Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse No. 1363. Wien, Dienstag den 16. Juni 1868 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

No. 1363. Wien, Dienstag den 16. Juni 1868 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 16.06.1868
font-style:italic; font-weight:bold; Deutsch Transkribus OCR und Lektorat. Transformierung der Daten des Transkribus TEI-Export mit "editions.xsl". Formatierung. Alle Werke, Orte, Daten, Personen ediert. Letztkorrektur für Zwischenrelease.
Eine Biographie Belliniʼs. II. (Schluß.)

Ed. H. An der „Sonnambula“ arbeitete Bellini mit ganzer Seele und froher Zuversicht, war ja die Titelrolle der Pasta anvertraut, jener genialen Künstlerin, die schon im Anfange ihrer Laufbahn den großen Tragöden Talma zu dem Ausrufe hinriß: „Dieses Kind hat gefunden, was ich seit zwanzig Jahren suche.“ Judith Pasta, die zweite Schöpferin der Norma und Amina, hat Bellini, dessen begeistertste Interpretin sie war, um volle dreißig Jahre über lebt. „La Sonnambula“, zum erstenmale am 6. März 1831 aufgeführt, versetzte die Mailänder in einen Rausch des Entzückens und war überhaupt der größte Erfolg Belliniʼs. Herr Arthur Pougin findet, daß keines der anderen Werke Belliniʼs auf der Höhe der „Sonnambula“ stehe. Diese An sicht (übrigens auch von anderen Schriftstellern getheilt) ist unseres Erachtens ein Irrthum und ein Unrecht gegen die unmittelbar darauffolgende Oper Belliniʼs. Wir meinen die Norma“. Romani hatte den Stoff abermals aus einem französischen Drama, „Norma“ von Soumet, hergeholt. Die Direction der Scala in Mailand hatte dem Componisten das damals ungewöhnlich hohe Honorar von 3000 Ducaten und die besten Gesangskünstler (Pasta, Julia Grisi, Donzelli, Negrini) zugestanden. Noch im selben Jahre der ersten Auf führung der „Nachtwandlerin“ ging „Norma“, am 26. Decem ber 1831, in Scene. Wenn man überall liest, die Oper habe nur mäßig angesprochen, so ist dies sehr ungenau; „Normafiel entschieden durch. Ein bisher ungedruckter Brief Belliniʼs an seinen Freund Francesco Florimo gibt darüber die beste Auskunft. „Ich schreibe dir,“ so beginnt der interessante Brief, „unter dem Eindrucke des Schmerzes, eines tiefen Schmerzes, den ich gar nicht auszudruecken vermag, den aber

du allein versehen kannst. Ich komme aus der Scala, erste Aufführung der „Norma“. Wirst du es glauben? Fiasco! Fiasco! vollständiges Fiasco! Ja, das Publicum war strenge! es schien eigens gekommen, mich zu verurtheilen, und mit Ueber stürzung (so glaube ich wenigstens) bereitete es meiner armen Norma“, das Schicksal der Priesterin selbst. Ich habe sie nicht wiedererkannt, meine lieben Mailänder, welche den „Pi raten“, die „Straniera“ und „Sonnambula“ mit Enthusias mus aufgenommen hatten, und doch glaubte ich, ihnen eine würdige Schwester der letzteren vorzuführen. Zu meinem Un glücke habe ich mich getäuscht, meine Voraussicht war falsch, meine Hoffnungen sind gescheitert. Und trotz alledem — ich sage es zu dir allein und das Herz auf den Lippen — falls nicht die Leidenschaft mich blendet: die Introduction, das Erscheinen Normaʼs und ihre Cavatine, das Duett der beiden Frauen mit dem darauffolgenden Terzett, das Finale des ersten Actes, das andere Frauenduett und das ganze zweite Finale, von der Kriegeshymne angefangen, sind Musikstücke, die mir so sehr gefallen, daß ich glücklich wäre — ich bekenne es dir — vermöchte ich immer solche in meiner ferneren Laufbahn zu schaffen. Basta!! In Bühnensachen ist das Publicum oberster Richter. Indessen hoffe ich von seinem gegen mich gefällten Urtheilsspruche noch zu appelliren, und falls das Publicum von seinem Irrthum zurückkommen sollte, dann habe ich den Proceß gewonnen und darf „Norma“ laut für mein bestes Werk erklären. Wenn nicht, so werde ich in mein traurig Los mich ergeben und mir zum Troste sagen: Haben nicht die Römer sogar die Olympiade“ des göttlichen Pergolese ausgezischt?“ Aus die sen Bekenntnissen des schmerzlich getroffenen Tondichters spricht ein echtes und rechtes Künstlerbewußtsein. Es zeugt von klarer Selbsterkenntniß, wenn Bellini die durchgefallene „Normafür seine beste Oper und sich für zufrieden erklärt, falls er auf derselben Höhe sich erhalten würde. Letzterer Wunsch ist leider nicht in Erfüllung gegangen. In der „Norma“ hat

Belliniʼs Talent den höchsten ihm erreichbaren Gipfel erklom men, was noch folgt („Beatrice di Tenda“ und die „Puri taner“) ist ein jäher Sturz von dieser Höhe. Wenn es noch eines äußeren Beweises bedürfte für die hervorragende und eigenthümliche Bedeutung „Normaʼs“ unter den Belliniʼschen Opern, das Fiasco der ersten Aufführung liefert denselben. Nicht als ob der Durchfall einer Oper deren Vorzüglichkeit und verkannte Genialität darthun würde, das Zischen des Publicums traf zu allen Zeiten ebenso gut neue Meisterwerke als neue Machwerke, und letztere viel häufiger. Aber gerade unter den speciellen Verhältnissen von Zeit und Ort deutete das Stützigwerden der Mailänder darauf hin, daß in der Norma“ besondere Eigenthümlichkeiten steckten, Vorzüge höhe rer und stärkerer Gattung, die das bequeme Niveau der Straniera“ und „Sonnambula“ überragten und auf die man nicht gefaßt war. Man fand etwas Anderes, als man er wartet hatte; daß dieses Andere ein Mehr sei, wurde einem Publicum, das eben erst in der weichlichen „Nachtwandlerinsein höchstes Ideal gefunden, beim ersten Hören nicht klar. Bellini empfand das Mißgeschick seiner Oper so schmerzlich, daß er, wie sein Freund Pacini erzählt, bittere Thränen vergoß. Von einer Freundin befragt, welche seiner Partitu ren er retten würde, wenn man bei einem Schiffbruche alle bis auf Eine über Bord werfen wollte? — rief Bellini leb haft: Ah, meine geliebte „Norma“! Glücklicherweise litt Norma“ keinen wirklichen Schiffbruch, sie erhob sich schnell wieder und lief mit vollen Segeln und lorbeergeschmückten Wimpeln in alle lyrischen Häfen Europas ein. In Italien selbst suchte das Publicum durch verdoppelten Beifallsjubel die Scharte des ersten Abends auszuwetzen.

Die Freude über den nachträglichen Triumph der „Normaschien in Bellini die Sehnsucht nach seinem theuren Meister Zingarelli und seinen jahrelang vermißten Angehörigen in Catania neu anzufachen. Er kam im Januar 1883 in Nea pel an, wo er unverzüglich zu Zingarelli eilte. Während sich

die Beiden in den Armen lagen, hatte die Nachricht von Bel liniʼs Anwesenheit wie ein Blitz in alle Classen des Conser vatoriums geschlagen, und die Zöglinge drängten sich in freu diger Aufregung um den berühmt gewordenen einstigen Schüler der Anstalt. Bellini blieb zwei volle Wochen im Conservato rium bei Zingarelli, dem er die Partitur der „Norma“ wid mete. Er widerstand den Lockungen Barbajaʼs, der nicht weniger als drei neue Opern von ihm begehrte, und eilte nach Catania, wo ihm die Einwohnerschaft einen feierlichen Empfang bereitete. Die Bewohner des Städtchens waren unendlich stolz auf ihren gefeierten Landsmann; das Patriarchalische dieses Verhältnisses fand seinen hübschesten Ausdruck bei einer Auf führung des „Piraten“, wo Bellini, lärmend hervorgerufen, mehrmals seinen vor Freude halb närrischen Vater mit an der Hand herausführte. Inmitten dieser Freuden und Ehren litt Bellini unter der fixen Idee, daß er seine Heimat zum letztenmale sehe. Immer häufiger wurden diese Anfälle melan cholischen Trübsinns. In solcher Stimmung mag er in Ca tania den Plan gefaßt haben, den „Orest“ von Alfieri, ganz so wie ihn der Poet geschrieben, in Musik zu setzen. Der Plan wurde nicht verwirklicht, Bellini selbst mochte gefühlt haben, daß seine elegische Lyra keine Töne für die Verzweiflung des Orest und das furchtbare Rächeramt der Furien besitze. Bel lini kehrte nach Mailand zurück, um sich bald darauf nach Venedig zu begeben, zur ersten Aufführung seiner neuen Oper Beatrice di Tenda“. Er hatte das Werk unter sehr verstimmenden Einflüssen componirt. Dahin gehörten die bös willig verbreiteten Gerüchte von tadelnden Kritiken Belliniʼs gegen den „Tancred“ von Rossini, ferner sein Zerwürfniß mit Romani, welcher, mehr mit Liebschaften als mit Versen be schäftigt, den Componisten wiederholt in dringendsten Momen ten im Stiche ließ. „Beatrice di Tenda“ wurde in der Fenice am 16. März 1833 aufgeführt und erlebte einen ent schiedenen Mißerfolg. Ein für das italienische Theaterleben charakteristischer Zwischenfall verdient erwähnt zu werden. Das

gegen Bellini eingenommene Publicum äußerte während der Vorstellung auf alle Art seine Mißstimmung; als einmal das Murren und Zischen besonders auffallend wurde, glaubte die Pasta dies unerklärliche Uebelwollen auf sich beziehen zu müs sen und gerieth in leidenschaftlichen Zorn. Mit seltener Geistesgegenwart ergreift sie die Gelegenheit, ihm Ausdruck zu leihen; sie wendet sich mit den Worten Beatriceʼs: „Se amar pon puoi, rispettami!“ „Wenn du mich nicht lieben kannst, so achte mich!“ statt an den Herzog direct an das Publicum und schleudert diese Apostrophe mit höchster Kraft ins Parterre. Eine dröhnende Beifallssalve lohnt ihre seltene Kühnheit, und die Oper geht ohne weitere Störung zu Ende. Doch hat „Beatrice“ niemals Beliebtheit erlangt — ein Schick sal, das in der Mittelmäßigkeit der Partitur eine völlig aus reichende Erklärung findet.

Unaufgehalten durch den Unfall der „Beatrice“ flog der Ruhm Belliniʼs in alle Lande. Der kaum 32jährige Compo nist zählte zu den gefeiertsten Namen in Europa. Die lockend sten Anträge kamen ihm aus London und Paris. In London hatte er gegen ein Honorar von 12,000 Francs „Normaund „Sonnambula“ (mit der Pasta, Méric-Lalande und Donzelli in den Hauptrollen) einzustudiren und zu dirigi ren. Hierauf ging er nach Paris, wo der freundschaftliche Ver kehr mit Cherubini und Rossini, außerdem Zerstreuungen und Huldigungen aller Art ihn vollauf beschäftigten. Er hatte eine neue Oper für das Théâtre Italien in Paris zu schreiben. Mit Ro mani entzweit, mußte Bellini sich wider Willen einem anderen Textdichter anvertrauen. Er wählte den Conte Pepoli, wel cher ihm das Libretto zu den „Puritanern“ fabricirte. Es war einem Drama von Ancelot („Cavaliere und Rundhütte“) nach gebildet, welches seinerseits wieder aus einem Walter Scottʼ schen Roman entstanden war. Nur schwer verstand sich Bel lini mit seinem neuen Mitarbeiter, dessen Dichtungsweise ihm ungewohnt und unsympathisch war. „Ich fühle jetzt,“ schreibt

er an einen Freund, „daß, falls ich noch für Italien compo niren sollte, ich es nicht ohne Romani kann. Alle Anderen sind kalt, abgeschmackt und ohne Leidenschaft. Ich muß meine Eigenliebe der Kunst zum Opfer bringen und alle Mittel ver suchen, mich ihm wieder zu nähern.“ Die Beiden haben sich wirklich kurze Zeit darauf vollständig wieder versöhnt. Um ru higer arbeiten zu können, zog Bellini mit einer befreundeten Familie nach Puteaux, einer kleinen Sommerfrische an der Seine nahe bei Paris. Die Arbeit lag ihm sehr am Herzen: ein Erfolg in Paris hatte entscheidende Wichtigkeit, überdies war die Rivalität Donizettiʼs zu bestehen, welcher gleichzeitig für dieselbe Bühne den „Marino Falieri“ schrieb. Bellini verwendetet auf die „Puritaner“ mehr Mühe und Sorgfalt, als auf seine früheren Werke, zeigte auch jede Nummer, so bald sie fertig war, Rossini; doch wurde er, je näher dem Ab schlusse, desto ängstlicher. „I Puritani di Scozia“ — so lau tete ursprünglich der Titel — wurden am 25. Januar 1835 in Paris zum erstenmale gegeben. Die Aufführung (mit Julia Grisi, Rubini, Lablache und Tamburini) war wun dervoll, der Beifall enthusiastisch, kurz der Total-Eindruck so bestechend, daß ein besserer Kritiker als Herr Pougin (Castil- Blaze nämlich) am anderen Tage im Journal des Debats mit Entschiedenheit behauptete, „que le talent de Mr. Bel lini a singulièrement grandi“. Das Gegentheil ist wahr: nur die Instrumentirung und sonstige Mache ist etwas sorg fältiger als früher (was bei Individualitäten wie Bellini von geringer Wichtigkeit); die Kraft der Erfindung, sowie das dramatische Feuer sind auffallend gesunken im Vergleiche mit „Norma“. Die beiden gefeiertesten und populär gewordenen Nummern, das Unisono-Trompeten-Duett der beiden Bassisten und die Bravour-Polacca der wahnsinnigen Elvira gehören zu dem Trivialsten, was Bellini je geschrieben. Der Rest ist Langeweile. Natürlich schwört auch Herr Arthur Pougin auf die neue Entwicklungsphase, die „modification profonde“, welche Belliniʼs Styl in den „Puritanern“ vollzogen habe.

Die Zeit hat bereits entschieden: die „Puritaner“ sind von den meisten Bühnen verschwunden oder fristen im Schatten der Norma“ und „Sonnambula“ nur noch ein kümmerliches Leben. Die „Puritaner“ waren Belliniʼs letzte Composition. Von einer früheren Oper, „Ernani“, welcher Bellini ein einzigesmal ganz flüchtig mit dem Bemerken erwähnt, sie sei verboten worden und habe ihm einiges melodisches Material für die „Nachtwandlerin“ geliefert, ist nirgends eine Spur oder nähere Nachricht aufzufinden. Nach dem Erfolg der „Puri taner“ sah sich Bellini mit Ehren und Auszeichnungen über häuft, er war so glückselig, als ein Sterblicher nur sein kann. Leider war dieses Glück von kurzer Dauer. Bellini hatte sich in Paris zu sehr der Arbeit und zu sehr den Vergnügungen hingegeben; er verfiel in eine krankhafte Abspannung und mußte nach den ersten Wiederholungen der „Puritaner“ auf Geheiß der Aerzte nach dem stillen Puteaux zurück, wo man ihm alle Besuche, bis auf wenige, strenge fernhielt. Eine zeitlang schien sein Zustand Besserung zu verheißen; erst gegen Anfang Sep tember stellte sich die furchtbare Unterleibskrankheit wieder ein, welche ihn einige Jahre früher in Mailand fast an den Rand des Grabes gebracht. Diesmal war die Kunst der berühmtesten Aerzte, die Pflege der hingebendsten Freunde vergeblich, Bel lini starb am 23. September 1835. Wie fast immer, wenn ein berühmter Mann in jungen Jahren stirbt, so verbreitete sich auch gleich nach Belliniʼs Tod das Gerücht, er sei ver giftet worden. Die ärztliche Section des Leichnams erwies dieses Gerücht als vollständig grundlos. Frankreich bereitete dem theuren Todten eine würdige Leichenfeier. Vier berühmte Componisten (französisch gewordene Landsleute Belliniʼs), näm lich Cherubini, Caraffa, Paër und Rossini, trugen die Enden des Bahrtuches; Lablache, Tamburini, Ivanoff und Rubini sangen die Grabgesänge in der Kirche. Trotz des Regengüsses folgte eine unabsehbare Menge dem Sarge nach dem Père-Lachaise, wo Ferdinand Paër im Namen des Institut de France, Orioli im Namen Italiens am

offenen Grabe sprachen. Eine öffentliche Subscription deckte die Kosten des schönen Monumentes, das sich über dem Grabe er hebt. Bellini ruht in dem „Bosquet des Musiciens“, wie im Volksmunde jener gartenähnliche Theil des Père-Lachaise heißt, der die Gräber von Méhul, Gossec, Catel, Isouard, Panseron, Boieldieu, Herold, Chopin und anderer Tonkünstler dicht neben einander versammelt. Im Jahre 1865, also dreißig Jahre nach Belliniʼs Tod, reclamirte die Gemeinde Catania seinen Leichnam; nachdem ihr Gesuch bis jetzt unbe antwortet geblieben ist, darf man wol annehmen, die Leichen gräberei werde unterbleiben.

Herr Arthur Pougin schließt sein Buch mit einem langen Capitel, überschrieben „Le génie de Bellini“. Es ist ein ge wöhnliches, dilettantisch-phrasenreiches Geplauder. Auf den Kern der Sache, das eigentliche Musikalische, ist nirgends ein gegangen; nicht eine einzige Oper wird aufmerksam kritisirt, nicht ein einziges hervorragendes Musikstück zergliedert. Nir gends bringt der Verfasser eine halbwegs neue Bemerkung, einen scharf charakterisirenden Zug; selbst so naheliegende Beob achtungen, wie z. B. daß Belliniʼs Melodien fast regelmäßig auf der Terz anheben und mit Beginn des zweiten Theiles nach der Moll-Tonart moduliren, scheint Herr Pougin nie ge macht zu haben. Ja sein Urtheil spaltet sich mitunter seltsam widersprechend. Im Verlaufe des biographischen Theiles hat er nämlich für die erfolggekrönten Opern Belliniʼs nur Lob, meist das enthusiastische vom Schlage der italienischen Nekro logie. Hingegen glaubt er im Schlußcapitel vom „génie de Bellini“ den ernsten Kritiker hervorkehren zu müssen und nimmt dem Tondichter häufig mit der linken Hand weg, was er ihm mit der Rechten gegeben. Nachdem er früher die überraschende „neue Stylphase“ in den „Puritanern“ gerühmt, sagt er am Schluß: Bellini sei immer derselbe geblieben, eine Eigenschaft, die, ein Glück für seine kurze Carrière, ihm bei längerem Leben zum Unheil ausgeschlagen wäre, da er „unfähig war, seinen Styl zu erneuern oder auch nur zu kräftigen“. Bellini, heißt

es weiter, habe, „keine jener bleibenden Schöpfungen geliefert, welche die Grenzen der Kunst erweitern, wie „Alceste“, „Don Juan“, Freischütz“ und — der „Zweikampf“ (pré aux clercs) von Herold“!! Daß Belliniʼs begrenztes, aber echtes Talent wirk lich neue Elemente in die italienische Oper eingeführt und die Grenzen der Rossiniʼschen Opera seria nach Seiten der Em pfindung, des ausdrucksvollen Gesanges erweitert habe, das vergißt Herr Pougin zu sagen. Oder er will es nicht sagen, da er sein Buch sehr unnöthigerweise Rossini gewidmet hat. Da darf denn der eine Vorzug, welcher Bellini gegenüber dem genialeren Rossini zu statten kommt, nämlich der seelenvolle Ernst der Empfindung, die Rückkehr zum einfachen getragenen Gesang nach Rossiniʼs Bravour-Ueberladung, nicht hervorgeho ben werden. Dieses Element in Belliniʼs Musik fiel gleich anfangs selbst den laienhaftesten und befangensten Rossini-Schwärmern auf, wenn sie es auch oft wunderlich genug auslegten. So schreibt Stendhal, dessen „Correspondance inédite“ Herr Pougin nicht zu kennen scheint, im Jahre 1831 nach einer Aufführung der „Straniera“: „Bellini ist ganz entschieden nur eine Art Gluck, seine Melodie ist nichts als ein obligates Recitativ, kein Gesang.“ Der geistreiche Mann war überhaupt in musikalischen Dingen ein schlechter Prophet. Meyerbeer ist ihm (1820) „ein Mann etwa wie Marmontel oder Lacretelle; ein klein bischen Talent, aber von Genie nicht mehr, als auf die flache Hand geht“. Von Donizetti schreibt Stendhal im Jahre 1824: „Er ist ein großer und schöner junger Mann, kalt und ohne eine Spur von Talent.“ Dafür wird eine Anzahl von Aussprüchen Belliniʼs erzählt, die sämmtlich darthun sollen, daß dieser die Rossiniʼschen Opern als höchsten Gipfelpunkt der Kunst, ins besondere „Semiramis“ als ein „erhabenes Wunderwerk des menschlichen Geistes“ verehrt habe.

Bellini war mehr Poet als Musiker,“ so lautet die ganz hohle Effectphrase, in welche der Verfasser schließlich sein Urtheil über Bellini zusammenfaßt. Wie viel hübscher und treffender ist das Wort eines italienischen Schriftstellers: Bellini sei der „Petrarca der Musik“.