Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse No. 1372. Wien, Donnerstag den 25. Juni 1868 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

No. 1372. Wien, Donnerstag den 25. Juni 1868 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 25.06.1868
font-style:italic; font-weight:bold; Deutsch Transkribus OCR und Lektorat. Transformierung der Daten des Transkribus TEI-Export mit "editions.xsl". Formatierung. Alle Orte, Werke, Daten, Personen ediert. Letztkorrektur für Zwischenrelease.
Richard Wagnerʼs „Meistersinger von Nürnberg“. II.

München, 22. Juni. Ed. H. Es gilt jetzt den schwierigen Versuch, eine Oper zu schildern, in welcher unendlich wenig geschieht und unendlich viel gesungen wird. Die Ouvertüre zu den „Meister singern“, die nacheinander alle „Leitmotive“ der Oper brocken weise in eine Fluth von chromatischen Gängen und Sequenzen wirft, um sie schließlich in einem wahren Ton-Orcan über- und durcheinander zu schleudern, muß in Uneingeweihten die Vermuthung erregen, daß die Nürnberger Meistersinger sich hauptsächlich mit Cyankali beschäftigten. Dieses Orchesterstück für die unangenehmste Ouvertüre der Welt zu erklären, hin dert mich lediglich die Rücksicht auf das noch entsetzlichere Vorspiel zu „Tristan und Isolde“. Ich muß dabei immer an das alte italienische Bild jenes Märtyrers denken, dem die Eingeweide langsam aus dem Leibe herausgehaspelt werden. Das Meistersinger-Vorspiel geht wenigstens rasch und beherzt mit der Keule vor. Beim Aufziehen des Vorhanges sehen wir das Innere der Katharinenkirche in Nürnberg. Die Gemeinde singt einen Choral, zwischen dessen Absätzen das Orchester die zärtlichen Empfindungen eines jungen Ritters malt, welcher, im Anblicke eines jungen Bürgermädchens versunken, im Vor dergrund steht. Der Gottesdienst ist aus, der junge Ritter, Walther v. Stolzing, eilt auf die schöne Unbekannte zu: „Mein Fräulein sagt, seid Ihr schon Braut?“ Mit der blitz artigen Gegenseitigkeit und Energie, welche alle Liebesverhält nisse bei R. Wagner charakterisirt, erwidert ihm Eva Pogner bald: „Euch wählʼ ich oder Keinen“. Nur müßte der Werber zuvor die von ihrem Vater gestellte Bedingung erfüllen, den

Preis im Meistergesang zu erringen. Eva eilt mit Magda lena, ihrer älteren Begleiterin, von dannen; Walther verbleibt in der Kirche, wo eben Vorbereitungen zu einer Versammlung der Meistersinger getroffen werden. Walther wendet sich an David, einen der geschäftig ordnenden Lehrbuben, und befragt ihn, auf welche Art man Meistersinger werden könne. Mit einer entsetzlichen Gründlichkeit belehrt ihn David über die Einrichtungen des „Singgerichtes“ und die poetischen Regeln der Tabulatur. Er zählt ihm an 40 bis 50 verschiedene „Töne und Weisen“ vor, wie „die englische Zinn-, die Zimmt röhrenweisʼ, die Frösch-, die Kälber-, die Stieglitzweisʼ, die ab geschiedene Vielfraßweisʼ“ u. s. w. — es klingt wie ein in Musik gesetzter Auszug aus Wagenseil. Endlich kommen die Meister, conversiren eine zeitlang und werden dann na mentlich aufgerufen. Die Sitzung beginnt mit einer Rede des Goldschmieds Pogner, worin er die Hand seiner Tochter Eva sammt seinem reichen Hab und Gut demjenigen zusagt, der „im Kunstgesang vor allem Volke den Preis errang, am Sanct Johannistag, sei er, wer er auch mag“. Diese An rede Pognerʼs fällt trotz ihrer großen Länge wie ein Sonnen strahl in die trübverschwommene, langweilige Musik, die bisher allein geherrscht. Das kurze Anfangsmotiv ist einer der we nigen erfreulichen Melodienkeime in der Oper, die auch von Anfang bis zu Ende damit durchflochten wird. Nach einer langwierigen Verhandlung der Meister über diesen Antrag tritt Walther auf und wird zu singen aufgefordert. „Meint Junker Ihr, in Sangʼ und Dichtʼ — Euch rechtlich unterwiesen — seid Ihr bereit, ob Euch gerieth — mit neuer Findʼ ein Meisterlied — nach Dichtʼ und Weisʼ Euʼr eigen, — zur Stunde jetzt zu zeigen?“ Walther antwortet: „Was heilig mir, — der Liebe Panier — schwingʼ ich und singʼ ich, mir zu Hoffʼ!“

Der Stadtschreiber Beckmesser, ein boshafter alter Geck, übt das „Merker-Amt“, d. h. er merkt, hinter einem Vorhang verborgen, mit Kreide alle Fehler an, welche der

Sänger gegen die Schulregeln des Meistersangs begangen. Zuvor werden dem Ritter noch die Gesetze aus der Tabulatur vorgelesen, worauf der Zuschauer, schon übersättigt von all den früheren Explicationen der Meistersinger-Regeln, gerne verzichten würde. Kothner singt: „Ein jedes Meistergesanges Bar — stellʼ ordentlich ein Gemäße dar — aus unterschiedlichen Gesetzen, die Keiner soll verletzen — Ein Gesetz besteht aus zweenen Stollen — die gleiche Melodey haben sollen, — der Stollʼ aus etlicher Versʼ Gebänd — der Vers hat seinen Reim am Endʼ — darauf so folgt der Abge sang“ u. s. w. u. s. w.

Walther singt ein Lenz- und Liebeslied, das trotz einiger geistvoller und anmuthiger Details es zu keiner rechten und vollen Wirkung bringt, hauptsächlich durch die maßlose Unruhe in der Begleitung und Modulation. Wir ziehen die stimmungs vollen Strophen vor, mit denen Walther unmittelbar vorher die gestellten Fragen beantwortet („Am stillen Herd in Win terszeit“). Schade, daß die Gesänge Waltherʼs, welche — mit Pognerʼs Anrede — das Beste in der Oper bilden, einander gar so ähnlich sind. Walther hat zwar ziemlich lange, aber doch noch nicht ausgesungen, als Beckmesser, die vollgekreidete Tafel zur Hand, aus dem „Gemerke“ hervorspringt und eine Unzahl von Fehlern nachweist. Auch die übrigen Meister sind über die Regelwidrigkeit des Gesanges entrüstet, den sie als „eitel Ohrgeschinder“ bezeichnen. Der einzige Hanns Sachs nimmt die Partei Waltherʼs und erregt dadurch den höchsten Zorn Beckmesserʼs, der in dem Ritter einen gefährlichen Rivalen ahnt. Es folgt ein tobendes, chaotisches Durcheinander aller Stimmen, das endlich mit dem Wahrspruch endet, der Ritter habe „versungen und verthan“. Der Total-Eindruck dieses Actes ist, trotz der erwähnten schönen, nur allzu rasch verschwindenden Einzelheiten, ein höchst ermüdender, nieder drückender. Die Gespräche der Meistersinger und die uner sättliche Aufzählung ihrer Regeln und Gepflogenheiten sind

wahre Geduldproben für den Hörer. Der Stoff gäbe, rasch und launig behandelt, eine wirksame Introduction; zu einem ganzen, langen Act ausgedehnt, wird er von unerträglich pro saischer Schwere. Für die komische Oper — und das sind die „Meistersinger“ nach ihrer ganzen Anlage, Verwicklung und Lösung, ganz abgesehen von den zwei ausgesprochenen Buffo-Figuren David und Beckmesser — erscheint Wagnerʼs Talent in keiner Weise geschaffen. Der Conversationston, wel cher doch fast ausschließlich in den zwei ersten Acten herrscht, klingt nicht einen Augenblick leicht und fließend, sondern ist durch eine schwerfällige, gesuchte, fortwährend unruhige Musik wiedergegeben, deren Instrumentirung obendrein in complicir tester und lautester Weise arbeitet. Die Sänger müssen einander die alltäglichsten, auf den gewöhnlichen Sprach ton angewiesenen Fragen und Antworten zuschreien, um den Schwall des Orchesters zu übertönen. Schreiten wir von dieser ganz verfehlten Färbung des gewöhnlichen Gesprächs zu dem Ausdruck des eigentlich Komischen weiter, so wird das Unzureichende der Wagnerʼschen Musik noch auffallender. Wo sie, in den Rollen Davidʼs und Beckmesserʼs, komisch wirken will, wird sie gespreizt, überladen, ja häßlich bis zur Unaus stehlichkeit. Mit den grausen Dissonanzen, in welchen Beck messer schimpft oder lamentirt, könnte man beinahe die Blen dung Glosterʼs in „König Lear“ oder das Erwürgen der Desdemona begleiten. Wenn der Lehrjunge David vom „Knieriem“ oder „eitel Brot und Wasser“ spricht, spielt das Orchester Mord und Brandstiftung. Man höre den Chor, in welchem am Schlusse das Volk den schlechten Gesang Beck messerʼs verlacht, und frage sich, ob er nicht von einem wü thenden Pöbel bei einer gelungenen Lynchjustiz gesungen werden könnte. Die Musik hat allerdings wenig selbstständige Mittel für komische Wirkungen; sie muß sich in den meisten Fällen damit begnügen, das Komische des Textes auf den leichten Wellen heiterer, anmuthig scherzender Weisen zu tragen und

hervorzuheben. Humor und Grazie fehlen aber Wagner voll ständig, das hat er mit seinem italienischen Gegenbild Verdi gemein. Wenn es schon Meyerbeer schwerfällt, den Aus druck unbefangener Fröhlichkeit und natürlicher Komik zu tref fen und durch fünf Minuten festzuhalten — dem noch pathe tischeren Wagner ist es geradezu unmöglich. Der zweite Act der „Meistersinger“ dürfte davon Jeden überzeugen, der es nicht schon nach dem ersten weiß. Der Schauplatz stellt eine Straße in Nürnberg vor; rechts im Vordergrund das schmucke Haus Pognerʼs, links die Schusterwerkstatt von Hanns Sachs. Zwischen beiden sieht man in einer wunderbaren Per spective die ganze Länge der Straße hinauf, welche, durchaus plastisch, durch Versetzstücke dargestellt ist, wie denn in der ganzen Münchener Vorstellung keine Seitencoulissen vorkom men. Diese prachtvolle Nürnberger Straße, über welche sich das Licht des Vollmondes ergießt, während aus den niedrigen Fenstern der Giebelhäuser trauliche Lichter glänzen, ist ein Haupteffect der Vorstellung; von ihr hört man sofort mit Entzückung sprechen, wenn von der Musik des zweiten Actes die Rede ist.

Dieser Act beginnt mit einem Singen und Springen der Lehrbuben, die sich auf das Johannesfest freuen und, wie gewöhnlich, ihren Collegen David hänseln. Pogner und Eva kommen des Weges und singen ein höchst uninteressantes Ge spräch. Eva geht zu Sachs hinüber, um über das Schicksal des Ritters bei dem Freisingen etwas zu erfahren; Eva: „Ihr wißt nichts, Ihr sagt nichts? Ei, Freund Sachs! Jetzt merkʼ ich wahrlich, Pech ist kein Wachs.“ Sachs: „Lieb’ Evchen, machst mir blauen Dunst?“ Eva: „Nicht ich! Ihr seidʼs, Ihr macht mir Flausen“ u. s. f. Sachs berichtet ihr den ungünstigen Ausgang. Von der Schwerfällig keit dieses sich endlos hinziehenden Dialogs läßt sich schwer eine Vorstellung geben. Jeder „alte Meister“ hätte sich hier leicht mit dem einfältigen Mittel geholfen, die Beiden auch einmal

zusammen singen zu lassen, allenfalls die Conversation mit einem Duettsatz zu schließen. Aber bei Richard Wagner dürfen die Leute nur Einer nach dem Andern, nie zugleich singen, weil das unnatürlich sein soll und obendrein angenehm klänge.

Ritter Walther kommt auf Eva zu; trotz der verlockenden Verse: „Ja, Ihr seid es! Nein, du bist es!“ u. s. f. kommt es auch hier zu keinem Duettsatz; Jedes singt dem Andern seine Gedanken extra vor, welche — musikalisch sehr reizlos und gezwungen — sich endlich in dem Plane zur Flucht vereinigen. Das Liebespaar ist bereit, doch muß es sich zuerst vor dem vorbeiziehenden Nachtwächter und jetzt gar vor Herrn Beckmesser in die Ecke drücken. Beckmesser präludirt auf der Laute, um vor Evaʼs Fenster ein Ständchen zu singen, Hanns Sachs jedoch kommt ihm mit einem Schusterlied zuvor („Jerum! Jerum! Holla, holla heh!“), das, angeblich komisch, mehr an einen brüllenden Tiger erinnert, als an einen lusti gen Schuster. Nicht weniger als drei Strophen gibt Hanns Sachs davon zum Besten, dann folgt eine Verhandlung zwi schen ihm und Beckmesser, der durchaus Ruhe für seine Ge sangs-Production haben will. Sachs verspricht ihm endlich, zu schweigen, behält sich aber vor, jeden Fehler Beckmesserʼs mit einem Hammerschlag auf die Sohle, die er eben bearbeitet, zu markiren. Es ist unbegreiflich, wie bis auf den letzten Tropfen dieser Spaß ausgepreßt und dadurch schließlich ganz abge schmackt wird. Beckmesser beginnt seine Serenade, die, von glücklichem, charakteristischem Anfang, sich nur zu bald verkün stelt; Sachs klopft bei jedem Tact ein- bis zweimal mit dem Hammer auf, Beckmesser stellt ihn entrüstet zur Rede, Sachs beruhigt ihn, Beckmesser fängt wieder zu singen, Sachs wieder zu klopfen an, sie zanken abermals und schließlich doch so aus giebig, daß die Nachbarn die Köpfe herausstrecken und sich über den Lärm beklagen. Der Lehrjunge David erwischt Beck messer und prügelt ihn, auf dessen Geschrei füllt sich die

Gasse mit Menschen, die nun alle zu schimpfen, zu schreien und prügeln beginnen, bis ein wahrer Teufelslärm entsteht, wie man nie einen ähnlichen auf der Bühne gehört hat. Beim Studium der Partitur hatte ich mir gerade von diesem Finale viel mehr erwartet; Wagner hat mit wahrhaft raffinirter Kunst dieses Durcheinander auf gebaut, in welchem bald einzelne Stimmen, bald ganze Chor gruppen sich gegenüberstehen, einander im Eifer das Wort vom Munde abfangend. Seltsamerweise hat den Componisten hier sein scharfer praktischer Blick getäuscht: von der ausge tüpfelten musikalischen Disposition ist nichts, gar nichts zu unterscheiden, man hört nichts als ein wahrhaft brutales Schreien und Lärmen. Eine sehr gute Idee, daß Wagner den Act nicht geradezu mit dem Straßenspectakel schließen, sondern die Leute sich verlaufen und den Lärm allmälig ver hallen läßt. Wir sehen den Nachtwächter allein langsam durch die leere, mondbeglänzte Straße schreiten — einer jener poe tisch-pittoresken Effecte, auf die sich Wagner vor Allen ver steht. Der zweite Act ist zu Ende, und wir haben geistreiche Details bemerkt, aber kaum etwas gehört, was uns anhaltend hätte erfreuen und erwärmen können. Um 9 Uhr beginnt der dritte Act, der längste, aber auch beste der Oper. Zu An fang desselben geht es freilich noch ganz in dem flauen, ge dehnten Declamirton des zweiten Actes fort. Da gibt es eine spießbürgerliche Einleitungs-Scene zwischen Sachs und seinem Lehrjungen, der eine Johannes-Legende singt und dem Meister zum Namenstage gratulirt. Es folgt ein langer, langer Mono log des Sachs, worin er über den „Wahn“ philosophirt; blitzte nicht eine reizende kleine Instrumental-Schilderung („Glühwürmchen“) mitten in den salbungsvollen Singsang, man geriethe in Gefahr, einzunicken. Ritter Walther tritt unter Harfen-Arpeggien bei Sachs ein, dieser fordert ihn auf, seinen Traum zu erzählen. Waltherʼs Lied: „Morgenlich leuchtend“, beginnt mit einer zarten Melodie, die zum Glücke

nicht schon mit dem dritten Tacte sich in den Ocean der „Unendlichkeit“ verliert und sogar eine recht ruhige, einfache Begleitung hat. Die Melodie macht einen günstigen Eindruck, was der Componist nur zu gut weiß, denn er kann davon nicht mehr fortkommen. Die vielen Strophen und späteren Wiederholungen des Liedes schaden ohne Frage. Während Walther singt, schreibt Sachs das Gedicht auf. Beckmesser, der später eintritt, will das Blatt stehlen, Sachs schenkt es ihm und erlaubt dem Ueberglücklichen, es beim Preissingen am Johannesfeste ohneweiters als sein eigenes vorzutragen. Die Unterredung zwischen Sachs und Beckmesser (der jetzt in seiner Freude ebenso barbarisch und unnatürlich singt, wie früher im Zorne) ist abermals eine starke Geduldprobe für den Hörer. Zum Glück kommt endlich Eva in vollem Fest schmucke, läßt sich vom Sachs den Schuh abziehen und aus dehnen, als plötzlich auch Walther im rothseidenen Wamms hereintritt. Es versteht sich beinahe von selbst, daß die Beiden (wie „Senta“ und der „Holländer“) einander mehrere Minu ten lang „wie festgebannt“ in sprachlosem Entzücken gegenüber stehen müssen. Walther singt abermals eine Strophe seiner „Morgentraumdeut-Weise“, die Sachs nun feierlich unter Bei ziehung des Lehrbuben und der Magd auf diesen Namen tauft. Wir würden auf diese etwas kindische Feierlichkeit gern ver zichten, wenn sich nicht daraus etwas höchst Ueberraschendes und Erfreuliches entwickeln würde. Nämlich nichts weniger als ein sehr wohlingendes, schön abgerundetes Vocal- Quintett, dessen melodiöse Oberstimme zuerst Eva allein intonirt. Von 6 Uhr bis halb 11 Uhr hatte das Publicum nichts gehört als declamatorischen Einzelgesang über dem Ge woge der „unendlichen Melodie“ oder lärmenden Chortumult. Nun kommt ganz unerwartet dieses gesangvolle Quintet, in welchem überdies Fräulein Mallinger zum erstenmale Ge legenheit erhält, einigermaßen als Sängerin hervorzutreten, und das Publicum jubelt im Anhören dieses kurzen Ensemble

satzes, welcher in irgend einer anderen Oper vielleicht keine ungewöhnliche Aufmerksamkeit erregt hätte. Das ist eines der Geheimnisse unseres modernen Meistersingers. Die Scene verwandelt sich in einen freien Wiesenplatz vor den Thoren Nürnbergs. Es ist Johannesfest, die verschiedenen Zünfte zie hen in festlicher Kleidung, mit Musik und Fahnen auf; die Schuster, die Schneider, die Bäcker singen ihre Handwerks lieder, deren poetische und musikalische Derbheit man sich hier gern gefallen läßt. Ein kleiner Walzer, von einfachster Me lodie, aber köstlicher Instrumentirung, belebt die Scene. Trom petengeschmetter auf der Bühne verkündigt das Herannahen der Meistersingerzunft. Die Scene bietet ein so prachtvolles, rechtbewegtes und historisch treues Bild, daß das Auge mehr beschäftigt ist als das Ohr. Man horcht deßhalb nicht so genau auf die allzu gedehnte, salbungsvolle Anrede Hanns Sachsens. Beckmesser ist der erste Sänger, der um den Preis zu kämpfen hat; er beginnt sich mit den fremden Fe dern Waltherʼs zu schmücken. Aber verwirrt und furchtsam, wie er ist, vergißt er den Text und verdreht jeden Satz zu Unsinn, so daß er unter Spott und Gelächter abtreten muß. Hanns Sachs erklärt, daß das Gedicht ursprünglich vortreff lich sei und nur durch die arge Verstümmelung so sehr miß fallen konnte. Auf seine Aufforderung singt nun Walther selbst das Lied, das mit Jubel aufgenommen wird. Wir verstehen allerdings nicht recht, wie dieselben Meistersinger, welche Tags zuvor einen ganz ähnlichen Gesang Waltherʼs als „eitel Ohr geschinder“ verhöhnten, nun von seiner Poesie plötzlich so hin gerissen sein können, daß sie ihm den Preis und damit Evaʼs Hand votiren. Das wird uns Richard Wagner vielleicht ein andermal erklären, für heute sind wir froh, daß das liebende Paar vereinigt und die Oper mit einer malerischen Schluß gruppe zu Ende ist.

(Schluß folgt.)