene, schlanke Gestalt, die sich zierlich, ich möchte sagen kokett bewegte; immer à quatre épingles, ein regelmäßiges Ge sicht, länglich, blaßrosig; hellblondes, fast goldiges Haar, in dünnen Löckchen frisirt; sehr hohe, edle Stirne; gerade Nase; bleiche, blaueAugen. Seine Züge hatten etwas Vages, Charakterloses, etwas wie Milch, und in diesem Milchgesichte quirlte manchmal süßsäuerlich ein Ausdruck von Schmerz. Dieser Ausdruck ersetzte in Belliniʼs Gesicht den mangelnden Geist; aber es war ein Schmerz ohne Tiefe; er film merte poesielos in den Augen, er zuckte leidenschaftslos um die Lippen des Mannes. Diesen flachen, matten Schmerz schien der Maestro in seiner ganzen Gestalt veranschaulichen zu wollen. So schwärmerisch wehmüthig waren seine Haare frisirt, die Kleider saßen ihm so schmach tend an dem zarten Leibe, er trug sein spanisches Röhrchen so idyl lisch, daß er mich immer an die jungen Schäfer erinnerte, die wir in unseren Schauerspielen mit bebänderten Stäben und hellfarbigen Jäck chen und Höschen minandiren sahen. Und sein Gang war so jung fräulich, so elegisch. Er sah aus wie ein Seufzer en escarpins.“

Bellini war geborner Musiker in jedem Sinne des Wortes. Er stammte nämlich aus einer Musiker-Familie, deren Stammvater, in den Abruzzen geboren, in Neapel unter Piccini gebildet, sich in dem sicilianischen Städtchen Catania am Fuße des Aetna niederließ. Drei Söhne dieses alten Vin cenzo Bellini wurden ebenfalls Tonkünstler, aber erst der Enkel (der nach Landessitte den Taufnamen des Großvaters erhielt) brachte den Namen zur Berühmtheit. Dieser Enkel, unser Vincenzo Bellini, ist, den Kirchenbüchern von Catania zufolge, am 1. November 1801 geboren, nach welchem authentischen Datum man die falschen Geburtsjahre und Tage Belliniʼs, wovon die Lexika und Handbücher wimmeln, berichtigen mag. Der Vater war nicht wohlhabend genug, um für die höhere Ausbildung des musikalisch früh entwickelten Kleinen sorgen zu können; er erreichte aber, daß Vincenzo aus der Gemeindekasse von Catania ein jährliches Stipendium behufs seiner Studien am Conservatorium zu Neapel erhielt. Von allen Mitschülern Belliniʼs an dieser berühmten, damals noch von Zingarelli geleiteten Anstalt haben nur die Brüder Ricci sich späterhin einen Namen gemacht; Mercadante, jetzt der Patriarch der italienischen Schule, war gerade aus dem Conservatorium aus getreten, als Bellini hinkam. Der junge Bellini zeigte großen Eifer und wurde von dem 70jährigen Zingarelli auf das zärtlichste geliebt. Man muß annehmen, daß entweder Belliniʼs träumerisches Wesen wenig Empfänglichkeit für den Unterricht

darbot, oder daß Letzterer schon damals auf einer tiefen Stufe stand, denn Bellini ist niemals ein gründlicher, fester Musiker geworden. Im Tonsatz und in der Form glich er zeitlebens einem begabten Dilettanten, der einen Künstler verspricht. Das Beste in seiner ganzen musikalischen Erziehung war die Lectüre der Partituren von Mozart und Haydn, von Jomelli und Pergolese. Für Letzteren hegte Bellini eine unbegrenzte Verehrung, was vollkommen zu der auffallenden Verwandt schaft dieser beiden musikalischen Charaktere stimmt. Belliniʼs breiter, melancholisch süßer Gesang weist auf Pergolese mehr als auf jeden andern Vorgänger zurück; nur war die andere Seite Pergoleseʼs, seine in der „Serva Padrona“ so köstlich sprudelnde Laune, Bellini gänzlich fremd. Bellini hat im Con servatorium ein Dutzend Ouvertüren und mehrere Messen componirt, welche nach dem Urtheile La Fageʼs nicht einmal von anständiger Mittelmäßigkeit sind. Der erste dramatische Versuch des jungen Maestrino (wie er im Conservatorium hieß) war „Adelson e Salvini“, auf ein altes Libretto com ponirt und im Jahre 1825 von seinen Mitschülern vor ge ladenen Gästen aufgeführt. Zingarelli, entzückt über dies aufgehende Talent, weissagte ihm eine große Zukunft. In der That war Bellini von der Morgenröthe seines Künstler lebens an vom Glücke begünstigt. Ein zweiter Erfolg schloß sich unmittelbar an. Es herrschte in Neapel der lobenswerthe Gebrauch, daß jedesmal der talentvollste Zögling des Conservatoriums kurz vor seinem gänzlichen Austritte eine Cantate zu componiren bekam, welche im San- Carlo-Theater an einem „großen Galatage“ vor der königlichen Familie und dem glänzendsten Publicum aufgeführt wurde. Ismene“ hieß die Cantate Belliniʼs, welche im Jahre 1825 bei einer solchen Festvorstellung mit größtem Beifalle gesungen wurde. In diese Zeit fällt ein Liebesverhältniß unseres Com ponisten mit einem schönen Mädchen aus angesehener Familie, Maddalena Fumaroli, in Neapel. Sie erwiderte seine Nei gung, aber der Widerstand ihres Vaters gegen die Heirat mit einem kaum der Schule entwachsenen Musiker war nicht zu beugen, und Bellini mußte sich blutenden Herzens und für

immer von seiner Geliebten losreißen. Dies ist die einzige Herzensgeschichte Belliniʼs, welche Herr Arthur Pougin uns erzählt; offenbar ist er viel schlechter unterrichtet oder viel discreter, als ein Biograph von rechtswegen sein darf. Aus seinem Liebeskummer wurde Bellini wohlthätig aufgescheucht durch einen unverhofften künstlerischen Treffer. Der berühmte Impresario Barbaja, dessen mangelnde Bildung durch das merkwürdige Talent ersetzt war, von weitem große Künstler herauszuwittern, hatte den jungen Sicilianer schon ins Auge gefaßt und trug ihm die Composition einer Oper, „Bianca e Fernando“, für das San-Carlo-Theater in Neapel auf. Das Werk wurde im Jahre 1826 mit vorzüglicher Besetzung gegeben und fand, so schwach es war, die günstigste Aufnahme. Durch einen Erfolg in San Carlo war man ein gemachter Mann. Bellini erhielt den Auftrag, eine Oper für die Scala in Mailand zu schreiben, wohin er sich im April 1827 in Begleitung Rubiniʼs begab, dem die Hauptrolle zugedacht war. Außer diesem berühmten, für Belliniʼs Erfolge so wich tigen Sänger trat jetzt auch noch eine zweite Persönlichkeit entscheidend in sein Künstlerleben ein. Es war der Poet Fe lice Romani, Genuese von Geburt, einer der besten Opern dichter, den die Italiener besitzen. Obwol er bereits mit eini gen selbstständigen Comödien Glück gemacht, warf er sich plötzlich mit allen Kräften auf die Idee einer Reform und Neubelebung des Operndramas, welches sich in der That im kläglichsten Zustande befand. Er errang schnell so große Er folge, daß der Kaiser von Oesterreich ihn als Hofpoeten nach Wien berufen wollte; Romani ging jedoch auf die Bedin ung nicht ein, österreichischer Staatsbürger zu wer den. Wenn Brofferio in einem Nekrologe Romaniʼs, seines früheren Gegners, rühmte, derselbe habe in der Darstellung heftiger Leidenschaften Byron, Lamartine, Foscolo und Victor Hugo erreicht, so war dies Lob wol zu hoch gegriffen. Gewiß aber enthalten seine besseren Libretti Scenen von er greifender Lebendigkeit und Strophen von unvergleichlichem Wohlklang der Sprache. Romani hat Textbücher von allen

Gattungen geschreiben, über hundert im Ganzen. Ohne Zwei fel war ursprünglich seine Reform-Idee viel höher gespannt, fiel doch seine Bildung in eine literarisch revolutionirende Pe riode Italiens, mit dessen besten und freisinnigsten Köpfen er verkehrte. Allein die Herrschaft des Conventionellen war noch so stark in Bezug auf Bau und Anordnung eines Opern-Li brettos, daß Romani sich in der Hauptsache fügen mußte. Auch war er nicht Erfinder im eigentlichen Sinne, er schuf seine Stoffe nicht, sondern schöpfte sie größtentheils aus fran zösischen Dramen. Mit welchem theatralischen Geschicke und in welch melodischen Versen er sie jedoch für den Componisten umzuformen wußte, das beweisen seine „Norma“, „Son nambula“, „Anna Bolena“ und sein „Liebestrank“. Dies war der Mann, den im Anfang seiner Laufbahn zu tref fen Bellini das Glück hatte und der fortan sein ausschließli cher Mitarbeiter, sein treu ergebener, intimer Freund wurde.

Der Pirat“ war die erste Oper, welche Bellini und Romani zusammen schrieben. Die Hauptrollen waren in den Händen der Méric-Lalande, Tamburiniʼs und Ru biniʼs. Mit Letzterem arbeitete Bellini auf das eifrigste, da ihm die prachtvolle Stimme des Sängers der Wärme und des dramatischen Ausdruck noch sehr zu entbehren schien. „Du bist ein reines Thier!“ fuhr er Rubini an, „und legst nicht die Hälfte deiner Seele in deinen Gesang; das ganze Theater könntest du hinreißen, aber du bleibst kalt.“ Bellini weckte den Ehrgeiz und die Einsicht des Tenoristen, der durch eifriges Studium sich bald zu einer Höhe des Vortrages aufschwang, die ihm selbst früher unerreichbar schien. „II Pirato“ erregte bei der ersten Aufführung in der Scala (1827) einen uner hörten Enthusiasmus. Bellini berichtet darüber an seine El tern in freudigster Aufregung, dabei mit wahrhaft musterhaf ter Bescheidenheit. Seine nächste Oper war „La Stra niera“ (die Unbekannte), deren Stoff Romani einem damals beliebten schlechten Roman des Vicomte dʼArlincourt entnahm. Gerade mit dieser Oper beschäftigt, äußerte sich Bellini in einem freundschaftlichen Briefe über seine ästhetischen Grundsätze

und seine Methode zu componieren. „Ich studire,“ so schreibt er, „zuerst das Textbuch und vertiefe mich anhaltend in den Charakter der Personen, in ihre Leidenschaften und Ge fühle; dann versetze ich mich an die Stelle einer jeden von ihnen und trachte durch unablässige Beobachtung mir ihre ver schiedenen Affecte vollkommen eigen zu machen. Hierauf schließe ich mich in mein Zimmer ein und beginne die Rolle jeder einzelnen Person zu declamiren, mit der ganzen Wärme der Leidenschaft; ich beobachte den Tonfall, das Zögern und Beschleunigen meines Vortrages, den Klang und Accent, und finde danach die bezeichnenden musikalischen Rhythmen und Motive. Ich bringe sie gleich zu Papier und versuche sie am Piano; fühle ich dabei in mir selbst die entsprechende Ge müthsbewegung entstehen, so weiß ich, daß mir die Musik ge lungen ist. Im gegentheiligen Fall fange ich von neuem wie der an, bis das Ziel erreicht ist.“ Dieser Aufschluß Belliniʼs über die Methode seines Schaffens ist um so interessanter, als man sie aus seinen Werken kaum vermuthen würde. Das declamatorische Element wenigstens tritt bei Bellini nirgends in den Vordergrund und schimmert nur in einigen ausdrucks vollen Recitativen Normaʼs und Aminaʼs durch. Eher kann man Bellini anmerken, daß er keineswegs rasch und leicht producirte. Einige Mittheilungen bestätigen dies. So hat Bellini die Melodie „Casta diva“ nicht weniger als achtmal umgearbeitet, ehe er sich zu ihrer gegenwärtigen Form ent schloß. Er arbeitete langsamer als seine Collegen (namentlich als Donizetti), nicht blos aus schwerfälligerem Temperament, sondern auch aus größerer Gewissenhaftigkeit. „Könnte ich nicht auch,“ schreibt Bellini an seinen Verleger Ricordi, „vier Opern in Einem Jahr componiren? Aber ich würde meine Reputation untergraben und hätte Gewissensbisse, daß ich Jene betrüge, die mich zahlen.“ Auch mit dem Text gab er sich nicht sogleich zufrieden. Wenn eine Strophe durchaus nicht in ihm den Funken der musikalischen Erfindung hervor locken wollte, mußte Romani die Stelle drei- bis viermal um dichten, und Bellini suchte dem Poeten durch Improvisationen

am Clavier deutlich zu machen, welche Färbung der Worte ihm nothwendig schien. Der Erfolg der „Straniera“, deren erste Aufführung am 14. Februar 1829 in der Scala stattfand, war ein außerordentlicher. Seine nächste Oper sollte Bellini für Parma schreiben; die Bedingungen waren die günstigsten, bis auf die eine, daß er ein Libretto des parmesanischen Advocaten und Schöngeistes Torrigiani zu componiren habe. Bellini wollte sich von Felice Romani nicht mehr trennen, er verwarf das Textbuch Torrigianiʼs und schrieb mit Romani eine Oper „Zaïre“, nach dem gleichnamigen Drama von Voltaire. Dadurch hatte er sich die Sympathien von Parma verscherzt, dessen Localberühmt heiten man nicht ungestraft antastete. Jeder Parmesane ge berdete sich nun als Belliniʼs persönlicher Feind, und die Ge sammtheit dieser Feinde hatte bei der ersten Aufführung der neuen Oper ein leichtes Spiel, indem das Libretto der „Zaïre“ die schwächste Arbeit Romaniʼs und die Musik Belliniʼs nicht viel stärker war. „Zaïre“ fiel am 16. Mai 1829 in bester Form durch, und man hat nie wieder von ihr gesprochen. Zum Glücke war der Ruf des Componisten durch den „Piratenund die „Straniera“ bereits fest begründet. Ueberdies rettete Bellini, mit Hilfe Romaniʼs, die besten Nummern aus der schiffbrüchigen „Zaïre“ seine nächste Oper „Die Mon tecchi und Capuletti“. Das Libretto war eine Umarbei tung des älteren, bereits von Vaccaj componirten Text buches „Romeo e Giulietta“. Zum erstenmale schrieb Bellini eine Rolle für die Altstimme, den Romeo nämlich, welchen Giuditta Grisi, damals im Vollglanz ihrer Schönheit und ihrer Stimme, zu hinreißender Wirkung brachte. „Die Mon tecchi und Capuletti“ machten bei ihrer ersten Aufführung in der Fenice zu Venedig (1830) großes Glück durch einige effect volle Nummern; daß dem Ganzen der rechte Schwung fehlte und namentlich die pathetischen Stellen mittelmäßig waren, konnte nicht lange unbemerkt bleiben. Nach Belliniʼs Tod hat man in Italien bekanntlich den vierten Act entfernt und durch den Schlußact der Vaccajʼschen Oper ersetzt — eine Maßregel,

die, an sich weder künstlerisch und pietätvoll, sich doch als prak tisch erhielt und auch in Paris adoptirt wurde.

Bellini kehrte bald nach Mailand zurück, das ihn überall und immer mit unwiderstehlicher Macht anzog. Das Teatro Carcano in Mailand, damals trefflich geleitet und im Besitze von Kräften wie Rubini und die Pasta, hatte gleich zeitig zwei neue Opern von Donizetti und Bellini be stellt. Ersterer schrieb seine „Anna BolenaAnna Bolena“ war Donzettiʼs zweiunddreißigste Oper, und doch hatte der allzu flüchtig schreibende Componist bis dahin nichts ge liefert, was sich mit Belliniʼs Opern zweiten Ranges messen konnte. Beide Componisten wirkten als Zeitgenossen neben einander; Donizetti, drei Jahre älter als Bellini, hat diesen um dreizehn Jahre überlebt., Letzterer die Sonnambula“; das Libretto dieser Oper war von Romani nach einem Vaudeville von Scribe bearbeitet.

Bellini componirte den größten Theil der „Nacht wandlerin“ bei einer befreundeten mailändischen Familie, welche sich in das Städtchen Moltrasio am Comosee zurückgezogen hatte. In diesem reizenden Aufenthalte, umgeben von hohen Cypressen und Lorbeerbüschen, den See mit dem malerischen alterthümlichen Torno vor sich, fühlte Bellini sich ungewöhnlich poetisch gestimmt. Da ihm, als Reconvalescenten nach einer gefährlichen Krankheit, längere Spaziergänge untersagt waren, unterhielt er sich am liebsten damit, im Kahne von einem Ufer ans andere, von einer Villa zur anderen zu fahren und dabei das Familienleben und die Liebschaften der Landleute zu belauschen. Besonders auf den Samstag freute er sich jedes mal, wo die jungen Leute ihre Fabriken und Werkstätten ver ließen und auf Kähnen, singend und scherzend, nach ihren Hei matsorten fuhren. Oft folgte Bellini, vergnügt horchend, dieser oder jener Barke, aus welcher die süßesten Lieder in die Abend luft klangen. Dieses liebevolle Beobachten idyllischer Scenen und Gesänge ist sicher nicht ohne Einfluß auf die musikalische Färbung der „Sonnambula“ geblieben, welche Bellini unter solchen Eindrücken dichtete. (Ein zweiter Artikel folgt.)