Hofoperntheater.
(Die „
Zauberflöte“. — „
Don Juan.“ — Erinnerung an
Otto Jahn.)
Ed. H. Im neuen Opernhause behauptet sich als stärkster
Magnet noch immer die „Zauberflöte“. Die musikalische
Ausführung der Oper ist so zufriedenstellend, daß wir kaum
mehr als das allzu rasche Tempo der Ouvertüre zu rügen
wüßten. Unter den Sängern in der „Zauberflöte“ steht Herr
Walter obenan. Ein geschätzter Dresdener Kritiker schloß
jüngst eine Reihe treffender Bemerkungen über unseren schnell
berühmten und goldbeladenen Tenoristen mit dem Wehruf,
„Deutschland besitze ein Dutzend „berühmter“ Tenoristen und
keinen, der den Tamino singen kann oder den Florestan
singen mag“. Walter’sTamino beweist, daß wir in Wien
eine ehrenvolle Ausnahme von jener allerdings stark verbrei
teten Tenoristengattung besitzen. Auch die übrigen Rollen sind
in besten Händen. Papagena, die es anfangs nicht war, ge
langte zum Vortheil des Ganzen wieder an Fräulein Tell
heim, und das Auftreten Fräulein Lauterbach’s als Pa
mina dürfen wir wol als eine vorübergehende Neckerei an
sehen. Zu welchem Zweck Fräulein Lauterbach ihr nicht
ungrausames Spiel vom alten Opernhause nunmehr ins neue
überträgt, ist schwer zu errathen. Fiel schon an ihrer Alice
der Mangel an Grazie und warmer Empfindung auf, das
rein Aeußerliche und Manierirte ihres Vortrages, so mußten
diese Flecken noch störender an Pamina hervortreten, einer
Rolle, welche, nicht leicht noch dankbar, nur durch echte
Eigenschaften zu wirken vermag. Auch eine kräftige Stimme,
wie Fräulein Lauterbach sie besitzt, betrachten wir als ein
Danaergeschenk, wenn ihr die reine Intonation fehlt. Mehr
noch als die musikalische Ausführung der „Zauberflöte“ ist es
die decorative, welche gegenwärtig das Publicum ins neue
Opernhaus lockt. Sie gehört zum Eigenthümlichsten und Be
deutendsten, was man in dieser Kunst sehen kann. Der Maler
Joseph Hoffmann feierte damit ein glänzendes Debüt, das
den allgemeinen Wunsch nach seiner bleibenden Anstellung voll
auf rechtfertigt. Wir beglückwünschen aufrichtig sein Talent
und seinen Erfolg, wenn wir gleich darin keine Nöthigung
sehen, die zahlreichen gelungenen Leistungen seiner Collegen,
namentlich Brioschi’s, nunmehr geringschätzig beiseite zu
werfen. Wichtig erscheint uns vor Allem das hier zum ersten
mal consequent durchgeführte Princip: die gesammte Aus
stattung einer Oper vollständig in die Hand Eines Künstlers
zu legen. Hoffmann hat nicht nur sämmtliche Decora
tionen, dreizehn an der Zahl, sondern auch alle Costüme zur
„Zauberflöte“ gemalt. Dadurch ist eine seltene Harmonie
aller Theile gewonnen: die künstlerische Einheit erstens der
leitenden Ideen, sodann speciell der Farben und Gestalten
in jeder einzelnen Scene. Bisher galt (mit wenigen der
jüngsten Zeit angehörigen Ausnahmen) die Uebung, die Deco
rationen für eine Oper an mehrere Maler zu vertheilen.
Selten traten diese Künstler in ein näheres Einvernehmen,
weder unter sich, noch weniger mit dem Zeichner der
Costüme, welche dann in Schnitt und Farbe gar häufig zu
dem Grundtone der Decorationen dissonirten. Die Anfertigung
eigener, ausschließlich für eine bestimmte Oper erdachter Deco
rationen ist keine neue Erfindung, aber doch eine nur sehr all
mälig sich verbreitende. Vor einem Decennium noch herrschten
die „Hausdecorationen“, d. h. solche, welche als „Prunksaal“,
„Bauernstube“, „Felsengegend“ u. s. w. die gebräuchlichsten
Gattungen generalisirend, in den verschiedenen Opern beliebige
Verwendung fanden. Dieses System, billig und bequem, ist
kleineren Bühnen geradezu unentbehrlich. Wer längere Zeit in irgend
einer Provinzhauptstadt gelebt, weiß, daß man dort jede Deco
ration als einen guten (meist auch schäbigen) alten Freund be
grüßt, ja in Wien selbst findet Aehnliches noch heute im Burg
theater statt. In neuester Zeit vollzieht sich hierin ein großer
Fortschritt. Ja es scheint fast, als ob man von der früheren
Dürftigkeit der überallhin passenden Hausdecorationen in das
Extrem einer luxurirenden, die Dichtung erdrückenden und von
ihr abziehenden Decorirung gerathen wollte. Hoffmann’s
Ausstattung der „Zauberflöte“ steht hart an dieser Grenze,
nicht nur durch ihre malerische Pracht, sondern noch mehr
durch ihre scrupulöse Treue. Das individuelle Verdienst dieses
Malers, sich zugleich als gelehrten Egyptologen gezeigt zu
haben, wollen wir nicht schmälern; Hoffmann hat seine Kennt
niß Egyptens in Flora und Beleuchtung, Monumenten und
Trachten bis ins kleinste hieroglyphische Detail verwerthet.
Nur gegen die principielle Forderung, daß Theater-Decoratio
nen solche gelehrte Richtigkeit besitzen müssen, hegen wir Be
denken. Das macht das Nebenwerk zur Hauptsache. In der
That geht man jetzt ins neue Opernhaus nicht, um die „Zau
berflöte“ zu hören und würdig ausgestattet zu sehen, sondern
um Egypten zu studiren, ethnographisch, botanisch und philo
logisch. Wie einst das Textbuch, so studiren die Zuhörer gegen
wärtig die von Hoffmann publicirte Erläuterung seiner Deco
rationen, sich die Namen der egyptischen Götter, Tempel und
Pflanzen einprägend. Hoffmann betont die Mühe, die er sich
mit dem „Studium der Ruinen und Denkmäler, der gelehrten
Schriften über Natur und Kunst Alt-Egyptens“ gegeben, um
durch seine Decorationen Ort und Zeit der Handlung so
getreu wiederzugeben, wie es das Libretto der „Zauberflöte“
„fordert“. Unseres Erachtens war für Mozart und Schikane
der die „Zauberflöte“ ein romantisches Märchenspiel und keine
egyptische Historie, überhaupt keine nach „Ort und Zeit“ ge
wissenhaft präcisirte Begebenheit. Die Ideenverbindung mit
dem gleichfalls an die egyptischen Mysterien anspielenden Frei
maurerthume legt natürlich das egyptische Costüm am nächsten.
Eine künstlerische Nothwendigkeit vom Standpunkte der „Zau
berflöte“ können wir in der philologischen Treue dieser egypti
schen Kunstausstellung nicht sehen, eher eine zu mißverständ
lichen Forderungen führende Gefahr. Von dieser abgesehen, ist
Hoffmann’s „Zauberflöte“ ein Unicum von entzückender Wir
kung. Wie malerisch und charaktervoll sind die Costüme der
Königin der Nacht und ihrer Damen, wie lebendig der Ein
zug Sarastro’s, wie imposant die architektonischen und wie
lieblich die landschaftlichen Bilder! Nur in Einer Scene
ist der Decorations-Maler eigenmächtig über die Dichtung
hinausgegangen, hat ohne Noth und Glück hinzucomponirt:
wir meinen die „dissolving views“, welche im zweiten Act
Tamino auf seinem Prüfungsgang theils aneifern, theils ab
mahnen sollen. Dies ist eine Ueberladung der Idee wie des
Bildes selbst, welche wir gerne hinwegwünschten. Die schön
sten der Hoffmann’schen Decorationen (insbesondere Pamina’s
reizendes Gemach mit dem transparenten Plafond und der
mondbeglänzte Garten) würden zu noch reinerer Wirkung ge
bracht durch die bescheidene Intervention eines Zwischenvor
hanges. Bietet man dem Zuschauer solche Augenweide, so
gebe man sie gleich als fertiges Bild, nicht als eine sich stück
weise zusammenschiebende Maschine. Hier hilft nur der Zwi
schenvorhang, der obendrein in der „Zauberflöte“ mit ihrer
unpraktischen Eintheilung in nur zwei Acte doppelt gerecht
fertigt erscheint. Die ganze Aufführung der „Zauberflöte“
im neuen Opernhause ist eine Merkwürdigkeit, die nirgends
ihresgleichen hat. Nur Ein Wunsch, längst allgemein em
pfunden und in diesen Blättern wiederholt ausgesprochen,
blieb auch diesmal unerfüllt: daß man die größten der styli
stischen Albernheiten des Textbuches beseitige oder mildere.
Haben wir doch einen gefeierten Poeten zum Director!
In der am Théâtre Lyrique gebräuchlichen Uebersetzung sind
die abgeschmackten Worte: „Mann und Weib, Weib und Mann —
Reihen an die Gottheit an“, mit: „Les dieux mêmes seraient
jaloux — De l’amour de deux epoux!“ wiedergegeben. Statt der
trivialen Worte: „Ein Weib thut wenig, plaudert viel — Du Jüng
ling glaubst dem Zungenspiel“, sagt in der Pariser Bearbeitung der
Priester zu Tamino: „Quand l’amour a troublé notre âme, — La
raison même est sans pouvoir.“ Es ist recht schade, daß wir von
den Franzosen lernen müssen.
Er
scheint aber selbst gegen freundschaftliche Kritik schwerhörig zu
sein, sonst müßten wir nicht auch abermals auf den erst durch
Dingelstedt wieder sanctionirten Unfug hinweisen, daß die
applaudirten Künstler bei offener Scene, also zum Hohne
jeder dramatischen Illusion, aus den Coulissen hervortreten,
um beliebig oft und lang ihre Knixe und Bücklinge zu ma
chen. Wen stört es nicht, wenn Herr Hoffmann bei jedem
mit Beifallsgemurmel aufgenommenen Decorationswechsel so
fort in schwarzem Frack complimentirend unter die egypti
schen Pyramiden und Götzenbilder tritt, zehn- bis zwölfmal
im Verlauf der Vorstellung! Wie bringt es nur ein Künst
ler über sich, seine Person so zum Schaden seines eigenen
Kunstwerkes einzumischen? Raum für Alles hat — der Zwi
schenact.
Nebst der „Zauberflöte“ füllt Mozart’s „Don Juan“
bei jeder Wiederholung die prachtvollen Räume des Opern
hauses. In der letzten Vorstellung (sie folgte unmittelbar
auf die „Zauberflöte“) glänzten Beck als Don Juan und
die Dustmann als Donna Anna. Beck, in den Liebes-
und Verführungsscenen etwas zu viel lächelnd und schlän
gelnd, wächst im Finale des zweiten Actes zur Riesengröße.
Wir sahen in dieser Scene keinen gewaltigeren Künstler als
Beck, und ihn selbst niemals so gewaltig als am letzten Abend.
Frau Dustmann erinnerte als Donna Anna nicht blos an
ihre „beste Zeit“, für ihre dramatische Meisterschaft scheint
diese beste Zeit thatsächlich jetzt erst eingetreten. Die ganze
Leistung war zu vollendeter Form herausgearbeitet und von
glühendem Leben erfüllt. Neu war der Masetto des Herrn
Neumann, welcher durch ein recht gewandtes, frisches Spiel
zu ersetzen trachtete, was seine Stimmittel schuldig blieben.
In der gut studirten und glänzend ausgestatteten Oper fiel
uns vom musikalischen Standpunkte dreierlei unangenehm auf:
das Falschgreifen der Bässe in der Begleitung der Secco-Re
citative, der ganz unpassende lange Triller Zerlinens in ihrer
zweiten Arie, endlich die Art der Violinbegleitung zu Don
Juan’s Ständchen. Wird die von Mozart vorgeschriebene,
jetzt außer Gebrauch gekommene Mandoline durch eine Geige
ersetzt, so muß diese offenbar den süßen kurzen Ton jenes
guitarreartigen Instrumentes nachzuahmen suchen. Der Vio
linspieler wird deßhalb die Begleitung pizzicato oder doch
wenigstens so zart als möglich mit springendem Bogen vor
tragen, niemals aber sie fest herunterstreichen (obendrein mit
einem derben Extrariß auf der Schlußnote), wie es leider in
Wien und nur in Wien geschieht.
In den Genuß der beiden Meisterwerke Mozart’s mischte
sich diesmal eine tiefschmerzliche Empfindung. Gewiß war ich
nicht der Einzige, der an diesen Abenden immer und immer
wieder an Otto Jahn denken mußte, den uns so plötzlich
entrissenen unvergleichlichen Kenner und Erklärer Mozart’s!
Mit Jahn, der im rüstigsten Mannesalter starb, verliert die
musikalische Forschung und Geschichtschreibung eine unersetz
liche Kraft. Er hat in seiner Mozart-Biographie zuerst den
ganzen reichen Erwerb gelehrter Bildung und philologischer
Methode auf eine musikhistorische Aufgabe gewendet und da
mit eine neue Epoche in der Behandlung solcher Stoffe be
gründet. Keine Nation besitzt im gleichen Fache eine Arbeit
wie Jahn’s „Mozart“, ein Werk von solcher Fülle des Wis
sens, solcher Weite des Horizonts, solch reiner Liebe für den
Gegenstand. Nicht nur finden wir darin über die kleinste
Composition Mozart’s, über Alles, was und mit wem er es
erlebt, die zuverlässigste Auskunft — dieser Reichthum von
Einzelheiten ruht auf einer festen, großartigen Gesammt-Anschau
ung, die uns jedes Werk Mozart’s als ein organisches Glied
seiner Kunstentwicklung und ihn selbst als einen leuchtenden
Ring in der Kette der Culturgeschichte seiner Zeit darstellt.
Die zweite Auflage seines „Mozart“ und eine Sammlung
zerstreut erschienener Journal-Artikel waren die letzten musik
literarischen Arbeiten Jahn’s. In letzterem Buche stechen die
vernichtend scharfen Kritiken über Richard Wagner und
zwei gelehrte Abhandlungen über Beethoven besonders
hervor. Letztere begrüßte man als verheißungsvolle Vorboten
seiner lange erwarteten Beethoven-Biographie, die nun leider
unvollendet bleibt. Das Leben Beethoven’s zu schreiben, war
Jahn’s Vorsatz und Lieblingsidee, ehe er die Mozart-Biogra
phie begann. Er sah jedoch ein, „daß es unmöglich sein würde,
das, was Beethoven Neues und Großes geschaffen, voll
kommen begreiflich zu machen, ohne die Leistungen Mozart’s
klar zu übersehen, der die vorausgehende Periode der Musik
abgeschlossen hat und dessen Erbschaft Beethoven antreten
mußte, um seine eigenthümliche Stellung in der Geschichte der
Musik zu gewinnen“. Ich erinnere mich, wie Jahn, der im
Jahre 1852 für einen mehrwöchentlichen Aufenthalt
nach Wien kam, es als gute Vorbedeutung ansah,
daß seine Freunde ihm eine Wohnung in der (frei
lich sehr entlegenen) „Beethovengasse“ gemiethet hatten.
Seine Studien über Mozart und Beethoven hielten Jahn seit
her in steter Verbindung mit Wien, namentlich in lebhaftem
Briefwechsel mit Karajan und Sonnleithner (zuletzt
auch mit F. Pohl), die ihn mit ihrem reichen Wissen unter
stützten und denen er sich bezüglich seiner Mozart-Forschungen
tief verpflichtet bekannte. Seit einem Jahre ungefähr, wie
mir kürzlich in München ein College des Verstorbenen von der
Bonner Universität erzählte, war an Jahn eine plötzliche Ab
nahme der Kräfte wahrzunehmen, ein erschreckend rasches Altern,
das seine Freunde mit Besorgniß erfüllte. Es war, als ob
die schweren Schicksale, die Jahn in früheren Jahren trotzen
den Hauptes so männlich getragen, ihre lang unterdrückte Zer
störungskraft nachträglich rächend zur Geltung brächten. Seine
politischen Kämpfe aus vormärzlicher Zeit sind bekannt, seine
Maßregelung durch die sächsische Regierung und Verweisung von
der Leipziger Universität. Er theilte sie mit seinen gleichgesinnten
Collegen Mommsen und Haupt. Ein härtestes Schicksal
aber, das Jahn allein zu tragen hatte, war die unheilbare Gei
steskrankheit seiner geliebten Frau. Der Schmerz, den Lebensfaden
eines theuren Wesens von der Parze durchschnitten zu sehen,
ist ein Kinderspiel gegen den zehnfachen Tod, welchen das Ab
reißen des geistigen Fadens, dies grauenhafte Lebendigbegraben,
dem Zurückbleibenden zufügt. Das sind die „schweren Leiden“,
deren Jahn im Vorwort seiner Mozart-Biographie erwähnt
und die ihm „jahrelang alle Musik unmöglich machten, bis
durch Mozart wieder Muth und Kraft zur Theilnahme an der
selben wach wurden“. Da erfuhr der schwergeprüfte, treffliche
Mann an sich selbst den Segen der Mozart’schen Musik und
sprach das schöne Wort, mit dem diese Zeilen der Erinnerung
ihren Schluß finden mögen: „daß, wer herangereift zu der
Fähigkeit, die Kunst als solche aufzufassen und zu empfinden,
sich Mozart hingibt, dauernd von ihm gefesselt werden müsse,
aber mit der Freiheit, Alles, was sonst schön und groß ist,
mit Wärme und Liebe zu umfassen; denn auch von Mozart
gilt, was Aristophanes so schön von Sophokles sagte, daß
er wie imn Leben so nach dem Tode liebenswürdig gern gewähren
lasse.“