Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse No. 1388. Wien, Sonntag den 12. Juli 1868 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2024

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

No. 1388. Wien, Sonntag den 12. Juli 1868 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 12.07.1868
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Musik. (Hofoperntheater. — Liedertafel.)

Ed. H. Die Sommersaison im Hofoperntheater läßt sich weit besser an, als es sonst unmittelbar nach den Theater ferien der Fall zu sein pflegt. Die Abwesenheit zahlreicher noch beurlaubter Mitglieder, die Unlust der Sänger, die, durch den Anblick des spärlichen Publicums gelähmt, wieder auf dieses ungünstig zurückwirken, dazu ein abgespieltes Repertoire und der weitverbreitete Aberglaube, daß ein warmer Sommerabend sich besser in Laxenburg oder auf dem Liechtenstein genieße, als im Cäciliengäßchen — dies Alles spricht für den wiederholt angeregten Gedanken, die Opernferien mindestens um einen halben Monat zu verlängern. Den Vorschlag halten wir auf recht, obwol diesmal, wie gesagt, die Juli-Vorstellungen anzie hender als gewöhnlich sind. Das Publicum bekommt in rascher Folge eine Reihe fünfactiger Lieblingsopern und dazu das Gast spiel des so sehr beliebten Tenoristen Sontheim. „Eleazarund „Masaniello“ erwiesen sich abermals als Sontheim’s weit aus beste Leistungen; es sind Heldenrollen, für welche die mar kige Fülle seines Organs und die realistische Kraft seiner Dar stellung wie geschaffen sind, während Sontheim’s Persönlichkeit, zum Theil auch seine Vortragsweise gegen eigentliche Liebhaber rollen reagirt. Neu waren uns in der letzten Vorstellung der Stummen“ blos Herr Wachtel jun. als Alfonso und Fräu lein Jaksch als Fenella. Herr Wachtel versinnlichte durch Gesang und Erscheinung die äußerste Demokratisirung eines spanischen Prinzen, während die nichtssagende Mimik und das balletmäßige Puppenspiel des Fräuleins Jaksch die rührende Gestalt der Fenella gründlich vernichtete. Fräulein Jaksch gilt mit Recht für eine der ersten Springkräfte im Ballet, rein dramatischen Aufgaben wie die „Stumme von Portici“ ist sie nicht gewachsen.

Im Ganzen spricht der Beginn der Sommersaison für die Einsicht und den redlichen Eifer der neuen Direction, wenn sie uns auch so Manches noch schuldig geblieben ist.

Wir wissen, daß Herr v. Dingelstedt nicht alles Wün schenswerthe im Augenblicke herbeischaffen kann, was seine Vorgänger vorzubereiten unterließen. Dafür möchten wir ihn aber ersuchen, wenigstens nicht preiszugeben, was seine Vor gänger Gutes geschaffen haben. Dazu rechnen wir die Theater gesetze, welche das Hervorrufen der Sänger bei offener Scene untersagen, die Zahl der Hervorrufe nach dem Act schlusse auf drei beschränken, das Wiederholen einzelner Gesang stücke verbieten u. s. w. Derlei Verordnungen halten wir für etwas sehr Richtiges und Wichtiges. Es hat viel Zeit und redliche Mühe von Seiten der Kritik gebraucht, um dieselben für das Hofoperntheater zu erringen, welches durch die Bei fallsraserei aus den Blüthentagen der italienischen Saison arg demoralisirt war. Die Unersättlichkeit der Künstler ging wachsend mit jener des Publicums Hand in Hand — Rufen und Gerufenwerden war „das höchste Glück auf Erden“. Da erbarmte sich die Hofbehörde des mißhandelten theatralischen Anstandes und des ernsthaften Theiles des Publicums, und erließ jene wohlthätige Hausordnung. Nur allmälig und zö gernd fanden Künstler und Zuschauer sich in die neue Diät, die aber streng aufrechterhalten wurde, so daß jetzt seit lan ger Zeit fanatische Störungen des scenischen Zusammenhanges nicht mehr vorkamen. Die erwähnte Verordnung steht noch in Kraft und hängt in zahlreichen großgedruckten Placaten im Theater, aber gehalten wird sie nicht mehr. Wir machten diese betrübende Wahrnehmung schon einigemale vor dem Ein tritte der Opernferien. Seit der Wiedereröffnung der Oper jedoch blühen diese Ordnungswidrigkeiten in vollem Flor, die Sänger (einheimische wie fremde) werden bei offener Scene gerufen und erscheinen ohneweiters, so oft man will. Unmög lich kann dies ohne stillschweigende Billigung der vorgesetzten Behörde geschehen (bis jetzt standen Geldstrafen darauf), und deßhalb müssen wir an die Direction selbst die Interpellation richten, warum sie eine schwer durchgesetzte und jahrelang be obachtete Theater-Ordnung jetzt leichtsinnig zerstören lasse? Unwichtig können diese Vorschriften nur demjenigen vorkom men, der keinen Sinn und keine Pietät für den Zusammen hang eines dramatischen Kunstwerkes hat. Gibt es etwas Stö

renderes, als wenn die tragische Heldin, die in Wahnsinn da vonstürzt oder gar todt hinweggeschleppt wird, sofort bei offe ner Scene, also mitten in der Handlung, auf den Applaus des Publicums lächelnd und kniend wieder aus der Coulisse tritt, in zahllosen Verbeugungen alle mimischen Kunststücke eitler Bescheidenheit erschöpft und zum Ueberflusse auch noch eine Schicht Blumen und Kränze vom Boden aufsammelt! Noch schlimmer, wenn der Jubel nach einem Duett oder Ter zett losgeht. In der letzten Vorstellung der „Favorite“ wurde das einleitende Duett zwischen den Herren Sontheim und Draxler nach deren Abtreten anhaltend beklatscht. Herr Sontheim kommt nach einer Weile, bedankt sich, sucht mit den Blicken Herrn Draxler, winkt, geht in die Coulisse zurück und bringt endlich den würdigen Prior aus der Sa cristei des Dominicaner-Klosters an der Hand heraus. Nun bedanken sich Beide, das Publicum klatscht von neuem, der Capellmeister läßt den erhobenen Tactstab von neuem fallen und der Zusammenhang des Stückes wie die Stimmung des aufmerksamen Zuhörers sind schon nach der ersten Scene ge opfert. So ging es die Oper hindurch. Die größte Ueber raschung war uns aber für den letzten Act aufgespart, wo nach Sontheim’s Romanze von den Galerien ein tumultuarisches „Bis, bis, da capo!“ erschallte. Seit mehr als einem Decen nium hatten wir diesen hungrigen Ruf gottlob nicht gehört. Die Zuschauer wußten ja, daß den Sängern das Wiederholen untersagt war, und forderten es daher nicht. Jetzt, wo sie ge wahr werden, daß dem Hervorruf bei offener Scene trotz des Verbotes ungenirt Folge geleistet wird, usurpiren sie sofort auch das Recht, beliebige Stücke da capo zu verlangen. Man sieht an diesem Beispiele, in wie kurzer Zeit eine laxe Hand habung der Theater-Disciplin den fatalsten Einfluß ausübt. Nicht blos auf die Sänger, deren mühsam eingedämmte „Er scheinungs“-Sucht nun außer Rand und Band geräth, sondern noch mehr auf das Publicum, das ohnehin stets geneigt ist, das Kunstwerk über dem Künstler zu vergessen. Von der be zahlten Ekstase der Claque wollen wir gar nicht sprechen, sie ist die lästigste von allen und nur durch die strenge Aufrecht haltung jener Thatergesetze im Zaum zu halten. Es ist kei

neswegs pedantisch, wenn wir großes Gewicht auf eine Thea ter-Disciplin legen, welche nicht der Ausdruck einer willkür lichen Etiquette, sondern der Achtung vor der Integrität des Kunstwerkes ist. Das Wiener Burgtheater ist ein wahres Muster in dieser Hinsicht; es geht in seiner strengen Decenz noch weiter als das Théâtre Français in Paris und gestattet den Hervorruf der Schauspieler nicht einmal nach dem Act schlusse. Diese Strenge beanspruchen wir für ein Operntheater nicht, sie könnte für Tenoristen und Primadonnen tödtliche Folgen haben. Im Burgtheater herrscht eine eigenthümlich wohlthuende Atmosphäre von Anstand und Mäßigung — Pu blicum und Künstler sind durch eine lange Lehrzeit dazu erzo gen worden und bedürfen keiner lärmenderen Demonstrationen. Man weiß dort auch ohne Hervorruf, wer die Lieblinge des Publicums sind, und ein herzlicher, nicht betäubender Applaus wiegt im Burgtheater schwerer als der schwerste Kranz „nächst dem Kärntnerthor“. „Es gibt doch kein besseres Zeichen eines tüchtigen Kopfes, als eine schwere Hand,“ so sagt bei Shak speare ein — Lohgärber. Um auf die Hausordnung des Hof operntheaters zurückzukommen: es ist gewiß, daß sie eher zu wenig als zu viel verbietet. Da man doch offenbar die Sache und nicht die Personen im Auge hat, so ist es z. B. ganz ungerechtfertigt, fremden Sängern zu gestatten, was den ein heimischen verboten ist; die Störung bleibt dieselbe. Eine con sequente ästhetische Polizei müßte noch weiter gehen: sie müßte das Hinabwerfen von Kränzen, Bouquets und anderen Wurf geschossen auf die offene Scene untersagen. Dafür ist in den Zwischenacten hinlänglich Raum und Zeit, gerade wie für das Hervorrufen. Diese immer störende, meistens unzeitige und sel ten unbestellte Schleuderei während des Stückes selbst ist, ge linde gesagt, eine Barbarei. Man verlege sie in die Zwischen acte; damit werden auch die schriftlichen Instructionen über flüssig (wir hatten solche von einer hiesigen Sängerin in Hän den), worin der Freund genau unterrichtet wird, nach welcher Arie er den grünen Tribut zu werfen habe, den sie dann so hold erschrocken an die bescheidene Brust drückt. Wir haben wenig Hoffnung auf einen solchen neuen Verbotsparagraph „de effusis et ejectis“; was wir aber beanspruchen, ist die

strenge Aufrechthaltung der alten Paragraphe. Entschließt sich die Direction nicht rasch dazu, so dürfte es im Hofopernthea ter bald zugehen wie bei einer Benefice-Vorstellung in einem italienischen Städtchen. —

Einmal im Zuge der musikalischen pia desideria, haben wir auch einen Wunsch bezüglich unserer Sommer-Liedertafeln auf dem Herzen. Fanden wir in der Oper das unzeitige Vor treten der Sänger störend, so fragen wir umgekehrt die Lie dertafeln, warum ihre Sänger sich gar so sehr verstecken? Und zwar hinter Militärbanden verstecken, welche den besten und größten Theil des Abends mit ihren Productionen in Beschlag nehmen. Diese Potpourris, Polkas und Flügelhorn-Variatio nen mögen in ihrer Art noch so schätzbar sein, das Publicum, welches eine Gesangsproduction besucht, will doch vor Allem singen hören. Da gab der Akademische Gesang verein kürzlich im Volksgarten eine Liedertafel, welche durch den bewährten Ruf seiner Sänger und ein anziehendes Programm viele Musikfreunde herbeizog. Von 6 oder 7 Uhr bis 9 Uhr hörte man blos Militärmusik, und zwar — ein übertriebener Luxus — von zwei Regimentsbanden. Um 10 Uhr hatte man genau drei Gesangsnummern gehört, dann begann wieder das Walten der Armee. Es wird kühl und dunkel, man bezwingt die Unbehaglichkeit, um doch etwas von den Novitäten zu hören. Wir freuen uns auf den „Hut im Meere“, ein allerliebstes Gedicht von V. Scheffel, mit einer ebenso allerliebsten Musik von Engelsberg. Endlich wird der Chor angestimmt, aber es ist halb Zwölf geworden, das Publicum in vollem Aufbruch begriffen und spurlos versinkt der „Hut“, der um eine oder zwei Stunden früher hoch wie auf einer Geßlerstange triumphirt hätte. Die äußerst beifällige Aufnahme der Productionen nament lich eines sinnigen Chores von Engelsberg: „Es hat nicht sollen sein“, und eines recht packenden vom Chormeister Eyrich, „Ade“, wurde bereits früher erwähnt. Unser Vorschlag geht dahin, bei solchen Liedertafeln die Militär-Capelle (aber nicht mehr als Eine) auf eine mäßige Mitwirkung zu be schränken, die Gesangs-Productionen aber früher und möglichst ununterbrochen zur Aufführung zu bringen. Für jenen Theil

des Publicums, der noch bis Mitternacht im Garten zu sitzen wünscht, möge dann aus den Schallbechern der Tubas und Bombardons der Polkasegen so reichlich quillen, als es die Empfänglichkeit der Hörer und die Lunge der kriegerischen Bläser gestattet.